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Der geometrische Stil.

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<strong>Der</strong> g-eometvische <strong>Stil</strong>.<br />

schaffen als das ältere, primitivere, das in der Fläche bildende als das<br />

jüngere, raffinirtere bezeichnen dürfen. Etwa ein Thier in feuchtem<br />

Thon schlecht und recht naehzumodelliren, dazu bedurfte es, nachdem<br />

einmal der Nachahmungstrieb im Menschen vorhanden war, keiner<br />

höheren Bethätigung des menschlichen Witzes, da das Vorbild — das<br />

lebende Thier — in der Natur fertig vorlag. Als es sich aber zum<br />

ersten Male darum handelte, dasselbe Thier auf eine gegebene<br />

Fläche zu zeichnen, zu ritzen, zu malen, bedurfte es einer geradezu<br />

schöpferischen That. Denn nicht der vorbildlich vorhandene Körper<br />

wurde in diesem Falle nachgebildet, sondern die Silhouette, die Um-<br />

risslinie, die in Wirklichkeit nicht existirt und vom Menschen erst<br />

frei erfunden werden musste 1 ). Von diesem Augenblicke an gewann<br />

die Kunst erst recht ihre unendliche Darstellungsfähigkeit; indem man<br />

die Körperlichkeit preisgab und sich mit dem Schein begnügte, that<br />

man den wesentlichsten Schritt, die Phantasie von dem Zwange der<br />

strengen Beobachtung der realen Naturformen zu befreien und sie.zu<br />

einer freieren Behandlung und Combinirung dieser Naturformen hin-<br />

zuleiten.<br />

Mag nun ein dekoratives Kunstgebilde von emancipirter Form-<br />

gebung noch so wunderlich erscheinen, in den einzelnen Theilen bricht<br />

doch immer das reale, aus der Natur entlehnte Vorbild hindurch. Dies<br />

gilt sowohl von den in der Fläche dargestellten, als von den plasti-<br />

schen Kunstformen. Die Schlangenfiisse des Giganten z. B. sind nicht<br />

minder von Naturvorbildern abhängig, als sein menschlicher Ober-<br />

körper, wenngleich das Ganze, der Gigant, in der realen Welt nicht<br />

existirt. Ebenso gehen die völlig in linearem Schema gehaltenen drei-<br />

spaltigen Blüthen, etwa auf kyprischen Vasen, ganz bestimmt auf das<br />

Naturvorbild der Lotusblütlie zurück, mochte nun der Zusammenhang<br />

mit jener bestimmten Species der egyptischen Flora den kyprischen<br />

Töpfern bewusst gewesen sein oder nicht.<br />

Also die Natur blieb für die Kunstformen auch dann noch vor-<br />

bildlich, als dieselben die Tiefendimension preisgegeben und die in<br />

der Wirklichkeit nicht existirende umgrenzende Linie zum Elemente<br />

ihrer Darstellung gemacht hatten. In Umrisslinien dargestellte Tliier-<br />

') Von Hottentotten und Australnegern wissen aie Reisenden vielfach<br />

zu berichten, dass sie ihr eigenes Bild in Zeichnung oder Photographie nicht<br />

erkennen: sie vermögen eben die Dinge nur körperlich, aber nicht in die Fläche<br />

gebannt, ohne Tiefendimension, aufzufassen — ein Beweis, dass für letzteres<br />

bereits eine vorgeschrittene Kulturstufe vorausgesetzt werden muss.<br />

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