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Franz Kafkas Sprachen und Identitäten. - Bohemicum Regensburg ...

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Erschienen in: M. Nekula – W. Koschmal (Hg.), Juden zwischen Deutschen <strong>und</strong><br />

Tschechen (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 104). München:<br />

Oldenbourg 2006, VII-X, 125-150.<br />

VORWORT<br />

Juden zwischen Deutschen <strong>und</strong> Tschechen?<br />

Der Titel des vorliegenden Sammelbandes wirft gleich mehrere Fragen auf.<br />

Eine scheint ganz zentral zu sein: Ob <strong>und</strong> inwieweit ist die sprachliche bzw.<br />

sprachnationale Identität, die durch Kategorien wie „Deutscher“ <strong>und</strong> „Tscheche“<br />

zumindest im ausgehenden 19. <strong>und</strong> beginnenden 20. Jahrh<strong>und</strong>ert evoziert<br />

wird, auch für die Juden in den böhmischen Ländern <strong>und</strong> insbesondere<br />

in Prag relevant? Die Feststellung, dass sich der Zionismus an den mitteleuropäischen<br />

Kulturtraditionen orientiert <strong>und</strong> Sprache im Zionismus eine wesentliche<br />

Rolle bei der Identitätsfindung <strong>und</strong> Nationsbildung spielt, erklärt dies für<br />

sich allein noch nicht, auch wenn weder Jiddisch noch Hebräisch in den böhmischen<br />

Ländern der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts oder später in der<br />

Tschechoslowakei verbreitete Verkehrssprachen waren. Auch eine zweite Frage,<br />

die nach der Stellung der Juden im Zwischenraum zwischen „Deutschen“<br />

<strong>und</strong> „Tschechen“, bleibt damit ohne Antwort.<br />

Die Sprache des Einzelnen sowie die Sprachnation als Ganze wurden seit<br />

der Romantik als ein natürlich gewachsener <strong>und</strong> den Geist bzw. die Mentalität<br />

bestimmender Organismus verstanden. Dieser konnte durch „Fremdkörper“<br />

gestört, „infiziert“ oder gar zerstört werden. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> treten<br />

die Strategien, die das „Ausstoßen“ der Juden aus dem sprachnationalen<br />

„Körper“ „begründen“ sollten, besonders deutlich hervor. Die „Verbannung“<br />

in den Zwischenraum erfolgt unter dem Vorwand der sprachlichen Inkompetenz<br />

oder Teilkompetenz, die quasi die mentale sowie „rassische“ Nichtzugehörigkeit<br />

signalisiere. Dieser Vorwand wurde selbst dort hartnäckig benutzt,<br />

wo kein „jüdischer“ Akzent festgestellt werden konnte. In Wahrheit diente er<br />

als vorgeschobene Begründung für Antisemitismus. Diese bis heute gerne gewählte<br />

Strategie kommentiert <strong>Franz</strong> Kafka ironisch in Bezug auf sich selbst:<br />

„[…] nach dem Essen fängt er wieder den Klang meines Deutsch zu bezweifeln<br />

an, vielleicht zweifelt übrigens mehr das Auge als das Ohr. Nun kann ich<br />

das mit meinem Judentum zu erklären versuchen. Wissenschaftlich ist er jetzt<br />

zwar zufriedengestellt, aber menschlich nicht.“ (<strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod,<br />

10. April 1920).


VIII<br />

Vorwort<br />

Damit erscheint die Position zwischen den zwei Sprachkulturen „Deutsch“<br />

<strong>und</strong> „Tschechisch“ zunächst als eine von außen aufgezwungene Identität, als<br />

ein Zwischenraum, auf den die Juden nach dem Fall der Ghettomauern um<br />

die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von den beiden dominanten Sprachnationen<br />

festgelegt wurden. Denn weder die eine noch die andere war bereit, die Juden<br />

zu integrieren <strong>und</strong> ordnete sie jeweils der anderen Sprachkultur zu. Ende des<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>erts begann durch gesetzliche Maßnahmen die erzwungene Hinführung<br />

der Juden zum Deutschen <strong>und</strong> dauerte Jahrzehnte fort. Der Zwang<br />

ließ sich auch als Chance verstehen. Ein Großteil der Juden assimilierte sich<br />

so dauerhaft in Richtung deutscher Sprache <strong>und</strong> Kultur. Doch waren sie nach<br />

den sie betreffenden Liberalisierungen der Jahre 1849 <strong>und</strong> 1867 mit der Ausgrenzung<br />

in einen Zwischenraum konfrontiert. Sie erkannten früh, dass man<br />

diesen Zwischenraum entweder erhalten oder sich vollständig assimilieren muss.<br />

Damit war man der später einsetzenden <strong>und</strong> etwas blauäugigen tschechojüdischen<br />

Bewegung voraus, die den deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt<br />

in die jüdische Gemeinde hineintrug. Die sprachliche <strong>und</strong> soziale Assimilation,<br />

die bereits weitgehend abgeschlossen war, schloss häufig auch die religiöse<br />

mit ein.<br />

Nicht zufällig reflektieren Max Brod <strong>und</strong> <strong>Franz</strong> Kafka die Zeit des beginnenden<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> den damals politisch <strong>und</strong> sozial ausgetragenen<br />

<strong>Sprachen</strong>kampf mit der Metaphorik der babylonischen <strong>Sprachen</strong>verwirrung.<br />

Da dieser andere Identitätsmerkmale <strong>und</strong> Werte so sehr dominiert, wird in der<br />

Babylonisierung des öffentlichen Lebens – im extremen, selbst kleinste Details<br />

beherrschenden Nationalismus – der zentrale Konflikt der Zukunft erkannt.<br />

Während aber <strong>Franz</strong> Kafka unter dieser sprachnationalen Babylonisierung litt<br />

<strong>und</strong> sie mit Motiven wie Scheitern <strong>und</strong> Selbstmord verband, bewerteten selbst<br />

viele Juden den Zwischenraum positiv. Diese konnten sich mit der Rolle als<br />

„Mittler“, als Brücke zwischen <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> Kulturen identifizieren. Dies gilt<br />

vor allem für viele Prager deutsche Schriftsteller, die etwa in Leipzig oder Berlin<br />

als Mittler zwischen West <strong>und</strong> Ost, Deutschen <strong>und</strong> Slaven verstanden<br />

wurden <strong>und</strong> sich auch als solche hervortaten. Die Brückenfunktion gehört<br />

auch zum eigenen Selbstverständnis der Prager Juden <strong>und</strong> spielt bereits bei<br />

Siegfried Kapper oder in der tschecho-jüdischen Bewegung eine wichtige Rolle.<br />

Als Theodor Lessing, Autor des seinerzeit berühmten <strong>und</strong> von Max Brod<br />

in seinen späten Jahren geschätzten Buches über den jüdischen Selbsthass, in<br />

den 20er Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts in Prag einen Vortrag mit dem Titel<br />

„Juden als Brücke zwischen West <strong>und</strong> Ost“ hielt, wurde dieser – will man dem<br />

„Prager Tagblatt“ glauben – von etwa zweitausend Zuhörern besucht. Nicht<br />

allein, aber auch diese Mittlerrolle ließ die Juden der böhmischen Länder<br />

schließlich in den Schatten der miteinander konkurrierenden <strong>und</strong> doch so nahen<br />

deutschen <strong>und</strong> tschechischen Kulturen treten.


Vorwort IX<br />

Die Assimilationsbewegungen in beide Richtungen <strong>und</strong> die Stellung zwischen<br />

den beiden Sprachkulturen spiegeln die intellektuelle Bandbreite <strong>und</strong> die<br />

Konzepte jüdischer Selbstfindung dieser Zeit nur unvollständig wider. <strong>Franz</strong><br />

Kafka reflektiert durch seine Weigerung, nur eine einzige sprachkulturelle<br />

Identität anzunehmen <strong>und</strong> sich auf nur eine Sprache <strong>und</strong> Kultur reduzieren zu<br />

lassen, die Diaspora-Diskussion seiner Zeit mustergültig, auch wenn bei ihm<br />

die positive Bewertung der Diaspora – wie sie etwa der „Liberale“ Anton Kuh<br />

formuliert – fehlt. Max Brod steht seinerseits für den aktivistischen Zionismus,<br />

der sich sowohl gegen den (bourgeoisen) Assimilationismus als auch gegen<br />

die transkulturelle (liberale) Diaspora-Identität stellt. In seinem Essay „Juden,<br />

Deutsche, Tschechen“ (geschrieben im Juli 1918, hrsg. 1920) hat er die<br />

Werte des Dazwischenseins durchaus verinnerlicht. Jiří/Georg Mordechaj<br />

Langer hingegen kann als Repräsentant eines tief religiösen Judentums angesehen<br />

werden. Langer grenzt sich dabei aber keinesfalls kulturell ab, sondern<br />

schöpft aus allen ihm zur Verfügung stehenden Kulturen, der jüdischen, deutschen<br />

<strong>und</strong> tschechischen. Er schreibt in mehreren <strong>Sprachen</strong>, auf Tschechisch,<br />

Deutsch <strong>und</strong> Hebräisch, <strong>und</strong> wirkt somit – transkulturell – über die <strong>Sprachen</strong><br />

<strong>und</strong> Kulturen hinweg. Die Sprache bleibt dabei wesentliches Kriterium der<br />

Kultur.<br />

Der vorliegende Band, der auf die Tagung „Juden zwischen Deutschen<br />

<strong>und</strong> Tschechen“ zurückgeht, die im April 2003 an der Universität <strong>Regensburg</strong><br />

stattfand, kann dem umfassenden Thema nur zum Teil gerecht werden. Das<br />

nationale <strong>und</strong> soziale Gefüge in Böhmen <strong>und</strong> Prag mit seinen Wertsystemen<br />

<strong>und</strong> Dominanten veränderte sich im Laufe der Zeit. Den an die Sprache geb<strong>und</strong>enen<br />

Identitätswandel seit Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts (Václav Maidl) bis<br />

in die 30er Jahre des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts skizzieren v. a. die historisch ausgerichteten<br />

Beiträge zum Alltag jüdischer Familien (Wilma Iggers, Hans-Gerd<br />

Koch), zum Leben der jüdischen bzw. deutschjüdischen Studenten in Prag<br />

(Josef Čermák, Jiří Pešek) oder zum Vereinswesen <strong>und</strong> zu den für das Judentum<br />

relevanten politischen Parteien (Kateřina Čapková, Helena Krejčová).<br />

Sprache <strong>und</strong> Literatur kommt bei den jüdischen Selbstentwürfen im Kontext<br />

der Habsburgermonarchie eine besondere Rolle zu. Doch nicht allein die<br />

Sprache sollte Identität stiften: Im Prag der Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>und</strong> der ersten<br />

Jahrzehnte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts gewannen die religiöse Identität <strong>und</strong> der Zionismus<br />

zunehmend an Bedeutung. In diesem weit gefassten Spannungsfeld, d.<br />

h. bei ihren Versuchen, dieses ästhetisch zu reflektieren, zu meiden oder zu<br />

überwinden, werden auch die Prager Dichter – <strong>Franz</strong> Kafka (Marek Nekula,<br />

Benno Wagner), Max Brod (Hans Dieter Zimmermann, Barbora Šrámková),<br />

Jiří/Georg Mordechaj Langer (Walter Koschmal, Milan Tvrdík) – betrachtet.<br />

Dabei werden sie auch im weiteren Kontext der deutschsprachigen Literatur<br />

<strong>und</strong> Kultur in Böhmen (Anthony Northey, Jürgen Serke) <strong>und</strong> des – besonders


X<br />

Vorwort<br />

in Mitteleuropa intensiv geführten – Diskurses über die Diaspora (Andreas B.<br />

