Alexandra Natterer Europa im Schulbuch - Omnia
Alexandra Natterer Europa im Schulbuch - Omnia
Alexandra Natterer Europa im Schulbuch - Omnia
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<strong>Alexandra</strong> <strong>Natterer</strong><br />
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>
Bild rechts:<br />
„Wer die Jugend hat, hat die Zukunft ... <strong>Europa</strong> unsere Zukunft!“<br />
Quelle:<br />
bsv Geschichte, Cornellssen u. a., Band 4 N: 10. Schulj., 4. Auflage,<br />
1. Nachdruck, München: Bayrischer <strong>Schulbuch</strong>-Verlag, 1995, S. 202
<strong>Alexandra</strong> <strong>Natterer</strong><br />
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong><br />
Die Darstellung der europäischen Einigung<br />
in baden-württembergischen Schulbüchern<br />
für Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
der Sekundarstufe I<br />
OMNIA
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme<br />
<strong>Natterer</strong>, <strong>Alexandra</strong>:<br />
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> : Die Darstellung der europäischen Einigung in<br />
baden-württembergischen Schulbüchern für Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
der Sekundarstufe I / <strong>Alexandra</strong> <strong>Natterer</strong>. – Grevenbroich:<br />
<strong>Omnia</strong>, 2001<br />
ISBN: 3-89344-057-7<br />
©2001 OMNIA Verlag GmbH, Grevenbroich<br />
Rheydter Straße 70, 41515 Grevenbroich<br />
Fax 02181-819515; E-Mail www@omnia-verlag.de<br />
Satz: OMNIA Verlag GmbH<br />
Druck und buchbinderische Verarbeitung:<br />
digidruck e.K. 75242 Neuhausen<br />
ISBN 3-89344-057-7
Inhalt<br />
Einleitung 9<br />
1 Bildungspolitische Vorgaben 13<br />
1.1 Der Vertrag von Maastricht 13<br />
1.2 Der Vertrag von Amsterdam 23<br />
1.3 Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong><br />
<strong>im</strong> Unterricht“ 26<br />
1.4 Der Bildungsplan in Baden-Württemberg 31<br />
2 <strong>Schulbuch</strong>analyse 39<br />
2.1 Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg 39<br />
2.2 Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse 47<br />
2.3 Die Samplebildung 58<br />
2.4 Die Kategorienbildung 61<br />
2.4.1 Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von<br />
Schulbüchern 61<br />
2.4.2 Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur<br />
europäischen Einigung 75<br />
3 Die europäische Einigung in den Geschichts- und<br />
Gemeinschaftskundebüchern von Baden-Württemberg der<br />
Sekundarstufe I 89<br />
3.1 Die europäische Einigung in den Bildungsplänen für<br />
Geschichte und Gemeinschaftskunde 89<br />
3.1.1 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der<br />
Hauptschule 89<br />
3.1.1.1 Der Bildungsplan für Geschichte 89<br />
3.1.1.2 Der Bildungsplan für Gemeinschaftskunde 94<br />
3.1.2 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der<br />
Realschule 97<br />
3.1.2.1 Der Bildungsplan für Geschichte 97<br />
3.1.2.2 Der Bildungsplan Gemeinschaftskunde 99<br />
3.1.3 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des<br />
Gymnasiums 101<br />
3.1.3.1 Der Bildungsplan für Geschichte 101<br />
5
Inhalt<br />
3.1.3.2 Der Bildungsplan für Gemeinschaftskunde 103<br />
3.2 Ergebnisse der <strong>Schulbuch</strong>analyse durch Anwendung des<br />
Kriterienkatalogs 105<br />
3.2.1 Quantitativer Anteil der europäischen Einigung<br />
nach 1945 105<br />
3.2.1.1 Geschichte 105<br />
3.2.1.2 Gemeinschaftskunde 108<br />
3.2.2 Anteile der einzelnen Themen der europäischen<br />
Einigung 111<br />
3.2.2.1 Geschichte 111<br />
3.2.2.2 Gemeinschaftskunde 118<br />
3.2.3 Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen<br />
Einigung 120<br />
3.2.3.1 Geschichte 120<br />
3.2.3.2 Gemeinschaftskunde 135<br />
3.2.4 Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern<br />
(Lehrplankonformität) 143<br />
3.2.4.1 Geschichte 144<br />
3.2.4.2 Gemeinschaftskunde 147<br />
3.2.5 Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und<br />
Quellenmaterials 149<br />
3.2.5.1 Geschichte 150<br />
3.2.5.2 Gemeinschaftskunde 153<br />
3.2.6 Sachliche Richtigkeit 156<br />
3.2.6.1 Geschichte 156<br />
3.2.6.2 Gemeinschaftskunde 159<br />
3.2.7 Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder,<br />
Karten, Karikaturen 162<br />
3.2.7.1 Geschichte 162<br />
3.2.7.2 Gemeinschaftskunde 170<br />
3.2.8 Der Einsatz von Quellen 176<br />
3.2.8.1 Geschichte 176<br />
3.2.8.2 Gemeinschaftskunde 181<br />
3.2.9 Die Multiperspektive 183<br />
3.2.9.1 Geschichte 183<br />
3.2.9.2 Gemeinschaftskunde 191<br />
3.2.10 Die Kontroverse 192<br />
3.2.10.1 Geschichte 192<br />
6
Inhalt<br />
3.2.10.2 Gemeinschaftskunde 201<br />
3.2.11 Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der<br />
europäischen Einigung 204<br />
3.2.11.1 Geschichte 204<br />
3.2.11.2 Gemeinschaftskunde 208<br />
3.2.12 Die Geschichte der europäischen Einigung als<br />
offener Prozess 210<br />
3.2.12.1 Geschichte 210<br />
3.2.12.2 Gemeinschaftskunde 214<br />
3.2.13 Die Werturteile über die europäische Einigung 216<br />
3.2.13.1 Geschichte 216<br />
3.2.13.2 Gemeinschaftskunde 219<br />
3.2.14 Die Arbeitsanweisungen 221<br />
3.2.14.1 Geschichte 222<br />
3.2.14.2 Gemeinschaftskunde 227<br />
3.3 Exkurs: Das „Europäische Geschichtsbuch“ 231<br />
3.3.1 Zur Vorgeschichte eines europäischen<br />
Geschichtsbuches 231<br />
3.3.2 Die Intention des „Europäischen Geschichtsbuches“233<br />
3.3.3 Kritische St<strong>im</strong>men zum „Europäischen<br />
Geschichtsbuch“ 235<br />
3.3.4 Die europäische Einigung nach 1945 <strong>im</strong><br />
„Europäischen Geschichtsbuch“ – eine Analyse 238<br />
4 Zusammenfassung 254<br />
4.1 <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger<br />
Analysen 254<br />
4.2 Resümee 262<br />
5 Verzeichnis der untersuchten Schulbücher 267<br />
5.1 Hauptschule: Geschichte/Gemeinschaftskunde 267<br />
5.2 Realschule 268<br />
5.2.1 Fachbereich Geschichte 268<br />
5.2.2 Fachbereich Gemeinschaftskunde 269<br />
5.3 Gymnasium 270<br />
5.3.1 Fachbereich Geschichte 270<br />
5.3.2 Fachbereich Gemeinschaftskunde 271<br />
7
Inhalt<br />
6 Literaturverzeichnis 272<br />
7 Anhang 285<br />
7.1 Anhang Nr. 1:<br />
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
(Geschichte) 286<br />
7.2 Anhang Nr. 2:<br />
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
(Gemeinschaftskunde) 293<br />
7.3 Anhang Nr. 3:<br />
Werturteile über die europäische Einigung (Geschichte) 296<br />
7.4 Anhang Nr. 4:<br />
Werturteile über die europäische Einigung<br />
(Gemeinschaftskunde) 299<br />
8
Einleitung<br />
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges ke<strong>im</strong>te die <strong>Europa</strong>idee erneut<br />
auf und gewann auch sehr bald an Boden.<br />
Von Anfang an wurde die europäische Einigung mit verschiedenen<br />
Leitbildern in Verbindung gebracht. Als Modelle wurden <strong>im</strong>mer wieder<br />
der „europäische Bundesstaat“ und der „europäische Staatenbund“ als<br />
die zwei markantesten Eckpfeiler für die Gestaltung der europäischen Einigung<br />
betrachtet. Die Frage, ob das Ergebnis der europäischen Einigung<br />
ein supranationales Gebilde oder lediglich eine intergouvernementale<br />
Kooperation sein sollte, stellt sich heute wohl nicht mehr in ausschließlicher<br />
Weise.<br />
Eine Vielzahl von abgestuften Modellen, die bei den bisherigen europäischen<br />
Einigungsbestrebungen zum Teil auch schon zum Zuge kamen,<br />
sind <strong>im</strong> Laufe der Jahre vorgeschlagen worden: der Gedanke eines „<strong>Europa</strong><br />
der Vaterländer“ (Charles de Gaulle), eine „gesamteuropäische Konföderation“<br />
(François Mitterand), ein europäischer Bundesstaat mit einer<br />
supranationalen Verfassung („Vereinigte Staaten von <strong>Europa</strong>“), ökonomische<br />
und politische (Teil-) Integrationsmodelle mit „spill-over“-Effekten,<br />
die Strategie einer „abgestuften Integration“, eines „<strong>Europa</strong> à la carte“,<br />
<strong>Europa</strong> der „variablen Geometrie“ oder <strong>Europa</strong> der „konzentrischen<br />
Kreise“. 1<br />
Betrachtet man allerdings die Entwicklung und „Natur“ der Europäischen<br />
Gemeinschaft/Europäischen Union, als das Beispiel für den wohl<br />
heute am stärksten integrierten Typ einer Staatengemeinschaft, so sind<br />
der Europäischen Union sowohl integrative als auch kooperative Elemente<br />
zuzuschreiben.<br />
Frank R. Pfetsch nannte die Europäische Union zu Recht ein „Zwittergebilde<br />
zwischen intergouvernementaler und supranationaler Organisation“<br />
2 . Der Weg dorthin wurde maßgeblich von den unterschiedlichen<br />
Vorstellungen der Mitgliedstaaten geprägt.<br />
1 vgl. u. a. Woyke, Wichard, Europäische Union: Erfolgreiche Krisengemeinschaft. Einführung<br />
in Geschichte, Strukturen, Prozesse und Politiken, München 1998, S.1-8undS.382-388sowie<br />
Platzer, Hans-Wolfgang, Lernprozess <strong>Europa</strong>: Die EG und die neue europäische Ordnung;<br />
eine Einführung, Bonn 1992, S. 34 - 45 sowie Mickel, Wolfgang W., Handlexikon der Europäischen<br />
Union, Köln 1994, S. 217 - 222<br />
2 Pfetsch, Frank R., Internationale Politik, Stuttgart 1994, S. 202<br />
9
Einleitung<br />
Nachweislich enthält der Maastrichter Vertrag einerseits die „drei supranational<br />
ausgerichteten Gemeinschaften EG, EAG und EGKS und andererseits<br />
die beiden intergouvernementalen Säulen der Gemeinsamen Außen-<br />
und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Zusammenarbeit in den<br />
Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI).“ 3<br />
Die Gleichzeitigkeit von supranationalen und intergouvernementalen<br />
Strukturen veranlasste das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil<br />
zum Vertrag von Maastricht (12. Oktober 1993) den Begriff des „Staatenverbundes“<br />
für den Entwicklungsstand der Europäischen Union auszugeben.<br />
4<br />
Der prozesshafte Charakter der Europäischen Union, an den auch die<br />
Folgeverträge (Amsterdamer Vertrag, Vertrag von Nizza) anknüpfen,<br />
wird nicht nur durch die <strong>im</strong>mer öfter stattfindende Überprüfung der Verträge<br />
deutlich, sondern macht vielleicht auch gerade den Erfolg der europäischen<br />
Einigung aus. 5 Denn das „dynamische Mehrebenensystem“ -<br />
wie Beate Kohler-Koch und Markus Jachtenfuchs die Europäische Union<br />
umschreiben - lässt ihre Entwicklung bewusst offen und ist eben nicht auf<br />
eine „Finalität“ festzulegen. 6<br />
In diesem Sinne verstanden, ist die „Europäische Union“ sicherlich<br />
nicht als Endstufe, sondern als Daueraufgabe zu betrachten. Außenminister<br />
Fischer hat allerdings in seiner Rede ausdrücklich von der „Finalität“<br />
der europäischen Integration gesprochen, deren zeitlichen Horizont er<br />
aber auch nicht festlegen kann. 7<br />
Daraus folgernd kann das Thema der europäischen Einigung nicht auf<br />
ein „Modell“ festgelegt werden; die <strong>Schulbuch</strong>analyse muss die entsprechenden<br />
Lehrpläne heranziehen. Die für diese Analyse in Frage kommenden<br />
Lehrpläne definieren aber den Begriff der europäischen Einigung<br />
nicht näher.<br />
3 Koenig, Christian/Haratsch, Andreas, Einführung in das <strong>Europa</strong>recht, Tübingen 1996, S. 24<br />
4 s. Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.), <strong>Europa</strong> von A bis Z: Taschenbuch der europäischen<br />
Integration/Institut für Europäische Politik, Bonn 2000, S. 262 - 267 und S. 281 -<br />
287<br />
5 vgl. Hrbek, Rudolf/Jopp, Mathias/Lippert, Barbara, Wessels/Wolfgang (Hrsg.), Die Europäische<br />
Union als Prozeß: Verfassungsentwicklung <strong>im</strong> Spiegel von 20 Jahren der Zeitschrift integration/Institut<br />
für Europäische Politik, Bonn 1998<br />
6 s. Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate, Einleitung: Regieren <strong>im</strong> dynamischen Mehrebenensystem,<br />
in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate, Europäische Integration, Stuttgart<br />
1996, S. 15 - 44<br />
7 s. Fischer, Joschka, Das Ziel ist die Europäische Föderation: Erfolgreich nur auf der Grundlage<br />
vertraglicher Souveränitätsteilung mit den fortbestehenden Nationalstaaten, in: Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung, Nr. 112 vom 15. Mai 2000, S. 15<br />
10
Folglich ist die europäische Einigung weiterhin als offener Prozess anzusehen<br />
und alle Elemente der „gemeinschaftlichen“ wie „intergouvernementalen“<br />
Entwicklung sind in die <strong>Schulbuch</strong>analyse mit einzubeziehen.<br />
„Macht <strong>Europa</strong> Schule?“ 8 Dieser Fragestellung wurde 1995 unter der<br />
Leitung des Georg-Eckert-Instituts für internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung<br />
nachgegangen. Dabei wurde die Darstellung <strong>Europa</strong>s in den Geschichts-,<br />
Politik- und Geografie-Schulbüchern der Europäischen Gemeinschaft<br />
als Untersuchungsrahmen gewählt.<br />
Die Ergebnisse mögen überraschen: Obwohl <strong>im</strong> Mittelalter die „politisch-historische<br />
Einheit am wenigsten ausgeprägt und bewußt war“ 9 ,<br />
spiegelt das Mittelalter die meisten europäischen Gemeinsamkeiten wieder.<br />
Zur Moderne wird eine deutliche Abnahme der europäischen Darstellung<br />
in den Schulbüchern festgestellt und es kann kein merklicher Anstieg<br />
in der Zeitgeschichte attestiert werden. 10 Hier besteht eine eindeutige<br />
Konzentration auf der westeuropäischen Perspektive; Osteuropa<br />
bleibt eher außen vor. Bei der Geschichtsschreibung der europäischen Einigung<br />
nach 1945 dominiert <strong>im</strong>mer noch die Darstellung der europäischen<br />
Organe sowie der Wirtschaftsverhältnisse. Ein gemeinsames Lebensgefühl<br />
oder gemeinsame politische Ziele werden entweder beiläufig<br />
oder gar nicht beachtet. 11 Als Aufgabe für die Zukunft sieht Falk Pingel<br />
den gegenwärtigen Integrationsprozess nicht nur als Momentaufnahme<br />
mit der Darstellung der europäischen Institutionen, sondern fordert einen<br />
Rückblick auf die europäischen Traditionen mit Einbeziehung einer multiperspektivischen<br />
Sichtweise zu wagen, mit Hilfe derer die europäische<br />
D<strong>im</strong>ension hinreichend herausgearbeitet wird. 12<br />
Die Frage, inwieweit die europäische Einigung in den Schulbüchern<br />
berücksichtigt wird, war der Anstoß dieser Arbeit.<br />
Da eine wirkliche Vergleichbarkeit der Schulbücher nur innerhalb<br />
von Nationen möglich ist und gerade bei <strong>Schulbuch</strong>analysen leicht die<br />
Gefahr eines Ausuferns besteht, wird der Untersuchungsgegenstand eingeschränkt.<br />
11<br />
Einleitung<br />
8 Pingel, Falk (Hrsg.), Macht <strong>Europa</strong> Schule? Die Darstellung <strong>Europa</strong>s in Schulbüchern der Europäischen<br />
Gemeinschaft, Frankfurt/Main 1995<br />
9 ebd., S. 263<br />
10 vgl. Pingel, Falk: <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – eine Bestandsaufnahme, in: Bombardelli, Olga<br />
(Hrsg.), Die Europäische D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> für politische Bildung und Geschichte,<br />
Trient 1993,S. 83 – 88<br />
11 s. ebd.<br />
12 s. Pingel, Falk, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – eine Bestandsaufnahme, in: Geschichte in Wissenschaft<br />
und Unterricht (GWU), 44/1993, S. 550 – 566
Einleitung<br />
So wird nicht die europäische D<strong>im</strong>ension über die Jahrhunderte hinweg<br />
in den Schulbüchern analysiert, sondern vielmehr der aktuelle Gedanke<br />
der europäischen Einigung nach 1945. Da eine systematische Untersuchung<br />
bisher nicht vorliegt, sollen alle zugelassenen Schulbücher für die<br />
Sekundarstufe I für die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde des<br />
Landes Baden-Württemberg mit wissenschaftlichen Methoden analysiert<br />
werden. Alle bisherigen Untersuchungen zur gestellten Thematik sind<br />
entweder älteren Datums, andere Fächer betreffend, auf den Begriff der<br />
europäischen D<strong>im</strong>ension erweitert, aber nicht wie in diesem Fall auf das<br />
Bundesland Baden-Württemberg bezogen.<br />
Um die genannte Zielsetzung verwirklichen zu können, müssen bei<br />
der Festlegung der Kategorien pädagogische, fachwissenschaftliche und<br />
fachdidaktische Aspekte berücksichtigt werden. Denn es kann nicht nur<br />
das Ziel dieser Arbeit sein, lediglich mit Hilfe von quantitativen Analysemethoden,<br />
den in den Schulbüchern vorgegebenen Raum für die europäische<br />
Einigung nach 1945 festzustellen. Vielmehr geht es auch darum,<br />
qualitative Analysekriterien einzusetzen, um die Inhalte der Schulbücher<br />
näher zu best<strong>im</strong>men. Letztendlich lautet die eingangs gestellte Frage:<br />
Wird <strong>im</strong> Land Baden-Württemberg durch die zugelassenen Schulbücher<br />
der nachwachsenden Generation ein ausreichendes Wissen über die europäische<br />
Einigung, auf dem sich ein europäisches Bewusstsein und eine<br />
entsprechende Handlungskompetenz aufbauen lässt, vermittelt?<br />
Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Otto Bardong für seine Anregungen<br />
und Betreuung der Arbeit, ebenso danke ich Herrn Prof. Dr.<br />
Hartmut Steinbach und den vielen Menschen, die mir während der Arbeit<br />
zur Seite standen.<br />
Baden-Baden <strong>im</strong> September 2001<br />
12
1 Bildungspolitische Vorgaben<br />
1.1 Der Vertrag von Maastricht<br />
Die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />
(EWG – 25. März 1957) beinhalten noch keine eigenständige<br />
Regelung bezüglich der Bildungs- und Kulturpolitik, was mit der Bildungs-<br />
und Kulturhoheit in den meisten Mitgliedstaaten zu begründen ist.<br />
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Kulturhoheit vom Bundesverfassungsgericht<br />
sogar als „Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“<br />
13 bezeichnet worden. Es seien deshalb hier in einem kurzen Überblick<br />
wichtige Etappen der europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen<br />
auf der Gemeinschaftsebene skizziert.<br />
Seit der Entschließung des Rats und der <strong>im</strong> Rat vereinten Minister für<br />
