12 Herausforderung Kooperation im internationalen Infrastruktur-Bau
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<strong>12</strong> <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
Wolfgang Wiesner<br />
PORR <strong>Bau</strong> GmbH, Wien, Österreich<br />
Abstract: Im gegenständlichen Aufsatz soll die Praxis internationaler <strong>Infrastruktur</strong>-<br />
Großprojekte unter dem Aspekt der Möglichkeiten und Grenzen von <strong>Kooperation</strong> beleuchtet<br />
werden. Den Rahmen bilden bekannte spieltheoretische Modelle, in denen die Erwartungen<br />
und Grenzen sowohl kooperativer, als auch opportunistisch-konfrontativer Geschäftsstrategien<br />
nachvollziehbar abgebildet werden können. Darauf aufbauend werden jene Projektmerkmale<br />
diskutiert, welche <strong>Kooperation</strong> fördern oder erschweren. Die Argumente werden<br />
mit Fallbeispielen von <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-Großprojekten illustriert.<br />
<strong>12</strong>.1. Einleitung<br />
<strong>Kooperation</strong> wird analog zu einem früheren<br />
Aufsatz wie folgt verstanden:<br />
„<strong>Kooperation</strong> beziehungsweise Zusammenarbeit<br />
ist das Zusammenbringen von<br />
Handlungen zweier oder mehrerer Personen<br />
oder Systeme derart, dass die<br />
Wirkungen der Handlungen zum Nutzen<br />
aller dieser Personen oder Systeme führen.<br />
In einer gemäßigten Form kann<br />
man sagen, dass keine Handlungen erwünscht<br />
sind, die zum Nachteil einer<br />
Seite führen.“ (Wiesner 2008: 588)<br />
In der bauwirtschaftlichen Literatur werden<br />
zum Thema „<strong>Kooperation</strong>“ zumeist spezielle<br />
Vertrags- und Vergütungsmodelle, wie Partnering<br />
oder Alliance Contract behandelt. Das<br />
klassische Vertrags- und Vergütungsmodell<br />
nach Einheits- oder Pauschalpreisverträgen<br />
wird häufig als Konflikt fördernd und wenig<br />
geeignet angesehen, komplexe <strong>Bau</strong>vorhaben<br />
– insbesondere des Tiefbaus mit den <strong>im</strong> besonderen<br />
Maß auftretenden Unsicherheiten<br />
des <strong>Bau</strong>grundes – partnerschaftlich abzuwickeln<br />
(für viele: Leicht 2008: Rz 800 ff).<br />
Die europäische Praxis zeigt jedoch, dass<br />
die überwiegende Zahl an Großbauvorhaben<br />
<strong>im</strong> <strong>Infrastruktur</strong>bereich zu Einheits- oder<br />
Pauschalpreisen abgewickelt wird. Im ge-<br />
genständlichen Aufsatz soll daher für diesen<br />
Normalfall besprochen werden, wie <strong>Kooperation</strong><br />
gelingen kann und welche Projektmerkmale<br />
dabei kritisch sein können.<br />
<strong>12</strong>.2. Ein spieltheoretisches Modell<br />
Die Spieltheorie befasst sich mit dem strategischen<br />
Handeln von Personen, Firmen,<br />
Staaten oder anderen Akteuren in sozialen<br />
Interaktionen. Sie stellt damit Werkzeuge<br />
zur genauen Analyse strategischer Situationen<br />
zur Verfügung (Diekmann, 2010: 7).<br />
Insbesondere können mit spieltheoretischen<br />
Methoden sogenannte soziale Dilemmata untersucht<br />
werden. Bei einem sozialen Dilemma<br />
<strong>im</strong> Sinne der Spieltheorie ist die Harmonie<br />
zwischen individuellem Interesse und<br />
kollektivem Resultat gestört. Die einzelnen<br />
Akteure verfolgen ihre Ziele rational, erreichen<br />
insgesamt aber nur ein subopt<strong>im</strong>ales<br />
Ergebnis (a.a.O: 105)<br />
In der einfachsten Form werden zwei<br />
Spieler betrachtet, die gleichzeitig eine Entscheidung<br />
zwischen jeweils zwei Strategien<br />
treffen können. Daraus ergibt sich eine 2x2-<br />
Matrix mit vier möglichen Spielergebnissen<br />
(vgl. a.a.O: 21ff).
118 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
Tab. 1: Zweipersonenspiel in Normalform<br />
Zeilenspieler<br />
Spaltenspieler<br />
Strategie Strategie<br />
S1 S2<br />
Strategie Z1 NZ1/NS1 NZ1/NS2<br />
Strategie Z2 NZ2/NS1 NZ2/NS2<br />
Formale<br />
Darstellung<br />
NZ1 / NS1 – NZ2 / NS2 � Präferenzränge<br />
oder Nutzenwerte für Zeilen- und Spaltenspieler<br />
<strong>im</strong> entsprechenden Feld der Strategiematrix<br />
Bei einem Spiel mit vollständiger Information<br />
können Präferenzränge oder Nutzenwerte<br />
für alle Spieler und alle Strategienkombinationen<br />
angegeben werden, die den<br />
Spielern auch wechselseitig bekannt sind.<br />
Entscheidend für das Verständnis spieltheoretischer<br />
Überlegungen ist, dass strikt von<br />
„rationalen“ Entscheidungen der Spieler<br />
ausgegangen wird. Jeder Spieler trachtet bei<br />
der Strategieauswahl ausschließlich danach,<br />
seinen individuellen Nutzen zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />
Die Präferenzränge bzw. Nutzenwerte der<br />
anderen Spieler dienen dem Spieler lediglich<br />
dazu, deren Entscheidung zu antizipieren<br />
und auf dieser Basis die eigene Strategie<br />
festzulegen.<br />
Eines der bekanntesten spieltheoretischen<br />
Probleme stellt das sogenannte Gefangenendilemma<br />
dar. Mit der folgenden, für den<br />
<strong>Bau</strong>alltag typischen Coverstory könnte das<br />
Problem „übersetzt“ werden: Bei einem<br />
komplexen Großbauvorhaben wird eine unvorhergesehene<br />
Leistungsänderung erforderlich.<br />
Die verantwortlichen Vertreter des<br />
<strong>Bau</strong>unternehmens stehen vor der Entscheidung,<br />
entweder rasch die ablauftechnisch erforderlichen<br />
Maßnahmen einzuleiten und die<br />
rechtlich-wirtschaftliche Klärung inklusive<br />
der Vereinbarung neuer Preise und <strong>Bau</strong>termine<br />
<strong>im</strong> Nachgang abzuhandeln (Z1) oder<br />
das formale Procedere strikt einzuhalten und<br />
mit der Ausführung der geänderten Leistung<br />
so lange wie möglich zuzuwarten, bis die<br />
neuen Preise und Termine (weitgehend) feststehen,<br />
obwohl der dabei unvermeidliche<br />
<strong>Bau</strong>stillstand beträchtliche Folgekosten hervorruft<br />
(Z2).<br />
Die verantwortlichen Vertreter des Auftraggebers<br />
haben in unserer Coverstory die<br />
Wahl, entweder für die geänderte Leistung<br />
auskömmliche Preise und Termine zu vereinbaren<br />
(S1) oder eine Fortschreibung nicht<br />
kostendeckender Preise aus dem ursprünglichen<br />
Auftrag durchzusetzen (S2).<br />
Für das <strong>Bau</strong>unternehmen (Zeilenspieler)<br />
und die Auftraggeberorganisation (Spaltenspieler)<br />
ergeben sich die nachfolgenden Präferenzränge.<br />
Dabei wird jeweils für Zeilenspieler<br />
/ Spaltenspieler die höchste Präferenz<br />
mit vier Punkten bewertet und absteigend bis<br />
zur niedrigsten Präferenz mit einem Punkt<br />
gereiht:<br />
Tab. 2: Abwicklung einer geänderten Leistung als<br />
Gefangenendilemma<br />
Gefangenendilemma<br />
<strong>Bau</strong>unternehmen<br />
(Zeile)<br />
Rasches<br />
Handeln<br />
(Z1)<br />
Formale<br />
Absicherung<br />
(Z2)<br />
Auftraggeber (Spalte)<br />
Auskömmlicher<br />
Preis<br />
(S1)<br />
Unterdeckter<br />
Preis<br />
(S2)<br />
3 / 3 1 / 4<br />
4 / 1 2 / 2<br />
Diese Präferenzkombinationen können folgendermaßen<br />
interpretiert werden:<br />
Z1 / S1: 3 / 3<br />
Durch rasches Handeln werden Folgekosten<br />
der unvermeidlichen Leistungsänderung<br />
vermieden. Dem <strong>Bau</strong>unternehmen werden<br />
auskömmliche Preise zugesprochen. Für beide<br />
Vertragspartner (= Spieler) entsteht ein<br />
