Referat von Francestg Friberg anlässlich der ... - pro idioms
Referat von Francestg Friberg anlässlich der ... - pro idioms
Referat von Francestg Friberg anlässlich der ... - pro idioms
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wie <strong>der</strong> Krug zum Brunnen geht, bis er bricht<br />
o<strong>der</strong>:<br />
Rumantsch grischun in <strong>der</strong> Schule – ein Projekt ohne Respekt<br />
<strong>Referat</strong> 1 zur Gründung <strong>der</strong> Stiftung Pro Idioms, Sektion Surselva<br />
am 4 Februar 2011 in Trun<br />
<strong>von</strong><br />
<strong>Francestg</strong> <strong>Friberg</strong>, Danis<br />
Verehrte Damen und Herren<br />
Ich bin angefragt worden, ein <strong>Referat</strong> über die Ereignisse im Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> Rumantsch grischun (RG) zu halten. Weil ich die ganze Sache – um nicht<br />
zu sagen den ganzen Zirkus – seit Anbeginn beobachte, und insbeson<strong>der</strong>e auch<br />
weil ich immer wie<strong>der</strong> feststellen musste, dass im Zusammenhang mit <strong>der</strong> romanischen<br />
Sprachpolitik in den letzten 30 Jahren viele Ränke gemacht worden<br />
sind, habe ich <strong>der</strong> Einladung <strong>von</strong> Pro Idioms Sektion Surselva gerne Folge geleistet<br />
Vom Beruf her, aber auch als President <strong>von</strong> FRR und Leiter des Sommerintensivkurses,<br />
um das surselvische Romanisch zu lernen, engaschiere ich mich seit<br />
bald zwei Jahrezehnten für das Romanische im Allgemeinen und für das Surselvische<br />
im Speziellen. Nichtsdestoweniger habe ich immer eine gewisse Notwendigkeit<br />
gesehen, eine gemeinsame Schriftsprache zu finden. Weil wir Romanen<br />
nie übereingekommen sind, we<strong>der</strong> ein existierendes Idiom noch eine innerromanisches<br />
Art als gemeinsame Sprache zu nehmen – alles in allem hat es<br />
in den letzten 200 Jahren mindestens vier Versuche gegeben – habe ich das RG<br />
(wie dies zu Beginn <strong>der</strong> 80er Jahre gefor<strong>der</strong>t wurde) als Lösung, wenn auch als<br />
herbe Lösung akzeptiert. Was aber seit damals nachfolgte und seinen Höhepunkt<br />
im Jahre 2003 fand, als <strong>der</strong> Kanton beschloss, dass nur noch Lehrmittel in RG<br />
herausgegeben werden, ja die Kin<strong>der</strong> mit RG zu alphabetisieren, dies ist für<br />
mich – wie auch für meine Kolleginnen und Kollegen <strong>von</strong> Pro Idioms - unakzeptabel.<br />
Mein <strong>Referat</strong> basiert auf verschiedenen Quellen :<br />
� auf meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen<br />
� auf Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den<br />
letzten 30 Jahren<br />
� auf sehr zahlreichen Gesprächen, welche ich im Laufe vieler Jahre mit<br />
verschiedenen Personen hatte, insbeson<strong>der</strong>e auch mit eingeladenen Referenten<br />
und Gastdozenten im Intensivkurs Romanisch in Laax<br />
1 Das <strong>Referat</strong> ist am 5. Februar 2011 für die schriftliche Fassung überarbeitet worden.<br />
1
� auf dem <strong>Referat</strong>, das Herr Andrea Urech bei Gelegenheit <strong>der</strong> Gründung<br />
Pro Idioms Sektion Engadin am 14. Januar 2011 in Zernez gehalten hat<br />
� ganz speziell basiert aber mein Exkurs auf <strong>der</strong> Doktorarbeit <strong>von</strong> Renata<br />
Coray, welche im Jahre 2010 ihre Dissertation mit dem Titel « Von <strong>der</strong><br />
Mumma Romontscha zum Retortenbaby Rumantsch Grischun » (MR)<br />
publiziert hat, wie auch auf ihrem <strong>Referat</strong> vom 22. Oktober 2009, präsentiert<br />
bei Gelegenheit des öffentlichen Kolloquiums betreffen RG. Dieses<br />
<strong>Referat</strong> <strong>von</strong> Coray stellt eine Aktualisierung ihrer Dissertation dar, vor allem<br />
über den Teil, in dem es um die Minorisierung des Wi<strong>der</strong>standes gegen<br />
RG geht, mit dem Titel « Rumantsch Grischun : Sprach- und Machtpolitik<br />
in Graubünden », erschienen in den Annalas dalla Societad Retorumantscha<br />
da 2010 (ASR).<br />
Ich setzte mein <strong>Referat</strong> fort mit einem Zitat meines Engadiner Kollegen Andrea<br />
Urech, einer <strong>der</strong> Referenten bei <strong>der</strong> Gründung Pro Idioms Sektion Engadin.<br />
Nicht nur mit seiner Einleitung, son<strong>der</strong>n auch mit seinem Titel trifft Andrea<br />
Urech sehr genau das, was ich bereits seit vielen Jahren im Zusammenhang mit<br />
dem, was betreffend RG geschehen ist, fühle und nachempfinde. Andrea Urech<br />
wählt den Titel „Rumantsch grischun in <strong>der</strong> Schule – ein Projekt ohne Respekt“.<br />
Und ich übernehme diesen Titel, ergänzend mit einem zweiten:<br />
Wenn <strong>der</strong> Krug zum Brunnen geht, bis er bricht<br />
o<strong>der</strong>:<br />
Rumantsch grischun in <strong>der</strong> Schule – ein Projekt ohne Respekt<br />
In <strong>der</strong> Einleitung seines <strong>Referat</strong>es fragt sich Andrea Urech:<br />
� « Wenn ich die Menge <strong>von</strong> gesammelten Akten, Briefen, Leserbriefen,<br />
Communiqués, Artikeln und Berichten <strong>der</strong> letzten 15 Jahre im Zusammenhang<br />
mit RG sehe,<br />
� wenn ich noch einmal die Argumente, die Gegenargumente, die Versprechungen,<br />
die Wahrheiten und Halbwahrheiten, die Gespräche, <strong>Referat</strong>e, Statements<br />
und Inteviews aller Arten <strong>von</strong> Personen höre,<br />
� wenn ich an all die unglücklichen Beschlüsse, das arrogante und diktatorische<br />
Handeln, die Interventionen, Motionen, Petitionen, Hoffnungen – und an<br />
die Enttäuschungen, an die Missverständnisse, Streitfragen und Streitereien<br />
denke,<br />
� und wenn ich die Zwietracht und das Misstrauen zwischen Romanen, das<br />
Misstrauen und die Wut gegenüber den kantonalen Autoritäten und <strong>der</strong> Lia<br />
rumantscha, aber auch den Überdruss und die Gleichgültigkeit <strong>von</strong> vielen<br />
sehe,<br />
dann frage ich mich : Wie ist es möglich, dass eine Idee – zu Beginn legitimiert<br />
und sinnhaft – sich zu so einem Desaster entwicklen kann ? Ich bin überzeugt,<br />
2
dass alle die beste Absicht für das Romanische hatten, und trotzdem ist es so<br />
gekommen. »<br />
Angefangen hat dies mit <strong>der</strong> Idee, eine schriftliche Einheitssprache für den administrativen<br />
und plakativen Gebrauch zu schaffen.<br />
So kann man in <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Sprache (« Auf dem Weg »), d.h. in den<br />
« Richtlinien für die Gestaltung einer gesamtbündnerischen Schriftsprache Rumantsch<br />
Grischun » aus dem Jahre 1982 – unter an<strong>der</strong>em – das Folgende lesen:<br />
� Eine einheitliche Schriftsprache ist ein altes Desi<strong>der</strong>at <strong>der</strong> Romantschia.<br />
Mehrere Versuche hatten aber bis heute aus verschiedenen Gründen keinen<br />
Erfolg. … (S. 3)<br />
� … Nur mit einer solchen Koiné (Gemeinsprache) kann die Romantschia<br />
eine angemessene Sprachpräsens in allen Bereichen <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
(Administration, nationale Organisation, Bundesverwaltung, Gebrauch im<br />
weitreichen<strong>der</strong>en Sinne, Bezeichnungen, Inschriften u.s.w.) realisieren<br />
und so eine organische Entwicklung <strong>der</strong> Sprache erreichen und gewährleisten<br />
… (S. 3)<br />
� Diese Erkenntnis, die praktische Notwendigkeit im täglichen Gebrauch<br />
und das fortgesetzte Ansinnen <strong>der</strong> Romanen und vor allem auch <strong>der</strong> Sympatisanten<br />
unserer Sprache haben die LR motiviert, die Initative zu ergreifen,<br />
und zu versuchen, eine einheitliche Schriftsprache zu erreichen. …<br />
(S. 3)<br />
Die Ziele waren also, dem Romanischen eine stärkere Präsens zu geben. Mit<br />
dieser Idee waren – und sind immer noch – viele einverstanden, gerade auch<br />
wir (die zwei Referenten <strong>von</strong> heute, die zwei Referenten aus dem Engadin,<br />
Andrea Urech und Mario Pult, wie auch die Pro Idioms). Unserer Meinung<br />
nach macht dies Sinn.<br />
In <strong>der</strong>selben Einleitung zu den « Richtlinien … » kann man ein wenig später<br />
folgendes lesen :<br />
� Von unserem Willen und unserer Haltung hängt es jetzt ab, ob auch dieses<br />
RUMANTSCH GRISCHUN in <strong>der</strong> Praxis des Sprachgebrauchs in den<br />
einzelnen angemessenen Bereichen eine Chance hat. In jedem Fall will<br />
die einheitliche Schriftsprache die existierenden Idiome nicht konkurrenzieren<br />