Kilcher) verankert.<br />

Die Herausgeber sehen sich zu vielfältigem Dank verpflichtet <strong>und</strong> statten<br />

diesen gerne ab: der Universitätsstiftung Hans Vielberth <strong>und</strong> der Robert<br />

Bosch Stiftung für die großzügige Förderung der Tagung, der Robert Bosch<br />

Stiftung, dem Osteuropainstitut <strong>Regensburg</strong>-Passau <strong>und</strong> dem Collegium Carolinum<br />

(München) für das Entgegenkommen bei der Publikation des Bandes,<br />

Kristina Kallert <strong>und</strong> Sebastian Mancuso für die tatkräftige Unterstützung bei<br />

der Redaktion der Beiträge, den Autoren für die erfreuliche Kooperation.<br />

Die Herausgeber


Marek Nekula<br />

FRANZ KAFKAS SPRACHEN UND IDENTITÄTEN<br />

Die Frage nach der sprachlichen Identität <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> wurde von seinen<br />

Zeitgenossen, die – wie wir sehen werden – mit der Literatur wenig zu tun<br />

hatten, <strong>und</strong> auch später im Rahmen der Germanistik, immer wieder aufgeworfen.<br />

Doch es scheint mir, dass man an der Oberfläche bleibt, wenn man die<br />

von außen gegebene <strong>und</strong> nach außen getragene Identität – etwa im Hinblick<br />

auf Volkszählungen, auf die die Kafka-Forschung immer wieder eingeht – zu<br />

sehr betont. Daher möchte ich eine Art Blick nach innen <strong>und</strong> von innen versuchen.<br />

Denn je länger man sich mit <strong>Franz</strong> Kafka befasst, desto unangebrachter<br />

erscheint es, jemandes Identität, die nicht allein <strong>Kafkas</strong> Zeitgenossen über<br />

die Sprache zu verstehen pflegten, in eine triviale Formel zu gießen, die sich<br />

Kategorisierungen bedient wie etwa „deutscher Schriftsteller“, „tschechischer<br />

Schriftsteller deutscher Sprache“ oder – wie es über <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> Eltern heißt<br />

– „tschechischer Jude“ <strong>und</strong> „deutsche Jüdin“.<br />

Diese sprachnationale Polarisierung in Böhmen zu <strong>Kafkas</strong> Lebzeiten, in<br />

der für andere, sprachlich nicht abgrenzbare Ethnien wenig Platz übrig blieb,<br />

kommt im folgenden Kafka-Zitat sehr wohl reflektiert zum Ausdruck:<br />

[…] Nach den ersten Worten kam hervor, daß ich aus Prag bin; beide, der General (dem<br />

ich gegenüber saß) <strong>und</strong> der Oberst kannten Prag. Ein Tscheche? Nein. Erkläre nun in diese<br />

treuen deutschen militärischen Augen, was Du eigentlich bist. Irgendeiner sagt:<br />

,Deutschböhme‘, ein anderer: ,Kleinseite‘. Dann legt sich das Ganze <strong>und</strong> man ißt weiter,<br />

aber der General mit seinem scharfen, im österreichischen Heer philologisch geschulten<br />

Ohr ist nicht zufrieden, nach dem Essen fängt er wieder den Klang meines Deutsch zu bezweifeln<br />

an, vielleicht zweifelt übrigens mehr das Auge als das Ohr. Nun kann ich das mit<br />

meinem Judentum zu erklären versuchen. Wissenschaftlich ist er jetzt zwar zufriedengestellt,<br />

aber menschlich nicht. 1<br />

Die sprachnationale Polarität in Böhmen wird hier deutlich sichtbar: einerseits<br />

die Tschechen, andererseits die Deutschen bzw. Deutschböhmen. Für andere<br />

nationale Gruppen gab es in der an der Sprache orientierten Wahrnehmung<br />

zunächst keinen Platz, da in Böhmen – auch wenn die Gesetzgebung dies<br />

verhindern sollte – vor allem die Sprache bzw. die (uneingeschränkte <strong>und</strong> eingeschränkte)<br />

Sprachkompetenz oder -inkompetenz über die nationale bzw.<br />

1 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, 10. April 1920. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 272f.).


126<br />

Marek Nekula<br />

sprachnationale Zugehörigkeit entschied. Im Falle der Juden diente sie dabei<br />

meist zu deren Ausgrenzung aus dem deutschen oder tschechischen „nationalen<br />

Körper“. Noch deutlicher formuliert: Die eingeschränkte Kompetenz in<br />

der einen oder der anderen Sprache konnte die entsprechende sprachnationale<br />

Nichtzugehörigkeit zur sprachlich verstandenen Nation „verraten“. Denn die<br />

durch Sprache geprägten Etiketten wurden nicht nur von außen vergeben,<br />

sondern auch schützend nach außen getragen, etwa in der Angabe der Umgangssprache<br />

bei Volkszählungen, in der Angabe der Muttersprache in der<br />

Schule oder auf dem Amt, bei der Wahl der Sprache in der Kommunikation<br />

oder bei der Verwendung der Personennamen in der öffentlichen Kommunikation<br />

usw. Etwas privaterer Natur waren kulturelle Aktivitäten, Wahl der<br />

Schule, Ausübung der Religion, bei denen auch die Sprache eine Rolle spielte.<br />

Die öffentliche <strong>und</strong> die private Sphäre, ihre Übereinstimmung <strong>und</strong> ihre<br />

Widersprüche, wurden damals des Öfteren argwöhnisch beäugt <strong>und</strong> die nach<br />

außen getragene sprachliche Identität von außen nicht selten als eine Scheinidentität<br />

diffamiert. Daher ließen sich nicht wenige Prager Juden in dieser Zeit<br />

ihre Zeitung in einem festen Umschlag zuschicken <strong>und</strong> bedienten sich auch<br />

anderer Abwehrstrategien. 2<br />

Ganz nebenbei wird in dem oben angeführten Zitat auch das Weiterbestehen<br />

des „unsichtbaren“ Ghettos deutlich, besser gesagt, die Tatsache, dass<br />

man die Existenz der großen jüdischen Enklave in Prag nicht wahrhaben<br />

wollte bzw. diese einer – in der Regel der jeweils anderen – sprachnationalen<br />

Gruppe zurechnen wollte.<br />

Einem ähnlichen Blick von außen, bei dem die sprachliche Kategorisierung im<br />

Vordergr<strong>und</strong> steht, kann man bei der Erforschung von <strong>Franz</strong> Kafka auch in<br />

der Germanistik begegnen.<br />

So wollen zum Beispiel Klaus Wagenbach <strong>und</strong> die Prager Germanistik der<br />

60er Jahre wissen, dass <strong>Kafkas</strong> Vater, Hermann Kafka, ein „tschechischer Jude“<br />

gewesen sei, 3 der „aus dem tschechisch-jüdischen Provinzproletariat“<br />

stammte <strong>und</strong> dessen tschechische Herkunft auch sein Nachname belegte. Die<br />

Etymologie des Namens „Kafka“ vom tschechischen „kavka“ mit der Bedeutung<br />

„Dohle“ wird dabei gar als Bestandteil der Familientradition gesehen, zu<br />

der sich auch das Emblem im Briefkopf des Geschäftsmannes „Heřman Kafka“<br />

bekennt. 4 Wagenbach behauptet sogar, dass Hermann Kafka dem Vorstand<br />

der etwa 1890 gegründeten Synagoge in der Heinrichsgasse angehörte,<br />

2 Vgl. Stölzl (1975).<br />

3 Wagenbach (1991: 17).<br />

4 Vgl. Wagenbach (1991: 17), ebenso Brod (1963: 7). – Nach Janouch (1981: 30)<br />

interpretiert auch <strong>Franz</strong> Kafka selbst seinen Namen auf diese Weise.


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 127<br />

der ersten Prager Synagoge, in der man auf Tschechisch gepredigt habe. 5 Auf<br />

das Tschechentum Hermann <strong>Kafkas</strong> verweisen Wagenbach zufolge indirekt<br />

auch zahlreiche Sprachfehler in den deutschen Briefen, die er im Jahre 1882<br />

an seine spätere Frau Julie adressierte. 6 Eduard Goldstücker behauptet gar,<br />

dass Hermann Kafka in einem rein tschechischen Umfeld aufwuchs <strong>und</strong> sein<br />

ganzes Leben lang Tschechisch besser beherrschte als Deutsch. 7 Über <strong>Franz</strong><br />

Kafka sagt Wagenbach:<br />

Als einziger [von den Prager deutschen Schriftstellern] sprach <strong>und</strong> schrieb er fast fehlerlos<br />

Tschechisch, als einziger wuchs er mitten in der Altstadt auf, an der Grenze zum damals<br />

noch als architektonische Einheit bestehenden Ghettobezirk. Niemals hat Kafka die enge<br />

Bindung zum tschechischen Volk verloren, niemals diese Atmosphäre seiner Jugend vergessen.<br />

8<br />

Und Goldstücker fügt hinzu, dass Kafka in dem Entwurf seines Schemas zur<br />

Charakteristik kleiner Literaturen, das sich mit tschechischer <strong>und</strong> jiddischer Literatur<br />

befasst, auf das volkstümliche geistige Erbe seiner Vorfahren zurückblickte.<br />

9 Gemeint ist hier das tschechische geistige Erbe, auch wenn sich Kafka<br />

(der Text bezieht sich auf Jizchak Löwy) eher mit dem jüdischen Erbe<br />

auseinandersetzte.<br />

Die Lebendigkeit der Überzeugung, dass Kafka im tschechischen Milieu<br />

aufgewachsen sei, belegt übrigens gerade in der tschechischen Germanistik<br />

auch die Übersetzung von Wagenbachs Buch ins Tschechische. Während Wagenbach<br />

über Hermann <strong>Kafkas</strong> Kinder- <strong>und</strong> Jugendzeit in Osek (Wossek)<br />

doch noch relativ vorsichtig formuliert, dass „dessen Umgangssprache damals<br />

eher tschechisch war“, 10 ist die tschechische Übersetzung dieser Stelle wesentlich<br />

entschiedener: „jehož mateřská řeč byla česká“ (dessen Muttersprache<br />

Tschechisch war). 11 Nach dieser Logik soll Kafka bereits in der Familie, durch<br />

den Vater <strong>und</strong> die Mutter, in einem zweisprachigen Umfeld gelebt <strong>und</strong> ausgezeichnet<br />

Tschechisch erlernt haben. Daher auch die Angabe des Deutschen<br />

<strong>und</strong> Tschechischen als „Muttersprache“ in der ersten <strong>und</strong> zweiten Klasse der<br />

Volksschule.<br />

Heute wissen wir, dass eine solche Argumentation sehr gewagt ist. So gab<br />

es z. B. in Prag zum genannten Zeitpunkt <strong>und</strong> an der genannten Stelle jene<br />

Synagoge, 12 die Wagenbach erwähnt, nicht. Ebenso wissen weder Familien-<br />

5 Wagenbach (1991: 16). — Vgl. Nekula (2003b: 4, 23–24).<br />

6 Vgl. Wagenbach (1964/1991: 16).<br />

7 Goldstücker (1964: 7).<br />

8 Wagenbach (1991: 17).<br />

9 Goldstücker (1964: 14f.).<br />

10 Wagenbach (1991: 16).<br />

11 Wagenbach (1993: 15).<br />

12 Vgl. Nekula (2002c).


128<br />

Marek Nekula<br />

mitglieder 13 noch der „Kalendář česko-židovský“ (Tschecho-jüdischer Kalender),<br />

der sonst auch kleine tschecho-jüdische Lesezirkel <strong>und</strong> Veranstaltungen<br />

auflistet, etwas von einem tschecho-jüdischen Engagement Hermann <strong>Kafkas</strong>,<br />

der Vorstandsmitglied der „tschechischen Synagoge“ gewesen sein soll. Stattdessen<br />

wird etwa zur selben Zeit – im Jahre 1889 – <strong>Franz</strong> Kafka in einer deutschen<br />

