ReizwoRt DResDen - Regensburger Stadtzeitung

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12.01.2013 Aufrufe

Nachgefragt august | September 2010 ReizwoRt DResDen Oberpfälzer Provinz maßt sich an, den Takt auf internationalem Parkett zu bestimmen. Nun hat Regensburg Angst, den Taktstock auf die Finger zu bekommen und den Weltkulturerbetitel zu verlieren; genau wie Dresden. Von Ost nach West: Die Regensburger wollen keine Ersatztrasse; weder westlich noch östlich der Steinernen Brücke. Es braucht nur dieses eine D-Wort und schon regen sich die Gemüter. Die der Bürger ebenso wie die der Politiker. Um nochmals im Detail aufzuschlüsseln, wozu dieses ganze Theater um die Ersatztrassen nun eigentlich dienlich sein soll, gibt die RSZ (bevor sie ebenfalls einen Blick auf die UNESCO- Tagung in Brasilien wirft) zunächst eine kurze Zusammenfassung über den Hergang des aktuell quer durch die bundesweite Medienlandschaft kommunizierten „Brückenstreits“. Die nackten Fakten 1996: Die Steinerne Brücke beginnt zu kränkeln. Tausende Autos, LKWs und Busse zehren an dem mittelalterlichen Meisterwerk. Handlungsbedarf ist notwendig. Ein Bürgerbegehren erzwingt die Sperrung der Brücke für den allgemeinen Verkehr. Ausnahme: Busse. Die rollen weiterhin drüber. Außerdem: Hans Schaidinger wird zum Oberbürgermeister gewählt. Sein Wahlspruch: „Intelligente Lösungen für Regensburg.“ 2003: Der RVV wünscht sich eine Alternative zur Steinernen Brücke (falls diese komplett gesperrt würde), auf der nur Busse fahren und Fußgänger laufen dürfen. Fünf Varianten möglicher Trassen werden dem Stadtrat vorgestellt und von der Stadtverwaltung geprüft. 2004: Zwei der ursprünglich fünf Varianten bleiben bestehen: Westtrasse und Osttrasse. Der Stein kommt ins Rollen. Engagierte Bürger gründen den Verein „Donauanlieger e.V.“. Ziel des Vereins: Vertretung der Interessen der Bürger, des Denkmalschutzes und des Naturschutzes. Lösungsvorschlag des Vereins: Eine „Bürgertrasse“ (die Busse sollten durch geschickte Linienführung über bereits bestehende Brücken geleitet werden). 2005: Zahlreiche andere Vereine schließen sich zusammen, um mögliche Trassen zu vermei- Frei nach dem Motto: Manche Probleme löst der Klimawandel von selbst; wenn man nur lange genug wartet... (Karikatur: Joachim Weller) den. Die Steinerne Brücke wird immer kränker, droht auseinanderzubrechen, muss gesperrt werden, wird dann aber (nachdem man die Wunde zusammen geklammert hatte) wieder freigegeben. Hektisch und unbedacht gibt die Stadtverwaltung neue Prüfungen für mögliche Alternativen zur Steinernen in Auftrag. Die Schreie nach einer Ost- oder Westtrasse untergraben die Stimmen des Volkes. 2006: Regensburg wird Weltkulturerbe! Eine Auszeichnung der UNESCO, die der Domstadt Rechte und Pflichten beschert. Bilder von einer riesen Party gehen um die Welt. Regensburg beginnt mit dem neuen Titel zu werben, lockt Touristen an und füllt den Stadtsäckel. Doch Regensburg verpflichtet sich auch, sein Kulturerbe zu schützen und zu bewahren. Die Trassen-Diskussion ruht. 2008: Die Ereignisse überschlagen sich: Die Steinerne Brücke wird für den gesamten Verkehr total gesperrt. Der Öffentliche Personennahverkehr sorgt sich um seine Kunden, befürchtet Umsatzeinbußen. Der Planungsausschuss der Stadt beschließt, einen Brückenwettbewerb vorzubereiten. Das Gebiet um eine mögliche Westtrasse (in Nähe des Eisernen Steges) und eine Osttrasse (eine Brücke über den Grieser Spitz) sollen konkret untersucht werden. Die Stadtverwaltung gibt eine artenschutzrechtliche Prüfung in Auftrag. Das Ergebnis: Die Population seltener Tiere und geschützter Arten seien durch einen Brückenbau gefährdet. Die Planer tendieren deshalb zur Westtrasse. 2009: Der Denkmalschutz tritt auf den Plan und spricht sich entschieden gegen eine Realisierung der Westtrasse 10 Die Regensburger Stadtzeitung

Nachgefragt august | September 2010<br />

<strong>ReizwoRt</strong> <strong>DResDen</strong><br />

Oberpfälzer Provinz maßt sich an, den Takt auf internationalem Parkett zu bestimmen. Nun hat<br />

Regensburg Angst, den Taktstock auf die Finger zu bekommen und den Weltkulturerbetitel zu<br />

verlieren; genau wie Dresden.<br />

Von Ost nach West: Die <strong>Regensburger</strong> wollen keine Ersatztrasse; weder westlich noch östlich der Steinernen Brücke.<br />

Es braucht nur dieses eine D-Wort und<br />

schon regen sich die Gemüter. Die der<br />

Bürger ebenso wie die der Politiker. Um<br />

nochmals im Detail aufzuschlüsseln, wozu dieses<br />

ganze Theater um die Ersatztrassen nun<br />

eigentlich dienlich sein soll, gibt die RSZ (bevor<br />

sie ebenfalls einen Blick auf die UNESCO-<br />

Tagung in Brasilien wirft) zunächst<br />

eine kurze Zusammenfassung<br />

über den Hergang des aktuell<br />

quer durch die bundesweite Medienlandschaft<br />

kommunizierten<br />

„Brückenstreits“.<br />

Die nackten Fakten<br />

1996: Die Steinerne Brücke beginnt<br />

zu kränkeln. Tausende Autos,<br />

LKWs und Busse zehren an dem<br />

mittelalterlichen Meisterwerk.<br />

Handlungsbedarf ist notwendig.<br />

Ein Bürgerbegehren erzwingt die<br />

Sperrung der Brücke für den allgemeinen<br />

Verkehr. Ausnahme:<br />

Busse. Die rollen weiterhin drüber.<br />

Außerdem: Hans Schaidinger wird<br />

zum Oberbürgermeister gewählt.<br />

Sein Wahlspruch: „Intelligente Lösungen<br />

für Regensburg.“<br />

2003: Der RVV wünscht sich eine<br />

Alternative zur Steinernen Brücke<br />

(falls diese komplett gesperrt würde),<br />

auf der nur Busse fahren und<br />

Fußgänger laufen dürfen. Fünf Varianten<br />

möglicher Trassen werden<br />

dem Stadtrat vorgestellt und von<br />

der Stadtverwaltung geprüft.<br />

2004: Zwei der ursprünglich fünf<br />

Varianten bleiben bestehen: Westtrasse<br />

und Osttrasse. Der Stein<br />

kommt ins Rollen. Engagierte Bürger<br />

gründen den Verein „Donauanlieger<br />

e.V.“. Ziel des Vereins: Vertretung<br />

der Interessen der Bürger,<br />

des Denkmalschutzes und des Naturschutzes.<br />

Lösungsvorschlag des Vereins: Eine „Bürgertrasse“<br />

(die Busse sollten durch geschickte Linienführung<br />

über bereits bestehende Brücken<br />

geleitet werden).<br />

2005: Zahlreiche andere Vereine schließen sich<br />

zusammen, um mögliche Trassen zu vermei-<br />

Frei nach dem Motto: Manche Probleme löst der Klimawandel von selbst; wenn man<br />

