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wesentlich schlechter als sie vielerorts für ganz belanglose Dokumente der Ver-<br />
gangenheit herrschen.<br />
Vieles spricht also dafür, daß Delacroix, der es sich selbst und einer Öffent-<br />
lichkeit, von der er sich schon vergessen glaubte, noch ein letztes Mal „zeigen“<br />
wollte, von diesen „unwahrscheinlichen Bedingungen“ besonders angezogen und moti-<br />
viert wurde. So hat in paradoxer Weise wahrscheinlich gerade die Selbstverständ-<br />
lichkeit, <strong>mit</strong> der Delacroix von sich und andere von ihm annehmen konnten, daß er<br />
kein religiöser Maler war, dazu beigetragen, daß dieser höchst ungläubige, an die<br />
Autonomie des Menschen und die Größe seines Geistes fixierte Delacroix in einer<br />
unscheinbaren Kirche seine ,Heimstätte“ für sein letztes großes Werk fand. Er muß<br />
diese geheime Koalition und Partnerschaft <strong>mit</strong> der göttlichen Eingebung, die alles<br />
andere ist als gläubige Unterwerfung, in Saint-Sulpice immer deutlicher gespürt<br />
haben. Hier konnte sich „göttlicher Rausch“ einstellen, den er für diese Produk-<br />
tion benötigte und der ihn beflügelte.<br />
Er wollte ihm zu gerne <strong>mit</strong> der Inspiration durch die Orgelmusik während der Mes-<br />
sen nachhelfen. Aber die Kirchenleitung ließ ihn zu seinem großen Bedauern an<br />
Sonntagen nicht arbeiten. Andrieu berichtet, daß er des öfteren un<strong>mit</strong>telbar vor<br />
der Arbeit ein bis zwei Flaschen Rotwein trank und dann wie im Rausch malte. Der<br />
göttliche Rausch nahm also ganz konkrete irdische Gestalt an.<br />
So ist die Ausmalung der Kapelle in Saint-Sulpice tatsächlich zum Symbol der<br />
letzten Heimkehr zu sich selbst und seiner Bestimmung geworden, da<strong>mit</strong> aber auch<br />
im übertragenen und doppelten Sinne ins Land seiner Väter: Zum einen wurde sie<br />
auf der Ebene des Werkes zum Eintritt in die unsterbliche Gemeinschaft großer<br />
Künstler. Nach Saint-Sulpice konnte Delacroix die Gleichstellung <strong>mit</strong> den Vorvä-<br />
tern Raphael, Tizian, Veronese, Rubens und Rembrandt nicht mehr verwehrt werden<br />
und Beaudelaire vollzog sie in seinen damaligen Artikeln. Zum anderen kehrte er<br />
über