„gutes“ Ergebnis. Insgesamt betrachtet wird<br />
der Nutzen max<strong>im</strong>iert (3 + 3 = 6 ordinale<br />
„Nutzenpunkte“) 1<br />
Z1 / S2: 1 / 4<br />
Durch rasches Handeln werden Folgekosten<br />
vermieden. Die Auftraggeberorganisation<br />
opt<strong>im</strong>iert ihr individuelles Ergebnis <strong>im</strong><br />
Nachhinein zusätzlich durch strikte Fortschreibung<br />
unterdeckter Preise. Durch die<br />
langwierige und harte Verhandlungsführung<br />
entstehen allerdings auch Nachteile (z.B.<br />
1 Streng genommen sind Rechenoperationen mit ordinalskalierten<br />
Präferenzrängen unzulässig, da die Abstände<br />
zwischen den Präferenzrängen nicht gleich sein<br />
müssen. Diese Darstellung ist somit als Näherung zu<br />
verstehen (vgl. Diekmann a.a.O.: 84)
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> 119<br />
Verhandlungskosten, Vertrauensverlust).<br />
Das <strong>Bau</strong>unternehmen hat keinen Nutzen aus<br />
dem raschen Handeln.<br />
Z2 / S1: 4 / 1<br />
Durch formal abgesicherte Vorgangsweise<br />
und Ausnutzen der starken Verhandlungsposition<br />
erreicht das <strong>Bau</strong>unternehmen besonders<br />
gute Preise für die geänderte Leistung.<br />
Der Auftraggeberorganisation entstehen zusätzliche<br />
Kosten aus dem <strong>Bau</strong>stillstand während<br />
der Vertragsdiskussion. Auch in diesem<br />
Fall entstehen Nachteile aus der langwierigen<br />
und harten Verhandlungsführung.<br />
Z2 / S2: 2 / 2<br />
Die konfrontative Vorgangsweise beider<br />
Vertragspartner führt zu einem Min<strong>im</strong>alkompromiss.<br />
Im Extremfall fällt die Entscheidung<br />
erst am Rechtsweg. Dabei sind allerdings<br />
auch die Folgekosten aus dem<br />
<strong>Bau</strong>stillstand zu berücksichtigen. Es gibt<br />
keinen „Sieger“. Beide Vertragspartner haben<br />
das für sie individuell schlechteste Ergebnis<br />
vermieden, insgesamt ist der Nutzen<br />
jedoch am geringsten (2 + 2 = 4 gegenüber 6<br />
ordinalen „Nutzenpunkten“ bei wechselseitiger<br />
<strong>Kooperation</strong>)<br />
Spieltheoretisch hat dieses Problem eine<br />
eindeutige Lösung durch das sogenannte<br />
„Nash-Gleichgewicht“, benannt nach einem<br />
der Pioniere der Spieltheorie, dem Nobelpreisträger<br />
für Wirtschaftswissenschaften<br />
John Nash *1928. Als Nash-Gleichgewichte<br />
werden Strategienkombinationen bezeichnet,<br />
bei denen kein Spieler einen Anreiz hat, einseitig<br />
von der Wahl seiner Strategie abzuweichen<br />
(a.a.O.: 234).<br />
Unser Beispiel stellt sich spieltheoretisch<br />
folgendermaßen dar (vgl. Tab. 2):<br />
� Strategienkombination Z1 / S1: Beide<br />
Spieler haben einen Anreiz, von der (insgesamt<br />
opt<strong>im</strong>alen) Strategienkombination<br />
abzuweichen, um jeweils einen<br />
individuellen Präferenzrang zu gewinnen<br />
� Zeile nach Z2 und Spalte nach S2.<br />
� Strategienkombination Z1 / S2: Zeile hat<br />
einen Anreiz, nach Z2 auszuweichen.<br />
� Strategienkombination Z2 / S1: Spalte<br />
hat einen Anreiz, nach S2 auszuweichen.<br />
� Lediglich von Z2 / S2 aus gibt es für keinen<br />
Spieler einen Anreiz, auszuweichen.<br />
Die spieltheoretische Lösung für das „Gefangenendilemma“,<br />
die für die gegebene<br />
Coverstory (leider) auch häufiger Praxis<br />
<strong>im</strong> <strong>Bau</strong>wesen entspricht, resultiert somit<br />
in einem starken Anreiz für rationale Entscheidungsträger,<br />
in der beschriebenen Situation<br />
formal und opportunistisch zu<br />
agieren.<br />
Kooperatives Verhalten müsste dagegen<br />
als zumindest riskant, wenn nicht sogar<br />
unweigerlich geschäftsschädigend<br />
aufgefasst werden, obwohl beide Spieler<br />
<strong>im</strong> Nash-Gleichgewicht jeweils nur den<br />
zweitschlechtesten Präferenzrang erreichen.<br />
<strong>12</strong>.3. Der Weg aus dem Gefangenendilemma<br />
Glücklicherweise gibt es in der Praxis nicht<br />
ausschließlich konfrontativ und opportunistisch<br />
abgewickelte <strong>Bau</strong>projekte. Es stellt sich<br />
die Frage, welche Merkmale gelungener <strong>Kooperation</strong><br />
bei <strong>Bau</strong>projekten festgestellt werden<br />
können.<br />
Ein einfacher Zugang wäre, dass gelungene<br />
<strong>Kooperation</strong> jedenfalls zu mängelfreien<br />
<strong>Bau</strong>werken, Budget- und Termineinhaltung<br />
für den <strong>Bau</strong>herrn und gleichzeitig zufriedenstellenden<br />
Erträge für das <strong>Bau</strong>unternehmen<br />
zu führen hätte. Dieser Zugang ist jedoch zu<br />
kurz gegriffen. Die komplexen Rahmenbedingungen<br />
von Großbauvorhaben können<br />
bekanntermaßen dazu führen, dass selbst bei<br />
bestem Einvernehmen und durchwegs positivem<br />
Zusammenwirken der Vertragspartner<br />
ein oder sogar beide Partner diese originären<br />
Projektziele nicht erreichen können.<br />
Der Autor geht von den folgenden Merkmalen<br />
als wesentlich für kooperative Projektabwicklung<br />
aus. Die Argumente basieren<br />
sowohl auf eigener Projekterfahrung (siehe<br />
die nachfolgenden positiven Beispiele) als<br />
auch auf breit abgest<strong>im</strong>mten nationalen und<br />
europäischen Initiativen zur Verbesserung<br />
von <strong>Bau</strong>abläufen. Unter <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-Großprojekten<br />
werden hier <strong>Bau</strong>projekte<br />
mit Volumina <strong>im</strong> zwei- bis dreistel-
<strong>12</strong>0 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
ligen Millionen-Euro-Bereich, basierend auf<br />
<strong>internationalen</strong> Vergaben verstanden. Der<br />
Erfahrungshintergrund des Autors liegt vorwiegend<br />
in Zentral-, Süd- und Osteuropa.<br />
Tab. 3: Merkmale gelungener <strong>Kooperation</strong><br />
Betrachtungsebene Merkmal<br />
<strong>Bau</strong>abwicklung<br />
Rasche und verbindliche<br />
Entscheidungen<br />
Zeitnahe Konfliktbewäl-<br />
<strong>Bau</strong>abwicklung<br />
tigung während der<br />
laufenden <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
Technisch-rechtliche<br />
Projektebene<br />
Faire Verträge<br />
Technisch-rechtliche<br />
Projektebene<br />
Opt<strong>im</strong>ierte Abläufe und<br />
straffe Entscheidungswege<br />
Technisch-rechtliche Ausreichende Projekt-<br />
Projektebene<br />
vorbereitung<br />
Organisation und Umfeld<br />
Sorgsame Delegation<br />
von Aufgaben und Verantwortung<br />
Organisation und Um- Leistungswettbewerb<br />
feld<br />
vor Preiswettbewerb<br />
Organisation und Umfeld<br />
Soziale Kompetenz<br />
Organisation und Umfeld<br />
Verantwortung<br />
Diese Merkmale stehen jedoch nicht gleichwertig<br />
und unabhängig nebeneinander. Die<br />
entsprechenden Projektvariablen beeinflussen<br />
einander in komplexen Systemen wechselseitig.<br />
Komplexe Systeme zeichnen sich durch<br />
viele, stark verknüpfte Systemelemente und<br />
eine starke Verknüpfung mit der Umwelt<br />
aus. Die Elemente und ihre Beziehungen<br />
können sich untereinander und zur Umwelt<br />
<strong>im</strong> Zeitablauf ändern. Komplexe Systeme<br />
haben ein Eigenleben. Meist ist ein System<br />
komplex, wenn „lebende Materie“ z. B. soziale<br />
Beziehungen innerhalb von oder zwischen<br />
Organisationen eine Rolle spielen.<br />
(Honegger 2008: 32f)<br />