das Bildungswesen vom 9. Februar 1976 (mit dem Aktionsprogramm <strong>im</strong><br />
Bildungsbereich) ist das Gemeinschaftsinteresse an der Bildungspolitik<br />
gestiegen. Dem Aktionsprogramm von 1976, das u.a. die Verbesserung<br />
der Vergleichbarkeit der Bildungssysteme und die Förderung des Fremdsprachenerwerbs<br />
zum Inhalt hat, folgten noch viele Entschließungen und<br />
Schlussfolgerungen von Seiten des Rats und der <strong>im</strong> Rat vereinten Minister<br />
für das Bildungswesen, die schließlich zu den EU-Bildungsprogrammen<br />
wie „Sokrates“ (allgemeine Bildung) oder „Leonardo da Vinci“ (berufliche<br />
Bildung) führten.<br />
Erwähnt sei noch die Feierliche Deklaration zur Europäischen Union<br />
(Juni 1983), in der „die Verbesserung der Information über die europäische<br />
Geschichte und Kultur mit dem Ziel der Förderung eines europäischen<br />
Bewußtseins“ 14 befürwortet wird.<br />
Trotzdem beklagt das Europäische Parlament in seiner „Entschließung<br />
zur europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen“ 15 aus dem Jahr<br />
1987 den geringen Stellenwert der Gemeinschaft in den Lehrplänen der<br />
Mitgliedstaaten und tritt für eine verstärkte Förderung der europäischen<br />
13<br />
Der Vertrag von Maastricht<br />
13 Konow, Gerhard, Bildungspolitik nach >Maastricht< , in: Recht der Jugend und des Bildungswesens<br />
(Zeitschrift), I/1992, S. 428<br />
14 Hrbek, Rudolf (Hrsg.), Europäische Bildungspolitik und die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips,<br />
Baden-Baden 1994, S. 131<br />
15 s. Europäisches Parlament, Entschließung zur europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen,<br />
Dok.A2–148/87
Der Vertrag von Maastricht<br />
D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen durch die Einführung der europäischen<br />
D<strong>im</strong>ension in allen Pflichtschulsystemen der Mitgliedsstaaten ein. Konkret<br />
fordert das Europäische Parlament die Aus- und Fortbildung der<br />
Lehrkräfte zur europäischen D<strong>im</strong>ension wie die verstärkte Berücksichtigung<br />
von didaktischem Material mit dem Aspekt der europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
in Fächern wie Geschichte, Geografie, Gesellschaftskunde oder<br />
der Wirtschaftslehre. Darüber hinaus sollen die Lehrer die Schüler ermutigen,<br />
am „Aufbau <strong>Europa</strong>s“ 16 teilzunehmen.<br />
Die „Entschließung des Rates und der <strong>im</strong> Rat vereinigten Minister für<br />
das Bildungswesen zur europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen“ 17<br />
vom 24. Mai 1988 bekräftigt zum Teil die Vorlage des Europäischen Parlaments.<br />
Die wichtigsten Ziele für das Bildungswesen sind:<br />
– die verstärkte Berücksichtigung der europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen<br />
– die Stärkung eines europäischen Bewusstseins nach den Grundsätzen<br />
der Demokratie, sozialen Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenrechte.<br />
Ganz wichtig scheint mir die massive Aufforderung des Rates an die Mitgliedstaaten,<br />
aber auch an die Ebene der Europäischen Gemeinschaft,<br />
verstärkt Initiativen zu ergreifen, um die Verwirklichung dieser Ziele zu<br />
gewährleisten.<br />
Dabei wird deutlich ein Dokument in jedem Mitgliedstaat gefordert,<br />
welches die Vermittlung der europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen<br />
untermauert. Ausdrücklich werden benötigte Umstrukturierungen von<br />
Lehrplänen und der Lehrerausbildung, Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien<br />
und verstärkter Informationsaustausch verlangt.<br />
Die Autoren des pädagogischen Materials werden aufgefordert, verstärkt<br />
die Förderung der europäischen D<strong>im</strong>ension zu berücksichtigen,<br />
wie umgekehrt die „Durchführung vergleichender Untersuchungen über<br />
die Inhalte pädagogischen Materials“ 18 von Seiten der Gemeinschaft Unterstützung<br />
finden.<br />
Das allgemeine Ziel der Europäischen Gemeinschaft, „die Grundlagen<br />
für einen <strong>im</strong>mer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker<br />
16 ebd., S. 34<br />
17 s. Entschließung des Rates und der <strong>im</strong> Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen zur europäischen<br />
D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen (vom 24. Mai 1988), in: Amtsblatt der Europäischen<br />
Gemeinschaften Nr. C 177/5<br />
18 ebd., S. 3 (Nr. 9)<br />
14
zu schaffen“ 19 (Präambel des EWG-Vertrages), bedeutet kein Freibrief<br />
für gemeinschaftliches Handeln <strong>im</strong> Bereich der Bildungspolitik. Bis zum<br />
In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages (1. Januar 1993) gab der Artikel<br />
128 des EWG-Vertrages <strong>im</strong> Kapitel 2, Europäischer Sozialfonds des<br />
Titels III Sozialpolitik, allgemeine Grundsätze für die Berufsausbildung<br />
vor. Artikel 128 EWG-Vertrag gab der EG eine Ermächtigung „in bezug<br />
auf die Berufsausbildung allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer<br />
gemeinsamen Politik [aufzustellen], die zu einer harmonischen Entwicklung<br />
sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen<br />
Marktes beitragen“ 20 können. Zwar wird hier nur die Berufsausbildung<br />
genannt, jedoch kann die Gemeinschaft nach Artikel 235 EWG-Vertrag<br />
auch in anderen Bereichen tätig werden, wenn ein „Tätigwerden der Gemeinschaft<br />
erforderlich [erscheint], um <strong>im</strong> Rahmen des Gemeinsamen<br />
Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen.“ 21 Nach dem Prinzip der Einst<strong>im</strong>migkeit<br />
konnte jeder Mitgliedstaat seine bildungspolitischen Interessen<br />
wahren. Doch waren u.a. gerade die deutschen Bundesländer <strong>im</strong>mer<br />
besorgt um ihre Rechte, da der Begriff der „Berufsausbildung“ schließlich<br />
<strong>im</strong> Laufe der 80er Jahre auch die schulische Berufsausbildung und<br />
die Hochschulbildung miteinschloss. Die deutschen Länder warfen dem<br />
Europäischen Gerichtshof eine einseitige Unterstützung der Europäischen<br />
Kommission in der zunehmend „dynamischen Auslegung“ des<br />
Art. 128 EWG-Vertrages vor. In mehreren Prozessen vor dem Europäischen<br />
Gerichtshof wurde die politische Berechtigung der Europäischen<br />
Gemeinschaft zu den Aktionsprogrammen angefochten, allerdings ohne<br />
Erfolg.<br />
Der Beschluss des Europäischen Gerichtshofes 1985 in der Rechtssache<br />
Gravier, „daß jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation<br />
für einen best<strong>im</strong>mten Beruf oder eine best<strong>im</strong>mte Beschäftigung vorbereitet,<br />
[...] zur Berufsbildung gehört[...]“ 22 , stieß ebenso wie das Ergebnis<br />
der Rechtssache Blaizot (1988), in welcher der Europäische Gerichtshof<br />
das Hochschulstudium als einen Teil der Berufsausbildung ansah, auf<br />
Kritik seitens der deutschen Bundesländer.<br />
15<br />
Der Vertrag von Maastricht<br />
19 Läufer, Thomas (Bearb.), EWG-Vertrag. Grundlage der Europäischen Gemeinschaft. Text des<br />
EWG-Vertrages und der ergänzenden Best<strong>im</strong>mungen nach dem Stand vom 25. März 1987,<br />
Bonn 1987, S. 16<br />
20 ebd., S. 75<br />
21 ebd., S. 122<br />
22 Rs. 293/83 Gravier / Stadt Lüttich, EuGH 1985, in: Dohms, Rüdiger, Die Kompetenz der EG<br />
<strong>im</strong> Bereich der allgemeinen Bildung nach Art. 126 EGV, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens<br />
(Zeitschrift), I/1992, S. 452
Der Vertrag von Maastricht<br />
Die Mitgliedstaaten mit ihrer Bildungs- und Kulturhoheit wollten deshalb<br />
bei den Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag eine klare Kompetenzabgrenzung<br />
<strong>im</strong> Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik zwischen<br />
der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten erreichen. Im Vertrag über die<br />
Europäische Union vom 07. Februar 1992, der bisher als die weitestgehende<br />
Änderung gegenüber den Römischen Verträgen gilt, sind erstmals<br />
eigene Bildungskapitel mit einer klaren Kompetenzzuweisung geschaffen<br />
worden. Artikel 149 des EG-Vertrages enthält Best<strong>im</strong>mungen zur allgemeinen<br />
Bildung, Artikel 150 EG-Vertrag betrifft die berufliche Bildung<br />
und Artikel 151 EG-Vertrag befasst sich mit der Kultur.<br />
Ferner ist der neue Art. 3 q) EG-Vertrag zu erwähnen, der „einen Beitrag<br />
zu einer qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung<br />
sowie zur Entfaltung des Kulturlebens in den Mitgliedstaaten“ 23 in<br />
den Tätigkeitsbereichen der Gemeinschaft stellt.<br />
Dieser Zielsetzung kann keineswegs ein permanentes Handeln der<br />
Gemeinschaft in Fragen der Bildung folgen, denn auch hier gilt das Prinzip<br />
der Einzelermächtigung. „Die Gemeinschaft wird innerhalb der<br />
Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten<br />
Ziele tätig.“ 24 (vgl. Art. 5 Abs. 1 EG-Vertrag)<br />
Somit kann Art. 3 q) EG-Vertrag wieder nur in Verbindung mit den<br />
Best<strong>im</strong>mungen des unverändert gebliebenen Art. 308 EG-Vertrages (Generalermächtigung)<br />
an Bedeutung gewinnen.<br />
Mit der Entstehung des Art. 149 und des Art. 150 EG-Vertrages wurde<br />
nicht nur eine absolute Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher<br />
Bildung vollzogen, sondern beide Artikel enthalten auch eine abschließende<br />
Handlungsermächtigung der Gemeinschaft <strong>im</strong> Bereich des Bildungswesens.<br />
Der allgemeinen Bildung werden neben den öffentlichen allgemeinbildenden<br />
Schulen auch die Hochschulen zugeordnet.<br />
Nach Art. 149 EG-Vertrag trägt die Gemeinschaft lediglich „zur Entwicklung<br />
einer qualitativ hochstehenden Bildung“ 25 durch die Förderung<br />
der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei. Somit wird der<br />
Gemeinschaft ganz deutlich eine Förderkompetenz zugesprochen, in deren<br />
Umsetzung sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten<br />
unterstützen und fördern soll. Dies bedeutet, dass die Gemeinschaft keine<br />
23 Läufer, Thomas (Hrsg.), Vertrag von Amsterdam. Texte des EU-Vertrages und des EG-Vertrages,<br />
Bonn 1998, S. 57<br />
24 ebd., S. 58<br />
25 ebd., S. 134<br />
16
eigenständige aktive Bildungspolitik mit geltendem Recht für alle Mitgliedstaaten<br />
betreiben darf. Eine strikte Abgrenzung erfolgt in der Gestaltung<br />
der Bildungssysteme und der Lehrinhalte, die in der Verantwortung<br />
der Mitgliedstaaten verbleiben. Damit wird eine Harmonisierung der<br />
Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten untersagt.<br />
Beschlüsse (Empfehlungen) können der Rat und die <strong>im</strong> Rat vereinten<br />
Minister für das Bildungswesen mit qualifizierter Mehrheit treffen. Das<br />
Europäische Parlament hat mit der Anwendung des Artikels 251 EG-<br />
Vertrages (Mitentscheidungsverfahren) neben dem Rat ein gleichberechtigtes<br />
Mitspracherecht, was einer Stärkung der EU-Organe in ihrer Entscheidungsfähigkeit<br />
gleichkommt.<br />
Die Regionen oder z. B. die deutschen Bundesländer erhalten mit der<br />
Anhörung des Ausschusses der Regionen und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss<br />
auch ein gewisses Mitspracherecht.<br />
Mit den <strong>im</strong> Art. 149 EG-Vertrag genannten Zielen ist auch ein begrenztes<br />
Feld an Förderungsmaßnahmen angegeben:<br />
– die Entwicklung einer europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen,<br />
vor allem durch das Erlernen und Verbreiten der Sprachen der Mitgliedstaaten<br />
– die Förderung<br />
• der Mobilität der Lernenden und Lehrenden und die akademische<br />
Anerkennung der Diplome und Studienzeiten<br />
• der Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen<br />
• des Informations- und Erfahrungsaustausches<br />
• des Jugendaustausches und der sozialpädagogischen Betreuer<br />
• der Fernlehre. 26<br />
Die von der Gemeinschaft entwickelten Förderprogramme <strong>im</strong> Rahmen<br />
von „Sokrates“ beziehen sich auf den Art. 149 EG-Vertrag, wobei es zu<br />
Überschneidungen mit der beruflichen Bildung kommen kann. Den größten<br />
Bereich umfasst nach Peter Hilpold die Hochschulbildung mit dem<br />
Erasmus-Programm (Anteil 55%). Mit der Schulbildung (Comenius: Anteil<br />
10%) betritt die Gemeinschaft weitgehend Neuland.<br />
Aktionen wie:<br />
– die Partnerschaft zwischen schulischen Einrichtungen<br />
– Erziehung der Kinder von Wanderarbeitnehmern<br />
– Aktualisierung und Verbesserung der Qualifikation des Lehrpersonals<br />
sollen auch auf der Schulebene die europäische D<strong>im</strong>ension betonen.<br />
26 s. ebd., S. 134 – 135<br />
17<br />
Der Vertrag von Maastricht
Der Vertrag von Maastricht<br />
Die abschließenden bereichsübergreifenden Maßnahmen umfassen<br />
die Schulen wie auch die Hochschulen mit der Förderung der Fremdsprachenkenntnisse,<br />
des offenen Unterrichts, der Fernlehre sowie des Informations-<br />
und Erfahrungsaustauschs (z. B. Lingua, Eurydice, Arion: Anteil<br />
25%). 27<br />
Den Art. 150 EG-Vertrag, der den Rahmen für die berufliche Bildung<br />
absteckt, möchte ich nur skizzieren. Hierunter ist die berufsqualifizierende<br />
Erstausbildung, Weiterbildung und Umschulung zu verstehen. Auch<br />
der Art. 150 EG-Vertrag enthält spezielle Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips,<br />
in dem der Gemeinschaft „unter strikter Beachtung der Verantwortung<br />
der Mitgliedstaaten“ eine „Politik der beruflichen Bildung“ 28<br />
zusteht, wobei sie auch hier ergänzend und unterstützend tätig wird. Damit<br />
hat die Europäische Union zwar mit der Durchführung einer Politik<br />
der beruflichen Bildung weitreichendere Möglichkeiten als bei der allgemeinen<br />
Bildung (lediglich Beitrag leisten), jedoch wird auch hier ein abschließender<br />
Aufgabenbereich der Gemeinschaft aufgezählt und jegliche<br />
Harmonisierung der Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Das Europäische<br />
Parlament hat nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses<br />
<strong>im</strong> Zusammenarbeitsverfahren (Art. 252) Beschluss zu fassen.<br />
Das Gemeinschaftsprogramm „Leonardo“ trägt zur Verwirklichung<br />
der Förderung <strong>im</strong> Bereich der beruflichen Bildung bei.<br />
Interessanterweise kommt der Gemeinschaft unterstützende und ergänzende<br />
Förderkompetenz auch noch durch den Kulturartikel (Art. 151<br />
EGV) zu, indem sie bei der „Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung<br />
der Kultur und Geschichte der europäischen Völker“ 29 mitwirkt.<br />
Auf den ganzen Vertrag angewendet gilt das Subsidiaritätsprinzip,<br />
dessen Ursprung u.a. in der katholischen Soziallehre zu finden ist.<br />
Im Gegensatz zur vielfachen Auslegung des Subsidiaritätsprinzips<br />
stellt sich <strong>im</strong> Bereich der Bildung diese Frage nicht, da hier direkte Verweise<br />
auf das Subsidiaritätsprinzip (Art. 149 und Art. 150 EG-Vertrag)<br />
vorhanden sind.<br />
Vertraglich ist das Subsidiaritätsprinzip in der Präambel des EU-Vertrages<br />
und <strong>im</strong> Art. 5 EG-Vertrag (EGV) verankert. In der Präambel verpflichtet<br />
sich die Gemeinschaft, „den Prozeß der Schaffung einer <strong>im</strong>mer<br />
engeren Union der Völker <strong>Europa</strong>s, in der Entscheidungen entsprechend<br />
27 vgl. Hilpold, Peter, Bildung in <strong>Europa</strong>. Unter besonderer Berücksichtigung der EU-Bildungsprogramme,<br />
Baden-Baden 1995<br />
28 Läufer, Thomas (Hrsg.), Vertrag von Amsterdam, 1998, S. 135<br />
29 ebd., S. 136<br />
18
dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden“ 30 , voranzutreiben.<br />
In Art. 5 Abs. 2 EGV heißt es: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche<br />
Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip<br />
nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen<br />
Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend<br />
erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen<br />
besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“ 31 Somit<br />
besteht die Frage, ob die Gemeinschaft bei einem konkreten Fall tätig<br />
werden soll bzw. darf.<br />
Deutlich werden die Voraussetzungen für das Tätigwerden der Union<br />
genannt: Entweder reichen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten für ein<br />
effektives Handeln nicht aus oder die Gemeinschaft kann durch ihr Tätigwerden<br />
die Ziele besser realisieren. Aus dem Wortlaut wird ersichtlich,<br />
dass es sich eher um eine politische Leitlinie als um eine einklagbare präzise<br />
formulierte Rechtsnorm handelt.<br />
Je nach den Argumentationsgrundlagen kann leicht ein Konflikt zwischen<br />
der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten entstehen. So kann der<br />
Art. 5 für oder gegen das Tätigwerden der Gemeinschaft ausgenutzt werden,<br />
was mit einer Ausweitung des gemeinschaftlichen Handelns oder<br />
aber einer Förderung des eigenen politischen Gestaltungsspielraums der<br />
Regionen gleichzusetzen ist. Mit Art. 5 Abs. 2 EGV wird ein so genanntes<br />
Übermaßverbot festgelegt. „Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen<br />
nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche<br />
Maß hinaus.“ 32 Weiter sollen zur Erreichung der Ziele ausgewogene Mittel<br />
eingesetzt werden, was zwangsläufig wiederum einen Ermessensspielraum<br />
bedeutet.<br />
Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Edinburgh vom<br />
11./12. Dezember 1992 gehen auf die Handhabung des Subsidiaritätsprinzips<br />
ein. 33 Hiernach sollen die Gemeinschaftstätigkeiten ausgeweitet<br />
werden, wenn es die Umstände verlangen; ebenso sollen sie beschränkt<br />
werden, wenn das Handeln der Gemeinschaft nicht mehr gerechtfertigt<br />
erscheint.<br />
19<br />
Der Vertrag von Maastricht<br />
30 ebd., S. 19<br />
31 ebd., S. 58<br />
32 ebd.<br />
33 s. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Edinburgh, in: Hrbek, Rudolf (Hrsg.), Europäische<br />
Bildungspolitik, 1994, S. 103 ff.
