Valeo mittendrin | November 2011
Valeo mittendrin | November 2011
Valeo mittendrin | November 2011
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Andere Länder, andere Sitten: Im Workshop setzen sich die Teilnehmer mit unterschiedlichen<br />
kulturellen Gegebenheiten auseinander.<br />
Workshop für interkulturelle Kompetenz<br />
Verständnis für das Fremde<br />
Hamm. Ein höfliches Lächeln auf den<br />
Lippen, im Pulk von einer Sehenswürdigkeit<br />
zur anderen wandernd und<br />
immer den Finger am Auslöser: „Japaner<br />
im Urlaub“, schallt es durch<br />
den Tagungsraum des Hammer Amalie-Sieveking-Haus.<br />
Blitzschnell war<br />
das pantomimisch dargestellte Bilderrätsel<br />
gelöst. Auch mit einer „russischen<br />
Hochzeit“ und „Amerikanern<br />
im Supermarkt“ hatten die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer des ekf-<br />
Workshops zur „Interkulturellen Kompetenz<br />
im Krankenhaus – Patienten<br />
mit Migrationshintergrund“ wenig<br />
Schwierigkeiten.<br />
Im Krankenhaus-Alltag jedoch stellen Menschen<br />
aus anderen Kulturkreisen in der täglichen<br />
Kommunikation und in der medizinisch-pflegerischen<br />
Versorgung nicht selten<br />
eine große Herausforderung dar. Das berichteten<br />
auch die anwesenden Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer aus den evangelischen<br />
Krankenhäusern Hamm und Münster. Doch<br />
nicht nur ihre Erfahrungsberichte ähnelten<br />
sich. In einem Punkt waren sie sich alle ei-<br />
nig: Die sprachlichen Hürden sind im Alltag<br />
auf den Stationen eher klein. Im Gegensatz<br />
zu den Herausforderungen, die kulturell geprägte<br />
Verhaltensweisen mit sich bringen.<br />
Fehle es doch immer wieder an Erfahrungswerten<br />
und am Wissen über die anderen Kulturen.<br />
Missverständnisse und im schlimmsten<br />
Fall sogar Unverständnis auf Kosten der<br />
Patienten können ebenso die Folge sein wie<br />
Stress und Überforderung der Mitarbeiter.<br />
Um das zu verhindern und die Mitarbeiter<br />
auf solche Situationen gut vorzubereiten,<br />
gab Ethnologin Sandra de Vries einen<br />
umfangreichen Einblick in das Verständnis<br />
von Krankheit und Heilung, von Familienzusammenhalt<br />
und Genesung aus Sicht anderer<br />
Kulturen. Mit dem umfangreichen Wissen<br />
der Referentin klärten sich die Fragen<br />
der Teilnehmer schnell und dank der detaillierten<br />
Erklärungen wich die Unsicherheit am<br />
Ende Verständnis und Mitgefühl. Weiß man<br />
nämlich, dass für Menschen aus dem muslimischen<br />
Kulturkreis nur das Reinigen an fließendem<br />
Wasser den Effekt der Sauberkeit<br />
hat, so wunderte es am Ende niemanden<br />
mehr, dass die zuvor beschriebene 80-jährige,<br />
bettlägerige Türkin sich selbst am vier-<br />
Aus den VALEO Häusern<br />
43<br />
ten Tag nicht mit einer Waschschüssel am<br />
Bett pflegen lassen wollte und lautstark protestiert<br />
hatte. Mindestens genauso klassisch<br />
wie spannungsgeladen sind Situationen in<br />
der Notaufnahme. Kennt man aber die Kommunikationsstrukturen<br />
der Familien, so ergibt<br />
es plötzlich einen Sinn, dass bei einer<br />
türkischen Familie immer wieder der Onkel<br />
und nicht etwa die Mutter das Wort ergreift.<br />
„Denn hier gilt das älteste männliche Familienmitglied<br />
als Sprecher für alle. Schicken Sie<br />
nun also den Onkel vor die Tür und fragen<br />
womöglich auch noch die Mutter, so gibt<br />
das verständlicherweise Grund zur Unruhe“,<br />
wusste Sandra de Vries ein konkretes Beispiel<br />
zu bewerten. Auch der Wunsch, so viele<br />
Familienmitglieder wie möglich am Krankenbett<br />
um sich zu scharren, erschien logisch,<br />
als die Expertin die Perspektive anderer<br />
Kulturkreise auf die Genesung erläuterte:<br />
„Die Überzeugung, dass ein Angehöriger nur<br />
durch die Gesellschaft seiner Familie geheilt<br />
werden kann, ist zum Beispiel bei den Roma<br />
und Sinti verbreitet. Die Anwesenheit der Familie<br />
ist für diese Menschen ein ganz wesentlicher<br />
Teil ihrer Gesundung. Wird das unterbunden,<br />
so ist das vermeintliche ‚Alleinsein‘<br />
für diese Menschen eine echte Katastrophe.“<br />
Wie wäre es denn umgekehrt?<br />
Grundsätzlich gelte: „Fragen Sie nach, was<br />
ihrem Patienten gut tut oder was Sie für ihn<br />
tun können“, betonte Sandra de Vries. Selbstverständlich<br />
müssten im Krankenhausalltag<br />
auch immer wieder Kompromisse gefunden<br />
werden, um andere Patienten nicht zu stören.<br />
„Es kann zum Beispiel eine Besuchsregelung<br />
getroffen werden, die zwar der einen Familie<br />
erlaubt, dauerhaft bei ihrem Angehörigen<br />
zu bleiben. Dafür kann man die Personenanzahl<br />
eingrenzen. Oberstes Gebot und gleichzeitig<br />
beste Möglichkeit, Miss- und Unverständnis<br />
auszuräumen, sei, sich Unsicherheiten<br />
einzugestehen und sie zu klären. „Stellen<br />
Sie sich die Situation einfach umgekehrt vor:<br />
Wenn Sie in einem fremden Land krank in einem<br />
Hospital liegen würden, wären Sie auch<br />
erleichtert, wenn man Sie nach Ihren Wünschen<br />
fragt und auf Sie zugeht.“<br />
<strong>Valeo</strong> <strong>mittendrin</strong> | <strong>November</strong> <strong>2011</strong>