Dienstgeberbrief Nr. 1/2012 - Caritas
Dienstgeberbrief Nr. 1/2012 - Caritas
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<strong>Dienstgeberbrief</strong> <strong>Nr</strong>. 1/<strong>2012</strong><br />
vom 16. März <strong>2012</strong><br />
Inhalt<br />
Aktuelles aus der AK-Arbeit:<br />
Bericht über die Sitzung der Beschlusskommission<br />
am 15.03.<strong>2012</strong> S. 2<br />
Klare Absage an Lohnforderung <strong>2012</strong> S. 3<br />
Hintergrund: Sockelbetrag zeigt<br />
erschreckende Wirkung S. 4<br />
Aktuelles aus den Regionen:<br />
Bericht aus der RK Ost S. 5<br />
Aktuelles zum Dritten Weg:<br />
Statement der Bischöfe zum Kirchlichen<br />
Arbeitsrecht am Rande der Vollversammlung S. 6<br />
Öffentliche Anhörung am 26.03.<strong>2012</strong><br />
im Ausschuss Arbeit und Soziales<br />
des Deutschen Bundestages S. 6<br />
Aktuelles aus der Rechtsprechung:<br />
EuGH-Schlussantrag: Auskunftspflicht eines<br />
abgelehnten Stellenbewerbers S. 7<br />
BAG-Entscheidung am 22.02.<strong>2012</strong> zeigt:<br />
Die AVR sind besser als ihr Ruf S. 8<br />
BAG-Terminvorschau:<br />
Weitere Entscheidungen zum Urlaubsrecht am<br />
20.04.<strong>2012</strong> und am 22.05.<strong>2012</strong> S. 9<br />
Herausgegeben von:<br />
Dienstgebervertreter in der<br />
Verhandlungskommission der<br />
Arbeitsrechtlichen Kommission<br />
des DCV e. V.:<br />
Dr. Rainer Brockhoff, Andreas Franken,<br />
Hans-Josef Haasbach, Christiane Henneke,<br />
Rolf Lodde, Lioba Ziegele<br />
Kontakt:<br />
Geschäftsstelle der Dienstgeberseite<br />
der Arbeitsrechtlichen Kommission<br />
Ludwigstraße 36, 79104 Freiburg<br />
Telefon (07 61) 200-781<br />
Telefax (07 61) 200-790<br />
E-Mail: info@caritas-dienstgeber.de<br />
Internet: www.caritas-dienstgeber.de
Bericht über die Sitzung der Beschlusskommission am 15.03.<strong>2012</strong><br />
Auf der Sitzung der Beschlusskommission<br />
(BK) der Arbeitsrechtlichen Kommission am<br />
15.03.<strong>2012</strong> in Fulda standen folgende Sachthemen<br />
zur Abstimmung auf der Tagesordnung:<br />
� Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses<br />
zum „Antrag der Mitarbeiterseite<br />
der Beschlusskommission zur Ergänzung<br />
des § 15 der Anlagen 31 und 32 zu den<br />
AVR sowie des § 14 der Anlage 33 zu den<br />
AVR – Leistungsentgelt –“<br />
� Beschlussvorlage für eine neue Anlage 22<br />
zu den AVR – „Besondere Regelungen für<br />
Alltagsbegleiter“<br />
Beide Beschlussvorlagen wurden mit einer<br />
deutlichen Mehrheit der Stimmen angenommen.<br />
Mit dem Beschluss zum Leistungsentgelt<br />
wird das Gesamtvolumen des Leistungsentgelts<br />
und/oder der Sozialkomponente in den<br />
Anlagen 31 bis 33 für <strong>2012</strong> von 1,5 auf<br />
1,75 Prozent der gezahlten ständigen Monatsentgelte<br />
erhöht. Wird im Jahr <strong>2012</strong> keine<br />
Dienstvereinbarung zum Leistungsentgelt<br />
und/oder zur Sozialkomponente abgeschlossen<br />
kommen nur 1,5 Prozent Gesamtvolumens<br />
aus <strong>2012</strong> im Januar 2013 als eine<br />
Einmalzahlung zur Ausschüttung. Die übrigen<br />
0,25 %-Punkte des zur Verfügung stehenden<br />
Gesamtvolumens bleiben im „Topf“<br />
und erhöhen das Gesamtvolumen für das<br />
Kalenderjahr 2013.<br />
Mit dieser Maßnahme soll ein Anreiz zum<br />
Abschluss von Dienstvereinbarungen zum<br />
Leistungsentgelt und/oder zur Sozialkomponente<br />
geschaffen werden. Damit soll verhindert<br />
werden, dass sich das Leistungsentgelt<br />
zu einem zusätzlichen Entgelt entwickelt und<br />
der Sinn und Zweck der Leistungs- bzw. Sozialkomponente<br />
verloren geht.<br />
Darüber hinaus wurde mit dem Beschluss die<br />
Auszahlung des Leistungsentgeltes für die<br />
Regionalkommissionen Mitte und Nord geregelt,<br />
die die neuen Anlagen zu den AVR<br />
2011 unterjährig übernommen haben. In diesen<br />
Regionen wird das Leistungsentgelt innerhalb<br />
der ersten 12 Monate nach der Überleitung<br />
monatlich ausgezahlt. Für die in das<br />
2<br />
Kalenderjahr <strong>2012</strong> fallenden Monate erhalten<br />
die Mitarbeiter 1,75 Prozent des gezahlten<br />
ständigen Monatsentgelts.<br />
Der bereits in der BK Sitzung im Dezember<br />
eingesetzte Ausschuss Leistungsentgelt und<br />
Sozialkomponente hatte am 28.02.<strong>2012</strong> seine<br />
konstituierende Sitzung. Auftrag des Ausschusses<br />
ist die Weiterentwicklung des Leistungsentgeltes<br />
und der Sozialkomponente<br />
über das Jahr <strong>2012</strong> hinaus sowie die rechtsichere<br />
Ausgestaltung der Regelung.<br />
Mit dem weiteren Beschluss zur Einführung<br />
einer neuen Anlage 22 zu den AVR wurde<br />
eine Regelung für Alltagsbegleiter in der ambulanten<br />
Altenpflege in die AVR wieder eingeführt.<br />
Die bis zum 31.12.2016 befristete<br />
Regelung orientiert sich an der früheren Anlage<br />
20 zu den AVR. Sie gilt nur für Alltagsbegleiter<br />
in der ambulanten Altenpflege. Alltagsbegleiter<br />
im Sinne dieser Regelung dürfen<br />
weder in der stationären Pflege eingesetzt<br />
werden noch dürfen durch sie Pflegefach-<br />
und Pflegehilfskräfte in der ambulanten<br />