Volksschule eingeschult, auch wenn gerade die Schulausbildung in<br />

tschechischer Sprache das wohl wichtigste Anliegen der tschecho-jüdischen<br />

Bewegung war. Die behaupteten Sprachfehler in den Briefen Hermann <strong>Kafkas</strong><br />

sind wohl eher Regionalismen, die auch bei deutschen Muttersprachlern in<br />

Böhmen festzustellen sind, 14 die in geschriebenem Deutsch wenig Übung hatten.<br />

Im Übrigen hat Hermann Kafka in Osek eine deutsche Schule besucht<br />

<strong>und</strong> sich auch später vorwiegend des Deutschen bedient: beim Lesen der Zeitungen,<br />

im Gespräch mit seiner Frau <strong>und</strong> den Kindern, im Umkreis der Synagoge,<br />

wie etwa aus dem Protokoll der Generalversammlung der Zigeuner-<br />

Synagoge im Dezember 1893 hervorgeht, an der neben Anderen auch Hermann<br />

Kafka teilnahm. 15 So meint Julie Kafka über sich <strong>und</strong> ihren Mann:<br />

Ich, so auch der Vater, haben Sympathie für ihn [Josef David, den späteren tschechischen<br />

Ehemann von Ottla]; wenn er nur ein bißchen deutsch sprechen wollte; er spricht aber kein<br />

Wort, <strong>und</strong> obzwar wir böhmisch ziemlich gut sprechen, strengt es uns doch nur an, wenn<br />

man den ganzen Abend gezwungen ist, tschechisch zu sprechen. Vielleicht machst Du ihn<br />

darauf aufmerksam. 16<br />

Auch wenn sich also die Familie Kafka z. B. bei den Volkszählungen in den<br />

Jahren 1890, 1900 <strong>und</strong> 1910 nach außen zum Tschechischen als der praktizierten<br />

Umgangssprache – also nicht unbedingt der Muttersprache – bekannte, 17<br />

bleibt das Tschechische auf die Kommunikation mit dem Personal <strong>und</strong> auf<br />

das Geschäft beschränkt. Es ist eine Sprache, die man in der Familie eines<br />

Prager Geschäftsmannes aus praktischen Überlegungen erlernt, wie dies auch<br />

bei <strong>Franz</strong> Kafka der Fall war. Nichts mehr. Auf keinen Fall bedeutet eine solche<br />

Verwendung der Sprache ein nationales Bekenntnis, wofür bereits die<br />

Verwendungsdomäne spricht: Dienstboten <strong>und</strong> Personal sowie ein Teil der<br />

K<strong>und</strong>en im Geschäft. <strong>Kafkas</strong> angeblicher „Rückblick auf das volkstümliche<br />

geistige Erbe seiner Vorfahren“ in seiner Charakteristik kleiner Literaturen,<br />

das sich auf die jiddische <strong>und</strong> tschechische Literatur bezieht, ist im Übrigen<br />

äußerst kritisch <strong>und</strong> eher ablehnend. Keinesfalls schließt sich hier <strong>Franz</strong> Kafka<br />

ein, denn er sieht <strong>und</strong> beurteilt die Kunst, auch die tschechische, nicht nach<br />

13 Interviews mit Marianne Steiner (März 1998) <strong>und</strong> Věra Saudková (Oktober 1999,<br />

Februar 2000).<br />

14 Vgl. Nekula (2002b).<br />

15 Vgl. Nekula (2002c: 97).<br />

16 Zitat bei Binder (1969: 537).<br />

17 Vgl. Krolop (1968).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 129<br />

nationalen, sondern nach ästhetischen Kriterien: so im Falle der Denkmäler<br />

von Stanislav Suchardas Palacký <strong>und</strong> Ladislav Šalouns Hus einerseits sowie<br />

František Bíleks Hus andererseits. 18 Alle drei Bildhauer beziehen sich nämlich<br />

thematisch auf den damals lebendigen tschechischen nationalen Mythos, in<br />

dem vor allem Jan Hus die „demokratischen“ Werte verkörperte, in welchen<br />

etwa der Historiker František Palacký die Achse der tschechischen/böhmischen<br />

Geschichte sah, deren Ursprung er in der heidnischen Libussa-Zeit<br />

<strong>und</strong> deren Höhepunkt er im Hussitismus verortete. Für Kafka zählt jedoch<br />

etwas Anderes. Von den oben Genannten hat nur Bílek – so Kafka – ein<br />

Meisterwerk geschaffen. Kafka beurteilt also die Kunst nicht nach dem bis<br />

dahin üblichen nationalen Schlüssel, sondern aus ästhetischer Perspektive.<br />

Die oft bemühte Angabe Tschechisch neben Deutsch in den ersten zwei<br />

Klassen der Volksschule bezieht sich im Übrigen nicht auf die „Muttersprache“,<br />

sondern auf die „Umgangssprache“, d. h. auf die Kenntnis der Sprache<br />

<strong>und</strong> nicht auf das nationale Bekenntnis. Kaum kann man die Angabe eines<br />

sechs- bzw. siebenjährigen Jungen, der zum selben Zeitpunkt in der Familie<br />

im Zusammenhang mit der Volkszählung im Jahre 1890 eine Diskussion über<br />

die Wirkung solcher Angaben miterlebt haben dürfte, für ein verinnerlichtes<br />

sprachnationales Bekenntnis halten, wie dies immer noch getan wird, auch<br />

wenn eine solche Interpretation nach der damaligen österreichischen Gesetzgebung<br />

<strong>und</strong> Rechtspraxis unzulässig war. 19 Ab der 4. Klasse begegnen wir nur<br />

noch der Angabe „deutsch“, 20 was Kafka nicht daran hindert, jahrelang freiwillig<br />

den Tschechischunterricht zu besuchen.<br />

In einer deutschzentrierten Interpretation <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> blendet Hartmut Binder<br />

21 in seinem biographischen Überblick über <strong>Franz</strong> Kafka <strong>und</strong> seine Familie<br />

wiederum „tschechische“ Komponenten aus <strong>und</strong> vereinnahmt ihn so für die<br />

deutschsprachige Kultur. Hermann Kafka wird von Binder mit dem Etikett<br />

„deutscher Jude“ versehen, z. B. dort, wo er über <strong>Kafkas</strong> Mutter Julie sagt:<br />

„[sie ist] gleichfalls dem deutsch-jüdischen Bevölkerungsteil Böhmens zuzurechnen“.<br />

22 Zu verstehen als: ebenso wie der Vater, auch wenn Kafka in einem<br />

Brief an Brod vom „Deutschtum“ seiner Mutter nichts wissen will. Er<br />

schreibt ausdrücklich von ihren (d. h. <strong>Kafkas</strong> <strong>und</strong> Brods) „<strong>und</strong>eutschen Müttern“.<br />

23 Über den Vater Hermann Kafka heißt es bei Binder: „Seine Muttersprache<br />

war deutsch: Der Grabstein Jakob <strong>Kafkas</strong> trägt neben der hebräi-<br />

18 Vgl. Nekula (2002a).<br />

19 Vgl. Burger (1995).<br />

20 Vgl. Nekula (2000a).<br />

21 Vgl. Binder (1982).<br />

22 Binder (1982: 13) — Hervorhebung M. N.<br />

23 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, 6. Oktober 1917. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 178).


130<br />

Marek Nekula<br />

schen eine deutsche Inschrift“. 24 Binder verweist auch auf die deutsche Tradition<br />

der Familie, die er durch die Vornamen der Kinder von Jakob Kafka<br />

(Philip/Philipp, Anna, Heinrich, Hermann, Julie, Ludwig) bzw. Hermann<br />

Kafka (<strong>Franz</strong>, Georg, Heinrich, Gabriela, Valerie, Ottilie) bestätigt sieht 25 <strong>und</strong><br />

hebt hervor, dass Deutsch die Unterrichtssprache an jüdischen Schulen war,<br />

was sicherlich auch für Osek zutrifft. 26 Schließlich erklärt Binder auch die Etymologie<br />

des Familiennamens „Kafka“ anders, nämlich aus „kafke“, der angeblich<br />

niederdeutschen Diminutivform des Namens „Jakob“, die von aschkenasischen<br />

Juden verwendet worden sein soll. 27<br />

Auch mit dieser einseitigen Perspektive könnte man im Einzelnen polemisieren.<br />

Zumindest im Falle der Kinder des Großvaters Jakob gab es zu den deutschen<br />

Namen keine Alternative, genauso wie Jakob Kafka <strong>und</strong> seine Geschwister<br />

noch jüdische Registernamen bekommen mussten. Also sagt dies<br />

über die sprachliche bzw. die sprachnationale Orientierung gar nichts aus. Die<br />

deutsche Grabinschrift folgt der hebräischen, auch wenn Hebräisch von den<br />

Kindern Jakob <strong>Kafkas</strong> kaum beherrscht wurde, während Deutsch für sie vor<br />

allem als Statusmerkmal galt <strong>und</strong> kein nationales Bekenntnis darstellte. Gegen<br />

Binders Deutung des Namens Kafka hat bereits Pavel Trost 28 Argumente<br />

vorgebracht. Es gibt übrigens auch Etymologien, die in diesem Zusammenhang<br />

zu Recht mit dem Hebräischen arbeiten. Doch spielte das Tschechische<br />

in der Familie Kafka eine größere Rolle, als Binder denkt. In den deutschen<br />

Briefen Hermann <strong>Kafkas</strong> an Julie Löwy, verheiratete Kafka, aus dem Jahre<br />

1882 tauchen auch tschechische Anreden wie „Julinko“ (samt Vokativ <strong>und</strong><br />

Diminutiv) auf. 29<br />

24 Binder (1982: 13).<br />

25 Vgl. auch Northey (1988).<br />

26 Dies gilt auf jeden Fall bis 1848 bzw. 1849, denn danach konnten sich Juden „frei“<br />

entscheiden, ob sie eine deutsche Schule für ihre Kinder wählen wollten. Wesentlichere<br />

Änderungen im Ausbau des tschechischen Schulwesens, die für die freie Entscheidung<br />

der jüdischen Bevölkerung hinsichtlich der Schulen relevant waren (vor 1848 gab es in<br />

Osek (Ossek/Wossek) keine tschechische Schule), wurden allerdings erst in der zweiten<br />

Hälfte der 60er Jahre des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts umgesetzt, d. h. zu einer Zeit, in der<br />

Hermann Kafka seine Schulausbildung bereits abgeschlossen hatte. – Für eine deutsche<br />

Ausbildung Hermann <strong>Kafkas</strong> spricht mit Sicherheit die in den deutschen Schulen<br />

damals übliche „deutsche“ Kurrentschrift, die Hermann Kafka in seinen Briefen an<br />

Julie Löwy im Jahre 1882 benutzte, während in den tschechischen Schulen dieser Zeit<br />

die reformierte lateinische Schreibschrift verwendet wurde. Der Wechsel zur<br />

lateinischen Schreibschrift, die in dieser Form für das Tschechische im Prinzip bis<br />

heute verwendet wird, erfolgte in tschechischen Schulen bereits um das Jahr 1848. —<br />

Vgl. Nekula (2002b).<br />

27 Binder (1982: 31).<br />

28 Vgl. Trost (1983).<br />

29 Vgl. Nekula (2002b).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 131<br />

Nun haben solche von außen gegebenen oder nach außen getragenen Kategorisierungen<br />

mit der Realität nur wenig zu tun. So gilt Hermann Kafka bei Wagenbach<br />

auf Gr<strong>und</strong> der angeblich präferierten Sprache als „tschechischer Jude“,<br />

während die Mutter auf Gr<strong>und</strong> der Sprache als „deutsche Jüdin“ wahrgenommen<br />

wird. Sieht man sich aber die erhaltenen Texte an, sind von Hermann<br />

Kafka nur deutsche Texte erhalten geblieben, 30 während Julie Kafka<br />

nachweislich auch tschechische Brieftexte schrieb, die für das Personal bestimmt<br />

waren <strong>und</strong> in einem – akustisch jedenfalls – fehlerfreien Tschechisch<br />

geschrieben sind. Auch Julie Kafka redet im Übrigen ihre Töchter, mit denen<br />

sie sonst auf Deutsch kommuniziert, in den Briefen auf Tschechisch an, d. h.<br />