nur lange genug wartet... (Karikatur: Joachim Weller)<br />

den. Die Steinerne Brücke wird immer kränker,<br />

droht auseinanderzubrechen, muss gesperrt<br />

werden, wird dann aber (nachdem man die<br />

Wunde zusammen geklammert hatte) wieder<br />

freigegeben. Hektisch und unbedacht gibt die<br />

Stadtverwaltung neue Prüfungen für mögliche<br />

Alternativen zur Steinernen in Auftrag. Die<br />

Schreie nach einer Ost- oder Westtrasse<br />

untergraben die Stimmen des<br />

Volkes.<br />

2006: Regensburg wird Weltkulturerbe!<br />

Eine Auszeichnung der UNESCO,<br />

die der Domstadt Rechte und Pflichten<br />

beschert. Bilder von einer riesen<br />

Party gehen um die Welt. Regensburg<br />

beginnt mit dem neuen Titel zu<br />

werben, lockt Touristen an und füllt<br />

den Stadtsäckel. Doch Regensburg<br />

verpflichtet sich auch, sein Kulturerbe<br />

zu schützen und zu bewahren. Die<br />

Trassen-Diskussion ruht.<br />

2008: Die Ereignisse überschlagen<br />

sich: Die Steinerne Brücke wird für<br />

den gesamten Verkehr total gesperrt.<br />

Der Öffentliche Personennahverkehr<br />

sorgt sich um seine Kunden, befürchtet<br />

Umsatzeinbußen. Der Planungsausschuss<br />

der Stadt beschließt, einen<br />

Brückenwettbewerb vorzubereiten.<br />

Das Gebiet um eine mögliche Westtrasse<br />

(in Nähe des Eisernen Steges)<br />

und eine Osttrasse (eine Brücke über<br />

den Grieser Spitz) sollen konkret untersucht<br />

werden. Die Stadtverwaltung<br />

gibt eine artenschutzrechtliche<br />

Prüfung in Auftrag. Das Ergebnis:<br />

Die Population seltener Tiere und<br />

geschützter Arten seien durch einen<br />

Brückenbau gefährdet. Die Planer<br />

tendieren deshalb zur Westtrasse.<br />

2009: Der Denkmalschutz tritt auf den<br />

Plan und spricht sich entschieden gegen<br />

eine Realisierung der Westtrasse<br />

10<br />

Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>


august | September 2010<br />

Nachgefragt<br />

STATEMENTS ZUM THEMA ERSATZTRASSE<br />

Armin Gugau, CSU<br />

„Zunächst einmal warten wir die Entscheidung aus<br />

Brasilien ab. Möglicherweise entscheidet sich ja die<br />

Unesco gegen eine Westtrasse. Unabhängig davon<br />

gibt es jedoch Bedenken dagegen, weil die Argumente<br />

des Denkmalschutzes natürlich gewichtig sind. Die<br />

Osttrasse wird ebenfalls schwierig, allerdings aus artenschutzrechtlichen<br />

Gründen. Daher wird die CSU diskutieren,<br />

ob man überhaupt eine Ersatztrasse braucht.<br />

Aber wie gesagt: Zunächst warten wir ab was die<br />

Unesco sagt.“<br />

MdL Margit Wild, SPD<br />

„Wenn die zu erwartende Entscheidung gegen eine<br />

Westtrasse fällt, wird es mit Sicherheit die Bevölkerung<br />

sein, die gegen eine Osttrasse mobil macht.<br />

Auch ich sage: Hände weg! Wir können uns glücklich<br />

schätzen solche Naherholungs-Zonen in der Stadt zu<br />

haben. Jeder Eingriff würde dieses wunderbare Naturgut<br />

zerstören. Wir sollten tunlichst die Finger davon<br />

lassen und die Diskussion dazu nutzen, umzudenken.<br />

Wir brauchen neue Ideen, müssen kreativ sein und<br />

gemeinsam eine Lösung finden.“<br />

Jürgen Mistol, B90/Die Grünen<br />

„Die Machbarkeit für beide Trassen wurde geprüft.<br />

Was die Westtrasse betrifft, so gibt es keine Pläne, die<br />

so in die Tiefe bearbeitet sind, dass sie etwas aussagen.<br />

Die Osttrasse wurde von den Grünen von Anfang an<br />

abgelehnt. Wir wehren uns dagegen, dass ein Natur-<br />

und Naherholungsgebiet, das von <strong>Regensburger</strong>n und<br />

Gästen der Stadt viel genutzt wird, durchschnitten<br />

werden soll. Es geht hier um ein Stück Regensburg, das<br />

viele sehr lieb gewonnen haben. Das Geld, das in die<br />

Planungen zur Osttrasse gesteckt wurde, hätte man<br />

sich sparen können.“<br />

Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />

Ludwig Artinger, FWR<br />

„West geht nicht, weil es mit dem Welterbestatus nicht<br />

verträglich ist. Wenn die Unesco den Vorschlag nicht<br />

ablehnt, wird es Prof. Greipl oder ein Bürgerbegehren<br />

tun. Ost kommt sowieso nicht. Wir bewegen uns nach<br />

wie vor im Untergrund und sind für die Tunnellösung.<br />

Die scheint die größte Akzeptanz unter den Bürgern<br />

zu haben. Man kann das Thema jedoch auch zurückstellen<br />

und in wirtschaftliche besseren Zeiten offensiv<br />

und demokratisch damit umgehen, sprich die Bürger<br />

fragen was sie wollen: Nichts, einen Tunnel, eine West-<br />

oder eine Osttrasse?“<br />

Astrid Freudenstein, CSU<br />