Altenpflege ersetzt werden. Die Vergütung<br />
eines Alltagsbegleiters entspricht der Stufe 1<br />
der Vergütungsgruppe 11 der Anlage 3 zu<br />
den AVR. Hinzu kommen lediglich Zeitzuschläge<br />
sowie die Beiträge zur ZVK.<br />
Die Sonderregelung für Alltagsbegleiter<br />
schafft im Bereich der ambulanten Pflegedienste<br />
die Möglichkeit Präsenzkräfte ohne<br />
pflegerische Tätigkeit regulär einzugruppieren<br />
und in Vollzeit zu beschäftigen und bietet<br />
in diesem Bereich ggf. auch eine Alternative<br />
zu der Ende 2013 auslaufenden Regelung<br />
für nebenberuflich geringfügig Beschäftigte<br />
(Anlage 1, Abschnitt IIb).<br />
Auf Dienstgeberseite gibt es darüber hinaus<br />
ein großes Interesse diese Regelung weiterzuentwickeln<br />
und eine Ausweitung auf weitere<br />
Hilfebereiche zu prüfen. Insbesondere<br />
muss die Regelung eventuell an neue gesetzliche<br />
Vorgaben, die sich z. B. aus dem<br />
Pflegeneuordnungsgesetz ergeben können,<br />
angepasst werden. Bei entsprechender (nicht<br />
missbräuchlicher) Anwendung in der Praxis,<br />
steht einer Verlängerung der Regelung über<br />
2016 hinaus auch aus Sicht der Mitarbeiterseite<br />
nichts entgegen.
Aufgrund der schnellen Einigung bei den<br />
beiden Sachthemen gab es noch genügend<br />
Raum für die Diskussion weiterer Themen.<br />
Die ursprüngliche Tagesordnung wurde daher<br />
in der Sitzung noch um die folgenden<br />
drei Punkte ergänzt:<br />
� Abschluss des Marburger Bundes für Ärzte<br />
an kommunalen Krankenhäusern,<br />
� Deutscher Orden – Aufnahme in den DCV<br />
mit Moratorium bei der AVR-Anwendung,<br />
� Vermittlungsspruch zur Übernahme des<br />
Beschlusspakets von 2010 in der RK-Ost.<br />
Alle drei Themen wurden ausführlich und oft<br />
auch kontrovers diskutiert.<br />
Bei dem Abschluss des Marburger Bundes<br />
wurde im Wesentlichen über die Wirkungsweise<br />
der in Anlage 30 enthaltenen Tarifdynamik<br />
diskutiert. Diese Dynamik wird von<br />
Dienstgeberseite nicht grundsätzlich in Frage<br />
gestellt, allerdings besteht über die Auswirkung<br />
der strukturellen Änderungen durch den<br />
Tarifabschluss auf Besitzstandsfälle in den<br />
kirchlichen Krankenhäusern Gesprächsbedarf.<br />
Das Thema „Abschluss des Marburger<br />
Bundes“ wird daher auf der Tagesordnung<br />
der nächsten VK im April sein.<br />
Die bei der Aufnahme des Deutschen Ordens<br />
in den DCV gewährte Übergangsfrist<br />
von fünf Jahren für die volle Anwendung der<br />
AVR in Einrichtungen des Deutschen Ordens<br />
wurde ausführlich und kontrovers diskutiert.<br />
Die von Mitarbeiterseite geforderte Einleitung<br />
rechtlicher Schritte gegen den DCV findet auf<br />
Dienstgeberseite keine Mehrheit. Die Dienstgeberseite<br />
spricht sich dafür aus, die Probleme<br />
direkt mit betroffenen Einrichtungen vor<br />
Ort anzusprechen und entsprechende ordnungskonforme<br />
Lösungen zu suchen.<br />
3<br />
Das Ergebnis der Diskussion zum Vermittlungsspruch<br />
in der RK-Ost kann aus Dienstgebersicht<br />
wie folgt zusammengefasst werden:<br />
Letztlich geht es um inhaltliche Probleme<br />
und die Frage wie ein tragfähiger Kompromiss<br />
zwischen Dienstgeber und Mitarbeiterinteressen<br />
bei der Übernahme der Bundesbeschlüsse<br />
gefunden werden. Dies kann<br />
nicht gerichtlich sondern nur durch konstruktive<br />
Gespräche der beiden Seiten in der RK-<br />
Ost gelöst werden.<br />
Ausblick<br />
Weitere Inhalte aus dem im Dezember in der<br />
BK gescheiterten Paket sind von der VK im<br />
Februar an den Vermittlungsausschuss<br />
übergeben worden. Dieser befasst sich nun<br />
Ende April mit folgenden Themen:<br />
� Umsetzung der BAG-Rechtsprechung<br />
(BAG Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 AZR<br />
867/08 –) zum nächtlichen Bereitschaftsdienst,<br />
� Änderung der Übergangsregelung zum<br />
Zusatzurlaub für Wechselschicht-, Schichtund<br />
Nachtarbeit in § 3 Abs. 9 der Anlagen<br />
30 bis 33 zu den AVR,<br />
� Dynamisierung der Wertguthaben in § 7<br />
der Anlage 17a zu den AVR,<br />
� 12-Stunden-Schichten in den Anlagen 31<br />
bis 33 zu den AVR.<br />
Entsprechende Beschlussvorlagen des Vermittlungsausschusses<br />
können dann in der<br />
VK im Mai verhandelt werden.<br />
Die Beschlüsse werden baldmöglichst unter<br />
http://www.caritas-dienstgeber.de<br />
abrufbar sein.<br />
Dr. Pascal Krimmer<br />
Dienstgeberseite der BK: Klare Absage an Lohnforderung <strong>2012</strong><br />
Die Dienstgeberseite lehnt eine durchschnittliche<br />
Erhöhung der Löhne um mindestens<br />
8 Prozent ab. Die schwierige Finanzlage erfordert<br />
eine moderate und differenzierte Tarifrunde.<br />
Die Mitarbeiterseite der <strong>Caritas</strong> fordert<br />
6,5 Prozent, mindestens jedoch 200 Euro<br />
mehr Lohn und begründet dies damit, dass<br />
der Wertverfall der sozialen Arbeit gestoppt<br />
werden müsse. Der Blick zurück zeigt: Seit<br />
Anfang 2008 sind die Löhne trotz Krise um<br />
10,6 Prozent gestiegen. Diesem Lohnanstieg<br />
steht eine Teuerung von nur 6,5 Prozent gegenüber.<br />
Die <strong>Caritas</strong>-Mitarbeiter haben also<br />
auch real mehr in der Tasche.