„Otilko“, „Ellinko“. 31<br />

Ich will aber an dieser Stelle deswegen nicht mutmaßen, dass sie auf Gr<strong>und</strong><br />

ihrer tschechischen Korrespondenz für eine Tschechin gehalten werden sollte,<br />

denn eine solche Annahme scheint mir bei der Familie eines jüdischen Geschäftsmannes<br />

im Böhmen des ausgehenden 19. <strong>und</strong> beginnenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

an der Realität vorbei zu gehen. Dagegen scheinen viele Germanisten<br />

eine gewisse Vorliebe für solche Fragestellungen zu haben, die aus meiner<br />

Perspektive beinahe als eine Art Fortsetzung des deutsch-tschechischen <strong>Sprachen</strong>kampfs<br />

mit anderen Mitteln verstanden werden kann.<br />

Mit diesem deutsch-tschechischen Gezerre um Sprache <strong>und</strong> Macht waren sowohl<br />

Max Brod als auch <strong>Franz</strong> Kafka unmittelbar konfrontiert <strong>und</strong> setzten<br />

sich damit intensiv auseinander. Anlässlich einer Reise durch die Schweiz im<br />

August 1911 notiert Max Brod in sein Reisetagebuch:<br />

Luzern gleicht einer von <strong>Franz</strong>osen eroberten deutschen Stadt. Es scheint, als sei das<br />

Deutschtum hier nicht anders in Rückgang als in Böhmen. Ist das etwa eine inhärierende<br />

Eigenschaft des Deutschtums? – Sogar das Wort ,Kursaal‘ klingt hier französisch. Es ist ja<br />

eines der wenigen Fremdworte, welche die <strong>Franz</strong>osen von uns bezogen haben. Das Kurhaus<br />

heißt also den <strong>Franz</strong>osen zu Liebe hier Kursaal. – Matin an allen Ecken, französische<br />

Bücher. 32<br />

Im Männerbad. Sehr überfüllt. Aufschriften in unregelmäßig vielen <strong>Sprachen</strong>. – Lösung der<br />

<strong>Sprachen</strong>frage in der Schweiz. Man verwirrt alles, so daß sich die Chauvinisten selbst nicht<br />

auskennen. Bald ist das Deutsche links, bald rechts, bald mit <strong>Franz</strong>ösisch oder Italienisch<br />

verb<strong>und</strong>en oder mit beiden oder selbst englisch, bald fehlt es. In Flüelen war das Verbieten<br />

30 Mit Ausnahme des tschechischen Briefes an die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt,<br />

den nach <strong>Kafkas</strong> Tod für <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> Eltern deren Schwiegersohn Josef David<br />

verfasst hat. Aufbewahrt in Literární archiv Památníku národního písemnictví<br />

[Literaturarchiv des Denkmals für Nationalschrifttum], vgl. Nekula (2002b).<br />

31 Vgl. Nekula (2002b).<br />

32 So Brod in Kafka (1994/XII: 125).


132<br />

Marek Nekula<br />

der Geleise: deutsch-italienisch. Das Langsamfahren der Autos: deutsch-französisch. – Überhaupt<br />

die Schweiz als Schule der Staatsmänner! 33<br />

<strong>Franz</strong> Kafka bemerkt dazu lakonisch:<br />

Wo ist die deutsche Bevölkerung, welche die deutschen Aufschriften rechtfertigt? 34<br />

Max: Verwirrung der <strong>Sprachen</strong> als Lösung nationaler Schwierigkeiten. Der Chauvinist<br />

kennt sich nicht mehr aus. 35<br />

Doch diese lakonischen Bemerkungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass dieses Thema für Kafka höchst persönlich <strong>und</strong> wichtig war. Im Jahre<br />

1908 bewirbt er sich zwar noch, wie dies der zeitgenössische Usus verlangt,<br />

um eine Stelle in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt mit einem deutsch<br />

<strong>und</strong> einem tschechisch geschriebenen Brief, wobei er den deutschen mit<br />

„<strong>Franz</strong> Kafka“, den tschechischen mit „František Kafka“ unterschreibt, <strong>und</strong><br />

in den beiden Briefen das Deutsche <strong>und</strong> Tschechische in Wort <strong>und</strong> Schrift für<br />

sich in gleicher Weise in Anspruch nimmt. 36 Doch zwei Jahre später, im Jahre<br />

1910, bei der Volkszählung ist die Situation anders. Im Unterschied zu allen<br />

anderen Mitgliedern der Familie Kafka wird bei <strong>Franz</strong> Kafka „deutsch“ als<br />

seine Umgangssprache angegeben, während für alle übrigen Mitglieder der<br />

Familie „tschechisch“ als Umgangssprache deklariert wird. 37 Es ist kaum vorstellbar,<br />

dass dieser Widerspruch ohne Konflikt bleiben konnte. Denn <strong>Franz</strong><br />

Kafka lebte mit der Familie in einem Haushalt <strong>und</strong> die Angaben des Vaters<br />

über den Rest der Familie (Umgangssprache Tschechisch) wurden durch<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> Angabe (Umgangssprache Deutsch) konterkariert. Abgesehen<br />

von anderen Konflikten, die es in dieser Zeit gab <strong>und</strong> die auf <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong><br />

aus Vaters Perspektive eher lasches Engagement in der Fabrik bzw. seine jüdische<br />

„Wiedergeburt“ zurückgingen, spiegelt sich dieser Konflikt bzw. Sprachkonflikt<br />

einerseits in der erwähnten Notiz im Reisetagebuch wider, andererseits<br />

in dem „Wunsch, Indianer zu werden“ (so der Titel einer Erzählung aus<br />

dem Jahre 1912), d. h. natürlich <strong>und</strong> frei, in der öffentlichen Sphäre „wie ein<br />

Indianer unbeteiligt“ zu sein. 38<br />

Auf keinen Fall geht es aber bei Kafka um sprachliche <strong>und</strong> kulturelle Indifferenz,<br />

wie sie bei seinem zu einer äußeren (sprachlichen) Assimilation bereiten<br />

Vater oder – nach 1918 – einem jener Prager Juden zu beobachten war,<br />

33 So Brod in Kafka (1994/XII: 123).<br />

34 Reisetagebucheintrag aus Luzern, etwa August 1911. — Vgl. Kafka (1990/I: 951f.).<br />

35 Reisetagebucheintrag, etwa August 1911. — Vgl. Kafka (1990/I: 950).<br />

36 Kafka (1984: 93–94). So unterschreibt Kafka auch bei der Übernahme seines<br />

Reisepasses am 19. Juni 1922, doch in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt<br />

scheint er nach 1918 die sprachnational neutrale Unterschrift „DrKafka“ bzw.<br />

„DrFKafka“ zu präferieren.<br />

37 Vgl. Krolop (1968).<br />

38 Zitiert nach Binder (1986: 115).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 133<br />

der bis zum Umsturz (im Vertrauen) Mitglied sowohl des Deutschen Hauses als [auch] der<br />

Měštanská [sic!] beseda gewesen ist, jetzt nur mit großer Protektion die Entlassung aus dem<br />

Kasino durchgesetzt hat (Streichung bis zur vollständigen Unleserlichkeit) seinen Sohn sofort<br />

in die tschechische Realschule hat übertreten lassen ‚er wird jetzt nicht deutsch, <strong>und</strong> nicht<br />

tschechisch kennen, wird er bellen‘. Gewählt hat er ‚nach seiner Konfession‘, natürlich. 39<br />

Er stellte sich gerade durch seine „jüdische Wiedergeburt“ (1911/1912) gegen<br />

den religiösen <strong>und</strong> bürgerlichen Assimilationismus, dessen Gr<strong>und</strong>lage die Akkulturation<br />

zum Deutschen bzw. Deutschtum oder zum Tschechischen bzw.<br />

Tschechentum war. 40 Bezeichnenderweise setzte sich Kafka mit der Frage der<br />

Assimilation <strong>und</strong> des Konformismus in seiner Erzählung „Das Urteil“ auseinander,<br />

die im Jahre 1912 entstand, also beinahe zeitgleich mit der erwähnten<br />

Reflektion der <strong>Sprachen</strong>frage im Reisetagebuch, kurz nach seiner jüdischen<br />

Wiedergeburt <strong>und</strong> nachdem am Brückenkopf der Palackýbrücke das Palacký-<br />

Denkmal errichtet wurde. Seine Erzählung, in der man etliche Biographeme<br />

feststellen kann, sollte daher nicht nur als Polemik gegen den Vater gelesen<br />

werden (die aus jüdischer Perspektive schon immer zum Scheitern verurteilt<br />

ist), sondern auch – durch das Motiv der Brücke – als Polemik mit den<br />

sprachnationalen Selbstentwürfen der (Deutschen <strong>und</strong>) Tschechen, denen<br />

man im damaligen Prag fast überall begegnen konnte <strong>und</strong> mit denen ein Prager<br />

Flaneur (<strong>und</strong> damit auch <strong>Franz</strong> Kafka) selbst auf Brücken konfrontiert<br />

war, die sonst – als Verbindung von gegensätzlichen Ufern – das Verbindende<br />

bzw. gar die Verbindung von Gegensätzen konnotieren.<br />

So ist die Prager Karlsbrücke durch die Symbolik der Statuen (Johann von<br />

Nepomuk, Statuen der Rekatholisierungsheiligen) für die tschechische nationale<br />

Ideologie des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts (František Palacký, Tomáš G. Masaryk, Jaroslav<br />

Goll) unannehmbar, denn diese schöpfte ihr Selbstverständnis aus der<br />

antikatholisch, protestantisch gedeuteten „nationalen Wiedergeburt“, die den<br />

„Tod“ der Nation nach der Schlacht am Weißen Berg <strong>und</strong> der anschließenden<br />

Rekatholisierung <strong>und</strong> Germanisierung überw<strong>und</strong>en habe. Es w<strong>und</strong>ert nicht,<br />

dass die erste neuzeitliche, die zweite Steinbrücke im zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

tschechisch dominierten Prag mit der Karlsbrücke in einen polemischen<br />

Dialog trat. Sie wurde aus Stein in den (tschechoslawischen) Protestfarben<br />

(weiß-rot-blau) erbaut, nach Palacký benannt <strong>und</strong> mit Statuen versehen, die<br />

Verbindungen zwischen der „authentisch“ slawischen (tschechischen) heidnischen<br />

Frühgeschichte <strong>und</strong> der Gegenwart herstellen sollten.<br />

39 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, März 1920. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 272).<br />

40 Man denke hier nicht nur an den <strong>Sprachen</strong>wechsel bzw. Sprachverlust des Jiddischen<br />

<strong>und</strong> weitgehend auch des Hebräischen, sondern auch an die sprachliche Anpassung<br />

selbst des religiösen Vokabulars (in der Familie Kafka etwa Confirmation statt ‚Bar<br />

Mizwa‘, Weihnachten statt ‚Chanuka‘ usw.).