Komplexität besteht nicht einfach aus der<br />
Summe der komplizierten Bestandteile, sondern<br />
aus deren Interaktion. Es genügt deshalb<br />
nicht, die komplizierten Aspekte <strong>im</strong><br />
Griff zu haben und zu meinen, man manage<br />
damit auch Komplexität erfolgreich. Für das<br />
Management komplexer Systeme ist das<br />
Descartes’sche Prinzip „ein großes Problem<br />
löse man, indem man es in Teilprobleme zerlege<br />
und diese einzeln bearbeite“ nicht anwendbar.<br />
Vielmehr braucht es auch ein Verständnis<br />
für Zusammenhänge, Eigendynamik<br />
und Zielkonflikte. (ebd.)<br />
<strong>12</strong>.4. Vom sichtbaren Ergebnis kooperativer<br />
<strong>Bau</strong>abwicklung …<br />
Die detaillierte Diskussion der oben vorgestellten<br />
Merkmale kooperativer Projektabwicklung<br />
soll mit den sichtbaren Ergebnissen<br />
begonnen werden. Getreu dem biblischen<br />
Zitat an ihren Früchten werdet ihr sie<br />
erkennen wird bei der <strong>Bau</strong>abwicklung sichtbar,<br />
ob kooperatives Zusammenwirken gelingt.<br />
Andererseits ist es zu diesem Zeitpunkt<br />
meist zu spät, um strukturelle Probleme der<br />
zugrundeliegenden Projektorganisation<br />
(technisch-rechtliche Betrachtungsebene)<br />
oder gar aus der Organisation und dem Umfeld<br />
der beteiligten Unternehmen zu bereinigen.<br />
Es erscheint beispielsweise sinnlos, rasche<br />
und verbindliche Entscheidungen einzufordern,<br />
wenn die formal genannten Entscheidungsträger<br />
nicht willens, berechtigt<br />
oder in der Lage sind, derartige Entscheidungen<br />
zu treffen.<br />
Rasche und verbindliche Entscheidungen<br />
Der Engineer <strong>im</strong> international häufig eingesetzten<br />
System der standardisierten Werkverträge<br />
der FIDIC 2 entscheidet zumindest<br />
nach dem Willen der Verfasser dieser Vertragsschablonen<br />
entsprechend angelsächsischer<br />
Ingenieurtradition unabhängig vom Interesse<br />
seines Auftraggebers nach eigenem<br />
Sachverstand fair und gerecht. Die Idee des<br />
unabhängigen und fairen Projektsteuerers,<br />
der rasche und verbindliche Entscheidungen<br />
trifft, erscheint geradezu opt<strong>im</strong>al geeignet<br />
um kooperatives Zusammenwirken zu fördern.<br />
2 Federation Internationale des Ingenieurs-Conseils<br />
(FIDIC): Conditions of Contract for Construction for<br />
Building and Engineering Works Designed by the Employer<br />
1999 (“Red Book”); Conditions of Contract for<br />
Plant and Design-Build for Electrical and Mechanical<br />
Plant, and for Building and Engineering Works, Designed<br />
by the Contractor 1999 (“Yellow Book”)
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> <strong>12</strong>1<br />
Beispiel 1 (positiv):<br />
Bei einem markanten Verkehrsbauwerk in<br />
einer südeuropäischen Millionenstadt, das<br />
als Design-Build-Auftrag nach Yellow Book<br />
abgewickelt wird, wird der öffentliche Auftraggeber<br />
durch ein renommiertes USamerikanisches<br />
Ingenieurbüro vertreten. Im<br />
Projektverlauf wurden bereits zahlreiche<br />
Auftragsanpassungen aus Leistungsstörungen,<br />
geänderten und zusätzlichen Leistungen<br />
mit einer finanziellen Auswirkung in zweistelliger<br />
Euro-Millionenhöhe rasch und für<br />
alle Seiten vertretbar abgewickelt.<br />
Beispiel 2 (positiv):<br />
In einer südeuropäischen Region wird ein<br />
Kraftwerk <strong>im</strong> Auftrag eines <strong>internationalen</strong><br />
Investors als Design-Build-Auftrag nach<br />
Yellow Book errichtet. Der Investor hatte<br />
vor <strong>Bau</strong>beginn keine Erfahrung mit FIDIC-<br />
Verträgen, engagierte aber <strong>im</strong> Zuge des <strong>Bau</strong>ablaufes<br />
einen erfahrenen Berater. Aus geologischen<br />
Ursachen wurden während der<br />
<strong>Bau</strong>ausführung tiefgreifende technische Umplanungen<br />
erforderlich. Die entsprechende<br />
Auftragsanpassung in Höhe mehrerer Millionen<br />
Euro wurde entsprechend dem gemeinsamen<br />
Willen beider Vertragspartner in kürzester<br />
Frist von wenigen Wochen technisch,<br />
organisatorisch und preislich ausgehandelt<br />
und verbindlich vereinbart.<br />
Beispiel 3 (negativ):<br />
In Regionen mit anderer Projektabwicklungstradition,<br />
z. B. in Zentral-, Süd- und<br />
Osteuropa, können gravierende Probleme<br />
auftreten, wenn das nach FIDIC vorgesehene<br />
unabhängige Agieren eines „Erfüllungsgehilfen“<br />
vom öffentlichen Auftraggeber als<br />
Missachtung seiner Machtposition und Interessen<br />
interpretiert wird. Bei manchen, von<br />
europäischen Entwicklungsbanken geförderten<br />
und nach FIDIC abzuwickelnden Projekten<br />
in Süd- und Osteuropa hat sich der Engineer<br />
regelrecht „abgemeldet“. Wesentliche<br />
und notwendige Entscheidungen werden<br />
teilweise über Monate verschleppt und erst<br />
nach massiven Interventionen - dann meist<br />
von weit über der Projektebene stehenden<br />
Funktionsträgern des Auftraggebers - getroffen.<br />
Zeitnahe Konfliktbewältigung während der<br />
laufenden <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
Bei den zahlreichen und komplex zusammenwirkenden<br />
Umständen, Einflüssen und<br />
Interessen <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>Infrastruktur</strong>-Großprojekten<br />
treten unvermeidlich <strong>im</strong>mer<br />
wieder mehr oder weniger große Konflikte<br />
zwischen den Projektbeteiligten auf.<br />
Konflikte sind an sich nicht ausschließlich<br />
negativ, sondern können auch - produktiv<br />
ausgetragen - einer Klärung und Verbesserung<br />
der Zusammenarbeit und des gemeinsamen<br />
Werkes dienen.<br />
Problematisch wird es, wenn die ungelösten<br />
technischen und vertraglichen Fragen eine<br />
ordentliche <strong>Bau</strong>vorbereitung erschweren.<br />
Für eine opt<strong>im</strong>ale <strong>Bau</strong>abwicklung ist es nicht<br />
gleichbedeutend, ob Leistung, Herstellungsfrist<br />
und Vergütung während der <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
exakt best<strong>im</strong>mt oder erst nachträglich<br />
best<strong>im</strong>mbar sind. (Wiesner 2010a: 72)<br />
Ungelöste Konflikte wirken sich naturgemäß<br />
entfremdend und vertrauensstörend auf die<br />
Vertragspartner aus.<br />
FIDIC-Verträge (vgl. Fußnote 2) sehen<br />
die folgende formalisierte Eskalationskette<br />
zur Konfliktbewältigung vor:<br />
� Verhandlung zwischen den Vertragspartnern,<br />
moderiert durch den Engineer<br />
� Festlegung („Determination“) durch den<br />
Engineer<br />
� Bindende allerdings nicht endgültige<br />
Entscheidung („Decision“) durch eine<br />
Streitschlichtungsinstanz (Dispute<br />
Adjudication Board DAB), entweder adhoc<br />
(für konkrete Fälle einberufen) oder<br />
standing board (ab <strong>Bau</strong>beginn regelmäßig<br />
tagend)<br />
� Schiedsgericht (Arbitration) oder ordentliche<br />
Gerichtsbarkeit (Litigation)<br />
Beispiel 4 (Exkurs in den privaten Hochbau,<br />
negativ):<br />
Bei der Errichtung eines großen Büro- und<br />
Geschäftsgebäudes wurden <strong>Bau</strong>meisterarbeiten<br />
inkl. Gesamtkoordination und Elektrotechnikarbeiten<br />
getrennt beauftragt. Während<br />
der <strong>Bau</strong>abwicklung kam es aus<br />
verschiedensten Ursachen zu zahlreichen<br />
und tiefgreifenden Ablaufänderungen.