Der Vertrag von Maastricht<br />
Im Oktober 1993 hat man eine interinstitutionelle Vereinbarung über<br />
das Verfahren der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips getroffen. 34<br />
Alle drei Organe der Europäischen Union (Europäische Kommission,<br />
Europäisches Parlament, Rat) verpflichten sich, jeden Vorschlag (auch<br />
Textänderungen) <strong>im</strong> Hinblick auf den Art. 5 EG-Vertrag zu überprüfen.<br />
Dies bedeutet in der Praxis natürlich, dass die Europäische Kommission<br />
schon vor der Unterbreitung von Vorschlägen für Rechtsvorschriften,<br />
Konsultationen durchzuführen hat und der Aspekt des Art. 5 EG-Vertrag<br />
berücksichtigt werden muss. Ebenso müssen die anderen Organe handeln,<br />
bevor die Gemeinschaft überhaupt tätig werden darf.<br />
Nach Rudolf Hrbek besteht die Hauptwirkung des Art. 5 EG-Vertrag<br />
in dem Zwang, explizit alles zu begründen, weshalb die Gemeinschaft tätig<br />
werden soll und wird sich tendenziell hemmend auswirken. 35<br />
Zusammenfassend sieht Hermann Müller-Solger eine fünffache Absicherung<br />
der Mitgliedstaaten gegen Eingriffe der Europäischen Union in<br />
der allgemeinen Bildung:<br />
1. Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 EGV<br />
2. Pr<strong>im</strong>atvorbehalt der Mitgliedstaaten (Art. 5 Abs. 2 EGV, Art. 149<br />
EGV)<br />
3. Kriterium der Erforderlichkeit (Art. 5 Abs. 2 EGV, Art. 149 EGV)<br />
4. Abgeschlossener Handlungskatalog (s. Art. 149 EGV)<br />
5. Harmonisierungsverbot (Art. 149 EGV). 36<br />
Damit bleibt die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten <strong>im</strong> Bereich der<br />
Bildungspolitik gewahrt und der Beitrag der Europäischen Union zur<br />
Entwicklung des Bildungswesens ist de facto gering.<br />
Trotzdem weisen gerade die deutschen Bundesländer <strong>im</strong>mer wieder<br />
auf das Subsidiaritätsprinzip 37 hin und befürchten durch eine Ausweitung<br />
des Gemeinschaftshandelns <strong>im</strong> Bildungswesen um ihre Kulturhoheit.<br />
Der Gefahr einer schleichenden Erosion an der unmittelbaren Mitwirkung<br />
auf Brüsseler Ebene, wie die deutschen Bundesländer unentwegt argumentieren,<br />
wird durch eine stärkere Bindung der Bundesregierung an<br />
34 s. Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der<br />
Europäischen Kommission über die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips vom<br />
Oktober 1993, in: Hrbek, Rudolf (Hrsg.), Europäische Bildungspolitik, 1994, S. 114 ff.<br />
35 s. Hrbek, Rudolf (Hrsg.), Europäische Bildungspolitik, 1994<br />
36 s. Müller-Solger, Hermann, Erwartungen an die Europäische Union aus deutscher Sicht, in:<br />
Hrbek, Rudolf (Hrsg.), Europäische Bildungspolitik, 1994, S. 47 ff.<br />
37 vgl. In den „Zehn Münchner Thesen“ vom 21./23. 10. 1987 forderten die Ministerpräsidenten<br />
der Länder einen Verbleib der Kultur-, Erziehungs- und Bildungspolitik bei den Ländern und<br />
forderten die Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips und des Föderalismus.<br />
20
Beschlüsse des Bundesrates kompensiert. Gerade bei der allgemeinen<br />
Bildung (Art. 149 EGV) wird den Ländern durch das Grundgesetz („<strong>Europa</strong>artikel<br />
23“) eine Mitwirkung ermöglicht.<br />
Da in diesem Fall ausschließlich Länderzuständigkeiten betroffen<br />
sind, muss die Bundesregierung nicht nur die Stellungnahme des Bundesrates<br />
berücksichtigen, sondern übergibt die „Wahrnehmung der Rechte<br />
[...] auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder.“ 38 (GG<br />
Art. 23 Abs. 6)<br />
Die Entschließung des Rates und der <strong>im</strong> Rat vereinigten Minister für<br />
das Bildungswesen (24.Mai.1988) hat neben der europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
<strong>im</strong> Bildungswesen, wie sie der Vertrag von Maastricht vier Jahre später<br />
aufn<strong>im</strong>mt, auch einen Beitrag der Bildung zur Entwicklung einer Europäischen<br />
Union beschlossen. Soweit geht der Maastrichter Vertrag<br />
nicht.<br />
Es stellt sich abschließend die Frage, ob die Papiere seitens der Gemeinschaft<br />
nach dem Maastrichter Vertrag <strong>im</strong> Bereich des Bildungswesens<br />
einen Schritt weiter gehen als z. B. der Ratsbeschluss von 1988 und<br />
damit die Befürchtungen der Länder untermauert werden. An zwei Beispielen<br />
muss die Frage allerdings negativ beantwortet werden. Das<br />
„Grünbuch zur Europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen“ 39 (29. Sept.<br />
1993) von der Europäischen Kommission ist nicht als Vorschlag sondern<br />
vielmehr als Denkanstoß zu verstehen. Deutlich wird auf das Subsidiaritätsprinzip<br />
verwiesen.<br />
Inhaltlich werden neben einer europäischen D<strong>im</strong>ension, die zu einer<br />
europäischen Staatsbürgerschaft beitragen soll, auch bessere Kenntnisse<br />
über die europäische Einigung durch einen verstärkten Informationsaustausch<br />
und der Vertiefung schulischer Lehrinhalte gefordert. Die Schule<br />
wird als „einer der zentralen Bezugspunkte der bildungspolitischen Maßnahmen<br />
der Mitgliedstaaten“ 40 gesehen. Deshalb möchte sich die Europäische<br />
Kommission gezielt auf die Schulen konzentrieren. Neben Altbekanntem<br />
wie der Förderung von Austauschmaßnahmen, Ausbau des<br />
Sprachunterrichts, Förderung der pädagogischen Innovation und dem Informations-<br />
und Erfahrungsaustausch steht die Ausbildung der Lehrer<br />
zur Debatte. Sie werden als „prädestinierte Träger zur Eingliederung ei-<br />
21<br />
Der Vertrag von Maastricht<br />
38 s. GG Art. 23 Abs. 6, in: Läufer, Thomas (Bearb.), Europäische Gemeinschaft – Europäische<br />
Union, 1993, S. 274<br />
39 s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zur europäischen D<strong>im</strong>ension des<br />
Bildungswesens, Brüssel 1993<br />
40 ebd., S. 7
Der Vertrag von Maastricht<br />
ner europäischen D<strong>im</strong>ension in die Lehrinhalte und die Erziehungspraxis“<br />
41 bezeichnet. Die Forderungen an die Lehrerschaft sind weitreichend:<br />
Sie sollen neben Kenntnissen über den europäischen Aufbau und<br />
die europäischen Kulturen auch über eine europäische Identität verfügen,<br />
eine Didaktik der europäischen D<strong>im</strong>ension ausarbeiten und mehrsprachige<br />
und multikulturelle Praktika absolvieren. Sicher sind Denkanstöße,<br />
wie sie dieses Papier vermittelt, wichtig, doch fehlen hier gezielte Vorschläge<br />
für die Umsetzung bzw. die spezifischen Inhalte. So laufen die<br />
Papiere der Gemeinschaft Gefahr zu global und nichts aussagend zu sein,<br />
was nicht gerade die Akzeptanz und die Bürgernähe fördert.<br />
Ebenso sucht die Europäische Kommission mit ihrem Weißbuch zur<br />
allgemeinen und beruflichen Bildung (29. November 1995) Antworten für<br />
den Bereich der Allgemeinbildung. 42 Auch hier wird die wichtige Funktion<br />
der Schule, die die „Fähigkeit zum Begreifen, zum Verstehen und zum Beurteilen“<br />
43 unterstützen und die „Fundamente für [ein] europäisches Bewußtsein<br />
und [eine] Unionsbürgerschaft“ 44 legen soll, untermauert.<br />
Der Schüler soll:<br />
– die Bedeutung der Dinge erfassen können<br />
– Inhalte verstehen und daraus Kreativität entwickeln<br />
– Urteils- und Entscheidungsvermögen erlangen.<br />
Ob solche Ziele überhaupt mit den Geschichtsbüchern zu erreichen sind,<br />
weckt erhebliche Zweifel.<br />
Dem Fach Geschichte wird allerdings eine große Bedeutung zugesprochen:<br />
„Die Erinnerung und das Verständnis der Vergangenheit sind unerläßlich,<br />
um ein Urteil über Gegenwärtiges zu fällen. Die historische und geographische<br />
Bildung [...] dient der zeitlichen und räumlichen Orientierung,<br />
die für die persönlichen Wurzeln, die Entwicklung des kollektiven<br />
Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinschaft und das Verständnis für andere<br />
wesentlich ist. Der Verlust des historischen Erinnerungsvermögens muß<br />
mit dem Verlust von gemeinsamen Bezugsgrößen und Anhaltspunkten<br />
bezahlt werden.“ 45<br />
41 ebd., S. 9<br />
42 s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen<br />
Bildung. Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft, Brüssel 1995<br />
43 ebd., S. 15<br />
44 ebd.<br />
45 ebd., S. 18<br />
22
Mit den Aktionsleitlinien zum Aufbau einer kognitiven Gesellschaft<br />
sind fünf Ziele verknüpft:<br />
1. die Aneignung neuer Kenntnisse mit einem persönlichen Kompetenzausweis<br />
2. die Annäherung der Schulen und Unternehmen<br />
3. die Bekämpfung der Ausgrenzung<br />
4. die Beherrschung von drei Gemeinschaftssprachen<br />
5. die gleiche Förderung von materiellen und berufsbildungsspezifischen<br />
Investitionen.<br />
Hiermit zeigt die Europäische Kommission zwar wie wichtig ihr der<br />
Hauptrohstoff <strong>Europa</strong>s, „das intellektuelle Potential seiner Bürger“ 46 ist,<br />
jedoch fehlen auch hier die konkreten Umsetzungspunkte. Das Europäische<br />
Parlament kritisiert zu Recht in seiner Entschließung zu dem Weißbuch<br />
47 die einseitige Hervorhebung der kognitiven Fertigkeiten und fordert<br />
ein Überdenken der Lehrmethoden und -inhalte. Neben einer guten<br />
fachlichen Ausbildung sowie guten Lehrmitteln plädiert das Europäische<br />
Parlament für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen theoretischem<br />
Wissen und praktischen Fertigkeiten in allen Lehrplänen!<br />
Ob die Länder der Bundesrepublik die vielfältigen Empfehlungen der<br />
Gemeinschaft zur europäischen D<strong>im</strong>ension umsetzen, muss <strong>im</strong> Folgenden<br />
überprüft werden. Doch zunächst stellt sich die Frage, in wieweit die<br />
bildungspolitischen Vorgaben durch den Vertrag von Amsterdam geändert<br />
wurden.<br />
1.2 Der Vertrag von Amsterdam<br />
Der Vertrag von Amsterdam ist das Ergebnis einer Regierungskonferenz,<br />
die am 29. März 1996 in Turin eröffnet wurde. Die speziell eingerichtete<br />
Reflexionsgruppe bereitete in einer ca. einjährigen Phase die endgültige<br />
Textversion vor, um sie am 16. Juni 1997 mit dem neuen Vertragsentwurf<br />
abzuschließen. Die Unterzeichnung fand am 02. Oktober 1997 statt, die<br />
Ratifizierung durch die 15 Mitgliedstaaten der EU war am 01. Mai 1999<br />
beendet, was gleichzeitig das Datum des In-Kraft-Tretens ist.<br />
23<br />
Der Vertrag von Amsterdam<br />
46 ebd., S. 66<br />
47 s. Europäisches Parlament, Entschließung zu dem Weißbuch der Kommission zur allgemeinen<br />
und beruflichen Bildung – Lehren und Lernen – Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft<br />
(KOM (95) 0590 –C4–0597/95)
Der Vertrag von Amsterdam<br />
Der Amsterdamer Vertrag ist in Zusammenhang mit dem Maastrichter<br />
Vertrag zu sehen. Dem ursprünglichen Gedanken nach sollte er einen<br />
wichtigen Schritt zu einem Mehr an Bürgernähe darstellen, vereinfachte<br />
Gesetzgebungsverfahren, eine Stärkung des Europäischen Parlaments,<br />
aber auch eine gewisse Umstrukturierung der Gemeinschaft <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die Osterweiterung vollziehen. Ohne den Vertragsinhalt hier <strong>im</strong> Einzelnen<br />
zu analysieren, ist die Gemeinschaft in der Außenpolitik, aber<br />
auch in der Vergemeinschaftung von Teilen der Rechts- und Innenpolitik<br />
gestärkt worden. Der Rat beschließt vermehrt mit qualifizierter Mehrheit,<br />
ebenso kann das Europäische Parlament öfter nach dem revidierten Mitentscheidungsverfahren<br />
handeln.<br />
Ob allerdings eine größere Transparenz für den Bürger <strong>im</strong> „EU-<br />
Dschungel“ geschaffen wurde, wage ich zu bezweifeln.<br />
„Wenn schon die Bürger der Mitgliedstaaten, die bereits ein halbes<br />
Jahrhundert der europäischen Integration erlebt haben, die Funktionsweise<br />
der europäischen Institutionen nicht durchschauen, dann wird das bei<br />
den Bürgern der neuen Mitgliedstaaten erst recht der Fall sein.“ 48<br />
Eine grundlegende Vertragsrevidierung <strong>im</strong> Hinblick auf seine Struktur<br />
und auf institutionelle Reformen scheint auf die anstehende Erweiterung<br />
der Europäischen Union unausweichlich.<br />
Im Folgenden sollen nur die bildungspolitischen Vorgaben des Amsterdamer<br />
Vertrages berücksichtigt werden.<br />
In der neuen Präambel des EG-Vertrages verpflichtet sich die Gemeinschaft<br />
„durch umfassenden Zugang zur Bildung und durch ständige<br />
Weiterbildung auf einen möglichst hohen Wissensstand ihrer Völker hinzuwirken.“<br />
49<br />
Mit dem Titel XI „Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung<br />
und Jugend“ 50 ist die Bildungspolitik nun als wichtiger Bestandteil dokumentiert.<br />
Inhaltlich sind die Veränderungen diesbezüglich allerdings gering.<br />
In Kapitel 3 zur „allgemeinen und beruflichen Bildung und Jugend“ 51<br />
befindet sich unter Artikel 149 EG-Vertrag der Artikel 126 zur allgemeinen<br />
Bildung unverändert wieder. Wie bisher beteiligt sich das Europäische<br />
Parlament nach dem modifizierten Verfahren der Mitbest<strong>im</strong>mung<br />
48 Weizsäcker, Richard von, Dehaene, Jean Luc, S<strong>im</strong>on, David, Die institutionellen Auswirkungen<br />
der Erweiterung. Bericht an die Europäische Kommission, Brüssel 1999, S. 3<br />
49 Läufer, Thomas (Hrsg.), Vertrag von Amsterdam, Bonn 1998, S. 55<br />
50 ebd., S. 128<br />
51 ebd., S. 134<br />
24
(Art. 251). An den Zielvorgaben und Förderkompetenzen wie auch den<br />
beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft hat sich nichts<br />
geändert.<br />
Wie schon erwähnt ist das Europäische Parlament gestärkt aus dem<br />
Amsterdamer Vertrag hervorgegangen. Dies schlägt sich in Artikel 150<br />
EG-Vertrag zur beruflichen Bildung nieder. Hier wird nicht mehr das Zusammenarbeitsverfahren<br />
(Art. 252), sondern auch mit Art. 251 EG-Vertrag<br />
das modifizierte Mitbest<strong>im</strong>mungsverfahren nach Anhörung des<br />
Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen<br />
angewandt. Konkretisierung findet jetzt auch das Subsidiaritätsprinzip in<br />
der beruflichen Bildung mit der Zielvorgabe, alle Maßnahmen nur „unter<br />
Ausschluß jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften<br />
der Mitgliedstaaten“ 52 (Art. 15 Abs. 4 EGV) durchzuführen.<br />
Ebenso wird in Artikel 151 EG-Vertrag zur Kultur das Prinzip der<br />
Subsidiarität mit dem neu eingefügten Absatz 4 (neben dem Absatz 1)<br />
nochmals verankert. „Die Gemeinschaft trägt bei ihrer Tätigkeit aufgrund<br />
anderer Best<strong>im</strong>mungen dieses Vertrages den kulturellen Aspekten<br />
Rechnung, insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer<br />
Kulturen.“ 53 Empfehlungen können wie bisher gemäß dem Verfahren des<br />
Artikels 251 EG-Vertrag nur einst<strong>im</strong>mig vom Rat abgegeben werden.<br />
Das Subsidiaritätsprinzip findet sich zwar unverändert in Artikel 5<br />
EG-Vertrag wieder, doch ist zur Durchführung <strong>im</strong> Amsterdamer Vertrag<br />
ein Protokoll beigefügt.<br />
Grundlagen des Protokolls „über die Anwendung der Grundsätze der<br />
Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ 54 sind die Schlussfolgerungen<br />
des Europäischen Rates von Birmingham vom 16. Oktober 1992 und<br />
Edinburgh vom 11./12. Dezember 1992 sowie die interinstitutionelle<br />
Vereinbarung vom 28. Oktober 1993. Das Subsidiaritätsprinzip soll weiterhin<br />
eine Art Richtschnur sein, das die Befugnisse der Gemeinschaft<br />
beschränken, erweitern oder einstellen kann. Nach dem Protokoll ist in<br />
Zukunft jede gemeinschaftliche Rechtsvorschrift zu begründen, wobei<br />
von allen Organen nachzuweisen ist, dass die Grundsätze der Subsidiarität<br />
und der Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden. Für das Handeln der<br />
Gemeinschaft muss eine Notwendigkeit vorliegen und es muss durch<br />
Maßnahmen der Gemeinschaft besser erreicht werden. 55<br />
25<br />
Der Vertrag von Amsterdam<br />
52 ebd., S. 136<br />
53 ebd.<br />
54 vgl. ebd., S. 299 – 303<br />
55 vgl. Piepenschneider, Melanie, Der Vertrag von Amsterdam. Analyse und Bewertung, Sankt
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
In der „Erklärung zum Protokoll über die Anwendung der Grundsätze<br />
der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ 56 findet die Anwendung<br />
und Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten<br />
eine nochmalige Bekräftigung.<br />
In der „Erklärung Deutschlands, Österreichs und Belgiens zur Subsidiarität“<br />
57 wird herausgestellt, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht nur die<br />
Mitgliedstaaten, sondern auch die Gebietskörperschaften mit gesetzgeberischen<br />
Befugnissen betrifft.<br />
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass der Maastrichter Vertrag<br />
aus dem Jahr 1992 die Grundlagen für die allgemeine, aber auch die berufliche<br />
Bildung festlegt. Der Amsterdamer Vertrag hat diese Grundlagen<br />
<strong>im</strong> Bildungswesen weitgehend übernommen und bekräftigt.<br />
1.3 Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz:<br />
„<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
Es soll hier nicht nur der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK)<br />
vom 07. Dezember 1990 zur Thematik „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“, sondern<br />
vielmehr auch die ursprüngliche Fassung vom 08. Juni 1978 herangezogen<br />
werden, um dann gegebenenfalls die Änderungen sichtbar zu machen.<br />
Die ständige Kultusministerkonferenz stellt eine Vereinigung der<br />
heute 16 Kultusministerien dar. Ihr Ziel ist es, das Bildungswesen zu vereinheitlichen,<br />
da, wie schon mehrfach betont, die Bildungshoheit in der<br />
Bundesrepublik Deutschland bei den einzelnen Ländern liegt.<br />
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08. Juni 1978 sollte<br />
ein herausragendes Ereignis darstellen, hatten die damals elf Kultusminister<br />
der einzelnen Länder nach knapp 30-jähriger europäischer Integration<br />
(hierbei wird die Gründung des <strong>Europa</strong>rates als markanter Punkt angesehen)<br />
über das Thema „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“ eine Einigung erzielt.<br />
Weder die Vereinbarung von 1978 noch jene von 1990 dürfen als verbindliche<br />
Norm missverstanden werden, stellen sie doch vielmehr eine<br />
Art „Rahmenrichtlinie“ dar, wobei die Interpretation und die spezifische<br />
Umsetzung bei den einzelnen Kultusministerien liegt.<br />
Augustin 1997<br />
56 Läufer, Thomas (Hrsg.), Vertrag von Amsterdam, 1998, S. 330<br />
57 ebd., S. 334<br />
26
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
Somit ist den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz noch kein Erfolg<br />
beschieden. Dieser wird letztendlich davon abhängen, welchen<br />
Raum das Thema „<strong>Europa</strong>“ in den Lehrplänen, den Schulbüchern und ergänzenden<br />
Materialien einn<strong>im</strong>mt. Für ganz wichtig halte ich auch den jeweiligen<br />