o<strong>der</strong> ersetzen, son<strong>der</strong>n einzig eine Alternative dort sein, wo nur eine<br />
romanische Variante möglich ist und wo das Deutsche die momentane<br />
Situation beherrscht. Das RUMANTSCH GRISCHUN ist ein Angebot für<br />
jeden, <strong>der</strong> da<strong>von</strong> Gebrauch machen will (keiner muss !). Es ist ein wohl<br />
ausgewogener Kom<strong>pro</strong>miss und darum bei allen als schriftliche Sprache<br />
für den überregionalen Gebrauch grundsätzlich akzeptiert. Je<strong>der</strong> spricht<br />
also weiterhin sein Idiom ; je<strong>der</strong> schreibt selbstverständlich weiterhin sein<br />
Idiom ; je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> guten Willens ist, kann dennoch RUMANTSCH GRIS-<br />
CHUN lesen und verstehen.<br />
3
Das Ausgehandelte ist allerdings sehr schnell verlassen worden und hat im Lauf<br />
<strong>der</strong> Jahre eine Eigendynamik entwickelt, ja noch schlimmer : es sind ein unehrenhafter<br />
Stil und bösartige Strategien festzustellen, die sich durch Vereinfachungen,<br />
Ignoranz, Verfälschung, Minimierung und Vermin<strong>der</strong>ung sowie Hast<br />
auszeichneten. Ein Artikel in La Quotidiana (LQ) vom 27. Januar 2011 (S. 3)<br />
will uns aber ein ganz an<strong>der</strong>es Bild über den Verlauf geben. Wenn man diesem<br />
breiten und grossen Artikel glauben würde, so würde man denken, dass alles auf<br />
transparente, demokratische und ehrenvolle Art und Weise geschehen sei. Unsere<br />
während Jahrzehnten gesammelte Dokumentation über das Thema RG und<br />
seine Ausbreitung zeigt aber ein an<strong>der</strong>es Gesicht. Die Dissertation <strong>von</strong> Renata<br />
Coray, geschrieben im Jahre 2006 und als Buch herausgegeben im Jahre 2010,<br />
mit dem Titel « Von <strong>der</strong> Mumma Romontscha zum Retortenbaby Rumantsch<br />
Grischun », wie auch ihr Artikel « Rumantsch Grischun : Sprach- und Machtpolitik<br />
in Graubünden » in den Annalas 2010, enthüllen, offenbaren und demaskieren<br />
wie keine an<strong>der</strong>e Arbeit, was und wie die Angelegenheiten betreffend RG<br />
sich im Verlauf <strong>der</strong> letzten drei Jahrzehnte entwickelt haben. Der Inhalt <strong>der</strong> Zusammenfassung<br />
in den Annalas 2010, aber selbstverständlich auch die Arbeit<br />
<strong>der</strong> Dissertation, ist <strong>von</strong> so grosser Bedeutung um zu verstehen, was mit uns<br />
Romanen geschehen ist, dass ich nicht umhin komme, verschiedene Tatsachen<br />
daraus zu präsentieren; diese Arbeit eröffnet unter an<strong>der</strong>em, dass viele gefallene<br />
Entscheide – vor allem auch politische, und solche <strong>von</strong> einer immensen Bedeutung<br />
für die Sprache – sich auf Desorientierung gründen.<br />
Die « Übersicht über die Entwicklung 1982-2004 » (aus <strong>der</strong> LQ, 27.01.2011, S.<br />
3) soll ein roter Faden während meines kritischen Exkurses bilden. Denn ohne<br />
die Verfälschungen, Desorientierungen und ohne – ich muss es sagen – Lügen<br />
wären solche Entscheide, wie es <strong>der</strong> eben erwähnte Artikel zusammenfasst, nie<br />
gefallen, und wir wären heute nicht in <strong>der</strong> Situation, dass man ausrufen muss :<br />
Das ist <strong>der</strong> Wahnsinn !<br />
4
Teil aus dem Artikel LQ, 27.01.2011, S. 3, Kolonnen 1-4,<br />
mit dem Titel « Konzept Rumantsch grischun in <strong>der</strong> Schule;<br />
Zusammenfassung des Beschlusses <strong>der</strong> Regierung vom 21. November 2004 »<br />
5
LQ, 27.01.2011, S. 3,<br />
Kolonne 5<br />
6
« Die Übersicht über die Entwicklung 1982-2004 » (LQ, 27.01.2011) beginnt<br />
mit :<br />
« Im Auftrag <strong>der</strong> Lia Rumantscha arbeitet Heinrich Schmid, Romanistik<strong>pro</strong>fessor<br />
<strong>der</strong> Universität Zürich, das Rumantsch grischun als romanische Standartsprache<br />
».<br />
Die Lia Rumantscha (LR) hat nie jemanden beauftragt, Bernard Cathomas hat<br />
selbst den Auftrag an Herrn Heinrich Schmid gegeben. Renata Coray schreibt<br />
auf S. 137 (MR) : « Der LR-Sekretär B. Cathomas scheint aus eigener Initiative,<br />
d.h. ohne expliziten Auftrag <strong>der</strong> Delegiertenversammlung das Projekt RG lanciert<br />
zu haben. »<br />
Dass dies ein Faktum ist, hat <strong>der</strong> ehemalige Präsident <strong>der</strong> LR vor einigen wenigen<br />
Tagen bestätigt. Er bezeichnet dieses Factum als « <strong>der</strong> Trick <strong>von</strong> Bernard ».<br />
Am 1. April 1982 hat Prof. Dr. H. Schmid seine Weisungen betreffend RG zur<br />
Vernehmlassung präsentiert. Im Sommer 1982 werden die Weisungen in <strong>der</strong> LR<br />
veröffentlicht.<br />
« Die wie<strong>der</strong>holte Betonung <strong>der</strong> freiwilligen Verwendung <strong>von</strong> RG für die schriftliche,<br />
überregionale Kommunikation und <strong>der</strong> unangetasteten Dominanz <strong>der</strong><br />
Idiome in den Regionen trägt ebenfalls zum Abbau <strong>von</strong> Wi<strong>der</strong>ständen bei. »<br />
(Coray, MR, S. 138).<br />
Der Romanistik<strong>pro</strong>fessor Dr. Alexi Decurtins, wie auch die Romanistik<strong>pro</strong>fessorin<br />
Dr. Ricarda Liver – zusammen mit Prof. Schmid beauftragt « gemeinsam die<br />
Erarbeitung einer soliden wissenschaftlichen Grundlage zur Schaffung einer<br />
schriftsprachlichen Koiné für das Rätoromanische zu diskutieren » – distanzieren<br />
sich bereits im Jahre 1982 <strong>von</strong> dem eingeschlagenen Weg betreffend RG<br />
(Coray, MR, S. 137).<br />
7
« Nach Veröffentlichung <strong>der</strong> « Richtlinien » im Sommer 1982 öffnet die LR den<br />
« sorgsam geschlossenen Informationsvorhang » (NZZ 28.5.1982) und orientiert<br />
unter Mitwirkung <strong>von</strong> H. Schmid in verschiedenen Informationsveranstaltungen<br />
die rätoromanische Öffentlichkeit über RG (in Chur, Zernez, Donat, Ilanz und<br />
Tiefencastel). An diesen Veranstaltungen wird erneut betont, dass RG keine<br />
Konkurrenz zu den existierenden Idiomen sein solle und in erster Linie für Publikationen<br />
vorgesehen sei, die bisher auf Deutsch verfasst worden waren und<br />
sich an alle Rätoromanen richteten (z.B. Formulare, Plakate, Reklame etc.). »<br />
etc. (Coray, MR, S. 139). Dies schreibt R. Coray – unter an<strong>der</strong>em – unter dem<br />
Titel « Aufbruchstimmung und schweigende Basis ». In <strong>der</strong> Presse sind in jener<br />
Zeit nur wenige kritische Stimmen betreffend RG zu hören, stellt R. Coray fest<br />
(MR, S. 140). « Eine kritische Stimme stammt vom Beobachter-Journalisten H.<br />
Caprez, <strong>der</strong> RG als « eine Art Esperanto für Rätoromanen », als eine <strong>von</strong> oben<br />
und <strong>von</strong> Professoren diktierte intellektuelle Sprache ohne Unterstützung <strong>der</strong> Basis<br />
und als totale Überfor<strong>der</strong>ung für die romanischen Schüler bezeichnet. Er<br />
warnt davor, das Schweigen <strong>der</strong> rätoromanischen Bevölkerung als Zustimmung<br />
zu interpretieren und for<strong>der</strong>t die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges <strong>der</strong><br />
« organischen Annäherung » (vgl. Beobachter, 15.08.1982; BüZ, 8.1.1983; LCP,<br />
4.3.1983; GR, 22.3.1983).<br />
Auch <strong>der</strong> Chefredaktor <strong>der</strong> « Gasetta Romontscha » G. Capaul kritisiert, dass<br />
RG <strong>von</strong> oben und in zu imperativem Ton eingeführt werde (GR, 22.3.1983). Die<br />
LR ihrerseits weist <strong>der</strong>artige Propaganda-Vorwürfe <strong>von</strong> sich, RG habe aufgrund<br />
seiner Qualität, Verständlichkeit und leichten Anwendbarkeit Reklame für sich<br />
selbst gemacht. Dem Vorwurf <strong>der</strong> Einführung einer Elitesprache <strong>von</strong> oben hält<br />
sie entgegen, dass alle Schriftsprachen Europas <strong>von</strong> oben eingeführt und <strong>von</strong><br />
Fachleuten geschaffen worden seien. Auch in <strong>der</strong> Medizin verschreibe <strong>der</strong> Arzt<br />
Medikamente, ohne vorher die Meinung des Patienten zu erforschen (GR,<br />
29.3.1983).<br />
Im Kapitel « Von <strong>der</strong> « introducziun migeivla » zur sanften « Force majeure »<br />
schreibt Coray : Die « Ärzte » und « umsichtigen Führer » (<strong>Referat</strong>smanuskript<br />
Archiv LR, 17.9.1983, S. 3) <strong>der</strong> LR arbeiten intensiv und beharrlich an <strong>der</strong> Entwicklung<br />
und Verbreitung ihrer « Medizin » : …<br />