134<br />

Marek Nekula<br />

So ist der eine Brückenkopf der Palackýbrücke mit der Statue der mythischen<br />

Libussa <strong>und</strong> Přemysl geschmückt, 41 der andere mit dem Palacký-<br />

Denkmal (aufgestellt 1912). In der Tat projizierte Palacký ein politisches Programm<br />

in die Vergangenheit, das er auch in der Gegenwart verwirklicht sehen<br />

wollte. Auf der Gr<strong>und</strong>lage der für echt gehaltenen Handschriften zeichnete er<br />

die Zeit Libussas als goldenes Zeitalter der liberal-demokratischen Werte <strong>und</strong><br />

der politischen <strong>und</strong> kulturellen Autonomie. Im Böhmen der 2. Hälfte des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts bedeutet dies ein Programm der Gleichstellung des Deutschen<br />

<strong>und</strong> des Tschechischen (<strong>und</strong> damit auch der sprachlich verstandenen Nationen)<br />

in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. So ist Palacký Namensvetter<br />

der neu errichteten <strong>und</strong> mit der Karlsbrücke (Dynastie, Katholizismus) polemisierenden<br />

Palackýbrücke (Heidentum/Protestantismus, Demokratismus)<br />

geworden.<br />

Dieses nationale Ringen lehnte Kafka – gerade im Zusammenhang mit<br />

dem Palacký-Denkmal, das am 1. Juli 1912 am Brückenkopf der Palackýbrücke<br />

im Anschluss an das 6. Sokol-Treffen in Prag enthüllte wurde, – entschieden<br />

ab:<br />

Wenn es möglich wäre diese Schande <strong>und</strong> mutwillig-sinnlose Verarmung Prags <strong>und</strong> Böhmens<br />

zu beseitigen, daß mittelmäßige Arbeiten wie der Hus von Šaloun oder miserable wie<br />

der Palacký von Sucharda ehrenvoll aufgestellt werden […]. 42<br />

Während v.a. die Tschechen die Brücke mit dem Gelingen des nationalen<br />

Programms verbinden, tritt bei Kafka in der im September 1912 entstandenen<br />

Erzählung „Das Urteil“ im Zusammenhang mit der Brücke das Motiv des<br />

Scheiterns, des Versagens <strong>und</strong> des Selbstmordes in den Vordergr<strong>und</strong>. Während<br />

die Statuen auf der Karls- <strong>und</strong> Palackýbrücke plakativ verbildlicht gegensätzliche<br />

„versteinerte“ „unbewegliche“ Programme verkörpern, wobei diese<br />

Programme etwa bei der Enthüllung des Palacký-Denkmals43 oder in den<br />

Straßenkämpfen der Studenten „laut“ vertreten wurden, huscht der flüchtige<br />

Schatten des Selbstmörders über die Brücke, der sich – ohne fremdes Zutun,<br />

wie dies einst bei Johannes von Nepomuk der Fall war – im „geradezu unendlichen<br />

Verkehr“ „leise“ von dem Brückengeländer in den Fluss hinabfallen<br />

lässt. 44 Falls die Identifizierung der Brücke zutrifft, 45 verband Kafka das Mo-<br />

41 Hinzu kommen auch andere Statuen, die auf die gefälschten, in den 80er Jahren heftigst<br />

diskutierten (einerseits in Frage gestellten, andererseits fanatisch verteidigten)<br />

Handschriften, nämlich die Grünberger <strong>und</strong> die Königinhofer Handschrift, anspielen.<br />

42 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, 31. August 1922. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 395).<br />

43 Festredner war Karel Kramář, der bei dieser Gelegenheit die verwaltungstechnische<br />

<strong>und</strong> gesetzgeberische Autonomie für das Königreich Böhmen einforderte. — Vgl. Hojda/Pokorný<br />

(1997: 102).<br />

44 Kafka (1994/I: 52).<br />

45 Nach Binder (1979a) handelt es sich um die 1905-1908 erichtete Čech-Brücke, deren<br />

Bau Kafka aus den Fenstern der elterlichen Wohnung beobachten konnte.


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 135<br />

tiv des Scheiterns, des Versagens <strong>und</strong> des Selbstmordes eben mit der Brücke,<br />

die zum Symbol des assanierten Ghettos geworden ist, die den Aufbruch des<br />

Prager Judentums zu den neuen Ufern der Modernität verbildlichte. Denn er<br />

war sich der Unversöhnlichkeit der nationalen, selbst über die Brücken ausgetragenen<br />

Ideologien, der Unmöglichkeit einer bedingungslosen einseitigen<br />

Loyalität <strong>und</strong> einer in dieser Welt erwarteten vollen Assimilation sowie der<br />

Unannehmbarkeit des assimilatorischen Lebensentwurfs seines Vaters im Klaren.<br />

Ein Gegenentwurf wird aber nicht als Ausweg empf<strong>und</strong>en. 46 Im Hinblick<br />

auf die Intensität der sprachnationalen Konflikte, die sich immer wieder – etwa<br />

im Zusammenhang mit der Badeni-Krise – in antisemitischen Übergriffen<br />

entluden, stellte sich – für ihn <strong>und</strong> andere Juden – das Gefühl der Ausweglosigkeit,<br />

des zwanghaften Scheiterns ein.<br />

Kafka kannte übrigens die Topographie <strong>und</strong> die Ikonographie der Prager<br />

Brücken ausgezeichnet. Im Brief an Milena Jesenská vom 25.–29. Mai 1920<br />

schrieb er:<br />

Vor einigen Jahren war ich viel im Seelentränker (maňas) auf der Moldau, ich ruderte hinauf<br />

<strong>und</strong> fuhr dann ganz ausgestreckt mit der Strömung hinunter, unter den Brücken<br />

durch. 47<br />

Indem er die Brücken von unten sieht, sieht er mit wissenden, durch seine Ausbildung<br />

<strong>und</strong> Lektüre sowie durch das Bilderverbot belehrten Augen nicht nur die<br />

Kehrseiten der Brücken, sondern auch die Kehrseiten der Ideologien, die – sich<br />

plakativer Bilder bedienend – hinter diesen bildlichen Darstellungen stehen. So<br />

war <strong>Kafkas</strong> Wahrnehmung der Welt auf Gr<strong>und</strong> seiner nicht eindimensionalen<br />

Lektüre <strong>und</strong> der gelernten wie gelebten Kultur auch in anderen Kontexten multihorizontal,<br />

auch wenn seine Horizonte <strong>und</strong> Dominanten in dem sich verändernden<br />

gesellschaftlichen Kontext im Laufe der Zeit wechselten.<br />

Mit dem Wissen um <strong>Kafkas</strong> kritische Einstellung zum Assimilationismus wie<br />

auch zum deutsch-tschechischen <strong>Sprachen</strong>kampf wäre es geradezu irreführend,<br />

wenn man die jeweiligen Sprachkenntnisse – sprich seine Sprachkenntnisse<br />

– oder aber auch die jeweilige Wahl der Sprache – sprich seine Wahl der<br />

aktiven Literatursprache – als ein nationales Bekenntnis missverstehen <strong>und</strong><br />

missinterpretieren würde.<br />

In der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt wechselt <strong>Franz</strong> Kafka vom<br />

Deutschen zum Tschechischen <strong>und</strong> vom Tschechischen zum Deutschen, sobald<br />

dies der Dienst verlangt. Dies trifft sowohl für seine Arbeitsobliegenheiten<br />

vor 1918 als auch für jene <strong>und</strong> seine Kommunikation mit der Arbeiter-<br />

46 Georg Bendemann scheitert in der Erzählung „Das Urteil“ mit seinem Lebensentwurf<br />

ähnlich wie sein einstiger Fre<strong>und</strong>, der in Russland nicht einmal den Zugang zur<br />

„Kolonie seiner Landsleute“ (Kafka 1994/I: 39), d. h. wohl der Juden, finden konnte.<br />

47 Kafka (1998: 21).


136<br />

Marek Nekula<br />

Unfall-Versicherungs-Anstalt nach 1918 zu, als das Tschechische zur dominanten<br />

Amtssprache geworden war. 48 Damit ist aber keine sprachnationale<br />

Festlegung verb<strong>und</strong>en. Es ist übrigens kein Zufall, dass sich Kafka in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt<br />

nach der Gründung der Tschechoslowakei,<br />

als die Wellen des Nationalismus wieder hochschlugen, an die Unterschrift<br />

„DrFKafka“ klammert. Sie erlaubt ihm, eine nationale Selbstdefinition<br />

zu vermeiden, die jemand in die nach Bedarf gebrauchten Unterschriften<br />

„<strong>Franz</strong> Kafka“ vs. „František Kafka“ hineininterpretieren könnte, wie dies zu<br />

Anfang des Jahres 1919 der Beamte Václav Krofta 49 in Bezug auf Herrn Otto<br />

Přibram/Przibram, den Präsidenten der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-<br />

Anstalt, tat. 50 Dieser Wechsel zwischen „<strong>Franz</strong> Kafka“ <strong>und</strong> „František Kafka“<br />

entsprach nämlich nur vor 1918, nicht mehr aber nach 1918 dem normalen<br />

Usus <strong>und</strong> das nicht nur in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt. Danach<br />

musste man sich bei den Namen sprachlich festlegen. Dies bedeutete zu diesem<br />

Zeitpunkt auch eine nationale Festlegung.<br />

Diese sprachnationale Verblendung, die Babylonisierung des öffentlichen<br />

Lebens, die im Februar 1920 durch das tschechoslowakische <strong>Sprachen</strong>gesetz<br />

(im selben Jahr auch durch die tschechoslowakische Verfassung)<br />

neue Nahrung bekam, reflektiert Kafka im September 1920 in<br />

einem unter dem Titel „Das Stadtwappen“ bekannten Text, in dem er Babylon<br />

(Turmbau) als Prag (Stadtwappen mit der Faust) bzw. Prag als Babylon<br />

erscheinen lässt. Wie bei der Reflexion der <strong>Sprachen</strong>frage im Jahre<br />

1911 verwendet er auch jetzt die Metapher der babylonischen Verwirrung<br />

der <strong>Sprachen</strong>. Im Unterschied zur biblischen Vorlage sind aber die <strong>Sprachen</strong><br />

– so wie in Böhmen – bereits vor dem Beginn des Turmbaus in der<br />

„Stadt“ Babylon verwirrt. Ich will nicht darüber spekulieren, ob mit der<br />

„Stadt“ der alte habsburgische oder der neue tschechoslowakische „Staat“<br />

gemeint ist. Im Hinblick auf die Entstehung der Erzählung im Jahre 1920<br />

ist aber wohl der tschechoslowakische Staat intendiert, der – so <strong>Kafkas</strong><br />

Weitsicht – an diesem sprachlich orientierten Nationalismus genauso wie<br />

der habsburgische zerbrechen sollte:<br />

[...] die zweite oder dritte Generation [erkannte] die Sinnlosigkeit des Himmelsturmbaues<br />

[...], doch war man schon viel zu sehr miteinander verb<strong>und</strong>en, um die Stadt zu verlassen.<br />

Alles was in dieser Stadt an Sagen <strong>und</strong> Liedern entstanden ist, ist erfüllt von der Sehnsucht<br />

nach einem prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust in fünf kurz<br />

aufeinander folgenden Schlägen zerschmettert werden wird. Deshalb hat auch die Stadt die<br />

Faust im Wappen. 51<br />

48 Vgl. Nekula (2001).<br />

49 Krofta war damals „Geschäftsleiter“ der Versicherungs-Anstalt; vgl. Krofta (1995: 94).<br />

50 Krofta (1995: 92).<br />

51 Kafka (1994/7: 147).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 137<br />

In der Alltagskommunikation verwendet <strong>Franz</strong> Kafka das Tschechische immer<br />

dann, wenn dies der Prager bzw. der tschechischsprachige Kontext erfordert.<br />

In seinem Fre<strong>und</strong>eskreis herrscht jedoch nach wie vor das Deutsche<br />

vor. 52<br />

Auch wenn das Tschechische im Haushalt der Familie Kafka seit jeher eine<br />

wichtige Rolle spielte, benutzte es Kafka nur im Kontakt mit den entfernteren<br />