„Eine Verkehrstrasse am Grieser Spitz zerstört eines der<br />

letzten innerstädtischen Grüngebiete. Schon Planungen,<br />

die in diese Richtung gehen, werden von vielen<br />

Menschen als unanständig empfunden. Die Westtrasse<br />

ist städtebaulich ein Fiasko, da gibt es nichts schönzureden.<br />

Im groß angelegten Planungsdialog „Ein Herz für<br />

die Steinerne“ im Frühjahr 2005 fiel das Bürgervotum<br />

ebenso unmissverständlich aus: Eine überwältigende<br />

Mehrheit der Anwesenden erteilte sowohl einer Ost- als<br />

auch einer Westtrasse eine klare Absage.“<br />

Stefan Berger, Donauanlieger e.V.<br />

„Die Mitglieder des Vereins Donauanlieger sind überzeugt,<br />

dass die von der Stadtverwaltung geplanten<br />

Ersatztrassen für die Steinerne Brücke nicht notwendig<br />

sind. Beide Varianten sind ein unverhältnismäßiger<br />

Eingriff in die Natur am Grieser Spitz bzw. in das<br />

Stadtbild an der Donaulände und stehen in keinem<br />

Verhältnis zum möglichen Gewinn. Wir hoffen, dass<br />

die Stadt das endlich einsieht. Sollte es allerdings nötig<br />

sein, werden wir ein Bürgerbegehren organisieren.“<br />

aus. Die Stadtverwaltung gibt eine neue artenschutzrechtliche<br />

Prüfung in Auftrag. Das Fazit<br />

der neuen Prüfung: Das Ökosystem würde beeinträchtigt,<br />

einem Brückenbau stünde jedoch<br />

nichts im Wege (Die Prüfung liegt der RSZ vor).<br />

Der Fokus richtet sich auf die Osttrasse.<br />

2010: Ein Gutachten eines „unabhängigen<br />

Unternehmens“ soll helfen, die Welterbeverträglichkeit<br />

beider Trassen zu belegen. Diese<br />

Untersuchung soll der UNESCO die Entscheidung<br />

vereinfachen, dem Brückenwettbewerb<br />

grünes Licht zu geben. Gerüchte kommen auf,<br />

das Gutachten sei geschönt. Unverholen sprechen<br />

sach- und fachkundige Bürger von einem<br />

„durchsichtigen und handwerklich schlecht<br />

gemachten Gefälligkeitsgutachten“. Tatsächlich<br />

lässt es jegliche kritische Darstellung vermissen<br />

(Das Gutachten liegt der RSZ vor). Der<br />

oberste bayerische Denkmalpfleger und Mitglied<br />

des Welterbe-Steuerungskomitees Prof.<br />

Egon Greipl verfasst zu dem Gutachten eine<br />

Stellungnahme, in der er keinen Zweifel daran<br />

lässt, dass der Denkmalschutz die Westtrasse<br />

kategorisch ablehnt. Der Planungsausschuss<br />

berät. Die Lage eskaliert. Regensburg rückt<br />

ins Rampenlicht bundesweiter Presseorgane.<br />

Man spricht davon, dass der OB von Fachleuten<br />

regelrecht „abgewatscht“ wurde. OB<br />

Hans Schaidinger fühlt sich missverstanden,<br />

schiebt polternd den Medien einen konstruierten<br />

Brückenstreit in die Schuhe und versichert,<br />

ein gutes Verhältnis mit der UNESCO zu<br />

haben. Kurz: Die Angst wächst, die UNESCO<br />

könnte Regensburg den Titel Weltkulturerbe<br />

entziehen.<br />

Der status Quo<br />

Auch wenn es gefährlich ist, Prognosen zu<br />

wagen, sieht die Lage zum Thema Ersatztrasse<br />

- hinter vorgehaltener Hand beinahe<br />

aller Betroffenen - folgendermaßen aus: Der<br />

Denkmalschutz wird, auch wenn ihm OB Hans<br />

Schaidinger diese Entscheidungsgewalt abspricht,<br />

die Option einer Westtrasse kippen.<br />

Die Planungen zur Osttrasse werden - auch<br />

darüber sind sich alle Beteiligten einig – zugunsten<br />

des Naherholungsgebietes Grieser Spitz<br />

notfalls durch ein Bürgerbegehren gestoppt.<br />

Die Lösung, einen Tunnel zu bauen, rückt vielleicht<br />

in den Vordergrund. Wahrscheinlich ist<br />

jedoch, dass überhaupt keine Alternative zur<br />

Steinernen Brücke nötig ist. Die Busse fahren<br />

nun schon seit zwei Jahren einen Umweg,<br />

die vom ÖPNV befürchteten Umsatzeinbußen<br />

sind ausgeblieben und die Bevölkerung ist sich<br />

der Verantwortung sowohl für ihr Kulturgut<br />

als auch für ihr Naturgut bewusst. Unter´m<br />

Strich steht, auch völlig unabhängig von einer<br />

UNESCO-Entscheidung pro oder contra Brükkenwettbewerb,<br />

fest: Die Stadt verprasst wieder<br />

einmal Unmengen von Geld (50.000 Euro<br />

für Gutachten und Prüfungen, zu erwartende<br />

600.000 Euro für die Planungen der Trassen<br />

bei Absegnung durch die UNESCO und weitere<br />

500.000 Euro für ein Bürgerbegehren, das mit<br />

Sicherheit durchgeführt wird, wenn die Stadt<br />

ihr Vorhaben nicht zu den Akten legt). Wertvolle<br />

Euros, die an anderer Stelle bitternötig<br />

wären. (Nicole Seidinger)<br />

11<br />

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Nachgefragt august | September 2010<br />