<strong>12</strong>2 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
Erst knapp vor dem Fertigstellungstermin<br />
meldet das Elektrotechnikunternehmen<br />
Mehrkosten aus diesem Umstand dem Grunde<br />
nach an. Knapp ein Jahr nach <strong>Bau</strong>ende<br />
wurde darauf aufbauend eine von einem<br />
Sachverständigen ausgearbeitete Forderung<br />
über etwa 25 % der Auftragssumme an den<br />
<strong>Bau</strong>herrn und den Generalunternehmer gerichtet.<br />
Diese sahen sich von der Forderung komplett<br />
überrumpelt, zeigten keine Anerkennungsbereitschaft<br />
und machten in Reaktion<br />
darauf massive Gegenforderungen aus <strong>Bau</strong>mängeln<br />
geltend. Der Fall ist seit zwei Jahren<br />
gerichtsanhängig.<br />
Beispiel 5 (negativ):<br />
Der formalisierten Eskalationskette der<br />
FIDIC wird von den öffentlichen Auftraggeberinstitutionen<br />
in einigen neuen EU-<br />
Staaten massive Skepsis entgegengebracht.<br />
Teilweise wird die Vereinbarung von DAB<br />
und Schiedsgerichtsbarkeit durch ministerielle<br />
Verordnungen explizit untersagt.<br />
In einem neuen EU-Staat ist die Praxis<br />
des Finanzministeriums bekannt, dass <strong>Bau</strong>behörden,<br />
die bei der Abwicklung von <strong>Infrastruktur</strong>projekten<br />
Vergütungsanpassungen<br />
aufgrund von DAB-Entscheidungen anerkennen<br />
(und somit formal auf weitere<br />
Rechtsmittel verzichten), Mehrkosten aus eigenen<br />
Mitteln zu decken haben und keine<br />
Budgetaufstockung zugesprochen bekommen.<br />
Durch diese Praxis werden wesentliche<br />
Elemente der Eskalationskette de facto wirkungslos,<br />
müssen jedoch trotzdem durchlaufen<br />
werden. Dies bedeutet einen hohen zeitlichen<br />
und personellen Aufwand, sowie Belastungen<br />
der Vertrauensbasis, die sich aus<br />
den Diskursen vor Drittinstanzen zwangsläufig<br />
ergeben.<br />
Beispiel 6 (positiv):<br />
Bei großen <strong>Infrastruktur</strong>projekten in Österreich<br />
wurden wesentliche Konfliktthemen<br />
mehrfach durch gemeinsame Teams aus<br />
Auftraggeber- und Auftragnehmervertretern<br />
(Gruppengröße meist vier bis sechs Personen),<br />
teilweise moderiert von externen Mediatoren,<br />
ausgehandelt und einer Lösung zugeführt.<br />
Beispielsweise bestand bei einem aktuellen<br />
<strong>Infrastruktur</strong>projekt bereits mehrere Jahre<br />
Dissens über ein Forderungspaket aus geändertem<br />
<strong>Bau</strong>grundverhalten, schlechterer Materialverwertbarkeit<br />
und einer deutlichen<br />
Reduktion des Leistungsumfanges, als ein<br />
Team aus je zwei Auftraggeber- und Auftragnehmervertretern<br />
berufen wurde, das<br />
dann in drei Sitzungen innerhalb von drei<br />
Monaten eine Einigung fand.<br />
<strong>12</strong>.5. … auf dem Weg über die<br />
technisch-rechtliche Projektebene<br />
Die zweite, tiefer gehende Betrachtungsebene<br />
richtet sich auf technisch-rechtliche Projektcharakteristika,<br />
die einerseits kurz- bis<br />
mittelfristig beeinflussbar sind, andererseits<br />
selbst aber wiederum ganz wesentlich von<br />
den Elementen der dritten Kategorie beeinflusst<br />
werden.<br />
Faire Verträge<br />
Die Wahl eines speziellen Vertrags- und<br />
Vergütungsmodells ist nach Erfahrung des<br />
Autors nicht vorrangig entscheidend, ob bei<br />
einem <strong>Bau</strong>projekt <strong>Kooperation</strong> gelingen<br />
kann. Diese Ansicht wurde kürzlich auch<br />
von einem holländischen Rechtsexperten (!)<br />
vertreten:<br />
„A bad contract with an excellent<br />
Project Team (with owner's and contractor's<br />
representatives) has a higher<br />
chance of being completed in a perfect<br />
manner than a "good" contract executed<br />
by a "bad" team.“ (Van Wassenaer<br />
2010: 336)<br />
Innerhalb des gewählten Vertrags- und Vergütungsmodells<br />
spielt für die Förderung oder<br />
Behinderung kooperativer Abläufe der Aspekt<br />
der Risikozuweisung jedenfalls eine<br />
maßgebliche Rolle.<br />
Beispiel 7 (Exkurs in den privaten Hochbau,<br />
negativ)<br />
In einer südeuropäischen Hauptstadt wurde<br />
ein Wohn- und Büroturm für eine Gruppe<br />
aus einem lokalen Investor und einem <strong>internationalen</strong><br />
Projektentwickler errichtet. Die<br />
Vergütung erfolgte nach einem Cost-plus-<br />
Fee-Vertrag.
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> <strong>12</strong>3<br />
Während der Abwicklung stellte sich heraus,<br />
dass zahlreiche vom Auftraggeber vorgegebene<br />
Subunternehmer („nominated subcontractors“)<br />
technisch und organisatorisch katastrophale<br />
Leistungen brachten, deren Verträge<br />
aufgrund eines außerordentlich engen<br />
Naheverhältnisses zum lokalen Investor jedoch<br />
nicht aufgelöst werden konnten.<br />
Der zusätzliche Koordinationsaufwand<br />
und der Aufwand für die Mängelbehebung<br />
übertraf die vereinbarte Fee bei Weitem, sodass<br />
das Projekt mit einem beträchtlichen<br />
wirtschaftlichen Verlust abgeschlossen wurde.<br />
Beispiel 8 (negativ):<br />
Zunehmend wird der Versuch mancher öffentlicher<br />
Auftraggeber wahrgenommen,<br />
schlagend gewordene Planungsrisiken nicht<br />
nur den Planern selbst, sondern – möglicherweise<br />
aufgrund der größeren wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit von <strong>Bau</strong>unternehmungen<br />
– auch den ausführenden <strong>Bau</strong>unternehmen<br />
anzulasten. Gleiches gilt auch für<br />
andere, typischerweise der Auftraggebersphäre<br />
zuzurechnende Projektrisiken<br />
(Grundstücksenteignung, <strong>Bau</strong>grund, etc).<br />
Die Überwälzung von Projektrisiken an<br />
ein <strong>Bau</strong>unternehmen erscheint jedoch nur<br />
dann mit einer kooperativen Abwicklung<br />
verträglich, wenn für die Abwendung der Risiken<br />
eine entsprechende Steuerungsmöglichkeit<br />
besteht (z. B. hinsichtlich Planungsrisiken<br />
dann, wenn Planung und Ausführung<br />
bei Design-Build-Verträgen aus einer Hand<br />
geleistet wird).<br />
In einem gemeinsamen Positionspapier<br />
von EIC 3 und FIEC 4 an die Europäische<br />
Kommission wurde kürzlich eine ministerielle<br />
Verordnung in Rumänien, mit der <strong>Bau</strong>behörden<br />
selbst bei EU-finanzierten Projekten<br />
die Überwälzung von Planungs- und<br />
Enteignungsrisiken an <strong>Bau</strong>unternehmen vorgeschrieben<br />
wurde, neben anderen kritischen<br />
Punkten vehement kritisiert. 5<br />
3 European International Contractors, siehe<br />
http://www.eicontractors.de<br />
4 Verband der Europäischen <strong>Bau</strong>wirtschaft, siehe<br />
http://www.fiec.org<br />
5 http://www.eicontractors.de/news/eic-calls-faircontract-conditions-romania/,<br />
aufgerufen am 23.06.2011<br />
Opt<strong>im</strong>ierte Abläufe und straffe Entscheidungswege<br />
Um rasche Entscheidungen treffen zu<br />
