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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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264 lost Hermand<br />

Ebenso deutlich äußert sich diese betonte Asozialität in seinem Umgang mit<br />

Frauen, der zwar nicht in extenso dargestellt wird, aber doch eine Reihe interessanter<br />

Aufschlüsse zuläßt. So heißt es über Inge Müller, seine zweite Frau, daß<br />

sie wegen ihrer Herkunft aus der Oberschicht mit den ärmlichen Verhältnissen<br />

der fünfziger Jahre nur schwer zu Rande gekommen sei, während es ihr nichts<br />

ausgemacht habe, »asozial zu sein« (159). Obendrein macht Müller keinen Hehl<br />

daraus, daß er stets eine »proletarische Gier« auf Damen aus den oberen Klassen<br />

gehabt habe (139). Und er sei damit auch zum Zuge gekommen, habe allerdings<br />

Zeit seines Lebens ihn bindende Verhältnisse stets entschieden abgelehnt. Als<br />

eine seiner frühen Freundinnen schwanger wurde, sei ihm das als eklige »Freiheitsberaubung«<br />

erschienen (109). Überhaupt betont er auf diesem Sektor -<br />

neben der Neigung zu künstlerischen Arbeitsgemeinschaften - fast ausschließlich<br />

das Unbürgerlich-Provokative und damit letztlich Asoziale.<br />

Wenn es nur die Vorliebe <strong>für</strong> das Nomadendasein, die Kneipen und die Frauen<br />

wäre, in der sich Müllers asozialer Sozialismus oder Asozialismus manifestiert,<br />

wäre dieser Aspekt an sich kaum der Rede wert. In Wirklichkeit will er jedoch<br />

damit den grundsätzlichen »Ausstieg aus dem bürgerlichen Leben« glorifizieren<br />

(294), den er <strong>für</strong> den Einstieg in den Sozialismus <strong>für</strong> unabdingbar hält. Wohl am<br />

deutlichsten kommt das in seiner Faszination <strong>für</strong> bestimmte Formen des Terrorismus<br />

und der Dissidenz zum Ausdruck, die er <strong>für</strong> die wichtigsten revolutionären<br />

Antriebsimpulse der Gegenwart hält. Neben seine proletarische Klassenperspektive<br />

tritt daher immer wieder die Idee der »Wiedergeburt des Revolutionärs<br />

aus dem Geist des Partisanen«, die er zum Teil Carl Schmitt verdankt (347).<br />

Müller schreibt, um die Konzepte des individuellen und des kollektiven Aufstands<br />

möglichst eng miteinander zu verbinden: »Mag der Partisan in einer Industriegesellschaft<br />

ein Hund auf der Autobahn sein. Es kommt darauf an, wie viele<br />

Hunde sich auf der Autobahn versammeln.« (Ebd.) Es sind drei Themenkomplexe,<br />

mit denen er diese These zu erläutern sucht: Ulrike Meinhof und die Rote<br />

Armee Fraktion, die Charles Manson Family und Brechts »Fatzer«-Fragment, an<br />

dem sich Müller auch als Bearbeiter versucht hat.<br />

An der Roten Armee Fraktion interessierte ihn vor allem »die Zerstörung des<br />

bürgerlichen Lebenszusammenhanges, der Ausstieg aus dem bürgerlichen<br />

Leben und der Einstieg in die Illegalität« (294). Um gegen die versteinerten Verhältnisse<br />

ihrer Welt zu protestieren, habe die Gruppe um Baader erst einmal -<br />

gemeinsam mit Ulrike Meinhof, die damals mit dem Chefredakteur von Konkret<br />

verheiratet war - alle »Möbel aus dem Fenster geworfen« (ebd.). Danach habe<br />

sie bei dem Versuch, auf die imperialistischen Untaten in der Dritten Welt hinzuweisen,<br />

ein Warenhaus in Brand gesteckt und so den >Nietnamkrieg in den Supermarkt«<br />

verlegt (314). In solchen Akten, die gerade wegen ihrer scheinbaren<br />

Widersinnigkeit so schockierend wirkten, sieht Müller den »theologischen Glutkern<br />

des Terrorismus«, über den sich nur »Heuchler« erregen könnten (316). Ja,<br />

selbst jene Situationen in der Geschichte der RAF, »in denen ein Abweichler<br />

exekutiert wurde«, gehören <strong>für</strong> ihn zur notwendigen »Tragik von militanten<br />

Gruppen«, die wegen der Übermacht ihrer Gegner »nicht zum Zug kommen«,<br />

wodurch sich ihr Gewaltpotential zwangsläufig »nach innen kehre« (311). Und so<br />

habe er es nicht unterlassen können, sich bei der Verleihung des Büchner-Preises<br />

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