Redemanuskript_Betriebsversamm - Siemens Dialog - IG Metall
Redemanuskript_Betriebsversamm - Siemens Dialog - IG Metall
Redemanuskript_Betriebsversamm - Siemens Dialog - IG Metall
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Redemanuskript</strong>: <strong>Betriebsversamm</strong>lung CT und SiCED am 9.11.2004<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
A. Aufgabe des Betriebsrates – Zwischenbilanz nach 2 Jahren<br />
Als ich vor zwei Jahren aus dem Personalreferat in den Betriebsrat<br />
gewechselt habe, hatte ich rückblickend betrachtet eine vage und zugegeben<br />
recht theoretische Vorstellung von dem, was da auf mich zukommen würde.<br />
Meine Erwartungen waren demgegenüber relativ konkret und gut<br />
beschreibbar.<br />
Jetzt, in der Mitte der Amtsperiode angelangt, habe ich bei der Vorbereitung<br />
auf diese <strong>Betriebsversamm</strong>lung die seit dem Wechsel vergangene Zeit<br />
Revue passieren lassen um zu sehen, was in diesem Zeitraum tatsächlich<br />
geschehen ist und in welche Richtung sich das Verhältnis zwischen Realität<br />
und Erwartungen entwickelt hat.<br />
Betriebsrat zu sein, heißt ein öffentliches Amt innehaben. Es wird oft<br />
vergessen oder übersehen, dass es der Wille des Gesetzgebers ist, dass es<br />
Betriebsräte gibt. Der Betriebsrat handelt, demokratisch gewählt und<br />
legitimiert im öffentlichen Interesse zur Wahrung der Interessen der<br />
Arbeitnehmer eines Betriebes und existiert nicht aus reinem Selbstzweck<br />
oder gar weil es schön ist, einen Betriebsrat zu haben.<br />
Mitbestimmung und Mitwirkung in den Betrieben ist nicht selbstverständlich,<br />
sondern bis zum heutigen Betriebsverfassungsgesetz hart errungen und<br />
erkämpft. Seit 1891 gibt es so etwas wie Betriebsräte, anfangs dazu gedacht,<br />
die Arbeitnehmer eines Betriebes zu disziplinieren und die damals immer<br />
stärker werdende Arbeitnehmerbewegung aus den Betrieben fern zu halten.<br />
Die Geschichte bis heute ist gekennzeichnet von vielen harten<br />
Auseinandersetzungen und Rückschlägen – man denke nur an die aktuellen<br />
Vorgänge bei Opel oder VW. Ich will dies nicht hier weiter ausführen, sondern<br />
lediglich auf dieses wertvolle Erbe hinweisen, das nur dann weiterlebt, wenn<br />
die aktuelle Generation es in die eigene Wirklichkeit umsetzt, ggf. verändert<br />
oder es verantwortungsbewusst weiterentwickelt.<br />
Ich werde ihnen hier auch nicht aufzählen, welche Aufgaben das Gesetz<br />
heute vorsieht. Wen dies interessiert, der findet dies ausführlich im §80<br />
BetrVG beschrieben. Aber was neben diesen allgemeinen<br />
Aufgabenbeschreibungen für mein Selbstverständnis und als Richtschnur für<br />
meine Arbeit besonders wichtig geworden ist, dies steht im gleichen Gesetz<br />
im §75, wo es um die Grundsätze für die Behandlung der
Betriebsangehörigen geht. Dort heißt es:<br />
„(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im<br />
Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit<br />
behandelt werden, insbesondere, dass jede unterschiedliche Behandlung von<br />
Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft,<br />
politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen<br />
ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt. Sie haben darauf<br />
zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter<br />
