11.01.2013 Aufrufe

Valeo mittendrin | November 2011

Valeo mittendrin | November 2011

Valeo mittendrin | November 2011

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

In der letzten Zeit ist es häufig zu beobach-<br />

ten, dass das Eigenschaftswort „menschlich“<br />

dazu benutzt wird, um eine Forderung nach<br />

einer dringend zu erfolgenden Verhaltensveränderung<br />

zu stellen. Irgendetwas scheint<br />

nicht mehr in unserem Leben zu stimmen<br />

oder zu passen, Veränderungen sind eingetreten,<br />

die unzufrieden machen: zu wenig<br />

Zeit, zu großer Druck, zu hohe Anforderungen.<br />

Die eigenen Ziele, Wünsche und Ideale<br />

scheinen auf der Strecke geblieben zu sein.<br />

Und dann kann man in vielen Vorträgen et-<br />

was Seltsames hören: die Forderung, es<br />

müsste dringend menschlicher zugehen.<br />

Wer diesen Aufruf zu mehr Menschlichkeit<br />

als erster benutzt, kann sich des Beifalls der<br />

Anwesenden sicher sein. Manchmal wird dieser<br />

Begriff benutzt, ohne den Vergleich zu benennen.<br />

Menschlicher als wer oder was? Kann<br />

man menschlich eigentlich steigern? Schon<br />

rein sprachlich ist das eine Unmöglichkeit.<br />

Eine ähnliche Beobachtung habe ich auch<br />

beim <strong>Valeo</strong>-Kongress im Juni gemacht. Immer<br />

wieder wurde die Forderung nach „mehr<br />

Menschlichkeit“ erhoben. Wir sind aber „nur“<br />

Menschen und können nichts Anderes sein.<br />

Hilft es zur Klärung und zum Verständnis<br />

weiter, wenn wir nach dem Gegenteil von<br />

„menschlich“ fragen?<br />

Ich bin überzeugt, niemand wollte die Verhaltensweisen<br />

seines Gegenübers als unmenschlich<br />

oder gar tierisch kennzeichnen, aber irgendeine<br />

Sehnsucht nach einem anderen Verhalten,<br />

als wir es jetzt im Umgang miteinander<br />

erleben, scheint doch viele zu bewegen.<br />

Die verhält sich aber menschlich, den kannst<br />

du vergessen… Schnell bewerten wir auch<br />

im gemeinsamen Gespräch. Wir sind uns in<br />

unserem Urteil und unseren Pauschalisierungen<br />

einig: Die Ärzte, die Pflege, die aus der<br />

Verwaltung, die da oben…<br />

Aber wer fragt nach der Person? Statt Kataloge<br />

aufzustellen, in der die „Menschlichkeit“<br />

aufgelistet wird, wäre es oft einfacher, die Person<br />

selbst zu fragen: Warum verhältst du dich<br />

so und nicht anders? Was ist los mit dir?<br />

Vielleicht müssen wir das wieder neu lernen<br />

oder es einfach häufiger ausprobieren: uns<br />

gegenseitig wahrnehmen und uns das vor<br />

allem auch mitteilen. Beim <strong>Valeo</strong>-Kongress<br />

Auf ein Wort<br />

Was ist das Gegenteil von menschlich:<br />

unmenschlich oder tierisch?<br />

Was genau ist menschlich?<br />

sprach ein Arzt davon, dass es darauf ankomme,<br />

„einfach nur vernünftig“ miteinander<br />

zu reden. Ich denke, er hat Recht in dem,<br />

was er meinte. Aber es geht nicht um die Vernunft,<br />

sondern um unsere Gefühle, die unser<br />

menschliches Miteinander entscheidend mitprägen.<br />

Es geht darum, uns gegenseitig wahr-<br />

© HenningManninga - Fotolia.com<br />

zunehmen, wie wir sind und warum wir uns<br />

so und nicht anders verhalten: Was bringe ich<br />

als persönliche Stärke ein, wo liegen meine<br />

Schwächen? Und manchmal kann es für den<br />

Moment schon sehr entlastend für alle Beteiligten<br />

sein, nach dem „Warum“ zu fragen, sich<br />

selbst zuerst und dann auch den Nächsten.<br />

Mich erinnert unser Verhalten oft an die<br />

„Hammergeschichte“ von Paul Watzlawick,<br />

in der er von einem Mann erzählt, der sich<br />

einen Hammer von seinem Nachbarn ausleihen<br />

möchte. Auf dem Weg dorthin kommen<br />

ihm die unterschiedlichsten Gedanken<br />

über den Nachbarn: Er hat so merkwürdig<br />

geschaut bei der letzten Begegnung, er<br />

hat kaum gegrüßt… Und es fallen ihm immer<br />

mehr solcher Merkwürdigkeiten ein. Als der<br />

Nachbar ihm die Tür öffnet, platzt es aus ihm<br />

wutschnaubend heraus: „Ihren Sch… Hammer<br />

können Sie behalten!“ (Original bei Paul<br />

Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein)<br />

Diese Geschichte wäre Anlass genug, eine Forderung<br />

nach „mehr Menschlichkeit“ zu stellen:<br />

Vielleicht würden wir mehr Respekt, mehr<br />

Höflichkeit erwarten, vielleicht sollte der Bittsteller<br />

mehr Beherrschung seiner Gefühle an<br />

den Tag legen, vielleicht erwarten wir mehr<br />

Professionalität usw. Der Anforderungskatalog<br />

könnte lang und länger werden…, eine<br />

Lösung gäbe es dadurch nicht.<br />

Was hätte sich geändert, wenn der Bittstel-<br />

ler ein einziges Mal seinen Nachbarn ge-<br />

fragt hätte: Was ist los mit dir? Stattdessen<br />

bewertet er seine Vermutungen und hält sie<br />

für die allein gültige Wahrheit.<br />

Was ist los mit dir? Wenn wir diese Frage häufiger<br />

als bisher stellten, brauchen wir keine Forderung<br />

nach mehr Menschlichkeit, sondern<br />

wir könnten es spüren und erleben.<br />

Volker Mönkemöller<br />

Pfarrer im Evangelischen<br />

Krankenhaus Lippstadt<br />

<strong>Valeo</strong> <strong>mittendrin</strong> | <strong>November</strong> <strong>2011</strong><br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!