Verwandten, gegenüber den Dienstboten <strong>und</strong> im väterlichen Geschäft, nicht<br />

aber in der engsten Familie. So sind z. B. die Anschriften seiner Briefe an Ottla<br />

– den erhaltenen Postkarten <strong>und</strong> Briefumschlägen nach – nach 1918 nur<br />

dann tschechisch geschrieben, wenn Kafka an Ottla in Prag schrieb, da er<br />

wohl eine ordnungsgemäße Zustellung der Schreiben sicherstellen wollte. Die<br />

Wahl des Tschechischen in den Anschriften war weder durch die nationale<br />

Selbstidentifikation noch durch die Furcht vor dem militanten, antideutsch gefärbten<br />

Antisemitismus, der sich Anfang der 20er Jahre bemerkbar machte,<br />

motiviert. Während nämlich die Adressen auf Tschechisch geschrieben sind<br />

(„Praha / Staroměstské nám. č 6“; „Praha / Staroměstské nám. č 6 / III poschodí“;<br />

„Praha / Staroměstské nám. č. 6 / III posch.“; „Prag / Staroměstské<br />

nám. 6 / III. posch / Tschecho-Slowakei“; „Prag / Staroměstské nám. č 6 /<br />

III posch / Tschechoslowakei“; „Prag / Staroměstské nám č. 6 / III posch.“;<br />

„Prag / Staroměstské nám 6 / III posch“; „Prag / Staroměstské náměstí č 6 /<br />

III posch“; „Prag / Staroměstské nám / č 6 III posch“ 53 usw.), schreibt <strong>Franz</strong><br />

Kafka Ottlas Namen bis zu ihrer Heirat mit Josef David konsequent auf<br />

Deutsch: „Fräulein / Ottla Kafka“, „Ottla Kafka“, „Ottla Kafka / bei Hermann<br />

Kafka“. 54 Erst nach der Heirat mit dem Tschechen Josef David kann<br />

man auch tschechischen Namensformen wie „Paní // Frau / Ottla Davidová“<br />

bzw. „Frau Ottla Davidová / roz. Kafková“ begegnen, weitaus häufiger<br />

verwendet aber Kafka auch jetzt die deutsche Namensform „Ottla David“ /<br />

„Ottilie David“, 55 <strong>und</strong> zwar auch in Briefen <strong>und</strong> Postkarten nach Prag. Ähnliches<br />

gilt auch für die Adressen von <strong>Kafkas</strong> Postkarten nach Domažlice<br />

(Taus), die er auf Tschechisch schrieb, 56 während der Text auf Deutsch verfasst<br />

ist, wobei er sicherlich im Stande gewesen wäre, die Postkarte auch auf<br />

Tschechisch zu schreiben. Die Adressen der Briefe <strong>und</strong> Postkarten an Ottla,<br />

52 Vgl. Nekula (2000b).<br />

53 27/2/1919; Anfang November 1919; 13/11/1919; 6/4/1920; 17/4/1920; 8/5/1920;<br />

21/5/1920; 11/6/1920; 28/6/1920.<br />

54 27/2/1919, Anfang November 1919, 13/11/1919, 6/4/1920, 17/4/1920, 11/6/1920;<br />

8/5/1920, 28/6/1920; 21/5/1920.<br />

55 28/7/1921, 8/8/1921; 14–15/8/1920 X 25/7/1920, 21/5/1921, 26/9/1923,<br />

26/9/1923, 2/10/1923, 13/10/1923, 14/10/1923, 16/10/1923, 17/11/1923.<br />

56 „Paní / Ottla Davidová / Domažlice / Vodní ulice 28 / Čechy“ (28/7/1921), „Frau /<br />

Ottla Davidová / Domažlice / Vodní ulice 28 / Čechy“ (8/8/1921).


138<br />

Marek Nekula<br />

die in überwiegend deutschsprachige Gebiete geschickt wurden, sind übrigens<br />

auch nach 1918 konsequent auf Deutsch geschrieben. Auch hier geht es aber<br />

bloß um eine im Hinblick auf den Zustellungsort konforme Adressierung der<br />

Briefe, keineswegs um eine sprachnational geprägte Selbstpräsentation des<br />

Autors oder der Adressatin nach außen, von der Selbstwahrnehmung ganz zu<br />

schweigen. Denn Kafka „disqualifiziert“ sich gerade in einem Brief an Ottla –<br />

<strong>und</strong> zwar gerade im Hinblick auf die Sprache – als ein „Halbdeutscher“, 57<br />

auch wenn er das Deutsche früher für sich als seine Umgangssprache reklamiert<br />

hat. Nun kann die In-Frage-Stellung der eigenen Sprachkompetenz im<br />

Hinblick auf <strong>Kafkas</strong> sichere Beherrschung aller stilistischen Register des<br />

Deutschen 58 als Ironisierung des zu <strong>Kafkas</strong> Lebzeiten vorherrschenden Glaubens<br />

verstanden werden, dass die nationale Identität an der Sprache <strong>und</strong> der<br />

sprachlichen Kompetenz festzumachen ist. Damit liegt hier auch eine Ablehnung<br />

der so verstandenen Identität vor.<br />

In der privaten Sphäre verwendet Kafka das Tschechische – passiv, zum<br />

Teil wahrscheinlich auch aktiv – z. B. in der Kommunikation mit Milena Jesenská.<br />

Das Tschechische rezipiert <strong>und</strong> verwendet er aber wohl deswegen,<br />

weil ihm die Adressatin (also Milena Jesenská) „herzlich“ war, nicht aber weil<br />

ihm das Tschechische „viel herzlicher“ gewesen wäre als das Deutsche. 59<br />

Denn gerade in diesem Kontext, d. h. in dem Moment, als er sich über das<br />

Tschechische so positiv äußert, bezeichnet Kafka – ähnlich wie Brod – das<br />

Deutsche als seine „Muttersprache“. 60 Kafka versteht aber das Deutsche –<br />

wie dies auch aus dem Gesamtkontext des Zitats aus dem Brief an Milena ersichtlich<br />

ist – nur im Sinne der Sprachkompetenz, nicht im Sinne einer nationalen<br />

Selbstidentifikation als Muttersprache. Im Brief an Max Brod spricht<br />

Kafka dagegen seiner „<strong>und</strong>eutschen“ Mutter das Deutsche als Muttersprache<br />

ab. 61 Zum Teil meint er dies auch im kommunikativen Sinne (unberechtigt),<br />

vor allem aber im emotionalen <strong>und</strong> symbolischen Sinne – im Hinblick auf ihre<br />

jüdische Identität.<br />

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich <strong>Franz</strong> Kafka in Gesprächen mit<br />

Max Brod wie auch in anderen Kontexten mit dem sprachlichen Verständnis<br />

der (nationalen) Identität intensiv auseinander setzte. Im Motiv der Verwirrung<br />

der <strong>Sprachen</strong>, das sich im Briefwechsel zwischen Brod <strong>und</strong> Kafka 62 mit<br />

den Kategorien der Angst <strong>und</strong> des Wahnsinns verbindet <strong>und</strong> das in <strong>Kafkas</strong><br />

<strong>und</strong> Brods Reisetagebüchern bewusst auf die Babylonisierung des öffentlichen<br />

57 <strong>Franz</strong> Kafka an Ottla, 20. Februar 1919. — Vgl. Kafka (1975: 67).<br />

58 Vgl. Nekula (2000c).<br />

59 <strong>Franz</strong> Kafka an Milena Jesenská, Mai 1920. — Kafka (1998: 17).<br />

60 Im Brief an Milena vom September 1922 schreibt Kafka sogar: „die Deutschen sind<br />

w<strong>und</strong>erbar <strong>und</strong> bleiben es“. — Vgl. (Kafka 1998: 305).<br />

61 Brod/Kafka (1989: 178).<br />

62 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, 29. August 1917. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 159).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 139<br />

Lebens durch den sprachlich getragenen Chauvinismus anspielt, wird – gerade<br />

auch auf Gr<strong>und</strong> der Erfahrung in Böhmen <strong>und</strong> Prag <strong>und</strong> darüber hinaus – das<br />

Stigma der künftigen Zeit erkannt. In einer weiteren Verwirrung der <strong>Sprachen</strong>,<br />

d. h. in der Zurückstellung der jeweiligen Sprache als dominantem identitätsstiftendem<br />

Merkmal, wird eine mögliche Lösung nationaler Zwistigkeiten sowohl<br />

nach außen als auch innerhalb eines Landes gesehen.<br />

Etwas später begegnete Kafka einer starken sprachchauvinistischen, rassistisch<br />

anmutenden Ablehnung des „Umtaufens“ der böhmischen (angeblich<br />

„deutschen“, in Wirklichkeit aber meist bi- oder multilingualen) Juden mittels<br />

tschechischer Namen, das in tschechischen Zeitungen etwa in der Zeit artikuliert<br />

wurde, als die Tschechoslowakei entstand. Mit entsprechendem Kommentar<br />

schickt Kafka an seinen Fre<strong>und</strong> Max Brod im Oktober 1918 die 14tägig<br />

erscheinenden Zeitschriften „Česká stráž“ (Tschechische Wacht) <strong>und</strong><br />

„Česká svoboda“ (Tschechische Freiheit), die Artikel enthalten, die sich von<br />

jener Tschechisierung der Familiennamen distanzieren, die böhmische Juden<br />

mit deutschen Familiennamen vornehmen lassen. 63 Das „Ausstoßen“ der Juden<br />

aus dem „nationalen Körper“ nahm dann in den 30er <strong>und</strong> 40er Jahren<br />

entsetzliche Formen an.<br />

Mit der Forderung einer eindeutigen monolingualen Identifikation setzt sich<br />

Kafka übrigens relativ kurz davor in seiner Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“<br />

auseinander, als er die von außen aufgezwungene sprachliche Identität<br />

zugunsten einer verinnerlichten, wesentlicheren, religiösen Identität ablehnt.<br />

Nimmt man mit Pavel Trost an, dass in dem Namen „Odradek“ eine Verschlüsselung<br />

des Namens „Kafka“ vorliegt <strong>und</strong> Odradek mit <strong>Franz</strong> Kafka<br />

selbst zu tun hat, 64 wofür auch die in die Erzählung eingestreuten Biographeme<br />

sprechen, 65 dann kann man die Aussage über Odradek auch auf Kafka beziehen:<br />

Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen <strong>und</strong> sie suchen auf Gr<strong>und</strong><br />

dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem<br />

Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt. Die Unsicherheit beider Deutungen aber<br />

läßt wohl mit Recht darauf schließen, daß keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von<br />

ihnen einen Sinn des Wortes finden kann. 66<br />

Die Antwort auf die Frage nach der etymologischen Herkunft des Wortes<br />

„Odradek“ <strong>und</strong> die nicht etymologisch gestellte Frage nach der sprachnationalen<br />

Herkunft des Schriftstellers Kafka lautet „weder – noch“. Das Wort<br />

„Odradek“ <strong>und</strong> der Schriftsteller <strong>Franz</strong> Kafka entstammen weder dem Slawi-<br />

63 Vgl. Brod/Kafka (1989: 252).<br />

64 Trost (1964: 33).<br />

65 Vgl. Nekula (2002c).<br />

66 Kafka (1994/I: 222).


140<br />

Marek Nekula<br />

schen (Tschechischen) noch dem Deutschen, wobei die Problematisierung des<br />

Deutschen <strong>und</strong> der deutschen Identität nicht als Bekenntnis zum Tschechischen<br />

<strong>und</strong> zur tschechischen Identität aufzufassen ist <strong>und</strong> umgekehrt.<br />