Altersstufen benachteiligt werden.<br />
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der<br />
Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen<br />
und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der<br />
Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.“<br />
Gerade die in Absatz 2 genannten Punkte sind ein wichtiges Kriterium für<br />
meine Arbeit geworden.<br />
Eine meiner ersten starken Eindrücke in der konkreten Arbeit als BR war die<br />
Erfahrung von Misstrauen, Vorurteilen und vermutlich Unwissen.<br />
Eine Führungskraft, mittlerweile nicht mehr im Hause, mit der ich in den<br />
Jahren zuvor oft zu tun hatte, sprach mich nach meinem Wechsel mit den<br />
Worten an: „Na, Herr Mai, wie geht es Ihnen? Sind Sie denn mit der neuen<br />
Aufgabe nicht unterfordert?“ Wie gesagt, ich kannte den Kollegen gut, es war<br />
nicht ironisch, sondern durchaus ernst gemeint. Ich habe wahrheitsgemäß<br />
geantwortet, dass zwar auch nicht das Gegenteil, die Überforderung<br />
eingetreten ist, ich aber deutlich belastendere Situationen und komplexe<br />
Einzelfälle zu bewältigen habe. Wer geht schon zum Betriebsrat, es sei denn<br />
er hat wirklich ein ernstes Problem, das schon so festgefahren ist, dass er<br />
diesen Gang wagt, weil alle anderen Wege ausgeschöpft sind?<br />
Einige der gängigen Vorurteile:<br />
- Was wollen/machen die Betriebsräte eigentlich?<br />
- Die sind gegen unsere Interessen<br />
- Die machen nur Unruhe, wollen den Arbeitgeber schlecht aussehen<br />
lassen, wittern überall Unrat<br />
- Die kosten eine Menge Geld, wollen überall mitreden, haben aber<br />
keine Ahnung<br />
- Halten den Betrieb auf<br />
Natürlich gibt es auch – wie immer, wenn man mit Menschen zu tun hat –<br />
solche und solche Einstellungen und erfreulicherweise mehren sich die
Anzeichen dafür, dass man auch auf Seite des Unternehmens und der<br />
Führungskräfte die positiven Aspekte einer Mitarbeitervertretung anerkennt<br />
und im Begriff ist, diese eben aufgeführten Haltungen zu verändern.<br />
Ich möchte ein Beispiel bringen, das für diese Aussage steht:<br />
Dieses Beispiel ist die jetzt abgeschlossene Vermittlung von rund 300<br />
Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich I&S, die infolge interner<br />
Umstrukturierungen mit ihren Qualifikationen im Portfolio der Aufgaben bei<br />
I&S nicht mehr gefragt waren, die man in einer Kostenstelle<br />
zusammengefasst hat („MIS“) und die nun die alleinige Aufgabe hatten, sich<br />
eine neue Stelle innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zu suchen. Die<br />
ursprüngliche Planung der Firma war hier ein allein von ihr gesteuertes und<br />
geplantes Vorgehen, nämlich alle diese nicht mehr benötigten<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eigenen Räumen bzw. Gebäuden<br />
zusammenzufassen, sie aus den laufenden Projekten körperlich abzuziehen<br />
und zu dokumentieren, dass ein weiterer Einsatz an dieser Stelle nicht länger<br />
erwünscht ist.<br />
Davon betroffen waren nicht etwa die viel zitierten „Minderleister“ (ich habe<br />
dieses Wort schon als Personaler nie ausstehen können, weil es auf<br />
Schwächen und nicht auf Stärken fokussiert, und durch die implizierte Be-<br />
bzw. Abwertung einer Person auf Konfrontation statt auf konstruktiven <strong>Dialog</strong><br />