Selbst im längerfristigen Vergleich gibt es<br />
keinen Anlass, eine Nachschlagsdebatte zu<br />
führen. Gerade auch die Reallöhne der <strong>Caritas</strong>-Mitarbeiter<br />
sind seit 2005 nahezu konstant<br />
geblieben. Die <strong>Caritas</strong> hat im Dritten<br />
Weg den Wert der sozialen Arbeit erhalten.<br />
„Unsere Mitarbeiter erwarten zu Recht eine<br />
Beteiligung an der wirtschaftlichen Entwicklung.<br />
Gleichwohl sind die Gehälter ein großer<br />
Kostenfaktor in den Einrichtungen und Diensten<br />
der <strong>Caritas</strong> und können demnach nicht<br />
ohne jede Rücksicht auf die schwierige Finanzlage<br />
bzw. die Refinanzierungssituation<br />
des jeweiligen Bundeslandes gesehen werden.<br />
Deshalb ist unser Ziel ein moderater<br />
und differenzierter Abschluss“, so der Sprecher<br />
der Dienstgeberseite Rolf Lodde.<br />
Hintergrund: Sockelbeitrag zeigt erschreckende Wirkung<br />
Der von der Mitarbeiterseite geforderte Sockelbetrag<br />
von mindestens 200 Euro würde<br />
im Bereich der <strong>Caritas</strong> für einen Großteil der<br />
Mitarbeiter zu Lohnsteigerungen von deutlich<br />
über 6,5 Prozent führen. Betrachtet man die<br />
Steigerungsraten in einzelnen Vergütungsgruppen,<br />
so ergeben sich durch den Garantiebetrag<br />
von 200 Euro zum Teil deutlich<br />
zweistellige Prozentsätze von bis zu<br />
13,7 Prozent. Die Tabellenvergütung für<br />
Hilfskräfte ohne Ausbildung in der Vergütungsgruppe<br />
11 Stufe 1 der Anlage 3 würde<br />
z. B. um fast 13 Prozent ansteigen. Für Pflegehilfskräfte<br />
ohne Ausbildung in der Vergütungsgruppe<br />
Kr 3a Stufe 1 würde die Steigerung<br />
der Tabellenvergütung bei 11,4 Prozent<br />
liegen. Zweistellig bleiben die Steigerungsraten<br />
aber z. B. in der Anlage 3 bis in Vergütungsgruppe<br />
7. Selbst die Einstiegsvergütung<br />
von Mitarbeitern in Vergütungsgruppe 3 der<br />
Anlage 3 würde noch um mehr als<br />
6,5 Prozent steigen. In Anlage 33 würden<br />
sogar die Einstiegsvergütungen in allen Entgeltgruppen<br />
außer der Entgeltgruppe S 18<br />
um mehr als 6,5 Prozent ansteigen.<br />
Anhand dieser Fakten wird deutlich, dass die<br />
Gesamtwirkung der Forderung der Mitarbeiterseite<br />
weit über die als lineare Erhöhung<br />
geforderten 6,5 Prozent hinausgeht. Dies<br />
4<br />
„Die Gehaltsforderung der Mitarbeiterseite<br />
hätte unmittelbar Personalabbau und Abbau<br />
von Ausbildungsplätzen zur Folge. Hinzu<br />
kommt: Mit dem Mindestbetrag werden ausgerechnet<br />
in jenen Bereichen überproportionale<br />
Steigerungen gefordert, in denen die<br />
Bezahlung nach den AVR ohnehin über der<br />
Privatwirtschaft liegt.“<br />
Die Pressemitteilung ist unter<br />
https://caritas-dienstgeber.de/<br />
presse/pressemitteilungen.html abrufbar.<br />
Hier können Sie sich auch im Presseverteiler<br />
der Dienstgeberseite registrieren lassen<br />
Quelle:<br />
Pressemitteilung 01/12 vom 15.03.<strong>2012</strong><br />
trifft insbesondere für Bereiche zu, in denen<br />
die unteren Lohngruppen stark besetzt sind.<br />
Hinzu kommt, dass die Einstiegsvergütung in<br />
den unteren Lohngruppen im Bereich <strong>Caritas</strong><br />
schon heute deutlich über dem Niveau anderer<br />
Träger liegt, die sich oftmals an entsprechenden<br />
Mindestlohnvereinbarungen orientieren.<br />
So läge z. B. die Stundevergütung<br />
einer Pflegehilfskraft unter Berücksichtigung<br />
des Sockelbetrages bei mindestens<br />
11,55 Euro und damit 32 Prozent über dem<br />
Mindestlohn. Vor dem Hintergrund, dass<br />
schon das heutige Lohnniveau der <strong>Caritas</strong><br />
von den Kostenträgern – vor allem in der<br />
Altenhilfe – nicht mehr refinanziert wird, führen<br />
Forderungen, die Lohnsteigerungen in<br />
dieser Größenordnung verursachen, unweigerlich<br />
zu weiteren Defiziten und über kurz<br />
oder lang zur Schließung von Einrichtungen<br />
und dem Verlust von Arbeitsplätzen.<br />
Die Forderung nach einem Sockelbetrag<br />
passt daher nicht zu der schwierigen Finanzlage<br />
vieler Einrichtungen der <strong>Caritas</strong>. Er wäre<br />
schlicht nicht (re-)finanzierbar. Die aktuelle<br />
Situation erfordert vielmehr eine moderate<br />
und differenzierte Lohnrunde.<br />
Dr. Pascal Krimmer
Bericht aus der RK Ost<br />
Am 21.10.2010 beschloss die Beschlusskommission<br />
der Arbeitsrechtlichen Kommission<br />
(AK) umfangreiche Änderungen der<br />
AVR. Soweit der Beschluss Tariferhöhungen<br />
betraf, bedurfte er der Übernahme durch die<br />
Regionalkommissionen (RK). Neu war, dass<br />
auch das Inkrafttreten der strukturellen Veränderungen<br />
zu Ärzten, Pflegepersonal in<br />
Krankenhäusern und in Betreuungseinrichtungen<br />
sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
im Sozial- und Erziehungsdienst (Anlagen<br />
30, 31, 32 und 33) an einen Beschluss der<br />