Loveparade 2010 vor 17 Uhr: Das<br />

Partyvolk in Feierlaune. Nur wenige<br />

Stunden nach dieser Aufnahme kam es<br />

zu einer schrecklichen Katastrophe.<br />

LovepaRaDe-DesasteR<br />

Massenpanik auf dem Fest der Liebe.<br />

Der RSZ-Szene-Fotograf Holger Steinmetz<br />

war auf der Loveparade in Duisburg.<br />

Eigentlich wollte er schöne Bilder<br />

mitbringen, statt dessen berichtet er von<br />

einer Tragödie, bei der 20 Menschen getötet<br />

und über 500 nach einer Massenpanik verletzt<br />

wurden.<br />

In den rot eingekreisten Flächen (Plan des Veranstalters<br />

für die Presse) ist deutlich zu erkennen, dass es zwei<br />

Tunnel mit drei Eingängen und nur einem Ausgang gibt.<br />

RSZ: Holger, Du warst live vor Ort. Wie hast Du<br />

die Katastrophe erlebt?<br />

Holger steinmetz: Eigentlich gar nicht so<br />

richtig. Wir sind zum Feiern hingefahren, sind<br />

gegen Mittag schon im Pressezelt gewesen.<br />

Das lag am anderen Ende des Areals. Den Rest<br />

haben wir nur durch Erzählungen mitbekommen.<br />

RSZ: Was wurde erzählt?<br />

Holger: Die Malteser haben berichtet, dass<br />

es im Eingangsbereich zu einer Massenpanik<br />

gekommen sei und angeblich schon zehn<br />

Menschen gestorben sind. Sie seien einfach<br />

zerquetscht und zertrampelt worden. Es war<br />

einfach viel zu voll vor dem Eingang. Nachdem<br />

der ja auch gleichzeitig der Ausgang war,<br />

kamen die Menschen nirgendwo mehr raus.<br />

Wir sind praktisch alle in ein Gehege getrieben<br />

worden. Rundrum war alles mit Bauzäunen<br />

dicht. Ich konnte mir das nur so erklären, dass<br />

die einen wieder raus wollten und die, die<br />

gerade erst ankamen, rein drängten. Da kann<br />

man sich vorstellen was mit den Leuten in der<br />

Mitte passiert ist...<br />

RSZ: Wie hast Du reagiert als Du diese Schreccensbotschaft<br />

gehört hast?<br />

Holger: Ich konnt´s gar nicht glauben. Ich hab<br />

raus geschaut und die Menschen haben nach<br />

wie vor gefeiert und getanzt. Ich glaub, auf<br />

dem Partygelände selbst hat das niemand so<br />

richtig umrissen. Die Veranstaltung ist ja auch<br />

nicht abgebrochen worden. Irgendwie war<br />

das alles ziemlich strange. So richtig realisiert<br />

hab ich es erst im Bus auf dem Heimweg nach<br />

Regensburg. Ich hab mich daran erinnert, dass<br />

wir ja auch durch diesen Tunnel, also dieser<br />

Schleuse, die zum Eingang geführt hat und in<br />

dem die Leute dann regelrecht zerdrückt wurden,<br />

gegangen sind und wie eng es da schon<br />

war. Wir waren alle heilfroh, dass uns nichts<br />

passiert ist.<br />

RSZ: Wie gehst Du nun mit dem Erlebnis um?<br />

Sind Großveranstaltungen für Dich tabu?<br />

Holger: Nein, sicher nicht. Aber ich werd mir<br />

in Zukunft die Location genau ansehen, gleich<br />

mal checken wo Fluchtwege und Notausgänge<br />

sind. Das wird künftig wohl jeder tun,<br />

der bei diesem Horror-Szenario dabei war.<br />

(Nicole Seidinger)<br />

RSZ-Szene-Reporter Holger Steinmetz: „Ich bin zutiefst<br />

betroffen über die Tragödie, die sich auf der sonst eher<br />

ausgelassenen, aber friedlichen Loveparade ereignet hat.“<br />

12 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>


august | September 2010 Nachgefragt<br />

scHLuss mit Lustig<br />

Ironman zieht mit der Brechstange durch Regensburg.<br />

Die Domstädter fühlen sich „verarscht“.<br />

Für Stadtamhof gilt: Parken verboten, der Willkür ausgesetzt,<br />

Denken unerwünscht.<br />

250.000 Euro für den Ironman, Gängeleien für<br />

alle Betroffenen (Anwohner, Verkehrsteilnehmer,<br />

Touristen und Landwirte) entlang der<br />

Strecke, Rekrutierungen von kostenlosen Hilfskräften,<br />

Existenzbedrohung für die Geschäftsleute - eine<br />

Ehre für die Stadt! Ohne Verstand und längst ohne<br />

Stolz bettelt die Stadtspitze beinahe darum einem<br />

Fremden das Geld quer in den Allerwertesten schieben<br />

zu dürfen und verscherzt es sich damit gewaltig<br />

mit der eigenen Bevölkerung. „Wir sind überrascht“<br />

äußerten sich heimische Veranstalter Anfang des<br />

Jahres noch sehr höflich. Ebenso dezent ausgedrückt<br />

machte sich „Unmut“ breit, weil die Stadt einem<br />

hessischen Geschäftsmann für eine alberne Ironman-<br />

Veranstaltung mit vorgegaukeltem Seltenheitswert<br />

und höchst fraglichem Werbeeffekt mal eben eine<br />

viertel Million hinterher trägt, während die <strong>Regensburger</strong><br />

für jeden Pups centgenau geschröpft und<br />

wohlorganisiert ausgeplündert werden. Die „<strong>Stadtzeitung</strong>“<br />

berichtete als erstes Medium kritisch.<br />

Doch nun ist es endgültig vorbei mit den Höflichkeiten.<br />

Denn jetzt geht es wieder einmal den ohnehin<br />

gebeutelten Stadtamhoferern an die Tasche.<br />

Gut eine Woche vor dem „Freizeit-Event für offenbar<br />

unausgefüllte, leptosome Egomanen“ (Insider-Spott)<br />

haben Anwohner und Unternehmer durch Zufall<br />

erfahren (weil Vermessungen durchgeführt wurden),<br />

dass Stadtamhof vor, während und nach dem Ironman<br />

gesperrt wird. Auf Rückfrage der Geschäftsleute<br />

hat die Stadtverwaltung die Auskunft erteilt, die<br />

Freisitze müssten zwischen 30. Juli und 2. August<br />

geräumt werden. Ein Bescheid ginge den Unternehmern<br />

in den nächsten Tagen zu. „Das ist eine Zumu-<br />

Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />

tung für uns, eine Unverschämtheit seitens der Stadtverwaltung!“<br />

ist sich komplett Stadtamhof einig. Die<br />

Anlieger haben in dieser Zeit keine Möglichkeit in<br />

oder aus ihren Wohnungen zu kommen, Geschäftsleute<br />

rechnen mit Einbußen von vielen tausend Euro.<br />

Mit einer kaum zu übertreffenden Arroganz treten<br />

die preußischen Eisenmänner den Unternehmern<br />

gegenüber, halten ihnen vor, sie würden zu kurz<br />

denken, der Ironman wäre schließlich ein Gewinn<br />

für Stadt und Landkreis. Kein Wunder, dass sich die<br />

Menschen von der eigenen Stadtspitze verraten und<br />

verkauft fühlen. Auf die bevorstehenden Maßnahmen<br />

können sie nun jedoch mangels Zeit nicht mehr<br />

reagieren. „Wir haben einfach keine rechtliche Handhabe<br />

gegenüber der Stadtverwaltung.“ erklären die<br />

Firmeninhaber hilflos und wütend. Mitglieder von<br />

„Pro Stadtamhof“ kündigen aber an: „Wir werden uns<br />

das Ganze heuer ansehen, alles Negative sammeln<br />