und Lösung hinarbeitet), betroffen waren also nicht etwa die „Minderleister“,<br />
sondern Mitarbeiter aller Qualifikationen und Verdienste. Ohne Ansehen der<br />
Person hat es jeden getroffen, der nicht ins Portfolio passte. Ich werde so<br />
schnell nicht vergessen, wie ein Mitarbeiter nach einem langen<br />
Auslandseinsatz den Tränen nahe und völlig konsterniert mit dem Brief der<br />
Versetzung in diese Abteilung kam und für den eine Welt<br />
zusammengebrochen war. Er konnte gar nicht begreifen, was da geschah<br />
und dass die Firma, für die er sich unter schwierigsten Verhältnissen<br />
engagiert hat bis zum Umfallen, dass diese Firma ihn per Versetzungsbrief<br />
mitteilte, er sei nicht mehr vonnöten. Ich will hier nicht weiter auf die ganzen<br />
Begleitumstände eingehen, die dieses Vorgehen der Firma für die Mitarbeiter<br />
eingebracht hätte und teilweise auch eingebracht hat, wenn sie es weiter in<br />
der geplanten Weise durchgeführt hätte. Von drohender Dequalifizierung<br />
durch Ausgliederung aus dem Arbeitsprozess bis hin zu den Folgen der<br />
Separierung und „Internierung“ für die Psyche und Gesundheit der<br />
betroffenen Menschen reicht die Palette der aufgetretenen, teils<br />
dramatischen, Probleme, deren Belastungen für die einzelnen ich hier nicht<br />
auszumalen brauche, weil sie es sich, denke ich, gut selbst vorstellen<br />
können.<br />
Hier jedenfalls ist es gelungen, auf Initiative und auf zum Teil entschiedenes<br />
und deutliches Drängen des Betriebsrates durch eine konzertierte Aktion<br />
zwischen dem BR, dem Personalausschuss und den Firmenvertretern eine<br />
für die allermeisten Betroffenen verträgliche Lösung zu erreichen, die es ohne
Kooperation sicher nicht gegeben hätte. Die Kosten, die in diesem Falle für<br />
Prozesse und für Abfindungssummen hätte ausgegeben werden müssen –<br />
ganz zu schweigen von dem entstandenen Schaden für das Image des<br />
Standortes Erlangen -, wurde hier sinnvoll in die Förderung der<br />
Weiterbeschäftigung der Kollegen investiert. Es geht also und es ist durch die<br />
Praxis bewiesen: durch gemeinsames Handeln und vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit kann Schaden für das Unternehmen und für die Mitarbeiter<br />
abgewendet und viel Gutes für beide Seiten bewirkt werden.<br />
Es lohnt, sich zu engagieren. Auch wenn es manchmal hart und beschwerlich<br />
ist, dieses Engagement ist sinnvoll, die Herausforderungen sind es wert,<br />
angegangen zu werden.<br />
Vielleicht sogar ist Mitbestimmung über die Verhältnisse im Betrieb heute<br />
wichtiger denn je, denn die derzeitige Politik scheint sich als ordnende Macht<br />
immer mehr aus der Verantwortung zu verabschieden. Im Zuge der<br />
Globalisierung übernehmen die Wirtschafts- und Finanzmärkte und mit ihr die<br />
in diesen Systemen handelnden und bestimmenden Personen das Ruder. Im<br />
Gegensatz zu einer demokratischen Grundordnung handelt es sich dabei<br />
aber nicht um gewählte Vertreter, sondern um durchsetzungsfähige<br />
Einzelpersonen und Gruppen, die gelernt haben, sich durch Geschick und<br />
Findigkeit durchzusetzen. Diese Menschen treffen die Entscheidungen über<br />
unsere Zukunft und die Qualität des Zusammenlebens, obwohl sie dafür nicht<br />
legitimiert sind. Daher ist es wichtig, sich gerade auch „vor Ort“, im Betrieb,<br />
einzumischen, mitzureden, mitzudenken und mitzumachen.<br />