Betreffend die neue Anwendung im Bund schreibt Coray unter an<strong>der</strong>em (MR, S.<br />
141. 142): « Bereits früh sucht die LR die Diskussion mit dem Bund und dem<br />
8
Kanton Graubünden, um diese da<strong>von</strong> zu überzeugen, RG als romanische Publikationssprache<br />
zu verwenden. Während sich <strong>der</strong> Kanton vorerst zurückhaltend<br />
gibt und auf den (wissenschaftlichen) Versuchscharakter dieses Sprachunternehmens<br />
verweist (NZZ, 21.7.1983; BüZ, 1.6.1987), zeigt sich <strong>der</strong> Bund <strong>von</strong><br />
Anfang an interessiert (cf. G. Lechmann 2005, S. 213ff.). Bundesrat L.<br />
Schlumpf ist ein <strong>pro</strong>minenter Unterstützer <strong>von</strong> RG, <strong>der</strong> diese neue Schriftsprache<br />
konsequent verwendet. Damit übt er die <strong>von</strong> B. Cathomas erhoffte sanfte<br />
« Force majeure » aus (B. Cathomas 1983, S. 28; GR, 28.12.1984) und trägt zur<br />
Schaffung eines willkommenen « Sachzwangs » <strong>von</strong> aussen bei (B. Cathomas<br />
1988, S. 14). »<br />
Coray hält weiter fest (MR, S. 142) : « Aus den parlamentarischen Debatten<br />
zum Publikationsgesetz geht hervor, dass mittels konsequenter Übersetzungen in<br />
RG ein « sanfter Druck » ausgeübt werden könnte zugunsten <strong>der</strong> Durchsetzung<br />
dieser einheitlichen Schriftsprache in Graubünden. »<br />
Die Umfrage <strong>von</strong> Erwin Diekmann (1987) :<br />
Die erste öffentliche Untersuchung ist das Fragebuch betreffend Akzeptanz des<br />
RG, welches <strong>von</strong> dem Romanisten Erwin Diekmann <strong>von</strong> <strong>der</strong> Universität Mannheim<br />
im Jahre 1987 schriftlich angefertigt worden ist. Dieses Fragebuch war an<br />
die Kulturträger (wie Lehrer, Gemeinde-, kantonale und Bundesangestellte,<br />
Pfarrer, Journalisten, Postangestellte, Bankangestellte, Schriftsteller, u.s.w.)<br />
adressiert. Coray schreibt dazu: « Bei <strong>der</strong> Beschaffung <strong>der</strong> Adressen dieser<br />
« Meinungsführer » hat er (Diekmann) auf die Hilfe <strong>der</strong> Lia Rumantscha zurückgegriffen<br />
(vgl. ibidem 1991, S. 97f., Anm .28). Die Auswertung <strong>der</strong> 948<br />
retournierten Fragebogen ergab eine hohe Akzeptanz für RG, wie in mehreren<br />
Artikeln <strong>von</strong> Diekmann nachzulesen ist : Vorbehaltloses Gefallen an RG fand<br />
rund die Hälfte <strong>der</strong> befragten (RG als Schriftsprache gefällt 15.2% sehr gut und<br />
34.4% gut). Mehr als drei Fünftel sahen in RG nicht eine Gefahr für die Idiome<br />
(62.5%), son<strong>der</strong>n eine Massnahme zum Schutz für das Rätoromanische (64.4%).<br />
Und mehr als die Hälfte (51.6%) sprachen sich dafür aus, RG wie das Hochdeutsche<br />
in <strong>der</strong> Deutschschweiz zu verwenden. » (Coray, ASR, S. 149).<br />
Dieses Resultat wurde im Zusammenhang mit den Festivitäten zu 50 Jahre<br />
Anerkennung des Romanischen als Nationalsprache publiziert und hat grosse<br />
Aufmerksamkeit gefunden. Dass diese Umfrage für die romanische Bevölkerung<br />
nicht repräsentativ ist, son<strong>der</strong>n einzig für die « rätoromanische Bildungselite<br />
» (Coray, ASR, S. 150), 2 dies wird nur am Rande erwähnt o<strong>der</strong> teilweise<br />
überhaupt nicht. Dennoch habe Diekmann, so Coray, immer wie<strong>der</strong> in seinen<br />
Publikationen aufmerksam gemacht darauf, dass es sich nicht um eine repräsentative<br />
Umfrage handle. Nichtsdestoweniger spricht die Presse <strong>von</strong> einer repräsentativen<br />
Umfrage, und gar in Traktaten betreffend RG wird dasselbe gefor<strong>der</strong>t.<br />
2 Anmerkung des Referenten: Zudem gilt dies auch nur für einen bestimmten Teil <strong>der</strong> « Bildungselite ».<br />
9
« Der damalige Generalsekretär <strong>der</strong> Lia Rumantscha beispielsweise verweist in<br />
einem Interview als Antwort auf die Frage nach <strong>der</strong> Unterstützung <strong>von</strong> RG<br />
durch die romanische Basis auf diese Mannheimer-Umfrage und bezeichnet sie<br />
als « erste veröffentlichte Repräsentativumfrage », die « stichhaltig eine sehr<br />
breite Akzeptanz des Rumantsch Grischun beweise (B. Cathomas, in: BüZ,<br />
18.02.1988). 3<br />
Im Jahre 1989 gibt Langenscheidt das (unterdessen ausverkaufte) « Pledari »<br />
heraus, und zwar mit dem Titel « Langenscheidt Wörterbuch romanisch. Rätoromanisch-Deutsch,<br />
Deutsch-Rätoromanisch ». Auch dies ist eine <strong>der</strong> (gelungenen)<br />
Versuche, die Romanen glauben zu lassen, dass es endlich ein romanisches<br />
Wörterbuch gebe, endlich eine Schriftsprache für das Romanische, endlich eine<br />
Standartisierung des Romanischen u.s.w.<br />
So findet man im « Vorwort » des Wörterbuches « Langenscheidt Wörterbuch<br />
romanisch. Rätoromanisch-Deutsch, Deutsch-Rätoromanisch » – man solle nicht<br />
überrascht sein – das Folgende: « Da das Rätoromanische in mehrere regionale<br />
Varianten zerfällt, wurde ein Wörterbuch des RUMANTSCH GRISCHUN gewählt,<br />
das als Standardsprache die rätoromanischen Varietäten in Graubünden<br />
(Schweiz) abdeckt. Diese 1982 geschaffene und seither in immer neuen Bereichen<br />
<strong>der</strong> überregionalen schriftlichen Kommunikation gebrauchte Schriftsprache<br />
unterscheidet sich im grossen und ganzen vor allem im lautlichen Bereich <strong>von</strong><br />
den verschiedenen ges<strong>pro</strong>chenen Varianten des Rätoromanischen in <strong>der</strong><br />
Schweiz… ».<br />
Genau in die gleiche tendenziöse Kerbe schlagen auch Artikel <strong>von</strong> an<strong>der</strong>n, Artikel,<br />
die <strong>von</strong> RG als standartisierte Sprache sprechen, die endlich die romanischen<br />
Dialekte einen würde – wohlgemerkt: Dialekte!<br />
« Unmutsbekundungen gegen RG sind in <strong>der</strong> untersuchten Presse <strong>der</strong> ersten Jahre<br />
eher selten. Hin und wie<strong>der</strong> mahnen Kommentatoren zu Vorsicht angesichts<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bevölkerung verhandenen Ängste und Wi<strong>der</strong>stände und bemängeln<br />
die fehlende öffentliche kritische Diskussion zu RG. Erst ab 1988 finden sich<br />
zunhemend kritische Stellungnahmen. » (Coray, MR, S. 147)<br />
« 1988… meldet sich eine erste einflussreiche Persönlichkeit gegen die angewandten<br />
Methoden <strong>der</strong> Einführung <strong>von</strong> RG : <strong>der</strong> damalige Bündner Regierungspräsident<br />
D. Cadruvi äussert sich als Privatperson und anerkennt zwar die Notwendigkeit<br />
<strong>von</strong> RG, kritisiert jedoch die Art und Weise, wie die LR diese Sprache<br />
« einhämmern », « durchboxen » und mittels « Zwängerei » einführen wolle<br />
(BT, 24.8.1988). » (Coray, MR, S. 147)<br />
Weiter: « Bereits in einer Informationsveranstaltung in Domat/Ems anfangs<br />
April 1984 hat B. Cathomas gemäss Pressebericht in <strong>der</strong> Diskussion die wünschbare<br />
langfristige Durchsetzung <strong>von</strong> RG als Schriftsprache aller Rätoromanen<br />
3 Weitere Beispiele, die eine hohe Akzeptanz <strong>von</strong> RG mit Verweis auf diese Umfrage untermauern, ohne auf die<br />
auf eine Bildungselite beschränkte Aussagekraft hinzuweisen, finden sich in: Der Bund, 19.02.1988; Tages-<br />
Anzeiger, 18.05.1989; R. Posner/K.H. Rogers 1993: S. 234, u.s.w..) (Coray, ASR, S. 150).<br />
10
erwähnt und die künftige Rolle <strong>der</strong> Idiome mit <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> Schweizerdeutschen<br />
Mundarten verglichen (GR, 6.4.1984). Während diese Zukunftsvision, die<br />
konsequent weitergedacht die integrale Einführung <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> Schule bedeutet,<br />
keinerlei Reaktionen auslöst, <strong>pro</strong>voziert die Übersetzung des Kin<strong>der</strong>buches<br />
« Grischetta si culm » auf RG im Herbst 1984 einige negative Reaktionen : Die<br />
LR wird <strong>der</strong> Unredlichkeit bezichtigt, sie habe RG als Lese- und Plakatsprache<br />
<strong>pro</strong>pagiert, die das Deutsche ersetzen solle, gehe jetzt aber weit über dieses Ziel<br />
hinaus und stifte damit Verwirrung (z.B. FL, 12.10.1984). » (Coray, MR, S.<br />
144). Solche Aktionen haben zur Konsequenz, dass ein Mitglied des Vorstandes<br />
<strong>der</strong> LR, <strong>der</strong> Romanist und Sprach<strong>pro</strong>fessor <strong>der</strong> Kantonsschule, Isidor Winzap,<br />
aus Protest den Vorstand <strong>der</strong> LR verlässt. « Er kritisiert den übertriebenen Einsatz<br />
