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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Diskursive Widersprüche 263<br />

Traditionen gemacht und sich beispielsweise in den Uniformen der Nationalen<br />

Volksarmee bewußt an die »Nazi-Uniformen der Wehrmacht« gehalten habe<br />

(126). Als Brecht dagegen bei Stoph protestiert habe, sei ihm geantwortet worden,<br />

»man müsse alle Schichten gewinnen, gerade die bürgerlichen, und deswegen<br />

werde das nationale Element betont« (127).<br />

Die gleiche Kritik übt Müller an den Kulturkonzepten der SED. Statt an die<br />

Traditionen der linken Avantgarde der zwanziger Jahre, also an Meyerhold,<br />

Eisenstein, Majakowski, Serafimowitsch, Gladkow, Fadejew, Brecht, Eisler,<br />

Heartfield sowie die Autoren des Bundes revolutionär-proletarischer Schriftsteller<br />

anzuknüpfen, statt den mit der Devise »Greif zur Feder, Kumpel!« eingeschlagenen<br />

Bitterfelder Weg, der in manchem »ganz einsichtig« gewesen sei,<br />

weiterzuverfolgen (153), statt die von Ruth Berghaus praktizierte Linie am »<strong>Berliner</strong><br />

Ensemble« zu fordern, statt die engagierten Autoren um die FDJ-Zeitschrift<br />

Junge Kunst zu unterstützen - hätten es die Führungskräfte der SED und ihre<br />

kleinbürgerlichen Handlanger als wesentlich wichtiger empfunden, mit kulturkonservativen<br />

Gesten auch die »bürgerlichen Schichten« <strong>für</strong> den neuen Staat zu<br />

gewinnen und die sozialistischen Elemente bewußt herunterzuspielen. Im<br />

Gegensatz zu jenen, denen es um betont avantgardistische Ziele gegangen sei,<br />

habe man also von seiten der Partei fast nur die »Tradition«, die »bürgerliche<br />

Ethik« und den »bürgerlichen Kunstbegriff« zugelassen (124).<br />

Allerdings ist dies nur eine Seite von Müllers »besserem« Sozialismus. Seine<br />

proletarisch gefarbte Einheitsfrontperspektive wird streckenweise mit einer<br />

ebenso betont asozialen, anarchistischen, linksradikalen Perspektive verbunden,<br />

in der sich das Ausscheren Müllers aus dem Proletariat in eine Künstlerexistenz<br />

manifestiert, die auf Grund ihrer relativen Außenseiterposition, d. h. ihrer<br />

Besitzlosigkeit, ihrer Neigung gegen Offizielles, Repräsentatives sowie ihrer<br />

Bevorzugung eines unbürgerlichen Milieus, zwar ebenfalls deutlich antibürgerliche<br />

Elemente enthält, jedoch in ihrer Privilegiertheit als Künstler allmählich<br />

ihren Bezug zum spezifisch Proletarischen verliert. Um das sich dabei einstellende<br />

schlechte Gewissen zu beschwichtigen, versäumt es Müller nicht, uns sehr<br />

ausführlich über seinen betont asozialen Lebensstil zu berichten. »Ich bin ein<br />

Höhlenbewohner oder Nomade«, schreibt er, »jedenfalls werde ich das Gefühl<br />

nicht los, daß ich nirgends hingehöre. Es gibt keine Wohnung <strong>für</strong> mich, nur Aufenthaltsorte.<br />

Meine Neubauwohnung in Berlin-Friedrichsfelde, DDR-Plattenbauweise<br />

mit Löchern in der Decke, sieben Jahre hat es durchgeregnet, ist mir eher<br />

angenehm, weil sie den Begriff Wohnung aufhebt, Wohnung als DomiziL« (308)<br />

Was er brauche, sei lediglich ein »Bett« und einen »Tisch zum Arbeiten« (ebd.).<br />

Was er dagegen, wie fast alle Asozialen, nicht entbehren könne, seien »Kneipen«<br />

(88). »Die Kneipen sind die Paradiese«, heißt es an einer Stelle, »aus denen man<br />

die Zeit vertreiben kann« (91) und wo die literarischen Stoffe geradezu auf den<br />

Tischen liegen. Eine reguläre Arbeit oder gar »Brotarbeit« erscheint ihm dagegen<br />

verachtlich (106). Auch »Termine einzuhalten«, hält Müller <strong>für</strong> philislerhaft (161).<br />

Als guter Bohemien möchte er von den anderen, vor allem von den Parteifunktionären,<br />

lieber als ein genialer Hund, denn als ein pflichtbewußter Genosse eingeschätzt<br />

werden. Überhaupt sind ihm alle Wertvorstellungen, die aus den früheren<br />

Oberschichten kommen, von vornherein verdächtig, wenn nicht gar verhaßt.<br />

DAS ARGUMENT 198il993 ''iC

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