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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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266 lost Hermand<br />

deutschen Linken - im Hinblick auf Vergangenes wie auch immer noch Bestehendes<br />

eine Alternative anzubieten, indem sie jene Terroristen in den Vordergrund<br />

rückt, die sich in einer Welt der Unmenschlichkeit, d.h. der Ausbeutung,<br />

der Grausamkeit, des Tötens und Vergewaltigens, notwendig zu ebenso grausamen,<br />

unmenschlichen Akten gezwungen sahen, um im Rauschen der alles<br />

überflutenden Massenmedien überhaupt noch gehört zu werden, verzichtet<br />

jedoch auf jedes ältere aufklärerische, vom Gedanken der fortschreitenden<br />

Emanzipation des Menschengeschlechts ausgehende Programm. Dennoch bleibt<br />

Müller, trotz mancher zynisch-kokettierender Bemerkungen, wie Ernst Jünger<br />

ein ausgesprochener »<strong>Katastrophen</strong>liebhaber« zu sein (281), weiterhin ein »Partisan«,<br />

wenn auch meist im Sinne jenes Carl Schmitt, den er in diesem Buch<br />

siebenmal erwähnt. Durch die Lektüre der Schmittschen Werke, vor allem der<br />

»<strong>Theorie</strong> des Partisans«, habe er begriffen, daß durch »totale Weltverbesserungsprogramme«<br />

nicht nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, sondern auch ein<br />

»totales Feindbild« entstehe (314), welches in seinem fundamentalistischen<br />

Charakter ebenso unmenschlich sei, wie jene Unmenschlichkeit, die es im<br />

Namen des Fortschritts abzuschaffen suche. Ebenso einleuchtend findet er die<br />

Ansicht Foucaults, daß selbst die »humanistischen« Reformbestrebungen der<br />

Aufklärung letztlich auf »Kontrolle, Organisation, Disziplinierung« und damit<br />

»Ausschließung« hinausgelaufen seien. Auch <strong>für</strong> jene, denen es um die »Emanzipation<br />

der Menschheit« gehe, werde jeder »Feind« zu einem »Feind der Menschheit«<br />

und sei dadurch »kein Mensch« mehr, sondern eine quantite negligeable,<br />

die es mit jakobinischem Eifer zu beseitigen gelte. Darin sehe er die »Grundfrage«<br />

aller politischen Auseinandersetzungen (315). Doch sei eine Haltung, die<br />

überhaupt kein »Feindbild« mehr habe und die »Ausbeutung als ein Phänomen<br />

des Lebendigen« einfach akzeptiere, ebenso ablehnenswert (314). Darum tue<br />

sich auf dieser Ebene immer wieder ein »Paradox« auf, <strong>für</strong> das es letztlich keine<br />

»Lösung« gebe (316). Wer dies nicht begriffen habe, werde nie einen Sinn <strong>für</strong><br />

»menschliche Tragik«, ja <strong>für</strong> die »Unerträglichkeit des Seins« schlechthin entwickeln.<br />

Und so erkläre sich, gerade in Europa, die »Anfälligkeit der Intellektuellen<br />

<strong>für</strong> Ideologie«, also das Bemühen, das nur »schwer zu ertragende Paradox<br />

der menschlichen Existenz« durch ein Weltverbesserungsprogramm und damit<br />

ein klares Feindbild aus der Welt zu schaffen (ebd.).<br />

Wegen dieser zwar radikal klingenden, aber von »Tragik« gebrochenen und<br />

damit zu keiner Handlung verpflichtenden Haltung, sei er nicht zu einem Baader,<br />

Manson oder Fatzer geworden, sondern habe seine »Aggressionen« nur auf dem<br />

Theater, im Medium der Kunst ausgelebt (335), was Müller in anderen Zusammenhängen<br />

als seine »Nichtengagiertheit« hinstellt. Dennoch sieht er auch darin<br />

eine wichtige Funktion. »Ich glaube«, schreibt er an zentraler Stelle, »Kunst ist<br />

ein Angriff auf dieses Paradox, auf jeden Fall eine Provokation, die auf dieses<br />

Paradox hinweist. Das ist die Funktion von Kunst, eine vielleicht asoziale oder<br />

zumindest anti soziale, aber moralische Funktion von Kunst.« (315) Wenn also<br />

Müller in seinen Dramen in zunehmendem Maße Szenen aneinanderreiht, in<br />

denen es von schockartig präsentierten Bruderkämpfen, Vergewaltigungen,<br />

Herzschlägen, Morden und anderen Schreckenstaten nur so wimmelt, so hat das<br />

nicht nur einen sensationalistischen Charakter, sondern soll in Artaudscher<br />

DAS ARGUME)\;T 198/1993 li':

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