und beim nächsten Ironman intervenieren.“ Denn<br />

eins ist klar: „Wir legen auf die Veranstaltung keinen<br />

Wert.“ Klare Worte, die die Stadtspitze neben dem<br />

Druck der Öffentlichkeit nun doch dazu gebracht<br />

haben, einzusehen, dass man seine Basis nicht immer<br />

nur vor den Kopf stoßen kann.<br />

Kurz vor Redaktionsschluss rudern sowohl OB<br />

als auch „Eisenmann“ Kai Walter zurück. In einer<br />

Pressemitteilung heißt es: „Die Veranstalter werden<br />

gemeinsam mit den Gastronomen klären, welche<br />

Freisitze in welchem Umfang kurz vor und nach, wie<br />

auch während (vom 30. Juli bis 2. August; Anm. d.<br />

Red.) des IRONMAN-Wettbewerbs betrieben werden<br />

können. ´Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten<br />

sind Einschränkungen zwar nicht auszuschließen´,<br />

erklärt der Oberbürgermeister. ´Wir wollen sie jedoch<br />

so gering wie nur möglich halten – ganz im<br />

Sinne der Gastronomen wie auch der Zuschauerinnen<br />

und Zuschauer.‘“ Späte Einsicht, aber immerhin...<br />

(Nicole Seidinger)<br />

Umweg für die Bauern: Auch Traktoren müssen am 1. August<br />

landkreisweit ausweichen.<br />

PERSONALIE<br />

investment<br />

wald?<br />

Gefragter Rat für Manager: Thurn- und<br />

Taxis-Forstdirektor Hans Peter Fritzsche<br />

rät davon ab, den Lebensraum Wald<br />

auf ein reines Spekulationsobjekt zu<br />

reduzieren.<br />

MANAGER MAGAZIN INTERVIEWT<br />

THURN- UND TAxIS-FORST-DIREK-<br />

TOR HANS PETER FRITZSCHE.<br />

Hans-Peter Fritzsche (56), Thurn und Taxis<br />

Forstdirektor, wurde eine seltene Ehre<br />

zuteil: Das in der Branche hochangesehene<br />

MANAGER MAGAZIN schenkte in<br />

seiner letzten Ausgabe den Betrachtungen<br />

des fürstlichen Waldexperten große<br />

Aufmerksamkeit. Fritzsche informierte in<br />

dem mehrseitigen Beitrag kompetent über<br />

modernes Forstmanagement, bei dem sich<br />

Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen<br />

dürfen, sondern harmonisch ergänzen<br />

müssen.<br />

Skeptisch beurteilte Fritzsche dabei das<br />

Phänomen Wald als Spekulationsobjekt.<br />

Denn bei den waldtypischen „langfristigen<br />

Zyklen lässt sich die Strategie nicht schnell<br />

mal ändern“. Er selber konzentriere sich<br />

jedenfalls darauf, die ihm anvertrauten<br />

19.000 Hektar zu umsorgen, statt mit ihnen<br />

zu spekulieren.<br />

Nachhaltigkeit als Maxime des Handelns<br />

– eine mahnende Botschaft in Zeiten kollabierender<br />

Finanzmärkte.<br />

13


Nachgefragt august | September 2010<br />

Regensburgs gesammelte<br />

„R<br />

egensburgs gesammelt Scheußlichkeiten“<br />

– eine Serie der <strong>Regensburger</strong><br />

<strong>Stadtzeitung</strong>, die auf<br />

vergangene Bausünden der Stadtverwaltung<br />

aufmerksam macht, um den kritischen Bürgersinn<br />

für künftige städtische Bauvorhaben<br />

zu sensibilisieren.<br />

Was Regensburg in den 60er und 70er Jahren<br />

angerichtet hat, lässt jegliches Verständnis<br />

entbehren. Großspurig wollte die Stadt sein;<br />

und zwar in doppeltem Sinne. Verkehrsachsen<br />

sollten quer durch die einzige Stadt Deutschlands,<br />

die eine nahezu vollständige Erhaltung<br />

mittelalterlicher Baukunst vorzuweisen hatte,<br />

geschlagen werden, und abartig überragende<br />

Geschäftsbunker sollten das Wirtschaftswunder<br />

der Nachkriegszeit auch optisch dokumentieren.<br />

Deutlich wird dieser Imagewahn<br />

durch Bausünden am Neupfarrplatz, in der<br />

Maxstraße, am Arnulfsplatz, etc..<br />

All diese Barbareien am „Mittelalterlichen<br />

Wunder Regensburg“ hat die RSZ in den letzten<br />

Folgen aufbereitet. Doch nun, im sechsten<br />

Teil der Gesammelten Scheußlichkeiten,<br />

kommt zu dem zerstörerischen Profilierungsdrang<br />

eine abgrundtief hässliche, teils gar<br />

menschenverachtende Haltung hinzu. In „Der<br />

Sündenfall an der Donau“ haben der Journalist<br />

Günter Schießl und der Ostnerwachtler Peter<br />

Eiser die Grausamkeiten beklemmend eindrucksvoll<br />

dargestellt. Die RSZ zitiert einzelne<br />

Textpassagen daraus, um die Geschichte des<br />

sechsten Teils von „Regensburgs gesammelten<br />

Scheußlichkeiten“ zu veranschaulichen:<br />

die Ostnerwacht.<br />

gewachsen – zerstört - verplant<br />

Mit dieser Überschrift bringen Peter Eiser und<br />

Günter Schießl den Untergang der Ostnerwacht<br />

(zwischen Kolpinghaus und Ostentor)<br />

Der Donaumarkt mit Stadtlagerhaus<br />

im Jahre 1904. (Bildnachweis: Stadt<br />

Regensburg, Bilddokumentation)<br />

teil 6: Ostnerwacht<br />

Scheußlichkeiten<br />

Günter Schießl und Peter Eiser dokumentieren das<br />

Schicksal der Ostnerwacht.<br />

auf den Punkt und beginnen damit, den Anstoß<br />

der Zerstörung zu erläutern: Eines der<br />

wenigen Gebäude, die dem zweiten Weltkrieg<br />

zum Opfer gefallen sind, ist das Stadtlagerhaus,<br />

das einst den Mittelpunkt eines regen<br />

<strong>Regensburger</strong> Miteinanders im Altstadtosten<br />

prägte. Statt diese Lücke wieder zu schließen,<br />

zog es die Stadtverwaltung vor, sie auszuweiten;<br />

zugunsten einer autobahnähnlichen<br />

Donauüberquerung. „Für die geplante Trasse<br />

der Bayerwaldbrücke wurden nach Kriegsende<br />

und verstärkt ab 1964 zwischen der Minoritenkirche<br />

und dem Unteren Wöhrd über 40<br />

Häuser abgebrochen. Hunderte von Familien<br />

verloren ihr Zuhause und viele ihre Existenz,<br />

die sie sich über Jahrzehnte hinweg aufgebaut<br />

und über den Krieg gerettet hatten.<br />

Ein ganzes Viertel mit seiner geschlossenen<br />

Bebauung wurde dem Erdboden gleich gemacht.“<br />

schreiben die Autoren. Und weiter:<br />

„Komplett abgeräumt wurden der frühere<br />

Schwanenplatz und die Bogelgasse. Die historische<br />

Kalmünzergasse gibt es nicht mehr,<br />

der Hunnenplatz existiert nur noch mit Haus-<br />

Nummer 5.“<br />

Wie rüpelhaft die Verwaltung mit dem<br />

Störfaktor Anwohner dabei vorgegangen ist,<br />

belegt schon eines von zahlreichen Beispielen:<br />

Der Besitzer des bombengeschädigten<br />

Anwesens Schwanenplatz 3 hat erbeten „eine<br />

14 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>


Bildnachweis: Denkmalpflege der Stadt Regensburg<br />

august | September 2010 Nachgefragt<br />

Seit Jahrzehnten (bis heute) versammeln sich die Menschen aus nur zwei Gründen an diesem schicksalsträchtigen Ort: zum Wochenmarkt und zum Parken.<br />