Lehrer, der als letztes Glied in dieser Kette den Inhalt des vorgegebenen<br />
Lehrplans umsetzt. Seine Motivation und Fachkenntnisse sind<br />
wichtige Elemente, damit das Thema „<strong>Europa</strong>“ richtig von der Theorie in<br />
die Praxis übertragen wird.<br />
Die Vereinbarung von 1978 ist in zwei Teile gegliedert:<br />
1. Die politische Ausgangslage<br />
2. <strong>Europa</strong> als pädagogischer Auftrag. 58<br />
Im Folgenden wird die politische Ausgangslage erläutert.<br />
Hatte Charles de Gaulle <strong>Europa</strong> geografisch als das Gebiet „zwischen<br />
dem Atlantik und dem Ural“ definiert, so legt man sich in der Erklärung<br />
nicht fest. Als prägender Zusammenhalt werden neben der Geografie das<br />
gemeinsame historische Erbe und die gemeinsame kulturelle Tradition<br />
gesehen.<br />
Klar abgegrenzt will man aber den Gebrauch des „politischen <strong>Europa</strong>s“<br />
wissen. Die Kultusministerkonferenz beschränkt sich auf den Rahmen<br />
des <strong>Europa</strong>rates (<strong>im</strong> weiteren Sinn) und auf den der Europäischen<br />
Gemeinschaft (<strong>im</strong> engeren Sinn). Zwar wird auf eine friedliche Zusammenarbeit<br />
mit den übrigen europäischen Ländern hingewiesen, wobei die<br />
Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in <strong>Europa</strong><br />
(KSZE) vom 01. August 1975 als Grundlage angesehen wird. De facto<br />
sind mit der Nennung des <strong>Europa</strong>rates und der Europäischen Gemeinschaft<br />
die Staaten Mittel- und Osteuropas <strong>im</strong> Jahr 1978 von dem Gedanken<br />
der europäischen Integration ausgeschlossen.<br />
In der politischen Zielsetzung werden besonders eine dauerhafte europäische<br />
Friedensordnung, der Ausgleich der wirtschaftlichen und sozialen<br />
Verhältnisse, sowie die Stärkung des politischen Gewichts <strong>Europa</strong>s<br />
angesprochen.<br />
Die nach dem Zweiten Weltkrieg neu geschaffenen Strukturen waren<br />
anfangs durch eine Kooperation in vielen Politikbereichen geprägt; die<br />
Kultusministerkonferenz sieht in der Europäischen Gemeinschaft auch<br />
eine Weiterentwicklung hin zur Integration.<br />
58 s. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08. Juni 1978, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht, in: Zentrum<br />
für Europäische Bildung (Hrsg.), Die europäische D<strong>im</strong>ension in Unterricht und Erziehung,<br />
Bonn 1990, S. 93 – 98<br />
27
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
Der beschriebenen politischen Ausgangslage schließt sich die pädagogische<br />
Konsequenz unmittelbar an.<br />
Die Kultusministerkonferenz nennt als Grund für diese Empfehlung<br />
den bisher erreichten „Entwicklungsstand der Integration“ 59 und fordert<br />
die Schulen auf, „den übergreifenden europäischen Bildungsauftrag“ 60<br />
herauszuarbeiten.<br />
Da die schulischen Einrichtungen sich <strong>im</strong>mer an den gesellschaftlichen<br />
Grundwerten eines Staates orientieren, werden als Unterrichts- und<br />
Erziehungsziele u.a. folgende Prämissen gesetzt:<br />
– Bereitschaft zur Verständigung und zum Abbau von Vorurteilen<br />
– Bejahung der europäischen Vielfalt<br />
– Verwirklichung der Menschenrechte<br />
– Bereitschaft zu europäischen Kompromissen<br />
– Wahrung des Friedens in <strong>Europa</strong> und der Welt. 61<br />
Die Zielsetzung bei der Vermittlung des Themas „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
ist hoch angelegt. Dem Schüler soll nicht nur „ein Bewußtsein europäischer<br />
Zusammengehörigkeit“ 62 , sondern auch eine aktive <strong>Europa</strong>kompetenz<br />
vermittelt werden, „europäische Entscheidungen“ 63 und die<br />
„Aufgabe als Bürger in der Europäischen Gemeinschaft wahr[zu]nehmen.“<br />
64<br />
Neben einer sinnvollen fächerübergreifenden Darstellung des Stoffkomplexes<br />
sollen einzelne Sachfächer, wie die Gemeinschaftskunde/Sozialkunde/Politik<br />
65 ihren Beitrag leisten. Der Hinweis auf die entsprechenden<br />
Lerninhalte und -ziele dieser Fächer ist legit<strong>im</strong>, man sollte jedoch<br />
wissen, dass die europäische Einigung selbst in den Jahren nach<br />
1978 noch keineswegs in allen Lehrplänen der deutschen Bundesländer<br />
zu finden ist.<br />
Das bisher skizzierte europäische Bewusstsein soll durch Kenntnisse<br />
und Einsichten fundiert werden. Hierbei sind für die Fächer der Geschichte<br />
und Gemeinschaftskunde insbesondere die europäische Vielfalt,<br />
die Integrationsentwicklung nach 1945, die Bedeutung der Europäischen<br />
Gemeinschaft, die prägenden geschichtlichen Elemente in <strong>Europa</strong>, die<br />
59 ebd., S. 95<br />
60 ebd.<br />
61 s. ebd., S. 97<br />
62 ebd., S. 96<br />
63 ebd.<br />
64 ebd., S. 97<br />
65 s. Bezeichnung je nach dem Schulrecht der Länder<br />
28
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
Strukturen <strong>Europa</strong>s sowie die Stellung <strong>Europa</strong>s zu anderen Staaten der<br />
Welt relevant.<br />
Für die schulpraktische Umsetzung macht die Empfehlung folgende<br />
Vorschläge:<br />
– Lehrer- und Schüleraustausch<br />
– Besuche der europäischen Einrichtungen wie z. B. des Europäischen<br />
Parlaments<br />
– Projekte <strong>im</strong> grenzüberschreitenden Raum<br />
– der Europäische Wettbewerb (seit 1954 in der Bundesrepublik durchgeführt).<br />
Angestrebt wird ein Ausbau der bestehenden schulischen Kontakte nach<br />
Osteuropa.<br />
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07. Dezember 1990<br />
ist als Weiterentwicklung der Vereinbarung von 1978 zu sehen. 66 Auf<br />
Grund dessen werden hier nur die Ergänzungen zu der Vereinbarung von<br />
1978 berücksichtigt. Der Grund für diese Weiterentwicklung seitens der<br />
Kultusministerkonferenz muss zum einen mit dem Umbruch in den mittel-<br />
und osteuropäischen Staaten in Zusammenhang gebracht werden, der<br />
vereinten Charta von Paris für eine neues <strong>Europa</strong> (KSZE), aber auch als<br />
Konsequenz auf die Entschließung des Rates und der <strong>im</strong> Rat vereinten<br />
Minister für das Bildungswesen vom 24. Mai 1988 „zur europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
<strong>im</strong> Bildungswesen.“<br />
Deutlicher und mit neuen politischen Aspekten versehen äußert sich<br />
die Kultusministerkonferenz zur politischen Ausgangslage.<br />
Sie spricht von einem ungebrochenen dynamischen Prozess und bezieht<br />
sich dabei wieder auf den <strong>Europa</strong>rat und die Europäische Union.<br />
Für die Länder Mittel- und Osteuropas sieht der Beschluss noch keine<br />
Integration vor, sondern lediglich eine engere Anbindung an das übrige<br />
<strong>Europa</strong>, wobei dem <strong>Europa</strong>rat eine Brückenfunktion zukommt. In diesem<br />
Bereich ist das Papier wegen dem dynamischen Prozess der politischen<br />
Entwicklung zum Teil überholt. Ganz aktuell erweist es sich aber mit<br />
dem Ziel, eine Europäische Union zu schaffen, sowie in der langfristigen<br />
Perspektive ein gemeinsames Haus <strong>Europa</strong> zu errichten. Die Kulturhoheit<br />
der Länder und das Subsidiaritätsprinzip findet sich in dem Plädoyer<br />
eines föderativen <strong>Europa</strong>s mit der „Einhaltung der kulturellen Eigenar-<br />
66 s. Beschluss der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik<br />
Deutschland „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“ vom 08. Juni 1978 in der Fassung vom 7. Dezember<br />
1990, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Politische Bildung für <strong>Europa</strong>, Bonn<br />
1991, S. 351 – 356<br />
29
Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz: „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“<br />
ten, der gesellschaftlichen Vielfalt“ 67 und der Errichtung eines „Euro -<br />
pa[s] der Regionen“ 68 wieder.<br />
Klarer und weitergehender als die Vereinbarung von 1978 wird das<br />
„europäische Bewußtsein als pädagogischer Auftrag der Schule“ 69 mit<br />
der Zielsetzung „in den jungen Menschen das Bewußtsein einer europäischen<br />
Identität zu wecken“ 70 verbunden. Den Grundwerten, an denen<br />
sich die Unterrichts- und Erziehungsziele der Schule orientieren sollen,<br />
wird entsprechend der Kulturhoheit der Länder die Förderung einer „kulturübergreifende[n]<br />
Aufgeschlossenheit, die die eigene kulturelle Identität<br />
wahrt“ 71 hinzugefügt.<br />
Detaillierte Inhalte hat die Empfehlung von 1990 <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />
pädagogische Umsetzung <strong>im</strong> Unterricht vorzuweisen. Die Empfehlung<br />
verweist dabei auf die Lehrpläne, die dazu „in differenzierter Weise konkrete<br />
Ziele und Themen sowie Hinweise auf geeignete Stoffe und zweckmäßige<br />
Arbeitsformen“ 72 einen Beitrag leisten sollen. Werden die Ziele<br />
und Themen in den baden-württembergischen Lehrplänen angegeben, so<br />
fehlen aber die von der KMK geforderten gezielten Hinweise zur Stoffauswahl<br />
wie den passenden Arbeitsformen. Ebenso soll nach der<br />
KMK-Empfehlung eine Auseinandersetzung mit europäischen Fragen<br />
„verpflichtender Bestandteil der Fächer Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde/Politik<br />
sowie der Fächer mit wirtschafts- und rechtskundlichen Inhalten“<br />
73 werden. Dieser Anforderung, die auf dem Ratsbeschluss von<br />
1988 basiert, kam Baden-Württemberg 1994 (!) mit der Lehrplanfortschreibung<br />
nach, andere Bundesländer folgten. Somit beinhaltet auch<br />
diese Empfehlung keine konkreten Hinweise zur Umsetzung für die<br />
Hand des Lehrers.<br />
Aufschlussreich sind die Inhalte, die den Fächern zugeschrieben werden.<br />
„Dabei geht es [...] in Geschichte um die Herkunft der europäischen<br />
Völker und Staaten und die Ursprünge der ihren Weg best<strong>im</strong>menden politisch-sozialen,<br />
weltanschaulichen und religiösen Bewegungen, Machtkämpfe,<br />
Ideen und Kulturschöpfungen; in Sozialkunde/Politik um die bestehenden<br />
und sich verändernden politischen, gesellschaftlichen und<br />
67 ebd., S. 352<br />
68 ebd.<br />
69 ebd., S. 353<br />
70 ebd., S. 354<br />
71 ebd., S. 353<br />
72 ebd., S. 359<br />
73 ebd., S. 354<br />
30
wirtschaftlichen Abläufe und Ordnungssysteme, ihre Werte, Normen und<br />
Realitäten.“ 74<br />
Die KMK-Empfehlung betont wohl mehrfach den Gedanken des europäischen<br />
Bewusstseins und weist abschließend auf wichtige Felder hin,<br />
die noch einer Weiterentwicklung bedürfen. Auszugsweise seien einige<br />
genannt:<br />
– Verbesserung der Motivation von Lehrern und Schülern durch europäische<br />
Pr<strong>im</strong>ärerfahrung<br />
– Verbesserung der Basisinformationen über die europäische Integration<br />
– Berücksichtigung der europäischen Thematik bei der Fortschreibung<br />
der Lehrpläne<br />
– Förderung fremdsprachlicher Kompetenz<br />
– Berücksichtigung der europäischen D<strong>im</strong>ension in der Lehreraus-,<br />
Fort- und Weiterbildung<br />
– Errichtung der „europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Unterricht“ als ein Prüfkriterium<br />
bei der Zulassung von Schulbücher! 75<br />
In diesem Bereich ist sicherlich weiterhin Nachholbedarf. Nicht vertretbar<br />
ist die Tatsache, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der europäischen<br />
Integration in beiden Vereinbarungen nicht gefordert wird und<br />
somit leicht der Eindruck eines harmonisierenden <strong>Europa</strong>verständnisses<br />
vermittelt wird. Die weiterzuentwickelnden Empfehlungen erscheinen<br />
mir deshalb so wichtig, weil sich ein „europäisches Bewußtein“ oder gar<br />
eine „europäische Identität“ nicht nur aus kognitivem Wissen, sondern<br />
auch aus zu fördernden Pr<strong>im</strong>ärerfahrungen gewinnen lassen.<br />
1.4 Der Bildungsplan in<br />
Baden-Württemberg<br />
Die Bildungspläne stellen für den Lehrkörper einer jeden Schulart die<br />
Grundlage für den Unterricht dar. Die verbindlichen Inhalte und Lernziele,<br />
aber auch inhaltliche wie didaktisch-methodische Hinweise, befinden<br />
sich in den Bildungsplänen. Von ihrer Struktur und ihren Inhalten bieten<br />
sie für den Leser manchen Anlass zur Kritik. Doch weist Horst Kuss zu<br />
Recht darauf hin, dass man den Lehrplänen nicht gerecht wird, wenn man<br />
74 ebd.<br />
75 s. ebd., S. 356<br />
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
31
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
sie nur von einem einseitigen Standpunkt her beurteilt, wie z. B. ein Urteil<br />
nur aufgrund der Inhalte, didaktischen Voraussetzungen oder der vorhandenen<br />
Freiräume fällt. 76 An dieser Stelle soll keine einseitige Beurteilung<br />
der Bildungspläne erfolgen, sondern vielmehr die Frage, welche Lehrplanbezüge<br />
zur europäischen Einigung in den Bildungsplänen der Sekundarstufe<br />
I in Baden-Württemberg vorzufinden sind, erörtert werden. Dabei<br />
sollen vor allem die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde untersucht<br />
werden.<br />
Da Bildungspläne auch <strong>im</strong>mer neben dem Grundgesetz auf den entsprechenden<br />
Landesverfassungen und Schulgesetzen aufbauen, ist der<br />
Vorspruch der Verfassung des Landes Baden-Württemberg <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die europäische Integration hervorzuheben. Das Land Baden-Württemberg<br />
verpflichtet sich als „demokratische[s] Land [...] in einem vereinten<br />
<strong>Europa</strong>, dessen Aufbau föderativen Prinzipien und dem Grundgesetz<br />
der Subsidiarität entspricht, zu gestalten und an der Schaffung eines<br />
<strong>Europa</strong>s der Regionen sowie der Förderung der grenzüberschreitenden<br />
Zusammenarbeit aktiv mitzuwirken.“ 77 Damit sind zwar erneut das Prinzip<br />
der Subsidiarität und zugleich auch die Kulturhoheit hervorgehoben,<br />
aber auch ein Bekenntnis zur Vereinigung eines föderativen <strong>Europa</strong>s.<br />
Das „Grünbuch zur Europäischen D<strong>im</strong>ension des Bildungswesens“ 78<br />
aus dem Jahr 1993 stellt fest, dass der Ratsbeschluss von 1988 von den<br />
meisten Mitgliedstaaten in der Lehrerausbildung und in den Lehrplänen<br />
entsprechend umgesetzt wurde. Das Land Baden-Württemberg hat in seinem<br />
alten Bildungsplan von 1984 schon Themen zur europäischen Einigung<br />
aufgenommen. Beispielsweise findet die „Europäische Gemeinschaft“<br />
in der Klasse 9 <strong>im</strong> Fach Gemeinschaftskunde der Hauptschule als<br />
verbindliche Lehrplaneinheit Behandlung. 79 Andere Fächer bleiben aber<br />
weitgehend unberücksichtigt. Dies ändert sich mit der Lehrplanfortschreibung<br />
vom 19. Januar 1994 (ab 1. August 1994 in Kraft). So lassen<br />
sich jetzt in allen Lehrplänen der Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien<br />
nicht nur Inhalte mit europäischer D<strong>im</strong>ension finden, es zieht sich<br />
76 s. Kuss, Horst, Geschichtsunterricht und Lehrplan, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht<br />
(GWU), Jahrgang 48, Heft 9, Sept. 1997, S. 523 – 549<br />
77 Vorspruch der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 15.02.1995, in: Landtag,<br />
Landesregierung, Landeszentrale für poltische Bildung (Hrsg.), Grundgesetz Bundesrepublik<br />
Deutschland, Landesverfassung Baden-Württemberg, Stuttgart 1996, S. 103<br />
78 s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zur Europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
des Bildungswesens, 1993<br />
79 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
Villingen-Schwenningen 1984, S. 221<br />
32
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
die Thematik wie ein roter Faden durch die Lehrpläne. Damit setzt das<br />
Land Baden-Württemberg den Ratsbeschluss von 1988 und den Beschluss<br />
der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1990 mit seinem revidierten<br />
Bildungsplan von 1994 um.<br />
Einführend finden in der Klasse 3 Partnerschaften und das Zusammenleben<br />
mit Menschen aus anderen Ländern unter dem Arbeitsbereich<br />
1 „He<strong>im</strong>at und Fremde“ 80 Eingang in den Unterricht. Darauf aufbauend<br />
bietet sich das fächerverbindende Thema „Menschen aus anderen Ländern<br />
leben bei uns“ 81 in der Klasse 4 an.<br />
Wie keine andere Schulart spiegelt die Hauptschule die kulturelle<br />
Vielfalt in Baden-Württemberg wieder. <strong>Europa</strong> ist hier <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer<br />
erfahrbar, was der Bildungsplan berücksichtigt.<br />
In der Hauptschule lässt sich die Thematik entweder fächerverbindend<br />
(Thema 2: „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einheit“ 82 mit den Fächern<br />
Deutsch, Erdkunde, Geschichte/Gemeinschaftskunde und Musik) oder<br />
fachspezifisch in den Fächern Erdkunde (LPE 1: „Die Europäische<br />
Union“ 83 ), Geschichte (LPE 6: „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“ 84 )<br />
und Gemeinschaftskunde (LPE 2: „Die Europäische Union“ 85 )inder<br />
Klasse 9 behandeln.<br />
Den Fächern Geschichte und Gemeinschaftskunde stehen hierfür elf<br />
Unterrichtsstunden zur Verfügung, zählt man Erdkunde hinzu, so erweitert<br />
sich die Zahl der Unterrichtsstunden auf 19.<br />
Natürlich können auch andere Fächer wie z. B. Deutsch, Englisch, Musik<br />
oder die Bildende Kunst den europäischen Gedanken berücksichtigen.<br />
Die 10. Klasse der Werkrealschule greift mit acht Unterrichtsstunden<br />
nochmals <strong>im</strong> Fach Geschichte den wirtschaftlichen und politischen Einigungsprozess<br />
der Europäischen Union auf (LPE 2: „<strong>Europa</strong> als neue Völkergemeinschaft“<br />
86 ). Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />
in <strong>Europa</strong> findet sich ebenfalls <strong>im</strong> Fach Geschichte wieder (LPE 3: „Friedensgefährdung<br />
– Friedenssicherung“ 87 ). Aktuelle Fragen zu den „politi-<br />
80 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Grundschule,<br />
Villingen-Schwenningen 1994, S. 138<br />
81 ebd., S. 173<br />
82 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
Villingen-Schwenningen 1994, S. 266<br />
83 ebd., S. 283<br />
84 ebd., S. 286<br />
85 ebd., S. 287 – 288<br />
86 ebd., S. 347<br />
87 ebd.<br />
33
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
schen Entwicklungen der 90er Jahre seit dem Zerfall des Ostblocks“ 88 behält<br />
sich die Gemeinschaftskunde vor (LPE 3: „Zentren und Felder internationaler<br />
Politik“ 89 ).<br />
Betrachtet man den gesamten Bildungsplan, so lässt sich feststellen,<br />
dass dem Schüler ausgehend von der He<strong>im</strong>atregion die Vorstellung von<br />
der ‚Einheit in der Vielfalt‘ vermittelt werden soll.<br />
Durchläuft ein Hauptschüler auch den Zweig der Werkrealschule so<br />
kann er bei opt<strong>im</strong>aler Beachtung des Bildungsplanes ca. 30 Unterrichtsstunden<br />
mit der europäischen D<strong>im</strong>ension konfrontiert werden. Dabei sei<br />
die Anmerkung gestattet, dass die Richtstundenzahl in den Bildungsplänen<br />