Regionalkommissionen zur Übernahme der<br />
Tarifveränderung geknüpft war.<br />
Der Beschluss vom 21.10.2010 ist im Bereich<br />
der Regionalkommission Ost bis heute<br />
nicht umgesetzt.<br />
Mit großem Elan und intensivem Bemühen<br />
um akzeptable Regelungen wurden im<br />
1. Quartal 2011 in Arbeitsgruppen der RK<br />
Ost Vorschläge erarbeitet. Ganz dicht stand<br />
die RK Ost in einer Sitzung am 19.04.2011<br />
vor deren Annahme. Es kam dann doch nicht<br />
zu einem Beschluss. Je ein Antrag der Mitarbeiterseite<br />
und der Dienstgeberseite fanden<br />
nicht die erforderliche Mehrheit. Einstimmig<br />
wurde daraufhin das Vermittlungsverfahren<br />
eingeleitet.<br />
Der Vermittlungsausschuss, zunächst in<br />
„kleiner Besetzung“, beschloss am<br />
23.06.2011 mehrheitlich einen Vermittlungsvorschlag.<br />
Zu dessen Wirksamkeit wäre eine<br />
Annahme durch die RK Ost notwendig gewesen.<br />
Diese scheiterte in einer Sitzung am<br />
01.09.2011. Die Mitarbeiterseite der Regionalkommission<br />
Ost leitete daraufhin mit ihren<br />
Stimmen das Erweiterte Vermittlungsverfahren<br />
ein.<br />
In drei Sitzungen, am 03.11.2011, am<br />
28.11.2011 und am 08.12.2011 erarbeitete<br />
der Ausschuss den (nach der Ordnung verbindlichen)<br />
Vermittlungsspruch. Dabei war es<br />
erforderlich, nicht nur Inhalte oder Eckpunkte<br />
zu bestimmen, sondern einen vollständig<br />
formulierten Beschluss zur Änderung der<br />
AVR zu formulieren.<br />
5<br />
Zu dem am 12.12.2011 durch Einstellung in<br />
das CariNet verkündeten Beschluss hatte die<br />
RK Ost einen Monat Zeit, diesen abzuändern.<br />
In der dazu für den 10.01.<strong>2012</strong> einberufenen<br />
Sitzung stellte die Mitarbeiterseite<br />
einen Änderungsantrag. Unter Bestätigung<br />
des Vermittlungsspruches im Übrigen sollte<br />
dieser in sechs Punkten geändert werden.<br />
Die Änderungen betrafen die Leistungszulage<br />
(dreimal), den Besitzstandsabbau, die<br />
„Gewinnabschmelzung“ und Sonderregelungen<br />
für Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst<br />
in Modellprojekten. Die Mitarbeiterseite<br />
behauptete, dass mit den vorstehend<br />
genannten Regelungen der Vermittlungsausschuss<br />
seine Kompetenzen überschritten<br />
hätte. Der Antrag der Mitarbeiter fand nicht<br />
die erforderliche Mehrheit, der Vermittlungsspruch<br />
wurde am 12.01.<strong>2012</strong> bestandskräftig.<br />
Die Mitarbeiterseite hält ihre Bewertung aufrecht,<br />
dass der Vermittlungsspruch wegen<br />
Kompetenzüberschreitung rechtsfehlerhaft<br />
ist.<br />
Die Mitarbeiterseite der Beschlusskommission<br />
hat am 12.01.<strong>2012</strong> beim Kirchlichen Arbeitsgericht<br />
in Freiburg gegen die (gesamte)<br />
RK Ost Antrag auf Einstweilige Verfügung<br />
gestellt. Sie will verhindern, dass zur Einleitung<br />
des Inkraftsetzungsverfahrens der Vorsitzende<br />
der RK Ost den Beschluss unterschreibt.<br />
Sie will außerdem erreichen, dass<br />
das Gericht den Vermittlungsspruch in den<br />
sechs angegriffenen Punkten aufhebt. Hilfsweise<br />
soll die Rechtswidrigkeit der genannten<br />
Regelungen festgestellt werden.<br />
Die RK Ost hat sich gegen den Antrag verteidigt.<br />
Sie hat vorgetragen, dass nach der<br />
Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO)<br />
Streitigkeiten über Kompetenzen nur mit einer<br />
Dreiviertelmehrheit der Kommission, die<br />
sich in ihren Rechten beeinträchtigt sieht,<br />
eingeleitet werden können. Da der Antrag<br />
lediglich von der Mitarbeiterseite, somit nur<br />
von der Hälfte der Beschlusskommission<br />
getragen war, sei er nicht zulässig. Dem hat<br />
sich das Kirchliche Arbeitsgericht in seiner<br />
Entscheidung vom 17.02.<strong>2012</strong> angeschlossen<br />
und den Antrag zurückgewiesen.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die Geschäftsstelle<br />
der AK das Inkraftsetzungsverfahren<br />
einleitet. Nach Unterschrift durch den Vorsitzenden<br />
der RK Ost wäre dann der Vermittlungsspruch<br />
den zuständigen Bistümern zur<br />
Inkraftsetzung zuzuleiten. Diese haben die<br />
Möglichkeit, mit einer (formlosen) Anfrage bei<br />
der Geschäftsstelle der AK Fragen zu klären.<br />
Sie können außerdem förmlich gegen die<br />
Entscheidung des Vermittlungsausschusses<br />
Widerspruch einlegen. Die Sache ist dann<br />
erneut der RK Ost vorzulegen. Diese kann<br />
dann (mit Dreiviertelmehrheit) den Vermittlungsspruch<br />
bestätigen oder aber ihn abändern.<br />
Kommt weder für eine Bestätigung<br />
noch für eine Abänderung die erforderliche<br />
Mehrheit zustande, ist das Beschlussverfahren<br />
beendet, es bleibt bei der bisherigen<br />
Rechtslage.<br />
Der Mitarbeiterseite der Beschlusskommission<br />
ist es auf der gestrigen Sitzung nicht ge-<br />
6<br />