können und Konflikte produktiv und effizient<br />
bewältigen zu können, müssen entsprechende<br />
effektive (= zielorientierte) und effiziente<br />
(= aufwandsopt<strong>im</strong>ierte) Abläufe und<br />
Strukturen vorliegen. Dies betrifft natürlich<br />
sowohl die Organisation der beteiligten Institutionen<br />
(siehe Punkt 6), als auch die Entscheidungsstrukturen<br />
und Ablaufroutinen <strong>im</strong><br />
Projekt.<br />
Hier erscheinen systemtheoretische<br />
Überlegungen für die Praxis besonders hilfreich.<br />
Gerade technisch ausgebildete Führungskräfte<br />
neigen nämlich häufig dazu,<br />
Entscheidungswege wie komplizierte Maschinen<br />
<strong>im</strong> Vorfeld detailliert „konstruieren“<br />
zu wollen. Der Gesamtablauf wird nach dem<br />
in Punkt 3 zitierten Descartes’schen Prinzip<br />
in zahlreiche Detailaufgaben und Detailverantwortungen<br />
zerlegt, die sequentiell abgearbeitet<br />
werden sollen. Schnittstellenprobleme<br />
und unvorhergesehene Nachteile werden<br />
als „Konstruktionsfehler“ betrachtet,<br />
während unvorhergesehene Chancen in dem<br />
starren System nicht genutzt werden können.<br />
In Anlehnung an Beer (1994 [1966]: 239ff)<br />
wird diese Vorgangsweise mit dem Zugang<br />
eines Fußballtrainers verglichen, der seiner<br />
Mannschaft für jede nur denkbare Spielsituation<br />
genaue Verhaltensanweisungen geben<br />
wollte. Bekanntermaßen arbeitet eine Fußballmannschaft<br />
jedoch gerade nicht nach<br />
vorbest<strong>im</strong>mten Abläufen zusammen, sondern<br />
durch Selbstorganisation innerhalb genereller<br />
Direktiven.<br />
Beispiel 9<br />
Im österreichischen <strong>Infrastruktur</strong>bau wurde<br />
mit dem Partnerschaftsmodell der ÖNORM<br />
B 2118 6 ein Formalprocedere für die Abwicklung<br />
von Großbauvorhaben normiert.<br />
Die Formalisierung von Entscheidungswegen<br />
und Terminen soll einen effektiven und<br />
effizienten Projektablauf fördern.<br />
6 Österreichisches Normungsinstitut: ÖNORM B 2118.<br />
Allgemeine Vertragsbest<strong>im</strong>mungen für <strong>Bau</strong>leistungen<br />
unter Anwendung des Partnerschaftsmodells, insbesondere<br />
bei Großprojekten. Werkvertragsnorm 2011
<strong>12</strong>4 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die formalen<br />
Strukturen nur so erfolgreich sind, wie<br />
sie von den handelnden Personen gelebt<br />
werden. Während die formalen Instrumente<br />
des Partnerschaftsmodells bei einigen Projekten<br />
von den Beteiligten als hilfreiche<br />
Ordnungselemente für eine kooperative Zusammenarbeit<br />
genutzt werden, werden sie<br />
bei anderen Projekten als „Waffe“ bei der<br />
Durchsetzung beziehungsweise (häufiger)<br />
Abwehr von Forderungen eingesetzt.<br />
Es fällt auf, dass sich die Zusammenarbeit<br />
unter dem Partnerschaftsmodell meistens<br />
mit der Zeit verbessert, sofern der <strong>im</strong><br />
Wesentlichen gleiche Personenkreis bei<br />
mehreren Projekten aufeinandertrifft. Diese<br />
Wahrnehmung unterstützt die Hypothese,<br />
dass der „Schatten der Zukunft“ kooperatives<br />
Handeln begünstigt. Damit ist gemeint,<br />
dass Personen eher kooperieren, wenn sie<br />
davon ausgehen, mit dem jeweiligen Gegenüber<br />
zukünftig wieder interagieren zu müssen<br />
(vgl. Diekmann a.a.O: 134).<br />
Ausreichende Projektvorbereitung<br />
Eine vom Verfasser moderierte Podiumsdiskussion<br />
zum Thema „normierte <strong>Bau</strong>verträge“<br />
kam 2009 (stark zusammengefasst) zu<br />
folgendem Ergebnis:<br />
Technisch und organisatorisch starkes<br />
Projektmanagement kann nicht durch einen<br />
rechtlich ausgefeilten <strong>Bau</strong>vertrag ersetzt<br />
werden kann. Die Anwendung normierter<br />
<strong>Bau</strong>verträge bietet dabei<br />
aufgrund der klaren Spielregeln große<br />
Vorteile. Allgemein wird erkannt, dass für<br />
eine qualifizierte Projektbearbeitung Zeit<br />
erforderlich ist. Die Qualität liegt <strong>im</strong> Inhalt<br />
und nicht in einer möglichst umfangreichen<br />
Ausschreibung. Es wird die Frage<br />
aufgeworfen, ob die knappe Zeit für Ausschreibung,<br />
Angebotserstellung und <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
als Ke<strong>im</strong>zelle von Ablaufstörungen<br />
wirklich in jedem Fall<br />
unvermeidbar ist. Die Verbesserung der<br />
Abläufe stellt einen <strong>im</strong>merwährenden<br />
Prozess dar, dem sich die Beteiligten in<br />
der <strong>Bau</strong>wirtschaft stellen müssen. (Wiesner<br />
2010b: 48)<br />
Beispiel 10 (negativ):<br />
Ein <strong>Infrastruktur</strong>projekt in Osteuropa wurde<br />
als <strong>Bau</strong>auftrag mit Detailplanung nach<br />
FIDIC Red Book vergeben, obwohl die vorliegende<br />
generelle Planung in wesentlichen<br />
Punkten unfertig und mangelhaft war. Erschwerend<br />
kam hinzu, dass - wie in einigen<br />
Süd-Ost-Europäischen Staaten üblich - Änderungen<br />
zur genehmigten Einreichplanung<br />
in der Detailplanung äusserst komplizierte<br />
und langwierige Genehmigungsverfahren<br />
durchlaufen müssen.<br />
Der Konflikt darüber, welche Pflichten<br />
das <strong>Bau</strong>unternehmen aus der Detailplanung<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit Mängeln der generellen<br />
Planung übernommen hatte, überschattete<br />
das gesamte Projekt und verhinderte eine<br />
kooperative Abwicklung.<br />
Beispiel 11 (negative Abwicklung, positive<br />
Konfliktbewältigung)<br />
Ein zentrales <strong>Infrastruktur</strong>projekt in Österreich<br />
stand unter enormen Termindruck. Die<br />
Beauftragung der <strong>Bau</strong>ausführung erfolgte zu<br />
einem Zeitpunkt als die getrennt vergebene<br />
Planung bei weitem noch nicht abgeschlossen<br />
war. Während das <strong>Bau</strong>unternehmen bei<br />
der Angebotskalkulation davon ausging, Detailabläufe<br />
<strong>im</strong> Rahmen der pönalisierten<br />
Termine frei opt<strong>im</strong>ieren zu können, hatte der<br />
Auftraggeber mit dem Planungsunternehmen<br />
detaillierte Lieferfristen für einzelne Planungsabschnitte<br />
verbindlich vereinbart, sodass<br />
sich der tatsächliche <strong>Bau</strong>ablauf nach<br />
den zur Verfügung stehenden Plänen richten<br />
musste. Zusätzlich ergaben sich laufende<br />
Umplanungen und Leistungsänderungen aus<br />
neuen Nutzerwünschen.<br />
Das <strong>Bau</strong>vorhaben wurde in einem chaotischen<br />
Ablauf mit enormem Ressourceneinsatz<br />
abgewickelt. Die Bereinigung der zahlreichen<br />
terminlichen und preislichen Konfliktpunkte<br />
konnte erst <strong>im</strong> Nachgang durchgeführt<br />
werden. Dies erfolgte allerdings aufgrund<br />
des generell konstruktiven Gesprächskl<strong>im</strong>as<br />
zwischen Auftraggeber und <strong>Bau</strong>unternehmen<br />
relativ zügig und ohne gerichtliche<br />
Auseinandersetzung.