<strong>Kafkas</strong> Absage an eine solche deutsch-tschechische Polarisierung wird auch in<br />

dem häufig bemühten Zitat deutlich:<br />

Prag läßt nicht los. Uns beide nicht. Dieses Mütterchen hat Krallen. Da muss man sich fügen<br />

oder –. An zwei Stellen müßten wir es anzünden, am Vyšehrad <strong>und</strong> am Hradschin,<br />

dann wäre es möglich, daß wir loskommen. 67<br />

In diesem Zitat, in dem Kafka Prag als eine mythische Sirene stilisiert, 68 weist<br />

er implizit auf die Nationalisierung der Prager Topographie hin (Vyšehrad als<br />

tschechischer Gegenentwurf zum Hradschin, damals des Öfteren das Symbol<br />

der offiziellen „deutschen“ Macht) 69 <strong>und</strong> lehnt durch die zitierte Formulierung<br />

eine solche sprachnationale Polarisierung ab. Die beiden Hügel, die Prag<br />

– geographisch wie ideologisch – einrahmen, sind – bei der mythischen Auslegung<br />

Prags – als Scylla <strong>und</strong> Charybdis zu lesen, die man in der Mythologie<br />

bei der Flucht vor den Sirenen passieren muss. Abgesehen von einer oben beschriebenen<br />

Verzweiflungstat, war die Hoffnung der Juden in Böhmen <strong>und</strong><br />

Prag, sich Scylla <strong>und</strong> Charybdis des deutschen <strong>und</strong> tschechischen Nationalismus<br />

entziehen zu können, minimal.<br />

Auch wenn also Kafka kurze Zeit vor seinem Tode in Berlin sagt:<br />

A Ottlo prosím vysvětli rodičům, že teď jen jednou nebo dvakrát týdně mohu psát, porto<br />

je už tak drahé jako u nás. Vám ale přikládám české známky, abych Vás také trochu podporoval.<br />

70<br />

Und [du] Ottla, erkläre bitte den Eltern, dass ich jetzt nur einmal oder zweimal in der Woche<br />

schreiben kann, das Porto ist schon so teuer wie bei uns. Euch lege ich aber tschechische<br />

Briefmarken bei, damit ich Euch auch ein bisschen unterstütze.<br />

<strong>und</strong> dadurch deutlich wird, dass er trotz seines Aufenthaltes in Berlin mental<br />

in Prag geblieben ist, bedeutet dies keinesfalls, dass er mit „bei uns“ das tschechische<br />

oder deutsche Prag meint oder sich nach ihm sehnt. Dieses Zitat<br />

macht nur klar, dass Prag im Guten wie im Bösen ein Teil von Kafka gewor-<br />

67 <strong>Franz</strong> Kafka an Oskar Pollak vom 20. Dezember 1902. — Kafka (1958: 14).<br />

68 Vgl. Reffet (2003). Das Motiv der „Krallen“ taucht später in der Erzählung Schweigen der<br />

Sirenen auf.<br />

69 Vgl. dazu in diesem Zusammenhang v.a. <strong>Kafkas</strong> Reflexion des Hradschin als<br />

„Kaiserburg“ („císařský hrad“). <strong>Franz</strong> Kafka an Růženka Wettenglová-Hejná,<br />

September 1917. — Vgl. Kafka (2004: 341, 675) <strong>und</strong> Nekula (2003a).<br />

70 <strong>Franz</strong> Kafka an Josef David im Rahmen des Briefes an Ottla, Mitte Dezember 1923. —<br />

Vgl. Kafka (1975: 151) — Hervorhebung M. N.


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 141<br />

den <strong>und</strong> geblieben ist: ein Stockwerk „des innern babylonischen Turmes“, 71 in<br />

dem er – geplagt durch Angst vor Pogromen – herumirrt:<br />

A co děláš ty, když nemás nikoho, kterému můžeš dělat strach před Berlinem. Pepo, mě<br />

dělat strach! To je tak jako Eulen nach Athen tragen. […] jen někdy vytryskne nějaká<br />

zpráva, nějaký strach až ke mě a potom musím s ními bojovat, ale je to v Praze jinak? Kolikeré<br />

nebezpečí hrozí tam každodenně takovému bojácnému srdci. 72<br />

Und was machst Du, wenn Du niemanden hast, dem Du Angst vor Berlin machen kannst.<br />

Pepa, mir Angst machen! Das ist so, wie Eulen nach Athen tragen. […] nur ab <strong>und</strong> zu<br />

dringt irgendeine Nachricht, irgendeine Angst bis zu mir durch <strong>und</strong> dann habe ich mit ihnen<br />

zu kämpfen, aber ist das in Prag anders? Wie vielerlei Gefahren drohen dort tagtäglich<br />

so einem verängstigten Herzen.<br />

Wer dann, um auf die Erzählung „Die Sorge des Hausvaters“ zurückzukommen,<br />

dem Wesen von „Odradek“ (Kafka) näher kommen will, muss nur den<br />

zweiten Absatz der Erzählung lesen. „Odradek“ wird hier als „eine flache<br />

sternartige Zwirnspule“ charakterisiert. Jedem, der eine solche Zwirnspule<br />

kennt <strong>und</strong> nur ein bisschen Phantasie besitzt, dürfte klar sein, dass „Odradek“<br />

höchstwahrscheinlich die Form eines Davidsterns hat:<br />

Dass dadurch eine weitere biographische Anspielung auf Kafka vorliegt, muss<br />

nicht weiter ausgeführt werden. Wichtiger ist, dass in der entsprechenden Passage<br />

nicht mehr über die Scheinwelt des Wortes „Odradek“, der von außen<br />

gegebenen sprachlichen Identität, gesprochen wird, die wie das Wort entweder<br />

„deutsch“ oder „slawisch“ (tschechisch) gedeutet werden kann, sondern<br />

nur über das (eigentliche) „Wesen“ von „Odradek“, das auf diese Weise als<br />

jüdisch bestimmt ist.<br />

So wäre die Erzählung gar als Antwort auf die Frage nach <strong>Kafkas</strong> Identität<br />

zu verstehen, die sich später auch die Germanistik stellt. Oben wurde übrigens<br />

gezeigt, dass der Name „Kafka“ in der Germanistik – ähnlich wie der Name<br />

„Odradek“ bei Kafka – von außen argumentativ mal als tschechisches „kavka“<br />

[kafka] = „Dohle“ übersetzt, mal als niederdeutsches „kafke“ = „Jakob-<br />

DIM“ etymologisiert wird. In der Scheinwelt des Wortes bzw. der Sprache<br />

kann sicher die Frage nach <strong>Kafkas</strong> Identität im sprachnationalen Sinne gestellt<br />

71 <strong>Franz</strong> Kafka an Max Brod, 29. August 1917. — Vgl. Brod/Kafka (1989: 159). Vgl. auch<br />

Nekula (2003b).<br />

72 <strong>Franz</strong> Kafka an Josef David, 3. Oktober 1923. — Vgl. Kafka (1975: 135–136).


142<br />

Marek Nekula<br />

werden, doch sein eigentliches Sein („Wesen“) ist – wie bei „Odradek“ – jüdisch<br />

bestimmt.<br />

Wenn man in der räumlichen Metaphorik von „außen“ <strong>und</strong> „innen“ bleibt,<br />

dann steht „außen“ für die Sprache <strong>und</strong> „innen“ für das Judentum. Doch wäre<br />

es irreführend, alles allein auf die Formel „weder deutsch noch tschechisch,<br />

sondern jüdisch“ zu reduzieren, auch wenn das Eigene, das Jüdische durchaus<br />

über die In-Frage-Stellung, Ablehnung <strong>und</strong> Absenz der Sprache bzw. über die<br />

Sprachlosigkeit wahrgenommen wird:<br />

Gestern fiel mir ein, daß ich die Mutter nur deshalb nicht immer so geliebt habe, wie sie es<br />

verdiente <strong>und</strong> wie ich es könnte, weil mich die deutsche Sprache daran gehindert hat. Die<br />

jüdische Mutter ist keine „Mutter“, die Mutterbezeichnung macht sie ein wenig komisch<br />

(nicht sich selbst, weil wir in Deutschland sind) wir geben einer jüdischen Frau den Namen<br />

deutsche Mutter, vergessen aber den Widerspruch, der desto schwerer sich ins Gefühl einsenkt,<br />

„Mutter“ ist für den Juden besonders deutsch, es enthält unbewußt neben dem<br />

christlichen Glanz auch christliche Kälte, die mit Mutter benannte jüdische Frau wird daher<br />

nicht nur komisch sondern auch fremd. Mama wäre ein besserer Name, wenn man nur hinter<br />

ihm nicht ‚Mutter‘ sich vorstellte. Ich glaube, daß nur noch Erinnerungen an das Ghetto<br />

die jüdische Familie erhalten, denn auch das Wort Vater meint bei weitem den jüdischen<br />

Vater nicht. 73<br />

So haben auch die Nomaden in der Erzählung „Ein altes Blatt“<br />

(1916/1917), 74 die als Sinnbild des im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen<br />

des Ersten Weltkrieges nach Mitteleuropa immigrierenden Ostjudentums<br />

verstanden werden können, 75 eben keine eigene Sprache: Sie verständigen<br />

sich wie Dohlen, wobei „Dohle“ auf Tschechisch „kavka“ [kafka] heißt<br />

<strong>und</strong> hier als Hinweis auf Kafka <strong>und</strong> die sprachlose jüdische Identität zu verstehen<br />

ist. Für das Scheitern der Nomaden (des Ostjudentums), die vor dem<br />

Palast stehen bleiben, ihn jedoch nicht einnehmen können, ist offensichtlich<br />

gerade das Fehlen der Sprache verantwortlich: Das Jiddische kennt keinen<br />

spezifisch religiösen Wortschatz, denn dieser wird aus dem Hebräischen entliehen.<br />

Gegen die Nomaden (das Ostjudentum) steht das feste Mauerwerk des<br />

Palastes, des Gesetzes, der Zeichensprache, des Hebräischen (der historischen<br />

Tradition). Die Unfähigkeit der Nomaden, den Palast, der im Judaismus mit<br />

dem Tempel gleichzusetzen ist, zu stürmen <strong>und</strong> einzunehmen, kennzeichnet<br />

auch die Abwendung <strong>Kafkas</strong> vom Jiddischen, zu dem er sich unter anderem<br />

im „Einleitungsvortrag über den Jargon“ (1911/1912) so begeistert bekannte.<br />

76<br />

73 Tagebucheintrag vom 24. Oktober 1911. — Vgl. Kafka (1990/I: 102).<br />

74 Vgl. Kafka (1994/I: 208–210).<br />

75 Zu Einzelheiten z. B. Binder (1979a: 374).<br />

76 Vorgetragen beim Rezitationsabend von J. Löwy am 18. Februar 1912. — Zu äußeren<br />

Umständen vgl. auch Binder (1976: 387) <strong>und</strong> Beck (1971).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 143<br />

Für <strong>Franz</strong> Kafka verkörperte das Jiddische damals – das heißt in den Jahren<br />

1911/1912 – Werte wie „Einheit“, „Stärke“ <strong>und</strong> „Selbstvertrauen“, die im<br />

Jiddischen auch Max Brod <strong>und</strong> andere Fre<strong>und</strong>e <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> sahen:<br />

Wenn Sie aber einmal Jargon ergriffen hat – <strong>und</strong> Jargon ist alles, Wort, chassidische Melodie<br />

<strong>und</strong> das Wesen dieses ostjüdischen Schauspielers selbst, – dann werden Sie Ihre frühere<br />

Ruhe nicht mehr wiedererkennen. Dann werden Sie die wahre Einheit des Jargon zu spüren<br />

bekommen, so stark, daß Sie sich fürchten werden, aber nicht mehr vor dem Jargon, sondern<br />

vor sich. Sie würden nicht imstande sein, diese Furcht allein zu ertragen, wenn nicht<br />

gleich auch aus dem Jargon das Selbstvertrauen über Sie käme, das dieser Furcht standhält<br />