lungen, die Stimmen der Dienstgeber für ein<br />
Klageverfahren zu gewinnen. Wäre diese<br />
Entscheidung gefallen, hätte für die Dauer<br />
des Verfahrens, das dann voraussichtlich<br />
über zwei Instanzen gegangen wäre, mit zumindest<br />
6 – 8 Monaten gerechnet werden<br />
müssen. Selbst wenn die Kirchlichen Arbeitsgerichte<br />
die Rechtsauffassung der Mitarbeiterseite<br />
bestätigt hätten, hätte nach<br />
grundsätzlichen Rechtsprinzipien nicht damit<br />
gerechnet werden können, dass sie einzelne<br />
Punkte eines Vermittlungsspruches für<br />
rechtswidrig erklärten, den Spruch im Übrigen<br />
bestätigen würden. Vielmehr würde die<br />
Angelegenheit an die RK Ost bzw. den Vermittlungsausschuss<br />
zurückverwiesen werden.<br />
Das Verfahren ginge von neuem los.<br />
Stephan Schwarte<br />
alt. Vorsitzender der RK Ost<br />
Deutsche Bischofskonferenz: Pressegespräch zum Kirchlichen Arbeitsrecht<br />
Am 28.02.<strong>2012</strong> ging der Vorsitzende der<br />
Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof<br />
Robert Zollitsch, außerhalb der Tagesordnung<br />
der Frühjahrsvollversammlung in Regensburg<br />
im Hinblick auf die Diskussion des<br />
Kirchlichen Arbeitsrechtes in Politik und der<br />
Gerichtsbarkeit in die Offensive.<br />
Die Kirche zahle „in der Regel“ besser, betonte<br />
er. Sie gehe außerdem gegen die wenigen<br />
schwarzen Schafe in den eigenen Reihen<br />
vor, die durch Outsourcing oder Leiharbeit<br />
die Gehälter zu drücken versuchten. Im<br />
Übrigen sei die Tarifbindung der kirchlichen<br />
Einrichtungen mit „mindestens 80 Prozent“<br />
sehr hoch. Bis Ende 2013 müssten sich die<br />
Tarifflüchter entscheiden: Entweder sie kehren<br />
zurück oder sie verlieren die kirchliche<br />
Anerkennung.<br />
Das vollständige Statement des Vorsitzenden<br />
der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof<br />
Robert Zollitsch, ist unter<br />
https://caritasdienstgeber.de/themen/kirchlichesarbeitsrecht.html<br />
abrufbar.<br />
Quelle:<br />
Statement des Vorsitzenden der Deutschen<br />
Bischofskonferenz zum Kirchlichen Arbeitsrecht<br />
am 28.02.<strong>2012</strong> – PM 34/12<br />
Anhörung im Deutschen Bundestag zum Dritten Weg am 26.03.<strong>2012</strong><br />
Es ist ein alter Streit: Geht es den rund<br />
1,3 Millionen Angestellten der Kirchen in<br />
Deutschland schlechter als ihren Kollegen<br />
bei anderen Arbeitgebern? Gewerkschafter<br />
wie ver.di sagen ja und fordern die Abschaffung<br />
der kirchlichen Sonderwege bei der Tariffindung.<br />
Und sie finden Rückhalt für ihre<br />
Forderungen beispielsweise bei der Linkspartei,<br />
die das Thema im März erneut auf die<br />
Agenda des Deutschen Bundestags gesetzt<br />
hat.<br />
Am 26.03.<strong>2012</strong> findet im Ausschuss Arbeit<br />
und Soziales eine Anhörung zu dem Antrag
der Fraktion DIE LINKE „Grundrechte der<br />
Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen<br />
Einrichtungen stärken“ statt.<br />
Rolf Lodde, Sprecher der Dienstgeberseite<br />
der AK, ist als Einzelsachverständiger geladen.<br />
Ebenfalls ist die Mitarbeiterseite durch<br />
Thomas Schwendele vertreten, das Kommissariat<br />
der Deutschen Bischöfe sowie Professor<br />
Jacob Joussen und Professor Gregor<br />
Thüsing sind ebenfalls geladen, um nur einige<br />
der zwölf geladenen Sachverständigen zu<br />
nennen.<br />
7<br />
Die Dienstgeberseite wird belastbare Zahlen<br />
zum Lohnniveau der <strong>Caritas</strong> vorlegen. Im<br />
Vergleich der Entgelte werden Sonderleistungen<br />
an kirchliche Mitarbeiter, wie die allein<br />
Dienstgeber finanzierte betriebliche Altersvorsorge,<br />
oftmals nicht einbezogen.<br />
Die Stellungnahme wird zeitnah unter<br />
https://caritas-dienstgeber.de/<br />
presse/positionenstellungnahmen.html<br />
abrufbar sein.<br />
Elke Gundel<br />
EuGH: Auskunftsanspruch eines abgelehnten Stellenbewerbers<br />
EuGH C-415/10: Auskunftsanspruch des<br />
abgelehnten Stellenbewerbers gegenüber<br />
dem Arbeitgeber hinsichtlich der Qualifikationen<br />
der übrigen Bewerberinnen und<br />
Bewerber (BAG vom 20.05.2010 – 8 AZR<br />
287/08 –)<br />
Am 12.01.<strong>2012</strong> hat der Generalanwalt am<br />
Europäischen Gerichtshof (EuGH) seine<br />
Schlussanträge abgegeben. Nach Auffassung<br />
des Generalanwalts hat ein abgelehnter<br />
Bewerber keinen generellen Auskunftsanspruch<br />
gegen den Arbeitgeber, über die<br />
Gründe und Kriterien seiner Nichtberücksichtigung<br />
informiert zu werden. Dies soll auch<br />
dann gelten, wenn der Bewerber darlegt,<br />
dass er über die vorausgesetzten Qualifikationen<br />
der ausgeschrieben Stelle verfügt. Er<br />
plädiert allerdings dafür, dass die Weigerung<br />
des Arbeitgebers einem abgelehnten Stellenbewerber<br />
die Auswahlentscheidung zu<br />