Wie sich im Falle von I&S gezeigt hat, ist die Voraussetzung jeder<br />
gelingenden menschlichen Kommunikation und Zusammenarbeit das<br />
Vertrauen der handelnden Personen. Diese allgemeine Lebenserfahrung gilt<br />
auch für den Betrieb. Nur ist es im Betrieb ungleich schwerer, Vertrauen zu<br />
stiften bzw. zu gewinnen. Zum einen wegen bestehender Vorurteile und<br />
vorgefasster Meinungen, zum anderen wegen der strukturellen Ungleichheit<br />
in den bestehenden Hierarchien. Man kann Vertrauen definieren als die<br />
„Fähigkeit, sich ohne Absicherung in die Obhut eines anderen zu begeben“.<br />
Da erhebt sich die Frage, ob ich das als Mitarbeiter (und auch als Betriebsrat)<br />
so einfach wagen kann. Vor allem dann, wenn die Meinung nicht konform der<br />
herrschenden Meinung ist. Schließlich verfügt man in der Hierarchie mittels<br />
Direktion, Beurteilung und Förderung über die Macht, den Weg der<br />
Mitarbeiter entscheidend zu beeinflussen, im positiven wie im negativen<br />
Sinne. In diesen kritischen Situationen zeigt sich, ob wirklich eine<br />
Vertrauenskultur vorhanden ist, nämlich wenn man ohne Angst zu haben<br />
sagen kann, was man denkt. Ich denke, dass der Gesetzgeber, der im §75<br />
die Förderung von Selbständigkeit und Eigeninitiative fordert und die freie<br />
Entfaltung der Persönlichkeit als Grundsatz der Zusammenarbeit im Betrieb<br />
definiert und festgelegt hat, genau diese Art von Kultur einfordert, ohne es
explizit zu nennen, denn ohne Vertrauen sind diese Eigenschaften nicht zum<br />
Blühen zu bringen.<br />
Der Betriebsrat arbeitet nicht gegen seinen Betrieb und seinen Arbeitgeber.<br />
Im Gegenteil, er setzt sich für seinen Betrieb ein. Wer sägt schon an dem Ast,<br />
auf dem er sitzt? Nur tut er dies von anderer Warte aus. Ich war immer<br />
verwundert, als man mir sagte, mit dem Wechsel vom Personalreferat in den<br />
Betriebsrat hätte ich die Seiten gewechselt. Ich dagegen habe es immer<br />
anders gesehen, nämlich als einen Perspektivenwechsel. Ich sehe die<br />
Angelegenheit aus der Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um<br />
das Wohl des Betriebes zu fördern. Denn unabdingbare Voraussetzung für<br />
den nachhaltigen Erfolg ist eine gesunde, zufriedene und motivierte<br />
Belegschaft. Andernfalls betreibt man Raubbau zur Erzielung kurzfristiger<br />
Profite.<br />
B. Situation der Mitarbeiter CT - <strong>Dialog</strong> über Arbeitsbedingungen<br />
Ich möchte im Folgenden auf die Situation in der CT zu sprechen kommen.<br />
Wenn ich an die eben geschilderten Erlebnisse bei I&S zurückdenke und mir<br />
dann die Situation der CT und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor<br />
Augen halte, so kann ich feststellen, dass wir es gegenüber den Bereichen in<br />
der CT sehr gut haben. Wenn wir daher bei CT uns über die Arbeitssituation<br />
als Forscher und Entwickler in der CT Gedanken machen, so tun wir dies im<br />
Bewusstsein dieses qualitativen Unterschiedes. Niemand beschwert sich,<br />
dass es ihm bei CT schlecht geht, im Gegenteil, es ist gut, bei CT an<br />
interessanten und herausfordernden Themen arbeiten zu können, und wenn<br />
man sich oft kritisch und nachdenklich äußert, so geschieht dies wie es<br />
immer so schön heißt als „Klagen auf hohem Niveau“. Dies soll die geäußerte<br />
