Valeo mittendrin | November 2011
Valeo mittendrin | November 2011
Valeo mittendrin | November 2011
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In der letzten Zeit ist es häufig zu beobach-<br />
ten, dass das Eigenschaftswort „menschlich“<br />
dazu benutzt wird, um eine Forderung nach<br />
einer dringend zu erfolgenden Verhaltensveränderung<br />
zu stellen. Irgendetwas scheint<br />
nicht mehr in unserem Leben zu stimmen<br />
oder zu passen, Veränderungen sind eingetreten,<br />
die unzufrieden machen: zu wenig<br />
Zeit, zu großer Druck, zu hohe Anforderungen.<br />
Die eigenen Ziele, Wünsche und Ideale<br />
scheinen auf der Strecke geblieben zu sein.<br />
Und dann kann man in vielen Vorträgen et-<br />
was Seltsames hören: die Forderung, es<br />
müsste dringend menschlicher zugehen.<br />
Wer diesen Aufruf zu mehr Menschlichkeit<br />
als erster benutzt, kann sich des Beifalls der<br />
Anwesenden sicher sein. Manchmal wird dieser<br />
Begriff benutzt, ohne den Vergleich zu benennen.<br />
Menschlicher als wer oder was? Kann<br />
man menschlich eigentlich steigern? Schon<br />
rein sprachlich ist das eine Unmöglichkeit.<br />
Eine ähnliche Beobachtung habe ich auch<br />
beim <strong>Valeo</strong>-Kongress im Juni gemacht. Immer<br />
wieder wurde die Forderung nach „mehr<br />
Menschlichkeit“ erhoben. Wir sind aber „nur“<br />
Menschen und können nichts Anderes sein.<br />
Hilft es zur Klärung und zum Verständnis<br />
weiter, wenn wir nach dem Gegenteil von<br />
„menschlich“ fragen?<br />
Ich bin überzeugt, niemand wollte die Verhaltensweisen<br />
seines Gegenübers als unmenschlich<br />
oder gar tierisch kennzeichnen, aber irgendeine<br />
Sehnsucht nach einem anderen Verhalten,<br />
als wir es jetzt im Umgang miteinander<br />
erleben, scheint doch viele zu bewegen.<br />
Die verhält sich aber menschlich, den kannst<br />
du vergessen… Schnell bewerten wir auch<br />
im gemeinsamen Gespräch. Wir sind uns in<br />
unserem Urteil und unseren Pauschalisierungen<br />
einig: Die Ärzte, die Pflege, die aus der<br />
Verwaltung, die da oben…<br />
Aber wer fragt nach der Person? Statt Kataloge<br />
aufzustellen, in der die „Menschlichkeit“<br />
aufgelistet wird, wäre es oft einfacher, die Person<br />
selbst zu fragen: Warum verhältst du dich<br />
so und nicht anders? Was ist los mit dir?<br />
Vielleicht müssen wir das wieder neu lernen<br />
oder es einfach häufiger ausprobieren: uns<br />
gegenseitig wahrnehmen und uns das vor<br />
allem auch mitteilen. Beim <strong>Valeo</strong>-Kongress<br />
Auf ein Wort<br />
Was ist das Gegenteil von menschlich:<br />
unmenschlich oder tierisch?<br />
Was genau ist menschlich?<br />
sprach ein Arzt davon, dass es darauf ankomme,<br />
„einfach nur vernünftig“ miteinander<br />
zu reden. Ich denke, er hat Recht in dem,<br />
was er meinte. Aber es geht nicht um die Vernunft,<br />
sondern um unsere Gefühle, die unser<br />
menschliches Miteinander entscheidend mitprägen.<br />
Es geht darum, uns gegenseitig wahr-<br />
© HenningManninga - Fotolia.com<br />
zunehmen, wie wir sind und warum wir uns<br />
so und nicht anders verhalten: Was bringe ich<br />
als persönliche Stärke ein, wo liegen meine<br />
Schwächen? Und manchmal kann es für den<br />
Moment schon sehr entlastend für alle Beteiligten<br />
sein, nach dem „Warum“ zu fragen, sich<br />
selbst zuerst und dann auch den Nächsten.<br />
Mich erinnert unser Verhalten oft an die<br />
„Hammergeschichte“ von Paul Watzlawick,<br />
in der er von einem Mann erzählt, der sich<br />
einen Hammer von seinem Nachbarn ausleihen<br />
möchte. Auf dem Weg dorthin kommen<br />
ihm die unterschiedlichsten Gedanken<br />
über den Nachbarn: Er hat so merkwürdig<br />
geschaut bei der letzten Begegnung, er<br />
hat kaum gegrüßt… Und es fallen ihm immer<br />
mehr solcher Merkwürdigkeiten ein. Als der<br />
Nachbar ihm die Tür öffnet, platzt es aus ihm<br />
wutschnaubend heraus: „Ihren Sch… Hammer<br />
können Sie behalten!“ (Original bei Paul<br />
Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein)<br />
Diese Geschichte wäre Anlass genug, eine Forderung<br />
nach „mehr Menschlichkeit“ zu stellen:<br />
Vielleicht würden wir mehr Respekt, mehr<br />
Höflichkeit erwarten, vielleicht sollte der Bittsteller<br />
mehr Beherrschung seiner Gefühle an<br />
den Tag legen, vielleicht erwarten wir mehr<br />
Professionalität usw. Der Anforderungskatalog<br />
könnte lang und länger werden…, eine<br />
Lösung gäbe es dadurch nicht.<br />
Was hätte sich geändert, wenn der Bittstel-<br />
ler ein einziges Mal seinen Nachbarn ge-<br />
fragt hätte: Was ist los mit dir? Stattdessen<br />
bewertet er seine Vermutungen und hält sie<br />
für die allein gültige Wahrheit.<br />
Was ist los mit dir? Wenn wir diese Frage häufiger<br />
als bisher stellten, brauchen wir keine Forderung<br />
nach mehr Menschlichkeit, sondern<br />
wir könnten es spüren und erleben.<br />
Volker Mönkemöller<br />
Pfarrer im Evangelischen<br />
Krankenhaus Lippstadt<br />
<strong>Valeo</strong> <strong>mittendrin</strong> | <strong>November</strong> <strong>2011</strong><br />
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