begründen, als Indiz für eine Diskriminierung<br />
herangezogen werden kann.<br />
Der Gerichtshof hat sich mit der Frage zu<br />
befassen, wie ein Stellenbewerber für sich<br />
die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung<br />
zur Geltung bringen kann, wenn<br />
seine Bewerbung vom Arbeitgeber ohne Begründung<br />
und ohne Auskunft über das Auswahlverfahren<br />
und dessen Ausgang abgelehnt<br />
wurde.<br />
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sowie die<br />
Vorinstanzen, hatten ausgeführt, dass nach<br />
deutschem Recht einem Stellenbewerber,<br />
der meint, aus Gründen seines Geschlechts,<br />
seines Alters und/oder seiner Herkunft diskriminiert<br />
worden zu sein, die Darlegungslast<br />
nach § 22 AGG obliegt. Die Klägerin habe<br />
jedoch nicht ausreichend Indizien im Sinne<br />
von § 22 AGG bewiesen, die eine Benachteiligung<br />
vermuten ließen. Allerdings hatte auch<br />
bereits das BAG ausgeführt, dass die Klägerin<br />
durch die Beklagte mangels Angaben und<br />
Begründung bei der Ablehnung der Bewerbungen<br />
auch nicht in die Lage versetzt wurde,<br />
diesen Erfordernissen zu genügen.<br />
Das BAG richtete sich daher mit zwei Vorlagefragen<br />
an den EuGH:<br />
1. Kann ein Bewerber, der darlegt, dass er<br />
das vom Arbeitgeber in einer Stellenanzeige<br />
geforderte Anforderungsprofil erfüllt,<br />
im Fall einer Absage ohne vorheriges<br />
Vorstellungsgespräch vom Arbeitgeber<br />
Auskunft über die letztlich erfolgte Einstellung,<br />
insbesondere über die für diese Einstellung<br />
maßgeblichen Kriterien verlangen?<br />
Falls die erste Frage bejaht wird:<br />
2. Ist der Umstand, dass der Arbeitgeber die<br />
geforderte Auskunft nicht erteilt, eine Tatsache,<br />
welche das Vorliegen der vom Arbeitnehmer<br />
behaupteten Diskriminierung<br />
vermuten lässt?<br />
Der Generalanwalt hat nun am 12.01.<strong>2012</strong><br />
vorgeschlagen die erste Frage zu verneinen.<br />
Weder Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43<br />
noch Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78<br />
noch Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54<br />
sind dahin auszulegen, dass einem Bewerber<br />
im Fall seiner Nichtberücksichtigung ein
Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Auskunft<br />
eingeräumt werden muss, ob und aufgrund<br />
welcher Kriterien er einen anderen<br />
Bewerber eingestellt hat, auch wenn der Bewerber<br />
darlegt, dass er die Voraussetzungen<br />
für die vom Arbeitgeber ausgeschriebene<br />
Stelle erfüllt.<br />
Weiterhin hat der Generalanwalt vorgeschlagen,<br />
die zweite Frage dahin umzuformulieren,<br />
dass zu entscheiden ist, ob die Tatsache,<br />
dass der Arbeitgeber dem Bewerber die<br />
von diesem erbetenen Informationen nicht<br />
mitteilt, stets als unerheblich anzusehen ist,<br />
wenn es darum geht, das Vorliegen einer<br />
Diskriminierung im Sinne der drei Richtlinien<br />
zu vermuten.<br />
Der Gerichtshof wird somit um Entscheidung<br />
ersucht, welche Methode das vorlegende<br />
Gericht im Hinblick auf die drei im Mittelpunkt<br />
stehenden Richtlinien bei der Beurteilung des<br />
Verhaltens eines Arbeitgebers zu befolgen<br />
hat, der auf das Auskunftsbegehren eines<br />
Stellenbewerbers keine Antwort gibt. Der<br />
Gerichtshof ist aufgefordert, dem BAG bei<br />
der Feststellung zu helfen, welche Arten von<br />
Gesichtspunkten bei der hier erforderlichen<br />
Beurteilung berücksichtigt werden können.<br />
Das BAG darf insoweit nicht außer Acht lassen,<br />
dass der Arbeitgeber durch seine Weigerung,<br />
die genannten Informationen her<br />
8<br />
auszugeben, seine Entscheidungen mit<br />
ziemlicher Wahrscheinlichkeit unangreifbar<br />
machen kann. Der Arbeitgeber bliebe auf<br />
diese Weise weiterhin allein im Besitz wichtiger<br />
Informationen, von denen letztlich die<br />
Schlüssigkeit und somit die Erfolgsaussichten<br />
einer Klage des abgelehnten Bewerbers<br />
abhängen.<br />
Wird ein nationales Gericht mit einem solchen<br />
Fall befasst, kann die Weigerung des<br />
Arbeitgebers einem abgelehnten Stellenbewerber<br />
die Auswahlentscheidung zu begründen,<br />
als Indiz für eine Diskriminierung herangezogen<br />
werden.<br />
Auswirkungen für die Praxis<br />
Es ist davon auszugehen, dass das Urteil<br />
des EuGH dem Schlussantrag entspricht, da<br />
in etwa drei Vierteln aller Fälle das Gericht<br />
der Empfehlung des Generalanwaltes folgt.<br />
Für die betriebliche Praxis der Ablehnung<br />
von Stellenbewerbern bedeutet dies, dass<br />
zwar nach wie vor kein Begründungserfordernis<br />
besteht, aber eine Nichtbegründung<br />
eine Indiz Wirkung für eine Diskriminierung<br />
entfalten kann.<br />
Marc Riede<br />
BAG-Entscheidung: Keine Ablösung einzelvertraglicher Inbezugnahme durch<br />