für RG und die Vernachlässigung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Idiome. » (TA,<br />
5.9.1990)<br />
11
Die <strong>pro</strong>spektive Umfrage des Kulturinstitutes (1995) :<br />
Zu Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre haben die Diskussionen und Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
zwischen Befürwortern und Gegnern des RG einen ersten Höhepunkt erreicht.<br />
Um die Diskussionen mehr zu objektivieren hat die Bündner Regierung eine<br />
wissenschaftliche Umfrage betreffend Akzeptanz des RG machen lassen. Bis<br />
heute haben diese Resultate eine wichtige Rolle im Gespräch betreffend RG<br />
gespielt. Renata Coray schreibt: « Mit <strong>der</strong> Durchführung wurde ein Forschungsinsitut<br />
in Zürich, das « Institut culutur <strong>pro</strong>spectiv » beauftragt. Dieses nahm im<br />
Jahr 1995 eine repräsentative Meinungsumfrage in den fünf Idiomgebieten sowie<br />
im Raum Chur vor und zwar bei romanischsprechenden Stimmberechtigten,<br />
gemäss einer Zufallsstich<strong>pro</strong>be. Es wurden über 1‟100 Befragungen durchgeführt.<br />
Die Publikation des Forschungsteams beinhaltet eine ausführliche Darstellung<br />
des Forschungsdesigns (vgl. D. Gloor et al. 1996, S. 17ff.), erstaunlicherweise<br />
aber nicht den <strong>der</strong> Befragung zugrunde liegenden Fragebogen und die darin<br />
vorhandenen Antwortkategorien. Für eine vertiefte Auswertung <strong>der</strong> Daten<br />
wäre das Vorliegen dieses Fragebogens jedoch sehr aufschlussreich. Aber auch<br />
nach zweimaliger Anfrage bei diesem Institut habe ich den Fragebogen nicht<br />
erhalten. « (Coray, ASR, S. 151)<br />
Wir wollen den Blick auf diese Umfrage werfen: Coray konzentriert sich auf<br />
zwei Fragen <strong>der</strong> Studie, namentlich auf <strong>der</strong> fundamentalen Frage:<br />
� « Wollen Sie eine einheitliche Schriftsprache? » – unabhängig in welcher<br />
Form<br />
� Die zweite Frage, die Coray analisiert, ist die Frage <strong>der</strong> Domänen, wo<br />
dass eine einheitliche Schriftsprache angewendet werden sollte.<br />
Coray schreibt: « Auf die Grundsatzfrage « Wollen Sie eine einheitliche Schriftsprache?<br />
» - unabhängig da<strong>von</strong>, welcher Sprache diese Funktion zukäme, antworteten<br />
66% Ja und 35% Nein. Die 66% Befürworter einer einheitlichen<br />
12
Schriftsprache setzen sich zusammen aus 44%, die sich für RG als gemeinsame<br />
Schriftsprache aussprechen, und 22%, die dafür ein bestehendes Idiom vorziehen.<br />
Die 35% Gegner einer einheitlichen Schriftsprache setzen sich zusammen<br />
aus 19%, die grundsätzlich gegen eine einheitliche Lösung sind, und 16%, die<br />
sich explizit gegen die Lösungsvorschläge RG o<strong>der</strong> Surmiran aussprechen.<br />
Dies bedeutet also dass …<br />
„Wollen Sie eine einheitliche Schriftsprache?“<br />
Grafik: “Fünf Idiome – eine<br />
Schriftsprache?”, S. 91):<br />
13<br />
…57% wollen das RG nicht<br />
→ 44% sind für das RG<br />
→ 57% (22% + 35%) wollen das RG nicht
Eine zweite wichtige Frage des Zürcher Forschungsteams betrifft die Anwendungsbereiche<br />
einer gemeinsamen Schriftsprache. Gefragt wurden alle – also<br />
auch die 35%, die sich gegen eine einheitliche Lösung ausges<strong>pro</strong>chen hatten und<br />
auch die 22%, die nicht RG, son<strong>der</strong>n ein Idiom bevorzugt hatten: Sollte für Romanischbünden<br />
eine überregionale Schriftsprache eingeführt werden, so bleibt<br />
die Frage zu beantworten, in welchen Bereichen diese Sprache verwendet werden<br />
soll. Damit den Befragten diese Situation nahegabracht werden konnte,<br />
wurde die Vorgabe gemacht, im Kanton sei ein Entscheid zugunsten einer einheitlichen<br />
Lösung gefallen : In welchen Bereichen soll dann eine Schriftsprache<br />
möglichst bald, erst allmählich o<strong>der</strong> gar nicht eingeführt werden ? Diese Frage<br />
wurde allen Befragten gestellt, unabhängig da<strong>von</strong>, ob sie selbst eine gemeinsame<br />
Lösung befürwortet o<strong>der</strong> abgelehnt haben. » (ASR, S. 151) 4<br />
Die Evaluation dieser Frage finden wir in <strong>der</strong> folgenden Grafik mit dem Titel<br />
Haltung zur Einführung <strong>der</strong> einheitlichen Schriftsprache in den verschiedenen<br />
Bereichen.<br />
Grafik aus den « Annalas » 2010, S. 152,<br />
bzw. aus<br />
« Fünf Idiome – eine Schriftsprache ? » S. 119 :<br />
Coray schreibt weiter (Coray, ASR, S. 153): « Diese Grafik zeigt, wie gross die<br />
Zustimmung aller Befragten zur allmählichen o<strong>der</strong> möglichst raschen Einführung<br />
einer einheitlichen Schriftsprache in bestimmten Domänen ist – unter<br />
4 Anmerkung des Referenten: Hier hätten die Befragten reagieren müssen und auf diese Frage nicht antworten,<br />
aber wer hat dies gemacht ?<br />
14
eben dieser hypothetischen Vorgabe, im Kanton sei ein Entscheid zugunsten einer<br />
Einheitssprache gefallen. Unter diesen Umständen halten die meisten die<br />
Einführung in <strong>der</strong> Schule und in den Medien für ratsam… » – also nur « unter<br />
diesen Umständen » !<br />
Und nun folgt die zweite Verfälschung:<br />
Wie sind diese Resultate (die bereits in sich nicht korrekt sind !) den Medien<br />
präsentiert worden ? Coray schreibt: « Augenfällig ist die ungenaue Darstellung<br />
dieser zweiten Frage zu den Anwendungsbereichen : Zahlreiche Zeitungen und<br />
interviewte Akteure setzten nämlich die Zustimmung zu einer hypothetisch beschlossenen<br />
einheitlichen Schriftsprache automatisch gleich mit <strong>der</strong> Zustimmung<br />
zu RG in den erfragten Bereichen (!). Am deutlichsten wird dies in einer falsch<br />
beschrifteten Graphik in einem Zeitungsartikel (Bündner Tagblatt,<br />
21.12.1995)… »<br />
Grafik aus den « Annalas « 2010, S. 153 :<br />
Hier handelt es sich also um eine vielfache Verfälschung und verursachte Verwirrung<br />
unter an<strong>der</strong>em bereits durch die gestellten Fragen. Es verwun<strong>der</strong>t nicht,<br />
dass die Fragen nicht herausausgegeben werden.<br />
15
Und nun folgt die dritte Verfälschung:<br />
In <strong>der</strong> ersten Grafik (ASR, S. 152, resp. « Fünf Idiome – eine Schriftsprache »,<br />
S. 119), welche <strong>der</strong> Pressekonferenz vom 20. Dezember 1995 zur Verfügung<br />
gestellt worden ist, handelt sich überhaupt nicht um das RG! In <strong>der</strong> Grafik des<br />
« Bündner Tagblatt » ist die Erwähnung « einheitliche Schriftsprache » einfach<br />
ersetzt worden durch « Rumantsch Grischun ». Dadurch ist suggeriert worden,<br />
dass <strong>der</strong> grosse Teil <strong>der</strong> Befragten für die Einführung des RG in den Schulen<br />
und in den Medien sei. Und Coray setzt fort: « Auf diese falsche Interpretation<br />
stossen wir seither immer wie<strong>der</strong> im öffentlichen Diskurs, wenn es darum geht,<br />
eine hohe Akzeptanz <strong>von</strong> RG belegen zu wollen. Dazu nur zwei Originalzitate<br />
aus <strong>der</strong> Presse :<br />
Die am Mittwoch veröffentlichte Romanen-Umfrage <strong>der</strong><br />
Bündner Regierung zeigt es klar und deutlich : Eine grosse<br />
Mehrheit <strong>der</strong> rätoromanischen Bevölkerung will Rumantsch<br />
Grischun in den Zeitungen lesen und am Radio hören.<br />
(Bündner Zeitung, 22.12.1995)<br />
Die Angabe wäre richtig gewesen:<br />
→ 44% sind für RG<br />
→ 57% (bzw. 56%) sind für eine an<strong>der</strong>e Lösung!<br />
Das, was uns überrascht, und das, was für uns neu ist, ist, dass<br />
ein so grosser Teil 5 <strong>der</strong> Befragten möchte, dass Rumantsch<br />
grischun in den Zeitungen und im Sektor <strong>der</strong> Schule relativ<br />
schnell eingeführt und verwendet. Es ist interessant zu sehen,<br />
dass die Romanen regelmässig Rumantsch grischun lesen<br />
möchten und dass die Romanen Rumantsch grischun lernen<br />
möchten. Das wurde bis jetzt nicht so klar ausgedrückt. (Interview<br />
B. Cathomas, in: La Casa Paterna/La Pùnt, 05.01.1996)<br />
Coray schreibt betreffend betreffend diesen Dreck (verzeiht den Ausdruck !):<br />
« Es ist jedoch offensichtlich absurd zu behaupten, dass eine « deutliche<br />
Mehrheit » o<strong>der</strong> « fast 80% <strong>der</strong> Romanen » (BZ, 22.11.1995; La Nova/BT,<br />
22.12.1995), die Einführung <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> Schule und den Medien begrüssten,<br />
wenn wir uns die Grundsatzfrage in Erinnerung rufen, wo sich total 57% explizit<br />