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> <strong>12</strong>5<br />
<strong>12</strong>.6. … zu den Wurzeln in Organisationen<br />
und Gesellschaft<br />
Die dritte Kategorie enthält Elemente auf der<br />
Organisationsebene von Unternehmen bzw.<br />
Institutionen, sowie auf der allgemeinen und<br />
besonderen gesellschaftlichen Ebene. Diese<br />
Elemente werden nur mittel- bis langfristig<br />
beeinflussbar sein, wirken jedoch stark bis in<br />
die Ausführungsebene zurück.<br />
Sorgsame Delegation von Aufgaben und<br />
Verantwortung<br />
Oberndorfer und Pfanner unterscheiden Projektorganisationen<br />
nach dem Grad der Delegation<br />
von Aufgaben durch den <strong>Bau</strong>herrn in<br />
starke, halbstarke und schwache Auftraggeber.<br />
(Oberndorfer, Pfanner 2007: 87)<br />
Ungeachtet dessen, welche sonstigen<br />
Gründe für die entsprechende Organisationsform<br />
sprechen, ist unter dem Gesichtspunkt<br />
der <strong>Kooperation</strong> in der Praxis merkbar, dass<br />
es starken Auftraggebern, nämlich technisch<br />
erfahrene und in das Projekt mit eigenen<br />
Ressourcen tief eingebundenen Organisationen,<br />
häufiger gelingt kooperative Abläufe zu<br />
fördern.<br />
Eine Erklärung aus systemtheoretischer<br />
Perspektive liegt in dem Umstand, dass die<br />
ausgelagerten Organisationsformen schwacher<br />
Auftraggeber (<strong>im</strong> Sinne von Oberndorfer),<br />
deren Zusammenwirken und inneres<br />
Funktionieren ja durch Leistungsbeschreibungen<br />
und Schnittstellendefinitionen vertraglich<br />
vorweg genau festgelegt werden<br />
muss, wesentlich weniger flexibel auf unvorhergesehene<br />
Entwicklungen reagieren<br />
können. Durch komplizierte Verantwortungs-,<br />
Bericht- und Kontrollstrukturen wird<br />
es für solche Organisationen manchmal sehr<br />
schwierig, rasche Entscheidungen zu treffen<br />
und Konflikte kooperativ zu bewältigen.<br />
In den ehemals kommunistisch organisierten<br />
Ländern Süd-, Osteuropas kommt erschwerend<br />
hinzu, dass das Treffen von Entscheidungen<br />
traditionell „Chefsache“ war<br />
und häufig noch ist. Die faktischen Verantwortungs-<br />
und Entscheidungsstrukturen zeigen<br />
häufig große Diskrepanzen zur formalen<br />
Organisation.<br />
Beispiel <strong>12</strong> (positiv)<br />
Im österreichischen <strong>Infrastruktur</strong>bereich sind<br />
Kraftwerksgesellschaften und regionale<br />
Straßen- und Eisenbahnverwaltungen, bei<br />
denen die Errichtung und Erhaltung von<br />
<strong>Bau</strong>werken von denselben Personen verantwortet<br />
wird, häufig als starke Auftraggeber<br />
organisiert. In diesem Umfeld gelingen kooperative<br />
Projektabwicklungen – unabhängig<br />
von der Vertrags- und Vergütungsform –<br />
häufig sehr gut.<br />
Beispiel 13 (positiv)<br />
Bei dem <strong>im</strong> ersten Beispiel genannten Verkehrsbauwerk<br />
in Südeuropa bedient sich der<br />
öffentliche Auftraggeber zwar internationaler<br />
Planer und Ausführender, ist selbst aber<br />
durch interessierte Vertreter in den laufenden<br />
<strong>Bau</strong>ablauf eng eingebunden. Dadurch werden<br />
die erforderlichen kurzen Entscheidungswege<br />
stark unterstützt.<br />
Leistungswettbewerb vor Preiswettbewerb<br />
Die Eigentümer von <strong>Bau</strong>unternehmen erwarten<br />
eine zufriedenstellende Rendite aus ihrem<br />
Mitteleinsatz. Ein Teil des Ertrages aus<br />
<strong>Bau</strong>leistungen ist weiter für den Kapitalaufbau<br />
zur nachhaltigen Bestandsicherung des<br />
<strong>Bau</strong>unternehmens erforderlich.<br />
Generell ergeben sich bei einem bestehenden<br />
Auftrag zu gegebenen (Markt-)preisen<br />
drei unterschiedliche Wege, um Erträge<br />
zu erwirtschaften:<br />
� Erstens können die Kosten der <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
durch professionelle <strong>Bau</strong>vorbereitung<br />
und -abwicklung min<strong>im</strong>iert werden<br />
(Erarbeiten von Kostenvorteilen).<br />
� Zweitens können über serviceorientiertes<br />
Mitwirken an der Ausführungsplanung<br />
und innovative Beiträge bessere Leistungen<br />
angeboten werden (Erarbeitung von<br />
Leistungsvorteilen: Alternativangebote,<br />
Value Engineering).<br />
� Drittens kann die gegenüber anderen<br />
Branchen zumeist geringe Rentabilität<br />
eines <strong>Bau</strong>auftrages durch enge Auslegung<br />
der vertraglich geschuldeten Leistung<br />
und penible Forderungen aus sämtlichen<br />
Leistungsänderungen zumindest<br />
gehalten werden (Vertragsbewirtschaftung,<br />
offensives Cla<strong>im</strong> Management).
<strong>12</strong>6 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
Im einigermaßen konservativen und technisch<br />
weit entwickelten <strong>Infrastruktur</strong>bau sind<br />
signifikante Kostenvorteile aus Prozessinnovationen<br />
nicht leicht zu erzielen. Deshalb ist<br />
die Opt<strong>im</strong>ierung der Kostenseite als alleiniges<br />
Mittel zur Ertragssicherung unzureichend.<br />
Ein lebendiger Leistungswettbewerb<br />
wird dann erschwert, wenn Leistungen größtenteils<br />
<strong>im</strong> Billigstbieterverfahren vergeben<br />
werden und Value Engineering-Beiträge der<br />
Ausführenden während der <strong>Bau</strong>abwicklung<br />
durch viele öffentliche Auftraggeber nur zögerlich<br />
angenommen werden.<br />
Beispiel 14 (negativ):<br />
Der Ausschluss von Alternativangeboten<br />
und die äußerst zögerliche Annahme von<br />
Value-Engineering-Beiträgen stellen für einige<br />
österreichische <strong>Infrastruktur</strong>auftraggeber<br />
ständige Praxis dar. In einem derartigen<br />
Umfeld ist für ausführende <strong>Bau</strong>unternehmen,<br />
die am Markt überleben wollen, keine Alternative<br />
zu einer konsequenten und offensiven<br />
Vertragsbewirtschaftung erkennbar. Die<br />
partnerschaftliche Projektabwicklung wird<br />
dadurch allerdings belastet.<br />
Beispiel 15 (negativ):<br />
In einem osteuropäischen Land war ein Brückenbauwerk<br />
auf Basis eines Design-Build-<br />
Vertrages zu errichten. Im Zuge der Detailplanung<br />
ergaben sich interessante Einsparungsvarianten,<br />
die das ausführende Unternehmen<br />
– wie vertraglich vorgesehen ohne<br />
Änderung des vereinbarten Pauschalpreises<br />
– umsetzen wollte.<br />
Für die rechtliche Genehmigung der geänderten<br />
Ausführung war jedoch die Mitwirkung<br />
des öffentlichen Auftraggebers erforderlich.<br />
Dieser sah jedoch in der<br />
Abweichung zum ursprünglichen Entwurf<br />
eine Leistungsabweichung und wirkte am<br />
Freigabeprozess erst mit, nachdem ihm eine<br />
Preisreduktion <strong>im</strong> Rahmen eines Value-<br />
Engineering-Procederes angeboten wurde.<br />
Soziale Kompetenz<br />
In praktisch allen Veröffentlichungen zu kooperativen<br />
Geschäftsmodellen wird argumentiert,<br />
dass die soziale Kompetenz der<br />
Entscheidungsträger entscheidend für das<br />
Gelingen kooperativer Projektabwicklung<br />
wäre. Oft bleibt dieser Hinweis allerdings für<br />
sich alleine stehen.<br />
Warum scheint es gerade uns Technikern<br />
und industriell Tätigen schwer zu fallen, soziale<br />
Kompetenz zu erfassen und in unseren<br />
Geschäftsmodellen zu verankern?<br />
Schülein und Reitze unterscheiden zwei<br />
logische Realitätstypen wissenschaftlich untersuchter<br />
Gegenstände: Auf der einen Seite<br />
