Folge 32 - Caroline von Günderode
Folge 32 - Caroline von Günderode
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<strong>Folge</strong> <strong>32</strong> – <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong> (1780 - 1806)<br />
»Ich erwachte zu einem süßen Leben im Schoß duftiger Büsche. Leise murmelte ein Bach durch<br />
blumige Wiesen, und der blaue Himmel schaute ruhig und klar durch das grüne Gezweig, als ich mich<br />
zum ersten Mal umschaute in der Welt.«<br />
Dieser Satz stammt <strong>von</strong> <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong>. In der Romantik ′schauten sich die Frauen um in<br />
der Welt′. Dorothea Veit, die Tochter <strong>von</strong> Moses Mendelssohn, die in zweiter Ehe mit Friedrich<br />
Schlegel verheiratet war, <strong>Caroline</strong> Michaelis, die dessen Bruder August Wilhelm heiratete und<br />
<strong>Caroline</strong> Schlegel hieß, bevor sie schließlich den wesentlich jüngeren Philosophen Schelling heiratete,<br />
<strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> Rochow, die Frau <strong>von</strong> Friedrich de la Motte-Fouqué, Bettine Brentano, Schwester <strong>von</strong><br />
Clemens Brentano, Frau dessen Freundes Achim <strong>von</strong> Arnim, Wilhelmine <strong>von</strong> Chézy, Enkelin <strong>von</strong><br />
Anna Louise Karsch, Marianne Willemer, Geliebte Goethes und Mitverfasserin <strong>von</strong> dessen 'Westöstlichen<br />
Divans', Dorothea Tieck, Shakespeare-Übersetzerin, Tochter <strong>von</strong> Ludwig Tieck, der diese<br />
einzigartigen Schlegel-Tieckschen Übersetzungen lediglich herausgegeben hat, Rahel Levin,<br />
verheiratet mit dem Goetheforscher Varnhagen van Ense, Sophie Mereau, verheiratet mit Clemens<br />
Brentano und eben <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong>, um die Clemens vergeblich warb, und die in den<br />
Göttinger Mythenforscher Creuzer verliebt war, um die wichtigsten Dichterinnen zu nennen.<br />
Die Juden und die Frauen begannen sich als <strong>Folge</strong> der Aufklärung und der Französischen<br />
Revolution zu emanzipieren. In den Bürgerhäusern brachte man den Mädchen Lesen und Schreiben<br />
bei, und wir Männer fingen an, es schick zu finden, mit einer gebildeten Frau verheiratet zu sein.<br />
<strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong> wuchs in der behüteten Atmosphäre des Bildungsbürgertums auf.<br />
Allerdings starb ihr Vater, ein badischer Kammerherr, schon als sie sechs war, und das führte auch in<br />
diesen gehobenen Kreisen damals dazu, dass die Familie verarmte. Und so war sie froh, dass sie ab<br />
ihrem siebzehnten Lebensjahr in einem evangelischen Damenstift in Frankfurt am Main unterkam, das<br />
Töchtern aus dem verarmten protestantischen Adel vorbehalten war.<br />
Dort lernt Bettine Brentano sie kennen, deren Großmutter, Sophie <strong>von</strong> La Roche, eine bekannte<br />
Schriftstellerin war, und deren Mutter, Maximiliane <strong>von</strong> La Roche, in ihrer Jugend mit dem jungen<br />
Goethe befreundet war. Bettine, fünf Jahre jünger als <strong>Caroline</strong>, setzte ihrer Freundin 1840 mit ihrem<br />
Briefroman Die <strong>Günderode</strong> ein Denkmal.<br />
Nun, <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong> schaut sich um in der Welt und da gibt es seit neuestem<br />
Heißluftballons.<br />
Der Luftschiffer<br />
Gefahren bin ich in schwankendem Kahne<br />
Auf dem blaulichen Ozeane,<br />
Der die leuchtenden Sterne umfließt.<br />
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.<br />
War in ihrer Betrachtung versunken,<br />
Habe den ewigen Äther getrunken,<br />
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,<br />
Droben die Schriften der Sterne erkannt,<br />
Und in ihrem Kreisen und Drehen<br />
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen.<br />
Aber ach! Es ziehet mich hernieder,<br />
Nebel überschleiert meinen Blick,<br />
Und der Erde Grenzen seh ich wieder,<br />
Wolken treiben mich zurück.<br />
Wehe! das Gesetz der Schwere<br />
Es behauptet nun sein Recht,<br />
Keiner darf sich ihm entziehen,<br />
Von dem irdischen Geschlecht.<br />
Von dem 'irdischen' Geschlecht schreibt sie, nicht <strong>von</strong> dem 'weiblichen' Geschlecht, was sie eigentlich<br />
meint. Denn unter dem männlichen Pseudonym Tian musste sie noch ihre ersten Gedichtbände<br />
veröffentlichen, um ernst genommen zu werden.