Kritik nicht in der Qualität herunterspielen, aber doch in Relation zur übrigen<br />
Realität in vielen Unternehmensbereichen der <strong>Siemens</strong> AG setzen, die in<br />
vielerlei Hinsicht nun wirklich nicht die Güte hat, die wir in der CT gewohnt<br />
sind.<br />
Es geht als nicht darum, die Lage schlecht zu reden. Wir sehen durchaus die<br />
Beispiele von gelungener Kooperation mit den Bereichen, von gelingender<br />
Innovation wie etwa die Feldeffekttransistor-Gassensoren in Handys, die<br />
Nominierung des Projektes zu elektronischen Biochiptechnologie für den<br />
deutschen Zukunftspreis, zu der auch wir hier ganz herzlich gratulieren und<br />
für die Wahl die Daumen drücken.<br />
Und es geht weiters nicht darum, einzelnen Personen ein Fehlverhalten<br />
vorzuwerfen. Im Gegenteil: denkt man an die Lage Anfang bis Mitte der<br />
neunziger Jahre zurück, so muss man mit hoher Anerkennung feststellen,<br />
dass es gelungen ist, die CT in ihrer Bedeutung für das Haus zu festigen und
die dazu notwendigen Veränderungen ohne große Umbrüche und Friktionen<br />
umzusetzen. Die Anerkennung, Herr Prof. Weyrich, die sie bei ihren<br />
Mitarbeitern genießen, hat neben ihrer Menschlichkeit im Umgang<br />
miteinander sicher auch den Hintergrund, dass ihre unternehmerische<br />
Tätigkeit von Erfolg gekrönt ist, sie die CT sicher durch schwierige Zeiten<br />
manövriert und mit der heutigen Organisation eine hervorragende, solide<br />
Basis für die Zukunft der F&E bei <strong>Siemens</strong> geschaffen haben. Das ist sicher<br />
nicht leicht gewesen. Ich weiß es nicht, aber bin mir sicher, dass es auch<br />
andere Richtungen im Vorstand zur Existenz bzw. zur Ausrichtung einer<br />
zentralen F&E gab. Sie haben sicher manches abgepuffert und nicht an die<br />
CT-Mitarbeiter weitergegeben und das verdient unser aller Respekt.<br />
Es geht den Verbindungsleuten und uns als Betriebsräten allein darum, in<br />
einen <strong>Dialog</strong> zu treten mit dem Ziel, miteinander die aufgeworfenen Fragen<br />
zu klären, die Sorgen und Befürchtungen zu äußern und einer mancherorts<br />
auftretenden Verunsicherung über die zukünftige Entwicklung Raum und<br />
Sprache zu geben.<br />
Ich hatte auf der <strong>Betriebsversamm</strong>lung im Dezember letzten Jahres<br />
angekündigt, dass wir mit den Verbindungsleuten der CT ein Thesenpapier<br />
erstellen werden, das zusammenfasst, wie die Kolleginnen und Kollegen ihre<br />
Arbeitssituation und die Lage der CT beurteilen. In den vorangegangen<br />
Gesprächen hatte sich wachsender Unmut darüber gezeigt, wie – zumindest<br />
aus Sicht der Mitarbeiter – das Finanzierungsmodell der CT mit dem<br />
Schwerpunkt auf der Verrechnung der Projekte mit den<br />
Unternehmensbereichen Folgen zeitigt, die als kritisch betrachtet werden und<br />
vielleicht sogar negative Folgen für die CT zeitigen könnten.<br />
Wir haben die Rückmeldungen zusammengefasst, Herr Hannemann und ich<br />
haben das dabei entstandene Papier gemeinsam mit Prof. Weyrich, Frau<br />
Fischer und Herrn Fritsch diskutiert. Wir sind dabei übereingekommen, aus<br />
diesen Beschreibungen Fragen zu entwickeln, die zum Teil hier auf der<br />
<strong>Betriebsversamm</strong>lung diskutiert werden können. Weil in der Form der<br />
<strong>Betriebsversamm</strong>lung nicht alles zur Sprache kommen kann, hat Prof.<br />