steht der Typ von Realität, der innerhalb best<strong>im</strong>mter<br />
Grenzen konstant und unveränderlich<br />
gegeben ist, der <strong>im</strong>mer und überall auf<br />
die gleiche Weise funktioniert, die sogenannte<br />
nomologische Realität. Nomologische<br />
Realität kann systematisch und kontrollierbar<br />
untersucht werden. Sie lässt sich<br />
in der Sprache der formalen Logik – z. B.<br />
mit den Regeln der Mathematik – ausdrücken.<br />
Technisch-naturwissenschaftliche Gegenstände<br />
entsprechen nomologischer Realität.<br />
Auf der anderen Seite steht der Typ von<br />
Realität, der veränderlich und <strong>im</strong>mer verschieden<br />
ist, der sich selbst entwickelt und<br />
steuert und dabei mit seiner Umwelt interagiert<br />
und der einen offenen Entwicklungshorizont<br />
besitzt. Dieser Realitätstyp wird<br />
autopoietische Realität bezeichnet. Der am<br />
stärksten eigendynamische Prozess trifft auf<br />
die humane Realität zu, weil Menschen, aber<br />
auch von Menschen erzeugte und auf<br />
menschlichen Handlungen basierende Systeme<br />
aktiv eine Eigenwelt gestalten und<br />
entwickeln.<br />
Autopoietische Realität ist das Ergebnis<br />
eines Zusammenspiels von vielen verschiedenen<br />
Faktoren. Die Entwicklung von Gesellschaften,<br />
der Erfolg und Misserfolg eines<br />
Unternehmens, der Verlauf eines Abends zu<br />
zweit, alles hängt von vielen Umständen ab<br />
und entwickelt sich zugleich selbständig,<br />
unvorhersehbar und auf <strong>im</strong>mer verschiedene,<br />
<strong>im</strong>mer besondere Weise. Autopoietische Realität<br />
ist <strong>im</strong>mer etwas Besonderes und kann<br />
nicht allein aus dem, was für alle Fälle gilt,<br />
abgeleitet werden. (Schülein, Reitze 2005:<br />
200ff)<br />
Möglicherweise sind wir Techniker zu<br />
sehr geschult, das Systematisier- und Kon-
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> <strong>12</strong>7<br />
trollierbare in unseren Projekten zu suchen<br />
und verkennen die eigendynamische Wirkungsweise<br />
und Macht der in jedem Projekt<br />
ganz spezifischen sozialen Interaktionen.<br />
Eine sehr positive Perspektive gibt der<br />
Mediziner, Neurobiologe und Psychotherapeut<br />
Joach<strong>im</strong> <strong>Bau</strong>er:<br />
„Menschen sind – aus neurobiologischer<br />
Sicht – auf soziale Resonanz und <strong>Kooperation</strong><br />
angelegte Wesen. Kern aller<br />
menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche<br />
Anerkennung, Wertschätzung,<br />
Zuwendung oder Zuneigung zu<br />
finden und zu geben.” (<strong>Bau</strong>er 2008: 23)<br />
Die Forschungsgruppe „Der Mensch in der<br />
<strong>Bau</strong>wirtschaft“ um Walter Purrer an der<br />
Universität Innsbruck versucht, vorhandenes<br />
Wissen um soziale Interaktionen für die<br />
<strong>Bau</strong>wirtschaft nutzbar zu machen und zu<br />
vertiefen (Purrer et.al. 2011: 131ff).<br />
Vertiefung der Beispiele, insbesondere<br />
Beispiel 6:<br />
Die Ergebnisse aller bisherigen Beispiele<br />
wurden naturgemäß stark durch die soziale<br />
Kompetenz der beteiligten Personen beeinflusst.<br />
Insbesondere an Beispiel 6 kann unmittelbar<br />
angeknüpft werden.<br />
Dass gemeinsame Teams aus Auftraggeber-<br />
und Auftragnehmervertretern teilweise<br />
bereits lang diskutierte Konflikte bei großen<br />
<strong>Infrastruktur</strong>projekten in Österreich rasch<br />
und für alle Seiten vertretbar lösen konnten,<br />
lag ganz wesentlich am Vertrauen der<br />
Teammitglieder in die wechselseitige Wertschätzung<br />
trotz unterschiedlicher Interessen<br />
und in das allseitige übergeordnete Interesse<br />
an einer Konfliktlösung. Erst dadurch konnten<br />
Extremstandpunkte überwunden und<br />
neue Lösungen gefunden werden.<br />
Verantwortung<br />
Die Entscheidung für eine kooperative Strategie<br />
und damit gegen opportunistisches Absicherungsdenken<br />
erfordert in jedem Einzelfall<br />
Mut und Selbstvertrauen.<br />
In der <strong>Bau</strong>wirtschaft scheint jedoch<br />
manchmal das Bewusstsein verloren gegangen<br />
zu sein, dass komplexe Großbauvorhaben<br />
hochriskante Projekte sind, deren erfolgreiche<br />
Abwicklung Ingenieurskunst darstellt<br />
und bei denen sich ein gewisser Prozentsatz<br />
an Entscheidungen <strong>im</strong> Nachhinein unvermeidlich<br />
als nachteilig herausstellen. Wenn<br />
in den Projektbudgets keine Risikovorsorgen<br />
getroffen sind, muss zur Rechtfertigung dieser<br />
„Nullrisikostrategie“ für jede unvorhergesehene<br />
Fehlentwicklung ein oder mehrere<br />
Schuldige gefunden werden.<br />
Dies betrifft insbesondere den Fall, dass<br />
ein kooperativer Ansatz enttäuscht wurde<br />
und der eigenen Interessenssphäre nicht jenen<br />
Erfolg brachte, den (nachträglich hypothetisch<br />
beurteilt) eine opportunistische Strategie<br />
gebracht hätte.<br />
Durch die Problematisierung sämtlicher<br />
Fehlleistungen und sogar rein zufällig nachteiliger<br />
Entwicklungen verschw<strong>im</strong>mt jedoch<br />
in Wahrheit die Unterscheidung zwischen<br />
vertretbaren oder <strong>im</strong> Sinne des Projektfortschritts<br />
sogar zwingend erforderlichen Risikoentscheidungen<br />
einerseits und fahrlässigen<br />
bis vorsätzlichen Handlungen andererseits.<br />
Die für ein erfolgreiches kooperatives<br />
Geschäftsmodell erforderliche ethische<br />
Grundhaltung kann den Entscheidungsträgern<br />
nicht mit Rechtsmitteln aufgezwungen<br />
werden.<br />
<strong>12</strong>.7. Ein alternatives spieltheoretisches<br />
Modell<br />
Abschließend kehren wir zur Frage zurück,<br />
ob das unter Punkt 2 beschriebene Gefangenendilemma<br />
die bauwirtschaftliche Realität<br />
zutreffend beschreibt und die unausweichliche<br />
Konsequenz für rationale Entscheidungsträger<br />
somit in einer opportunistischen<br />
und konfrontativen Strategie liegen muss.<br />
Das Assurance-Spiel geht von etwas anderen<br />
Voraussetzungen aus: Zwei grundsätzlich<br />
leistungsmotivierte Spieler (in der Literatur<br />
werden beispielsweise motivierte<br />
Studenten genannt, die eine gemeinsame<br />
Seminararbeit zu schreiben haben, vgl.<br />
Diekmann a.a.O: 28f) bringen dann höchste<br />
Leistungen, wenn sie sicher sind, dass sie<br />
vom Partner nicht ausgenutzt werden. Ihnen<br />
ist auch bewusst, dass der gemeinsame Output<br />
dann am höchsten sein wird, wenn sich<br />
beide Spieler entsprechend einbringen. In
<strong>12</strong>8 <strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong><br />
unsere unter Punkt 2 entwickelte Coverstory<br />
übersetzt, ergeben sich folgende Präferenzen:<br />
Tab. 4: Abwicklung einer geänderten Leistung als<br />
Assurancespiel<br />
Assurancespiel<br />
<strong>Bau</strong>unternehm<br />
en (Zeile) <br />
Rasches<br />
Handeln<br />
(Z1)<br />
FormaleAbsicherung<br />
(Z2)<br />
Auftraggeber (Spalte)<br />
Auskömmlicher<br />
Preis (S1)<br />
Unterdeckter<br />
Preis (S2)<br />
4 / 4 1 / 3<br />
3 / 1 2 / 2<br />
Die geänderten Präferenzen ergeben sich daraus,<br />
dass beide Spieler davon ausgehen,<br />
dass sie nur bei <strong>Kooperation</strong> für sich das Opt<strong>im</strong>um<br />
erreichen können.<br />
Der geübte Spieltheoretiker erkennt bei<br />
dieser Konstellation sofort, dass in diesem<br />
Spiel zwei Nash-Gleichgewichte vorliegen:<br />
