Valeo mittendrin | November 2011

Die Zustände im Connaught-Hospital sind für europäische Augen nur schwer zu fassen.
Meine kinderchirurgischen Kollegen und ich
operierten an zehn OP-Tagen etwa 60 Patienten
und führten 70 Operationen durch. Kinderchirurgisch
standen Hernien, Analatresien,
Genitalwachstumsstörungen und Hydrocephalus
Operationen im Vordergrund,
bei mir vor allem Narbenkontrakturen nach
Schwerbrandverletzung mit zum Teil grotesken
Beugekontrakturen der Extremitäten bis
hin zur völligen Gebrauchsunfähigkeit einer
Extremität. Ursache für diese schlimmen Verbrennungsfolgen
ist die Tatsache, dass die in
Sierra Leone sehr oft vorkommenden Brandverletzungen
mangels entsprechender Verbrennungzentren
mit optimaler Primärversorgung
(Wegschneiden der tief geschädigten
Haut und Unterhautgewebe und Hauttransplantation)
narbig „verheilen“.
OP mit der Fahrradpumpe
Die OP-Bedingungen waren selbst im Connaught
Hospital, einem der großen und noch
mit am modernsten ausgestatteten Krankenhäuser,
so extrem rückständig, dass
mangels moderner Narkosetechnik (nur
Maskenbebeutelung, Ketanest - Atropin
Narkosen, Absaugung durch umgekehrte
Fußfahrradpumpe, Kreislaufüberwachung
durch Blutdruckmessung und Sättigungs-
kontrolle) größere Operationen nur sehr
eingeschränkt durchgeführt werden konnten.
Es gab meist keine Laborwerte, keine
bildgebende Diagnostik, keine auch nur
ansatzweise zu gebrauchenden OP-Instrumente.
Aus der Erfahrung der Kollegen des
Vorjahres waren wir daher mit dem notwendigsten
an Medikamenten für die Narkose
und die postoperative Schmerz- und Antibiotikabehandlung
angereist. Auch unser chirurgisches
Instrumentarium sowie sämtliche
Naht-, Verbands-, und weitere Hilfsmittel
hatten wir mitgebracht.
„Wir müssen zurück“
Trotz dieser Umstände konnten wir mit unseren
Operationen den einzelnen Patienten
eine Behandlung ermöglichen, die ansonsten
nicht erfolgt wäre. Sicherlich nur Hilfe für Einzelne,
ähnlich dem berühmten Tropfen – jedoch
auch kleine Schritte ergeben letztlich einen
Weg und führen hoffentlich irgendwann
für dieses schöne Land mit seinen liebenswerten
Bewohnern in eine gute Zukunft. Der
nächste Einsatz unserer Plastisch-Kinderchirurgischen
Gruppe ist für März 2012 geplant.
Kurze Zeit nach meinem ersten Hilfseinsatz
dieser Art in Sierra Leone war ich noch so körperlich
geschwächt und so tief beeindruckt
Aus den VALEO Häusern
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von der erlebten Not, dass ich unsicher war,
einen solchen Einsatz zu wiederholen. Der
Blick in die strahlenden und hoffnungsvollen
Gesichter Lippstädter Ballettmädchen
und -jungen während einer Aufführung im
Stadttheater am ersten Wochenende meiner
Rückkehr, hatte mich eines Besseren belehrt
und mir wurde klar: Wir müssen zurück
in diese so ganz andere Welt, um beim Aufbau
zu helfen, und damit wenigstens ein bisschen
für einen Angleich zu sorgen.
Nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg bis zum
Jahr 2000, zählt die ehemalige britische
Kronkolonie ganz im Westen Afrikas zu den
am wenigsten entwickelten Ländern im Entwicklungsprogramm
der Vereinten Nationen.
Bei etwa 5,3 Millionen Einwohnern
weist das Land folgende statistische Zahlen
auf: Fruchtbarkeitsziffer 6,1 Kinder pro Frau
(nur 4% stehen Verhütungsmittel zur Verfügung),
42% der Bevölkerung sind jünger als
15 Jahre, 4% älter als 65 Jahre, Lebenserwartung
nach WHO Angaben für 2006 42,6 Jahre
(Frauen 49-, Männer 48 Jahre), HIV positive
Erwachsene zwischen 1,7 und 7%. Jedes
dritte Kind erlebt aufgrund von Mangelernährung,
Infektionskrankheiten und Malaria
nicht den fünften Geburtstag.
Valeo mittendrin | November 2011