Weyrich vorgeschlagen und sich dazu bereit erklärt, im Rahmen einer eigens<br />
dafür anzusetzenden Gesprächsrunde den <strong>Dialog</strong> fortzusetzen. Die Fragen<br />
liegen Ihnen, zum Teil jedenfalls vor, sodass ich nicht auf jede einzelne<br />
einzugehen brauche.<br />
Bevor wir in die Diskussion hier auf der <strong>Betriebsversamm</strong>lung einsteigen,<br />
möchte ich noch kurz auf die letzte Mitarbeiterbefragung eingehen.<br />
Wie vorhin bereits erwähnt, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen gerne bei<br />
CT. Dies zeigt auch die Mitarbeiterbefragung eindrucksvoll. 57% bejahen
dies, weitere 29% sagen dazu „eher ja“, das ist ein Ergebnis, das sich wirklich<br />
sehen lassen kann!<br />
Was aber auffällt, ist die Rückmeldung zu der Aussage „Ich kenne die<br />
langfristige Strategie von CT so gut, dass ich sie einem Kollegen erklären<br />
könnte“. Nach dem vorliegenden Ergebnis scheint dies vielen Kollegen<br />
schwer zu fallen. Ich glaube, dass dieses Item in der Mitarbeiterbefragung<br />
sehr gut die Spannung ausdrückt, in der sich die viele Mitarbeiter der CT<br />
bewegen. Denn auf der einen Seite arbeiten sie sehr gerne hier, auf der<br />
anderen Seite geraten sie bei dem Zukunftsaspekt, den die Frage nach der<br />
langfristigen Strategie ausdrückt, in Schwierigkeiten. Man fühlt sich wohl und<br />
gleichzeitig unwohl – zumindest wenn man an die Strategie denkt. Genau um<br />
diese Widersprüchlichkeit geht es. Dabei glaube ich persönlich nicht, dass<br />
niemand die einschlägigen strategischen Aussagen der CT kennt. Dies ist<br />
jedermann über Intranet und über Informationen auf den<br />
Abteilungsversammlungen zugänglich.<br />
Woher kommt diese Unsicherheit und Widersprüchlichkeit? Ich bin zwar auch<br />
kein Hellseher, kenne die Gründe daher letztlich auch nicht genau und mag<br />
mich daher irren. Aber ich vermute folgende Gründe für dieses<br />
widersprüchliche Empfinden:<br />
1. Die Glaubwürdigkeit der positiven Aussagen über die Zukunft der<br />
CT gerät angesichts des Verrechnungsdrucks ins Wanken. Das<br />
Vertrauen in die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer langfristigen<br />
Ausrichtung schwindet angesichts der herrschenden Realitäten.<br />
Dabei steht nicht die Verrechnung an sich im Vordergrund, sondern<br />
dass der Aufwand, der betrieben werden muss, um Verrechnung<br />
zu bekommen, in keinem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis<br />
steht. Klar ist, Verrechnung drückt Annerkennung der Leistung aus.<br />
Die Bereiche überlegen sehr genau, wohin sie ihr Geld fließen<br />
lassen. Insofern zeigt hohe Verrechnung den guten Stand, den das<br />
Knowhow der CT bei den Bereichen hat.<br />
Befürchtet und manchmal auch festgestellt wird aber auch, dass<br />
eben dieses eben beschriebene Missverhältnis die notwendige Zeit<br />
für Innovation, Weiterentwicklung und Zukunftssicherung raubt.<br />
2. Die CT versteht sich als Netzwerk der Kompetenzen. In der von<br />
den Kollegen erlebten Praxis aber werden verstärkt Signale für<br />
Konkurrenz und wie es manchmal formuliert wird, für gegenseitigen<br />
„Kannibalismus“ wahrgenommen. Da gibt es ein Ringen um<br />
Aufträge, da erleben die Kollegen, dass Zuarbeit, gegenseitige<br />
Unterstützung keine Verrechnung bringt, sich daher nicht lohnt und<br />
unterlassen wird.