<strong>im</strong>mer noch Spielraum für Erkundungen, Wiederholungen und Klassenarbeiten<br />
zulässt.<br />
In der Realschule befinden sich schon in Klasse 9 erste Ansätze zu<br />
Themen der europäischen Einigung. Ein Hinweis zur KSZE und WEU ist<br />
in der Gemeinschaftskunde unter der Lehrplaneinheit 3 „Friedens- und<br />
Zukunftssicherung“ 90 vorzufinden. Unter der gleichen Einheit ist noch<br />
ein Hinweis bezüglich von „EU Entwicklungsprojekte[n]“ 91 zum freiwilligen<br />
Wahlthema „Formen und Träger der Entwicklungszusammenarbeit“<br />
92 festzustellen.<br />
Einen weiteren Hinweis zu den „Wahlen des <strong>Europa</strong>parlament[s]“ 93<br />
und dem „<strong>Europa</strong>artikel“ (Art. 23 GG) 94 lässt sich in der Lehrplaneinheit<br />
4 („Grundlagen der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik<br />
Deutschland und Baden-Württemberg“ 95 ) in der gleichen Klassenstufe<br />
der Gemeinschaftskunde ausmachen.<br />
Es muss jedoch erwähnt werden, dass all die Hinweise für den jeweiligen<br />
Lehrer keinen verbindlichen Charakter haben und eher als additive<br />
Hilfestellung zu betrachten sind. Streng genommen kommt somit die<br />
Thematik der europäischen Integration erst in der 10. Klasse der Realschule<br />
vor.<br />
Ebenso wie in der Hauptschule kann auch hier zwischen einem fächerverbindenden<br />
Ansatz oder der fachspezifischen Behandlung durch<br />
88 ebd., S. 349<br />
89 ebd.<br />
90 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
Villingen – Schwenningen 1994, S. 302 – 303<br />
91 ebd., S. 303<br />
92 ebd.<br />
93 ebd.<br />
94 ebd.<br />
95 ebd.<br />
34
die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde gewählt werden.<br />
Die fächerverbindende Einheit „<strong>Europa</strong> – Chance und Verantwortung“<br />
96 bezieht die Fächer Geschichte, Gemeinschaftskunde, Englisch,<br />
Französisch und Musik mit ein. Deutsch ist <strong>im</strong>mer als methodisches Bindeglied<br />
zu verstehen.<br />
Fachspezifisch steigt die Erdkunde mit dem wie schon erwähnt unverbindlichen<br />
Hinweis zu „Agrarpreis[en] und dem EU-Binnenmarkt“ 97<br />
(LPE 2: „Grenzen des Wachstums: Ernährung“ 98 ) ein.<br />
Als eigenständiges Thema greift die Geschichte mit der Unterrichtseinheit<br />
2 „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“ 99 und zehn vorgesehenen<br />
Unterrichtsstunden den historischen Kontext auf. Allerdings ist in der<br />
Einheit auch der Wandel in den Ostblockländern, ohne den integrativen<br />
Aspekt aufzugreifen, vorhanden. Es liegt wohl in der Entscheidung des<br />
Lehrers, eine einzelstaatliche historische Darstellung mittel- und osteuropäischer<br />
Länder mit dem Gedanken der Osterweiterung der Europäischen<br />
Union oder dem gemeinsamen europäischen Haus zu verknüpfen.<br />
Der Bildungsplan weist demonstrativ auf eine enge Abst<strong>im</strong>mung in<br />
der unterrichtlichen Umsetzung mit der Gemeinschaftskunde hin.<br />
„Das Zusammenwachsen <strong>Europa</strong>s“ 100 (LPE 2) stellt mit zehn weiteren<br />
Unterrichtsstunden den „Stand der europäischen Einigung“ 101 dar. Damit<br />
werden <strong>im</strong> Lehrplan der Realschule historische Gegebenheiten mit den<br />
aktuellen Entwicklungen verbunden. Dem Thema der europäischen Einigung<br />
stehen bei der fachspezifischen Bearbeitung max<strong>im</strong>al 20 Unterrichtsstunden<br />
zur Verfügung.<br />
Nicht zu vernachlässigen sind auch die landeskundlichen Aspekte der<br />
Fächer Englisch und Französisch. „Großbritannien und seine Stellung innerhalb<br />
<strong>Europa</strong>s“ 102 oder aber „Das Verhältnis Deutschland – Frankreich<br />
früher und heute“ 103 und „Frankreich, ein Land in <strong>Europa</strong>“ 104 können<br />
auch zur Entwicklung des europäischen Bewusstseins beitragen.<br />
Im Gymnasium hat sich die Lehrplanfortschreibung von 1994 dahingehend<br />
ausgewirkt, dass die Thematik der europäischen Integration in<br />
96 ebd., S. 354 – 355<br />
97 ebd., S. 374<br />
98 ebd.<br />
99 ebd., S. 376 – 377<br />
100 ebd., S. 380<br />
101 ebd.<br />
102 ebd., S. 383<br />
103 ebd., S. 386<br />
104 ebd.<br />
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
35
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
der Gemeinschaftskunde von der 10. auf die 11. Klasse verschoben wurde.<br />
Zwar ist bei einem Besuch des Gymnasiums davon auszugehen, dass<br />
die Schüler die gesamte Schulzeit bis zum Abitur durchlaufen, doch gibt<br />
es in der Praxis häufig Schulabgänger nach der 10. Klasse. Diese Schüler<br />
würden somit während ihrer gesamten Schulzeit nicht mit dem Thema<br />
der europäischen Integration explizit konfrontiert werden, obwohl die<br />
Auswirkungen der europäischen Einigung das Leben der Schüler zunehmend<br />
beeinflussen.<br />
In Klasse 10 sind <strong>im</strong> Fach Geschichte und Gemeinschaftskunde unverbindliche<br />
Hinweise vorhanden. So findet sich in der Lehrplaneinheit 5<br />
„Wege <strong>im</strong> geteilten Deutschland und die Herstellung der Einheit“ 105 in<br />
Geschichte der Hinweis zur deutsch-französischen Aussöhnung. Ebenso<br />
ist ein wichtiger Hinweis zum „Ausbau der europäischen Integration“ 106<br />
vorzufinden, allerdings nur zu einem nicht verpflichtenden Wahlthema<br />
(„Die Herausforderungen der achtziger und neunziger Jahre“ 107 ). Hier<br />
wie in der folgenden Wahleinheit („Internationale Probleme in ihrer historischen<br />
D<strong>im</strong>ension“ 108 ) kann der Gedanke eines „Europäischen Hauses“<br />
behandelt werden.<br />
Auch Anastasia Kesidou kommt in ihrer ausführlichen Lehrplananalyse<br />
be<strong>im</strong> Gymnasium, wobei sie grundsätzlich die Sekundarstufe I und<br />
II beachtet, <strong>im</strong> Fach Geschichte zu dem Ergebnis, dass „der europäische<br />
Einigungsprozeß [...] in der Sekundarstufe I nur marginal“ 109 vorkommt<br />
und findet daher die europäische D<strong>im</strong>ension nicht ausreichend berücksichtigt.<br />
„Von einem Geschichtslehrplan erwartet man heute jedenfalls,<br />
daß er stärkere Europäisierungstendenzen aufweist.“ 110<br />
In Gemeinschaftskunde greift die Lehrplaneinheit 4 „Wirtschaft und<br />
Arbeitswelt“ 111 den Hinweis „Veränderungen durch den Europäischen<br />
Binnenmarkt“ 112 bei dem Wahlthema „Mitbest<strong>im</strong>mung der Arbeitnehmer“<br />
113 auf. Es bleibt zu untersuchen, ob sich diese unverbindlichen Hin-<br />
105 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
Villingen – Schwenningen 1994, S. 432<br />
106 ebd.<br />
107 ebd.<br />
108 ebd., S. 433<br />
109 Kesidou, Anastasia, Die europäische D<strong>im</strong>ension der griechischen und baden-württembergischen<br />
Lehrpläne und Schulbücher der Sekundarschule, Frankfurt/Main 1999, S. 237<br />
110 ebd., S. 242<br />
111 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
1994, S. 436<br />
112 ebd., S. 437<br />
113 ebd.<br />
36
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
weise in der Sekundarstufe I inhaltlich in den Schulbüchern niederschlagen.<br />
Auch <strong>im</strong> Gymnasium können andere Fächer wie z. B. Deutsch, Musik<br />
oder die Fremdsprachen (hier: Landeskunde) europäische Themen berücksichtigen.<br />
In der Sekundarstufe II (Oberstufe) ist hingegen der Gedanke der europäischen<br />
Einigung vielfältig präsent. Ausgehend vom fächerverbindenden<br />
Thema 1 („<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Wandel“ 114 ), wird in der Klasse 11 „Die europäische<br />
Einigung und die Bundesrepublik Deutschland“ 115 (LPE 4) mit<br />
elf Unterrichtsstunden in Gemeinschaftskunde veranschlagt. Ergänzend<br />
sei angemerkt, dass in den beiden Abschlussklassen je nach der Wahl eines<br />
Grund- oder Leistungskurses die europäische Einigung in Teilbereichen<br />
in der Geschichte und Gemeinschaftskunde behandelt werden kann.<br />
Lediglich <strong>im</strong> Leistungskurs der Gemeinschaftskunde (LPE 4, LK 13)<br />
ist der „Europäische Einigungsprozeß und politische[ ]Strukturwandel in<br />
der Bundesrepublik Deutschland“ 116 als eigenständiges Thema aufgeführt.<br />
Insgesamt beurteilt Anastasia Kesidou die Lehrplansituation in Baden-Württemberg<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf die europäische D<strong>im</strong>ension in den Fächern<br />
Geschichte, Gemeinschaftskunde und Geografie der Sekundarstufen<br />
I und II des Gymnasiums als erfreulich, wenngleich sie nicht allen<br />
Fächern (z.B. Geografie, Geschichte) eine angemessene Behandlung zuspricht.<br />
117<br />
Ein Blick über den hier festgelegten Untersuchungsrahmen zeigt, dass<br />
dem Land Baden-Württemberg der Aspekt der europäischen Einigung in<br />
der Vermittlung wichtig ist.<br />
So ist selbst <strong>im</strong> Bildungsplan für die Schule für Lernbehinderte in der<br />
Oberstufe (Klasse7–9)indenSachfächern Geschichte/Gemeinschaftskunde/Wirtschaftslehre<br />
ein breitgefächerter Bezug zur gestellten Thematik<br />
vorhanden. 118 Einführend erweist sich hier das Thema „Fremde Länder<br />
und Kulturen“ 119 mit folgenden Aspekten:<br />
– „Wir begegnen Menschen und Dingen aus aller Welt<br />
– Andere Länder – andere Lebensbedingungen<br />
114 ebd., S. 508 – 509<br />
115 ebd., S. 538 – 539<br />
116 ebd., S. 668<br />
117 s. Kesidou, Anastasia, Die europäische D<strong>im</strong>ension, 1999, S. 257 – 258<br />
118 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Schule<br />
für Lernbehinderte (Band 1), Villingen-Schwenningen 1990<br />
119 ebd., S. 181<br />
37
Der Bildungsplan in Baden-Württemberg<br />
– Aktuelle Ereignisse lenken den Blick auf andere Länder“ 120<br />
Die Themengruppe „Kultur und Gesellschaft“ 121 greift die europäische<br />
Einigung mit den Themen „Deutschland gestern und heute“ 122 und<br />
„Deutschland und seine Nachbarn“ 123 auf. Neben dem Hinweis zur KSZE<br />
werden Inhalte wie „Wir lernen <strong>Europa</strong> kennen“ 124 oder „<strong>Europa</strong> rückt<br />
zusammen“ 125 fächerverbindend (Deutsch, Erdkunde, Geschichte/Gemeinschaftskunde/Wirtschaftslehre,<br />
Mathematik, Musik, Bildende<br />
Kunst) umgesetzt.<br />
Zu dem handlungs- und schülerorientierten Ansatz wird auch die Europäische<br />
Gemeinschaft in ihren „Ursachen, Entwicklung[en][und] Zie -<br />
le[n]“ 126 aufgegriffen. Hinweise zu den „Europäischen Institutionen und<br />
ihren Aufgaben“ 127 runden die offene Lehrplangestaltung ab. Sicherlich<br />
kann der Bildungsplan für die Schule für Lernbehinderte nicht mit dem<br />
dreigliedrigen System der Sekundarstufe I in Baden-Württemberg verglichen<br />
werden; er gilt vielmehr als anzustrebende Rahmenrichtlinie mit besonderem<br />
Blick auf die Schüler. Eine mögliche Schulfremdenprüfung<br />
zur Erlangung des qualifizierten Hauptschulabschlusses beinhaltet jedoch<br />
auch die Fächer Gemeinschaftskunde und Wirtschaftslehre in<br />
schriftlicher und mündlicher Form.<br />
Die Ausführungen bestätigen die eingangs gemachte Feststellung,<br />
dass die europäische Einigung wie ein roter Faden zumindest die Bildungspläne<br />
der Haupt- und Realschule der Sekundarstufe I durchzieht,<br />
während dies in der Sekundarstufe I <strong>im</strong> Gymnasium unterbleibt. Dabei<br />
soll die Schule „klarmachen, daß die nationalen Besonderheiten nicht<br />
eingeebnet, sondern in den alten Rahmen des europäischen Erbes und in<br />
den neuen Rahmen des zukünftigen <strong>Europa</strong>s gestellt werden.“ 128<br />
Da diese Arbeit die Umsetzung der bildungspolitischen Vorgaben in<br />
den Schulbüchern als Zielvorgabe anstrebt, sind <strong>im</strong> Folgenden die rechtlichen<br />
Grundlagen für die <strong>Schulbuch</strong>zulassung und deren Umsetzung in<br />
Baden-Württemberg zu analysieren.<br />
120 ebd.<br />
121 ebd., S. 181 ff.<br />
122 ebd., S. 228 – 230<br />
123 ebd., S. 230 – 232<br />
124 ebd., S. 231<br />
125 ebd., S. 232<br />
126 ebd.<br />
127 ebd.<br />
128 Schmitz-Rixen, Jutta, Aufgaben und Probleme bei der Vermittlung von <strong>Europa</strong>, Köln 1996, S.<br />
18<br />
38
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
2 <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
2.1 Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in<br />
Baden-Württemberg<br />
Das <strong>Schulbuch</strong> hat als Medium <strong>im</strong> Unterricht sicherlich <strong>im</strong>mer noch eine<br />
zentrale Rolle inne, auch wenn neuere Medien verstärkt zum Einsatz<br />
kommen. Die Wichtigkeit dokumentiert sich nicht nur in der Tatsache,<br />
dass es das älteste <strong>im</strong> Schulbereich verwendete Medium ist.<br />
Jörg Becker sieht das <strong>Schulbuch</strong> als ‚den‘ medialen Träger, da zum einen<br />
die Autoritätsgläubigkeit gegenüber dem <strong>Schulbuch</strong> ungebrochen<br />
scheint, zum anderen das <strong>Schulbuch</strong> für den Lehrer zeitlich gesehen einen<br />
flexiblen Einsatz zulässt. 129 Ein möglicher frontal- oder lehrerzentrierter<br />
Unterricht fördert zudem den Gebrauch des <strong>Schulbuch</strong>s.<br />
Als Ausfluss der staatlichen Aufsicht über das Schulwesen kommt<br />
dem <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren eine bedeutende Rolle zu. Die<br />
<strong>Schulbuch</strong>auswahl ist <strong>im</strong> Grunde nichts Neues. Sie bestand schon <strong>im</strong>mer,<br />
sei es von der kirchlichen oder staatlichen Seite.<br />
Mit den Gründungen der deutschen Bundesländer nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg (40er/50er Jahre) wurde das Zulassungsverfahren ausgebaut<br />
und in den 70er Jahren detaillierter gestaltet. Die <strong>Schulbuch</strong>auswahl<br />
durch mögliche Einführungsverfahren seitens der Lehrerkonferenzen<br />
soll hier außer Betracht bleiben. Im Folgenden steht das Zulassungs- bzw.<br />
Genehmigungsverfahren durch die oberste Schulaufsichtsbehörde <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt.<br />
So erhebt sich vorab die Frage, nach welchen gesetzlichen Grundlagen<br />
das Land Baden-Württemberg bei dem Zulassungsverfahren tätig<br />
werden darf.<br />
Artikel 7 Abs. 1 des Grundgesetzes regelt das Aufsichtsrecht des Staates<br />
über das gesamte Schulwesen: „Das gesamte Schulwesen steht unter<br />
Aufsicht des Staates.“ 130 Das Bundesverwaltungsgericht definiert die<br />
129 s. Becker, Jörg, <strong>Schulbuch</strong> und politisches System in der Bundesrepublik, in: Schallenberger,<br />
Horst/Stein, Gerd (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen<br />
Forderungen (= Zur Sache <strong>Schulbuch</strong>; Bd. 7), Kastellaun 1978, S. 13 – 45<br />
130 Art. 7 Abs. 1 GG, in: Verband Bildung und Erziehung (Hrsg.), Lehrerinnen- und Lehrer Handbuch.<br />
Ratgeber für den Schulalltag, Villingen-Schwenningen 1996, o. S.<br />
39
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
staatliche Schulaufsicht als „Inbegriff der staatlichen Herrschaftsrechte<br />
über die Schule, nämlich der Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur<br />
Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens.“<br />
131 Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg hebt mit Artikel<br />
11 den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag hervor.<br />
Da, wie schon erwähnt, die Kulturhoheit seitens der Bundesländer besteht,<br />
regelt das Schulgesetz für Baden-Württemberg die weiteren Belange.<br />
Das Schulgesetz (SchG) in der Fassung vom 01. August 1983 enthält<br />
in § 32 die Grundsätze des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes über<br />
die staatliche Schulaufsicht.<br />
„(1) Die staatliche Schulaufsicht umfasst<br />
1. die Planung und Leitung, Ordnung und Förderung des gesamten<br />
Schulwesens,<br />
2. das Best<strong>im</strong>mungsrecht über die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der<br />
öffentlichen Schulen und alle damit zusammenhängenden Angelegenheiten,<br />
3. die Fachaufsicht über die Schulen, nämlich a) die Aufsicht über die<br />
schulfachlichen Angelegenheiten“. 132<br />
Das Kultusministerium ist nach § 35 (2) SchG für die <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
zuständig, da die „oberste Schulaufsichtsbehörde [...] für alle Angelegenheiten<br />
der Schulaufsicht zuständig“ 133 ist. Detaillierter regelt § 35<br />
SchG die Zulassung von Lehr- und Lernmitteln.<br />
Hiernach kann das Ministerium „die Verwendung von Lehr- und<br />
Lernmitteln, insbesondere die Verwendung der Schulbücher, durch<br />
Rechtsverordnung von seiner Zulassung abhängig machen, wenn und soweit<br />
dies zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags [...] erforderlich<br />
ist.“ 134<br />
Davon hat das Land Baden-Württemberg mit seiner ersten Richtlinie<br />
für die Zulassung von Schulbüchern <strong>im</strong> Jahr 1975 135 und der derzeit gel-<br />
131 Bundesverwaltungsgericht vom 13.03.1973, in: Stein, Gerd, Zur Legit<strong>im</strong>ationsproblematik<br />
von <strong>Schulbuch</strong>-Prüfungen, in: Stein, Gerd (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik als Schulkritik – Hinweise<br />
und Beiträge aus politikwissenschaftlicher Sicht, Saarbrücken 1976, S. 94<br />
132 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung vom 1. August 1983 (GBI. S. 397;<br />
K. u. U., S. 584), in: Verband Bildung und Erziehung (Hrsg.), Lehrerinnen- und Lehrer Handbuch,<br />
1996, o. S.<br />
133 ebd.<br />
134 ebd.<br />
135 s. Richtlinien für die Zulassung von Schulbüchern vom 27. Mai 1975, in: Ministerium für Kultus<br />
und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), in: Kultus und Unterricht, Villingen-Schwenningen<br />
1975, S. 803<br />
40
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
tenden <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung vom 17. April 1996 136 Gebrauch<br />
gemacht.<br />
Hierin heißt es: „Schulbücher [...] dürfen an öffentlichen Schulen nur<br />
verwendet werden, wenn sie zum Gebrauch zugelassen wurden.“ 137 (§ 1<br />
Zulassungspflicht)<br />
Das Land Baden-Württemberg handelt bei der gegenwärtigen Prüfungs-<br />
und Zulassungspraxis nicht <strong>im</strong> Alleingang unter den deutschen<br />
Bundesländern, sondern diese geht auf einen Beschluss der Ständigen<br />
Konferenz der Kultusminister vom 19. Januar 1951 zurück: „Die Einführung<br />
eines Lehrbuches in Schulen ist durch das zuständige Kultusministerium<br />
zu genehmigen. Die Genehmigung zur Einführung eines Lehrbuches<br />
in den Schulen soll jedoch unter Berücksichtigung von methodischen<br />
und pädagogischen Voraussetzungen erfolgen, wobei auch die<br />
staatlich-politischen und ethischen Gesichtspunkte gewürdigt werden<br />
sollen.“ 138<br />
Auch 1972 vertritt die Kultusministerkonferenz den unveränderten<br />
Standpunkt: „An den Schulen dürfen nur Schulbücher verwendet werden,<br />
die vom zuständigen Kultusministerium für den Gebrauch genehmigt<br />
sind.“ 139<br />
Ein <strong>Schulbuch</strong> wird nur dann genehmigt, „wenn der Inhalt nicht gegen<br />