Genehmigung für den Wiederaufbau seines<br />

Anwesens zu bekommen, um die untragbaren<br />

Verhältnisse in seiner derzeitigen Behausung,<br />

´einer Wochenendhütte ohne Licht und Wasser<br />

zu Eichhofen´, beenden zu können.“ Die<br />

Stadt erwiderte, die Genehmigung nur dann<br />

zu erteilen, „wenn die Stadt das Recht erhielte,<br />

durch das Anwesen einen öffentlichen<br />

Durchgang zum Hof des Erhardihauses (das<br />

heutige Kolpinghaus) zu legen. Außerdem<br />

sollte ´zur Sicherstellung des späteren Straßendurchbruchs´<br />

der Stadt ein Vorverkaufsrecht<br />

auf das Anwesen eingeräumt werden.“<br />

Die Stadt erwarb das Haus für den Spottpreis<br />

von 31.608,32 DM, beglich damit die Schulden<br />

für den Wiederaufbau und hat den Kaufpreisrest<br />

(5.500 DM) dadurch abgegolten, „dass die<br />

Käuferin (die Stadt) dem Verkäufer und seiner<br />

Ehefrau auf deren Lebenszeit ihre derzeitige<br />

Wohnung im Verkaufsanwesen unentgeltlich<br />

zur Benutzung überlässt.“ Die Option, das<br />

„Gebäude vor Ableben der Eheleute“ abzubrechen,<br />

hat sich die Stadt im Kaufvertrag<br />

vorbehalten.<br />

Auf diese eiskalte Art und Weise löschte<br />

die Stadtverwaltung Regensburgs das Viertel<br />

einfach aus; um den Bau einer Trasse vorzubereiten,<br />

der letztlich nie realisiert wurde. Wenigstens<br />

das konnten die Bürger verhindern.<br />

Auch wenn es für Einzelschicksale längst zu<br />

spät war.<br />

gezeichnet – verkommen - hilflos<br />

Der größte weiße Fleck auf der Stadtkarte ist<br />

somit am Donaumarkt entstanden. Anwesen,<br />

deren Erwerb die Stadt nach dem Krieg nicht<br />

perfide vorbereitet hatte, haben sich damals<br />

Die Adresse des dritten Hauses von rechts lautete einst:<br />

Schwanenplatz 3. (Bildnachweis: Bayer. Landesamt für Denkmalpflege)<br />

Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />

zwei große Unternehmer unter den Nagel<br />

gerissen. Die Möbelfirma Brüchner und die<br />

Metzgerei Ostermeier nutzten die finanziellen<br />

Nöte der Menschen aus und erbeuteten<br />

ganze Häuserreihen weit unter dem normalen<br />

Verkaufswert. Sie begannen mit dem Ausbau<br />

ihrer Unternehmen nach eigenen Aussagen<br />

„als es nebenan im zerbombten Stadtlagerhaus<br />

noch schwelte und qualmte.“ Nach einer<br />

kurzen wirtschaftlichen Hochphase begannen<br />

jedoch die Firmen finanziell in die Knie zu<br />

gehen. Ihre Gebäude fielen in die Hände der<br />

Stadtbau GmbH – ein städtisches Tochterunternehmen.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten stadtplanerische<br />

Betonköpfe in dieser Gegend mehr<br />

Schaden angerichtet, als der Zweite Weltkrieg<br />

im gesamten Stadtgebiet.<br />

Knapp zwanzig Jahre vergingen, der weiße<br />

Fleck blieb ungenutzt bestehen und die planlose<br />

Zerstörungswut der Stadt nahm neue<br />

Formen an. In den, zwar wechselnden, aber<br />

nicht dazulernenden, Köpfen der Stadtspitze<br />

reifte die Idee, eine Stadthalle zu erbauen.<br />

Dazu sollte das Parkhotel Maximilian und nebenstehende<br />

Gebäude abgerissen werden.<br />

Denkmalschützer und Bürger konnten diesem<br />

Wahnsinn im Jahre 1973 Einhalt gebieten. Bald<br />

wurde der Arnulfsplatz das Objekt der Stadthallen-Begierde.<br />

Rasch baute die Verwaltung<br />

eine Tiefgarage, den Abbruch einiger Häuser<br />

(darunter das heutige Velodrom) konnten die<br />

Bürger Regensburgs jedoch erneut verhindern.<br />

Etwa zeitgleich rückte der Donaumarkt<br />

als Areal für eine Stadthalle in den Fokus<br />

des Interesses. Ein Architekten-Wettbewerb<br />

wurde ausgelobt. Ein dänisches Büro, das den<br />

Vorschlag unterbreitete, eine Art Stadtmauer<br />

um den Donaumarkt zu ziehen und das Gebiet<br />

dadurch völlig abzuschotten, gewann<br />

den Wettstreit. Wieder waren es die Bürger,<br />

die dieses Projekt kippten; diesmal durch die<br />

Wahl der neuen Oberbürgermeisterin Christa<br />

Meier. 1996, als OB Hans Schaidinger den<br />

Rathaussessel eroberte, flammte die Diskussion<br />

„Stadthalle am Donaumarkt“ erneut auf.<br />

Diesmal schien zunächst dieses Projekt mehrheitsfähig.<br />

Doch eine arrogante und grottenschlechte<br />

Kommunikationspolitik, verknüpft<br />

mit einer peinlich-dummen Werbekampagne<br />

zerstörte den bürgerlichen Konsens erneut<br />

und bekam postwendend ihre Quittung: In<br />

mehreren Bürgerbegehren stoppten die <strong>Regensburger</strong><br />

das ambitionierte Projekt.<br />

Seither herrscht am Donaumarkt neben<br />

offensichtlicher Plan- auch noch Hilflosigkeit.<br />

Diskutiert werden Ideen, doch eine Stadthalle<br />

zu errichten, die Fläche im ursprünglichen<br />

Sinn mit kleinteiligen Gebäuden neu aufleben<br />

zu lassen oder das Areal in Künstlerhände<br />

zu geben und es deren kreativen Ergüssen<br />

anzuvertrauen. Etwas konkreter, aber längst<br />

nicht gewiss, scheint der Plan, eine luxuriöse<br />

Wohnbebauung auf dem Donaumarkt hochzuziehen.<br />

Bei der Erforschung des Untergrundes<br />

für letzten Zweck sind Archäologen kürzlich<br />

auf Überreste aus der Römerzeit gestoßen, die<br />

wohl auf eine Waffenschmiede hinweisen. Wieder<br />

ein Stück Geschichte, das früher oder später<br />

dem Erdboden gleich gemacht werden wird.<br />

Genauso wie das geballte Leben, das einst in<br />

der Ostnerwacht pulsierte. (Nicole Seidinger)<br />

Das Ausmaß der Zerstörung belegen die weißen Flecken auf<br />

der Karte. Bildnachweis: Peter Eiser (unter Verwendung amtl. Unterlagen)<br />

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Nachgefragt august | September 2010<br />