Die Befürchtung hier ist, trotz Erreichung und Optimierung der<br />
eigenen Zielvorgaben, insgesamt, also auf CT bezogen, zu einem<br />
schlechteren Ergebnis zu gelangen, sich in Summe „suboptimal“ zu<br />
verhalten. Ganz zu schweigen vom zwischenmenschlichen Klima,<br />
das unter diesen Bedingungen sicher keine Besserung erfährt.<br />
3. Die Kultur eines zunehmenden persönlichen Egoismus, eines rein<br />
an Zahlen orientierten kurzfristigen ökonomischen Denkens,<br />
gefördert durch entsprechend angepasste Führungssysteme wie<br />
etwa Zielvereinbarung und variable Zieleinkommen, wird als<br />
Gefahr, zumindest mit starkem Unbehagen wahrgenommen. Das<br />
Vertrauen in die Entgeltfindung sehen manche Kollegen als<br />
gefährdet an. Sie zweifeln z.B. an, ob ein Ziel, das sich auf<br />
Verrechnung bezieht, den Kriterien von Zielvereinbarungen<br />
überhaupt genügen kann, wenn es entweder nicht realistisch bzw.<br />
die Zielerreichung nicht beeinflusst werden kann.<br />
4. Was zwar nicht Thema der Mitarbeiterbefragung sein kann, aber<br />
sicher auch zur Verunsicherung beiträgt, sind die Aktivitäten, die<br />
CT zum Aufbau im Ausland begonnen hat. Die geplanten<br />
Mitarbeiterzahlen sind (vor allem für China) beeindruckend und<br />
viele fragen sich, wie es dort weitergehen soll. Dabei wird<br />
differenziert wahrgenommen, dass dieses internationale<br />
Engagement nicht nachteilig sein muss, die Mitarbeiterzahlen im<br />
Inland bleiben ja konstant. Nur wie lange?<br />
5. Ich musste bei den Gesprächen mit den Kollegen immer daran<br />
denken, was der kürzlich leider verstorbene Unternehmensberater<br />
Michael Kielbassa, den wir im letzten Herbst als Referenten des<br />
Seminars „Wertschöpfung in der Forschung“ eingeladen hatten,<br />
geäußert hatte. Er sagte: „F&E determiniert – zusammen mit<br />
Marketing und Vertrieb – alle Gestaltungsparameter des Nutzens<br />
und des Gebrauchswertes eines Produktes oder einer<br />
Dienstleistung. Sie entscheidet sie jedoch nicht! F&E wird daher<br />
zunehmend nicht mehr als Kernkompetenz gesehen, sondern als<br />
outsourcebare Nicht-Kernkompetenz.“ Soweit das Zitat. Der Wert<br />
der F&E taucht – ähnlich wie Kompetenz, Erfahrung, Wissen und<br />
Können der Mitarbeiter - in den Zahlenwerken des heute<br />
herrschenden betriebswirtschaftlichen Denkens nicht als positiver<br />
Wert auf. Im Gegenteil: der F&E-Aufwand schmälert das Ergebnis.<br />
Wir fragen uns, wenn diese Aussagen stimmen, wie die<br />
Verantwortlichen handeln werden, die einmal in der Nachfolge<br />
eines Herrn v. Pierer und eines Herrn Prof. Weyrich, die beide<br />
wissen, was sie an ihrer CT und ihrer F&E haben, handeln
werden? Welchen Stellenwert werden diejenigen der F&E und<br />
einer Corporate Technology bei <strong>Siemens</strong> wohl beimessen, die sich<br />
vermutlich viel stärker diesem knallharten, am Geschäft orientierten<br />
Denken verschrieben haben? Werden sie Kennzahlen für<br />
Innovationen verlangen? Werden sie die gewachsenen Strukturen<br />
und Themenfelder belassen? Wenn wir die Strukturierung und<br />
Ausrichtung der Bereiche bedenken und beobachten, wird sich die<br />
CT dann nicht noch mehr vertrieblich ausrichten müssen? Welche<br />