allgemeine Verfassungsgrundsätze oder Rechtsvorschriften verstößt.“ 140<br />
Daran hat sich bis heute nichts geändert.<br />
Die Zulassungsvoraussetzungen für Baden-Württemberg werden sowohl<br />
<strong>im</strong> § 35 a (2) SchG als auch in der <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung<br />
(§ 4) vom 17. April 1996 genannt:<br />
1. Das <strong>Schulbuch</strong> muss mit den durch das Grundgesetz (GG), die Landesverfassung<br />
(LV) und dem Schulgesetz (SchG) vorgegebenen Erziehungszielen<br />
übereinst<strong>im</strong>men.<br />
2. Die Ziele und Inhalte des <strong>Schulbuch</strong>s müssen dem jeweils geltenden<br />
Lehrplan entsprechen.<br />
136 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Kultus und Unterricht<br />
(K.u.U.) vom 2. Mai 1996, Villingen-Schwenningen, S. 110 – 112<br />
137 ebd. S. 110<br />
138 Beschluss der KMK vom 19.01.1951, in: Stein, Gerd (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik als Schulkritik,<br />
1976, S. 85<br />
139 Beschluss der KMK vom 29. Juni 1972, in: Müller, Walter, <strong>Schulbuch</strong>zulassung. Zur Geschichte<br />
und Problematik staatlicher Bevormundung von Unterricht und Erziehung, Kastellaun<br />
1977, S. 205 – 206<br />
140 ebd. S. 207<br />
41
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
3. Die didaktische Aufbereitung soll in der sprachlichen Form und in der<br />
äußerlichen Gestaltung altersgemäß sein.<br />
4. Das Druckbild, die graphische Gestaltung und Ausstattung soll mit<br />
der jeweiligen didaktischen Zielsetzung harmonieren.<br />
5. Das <strong>Schulbuch</strong> soll sich an den neuesten Erkenntnissen der Fachwissenschaft<br />
orientieren. 141<br />
Walter Müller sieht in den allgemeingültigen Kriterien für die <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
wie der Vereinbarkeit mit der Verfassung, dem Lehrplan<br />
und dem pädagogischen wie fachlichen Standard auch einen Schutz vor<br />
einseitigen weltanschaulichen und politischen Einflüssen. Hinzu kommt<br />
noch eine gewisse erzieherische und unterrichtliche Einheitlichkeit. 142<br />
Joach<strong>im</strong> Rohlfes fordert keine zu enge Anlehnung an die Lehrpläne/Richtlinien<br />
und die Verfassung, vor allem bei Sozialkundebüchern;<br />
hebt aber umso mehr mit den pädagogischen Standards den aktuellen<br />
Forschungsstand der Geschichte hervor. Dabei sollen die Schüler an Probleme<br />
herangeführt und zu forschendem Lernen an<strong>im</strong>iert werden. Eine<br />
kritische und multiperspektivische Darstellung soll der Gefahr vorbeugen,<br />
ständig fertige Urteile zu präsentieren. Zusammengefasst hat nach<br />
Rohlfes das <strong>Schulbuch</strong> adressatengemäß Wissen zu vermitteln und die<br />
politische Urteilskraft zu schulen. 143<br />
Das Zulassungsverfahren hat sich seit der Richtlinie für die Zulassung<br />
von Schulbüchern aus dem Jahr 1975 nur unwesentlich verändert. 144<br />
Der Antrag auf Zulassung ist heute an das Landesinstitut für Erziehung<br />
und Unterricht (LEU) in Stuttgart zu richten. Angaben über die<br />
Schulart, das jeweilige Fach und die Klassenstufe müssen dem Antrag<br />
ebenso beigefügt werden, wie Aussagen, ob schon einmal die Zulassung<br />
beantragt wurde oder ein anderes <strong>Schulbuch</strong> des Verlages damit ersetzt<br />
werden soll. Weiter sind fünf Prüfexemplare der Endfassung beizulegen.<br />
Das jeweilige <strong>Schulbuch</strong> wird durch zwei unabhängige vom Land Baden-Württemberg<br />
bestellte, der Öffentlichkeit unbekannte Gutachter beurteilt.<br />
141 vgl. §35a (2) SchG, in: Verband Bildung und Erziehung (Hrsg.), Lehrerinnen- und Lehrer<br />
Handbuch, 1996, o. S. und § 4 der Verordnung des Kultusministeriums über die Zulassung von<br />
Schulbüchern, in: Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), K.u.U.,<br />
9/96, S. 110<br />
142 s. Müller, Walter, <strong>Schulbuch</strong>zulassung, 1977, S. 207 ff.<br />
143 s. Rohlfes, Joach<strong>im</strong>, Die staatliche Prüfung und Zulassung von Schulbüchern: ein notwendiges<br />
Ärgernis? in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU), 10/1982, S. 599 – 608<br />
144 s. Richtlinie für die Zulassung von Schulbüchern vom 27. Mai 1975, in: Ministerium für Kultus<br />
und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), K. u. U., 1975, S. 804 – 806<br />
42
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
Anhand deren Gutachten und nach Stellungnahme des Landeselternbeirats<br />
entscheidet das Kultusministerium auf der Grundlage eines Vorschlags<br />
durch das Landesinstitut für Erziehung und Unterricht über den<br />
Antrag auf Zulassung.<br />
Die Entscheidung des Kultusministeriums kann in dreierlei Form ausfallen:<br />
– Das <strong>Schulbuch</strong> wird zugelassen.<br />
– Die Zulassung des <strong>Schulbuch</strong>es wird von weiteren Bedingungen (mit<br />
monitas) abhängig gemacht oder der nächste Nachdruck muss best<strong>im</strong>mte<br />
Korrekturen beinhalten.<br />
– Das <strong>Schulbuch</strong> wird nicht zugelassen.<br />
Das durchschnittliche Zulassungsverfahren beträgt derzeit ca. ein halbes<br />
Jahr. Die jeweils für eine Schulart, Klassenstufe und Fach zugelassenen<br />
Schulbücher werden ein- bis zwe<strong>im</strong>al jährlich <strong>im</strong> Amtsblatt des Kultusministeriums<br />
„Kultus und Unterricht“ veröffentlicht.<br />
Sonderbest<strong>im</strong>mungen gelten für Neuauflagen ohne Veränderungen,<br />
die nur einer Anzeigepflicht unterliegen. Ein abgekürztes Verfahren wird<br />
bei unwesentlichen Änderungen, die zu markieren sind, durchlaufen. Bei<br />
wesentlichen Änderungen muss der Verlag mit dem üblichen Zulassungsverfahren<br />
rechnen. 145<br />
Das Kultusministerium von Baden-Württemberg überlässt den Gutachtern<br />
zur Orientierung Handreichungen zur Begutachtung von Schulbüchern.<br />
146 Neben den gesetzlichen Grundlagen werden auch Wege zur<br />
Erschließung eines <strong>Schulbuch</strong>es aufgeführt. Dabei können die allgemeinen<br />
Erziehungsziele und die Orientierung am entsprechenden Lehrplan<br />
als Hilfen angesehen werden. So soll der Gutachter zum Beispiel die Ziele<br />
und Inhalte des Buches auf genügend Übungs- und Wiederholungsmöglichkeiten,<br />
didaktische Grundsätze, Prinzipien des Elementaren und<br />
Exemplarischen, Fragen nach Differenzierungsmöglichkeiten, entdeckendem<br />
Lernen verbunden mit der Herausforderung nach eigener Stellungnahme<br />
untersuchen. Die Altersgemäßheit soll sich in der sprachlichen<br />
Form, den Fachausdrücken, der Über- oder Unterforderung und der<br />
145 vgl.§5–7derVerordnung des Kultusministeriums über die Zulassung von Schulbüchern, in:<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), K. u. U., 9/96, S. 111 – 112 sowie<br />
Lackamp, Angelika/ Ziegenspeck, Jörg, Das <strong>Schulbuch</strong>genehmigungs- und <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren<br />
in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Schallenberger, E.,<br />
Horst/Stein, Gerd (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen<br />
Forderungen, 1978, S. 101 – 133<br />
146 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Handreichungen zur Begutachtung<br />
von Schulbüchern, Stuttgart o. J.<br />
43
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit widerspiegeln. Wichtige erzieherische<br />
Funktion erhält das <strong>Schulbuch</strong> auch durch das Druckbild und die<br />
grafische Gestaltung (Schriftgröße, Mehrfarbendruck, Hervorhebung<br />
von Merksätzen, Funktion der Bilder u. a.), entscheidet dies doch oftmals<br />
darüber, ob der Schüler mit dem Buch gerne arbeitet oder nicht. Der Gutachter<br />
wird zu zügigem Arbeiten angehalten und soll den vorgesehenen<br />
Zeitrahmen von sechs Wochen nicht überschreiten.<br />
Im Jahre 1998 wurden 324 Schulbücher genehmigt, für 120 Bücher erfolgten<br />
Auflagen zur Überarbeitung, 21 Schulbücher wurden abgelehnt.<br />
Ähnlich gestalten sich die Zahlen für 1999: Von 469 vom Landesinstitut<br />
für Erziehung und Unterricht auf Zulassung bearbeiteten Schulbüchern<br />
wurden 328 zugelassen, 120 Bücher erhielten Auflagen, 21 wurden<br />
abgelehnt.<br />
Interessant gestaltet sich der Anteil der jeweiligen Schulart an den<br />
Prüfungen: die Grundschule hat mit 29% einen hohen Anteil, die Haupt-<br />
(12%) und die Realschule (14%) halten sich ungefähr die Waage, während<br />
das Gymnasium mit 30% einen breiten Markt für die <strong>Schulbuch</strong>verlage<br />
präsentiert. 147<br />
Die Förder- (5%) und Berufsschulen (10%) weisen prozentual eine<br />
geringere Anzahl auf; hier sollte man jedoch beachten, dass beide Schularten<br />
für best<strong>im</strong>mte Bereiche 148 (z. B. Schulen für Blinde, Sehbehinderte,<br />
Gehörlose, Geistigbehinderte, fachpraktische und -theoretische Schulbücher<br />
an beruflichen Schulen u. a.) keiner <strong>Schulbuch</strong>zulassung bedürfen.<br />
In einer kleinen Anfrage des Landtags an das Ministerium für Kultus<br />
und Sport aus dem Jahr 1992 ist eine Änderung <strong>im</strong> Sinne einer Aufhebung<br />
des bisherigen <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahrens eindeutig abgelehnt<br />
worden. 149<br />
Ebenso fand der Antrag der Grünen vom 28.09.93 um Erweiterung<br />
der <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung um den Aspekt des Diskr<strong>im</strong>inierungsverbots<br />
eine Ablehnung mit der Begründung, dass alle Teilbereiche<br />
des Antrages der Grünen bei der momentanen Praxis der <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
bereits beachtet werden. Weitere Änderungen oder Erweiterungen<br />
147 s. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Geschäftsbericht<br />
zum Staatshaushaltsplan 2000/2001, Stuttgart 1999, S. 2<br />
148 s. §3 Zulassungsfreiheit der <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung, in: Ministeriums für Kultus und<br />
Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), K. u. U., 9/96, S. 111<br />
149 s. Kleine Anfrage des Abgeordneten Josef Rebhan CDU und die Antwort des Ministeriums für<br />
Kultus und Sport vom 10.06.92 über die <strong>Schulbuch</strong>zulassung, Landtag von Baden-Württemberg,<br />
Drucksache 11/30, Landtag von Baden-Württemberg, Stuttgart 1992<br />
44
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
der <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung anlässlich der Lehrplanfortschreibung<br />
von 1994 sind vom Kultusministerium weder geplant noch beabsichtigt.<br />
150<br />
Eine Welle der Kritik gegenüber dem gängigen <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren<br />
kam besonders in den 70er Jahren mit der emanzipatorischen<br />
Didaktik <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> auf. Das <strong>Schulbuch</strong> war nicht länger reine Informationsquelle,<br />
sondern „ein Politikum ersten Ranges.“ 151 An dieser Stelle<br />
kann nicht die sehr heftig geführte Diskussion über die <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
<strong>im</strong> Einzelnen wiedergegeben werden, wohl können aber die häufig<br />
angeführten Argumente in einer kritischen Gesamtanalyse zusammengefasst<br />
werden.<br />
Jörg Becker kritisiert nicht nur die Anonymität der Gutachter, sondern<br />
ebenfalls die seiner Meinung nach bestehenden unklaren Richtlinien zur<br />
Beurteilung der Schulbücher. Er fordert die Kultusministerien auf, die<br />
Schulbücher erst einmal auf Probe zu genehmigen und von den Verlagen<br />
eine Revidierung der Schulbücher alle zwei bis drei Jahre zu verlangen. 152<br />
Walter Müller hegt sogar nachgewiesene Zweifel an der Fachkompetenz<br />
mancher Gutachter und befürchtet erziehungswissenschaftliche Privatmeinungen<br />
als Grundlage für die Gutachten, anstelle von gesicherten<br />
Erkenntnissen aus der Fach- und Erziehungswissenschaft. 153<br />
Als häufigsten Ablehnungsgrund wird seiner Meinung nach die Lehrplankonformität<br />
angeführt, wobei dem <strong>Schulbuch</strong> die Rolle eines Ersatzlehrplanes<br />
zugesprochen wird und damit der Erziehungswissenschaft gegenüber<br />
dem Lehrplan keine Priorität eingeräumt wird.<br />
Ebenso wurde den einzelnen Bundesländern oft der Missbrauch der<br />
Gesetzes- und Verfassungskonformität vorgeworfen, um missliebige<br />
Schulbücher nicht zuzulassen. Walter Müller hegt auch Zweifel an der<br />
Unbefangenheit der ausgewählten Personen am <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren<br />
und wirft ihnen oft Interessenverflechtung vor. So stellt Müller<br />
1971 fest, dass jedes dritte Mitglied einer Lehrplankommission selbst<br />
150 s. Antrag der Abgeordneten Monika Schnaitmann u.a. Grüne und Stellungnahme des Ministeriums<br />
für Kultus und Sport vom 28.09.93 über die Erweiterung der <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverordnung,<br />
Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 11/2637, Landtag von Baden-Württemberg,<br />
Stuttgart 1993<br />
151 Stein, Gerd, Politikwissenschaft und <strong>Schulbuch</strong>forschung, in: Stein, Gerd (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik<br />
als Schulkritik, Saarbrücken 1976, S. 11<br />
152 s. Becker, Jörg, <strong>Schulbuch</strong> und politisches System in der Bundesrepublik, in: Schallenberger,<br />
Horst/Stein, Gerd (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen<br />
Forderungen, 1978, S. 13 – 45<br />
153 s. Müller, Walter, <strong>Schulbuch</strong>zulassung, 1976, S. 293 ff.<br />
45
Das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren in Baden-Württemberg<br />
<strong>Schulbuch</strong>autor ist oder aber Beamte, die <strong>im</strong> Zulassungsverfahren tätig<br />
sind, entweder selber Schulbücher schreiben oder deren Autoren kennen.<br />
Ein Ausweg für die „reglementierte“ <strong>Schulbuch</strong>zulassung wäre nach<br />
Müller die eigene Medienherstellung durch die Lehrer.<br />
Ach<strong>im</strong> Wiltrock sieht in dem <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren ein hoheitliches<br />
Recht und fordert demokratische Prinzipien be<strong>im</strong> Ablauf des<br />
Verfahrens. Er nennt das Genehmigungsverfahren sogar ein „vordemokratisches<br />
Relikt“. 154<br />
Mögliche Lösungen oder Änderungen des bestehenden <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahrens<br />
wurde in den 70er Jahren durch die Mitwirkung der<br />
Lehrer, Eltern und Schüler bei der Zulassung von Schulbüchern gesehen.<br />
Andere wollten zentrale pädagogische Zentren oder öffentlich-rechtliche<br />
<strong>Schulbuch</strong>anstalten schaffen, welche die Schulbücher beurteilen bzw.<br />
auch selber herstellen. In einer engen Zusammenarbeit auf der Bundesebene<br />
dachte man an eine Vereinheitlichung der Curricula. 155<br />
Ob dies aber von den Kultusministerien so gewünscht war, kann bezweifelt<br />
werden. Eine mittelbare Beteiligung des Parlaments an der<br />
<strong>Schulbuch</strong>zulassungspraxis, ohne aber die letztliche Entscheidung des<br />
Kultusministeriums in Frage zu stellen, wie sie Gerd Stein forderte, hatte<br />
ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg. 156<br />
Die Ideologisierung der 70er Jahre hat bei der <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
merklich nachgelassen und es denkt wohl niemand mehr realistisch an die<br />
Abschaffung des staatlichen <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahrens.<br />
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die <strong>Schulbuch</strong>zulassung<br />
aus dem Jahr 1973 fällt eindeutig aus: „Zum staatlichen<br />
Gestaltungsbereich <strong>im</strong> Rahmen des Art. 7 Abs. 1 GG gehören die Festlegung<br />
der Unterrichts- und Erziehungsziele sowie die Best<strong>im</strong>mung des<br />
Unterrichtsstoffes. Mit dieser Kompetenz ist notwendig die Aufsicht darüber<br />
verbunden, daß nur solche Schulbücher <strong>im</strong> Unterricht verwendet<br />
werden, die den durch die Lehr- und Erziehungsziele gestellten Anforderungen<br />
genügen. Die Entscheidung darüber, welche Schulbücher für den<br />
Unterricht in den öffentlichen Schulen zugelassen sind, ist daher eine<br />
154 Wittrock, Ach<strong>im</strong>, Rechtsprobleme des <strong>Schulbuch</strong>genehmigungsverfahrens, in: Schallenberger,<br />
Horst/Stein, Gerd (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem Zugriff und gesellschaftlichen<br />
Forderungen, 1978, S. 53<br />
155 s. Eisfeld, Gerhard, <strong>Schulbuch</strong>herstellung und –zulassung durch öffentlich-rechtliche Anstalten,<br />
in: Stein, Gerd (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik als Schulkritik, 1976, S. 81 – 84<br />
156 s. Stein, Gerd, Zur Legit<strong>im</strong>ationsproblematik von <strong>Schulbuch</strong> – Prüfung, in: Stein, Gerd<br />
(Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik als Schulkritik, 1976, S. 85 – 123<br />
46
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
durch Art. 7 Abs. 1 GG dem Staat zugewiesene Aufgabe, die dieser als<br />
Träger der Schulhoheit seit jeher für sich in Anspruch genommen hat.“ 157<br />
Trotzdem übt Karl-Ernst Jeismann 1987 wiederum schärfste Kritik<br />
am Zulassungsverfahren, bescheinigt ihm keine Transparenz und sieht<br />
darin den Albtraum aller Verlage und Autoren. Die Lösung sieht er in<br />
großzügigeren Entscheidungen seitens der Kultusministerien, die sich<br />
eher an einem negativen Min<strong>im</strong>alkatalog orientieren sollen, in dem aufgelistet<br />
werden soll, was in einem <strong>Schulbuch</strong> nicht enthalten sein darf. 158<br />
Joach<strong>im</strong> Rohlfes sieht die natürlichen Reibungen eines Autors bei der<br />
Geschichtsbuchherstellung, wenn er sich zwischen der fachwissenschaftlichen<br />
Detailtreue und der lernpsychologischen Zumutbarkeit für den<br />
Schüler befindet.<br />
Oft kommen Autoren auch in das Spannungsfeld der stofflichen<br />
Gründlichkeit und der für Geschichte knapp bemessenen Zahl der Unterrichtsstunden<br />
oder der unterschiedlichen Interessen der Schüler und der<br />
an der Produktion beteiligten Fachhistoriker. 159<br />
Zusammenfassend sei hier nochmals erwähnt, dass in diesem Kapitel<br />
ausschließlich das <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren für Baden-Württemberg<br />
dargestellt wurde. Die Kritik am staatlichen Zulassungsverfahren<br />
wird sicherlich nie verstummen, doch wären die Schulen ohne staatliche<br />
Vorauswahl durch die Genehmigungsverfahren eventuell überfordert.<br />
2.2 Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
Obwohl das Geschichtsbild eines Schülers neben dem <strong>Schulbuch</strong> heute<br />
auch durch andere Medien entsteht, kommt dem Geschichtsschulbuch<br />
<strong>im</strong>mer noch eine bedeutende Rolle zu. Ihm werden Kennzeichen wie z.<br />
B. der Subjektivität, der Autorität des gedruckten Wortes, ein best<strong>im</strong>mtes<br />
methodisch-didaktisches Konzept oder gar der Gebrauch als autodidaktisches<br />