o<strong>der</strong> implizit gegen RG ausges<strong>pro</strong>chen haben. Diese 57% <strong>der</strong> Befragten, die sich<br />
nicht für RG erwärmen konnten, mussten sich alle zur Frage äussern, wo es Sinn<br />
mache, eine gemeinsame Schriftsprache einzuführen, falls eine solche im Kanton<br />
beschlossen würde. Daraus zu schliessen, diese 57% RG-Skeptiker und RG-<br />
Gegner begrüssten die Einführung <strong>von</strong> RG in den entsprechenden Domänen, ist<br />
offensichtlich falsch. »<br />
5 Fettsetzung durch Referenten Fr. <strong>Friberg</strong>!<br />
16
Coray weiter (ASR, S. 155) : « Aber bis heute finden wir diese unkorrekte Interpretation<br />
<strong>der</strong> Zürcher Umfrage und zwar auch in wissenschaftlichen Publikationen.<br />
In einem Fachartikel zu RG <strong>von</strong> 1999 beispielsweise lesen wir unter <strong>der</strong><br />
korrekt beschrifteten Graphik :<br />
« La majorité des Romanches est favorable à l‟introduction<br />
« au plus vite » ou « avec le temps » du Rumantsch Grischun<br />
dans l‟administration, les médias et l‟école ainsi que dans le<br />
domaine des panneaux et affiches. »<br />
(Manfred Gross 1999, S. 103).<br />
Solche vielfachen Verfälschungen und Grafiken mit manipulierten Titeln geben<br />
– selbstverständlich – <strong>der</strong> Öffentlichkeit – wie auch den Gremien und den Personen,<br />
die betreffend Sprachpolitik zu entscheiden haben – den Eindruck, dass<br />
ein grosser Teil <strong>der</strong> Romanen hinter <strong>der</strong> Einführung des RG in den betreffenden<br />
Domänen stehe (vgl. Coray, ASR, S. 55).<br />
Das Konzept Haltiner (1999)<br />
Ein weiterer grosser Schritt in <strong>der</strong> Geschichte des RG ist das sogenannte Konzept<br />
Haltiner aus dem Jahre 1999 gewesen. Coray schreibt (ASR, S. 155): « Das<br />
Konzept Haltiner war <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bündner Regierung in Auftrag gegeben worden<br />
und zwar im Anschluss an die oben dargestellte wissenschaftliche Umfrage (!)<br />
und den darauf basierenden Regierungsbeschluss <strong>von</strong> 1996. In diesem Regierungsbeschluss<br />
war bestimmt worden, dass RG die kantonale Amtssprache werde,<br />
dass die Idiome aber weiterhin die sprachliche Basis <strong>der</strong> Grundschulen bildeten<br />
und dass den Kin<strong>der</strong>n bis Ende <strong>der</strong> Schulzeit nur passive Kenntnisse <strong>von</strong> RG<br />
vermittelt werden sollten. Eine Arbeitsgruppe <strong>von</strong> Fachleuten unter <strong>der</strong> Leitung<br />
17
des Mo<strong>der</strong>ators Ruedi Haltiner wurde beauftragt, ein Konzept für die Umsetzung<br />
dieses Beschlusses im Schulbereich zu erarbeiten. »<br />
Wohlverstanden: Die Bünn<strong>der</strong> Regierung hat diese Gruppe beauftragt, auf dem<br />
Fundament <strong>der</strong> Resultate <strong>der</strong> Studie « <strong>pro</strong>spektive Kultur » zu arbeiten, also auf<br />
einer Studie, die mehr als dubios und unbrauchbar ist.<br />
Und Renata Coray schreibt weiter (ASR, S. 155 f. ): « Gemäss Konzept Haltiner<br />
aus dem Jahr 1999 sollen zuerst die Idiomkenntnisse in den ersten Schuljahren<br />
gefestigt werden, bevor frühestens ab <strong>der</strong> 4., 5. o<strong>der</strong> 6. Klasse eine zurückhaltende<br />
Begegnung mit RG stattfindet. Erst in den weiterführenden Schulen, namentlich<br />
in Gymnasien und Lehrerseminarien, sollen aktive RG-Kenntnisse<br />
(d.h. Schreibfähigkeiten) vermittelt werden, wobei weiterhin die Vermittlung<br />
soli<strong>der</strong> Idiomkenntnisse die Prioriät haben müsse. »<br />
An diesem Ort ist es zu sagen, dass mit dem 1. Januar 1999 <strong>der</strong> Departementschef<br />
gewechselt hat. « Das Konzept Haltiner ist nie veröffentlicht worden und<br />
dementsprechend fand auch keine öffentliche Diskussion dazu statt. Die Bündner<br />
Regierung hat auf <strong>der</strong> Grundlage dieses unveröffentlichten Konzepts einen<br />
neuen Regierungsbeschluss gefasst und darin explizit festgehalten: « Die vorliegenden<br />
Empfehlungen (des Konzepts Haltiner; R.C.) sind als Grundkonzept zur<br />
Einführung <strong>von</strong> Rumantsch Grischun im Bereich Schule anzusehen. » (RB,<br />
7.12.2000, 4).<br />
Das Konzept Haltiner beinhaltet aber explizit nicht die Einführung <strong>von</strong> RG als<br />
Alphabetisierungssprache. Trotzdem wird es bis heute in <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> sogenannt<br />
logischen Schritte Richtung Alphabetisierungssprache RG aufgezählt. »<br />
In diesem Kontext ist auch <strong>der</strong> Artikel in <strong>der</strong> LQ (27.01.2011, S. 3) zu konsultieren.<br />
Die Volksabstimmung betreffend RG als offizielle Sprache des Kantons<br />
Graubünden<br />
Coray (ASR, S. 156): « Die Reihe <strong>der</strong> im öffentlichen Diskurs uminterpretierten<br />
Resultate <strong>von</strong> Umfragen und Konzepten lässt sich fortsetzen : Am 10. Juni 2001<br />
haben die StimmbürgerInnen des Kantons Graubünden darüber abzustimmen,<br />
ob anstelle <strong>der</strong> bisherigen Verwendung des surselvischen und ladinischen<br />
Idioms neu RG als romanische Schriftsprache für die kantonalen Anstimmungsunterlagen<br />
eingeführt werde. Es handelt sich um die erste Volksabstimmung, in<br />
<strong>der</strong> es explizit um das RG geht, und damit um die erste Möglichkeit nach zwanzig<br />
Jahren, an <strong>der</strong> Urne seine Haltung gegenüber RG zum Ausdruck zu bringen.<br />
» Dass die Romanen <strong>von</strong> den Deutschen überstimmt würden, war <strong>von</strong> Anfang<br />
an klar. Mit einer intensiven Kampagne bemühten sich die Befürworter des<br />
18
RG eine romanische Mehrheit zu überzeugen. Die Volksabstimmung hat RG mit<br />
gut 2/3 angenommen.<br />
LQ, 27.01.2011, 7. Punkt :<br />
Es wurde hingegen nicht zur Kenntnis genommen da<strong>von</strong>, dass diese Revision<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Romanen verworfen worden ist (Coray, MR, S. 174) :<br />
« Die Mehrheit <strong>der</strong> Stimmbürger <strong>der</strong> romanischen Gemeinden hat die Vorlage<br />
abgelehnt (vgl. Anm. 764 und Anm. 765). Die Gegner <strong>der</strong> Vorlage for<strong>der</strong>n deshalb<br />
vom Kanton und <strong>von</strong> <strong>der</strong> LR, die romanische Bevölkerung nicht zu verärgern<br />
und ihre ablehnende Haltung ernst zu nehmen. Bereits wenige Tage nach<br />
erfolgreicher Abstimmung beschliesst die Regierung, die « Verordnung betreffend<br />
Verwendung <strong>von</strong> RG für die romanischen Abstimmungsunterlagen und das<br />
romanische Bündner Rechtsbuch » und setzt sie, wie in <strong>der</strong> Botschaft vom 29.<br />
August 2000 angekündigt, ab den 1. Juli 2001 in Kraft. Mit <strong>der</strong> gleichzeitigen<br />
Ankündigung, künftig mit romanischen Gemeinden nur noch in RG zu korrespondieren,<br />
verärgert sie erneut die Gegner. Was RR Lardi als « logische Konsequenz<br />
» (LQ, 6.7.2001) bezeichnet, interpretieren die Gegner als « krasse Missachtung<br />
<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Abstimmung abgegebenen Versprechen (SO, 10.8.2001). »<br />
Es wird damit total ignoriert, dass beispielsweise die romanische Surselva mit<br />
63% NEIN gesagt hat (also fast 2/3) und die Cadi mit 70 % NEIN (845 JA gegen<br />
1984 NEIN). Dieses überzeugte NEIN gegenüber einer mo<strong>der</strong>aten Einführung<br />
des RG ist gewissermassen inexistent. Zudem ist zu betonen, dass es bei<br />
dieser Asbtimmung nur um den Gebrauch des RG für die Abstimmungsunterlagen<br />
ging, und nicht um die Einführung des RG in <strong>der</strong> Schule! Die Meinung des<br />
Volkes – <strong>der</strong> Basis – ist bereits im Jahre 2001 klar gewesen, und wäre darum zu<br />
respektieren (abgesehen <strong>von</strong> <strong>der</strong> kommunalen Gesetzgebung, die in einer Anzahl<br />
Gemeinden verlangt, dass die offizielle Amtssprache das Idiom sei).<br />
Sehr interessant ist auch, dass das NEIN-Kommitee bereits damals auf vor<strong>pro</strong>grammierte<br />
Konflikte aufmerksam gemacht hat: « Graubünden sagt ein mo<strong>der</strong>ates<br />
JA zum Gebrauch des RG für die Abstimmungsunterlagen, während die Romantschia,<br />
im Beson<strong>der</strong>en die tatsächlich romanischen Gebiete, klar NEIN sagen.<br />
Das ist eine fatale Situation, die zu sprachlichen Konflikten gereichen kann.<br />
19