Die oase DeR RuHe<br />

Den hektischen Alltag hinter sich lassen und in die faszinierende Welt des Nepal-<br />

Himalaya-Pavillons inmitten der Hügel des Bayerischen Waldes eintauchen.<br />

Symbol für den Frieden: Eine buddhistische Stupa (runder Teil) und ein hinduistischer Pagodentempel (eckiger Teil)<br />

verbinden die Religionen der Hindus und der Buddhisten.<br />

Was? Schon so spät? Jetzt aber<br />

schnell umziehen, Tasche packen,<br />

rein ins pralle Leben. Radfahrer flitzen<br />

an den Autos vorbei, Menschen drängen<br />

sich entlang der Straßen. Der Arber<br />

Radmarathon zieht tausende Besucher an.<br />

Parkplatz? Fehlanzeige! Rasch stehen bleiben,<br />

ein paar Fotos knipsen. Mist – Akku<br />

leer! Autofahrer werden ungeduldig, hupen.<br />

Weiter, irgendwo umdrehen, in nervenaufreibender<br />

Schrittgeschwindigkeit Richtung<br />

Autobahn und mit Vollgas drüber. Wiesent<br />

runter, immer den Wegweisern nach, Parkplatz<br />

suchen. Nur noch zwei? Immerhin. Zü-<br />

gig aussteigen, vorbei an Pärchen, Familien,<br />

zum Eingang. Ein herrlich geschnitzter Torbogen<br />

zieht den Blick auf sich, bunte Pflanzen<br />

laden ein, eine leichte Brise erfrischt und<br />

es herrscht… absolute Ruhe.<br />

Die unendliche artenvielfalt der Flora<br />

Als wäre die Zeit stehen geblieben schlendern<br />

die Besucher bedächtig durch das 20<br />

Hektar große Areal. Buddhafiguren und<br />

Skulpturen hinduistischer Götter begleiten<br />

die Menschen entlang des Weges. Düfte<br />

bitten beinahe darum, stehen zu bleiben<br />

und die zauberhaften Blüten seltener Ge-<br />

„Wasser für die Welt“: Das Ehepaar Margit und Heribert<br />

Wirth haben im Juni dieses Jahres das Bundesverdienstkreuz<br />

für ihr Engagement in Entwicklungsländern bekommen.<br />

wächse zu bestaunen. Weit mehr als 3.200<br />

verschiedene Pflanzenarten, darunter über<br />

tausend direkt aus dem Himalaya, machen<br />

das Gelände zu einem botanischen Garten<br />

mit weltweitem Seltenheitswert. Ein „Seed-<br />

Hunter“, ein Samensammler, der auf 4.000<br />

Metern im Himalayagebirge lebt, bereichert<br />

die einzigartige Anlage regelmäßig mit den<br />

kostbaren Samen. Einige haben Margit und<br />

Heribert Wirth, die das Gebiet in Wiesent<br />

vor sieben Jahren erworben haben, selbst<br />

mitgebracht. Nach einer ganz bestimmten<br />

Primel hat der Hobbybotaniker sogar fünf<br />

Jahre lang gesucht. Verständlich, dass es<br />

ihn mit einer großen Freude erfüllt, diese<br />

grünen Geschöpfe in hiesigen Breitengraden<br />

durchzubringen und zu sehen wie sie<br />

dem eigentlichen Herzstück des Parks, dem<br />

nepalesischen Pavillon, nach und nach ein<br />

immer schöneres Zuhause bescheren.<br />

Die spannende Reise des tempels<br />

Drei Jahre lang haben 850 nepalesische<br />

Schnitzerfamilien an dem Pavillon gearbeitet<br />

und damit ein Kunstwerk geschaffen, das<br />

anmutiger kaum wirken kann. Für die Expo,<br />

die im Jahre 2000 in Hannover ausgetragen<br />

wurde, haben die Handwerker dieses 40 mal<br />

40 Meter große und 23 Meter hohe Kulturgut<br />

geschaffen. Über 2.000 Schnitzarbeiten<br />

erzählen Geschichten aus dem Buddhismus,<br />

sie zeigen aber ebenso die Mythologie des<br />

Hinduismus auf. Als „Tempel der Ruhe“ sollte<br />

dieses Meisterwerk die Botschaft Nepals<br />

„Harmonie, Frieden und Toleranz“ in die Welt<br />

tragen. Ein Ansinnen, das Heribert Wirth<br />

schließlich dazu brachte, den Tempel zu er-<br />

16 Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong>


august | September 2010 Nachgefragt<br />

werben. „Mich hat es fasziniert, dass sich ein<br />

kleines Volk wie die Nepalesen Gedanken<br />

über Toleranz machen. In diesem Prachtstück<br />

haben sie die ältesten und schönsten<br />

Elemente nepalesischer Tempelbauten und<br />

die Religionen ihres Landes, den Hinduismus<br />

und den Buddhismus, miteinander vereint.<br />

Als nach der Expo zur Diskussion stand,<br />

den Tempel in einem zoologischen Garten<br />

für die Affen aufzustellen, habe ich ihn gekauft.<br />

Der Pavillon brauchte einen Platz, den<br />

er verdient.“ - und zwar rasch. Das 480 Tonnen<br />

schwere Kunstwerk war auf der Expo<br />

bei Regen abgebaut und luftdicht verpackt<br />

worden. Das 30 Jahre alte Saal-Holz, aus<br />

dem der Tempel geschnitzt wurde, drohte<br />

zu verschimmeln, wenn er nicht bald wieder<br />

aufgebaut werden konnte. Für das Ehepaar<br />

Wirth war klar, dass sie nach einem Gebiet<br />

suchen mussten, das eingezäunt werden<br />

und zudem für die Öffentlichkeit zugänglich<br />

sein konnte. Ein ehemaliger Steinbruch in<br />

einem Landschaftsschutzgebiet bei Wiesent<br />

schien perfekt zu sein, doch die Behörden<br />

haben Wirths Plan, neben dem Pavillon auch<br />

sein Wohnhaus auf dem Areal zu errichten,<br />

beanstandet. Um den immer noch gelagerten<br />

Tempel nicht dem Schimmelpilzbefall<br />

auszuliefern, hat der <strong>Regensburger</strong> Unternehmer<br />

sogar angedacht, das nepalesische<br />

Kunstwerk wieder zu verkaufen. Doch letztlich<br />

gingen die Pläne, wenn auch leicht abgeändert,<br />

durch und er konnte sich seinen<br />