Medium zugesprochen. 160 Die UNESCO geht sogar einen Schritt<br />
157 Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über <strong>Schulbuch</strong>zulassung vom 13.03.1973, in:<br />
Schallenberger, Horst/Stein, Gerd (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem Zugriff und<br />
gesellschaftlichen Forderungen, 1978, S. 74<br />
158 s. Jeismann, Karl-Ernst, Begutachtung und Zulassung von Schulbüchern, in: Geschichte in<br />
Wissenschaft und Unterricht (GWU), 2/1987, S. 105 – 107<br />
159 s. Rohlfes Joach<strong>im</strong>, Die staatliche Prüfung und Zulassung von Schulbüchern: ein notwendiges<br />
Ärgernis? in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU), 10/1982, S. 599 – 608<br />
160 s. Coeckelberghs, Hilde, Das <strong>Schulbuch</strong> als Quelle der Geschichtsforschung, in: Internationa-<br />
47
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
weiter, wenn sie behauptet: „Textbooks are one of the most <strong>im</strong>portant<br />
educational inputs.“ 161<br />
Gerade wegen der steigenden Bedeutsamkeit des <strong>Schulbuch</strong>s <strong>im</strong> letzten<br />
Drittel des 19. Jahrhunderts und vor allem des 20. Jahrhunderts, war<br />
die <strong>Schulbuch</strong>analyse eine stets wichtige Aufgabe. 162<br />
Die Ziele der <strong>Schulbuch</strong>analyse sind neben der <strong>Schulbuch</strong>revision<br />
und der damit einhergehenden Fehlerkorrektur, das Aufzeigen nationaler<br />
Vorurteile und Missstände sowie die Aufnahme möglichst vieler Regionen<br />
und Kulturen in die Schulbücher. Dabei hat sich eine Schwerpunktverschiebung<br />
vollzogen. Waren vor dem Zweiten Weltkrieg die Gremien<br />
des Völkerbundes vor allem mit der Ausmerzung vorhandener Vorurteile<br />
gegenüber anderen Nationen oder Personen beziehungsweise Personengruppen<br />
und dem Heraussstreichen von kriegerischem Konfliktpotential<br />
beschäftigt 163 , so ist diese Arbeit von der UNESCO, dem <strong>Europa</strong>rat und<br />
dem Georg-Eckert-Institut nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt fortgesetzt<br />
worden. Heute lassen sich in den Schulbüchern der Europäischen<br />
Union kaum mehr Vorurteile gegenüber anderen Nationen finden;<br />
gleichwohl ist es wichtig, die Inhalte und die methodisch-didaktischen<br />
Ansätze der Schulbücher zu erforschen, um eine permanente <strong>Schulbuch</strong>verbesserung,<br />
orientiert an den neuesten fachwissenschaftlichen und pädagogischen<br />
Erkenntnissen, zu garantieren. Ferner dienen <strong>Schulbuch</strong>analysen<br />
auch zur Rechtfertigung des eigenen politischen Systems, der Zeitgeisterforschung<br />
einer best<strong>im</strong>mten Epoche oder der Erziehung zum Frieden<br />
und zur Demokratie. 164<br />
Trotz aller Fortschritte stellt Falk Pingel <strong>im</strong>mer noch keine ausreichend<br />
vorhandene Multiperspektive in den Schulbüchern fest, wenn er<br />
den eigentlichen Buchtitel vieler auf dem Markt befindlichen Bücher<br />
durch den folgenden austauschen würde: „We see the world through our<br />
nations.“ 165<br />
Häufig wird die folgende Aussage von Otto-Ernst Schüddekopf aus<br />
les Jahrbuch für Geschichts- und Geographie-Unterricht Band XVIII, Braunschweig: Albert<br />
L<strong>im</strong>bach, 1977/78, S. 13<br />
161 Pingel, Falk, UNESCO Guidebook on Textbook Research and Textbook Revision, Hannover<br />
1999, S. 7<br />
162 s. Sauer, Michael, Zwischen Negativkontrolle und staatlichem Monopol – Zur Geschichte von<br />
<strong>Schulbuch</strong>zulassung und –einführung, in: GWU, 3/98, S. 144 – 155<br />
163 vgl. Declaration regarding the teaching of history (revision of school-books), 1937, in: Pingel,<br />
Falk, UNESCO Guidebook, 1999, S. 9–10<br />
164 s. Meyers, Peter, Zur Problematik der Analyse von Schulgeschichtsbüchern, in: GWU,<br />
12/1973, S. 724 ff.<br />
165 Pingel, Falk, UNESCO Guidebook, 1999, S. 12<br />
48
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
dem Jahr 1965 in einem falschen Zusammenhang zitiert. Sie wird dann<br />
als Beleg für das Nichtvorhandensein einer Methodik in der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
herangezogen, wobei Schüddekopf damit gerade ein Kapitel über<br />
die Methodenfrage einleitet.<br />
„Es gibt keine Methodik und Didaktik der <strong>Schulbuch</strong>arbeit, sie ist eine<br />
pragmatische Kunst, die sich seit 1918 und dann vor allem seit 1945 an<br />
den Aufgaben entwickelt hat.“ 166<br />
Ähnlich äußert sich Rolf-Joach<strong>im</strong> Sattler: „Die vergleichende <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
[...] ist methodisches Neuland. Es gibt für diesen Zweig der<br />
internationalen Zusammenarbeit unter Historikern und Geschichtslehrern<br />
noch keine voll ausgebildete, tradierbare oder gar in Hand- und Lehrbüchern<br />
fixierte Kunstlehre.“ 167 Auch Peter Weinbrenner stellt Jahrzehnte<br />
später fest, „daß es eine anerkannte „Theorie des <strong>Schulbuch</strong>s“ noch<br />
nicht gibt.“ 168<br />
Im Gegenzug weist Wolfgang Marienfeld schon Mitte der 70er Jahre<br />
darauf hin, dass eine einheitliche Methode je nach Forschungsziel gar<br />
nicht möglich ist. K. Peter Fritzsche unterstreicht die vorhandene Methodenvielfalt<br />
nachdrücklich. 169<br />
Trotzdem erlöscht die Kritik an der <strong>Schulbuch</strong>forschung nicht. Es<br />
wird der Disziplin eine mangelnde Wissenschaftlichkeit vorgeworfen.<br />
Zudem werden die methodischen Instrumente und die Kriterien, aus denen<br />
Urteile gezogen werden, oft nicht offengelegt. Ob die <strong>Schulbuch</strong>beurteilung<br />
letztlich eine Hilfe für den Unterricht darstellt, mag jeder Lehrer<br />
für sich selbst beantworten.<br />
Im Folgenden gilt es die aktuellen Grundlagen zur Methodik der<br />
<strong>Schulbuch</strong>analyse herauszuarbeiten, um in einem zweiten Schritt die Methodik<br />
dieser Arbeit festzulegen.<br />
Dabei wird in dieser Arbeit <strong>im</strong>mer von Schulbüchern <strong>im</strong> engeren Sinn<br />
ausgegangen, d. h. von Schulbüchern, die nur für die Schüler best<strong>im</strong>mt<br />
und durch die Zulassungspflicht und den Lehrplänen in Jahrgangsstufen<br />
gegliedert sind und daher oft mehrere Bände umfassen. Ferner macht das<br />
166 Schüddekopf, Otto-Ernst, Zwanzig Jahre <strong>Schulbuch</strong>revision in Westeuropa 1945 – 1965. Tatsachen<br />
und Probleme, Braunschweig 1966, S. 42<br />
167 Sattler, Rolf-Joach<strong>im</strong>, Die Französische Revolution in europäischen Schulbüchern, Eine vergleichende<br />
<strong>Schulbuch</strong>analyse, Braunschweig 1959, S. 15<br />
168 Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden für die Analyse wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher<br />
Lehr- und Lernmittel, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, Zeitschrift des<br />
Georg-Eckert-Instituts für Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, 8/1986, S. 321<br />
169 s. Fritzsche, K. Peter, <strong>Schulbuch</strong>forschung und <strong>Schulbuch</strong>beurteilung <strong>im</strong> Disput, in: Fritzsche,<br />
K. Peter (Hrsg.), Schulbücher auf dem Prüfstand, Frankfurt/Main 1992, S. 9–22<br />
49
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
<strong>Schulbuch</strong> <strong>im</strong> engeren Sinn Aussagen über die <strong>Schulbuch</strong>stufe und<br />
Schulart.<br />
Die Abgrenzung zum <strong>Schulbuch</strong> <strong>im</strong> weiteren Sinn besteht darin, dass<br />
jenes auch für außerschulische Zwecke verwendet werden kann und oftmals<br />
in der Schule nur als Ergänzungs- oder Vertiefungslektüre verwendet<br />
wird. Dazu gehören Materialien wie Arbeitshefte, Testbögen, Atlanten,<br />
Quellensammlungen und Lehrerbegleitbände.<br />
Weiterhin beschränkt sich die Arbeit auf die <strong>Schulbuch</strong>forschung <strong>im</strong><br />
engeren Sinn, d.h. auf Inhaltsanalysen von Schulbüchern. Die <strong>im</strong>mer<br />
noch <strong>im</strong> Hintertreffen arbeitende „Bedingungs-, Wirkungs- und Marktbzw.<br />
Rezipientenforschung“ 170 (<strong>Schulbuch</strong>forschung <strong>im</strong> weiteren Sinn)<br />
bleibt unberücksichtigt.<br />
Nach der Einteilung der <strong>Schulbuch</strong>forschung von Peter Weinbrenner<br />
ist die vorliegende Arbeit der „produktorientierten <strong>Schulbuch</strong>forschung“<br />
171 zuzuordnen, die mittels inhaltsanalytischer Verfahren das<br />
<strong>Schulbuch</strong> als Unterrichtsmedium analysiert. Die „prozessorientierte<br />
<strong>Schulbuch</strong>forschung“ 172 , die sich am Lebenszyklus des <strong>Schulbuch</strong>s<br />
orientiert (Entwicklung, Zulassung, Vermarktung, Einführung, Verwendung,<br />
Aussonderung, Vernichtung) und die „wirkungsorientierte <strong>Schulbuch</strong>forschung“<br />
173 finden keinen Eingang in die Arbeit. Letztere fragt<br />
nach der Wirkung der Schulbücher auf die Schüler, Lehrer, Öffentlichkeit<br />
und die internationalen Beziehungen. Damit müsste die <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
nicht nur inhaltsanalytisch, sondern extrem interdisziplinär tätig<br />
werden und der Forderung von Klaus Lange nachkommen und weite Bereiche<br />
der Sozialwissenschaften (Pädagogen, Psychologen, Soziologen,<br />
Politologen, Historiker) in die Analyse miteinbeziehen. 174<br />
Grundsätzlich lassen sich drei Analysearten unterscheiden: 175<br />
1. Einzelanalyse<br />
170 Stein, Gerd, Politikwissenschaft und <strong>Schulbuch</strong>forschung, in: Stein, Gerd (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>kritik<br />
als Schulkritik, 1976, S. 10<br />
171 Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
8/1986, S. 321 – 337<br />
172 ebd.<br />
173 ebd.<br />
174 s. Lange, Klaus, Zu Methodologie und Methoden einer sozialwissenschaftlichen Unterrichtsmedienforschung,<br />
in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, Zeitschrift des Georg-Eckert-<br />
Instituts, 3/1981, S. 16 – 28<br />
175 s. Meyers, Peter, Methoden zur Analyse historisch-politischer Schulbücher, in: Schallenberger,<br />
E. Horst (Hrsg.), Studien zur Methodenproblematik wissenschaftlicher <strong>Schulbuch</strong>arbeit<br />
(Zur Sache <strong>Schulbuch</strong>; Bd. 5), Kastellaun 1976, S. 47 – 73<br />
50
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
Sie wird vor allem bei der Erstellung der Gutachten der Genehmigungsbehörden<br />
der Bundesländer oder bei der Beurteilung von Neuerscheinungen<br />
angewandt. Bei einer geringen Zahl von Schulbüchern kann<br />
sie auch zum Zuge kommen. Die Gefahr der subjektiven Kriterienbildung<br />
je nach dem Erkenntnisinteresse des Autors ist allerdings gegeben.<br />
2. Gruppenanalyse<br />
Hier wird eine große Zahl an Schulbüchern analysiert. Aufgrund dessen<br />
stellt sich das Problem der Kategorienfindung, da die Fülle des Materials<br />
noch überschaubar bleiben muss.<br />
a) Querschnittanalyse<br />
Die auch horizontale genannte Analysemethode setzt sich mit Schulbüchern<br />
aus dem gleichen Zeitraum auseinander. Der horizontalen Gruppenanalyse<br />
ist die nachfolgende Untersuchung zuzuordnen, wobei der<br />
quantitative Rahmen aufgrund des abgesteckten Themas nicht mehrere<br />
hundert Schulbücher umfasst.<br />
b) Längsschnittanalyse<br />
Die vertikale oder Längsschnittanalyse vergleicht Schulbücher aus einem<br />
längeren Zeitraum, vielfach aus verschiedenen Zeitabschnitten oder<br />
Epochen wie z. B. Geschichtsbücher aus dem Kaiserreich mit denen der<br />
We<strong>im</strong>arer Republik. 176 Je nach der Auswahl der Schulbücher schließt die<br />
vertikale die horizontale Analyse mit ein.<br />
3. <strong>Schulbuch</strong>vergleich<br />
Hier werden Schulbücher mit wesentlich unterschiedlichen Zielsetzungen<br />
und Blickrichtungen (Ideologien), d.h. Bücher aus verschiedenen<br />
Ländern, gesellschaftlichen Systemen oder Epochen analysiert. Dabei<br />
handelt es sich auch um eine größere Anzahl an Schulbüchern, die wiederum<br />
horizontal oder vertikal untersucht werden können.<br />
Die Frage, ob man Schulbücher, die auf verschiedenen Ideologien beruhen,<br />
mit den gleichen Kategorien erfassen kann, muss sich jeder Autor<br />
stellen. Vor der Übernahme der eigenen ideologischen Position als Bewertungsmaßstab<br />
kann nur gewarnt werden. Meyers empfiehlt zunächst<br />
die getrennte Analyse aller Gruppen, um dann die Ergebnisse zu vergleichen<br />
und in einem letzten Schritt eine Wertung vorzunehmen. 177<br />
Dem internationalen <strong>Schulbuch</strong>vergleich kommt eine hohe Bedeu-<br />
176 s. Schallenberger, E. Horst (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong> – Aspekte und Verfahren zur Analyse ( Zur<br />
Sache <strong>Schulbuch</strong>; Bd. 2), Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1973<br />
177 s. Meyers, Peter, Zur Problematik, in: GWU, 12/1973, S. 47 – 74<br />
51
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
tung zu, ist er doch oftmals die Grundlage für Diskussionen und den daraus<br />
resultierenden <strong>Schulbuch</strong>empfehlungen wie z. B. der deutsch-französischen,<br />
der deutsch-polnischen (1977) oder deutsch-israelischen<br />
(1985) <strong>Schulbuch</strong>empfehlung. Durch die politischen Veränderungen in<br />
Mittel- und Osteuropa mit dem Ende des Kalten Krieges erlangen auch<br />
<strong>Schulbuch</strong>vergleiche zwischen Ländern aus West- und Osteuropa zunehmend<br />
an Bedeutung.<br />
Die Verfahrensweisen bei der <strong>Schulbuch</strong>analyse sind vielfältig und<br />
werden je nach vorhandener Fachwissenschaft und Forschungsziel unterschiedlich<br />
gewichtet.<br />
Falk Pingel unterscheidet grob zwischen der „didactic analysis<br />
[which] deals with the methodological approach to the topic, exploring<br />
the pedagogy behind the text“ 178 und der „content analysis [which] examines<br />
the text itself“ 179 . In die gleiche Richtung tendiert Josef Thonhauser,<br />
wenn er die <strong>Schulbuch</strong>analysen in eine gegenstandsorientierte und<br />
eine didaktisch orientierte unterteilt. Geht es bei der Erstgenannten um<br />
das Aufzeigen von inhaltlichen Mängeln mit Hilfe eines Kategoriensystems,<br />
so ist bei der didaktisch orientierten <strong>Schulbuch</strong>analyse das Ziel, didaktische<br />
Mängel oder Ungere<strong>im</strong>theiten aufzuzeigen. 180<br />
Das Interesse an den Forschungsergebnissen ist sicherlich unterschiedlich<br />
zu beurteilen:<br />
Wird die Fachwissenschaft sich eher auf die Ergebnisse der Inhaltsanalyse<br />
stützen, so ist die Leserschaft bei der didaktischen Analyse auch<br />
um den interessierten Lehrer zu erweitern.<br />
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt zweifelsohne auf der<br />
Inhaltsanalyse, wobei bei der Kategorienbildung auch didaktisch orientierte<br />
Fragen unabdingbar sind. Somit lässt sich keine strenge Trennung<br />
vornehmen; diese wäre für das Forschungsergebnis nicht von gewinnbringender<br />
Bedeutung.<br />
Für die konkrete methodische Analyse dieser Arbeit erweist sich die Einteilung<br />
von Peter Meyers als sinnvoll. 181<br />
178 Pingel, Falk, UNESCO Guidebook, 1999, S. 22<br />
179 ebd.<br />
180 s. Thonhauser, Josef, Was Schulbücher (nicht) lehren – <strong>Schulbuch</strong>forschung unter erziehungswissenschaftlichem<br />
Aspekt (Am Beispiel Österreichs), in: Fritzsche, K. Peter (Hrsg.), Schulbücher<br />
auf dem Prüfstand, 1992, S. 55 – 78<br />
181 s. Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen <strong>im</strong> Geschichtsbild der SBZ/DDR. Ein Beitrag zur<br />
Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts in der SBZ/DDR. Mit<br />
einer Methodik zur Analyse von Schulgeschichtsbüchern, Braunschweig 1983, S. 60 ff.<br />
52
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
1. Die deskriptiv-analytische hermeneutische Methode<br />
Die deskriptiv-analytische hermeneutische Methode wird mit der<br />
Quelleninterpretation in der Geschichtswissenschaft verglichen, wobei<br />
die Geschichtsbücher in diesem Fall die Quellen sind. Zwar sieht Wolfgang<br />
Marienfeld in dem hermeneutischen Verfahren für die Beurteilung<br />
eines <strong>Schulbuch</strong>s in seiner inhaltlichen, methodischen und didaktischen<br />
Gesamtheit eine gewisse Unumgänglichkeit, doch kann ein subjektives,<br />
ja fast willkürliches Vorgehen nicht ausgeschlossen werden. 182 So wird<br />
jeder Autor über die Auswahl der von ihm aufgegriffenen Probleme selber<br />
entscheiden, was gerade bei einer größeren Gruppenanalyse nicht unbedingt<br />
zu einer intersubjektiven Vergleichbarkeit führt. Zudem bleibt<br />
jedem Wissenschaftler überlassen, seine Aussagen durch eine andere Zitatauswahl<br />
zu untermauern. Die wissenschaftliche Beweisbarkeit einer<br />
Behauptung durch ein rein hermeneutisches Vorgehen bleibt schwierig.<br />
Die Erfassung der Inhalte der Schulbücher durch best<strong>im</strong>mte Kategorien<br />
kann ein Hilfsmittel für den Interpreten wie den Leser sein, sollte aber<br />
nach Meyers nicht verabsolutiert werden.<br />
2. Die inhaltsanalytische Methode<br />
Die inhaltsanalytische Methode hat ihre Grundlagen in der empirischen<br />
Sozialforschung und versucht „die Inhalte sowie die Einstellungsäußerungen<br />
in Aussagetexten objektiv, das heißt meßbar, in den Griff zu<br />
bekommen.“ 183 Objektiv bedeutet, dass jeder Forscher die gleichen Ergebnisse<br />
durch eine präzise Texteinteilung in Kategorien erzielt.<br />
Eine Systematik weist die Forschungsmethode dadurch auf, dass der<br />
gesamte Text durch alle relevanten Kategorien analysiert wird.<br />
Die für diese Arbeit aus der Inhaltsanalyse relevanten methodischen<br />
Verfahrensweisen sollen <strong>im</strong> Folgenden aufgegriffen werden. Der ideologiekritische<br />
Ansatz (Frankfurter Schule) , der den gesellschaftlichen Gehalt<br />
eines Textes zu „dechiffrieren“ versucht, bleibt unberücksichtigt.<br />
a) Die quantitative Analyse<br />
Die quantitative Analyse versucht den Text durch Messungen genau<br />
zu erfassen. Die Raumanalyse als ein Teil der quantitativen Erhebung<br />
gibt nach Ernst Uhe die Bedeutung, die der betreffende <strong>Schulbuch</strong>autor<br />
182 s. Marienfeld, Wolfgang, <strong>Schulbuch</strong>-Analyseverfahren am Beispiel von <strong>Schulbuch</strong>darstellungen<br />
zum Thema Islam und Kreuzzüge, in: Bergmann, Klaus u.a. (Hrsg.), Geschichtsdidaktik,<br />
2/79, S. 130 – 156<br />
183 Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen <strong>im</strong> Geschichtsbild der SBZ/DDR, 1983,S. 62<br />
53
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
dem jeweiligen Thema zuerkennt, an. 184 Dabei ist die Festlegung auf die<br />
Messgenauigkeit sehr wichtig. Sie kann von „Zeilenzent<strong>im</strong>etern“ bis zur<br />
groben Einteilung nach Seiten reichen. In dieser Arbeit wird nach Zeilenzent<strong>im</strong>etern<br />
vorgegangen. Während Thomas Knechtges bei den Textteilen<br />