Durch das kantonale Verdikt wird <strong>der</strong> romanischen Min<strong>der</strong>heiten eine neue<br />
Kunstsprache, die viele ablehnen, aufgezwungen. Regierung und Grosser Rat,<br />
aber auch die romanischen Organisationen sind verpflichtet, auf den Willen des<br />
roamnischen Volkes Rücksicht zu nehmen. »<br />
Auch <strong>der</strong> Linguist und Wissenschaftler Mathias Grünert und an<strong>der</strong>e stellen in<br />
einer Arbeit des Jahres 2008 fest: «Klar wird aber, dass die in den rätoromanischen<br />
Kerngebieten lebenden Rätoromanisch Sprechenden, die <strong>von</strong> <strong>der</strong> beschlossenen<br />
Än<strong>der</strong>ung im Amtssprachenbereich direkt betroffen waren, durch die<br />
übrige Bevölkerung majorisiert wurden. » (M. Grünert et al. 2008, S. 368)<br />
Trotzdem spricht Regierungsrat Lardi <strong>von</strong> einer klaren Mehrheit <strong>der</strong> Romanen,<br />
die RG akzeptieren (SO, 11.6.2001), und die LR fühlt sich in ihrer Arbeit unterstützt<br />
und gestärkt (vgl. Bündner Presse vom 11.6.2001).<br />
Coray schreibt in diesem Zusammenhang (ASR, S. 158) : « Dieses Beispiel verdeutlicht,<br />
wie im öffentlichen Diskurs <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand gegen RG – hier im Amtssprachenbereich<br />
– minimiert und die Opposition <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>der</strong> romanischen<br />
Kerngebiete heruntergespielt wird. Dies steht im Wi<strong>der</strong>spruch zur Aussage<br />
in <strong>der</strong> Botschaft <strong>der</strong> Bündner Regierung zu dieser Vorlage vom 29.08.2000 :<br />
Gradmesser für jede Massnahme zur Verbreitung und Festigung des Rumantsch<br />
Grischun muss weiterhin dessen Akzeptanz durch die romanischsprachige Bevölkerung<br />
sein (S. 478). »<br />
Seit diesem Moment ist eine Offensive betreffend RG entstanden. Coray beschreibt<br />
diese Entwicklung in ihrem Buch unter dem Titel : « Pädagogische und<br />
politische Offensive (ab 2002) » (MR, S. 174): « RG etabliert sich bis ins Jahr<br />
2002 als Amtssprache des Bundes und Kantons und z.T. auch als (passive)<br />
Schulsprache in Mittelschulen. (…) Während RG als Amtssprache bei einigen<br />
Gegnern nur noch passiven Wi<strong>der</strong>stand <strong>pro</strong>voziert – amtliche Dokumente in RG<br />
werden nicht gelesen o<strong>der</strong> wo möglich durch deutsche ersetzt – löst <strong>der</strong> Entscheid<br />
des Bündner Grossen Rates, RG als Alphabetisierungssprache einführen<br />
zu wollen, heftige Reaktionen aus, wobei neuerdings das Zentrum <strong>der</strong> Opposition<br />
nicht mehr in <strong>der</strong> Surselva, son<strong>der</strong>n im (Ober-)Engadin zu finden ist.<br />
In dieser Domäne lässt sich seit 1982 ein deutlicher Wandel <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong><br />
Promotoren und <strong>der</strong> Bündner Regierung feststellen : Die LR schwenkt nach einigen<br />
Jahre ab <strong>von</strong> ihrer ursprünglichen Position, RG müsse nur gelesen und<br />
verstanden werden und sei ein freiwilliges Angebot, und schliesst auch in <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit die langfristig notwendige Einführung <strong>von</strong> RG als Unterrichtssprache<br />
nicht mehr aus. Die Regierung hingegen legt lange grosse Zurückhaltung<br />
an den Tag. Sie wird erst nach Vorliegen <strong>der</strong> Resultate <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Umfrage <strong>von</strong> 1995 aktiv und lässt ein Konzept zur Verwendung <strong>von</strong> RG<br />
in <strong>der</strong> Schule ausarbeiten. Dieses Konzept wird 1999 vorgelegt und schlägt die<br />
Vermittlung passiver RG-Kenntnisse frühestens ab <strong>der</strong> 4. Klasse vor. Nach dem<br />
Ausscheiden des zuständigen RR Caluori aus dem Regierungsrat und mit Amtsantritt<br />
<strong>von</strong> Claudio Lardi im Jahr 1999 beginnt jedoch eine neue Politik : RR<br />
20
Lardi schlägt, unterstützt durch die erfolgreiche Abstimmung <strong>von</strong> 2001 und entsprechende<br />
For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> LR, ein hohes Tempo bei <strong>der</strong> Einführung <strong>von</strong> RG<br />
als alleinige Schriftsprache in romanischen Schulen an. Die im Rahmen eines<br />
regierungsrätlichen Sparpaketes vorgeschlagene Massnahme, ab 2006 bzw.<br />
2005 neue romanische Lehrmittel nur noch in RG herauszugeben, wird im August<br />
2003 vom Grossen Rat angenommen und löst die bisher grösste Krise in<br />
<strong>der</strong> Geschichte <strong>von</strong> RG aus. » (Coray, MR, S. 175).<br />
Die Bestimmung des Grossen Rates betreffend die Lehrmittel und betreffend<br />
das Konzept <strong>der</strong> Einführung <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> Schule<br />
Andrea Urech stellt in seinem <strong>Referat</strong> fest : Immer stärker tritt das Argument<br />
hervor, das gleichzeitig mächtig und perfid ist: Das Geld. Der Kanton Graubünden<br />
– so wurde es gesagt – könne sich den Luxus nicht mehr leisten, Lehrmittel<br />
in fünf Idiomen herauszugeben. Die Phrase <strong>von</strong> « Luxus » ist sowohl aus dem<br />
Munde des Kantons – resp. <strong>von</strong> Herrn Lardi – als auch aus dem Munde <strong>der</strong> LR<br />
zu hören (z.B. im Zeitungsartikel vom 10.12.2003, in dem <strong>der</strong> Präsident <strong>der</strong> LR<br />
genau die gleiche Argumentation gebraucht).<br />
In <strong>der</strong> Augustsession 2003 beschliesst <strong>der</strong> Grosse Rat also – wie wir bereits vorhin<br />
gehört haben – im Rahmen <strong>der</strong> Sanierung <strong>der</strong> Kantonsfinanzen, ab 2005 für<br />
die Volksschulen nur noch Lehrmittel in RG auszuarbeiten und herauszugeben.<br />
Das Ziel dieses Beschlusses war, eine Summe <strong>von</strong> 100'000 Fr./Jahr sparen zu<br />
wollen – 100'000 Fr. !, und dies <strong>pro</strong> Jahr. Daraufhin hat die Regierung aus ihrer<br />
Sicht wie<strong>der</strong>holt und ausdrücklich erklärt, RG in <strong>der</strong> Schule einzuführen und die<br />
existierenden romanischen Idiome zu ersetzen. Um das Projekt RG in <strong>der</strong> Schule<br />
finanzieren zu können, hat die LR im gleichen Jahr an den Bund und an den<br />
Kanton Graubünden den Antrag gestellt, den Subventionsbeitrag <strong>von</strong> 2,5 Mil-<br />
21
lionen auf 5 Millionen <strong>pro</strong> Jahr zu erhöhen. Das ist ein totaler Wi<strong>der</strong>spruch zur<br />
For<strong>der</strong>ung, sparen zu wollen.<br />
Mit dem Dekret, RG in <strong>der</strong> Schule einführen zu wollen, haben die involvierten<br />
vorantwortlichen Autoritäten ein totales Fehlen <strong>von</strong> dem Verständnis für die<br />
Realität <strong>der</strong> romanischen Sprache signalisiert.<br />
Im Dezember 2004 hat die Regierung die defintive Version des Grundkonzept<br />
RG präsentiert und die Phase <strong>der</strong> Ausarbeitung in die Wege geleitet.<br />
Urech schreibt: « Dadurch haben die kantonalen Autoritäten – Grosser Rat und<br />
Bündner Regierung – die Erhaltung eine Min<strong>der</strong>heitensprache in all ihrer Komplexität<br />
auf ein einfaches finanzielles Problem reduziert. » Dies zeigt eine grosse<br />
Unkenntnis und ist eine fataler Fehler für eine Sprache.<br />
Und Urech weiter: « So ist dennoch eine objektive Diskussion betreffend die<br />
Konsequenzen <strong>der</strong> Einführung des RG in <strong>der</strong> Schule und betreffend die Situation<br />
des Romanischen überhaupt verhin<strong>der</strong>t worden. Wohlwissend, dass die Finanzen<br />
die Domäne <strong>der</strong> Politiker sind, hat man gerade in dem Moment auch<br />
noch die Meinung des betroffenen Volkes ausgeschlossen, ein unakzeptables<br />
und anmassendes Handeln <strong>der</strong> Sprachvertreter und <strong>der</strong> Politiker eines Kantons<br />
cer auf seine Dreisprachigkeit und auf seine lange demokratische Tradition<br />
stolz ist! Wir sprechen <strong>von</strong> einer eklatanten Bösartigkeit und <strong>der</strong> Würde eines<br />
Volkes und seiner Sprache unangemessen!<br />
Dieses deplazierte Handeln hat zu allem an<strong>der</strong>n dazu noch zu einer Verwirrung<br />
bei den Leuten geführt, die glaubten, dass gespart werde. Mit dem Entscheid,<br />
Lehrmittel nur noch in RG zu drucken, hat <strong>der</strong> Grosse Rat 100'000 Fr./Jahr sparen<br />
wollen. Die Konsequenz ist das Projekt « RG in <strong>der</strong> Schule » mit vorhersehbaren<br />
Kosten <strong>von</strong> total 10 Millionen gewesen ! »<br />