Konsequenzen wird das für die Mitarbeiter haben?<br />
Ich vermute in dieser Gemengelage die Gründe für dieses „Unwohlsein im<br />
Wohlbefinden“.<br />
Da man aber kein entsprechendes Item für diese Stimmungen in der<br />
Mitarbeiterbefragung hat (was ja nebenbei bemerkt durchaus auch nicht<br />
leicht zu erfassen ist, sondern sich erst im ständigen <strong>Dialog</strong><br />
herauskristallisiert hat), deshalb kondensieren sich die Angst, die<br />
Befürchtungen und die Verunsicherung in diesem Punkt „Strategie“. So<br />
jedenfalls wird für mich ein Schuh daraus.<br />
Wenn es uns gelingt, darüber einen <strong>Dialog</strong> zu stiften, dann hätten wir unser<br />
Ziel erreicht. Um nichts mehr, aber auch um nichts weniger geht es uns.<br />
Eine Überlegung noch zum Schluss: Vielleicht muss die CT sich der Frage<br />
stellen, wer denn wirklich ihr Kunde ist. Sind es die heutigen Bereich oder ist<br />
es nicht vielleicht die <strong>Siemens</strong> AG in 10 Jahren, eine Art „virtueller Kunde“?<br />
Welche Produkte wird er brauchen? Auf welchen Märkten wird er tätig sein<br />
und Unterstützung brauchen?<br />
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Mitglied im Arbeitskreis Forschung und<br />
Entwicklung der <strong>IG</strong> <strong>Metall</strong>. Hier sind Mitarbeiter aus den zentralen F&E-<br />
Einheiten der deutschen Industrie (z.B. VW, Philips, DaimlerChrysler, Alcatel<br />
etc.) vertreten. Der gegenseitige Erfahrungsaustausch ist dabei jedes Mal<br />
wichtiger und erhellender Bestandteil der Treffen.<br />
Bei diesen Blicken über den Tellerrand lassen sich auch Tendenzen im<br />
Handeln der Unternehmen entdecken. Eine der derzeitigen Tendenzen ist<br />
das Fokussieren auf Kernthemen und Kernfelder und das Abtrennen bzw.<br />
Verlagern des nicht zum Kernfeld Gehörenden z.B. ins Ausland. Die Frage,<br />
die sich hier erhebt: ist das Fokussieren eine Form innovativen Handelns,<br />
oder nicht vielmehr eine sichere, konservative oder gar rückwärts gerichtete<br />
Sichtweise, die sich nicht am Neuen, sondern am Bestehenden orientiert?<br />
Damit verbunden – oder vielleicht sogar der Grund für dieses Verhalten ist<br />
das, was uns als Arbeitnehmervertretern oft vorgeworfen wird, nämlich eine<br />
mangelnde Risikobereitschaft. Aber was wir demgegenüber feststellen,<br />
verhält es sich genau anders herum: Das Management der großen deutschen
Firmen meidet das Risiko, sich langfristig auf Neues einzulassen, nachhaltige<br />
Innovationssicherung zu betreiben, indem auf den kurzfristigen Erfolg in<br />
bereits sicheren Feldern abgehoben wird.<br />
Wie lange wird das gut gehen, wo doch gerade Innovationen, unser Wissen,<br />
die Erfahrung und das Knowhow unserer gut ausgebildeten und qualifizierten<br />
Menschen nahezu das einzige Pfund sind, mit dem wir Deutschen wuchern<br />
können?<br />
Dies anzugehen ist nicht primär die Aufgabe der CT, sondern der <strong>Siemens</strong><br />
AG überhaupt. Wenn dem so wäre, dann dürfte die Devise der <strong>Siemens</strong> AG<br />
und der CT schon heute nicht mehr lauten: Verrechnung, Verrechnung,<br />
Verrechnung, sondern vielmehr: Innovation, Innovation, Innovation!<br />
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
(Wolfgang Mai)