<strong>und</strong> noch stärker ist. 77<br />

Das durch das Ostjudentum getragene Jiddische steht um das Jahr 1917, als<br />

<strong>Kafkas</strong> Erzählung „Ein altes Blatt“ entsteht, nicht nur in Opposition zum<br />

Hebräischen, sondern wird in dieser Zeit – nicht nur von Kafka – zugunsten<br />

des Hebräischen bzw. des Hebraismus verlassen. Denn das Jiddische verkörpert<br />

nun – wohl auch für Kafka – Werte wie Anpassung, Opportunismus <strong>und</strong><br />

Assimilation. 78 Martin Buber <strong>und</strong> andere Kulturzionisten werden ironisch als<br />

„westliche Lautenspieler“ (des Ostjudentums) bezeichnet, ihre Schriften für<br />

„abscheulich“ erklärt. 79 Auf jeden Fall sieht Kafka das Ostjudentum im Jahre<br />

1917 <strong>und</strong> zu Anfang 1918 bereits mit einer deutlichen Distanz <strong>und</strong> als eine<br />

abgeschlossene Entwicklungsphase, während das Hebräische im Jahre 1917 in<br />

Palästina gar einen offiziellen Status erlangt <strong>und</strong> sich neben dem Englischen<br />

auch als Sprache der zionistischen Kongresse durchsetzt.<br />

Den mit dem Jiddischen verb<strong>und</strong>enen Kulturzionismus <strong>und</strong> den mit dem<br />

Hebräischen verb<strong>und</strong>enen politischen Zionismus kann man dabei als zwei Pole<br />

oder gar Stufen des Zionismus verstehen, der sich zu diesem Zeitpunkt zunehmend<br />

am Hebraismus orientiert. Die Sprache spielt dabei in den beiden<br />

Hauptvarianten des Zionismus bei der nationalen Selbstfindung der Juden –<br />

<strong>und</strong> auch <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> – eine Schlüsselrolle. So bleiben im Zionismus die im<br />

Habsburgerreich so lebendigen sprachnationalen Denkmuster – trotz aller Variationen<br />

des Zionismus – erhalten <strong>und</strong> leben darin weiter.<br />

Wenn aber die sprachliche Identität, diesmal jedoch weder eine deutsche<br />

noch eine tschechische, bei der Selbstfindung der Juden eine so zentrale Rolle<br />

spielt <strong>und</strong> gerade im Jahre 1917 zugunsten des Hebräischen entschieden wird,<br />

ist es wohl kein Zufall, dass sich <strong>Franz</strong> Kafka seit Mai 1917 intensiver mit dem<br />

Hebräischen befasst, das ihn bis zu seinem Tode begleitet <strong>und</strong> ständig an Bedeutung<br />

gewinnt, wie sich dies unter anderem in seiner Beziehung zu Dora Diamant,<br />

in seinen Besuchen der Hochschule für jüdische Wissenschaft oder in der Erzäh-<br />

77 Kafka (1994/V: 153) — Hervorhebung M. N.<br />

78 Kilcher (1999: 82).<br />

79 So z. B. in der Beschreibung der Begegnung mit dem Belzer Rabbi (vgl. Brod/Kafka<br />

1989: 150–152, auch 154). Vgl. auch Robertson (1985: 176).


144<br />

Marek Nekula<br />

lung „Josefine, die Sängerin, oder das Volk der Mäuse“ (März 1924) artikuliert. 80<br />

An Josefines Vorbild Puah Ben-Tovim schrieb Kafka gar hebräische Briefe.<br />

Hebräische Phrasen drängen sich Kafka übrigens sogar im Deutschen auf:<br />

Ich habe die paar Tage von Dir (fast hätte ich, ich glaube nach einer hebräischen Redensart<br />

gesagt: von Deinem Fett) gelebt, das Papier auf dem ich schreibe ist von Dir, die Feder von<br />

Dir, u.s.w. 81<br />

Das Hebräische, das er im Jahre 1919 beim Sohn des Prager Rabbiners Thieberger<br />

in der Zeit besonders intensiv lernt, als die sprachnationale, deutschtschechische<br />

Spannung in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt kulminiert,<br />

82 verbindet ihn wenigstens symbolisch mit dem verheißenen Land, nach<br />

dem sich Kafka angeblich sehnte <strong>und</strong> in dem sich das von Kafka erlernte<br />

Neuhebräische83 inzwischen gegen die anderen <strong>Sprachen</strong> jüdischer Kolonisten<br />

durchsetzte. Die genannte Puah Ben-Tovim, bei der Kafka ebenfalls Hebräisch<br />

lernte, gehörte der ersten Generation an, die mit Neuhebräisch als Muttersprache<br />

aufgewachsen war.<br />

Doch wäre es – wie bereits gesagt – irreführend, alles allein auf die Formel<br />

„weder deutsch noch tschechisch, sondern jüdisch“ zu reduzieren – unter anderem<br />

auch deswegen, weil diese Kategorien kaum klar fassbar sind.<br />

Im Laufe der Zeit ändert sich nämlich die tschechische <strong>und</strong> deutsche<br />

sprachnationale Identität. Die Tschechen <strong>und</strong> Deutschen erlebten im 19. <strong>und</strong><br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert einen gewaltigen Wandel ihrer Identität. Bei den Tschechen<br />

stehen dafür etwa Begriffe wie Bohemismus, Panslawismus, Tschechoslavismus,<br />

Austroslavismus, Tschechoslowakismus, bei den Deutschen Begriffe wie<br />

großdeutsche <strong>und</strong> kleindeutsche Lösung, Deutsches Reich, Weimarer Republik,<br />

Drittes Reich, B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Diese Etappen markieren<br />

nicht nur die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes, sondern in unterschiedlichem<br />

Maße <strong>und</strong> mit unterschiedlicher Intensität <strong>und</strong> Motivation auch<br />

die unterschiedlich (religiös, sozial, urban, intellektuell) abgrenzbaren Gesellschaftsgruppen<br />

<strong>und</strong> Individuen. Mit dem Hinweis auf Jiddisch <strong>und</strong> Hebräisch<br />

ist deutlich geworden, dass auch im jüdischen Kontext die Sprache bei der Etablierung<br />

der modernen jüdischen Identität eine wichtige Rolle spielte, wobei<br />

sich diese Identität, wie dies gerade bei <strong>Franz</strong> Kafka zu sehen ist, stets wandelt.<br />

Das Judentum ist im Übrigen für Kafka kaum etwas Eindeutiges, Kom-<br />

80 Nekula (2002c).<br />

81 <strong>Franz</strong> Kafka an Ottla, Mitte Dezember 1923. — Vgl. Kafka (1975: 148).<br />

82 In der Versicherungsanstalt nimmt das Tschechische als Amtssprache die Position des<br />

Deutschen ein, wobei dies mit der Auswechslung der deutschen Führungsbeamten durch<br />

tschechische <strong>und</strong> der Erneuerung der Vereidigung der Beamten auf Tschechisch einher<br />

geht, der etwas später auch Entlassungen folgen. Vgl. Gütling (1995).<br />

83 Brod (1963: 173), Binder (1967a: 527).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 145<br />

paktes, Kontinuierliches <strong>und</strong> Heiles, an das man sich anlehnen kann <strong>und</strong> woraus<br />

man schöpfen kann. Eher tauchen im Zusammenhang mit „Odradek“,<br />

der die Form eines Davidsterns hat, Kategorien des „Bruches“, des „Risses“<br />

<strong>und</strong> der „Sinnlosigkeit“ auf, die kaum eine feste, authentische, „organisch“<br />

gewachsene, sinngebende jüdische Identität vermuten lassen:<br />

Es sieht zunächst wie eine flache sternartige Zwirnspule, <strong>und</strong> tatsächlich scheint es auch<br />

mit Zwirn bezogen; allerdings dürften es nur abgerissene, alte, aneinander geknotete, aber<br />

auch ineinander verfitzte Zwirnstücke von verschiedenster Art <strong>und</strong> Farbe sein. / […] /<br />

Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form<br />

gehabt <strong>und</strong> jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens<br />

findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf<br />

etwas Derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art<br />

abgeschlossen. 84<br />

So lässt sich gerade an Kafka verfolgen, dass es im menschlichen Leben kaum<br />

eine fest umrissene, kontextunabhängige, im Laufe der Zeit unveränderbare<br />

<strong>und</strong> nur auf einen Parameter wie jenen der Sprache reduzierbare Identität gibt.<br />

Ähnliches gilt aber auch für die Identität größerer sozialer Gruppen oder gar<br />

Nationen. Und selbst wenn die Sprache bei <strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> Identitätssuche ein<br />

wichtiges Kriterium <strong>und</strong> auch ein strategisch verwendetes Mittel war, wie dies<br />

seine Reflexion der <strong>Sprachen</strong>frage, seine Sprachbekenntnisse, sein Sprachverhalten<br />

<strong>und</strong> schließlich auch sein Werk zeigen, ist Kafka kaum über eine Sprache<br />

zu erfassen. Falls <strong>Kafkas</strong> Identität im Hinblick auf die Sprache charakterisiert<br />

werden kann, dann sollte man nicht von einer Sprache <strong>und</strong> von einem<br />

Monolingualismus ausgehen, sondern von einem oszillierenden Multilingualismus,<br />

von <strong>Sprachen</strong>wechsel <strong>und</strong> -wandel. Durch ihn entsteht eine spezifische<br />

kulturelle Qualität, die die Begriffe der Assimilation <strong>und</strong> der Akkulturation<br />

überwindet <strong>und</strong> den Weg zu einer komplexeren „universalen“,<br />

multilingualen Kultur – wie sie die jüdische Diaspora vorlebt – öffnet.<br />

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Fischer 1975 (<strong>Franz</strong> Kafka. Gesammelte Werke).<br />

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Müller, Malcolm Pasley. 3 Bde. Frankfurt/M.: S. Fischer 1990 (<strong>Franz</strong> Kafka.<br />

Schriften Tagebücher Briefe. Kritische Ausgabe).


<strong>Franz</strong> <strong>Kafkas</strong> <strong>Sprachen</strong> <strong>und</strong> <strong>Identitäten</strong> 147<br />

Ders.: Ein Landarzt <strong>und</strong> andere Drucke zu Lebzeiten. Hrsg. von Hans-Gerd<br />

Koch. Bd. 1. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong> Kafka. Gesammelte<br />

Werke in zwölf Bänden 1).<br />

Ders.: Beschreibung eines Kampfes <strong>und</strong> andere Schriften aus dem Nachlaß in<br />

der Fassung der Handschrift. Hrsg. von Hans-Gerd Koch. Bd. 5. Frankfurt/M.:<br />

Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong> Kafka. Gesammelte Werke in<br />

zwölf Bänden 5).<br />

Ders.: Zur Frage der Gesetze <strong>und</strong> andere Schriften aus dem Nachlaß in der<br />

Fassung der Handschrift. Hrsg. von Hans-Gerd Koch. Bd. 7. Frankfurt/M.:<br />

Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong> Kafka. Gesammelte Werke in<br />

zwölf Bänden 7).<br />

Ders.: Tagebücher 1909–1912 in der Fassung der Handschrift. Hrsg. von<br />

Hans-Gerd Koch. Bd. 9. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong><br />

Kafka. Gesammelte Werke in zwölf Bänden 9).<br />

Ders.: Tagebücher 1912–1914 in der Fassung der Handschrift. Hrsg. von<br />

Hans-Gerd Koch. Bd. 10. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong><br />

Kafka. Gesammelte Werke in zwölf Bänden 10).<br />

Ders.: Tagebücher 1914–1923 in der Fassung der Handschrift. Hrsg. von<br />

Hans-Gerd Koch. Bd. 11. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch 1994 (<strong>Franz</strong><br />

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