(Haus-)Tarifvertrag oder: Zwei Seiten einer Medaille<br />
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom<br />
22.02.<strong>2012</strong> – 4 AZR 24/10 –<br />
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf,<br />
Urteil vom 09.11.2009 – 16 Sa 582/09<br />
–<br />
Rechtsfrage<br />
Die Parteien streiten über die Fortgeltung der<br />
Arbeitsvertragsrichtlinien für Arbeitsverträge<br />
in den Einrichtungen des Deutschen <strong>Caritas</strong>verbandes<br />
(AVR) nach einem Betriebsübergang.<br />
Sachverhalt<br />
Die Klägerinnen und Kläger sind langjährig in<br />
einem Krankenhaus im nichtärztlichen Dienst<br />
beschäftigt und Mitglieder der Gewerkschaft<br />
ver.di. In den Arbeitsverträgen mit dem ursprünglichen<br />
Träger des Krankenhauses ist<br />
die Anwendbarkeit der AVR in der jeweils<br />
gültigen Fassung vereinbart worden. Diese<br />
sind auch nach Betriebsübergang auf eine<br />
GmbH jahrelang weiterhin dynamisch auf die<br />
Arbeitsverhältnisse der klagenden Parteien<br />
angewendet worden. Mit Wirkung zum<br />
01.05.2007 hat die H-GmbH die Gesellschaftsanteile<br />
an der Beklagten übernommen.<br />
Die H-GmbH als Konzernmutter hatte zuvor<br />
am 16.01.2007 mit der Gewerkschaft ver.di<br />
verschiedene Tarifverträge für die Unter-
nehmen des Konzerns abgeschlossen. Außerdem<br />
schloss sie am 01.11.2007 mit der<br />
Gewerkschaft ver.di einen Nachtragstarifvertrag<br />
ab, der für die Beklagte gelten sollte und<br />
nach dessen Maßgabe die Tarifverträge für<br />
die Unternehmen des Konzerns bei ihr zur<br />
Anwendung kommen sollten.<br />
Die Vorinstanzen haben den auf Neuregelungen<br />
der AVR <strong>Caritas</strong> nach Abschluss des<br />
Haustarifvertrages gestützten Klageanträgen<br />
stattgegeben. Streitpunkt war dabei allein, ob<br />
nach dem Abschluss des Firmentarifvertrages<br />
die bisher auf die Arbeitsverhältnisse<br />
„anzuwendenden … AVR … in der jeweils<br />
gültigen Fassung“ noch anzuwenden sind.<br />
Dies hat der Vierte Senat mit den Vorinstanzen<br />
bejaht. Ein Haustarifvertrag kann die<br />
einzelvertraglich begründete Anwendbarkeit<br />
der AVR <strong>Caritas</strong> nicht ablösen. Im Übrigen<br />
scheidet hier eine Ablösung bereits aus einem<br />
weiteren Grund aus: Der für die Beklagte<br />
abgeschlossene Nachtragstarifvertrag gilt<br />
bei der Beklagten nicht. Sie ist weder durch<br />
ihre Konzernmutter ordnungsgemäß vertretene<br />
Tarifvertragspartei gewesen, noch hat<br />
ein tariffähiger Verband für sie gehandelt (§ 2<br />
Tarifvertragsgesetz, TVG).<br />
Entscheidung<br />
Ein Tarifvertrag kann selbst bei beiderseitiger<br />
Tarifgebundenheit eine Vereinbarung in einem<br />
Arbeitsvertrag nicht ablösen. Das gilt<br />
auch für nur aufgrund arbeitsvertraglicher<br />
Bezugnahme anwendbare Richtlinien für<br />
Arbeitsverträge in den Einrichtungen des<br />
Deutschen <strong>Caritas</strong>verbandes (AVR <strong>Caritas</strong>).<br />
Das Verhältnis der einzelvertraglichen und<br />
tarifvertraglichen Ansprüche zueinander ist<br />
nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3<br />
TVG zu klären.<br />
Bewertung<br />
Vor dem Hintergrund der Diskussion um den<br />
Dritten Weg hat das BAG zwar eine keines-<br />
9<br />
wegs überraschende, aber trotzdem interessante<br />
Entscheidung getroffen, die nicht eines<br />
gewissen „Schmunzelfaktors“ entbehrt:<br />
Ver.di Mitglieder klagen auf eine Bezahlung<br />
nach AVR, weil diese besser ist, als der von<br />
ver.di ausgehandelte Haustarifvertrag- und<br />
das Gericht bestätigt dies in seiner Entscheidung.<br />
Die Entscheidung zeigt aber vor allem zwei<br />
Dinge:<br />
� Die AVR <strong>Caritas</strong> sind eben kein Tarifvertrag,<br />
der durch einen anderen Tarifvertrag<br />
abgelöst werden kann, sondern einzelvertraglich<br />
in Bezug genommene Regelungen.<br />
Daran vermag auch der Umstand<br />
nichts zu verändern, dass diese Regelungen<br />
in paritätisch besetzten Kommissionen<br />
verhandelt und diese paritätische Besetzungen<br />
und die Unabhängigkeit der Mitglieder<br />
der Kommission gewährleistet,<br />
dass die Arbeitgeberseite bei der Festlegung<br />
der Arbeitsbedingungen ihre Interessen<br />
nicht einseitig durchsetzen. (BAG vom<br />
22.07.2010,- 6 AZR 170/08 –)<br />
� Die Diskussion und der Streit um die Höhe<br />
von „Tarifverträgen“ im Zusammenhang<br />
mit der Diskussion um den Dritten Weg<br />
sind nicht sinnvoll. Tarifbetrachtungen sind<br />
zum einen Momentbetrachtungen, die sich<br />
bereits beim nächsten Abschluss wieder<br />
total verschieben können, zum anderen<br />
muss es möglich sein aufgrund unterschiedlicher<br />
Strukturen und Refinanzierungsbedingungen<br />
auch zu unterschiedlichen<br />
Verhandlungsergebnissen zu kommen,<br />
soweit die Arbeitnehmer an der allgemeinen<br />