In einer Diskussion, die ich vor kurzen mit einem romanischen Sprachvertreter<br />
betreffend Thematik RG in <strong>der</strong> Schule hatte, hat dieser das Folgende gesagt :<br />
« Die Fundamentalsünde ist gemacht worden mit den Argumenten <strong>der</strong> Finanzen.<br />
» Ich zitiere weiter : « Dies ist ein bösartiger Trick, sparen zu wollen, und<br />
noch zu sagen, dass dies das bessere Romanische sei. » Und weiter zitiere ich<br />
denselben Linguist : « 2003 ist eine Diktatur geschehen, des Kantons wie auch<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> LR, indem diese den Kanton in seiner Entscheidung stützte. »<br />
Derselbe Tenor ist auch bei sehr vielen an<strong>der</strong>n Linguisten zu hören. So gibt es<br />
kaum noch jemanden <strong>der</strong> Wissenschaftler die sich mit dem Romanischen beschäftigen,<br />
die sich mit dem betreffend RG eingeschlagenen Weg noch identifizieren<br />
können. Viele, die dem RG einst wohlwollend – auch ich – gegenübergestanden<br />
sind, sind <strong>der</strong> Meinung, dass <strong>der</strong> Basisunterricht im Idiom erfolgen<br />
müsste und können darum <strong>der</strong> Entscheid des Jahres 2003 nicht verstehen, ja<br />
können konsquenterweise auch nicht akzeptieren, dass keine Lehrmittel mehr in<br />
den Idiomen erscheinen sollen (siehe den offenne Brief aus dem Jahre 2004 <strong>von</strong><br />
180 romanischen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Schule, die gegen<br />
den gefallen Entscheid demonstrierten).<br />
22
Betreffend den Entscheid des Grossen Rates ist weiterhin zu sagen, dass keine<br />
Einrichtung das Recht hat, in Sprachfragen etwas zu än<strong>der</strong>n, ohne die Zustimmung<br />
des betreffenden Volkes einzuholen. Dies sagen die Freiheitsrechte, die<br />
Fundamentalrechte, die Menschenrechte, dies sagt die europäische Sprachencharta.<br />
Aus diesem Grunde ist festzustellen, dass <strong>der</strong> Entscheid des Kantons<br />
Graubündens aus dem Jahre 2003 – die Herausgabe <strong>von</strong> Lehrmitteln nur noch in<br />
RG bedeutet faktisch die Alphabetisierng in RG –sich, rechtlich gesehen, auf<br />
sandigem Boden gründet!<br />
Auch wenn man den Kanton Graubünen für dieses Vorgehen grosse Vorwürfe<br />
machen kann, so möchte ich an diesem Ort klar und deutlich sagen : Das RG ist<br />
bereits vorher – und vor allem hinter den Kulissen – <strong>von</strong> <strong>der</strong> LR angestossen<br />
und erzwungen worden. Dies entspricht meinen persönlichen Erfahrungen, den<br />
zahlreichen Diskussionen mit Exponenten des Romanischen, aber auch <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>von</strong> R. Coray.<br />
Coray sagt im Zusammenhang mit dem Entscheid <strong>von</strong> 2003/2004 (ASR, S.<br />
158): « Erstaunlicherweise verwendet die Bündner Regierung nicht nur die wissenschaftliche<br />
Umfrage <strong>von</strong> 1995 und das Konzept Haltiner <strong>von</strong> 1999, son<strong>der</strong>n<br />
auch das oben erläuterte Abstimmungsresultat <strong>von</strong> 2001 als Argument zugunsten<br />
<strong>der</strong> Einführung <strong>von</strong> RG als Alphabetisierungssprache : Sie listet diese drei<br />
Ereignisse als Etappen in einer Entwicklung auf, <strong>der</strong>en logische Fortführung die<br />
Einführung <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> Voksschule bedeute. 2003 beschliesst <strong>der</strong> Bündner<br />
Grosse Rat (und damit erneut eine deutschsprachige Mehrheit) als eine <strong>von</strong> 212<br />
Sparmassnahmen die Herausgabe <strong>von</strong> romanischen Lehrmitteln nur noch in RG<br />
ab dem Jahr 2005. Diesen Entscheid bezeichnet Regierungsrat Lardi in <strong>der</strong> Folge<br />
immer wie<strong>der</strong> als unumstösslichen, demokratisch gefällten und klaren Auftrag<br />
zur Einführung <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> Voksschule, weshalb eine Grundsatzdiskussion<br />
dazu obsolet sei. Ende 2004 legen die Bündner Behörden das « Grobkonzept<br />
« Rumantsch Grischun in <strong>der</strong> Schule » vor, das die Einführung <strong>von</strong> RG als<br />
Alphabetisierungssprache in allen romanischen Schulen vorsieht. »<br />
Und weiter Coray (ASR, S. 159) : « Zusammenfassend und als Zwischenbilanz<br />
kann gesagt werden, dass die Befürworter <strong>von</strong> RG in <strong>der</strong> romanischen Dachorganisation<br />
Lia Rumantscha und spätestens mit Amtsantritt <strong>von</strong> Regierungsrat<br />
Lardi 1999 auch in <strong>der</strong> Bündner Regierung über eine starke Stimme in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
und eine klare Machtposition verfügen. Der Posten des Direktors<br />
<strong>von</strong> Radio e Televisiun Rumantscha ging zudem 2001 an den ehemaligen Generalsekretär<br />
<strong>der</strong> Lia Rumantscha und Hauptinitiator <strong>von</strong> RG Bernard Cathomas.<br />
Die Gegner haben nicht dieselbe Macht und Infrastruktur, nicht denselben Organisationsgrad<br />
und keinen <strong>der</strong>art privilegierten Zugang zu den Massenmedien<br />
wie die Befürworter. Nur so ist es zu erklären, dass etliche Petitionen und Aktionen<br />
und selbst ein <strong>von</strong> mehr als 180 Persönlichkeiten aus Kultur, Wissens-<br />
23
chaft und Politik unterzeichnetes Schreiben gegen die Einführung <strong>von</strong> RG als<br />
Alphabetisierungssprache <strong>der</strong>art sang- und klanglos untergegangen sind. »<br />
(Übrigens ist ist <strong>der</strong> weitaus grössere Teil <strong>der</strong> Leute bei RTR (Radio e televisiun<br />
rumantscha) unglücklich mit <strong>der</strong> Tatsache, dass sie genötigt werden das RG zu<br />
akzeptieren. Und wussten Sie, dass es für die Mitarbeiter <strong>von</strong> RTR, die bereit<br />
waren, RG als erste zu gebrauchen, Preise gab?)<br />
In ihrer Publikation in den Annalas 2010 nennt Renata Coray weitere manipulative<br />
Strategien, z.B. die Strategie <strong>der</strong> Minimierung <strong>der</strong> Opposition im Zusammenhang<br />
mit den Pioniergemeinden (seit 2007). Coray schliesst das Kapitel folgen<strong>der</strong>massen<br />
: « Es wird <strong>der</strong> Eindruck erweckt, als ob diejenigen, die am regionalen<br />
Schriftidiom als Alphabetisierungssprache festhalten, allmählich in <strong>der</strong><br />
Min<strong>der</strong>zahl seien. » (ASR, S. 161).<br />
Wer mehr wissen will, lese die Seiten 159 f. <strong>der</strong> Annalas 2010.<br />
Die Evaluation des Institutes für Mehrsprachigkeit (2008/09)<br />
Auf <strong>der</strong> Seite 161 f. <strong>der</strong> Annalas 2010 beschreibt die Autorin ein weiteres Mal,<br />
wie in selektiver Art und Weise mit den Resultaten umgegangen wurde. « Als<br />
vorläufig letzten Höhepunkt in dieser Reihe <strong>von</strong> Umfrage- und Abstimmungsresultaten<br />
und ihrer selektiven Verbreitung möchte ich auf die in Freiburg i. ü. erstellte<br />
Evaluation <strong>der</strong> Ein-führung <strong>von</strong> RG in den Pioniergemeinden verweisen.<br />
Der integrale erste Evaluationsbericht <strong>von</strong> 2009 ist <strong>der</strong> Öffentlichkeit nicht zugänglich.<br />
Die Verantwortlichen des Kantons Graubünden verweigern die Einsicht<br />
in diesem Bericht mit Verweis auf die fehlende Anonymität <strong>der</strong> Befragten<br />
und dessen Status als internes Evaluationsinstrument. Auch den Freiburger Wissenschaftlern<br />
ist es untersagt, diesen Bericht interessierten Personen abzugeben.<br />
Die Behörden selbst haben auszugsweise Graphiken und Resultate aus dem Bericht<br />
auf Internet zugänglich gemacht und diese mit eigenen Kommentaren versehen.<br />
Die Schlussfolgerungen und Interpretationen <strong>der</strong> Freiburger Evaluatoren<br />
bleiben jedoch unter Verschluss.<br />
Dieses Verhalten – diese Weigerung, mit öffentlichen Gel<strong>der</strong>n finanzierte Forschung<br />
<strong>der</strong> interessierten Öffentlichkeit unzensuriert zugänglich zu machen –<br />
wirft zwangsläufig Fragen auf : Warum scheut man eine Veröffentlichung und<br />
damit eine nicht <strong>von</strong> den Kantonsbehörden gelenkte öffentliche Diskussion des<br />
vollumgänglichen Berichts <strong>der</strong> Freiburger Evaluatoren ? Wird hier eine wissenschaftliche<br />
Evaluation zu einem Persuasionsinstrument umfunktioniert ?<br />
Diese Informationspolitik befremdet umso mehr, als <strong>der</strong> Kanton eine Evaluation<br />