Die Frauenliteratur stand damals noch am Anfang. <strong>Günderode</strong> merkte, dass ihrer aller Luftschiff<br />
immer wieder zur Erde musste, der Schwerkraft der Männerwelt gehorchend. Sie beschäftigt sich mit<br />
den Mythen und findet durch die Schriften Creuzers und des Schweizers Bachofen, der damals den<br />
Begriff des Mutterrechts in die Justiz einführte, heraus, dass es nicht immer die Herrschaft der<br />
Männer, das Patriarchat, gegeben hat, sondern auch eine Zeit existiert haben muss, die den Frauen eine<br />
natürliche Lebensweise gestattet hat, das Matriarchat. Und <strong>von</strong> dieser matriarchalen Welt handelt ihr<br />
Gedicht<br />
Einstens lebt ich süßes Leben<br />
Einstens lebt ich süßes Leben,<br />
Denn mir war, als sei ich plötzlich<br />
Nur ein duftiges Gewölke.<br />
Über mir war nichts zu schauen<br />
Als ein tiefes blaues Meer.<br />
Und ich schiffte auf den Wogen<br />
Dieses Meeres leicht umher.<br />
Sah jetzt in dem heilig tiefen,<br />
Unnennbaren Raum der Himmel,<br />
Wunderseltsame Gebilde<br />
Und Gestalten sich bewegen.<br />
Ewige Götter<br />
Saßen auf Thronen<br />
Glänzender Sterne,<br />
Schauten einander<br />
Selig und lächelnd.<br />
Blühend voll Anmut<br />
Unter den Rohen<br />
Stand eine Jungfrau,<br />
Alle beherrschend.<br />
Liebliche Kinder<br />
Spielten inmitten<br />
Giftiger Schlangen. –<br />
Hin zu den Kindern<br />
Wollt ich nun schweben,<br />
Mit ihnen spielen<br />
Und auch der Jungfrau<br />
Sohle dann küssen.<br />
Doch es hielt ein tiefes Sehnen<br />
In mir selber mich gefangen.<br />
Und mir war, als hab ich einstens<br />
Mich <strong>von</strong> einem süßen Leibe<br />
Losgerissen, und nun blute<br />
Erst die Wunde alter Schmerzen.<br />
Ich musste weinen.<br />
Rinnend in Tränen<br />
Sank ich hinab<br />
Zu dem Schoße der Mutter.<br />
Farbige Kelche<br />
Duftender Blumen<br />
Fassten die Tränen,<br />
Und ich durchdrang sie,<br />
Alle die Kelche,<br />
Rieselte abwärts
Hin durch die Blumen,<br />
Tiefer und tiefer,<br />
Bis zu dem Schoße<br />
Hin, der verhüllten –<br />
Quelle des Lebens.<br />
Die Jungfrau, die alle beherrscht, also die Göttin, die Kinder, die mit giftigen Schlangen spielen, der<br />
Schoß der Mutter, die verhüllte Quelle des Lebens, diese matriarchalen Symbole hatte sie durch ihre<br />
Freundschaft mit dem Göttinger Mythologieprofessor Creuzer kennen gelernt.<br />
1804, da war sie vierundzwanzig Jahre alt, hatte diese Freundschaft begonnen. Creuzer versprach<br />
ihr die Ehe. Er war aber noch verheiratet und konnte sich nicht entschließen, sich <strong>von</strong> seiner Frau zu<br />
trennen. Zwei Jahre später, 1806, nach der endgültigen Absage Creuzers, erdolchte sich <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Günderode</strong> am Rheinufer bei Winkel, am Fuße des Johannisberges, dort wo Franz Brentano mit seiner<br />
Frau Antonia lebte und wo Goethe drei Jahre später an seinem 'West-östlichen Divan' arbeiten sollte.<br />
Die eine Klage<br />
Wer die tiefste aller Wunden<br />
Hat in Geist und Sinn empfunden:<br />
Bittrer Trennung Schmerz.<br />
Wer geliebt, was er verloren,<br />
Lassen muss, was er erkoren:<br />
Das geliebte Herz.<br />
Der versteht in Lust die Tränen<br />
Und der Liebe ewig Sehnen<br />
Eins in Zwei zu sein.<br />
Eins im Andern sich zu finden,<br />
Dass der Zweiheit Grenzen schwinden<br />
Und des Daseins Pein.<br />
Wer so ganz in Herz und Sinnen<br />
Konnt ein Wesen liebgewinnen,<br />
O! den tröstets nicht,<br />
Dass für Freuden, die verloren,<br />
Neue werden neu geboren:<br />
Jene sinds doch nicht.<br />
Das geliebte, süße Leben,<br />
Dieses Nehmen und dies Geben,<br />
Wort und Sinn und Blick,<br />
Dieses Suchen und dies Finden,<br />
Dieses Denken und Empfinden<br />
Gibt kein Gott zurück.<br />
Soviel zu <strong>Caroline</strong> <strong>von</strong> <strong>Günderode</strong>, der auch in Christa Wolfs Buch Kein Ort. Nirgends ein Denkmal<br />
gesetzt wurde.