Sowohl die wechselseitige <strong>Kooperation</strong> (Z1 /<br />
S1), als auch die wechselseitige Defektion<br />
(Z2 / S2) bietet keinem Spieler einen Anreiz<br />
abzuweichen. Allerdings erreicht die wechselseitige<br />
<strong>Kooperation</strong> in diesem Spiel die<br />
höchsten Präferenzränge für beide Spieler,<br />
während die wechselseitige Defektion wie<br />
<strong>im</strong> Gefangenendilemma nur <strong>im</strong> jeweils<br />
zweitschlechtesten Ergebnis mündet.<br />
Welche der beiden Gleichgewichtsstrategien<br />
in diesem Spiel tatsächlich gewählt<br />
werden wird, ist spieltheoretisch ein Koordinationsproblem.<br />
Übersetzt in den tatsächlichen <strong>Bau</strong>alltag<br />
wird daraus eine Vertrauensfrage. Wenn ein<br />
Vertragspartner jeweils Vertrauen haben<br />
darf, dass auch der andere Partner eine kooperative<br />
Strategie wählt, ist es unter den<br />
Bedingungen des Assurance-Spiels <strong>im</strong> Eigeninteresse<br />
geboten, selbst kooperativ vorzugehen.<br />
In diesem Zusammenhang wird auf<br />
die zahlreichen positiven Beispiele unter den<br />
erwähnten Fallbeispielen verwiesen, bei denen<br />
es für beide Vertragspartner lohnend<br />
war, kooperativ vorzugehen.<br />
Für die Unternehmensseite erscheint es<br />
kaum vorstellbar, dass die <strong>im</strong> Gefangenendilemma<br />
abgebildete konfrontative Strategie<br />
als Geschäftsmodell dauerhaft erfolgreich<br />
sein kann. Der vielfach als Doyen der Managementlehre<br />
bezeichnete Austro-Amerikaner<br />
Peter F. Drucker (*1909 † 2005) argumentiert<br />
wie folgt:<br />
“Die Erfolgschancen einer Unternehmensstrategie<br />
sind umso größer, je stärker<br />
sie die Anwender in den Mittelpunkt<br />
rückt, ihre Bedürfnisse und ihre Realität.<br />
Eine wirkliche Innovation führt zu einer<br />
Veränderung in einem Markt oder in einer<br />
Gesellschaft. Sie sollte für die Anwender<br />
nützlich sein und mehr Wohlstand<br />
schaffen. Der Prüfstein einer jeder Neuentwicklung<br />
ist daher <strong>im</strong>mer die Frage,<br />
was sie für den Anwender erreicht.”<br />
(Drucker 2009: Bd. 2 S. 205f)<br />
Es ist davon auszugehen, dass die Komplexität<br />
von Großbauvorhaben insbesondere aus<br />
den Umfeldbedingungen, wie laufend geänderter<br />
Gesetze und Normen, politischer Einflüsse<br />
und zunehmender Beeinflussung<br />
durch externe Interessensgruppen weiter zun<strong>im</strong>mt.<br />
Die eigentliche Leistung des <strong>Bau</strong>unternehmens<br />
wird dann <strong>im</strong>mer weniger in der<br />
reinen physischen <strong>Bau</strong>werkserrichtung und<br />
<strong>im</strong>mer mehr in der kooperativen Komplexitätsbewältigung<br />
liegen.<br />
Diese Kompetenz einem Leistungswettbewerb<br />
zuzuführen, ist aus Sicht des Autors<br />
die große <strong>Herausforderung</strong> für Praxis und<br />
Forschung der <strong>Bau</strong>wirtschaft.<br />
<strong>12</strong>.8. Zusammenfassung<br />
Beispiele zeigen, dass eine kooperative Projektabwicklung<br />
bei der Errichtung von <strong>internationalen</strong><br />
<strong>Infrastruktur</strong>-Großprojekten unter<br />
klassischen Vertrags- und Vergütungsformen<br />
erfolgreich möglich ist.<br />
<strong>Kooperation</strong> kann jedoch nicht ausschließlich<br />
durch einen Vertrag erzwungen<br />
werden, sondern bedarf Grundlagen auf der<br />
Ebene der beteiligten Organisationen, der<br />
gemeinsamen Projektorganisation und auf<br />
der sozialen Ebene der handelnden Personen.
<strong>Herausforderung</strong> <strong>Kooperation</strong> <strong>im</strong> <strong>internationalen</strong> <strong>Infrastruktur</strong>-<strong>Bau</strong> <strong>12</strong>9<br />
Eine Voraussetzung für <strong>Kooperation</strong> ist, dass<br />
die Vertragspartner aus der <strong>Kooperation</strong> einen<br />
individuellen Nutzen erwarten, der den<br />
Nutzen opportunistischen Verhaltens übersteigt.<br />
Dieser Nutzen wird von den Entscheidungsträgern<br />
nicht rein betriebswirtschaftlich<br />
ermittelt, sondern er ist das komplexe<br />
Ergebnis materieller, formaler und sozialer<br />
Einflüsse.<br />
Eine weitere Voraussetzung ist, dass die<br />
Entscheidungsträger den jeweils anderen<br />
Vertragspartner so einschätzen, dass dieser<br />
ebenfalls Nutzen aus kooperativer Projektabwicklung<br />
erwartet und seine Strategie entsprechend<br />
wählt.<br />
<strong>12</strong>.9. Literatur<br />
<strong>Bau</strong>er, Joach<strong>im</strong> 2008: Prinzip Menschlichkeit.<br />
Warum wir von Natur aus kooperieren.<br />
Hoffmann und Campe. Hamburg<br />
Beer, Stafford 1994 [1966]: Decision and<br />
Control. The Meaning of Operational Research<br />
and Management Cybernetics. John<br />
Wiley & Sons. Chichester. New York. Brisbane.<br />
Toronto. Singapore<br />
Diekmann, Andreas 2010: Spieltheorie –<br />
Einführung, Beispiele, Exper<strong>im</strong>ente. Rowohlts<br />
Enzyklopädie. Reinbek bei Hamburg<br />
Drucker, Peter F. 2009: Management - Das<br />
Standardwerk komplett überarbeitet und erweitert.<br />
Campus. Frankfurt/New York<br />
Honegger, Jürg. 2008: Vernetztes Denken<br />
und Handeln in der Praxis. Mit Netmapping<br />
und Erfolgslogik schrittweise von der Vision<br />
zur Aktion. Versus. Zürich<br />
Leicht, Peter. 2008: Konfliktschlichtung <strong>im</strong><br />
Projekt in Eschenbruch, Klaus / Racky, Peter<br />
(Hrsg.) Partnering in der <strong>Bau</strong>- und Immobilienwirtschaft.<br />
Kohlhammer. Stuttgart<br />
Oberndorfer, Wolfgang, Pfanner, Martin.<br />
2007: <strong>Bau</strong>herrnaufgaben, funktionale Projektorganisation<br />
und Unternehmereinsatzformen<br />
in Oberndorfer, Wolfgang (Hrsg.):<br />
Organisation & Kostencontrolling von <strong>Bau</strong>projekten.<br />
<strong>Bau</strong>herrnaufgaben Kostenplanung/<br />
-verfolgung Risikomanagement.<br />
Manz. Wien<br />
Purrer, Walter, Wiesner, Wolfgang, Steiner,<br />
Hans 2011: Die Forschungsgruppe „Der<br />
Mensch in der <strong>Bau</strong>wirtschaft“ in bauaktuell<br />
Juli 2011. Linde. Wien<br />
Schülein, Johann August, Reitze, S<strong>im</strong>on.<br />
2005: Wissenschaftstheorie für Einsteiger.<br />
Facultas WUV. Wien<br />
Van Wasenaer, Arent. 2010: In Search of the<br />
Perfect Project: Incentivising Performance<br />
and Collaboration in Construction Projects<br />
through Key Performance Indicators in The<br />
International Construction Law Review. Volume<br />
27. Part 3. July 2010. Informa. London<br />
Wiesner, Wolfgang 2008: <strong>Bau</strong>betriebswirtschaftliche<br />
Überlegungen zu einer kooperativen<br />
<strong>Bau</strong>abwicklung aus Sicht des Ausführenden<br />
in Österreichische Gesellschaft für<br />
<strong>Bau</strong>recht (Hrsg.): Aktuelles zum <strong>Bau</strong>- und<br />
Vergaberecht. Festschrift zum 30-jährigen<br />
Bestehen der österreichischen Gesellschaft<br />
für <strong>Bau</strong>recht. Manz. Wien<br />
Wiesner, Wolfgang 2010a: Mehraufwand<br />
aus unklaren Zielvorgaben in bauaktuell<br />
März 2010. Linde. Wien<br />
Wiesner, Wolfgang 2010b: Die neue<br />
ÖNORM B2110. Werkvertragsnorm für<br />
<strong>Bau</strong>leistungen. Normierte <strong>Bau</strong>verträge -<br />
Chance oder Mehraufwand? Departmentpublikation<br />
Nr 20. Universität für Bodenkultur.<br />
Departement für <strong>Bau</strong>technik und Naturgefahren.<br />
Wien. ISSN 1811-8747