des umstrittenen Projekts erst auf öffentlichen Druck hin beschlossen hatte. »<br />
Eine Rechts<strong>pro</strong>fessorin <strong>der</strong> Universität Freiburg ist gebeten worden, betreffen<br />
die Haltung des Kantons Graubünden Stellung zu nehmen. Sie schreibt unter<br />
an<strong>der</strong>em: « …Unabhängig <strong>von</strong> diesen rechtlichen Betrachtungen ist das Vorge-<br />
24
hen <strong>der</strong> Behörden in Graubünden, so wie Sie es schil<strong>der</strong>n, tatsächlich ein bisschen<br />
”gewöhnungsbedürftig”. »<br />
Ein weiteres Beispiel <strong>der</strong> Ignoranz ist auch die « Stellungnahme gegen die Einführung<br />
des Rumantsch Grischun in <strong>der</strong> Primarschule » des Engadiner Linguisten<br />
Jachen Andry (übrigens ist J. Andry Student <strong>von</strong> Heinrich Schmid gewesen<br />
und hat auch mit H. Schmid an <strong>der</strong> Ausarbeitung des RG mitgearbeitet), eine<br />
Arbeit <strong>von</strong> neun Seiten mit Datum vom 30. März 2004, die zu folgendem<br />
Schluss kommt :<br />
« Der Entscheid <strong>der</strong> Regierung und des Grossen Rates, künftig die Lehrmittel<br />
für die romanische Grundschule ausschliesslich auf 'Rumantsch Grischun' herauszugeben,<br />
und in <strong>der</strong> Folge das 'Rumantsch Grischun' als Unterrichtssprache<br />
ab <strong>der</strong> ersten Klasse einzuführen, geht <strong>von</strong> grundfalschen Voraussetzungen aus,<br />
und ist deshalb entschieden abzulehnen:<br />
� Weil er rechtlich unhaltbar ist<br />
� Weil et sachlich unbegründet und in keiner Weise zu rechtfertigen ist<br />
(nicht einmal in finanzieller Hinsicht)<br />
� Und schliesslich weil er eine ernsthafte Gefährdung <strong>der</strong> Idiome und<br />
des „Rumantsch Grischun‟ darstellt<br />
Fragen, die den Schutz <strong>von</strong> nationalen Min<strong>der</strong>heiten betreffen, dürfen nicht nach<br />
rein rechnerischen Grundsätzen erledigt werden. In diesem sensiblen Bereich<br />
gilt es, die kostbarsten Prinzipien <strong>der</strong> Demokratie zur Anwendung zu bringen,<br />
die den Ausgleich sucht zwischen Mehrheit und Min<strong>der</strong>heit; welche zwar die<br />
Gleichbehandlung aller garantiert, dabei aber zugleich in angemessener Form<br />
Beson<strong>der</strong>heiten und Unterschiede mitberücksichtigt und respektiert.<br />
Im vorliegenden Fall haben die politschen Instanzen unseres Kantons mit einem<br />
Dirigismus gehandelt, <strong>der</strong> in krassem Wi<strong>der</strong>spruch zu diesen Grundprinzipien<br />
<strong>der</strong> Demokratie stehen. Mit weiten Kreisen <strong>der</strong> romanischen Bevölkerung erwarte<br />
ich deshalb, dass dieser unbedachte und unheilvolle Entscheid wi<strong>der</strong>rufen<br />
wird. »<br />
Fazit :<br />
Der Stil und die Strategien <strong>der</strong> Promotoren – vor allem <strong>der</strong> Haupt<strong>pro</strong>motoren –<br />
sind zu offenbaren.<br />
Die Wissenschaftlerin Dr. Renata Coray zieht den folgenden Schluss am Ende<br />
ihres <strong>Referat</strong>es, publiziert in den Annalas 2010:<br />
« Auch wenn ein Bonmot besagt : « Glaube keiner Statistik, die Du nicht selber<br />
gefälscht hast », so gibt es doch wissenschaftliche und ethische Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
bezüglich Transparenz und Korrektheit sowie Grenzen <strong>der</strong> Interpretation und<br />
Manipulation <strong>von</strong> Daten. Einseitige, selektive, irreführende und/o<strong>der</strong> falsche<br />
Aussagen bzw. Interpretationen solcher Daten gehören zwar zum verbreiteten<br />
25
Repertoire politischer Argumentations- und Persuasionsstrategie. Diese lassen<br />
sich aber durch eine Analyse des Forschungsdesigns und <strong>der</strong> öffentlichen Kommunikation<br />
und Interpretation <strong>der</strong> Resultate auch als solche entlarven.<br />
Die öffentliche Präsentation und Diskussion <strong>von</strong> Umfragen, Abstimmungen und<br />
Evaluationen, die Rückschlüsse auf die Akzeptanz <strong>von</strong> RG erlauben, zeigen,<br />
dass die Verantwortlichen <strong>der</strong> Lia Rumantscha und des Kantons in <strong>der</strong> Presse<br />
gezielt positive Meldungen streuen und sich bemühen, gegenläufige Daten <strong>von</strong><br />
<strong>der</strong> öffentlichen Diskusison fernzuhalten o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Bedeutung zu minimieren :<br />
Das Konzept Haltiner und die aktuelle Freiburger Evaluation sind Beispiele dafür,<br />
dass Studien nicht o<strong>der</strong> nur auszugsweise veröffentlicht worden sind. Anhand<br />
des öffentlichen Diskurses über die wissenschaftlichen Umfragen <strong>von</strong><br />
Diekmann sowie <strong>von</strong> Gloor et al. haben wir gesehen, wie Resultate <strong>von</strong> Umfragen<br />
undifferenziert o<strong>der</strong> verfälscht verbreitet werden – zwecks Vergrösserung<br />
<strong>der</strong> effektiv vorhandenen Akzeptanz. Und als Beispiele dafür, wie die vorhandene<br />
Opposition minimiert wird, haben wir die Interpretation <strong>der</strong> Abstimmung <strong>von</strong><br />
2001 durch die Lia Rumantscha erwähnt sowie die diskursive Indienstnahme<br />
dieser Abstimmungsresultate durch die Bündner Regierung – zwecks Legitimierung<br />
<strong>der</strong> Einführung <strong>von</strong> RG als Alphabetisierungssprache.<br />
Die Strategien <strong>der</strong> Minimierung <strong>der</strong> Opposition, <strong>der</strong> selektiven und beschönigenden<br />
Darstellung <strong>von</strong> Forschungsresultaten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schubladisierung <strong>von</strong><br />
möglicherweise kritischen Resultaten stehen im Gegensatz zu Haugens eingangs<br />
zitierter For<strong>der</strong>ung, die Bedürfnisse <strong>der</strong> gewöhnlichen Verwen<strong>der</strong> wirklich ernst<br />
zu nehmen. Solche diskursiven Strategien reden und schreiben eine höhere Akzeptanz<br />
<strong>von</strong> RG herbei, als sie tatsächlich vorhanden ist. Damit dienen sie zwar<br />
(möglicherweise) dem Ziel <strong>der</strong> Nichtgefährdung des Projektes RG, aber ob sie<br />
auch dem letztlich <strong>von</strong> allen beabsichtigten Ziel – demjenigen <strong>der</strong> Erhaltung des<br />
Rätoromanischen dienen, sei dahingestellt. » (ASR, S. 162 f.)<br />
Schluss:<br />
Ich bin für Rumantsch grischun, aber ich bin für ein massvolles RG, das will<br />
sagen :<br />
- Kein RG auf <strong>der</strong> Primarstufe<br />
- Gewisse passive Kenntnisse in RG auf den Oberstufe<br />
- Aktive Kenntnisse in RG auf den Mittelschulen, jedoch ohne die Idiome<br />
zu vernachlässigen<br />
Für mehr reicht es nicht. Mehr schadet dem Romanischen. Man kann das Romanische<br />
nicht mit den grossen Sprachen vergleichen. Unsere Substanz und unsere<br />
Situation sind unterschiedlich.<br />
Und insbeson<strong>der</strong>e bin ich für Transparenz, Ehrlichkeit, Ehrhaftigkeit und wahre<br />
Demokratie, im Allgemeinen, und in <strong>der</strong> Sprachpolitik im Speziellen. Dies aber,<br />
was in den letzten 30 Jahren alles mit uns Romanen geschehen ist, ist etwas<br />
ganz an<strong>der</strong>es.<br />
26
Aber zum Glück gibt es jetzt eine Bewegung. Eine Volksbewegung, die « Halt<br />
und Stop » zu dieser Nötigung und zu diesen Manipulationen sagt.<br />
Wie <strong>der</strong> Krug zum Brunnen geht, bis er bricht.<br />
Spätestens jetzt fällt das Konstrukt <strong>von</strong> Karten und Schachteln zusammen.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Bemerkungen:<br />
<strong>Francestg</strong> <strong>Friberg</strong><br />
- Es ist sehr interessant, dass genau vor 400 <strong>der</strong> erste in Surselvisch dokumentierte<br />
Text erschienen ist, nämlich am 3. Februar 1611. Es handelt<br />
sich um den Katechismus « Ilg vér sulaz da pievel giuvan » <strong>von</strong> Steffan<br />
Gabriel (« A Lgiont 3. Febr. Anno MDCXI. Stephanus Gabriel »)<br />
- MR = Buch « Von <strong>der</strong> Mumma Romontscha zum Retortenbaby Rumantsch<br />
Grischun » (ISBN 390534243-X)<br />
- ASR = « Annalas » dalla Societad Retorumantscha (gemeint sind hier die<br />
« Annalas » 123/2010) (ISBN 3-906680-43-123)<br />
- Der Text, <strong>der</strong> mit blauer Farbe markiert ist, bezeichnet Stellen, die <strong>von</strong><br />
beson<strong>der</strong>er Bedeutung in <strong>der</strong> Frage sind, inwiefern die Umfragen verfälscht<br />
wurden und das Volk desinformiert wurde.<br />
27<br />
(Übersetzung: Dr. Jan-Andrea Bernhard)