Traum erfüllen, eine internationale Begegnungsstätte<br />

für Menschen zu schaffen, die<br />

anderen, nämlich besitzlosen Menschen in<br />

der Dritten Welt, helfen wollen. Das Ehepaar<br />

Wirth konnte den Nepal-Himalaya-Pavillon<br />

im Juli 2003 eröffnen.<br />

Das soziale engagement des<br />

unternehmers<br />

Margit und Heribert Wirth empfangen die<br />

Besucher ihrer Kultstätte persönlich und<br />

sind an den Öffnungstagen (sonntags von<br />

13 bis 17 Uhr und montags von 14 bis 17 Uhr)<br />

stets vor Ort. Gerade der Unternehmer sitzt<br />

gerne an der Kasse und denkt bei jedem Eintritt<br />

(5 Euro) daran, dass der zahlende Gast<br />

soeben einem bedürftigen Kind Ernährung<br />

und Bildung für eine halbe Woche ermöglicht<br />

hat. Jeder Cent, den der Park einbringt,<br />

geht an die bereits 1986 von dem Ehepaar<br />

ins Leben gerufene Stiftung „Wasser für die<br />

Welt“. Zweck ist, Wasser zur Versorgung der<br />

Bevölkerung und zur Förderung der Landwirtschaft<br />

zu suchen und aufzubereiten.<br />

Dabei orientiert sich die Stiftung an dem<br />

Prinzip der Nachhaltigkeit und der Hilfe zur<br />

Selbsthilfe. Auch investiert „Wasser für die<br />

Welt“ in die Ausbildung Notleidender, damit<br />

sie ihre Wasserversorgung selbst in die Hand<br />

nehmen können. Zahlreiche Projekte in Brasilien,<br />

Nicaragua, Äthiopien, Palästina, Kenia,<br />

Namibia, Uganda, auf den Philippinen und<br />

in Nepal, kurz in den Kontinenten Afrika, Asien<br />

und Südamerika, konnten bereits auf den<br />

Weg gebracht werden. Trotz dieser enormen<br />

Hilfe bekennt sich Wirth bescheiden:<br />

Die <strong>Regensburger</strong> <strong>Stadtzeitung</strong><br />

„Nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern die<br />

Idee.“ - eine wahrlich hilfreiche Idee.<br />

Der meditative gesang für Freiheit<br />

Am Samstagabend, bevor die RSZ den<br />

Nepal-Himalaya-Pavillon besuchen durfte,<br />

hatte das Ehepaar Wirth neben zahlreichen<br />

geschätzten Persönlichkeiten aus Politik und<br />

Wirtschaft einen ganz besonderen Gast geladen,<br />

die buddhistische Nonne Ani Choying<br />

Drolma. Wenn der Dalai Lama auf Reisen<br />

geht, obliegt ihr die Ehre, das Publikum mit<br />

meditativem Gesang auf Seine Heiligkeit einzustimmen.<br />

„Beim Singen und mit ihm, dem<br />

großen weisen Mann, zusammen zu sein, ist<br />

ein Kompliment für mich, es erfüllt mich mit<br />

einer tiefen Zufriedenheit.“ Dieses Gefühlt<br />

trägt die Nonne jedoch schon immer in ihrem<br />

Herzen. Als sie 13 Jahre alt war, hat sie<br />

sich entschlossen, ihr Leben voll und ganz<br />

dem Buddhismus hinzugeben. Die Meditation<br />

hat sie gelehrt, ihren Verstand mit ihrem<br />

Herzen zu verbinden, tief in sich zu ruhen<br />

und darin unendliches Glück zu empfinden.<br />

Und die Meditation hat ihr dabei geholfen,<br />

ihre Gabe, den Gesang, einzusetzen.<br />

Sie wurde immer erfolgreicher, konnte Geld<br />

verdienen und eigene Projekte aufbauen.<br />

Mittlerweile führt die bemerkenswerte Frau<br />

die Arya Tara School in Kathmandu, eine<br />

Schule für Waisen- und Straßenkinder, ermöglicht<br />

ihnen Bildung und bereitet sie auf<br />

das Leben vor. „Mein Traum war schon immer,<br />

dass Mädchen und Frauen die gleichen<br />

Möglichkeiten offen stehen wie Männern.<br />

Im Kloster erhalten sie eine Ausbildung. Es<br />

ist wunderbar, die Freiheit zu haben, das tun<br />

zu können, was ich will.“ Wenn die Mädchen<br />

alt genug sind, steht ihnen frei zu entscheiden,<br />

ob sie bleiben oder eine Ehe schließen<br />

möchten. Scherzhaft berichtet sie, dass sie<br />

jedoch froh ist wenn die jungen Erwachsenen<br />

die Einrichtung verlassen. Dadurch<br />

kann sie weitere Kinder aufnehmen. Ein paar<br />

ihrer Schützlinge haben sich zu einer Band<br />

zusammengeschlossen, der ersten Frauenband<br />

in Nepal. Mithilfe von dem Ehepaar<br />

Wirth konnte nun sogar eine CD produziert<br />

werden. Der Erlös daraus und auch der des<br />

Buches „Ich singe für die Freiheit“ von Ani<br />

Choying Drolma fließt zum einen in den Unterhalt<br />

des Klosters und zum anderen in den<br />

Neubau eines Kinderkrankenhauses. Dass sie<br />

das Projekt ermöglichen kann, steht für die<br />

beeindruckende Frau außer Frage. „Ich bin<br />

eine Kämpferin. Und meine Waffen heißen<br />

Liebe und Mitgefühl. Mit Spiritualität kann<br />

jeder alles schaffen. Denn es ist keine Frage<br />

der Religion, sondern eine Frage des reinen<br />

Herzens.“ (Nicole Seidinger)<br />

Informationen<br />

Zum Nepal-Himalaya-Pavillon:<br />

www.nepal-himalaya-pavillon.de<br />

Zu Ani Choying Drolma: www.choying.com<br />

Zur Schule in Kathmandu: www.arya-tara.ch<br />

Spiritualität: Ani Choying Drolmas Buch „Ich singe für die<br />

Freiheit“ ist für 18,95 Euro im Buchhandel erhältlich.<br />

Die Schlangengöttin: Im indischen Volksglauben<br />

schützt die Schlangengöttin Manasa die Menschen vor<br />

Giftschlangen.<br />

Friedensglocke: Diese Glocke läutet man dreimal: einmal<br />

für sich, einmal für die Mitmenschen und einmal für den<br />

Frieden in der Welt.<br />

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