Lohnentwicklung angemessen<br />
teilhaben. Lohndumpingvorwürfe sind in<br />
diesem Zusammenhang unseriös und wenig<br />
hilfreich.<br />
Marc Riede<br />
Quelle: Pressemitteilung BAG <strong>Nr</strong>.17/12<br />
BAG-Terminvorschau: Weitere Entscheidungen zum Urlaubsrecht am<br />
20.04.<strong>2012</strong> und am 22.05.<strong>2012</strong><br />
Am 20.04.<strong>2012</strong> – 9 AZR 540/10 – wird das<br />
BAG über die Rechtsfrage entscheiden, ob<br />
Urlaubsansprüche verjähren oder ob sie jeweils<br />
bei Übertragung dem neuen Urlaubsan-<br />
spruch hinzutreten. Des Weiteren geht es um<br />
die Frage der Zulässigkeit, ob im Rahmen<br />
einer dauerhaften Personalfreistellung nach<br />
einem Personalanpassungskonzept nicht
erfüllte Urlaubsansprüche aus den Vorjahren<br />
mit der laufenden Freistellung zu verrechnen<br />
sind.<br />
Rechtsfrage<br />
Die Parteien streiten über die Abgeltung von<br />
Resturlaubsansprüchen für die Jahre 2005<br />
und 2006 in einem noch bestehenden Arbeitsverhältnis.<br />
Sachverhalt<br />
Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt<br />
und war vom 22.08.2005 bis Anfang 2007<br />
ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Die<br />
Beklagte stellte den Kläger beginnend ab<br />
dem 01.10.2007 dauerhaft von der Arbeit frei.<br />
Der Kläger hat mit der im Dezember 2009<br />
erhobenen Klage Urlaubsabgeltung für die<br />
Jahre 2005 und 2006 geltend gemacht. Er ist<br />
der Auffassung, dass der Urlaub weder verfallen<br />
noch verjährt sei. Ein Abgeltungsanspruch<br />
könne auch im bestehenden Arbeitsverhältnis<br />
entstehen. Der Urlaubsanspruch<br />
könne auch nicht durch Anrechnung auf die<br />
Freistellung erfüllt werden. Die Beklagte wendet<br />
Verjährung ein.<br />
Am 22.05.<strong>2012</strong> – 9 AZR 575/10 – steht eine<br />
interessante Entscheidung zu § 26 TVöD an.<br />
Es geht um die Rechtsfrage zum übergesetzlichen<br />
Mehrurlaub: Bedarf es einer differenzierenden<br />
Regelung der Tarifvertragsparteien<br />
für den gesetzlichen Mindesturlaub und den<br />
übergesetzlichen Mehrurlaub? Müssen ausdrücklich<br />
unterschiedliche Verfallsfristen aufgestellt<br />
werden?<br />
Rechtsfrage<br />
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger<br />
für die Jahre 2007 und 2008 noch der den<br />
10<br />
gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende<br />
Tarifurlaub zusteht.<br />
Sachverhalt<br />
Der Kläger ist bei der Beklagten nach Maßgabe<br />
des TVöD als Angestellter beschäftigt.<br />
Er war von 23.06.2007 bis 07.10.2009 arbeitsunfähig<br />
erkrankt. Mit der Klage verlangt<br />
er von der Beklagten, ihm für 2007 und 2008<br />
den tariflichen Mehrurlaub von jeweils noch<br />
zehn Urlaubstagen zu gewähren. Die Beklagte<br />
ist der Auffassung, der tarifliche Mehrurlaub<br />
sei nach § 26 TVöD verfallen. Diese<br />
Norm verlangt nach Auffassung der Beklagten<br />
vom Arbeitnehmer, sämtlichen Urlaub bis<br />
zum 31. März bzw. 31. Mai des Folgejahres<br />
anzutreten, was der Kläger unstreitig nicht<br />
getan hat.<br />
Der Kläger ist der Auffassung, dass die von<br />
§ 26 TVöD in Bezug genommenen gesetzlichen<br />
Regelungen (BUrlG) im Falle der<br />
Krankheit des Arbeitnehmers nach Maßgabe<br />
des europäischen Rechts keinen Verfall von<br />
Urlaubsansprüchen zuließen, bestehe sein<br />
Anspruch nach wie vor. Die Beklagte meint<br />
dagegen, dass § 26 TVöD eine eigenständige<br />
Regelung über Urlaubsansprüche und ihren<br />
Verfall enthalte. Auf diese könnten deshalb<br />
die für das BUrlG maßgebenden Grundsätze<br />
nicht angewandt werden, so dass der tarifliche<br />
Mehrurlaub des Klägers mit dem Ende<br />
des Übertragungszeitraums verfallen sei.<br />
In beiden Verfahren haben die Vorinstanzen<br />
die Klage jeweils abgewiesen. Mit der von<br />
den Landesarbeitsgerichten zugelassenen<br />
Revision verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches<br />
Klageziel weiter.<br />
Quelle: Terminvorschau 2/<strong>2012</strong> des BAG<br />
Der <strong>Dienstgeberbrief</strong> wurde von den Dienstgebervertretern in der Verhandlungskommission der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) des<br />
DCV geschaffen, um insbesondere den Dienstgebern eine zeitnahe Information über aktuelle Geschehnisse in der AK zu geben. Aus<br />
diesem Anliegen resultiert, dass der <strong>Dienstgeberbrief</strong> kein zeitlich regelmäßiges Erscheinungsdatum hat, sondern nach Sitzungen der<br />
AK erscheint sowie im Bedarfsfall auch zwischen diesen Sitzungen mit Berichten aus den Gremien der AK oder aktuellen Beiträgen.<br />
Für Anregungen, Diskussionsbeiträge aber auch Kritik sind wir nicht nur offen, sondern wünschen uns dies, da wir den <strong>Dienstgeberbrief</strong><br />
als Kommunikationsmedium verstehen.<br />
Die Redaktion