nur den reinen Autorenanteil zählt, erscheint mir eine vollständige Erfassung<br />
auch der Überschriften, Zusammenfassungen und Aufgaben<br />
wichtig. 185 Die Illustrationen werden mit der gleichen Messgenauigkeit<br />
erfasst.<br />
Bei der Einteilung der Kategorien muss allerdings eine Eindeutigkeit<br />
vorliegen, d.h. die einzelnen Kategorien dürfen sich weder überschneiden,<br />
noch dürfen die einzelnen Elemente mehreren Kategorien zugeordnet<br />
werden.<br />
Die Aufbereitung der Ergebnisse kann u.a. tabellarisch oder auf vielfältige<br />
andere grafische Weise erfolgen. Uhe weist jedoch darauf hin, das<br />
die bloßen Zahlen einer Interpretation bedürfen.<br />
Die Frequenzanalyse befasst sich mit der Häufigkeit von Nennungen<br />
innerhalb eines festgelegten Buchabschnitts. Dies können wie in dieser<br />
Arbeit Personen, Textquellen, Illustrationen oder Arbeitsaufträge sein.<br />
Unberücksichtigt bleibt bei der Frequenzanalyse der Zusammenhang, in<br />
denen z. B. die Personen erwähnt werden.<br />
Die Frequenzanalyse soll also Aufschluss über die Bedeutung, die<br />
z.B. den betreffenden Personen beigemessen wird, geben.<br />
Klaus Lange attestiert<br />
– der Kontigenzanalyse (Feststellung des gemeinsamen Vorkommens<br />
von Textelementen)<br />
– der Symbolanalyse (Häufigkeit des Vorkommens best<strong>im</strong>mter Symbole)<br />
– der Bewertungsanalyse (Aussagetexte in semantische Einheiten umformen<br />
und mit einer Bewertung versehen)<br />
keine Eignung für die <strong>Schulbuch</strong>analyse, worauf sie bei der Arbeit auch<br />
unberücksichtigt bleiben. 186<br />
Ist das Ziel jeder <strong>Schulbuch</strong>analyse die Verbesserung des Unterrichts-<br />
184 s. Uhe, Ernst, Quantitative Verfahren bei der Analyse von Schulbüchern, in: Schallenberger, E.<br />
Horst (Hrsg.), Studien zur Methodenproblematik, 1976, S. 75 – 93<br />
185 s. Knechtges, Thomas, Das Thema „Europäische Integration“ in Schulbüchern, in: Lehmann,<br />
Hans Georg (Hrsg.), Die Europäische Integration in der interdisziplinären Lehrerbildung,<br />
Bonn 1981, S. 13 – 29<br />
186 s. Lange, Klaus, Zu Methodologie und Methoden einer sozialwissenschaftlichen Unterrichtsmedienforschung,<br />
in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, 3/1981, S. 16 – 28<br />
54
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
mittels, so kam bald Kritik an der reinen quantitativen Analysemethode<br />
auf.<br />
Zwar versucht der Ansatz der Raum- wie Frequenzanalyse eine gewisse<br />
Wissenschaftlichkeit <strong>im</strong> Sinne des Positivismus in die <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
miteinzubeziehen, doch erscheinen die Ergebnisse ohne Interpretation<br />
oft zu banal. So kann es wohl keine forschungsgeschichtliche Offenbarung<br />
sein, dass Schulbücher je nach ideologischem Ansatz best<strong>im</strong>mte<br />
Themen quantitativ unterschiedlich gewichten.<br />
Für Alexander L. George ist z. B. nicht die Häufigkeit des Erscheinens<br />
ausschlaggebend, sondern dass ein von ihm für wichtig empfundenes<br />
Merkmal überhaupt vorhanden ist oder nicht. 187 Jürgen Ritsert, ein Kritiker<br />
der positivistischen Frequenzanalyse, meint zu dem wissenschaftlichen<br />
Ansatz der quantitativen Analyse: „ Die Sorte Inhaltsanalytiker, die<br />
sich zufrieden gibt, wenn sie all die Trivialitäten, zu denen ihre Untersuchungen<br />
meist führen, mathematisch aufbereitet hat, verfehlt geradezu<br />
die besonderen Qualitäten (Sinngehalt) von Texten.“ 188<br />
Ernst Uhe attestiert der quantitativen Analyse in seiner Methodenerörterung<br />
zur <strong>Schulbuch</strong>untersuchung einen geringeren Aussagewert als der<br />
qualitativen Analyse und spricht sich für eine Verknüpfung beider Vorgehensweisen<br />
aus. 189<br />
Zusammenfassend kann der quantitativen Analyse auf der einen Seite<br />
ein hoher Grad an sachlicher Zuverlässigkeit und nachprüfbaren, verallgemeinernden<br />
Schlüssen zugesprochen werden, andererseits wird dem<br />
Leser oft ein höheres Maß an Objektivität vorgespiegelt als tatsächlich<br />
vorhanden ist. Die Auswertung beinhaltet <strong>im</strong>mer einen gewissen Ermessensspielraum<br />
und sagt noch nicht viel über die didaktische Qualität eines<br />
<strong>Schulbuch</strong>s aus.<br />
b) Die qualitative Analyse<br />
Die qualitative Analyse ist prinzipiell offen für die Gesamtheit aller<br />
möglichen inhaltlichen und didaktischen Fragen. Die dadurch gewonnenen<br />
qualitativen Aussagen über z. B. die Motive, Intentionen und Erziehungsziele<br />
der <strong>Schulbuch</strong>autoren wecken be<strong>im</strong> Leser sicherlich das größere<br />
Interesse. Selbst wenn die Untersuchung auf der Grundlage eines zuvor<br />
festgelegten detaillierten Kategoriensystems erfolgt, wird nach Peter<br />
187 s. George, Alexander L., in: Schallenberger, E. Horst (Hrsg.), Studien zur Methodenproblematik,<br />
1976, S. 57<br />
188 Ritsert, Jürgen, in: ebd.<br />
189 s. Uhe, Ernst, Quantitative Verfahren bei der Analyse von Schulbüchern, in: ebd., S.92<br />
55
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
Meyers der Boden der Objektivität leicht verlassen. 190 Denn schon mit<br />
der Festlegung der Bewertungskategorien gerät man in einen subjektiven<br />
Bereich.<br />
Die qualitative Methode ist bei Benutzung des Kategoriensystems<br />
nicht für ein Buch <strong>im</strong> ganzen, sondern nur für Teilgebiete des <strong>Schulbuch</strong>es<br />
anwendbar, da jede Textpassage eindeutig einer Kategorie zugeordnet<br />
werden soll.<br />
Zwar sollen durch die möglichen Kategorien alle Sachverhalte des<br />
Untersuchungsrahmens vollständig erfasst werden, doch warnt Michael<br />
Doering vor einem zu starren Korsett, wodurch die Beziehungen oder<br />
historischen Argumentationsstränge verloren gehen könnten. 191 Deshalb<br />
wird die qualitative Inhaltsanalyse nie ganz ohne den deskriptiv-analytischen<br />
Ansatz auskommen.<br />
Gilt der quantitative Teil der Analyse als bloße Zählung, so rekonstruiert<br />
die qualitative Analyse Zusammenhänge, die auch die latenten Sinnstrukturen<br />
oder emotionalen Untertöne eines <strong>Schulbuch</strong>s erfassen.<br />
Immer ist der Forscher allerdings den Kriterien der „accuracy, fairness,<br />
comprehensiveness and balance“ 192 verpflichtet.<br />
Horst Koch ist gegen den Versuch einer strikten Trennung von quantitativen<br />
und qualitativen Verfahren, da die quantitative Analyse mit der<br />
Auswahl und Festsetzung der Kategorien (Messungen) und der letztlichen<br />
Interpretation der Auszählung die qualitative Analyse voraussetzt. 193<br />
Ebenso deklariert Peter Weinbrenner die Fragestellungen, D<strong>im</strong>ensionen<br />
und Kategorien allesamt als qualitative Analyseschritte und spricht den<br />
qualitativen Elementen in der <strong>Schulbuch</strong>forschung den größeren Anteil<br />
zu. 194 Für die vorliegende Arbeit finden beide Verfahren der Inhaltsanalyse<br />
Anwendung, ohne als Gegensatzpaare angesehen zu werden.<br />
Ebenso widersprechen sich nicht die empirische und hermeneutische<br />
<strong>Schulbuch</strong>analyse. „Überall stößt man auf hermeneutische Zirkel.“ 195<br />
190 s. Meyers, Peter, in: ebd., S. 57<br />
191 s. Doering, Michael, Interpretationsangebote des Geschichtsunterrichts – Die Reichsgründung<br />
von 1872 in Lehrbüchern für die Hauptschule und das Gymnasium von 1900 bis 1943 (Examensarbeit),<br />
Münster 1992, S. 8–11<br />
192 UNESCO, Handbook for the Improvement of Textbook and Teaching Materials as Aids to International<br />
Understanding, Paris 1949, S. 79<br />
193 s. Koch, Horst, Inhaltsanalyse – Methodische Überlegungen zur Untersuchung von Schulbüchern,<br />
in: Stein, Gerd/Schallenberger, E. Horst (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>analyse und <strong>Schulbuch</strong>kritik,<br />
Duisburg 1976, S. 9–20<br />
194 s. Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden für die Analyse wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher<br />
Lehr- und Lernmittel, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, 8/1986, S. 333<br />
195 ebd., S. 334<br />
56
Zur Methodik der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
Immer werden die Kategorien nach wissenschaftlichem und didaktischem<br />
Vorverständnis ausgesucht, empirisch untersucht und (hermeneutisch)<br />
interpretiert.<br />
Die Arbeit wird sich <strong>im</strong> Folgenden eher mittels inhaltsanalytischer<br />
Verfahren an der Bestandsanalyse orientieren, da sie die Erfassung der<br />
Inhalte eines <strong>Schulbuch</strong>s zum Ziel hat. Auch hier lässt sich wieder keine<br />
strikte Trennung von der Defizitanalyse vollziehen, <strong>im</strong>pliziert der vorliegende<br />
Bestand mit Hilfe einer kritischen Sichtweise doch auch <strong>im</strong>mer<br />
Defizite und Mängel des <strong>Schulbuch</strong>s.<br />
Als Basis für die <strong>im</strong>mer wieder aufkommende Methodendiskussion<br />
lassen sich die sechs Grundregeln von Peter Meyers für die <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
als unverzichtbaren Nenner abschließend aufzählen:<br />
1. Das Ziel und der Zweck der <strong>Schulbuch</strong>analyse sollen angegeben werden.<br />
2. Das „Erkenntnis leitende Interesse“ soll deutlich herausgearbeitet<br />
werden.<br />
3. Die Untersuchung muss eindeutig eingegrenzte Kategorien beinhalten.<br />
4. Die Kombination von deskriptiv-analytischer, quantitativer, qualitativer<br />
und ideologiekritischer Methoden bringt ein zufriedenstellendes<br />
Ergebnis hinsichtlich der Hermeneutik und Quantifikation.<br />
5. Wertungen dürfen nur aufgrund zuvor bekannt gegebener Kriterien<br />
erfolgen.<br />
6. Alle Aussagen sollen durch möglichst viele Quellen belegt werden. 196<br />
Um die umfassende Arbeit einer <strong>Schulbuch</strong>analyse nicht in Zählungen<br />
und Kategorisierungen ausarten zu lassen, sollte der Forscher stets<br />
das Ziel des Forschungsgegenstandes <strong>im</strong> Auge behalten, da oftmals der<br />
nötige Zeitaufwand und das zur Verfügung stehende Zeitbudget miteinander<br />
kollidieren.<br />
„Angesichts der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes und<br />
der oft nur geringen materiellen und personellen Ausstattung solcher Untersuchungsprojekte<br />
müssen Forschungsaufwand und Forschungsertrag<br />
in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden.“ 197 .<br />
196 s. Meyers, Peter, Methoden zur Analyse historisch – politischer Schulbücher, in: Schallenberger,<br />
E. Horst (Hrsg.), Studien zur Methodenproblematik, 1976, S. 68 f.<br />
197 Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
8/1986, S. 335<br />
57
Die Samplebildung<br />
2.3 Die Samplebildung<br />
Die Materialauswahl beziehungsweise die Samplebildung richtet sich <strong>im</strong><br />
Wesentlichen nach der Fragestellung der Untersuchung. Von einem willkürlichen<br />
oder auf dem Prinzip der Zufälligkeit basierenden Prinzip der<br />
<strong>Schulbuch</strong>auswahl soll hier Abstand genommen werden. So ist der Themenstellung<br />
nicht genüge getan, wenn sie nur die in einer best<strong>im</strong>mten<br />
Frist einsehbaren Schulbücher berücksichtigt oder eine möglichst breite<br />
Streuung über die größten <strong>Schulbuch</strong>verlage vorsieht. 198<br />
Kenntnisse über die räumliche und zahlenmäßige Verteilung der in<br />
den Schulen vorhandenen zugelassenen Lehrbücher wären sicherlich<br />
wertvoll, doch weist schon Schallenberger darauf hin, dass die Auflagenhöhe<br />
und damit die Verbreitung eines Werkes nicht zwingend notwendig<br />
etwas mit dessen Bedeutsamkeit zu tun haben muss. „Es wäre beispielsweise<br />
denkbar, daß von einem Buch, das zwar nur eine geringe Auflagenhöhe<br />
hatte, sich aber an einen exklusiven Leserkreis – Internate – richtete,<br />
besondere Wirkungen ausgingen. Ein Werk wiederum, das in Aufmachung,<br />
Anschaulichkeit und Sprache besonders jugendbetont ist, kann in<br />
Einzelfällen oder in der Gesamtheit der Jugendlichen besonders intensiv<br />
gelesen worden sein, ohne daß die Auflagenhöhe – Möglichkeit des Ausleihens<br />
– notwendigerweise auffallend steigen mußte.“ 199 Diese Aussage<br />
lässt sich nicht ohne weiteres auf die heutige Zeit übertragen, steht das<br />
<strong>Schulbuch</strong> doch einer Vielzahl von anderen Informationsträgern, die dem<br />
Schüler zugänglich sind, konkurrierend gegenüber.<br />
Die Analyse zur „Darstellung der europäischen Einigung in baden-württembergischen<br />
Schulbüchern für Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
der Sekundarstufe I“ kann aufgrund der Themenstellung<br />
nur auf Peter Meyers Vorschlag zurückgreifen, alle erreichbaren Schulbücher<br />
zu einem Thema in die Untersuchung miteinzubeziehen. 200 Es sei<br />
hier nochmals darauf verwiesen, dass in dieser Untersuchung keine Erdkundebücher<br />
Eingang finden, ist deren vordringliche Aufgabe doch das<br />
198 vgl. Knechtges, Thomas, Das Thema „Europäische Integration“ in Schulbüchern, in: Lehmann,<br />
Hans Georg (Hrsg.), Die europäische Integration in der interdisziplinären Lehrerbildung,<br />
Bonn 1981, S. 13 f.<br />
199 Schallenberger, E. Horst, Untersuchungen zum Geschichtsbild der wilhelminischen Ära und<br />
der We<strong>im</strong>arer Zeit. Eine vergleichende <strong>Schulbuch</strong>analyse deutscher Schulgeschichtsbücher<br />
der Zeit von 1888 bis 1933, Ratingen 1964, S. 32<br />
200 s. Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen <strong>im</strong> Geschichtsbild der SBZ/DDR, 1983, S.70 f.<br />
58
Aufzeigen der räumlichen Strukturen <strong>Europa</strong>s und nicht die Darstellung<br />
der Geschichte der europäischen Einigung. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen<br />
werden, dass das eine oder andere Geografieschulbuch fächerübergreifende<br />
Aspekte aus der Geschichte oder Gemeinschaftskunde<br />
aufgreift.<br />
Demnach müssen alle vom Land Baden-Württemberg zugelassenen<br />
Schulbücher der Sekundarstufe I für die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
analysiert werden. Dabei werden Lehrbücher, die für das<br />
Schuljahr 1999/2000 zugelassen waren, herangezogen. 201 Ferner sollen<br />
die Veränderungen, die sich durch die neuen Listen der zugelassenen<br />
Schulbücher für das Schuljahr 2000/2001 ergeben, dahingehend miteinbezogen<br />
werden, dass alle neu zugelassenen Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher<br />
der Sekundarstufe I in die Analyse mitaufgenommen<br />
werden. 202 Dies betrifft lediglich ein gymnasiales Gemeinschaftskundebuch.<br />
Die Schulbücher, die nicht mehr auf der erneuerten Liste vorzufinden<br />
und damit auch nicht mehr zugelassen sind, verbleiben trotzdem in<br />
dieser Untersuchung, da sie dadurch ja nicht mit dem vorliegenden Stichdatum<br />
aus der Schulpraxis entfernt werden, sondern lediglich bei Neuanschaffungen<br />
seitens der Schulen nicht mehr berücksichtigt werden können.<br />
Dies betrifft vier Geschichtsbücher und ein Gemeinschaftskundebuch.<br />
Somit steht die Analyse auf der Grundlage von zwei aufeinanderfolgenden<br />
Zulassungslisten.<br />
Das jeweilige Jahr der Zulassung beziehungsweise deren Abänderung<br />
bezüglich einer „Nichtzulassung“ ist <strong>im</strong> Verzeichnis der Schulbücher (s.<br />
Anhang) angegeben.<br />
Das Arbeitsheft „Damals – heute – morgen 10“ für Geschichte in der<br />
Hauptschule ist zwar be<strong>im</strong> Ministerium für Kultus und Sport nicht zur<br />
Zulassung eingereicht worden, doch soll es trotzdem mit in diese Analyse<br />
als Ausnahmefall aufgenommen werden. Sicherlich können die Schulen<br />
das Arbeitsheft anschaffen, doch fällt es dann nicht unter den Aspekt der<br />
Lernmittelfreiheit. Das in den Schulen verwendete Arbeitsheft soll als<br />
analytische Vergleichsmöglichkeit zu dem sonst einzigen für die Werk-<br />
59<br />
Die Samplebildung<br />
201 s. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Kultus und Unterricht,<br />
6a-c /1999 vom 26. März 1999<br />
202 s. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Kultus und Unterricht,<br />
6a-c /2000 vom 24. März 2000 sowie Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg<br />
(Hrsg.), Kultus und Unterricht vom 13. Juni 2000
Die Samplebildung<br />
realschule zugelassenen Geschichtsbuch („Doppelpunkt: Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
10“) dienen.<br />
Insgesamt ergibt sich damit folgende Anzahl und Verteilung der Bücher<br />
auf die Fächer und Schularten:<br />
- Geschichte: 7<br />
- Gemeinschaftskunde: 5<br />
Realschule: - Geschichte: 6<br />
- Gemeinschaftskunde: 4<br />
Gymnasium (Sek. I): - Geschichte: 9<br />
- Gemeinschaftskunde: 3<br />
Hauptschule: 203<br />
Auffallend ist das Übergewicht der Geschichts- (22) gegenüber den<br />
Gemeinschaftskundebüchern (12), was eventuell <strong>im</strong>mer noch auf den<br />
von der Allgemeinheit gesehenen geringen Stellenwert des Faches und<br />
dessen fehlender langandauernder Tradition als Schulfach zurückzuführen<br />
ist.<br />
In der Untersuchung zur „Darstellung der europäischen Einigung in<br />
baden-württembergischen Schulbüchern für Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
der Sekundarstufe I“ werden somit 34 Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher<br />
analysiert.<br />
203 Bei der Zählung der Haupschule muss berücksichtigt werden, dass aufgrund des durch den Bildungsplan<br />
von 1994 neu entstandene Doppelfach Geschichte/Gemeinschaftskunde oft beide<br />
Fachbereiche in einem <strong>Schulbuch</strong> vorhanden sind. Ist dies der Fall, so muss dieser Band doppelt<br />
gezählt werden, d.h. einmal für das Fach Geschichte und einmal für die Gemeinschaftskunde.<br />
60
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
2.4 Die Kategorienbildung<br />
2.4.1 Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von<br />
Schulbüchern<br />
Zur Erreichung von wissenschaftlich zuverlässigen Aussagen stellt die<br />
Bildung von Kategorien eine unabdingbare Voraussetzung dar.<br />
Nach Peter Meyers Ansicht steht und fällt eine <strong>Schulbuch</strong>analyse sogar<br />
mit der Auswahl der Kategorien. „Man muß sich allerdings darüber<br />
<strong>im</strong> klaren sein, dass mit der Kategorienbildung Entscheidungen über das<br />
Ergebnis der Arbeit vorweggenommen werden.“ 204 Somit ist die Formulierung<br />
der Fragestellung <strong>im</strong>mer auch vom subjektiven Interesse des Autors<br />
abhängig. Es ist anzunehmen, dass Historiker mit verschiedenen<br />
ideologischen Richtungen bei der Durchsicht der gleichen Schulbücher<br />
zu unterschiedlichen Kategorien gelangen.<br />
Rolf-Joach<strong>im</strong> Sattler billigt dem Forscher den individuellen Ansatz<br />
zu. „Hier muß, wenn das Untersuchungsthema formuliert ist, dem Bearbeiter<br />
selbst die Auswahl der Einzelfragen und der einzuschlagende Weg<br />
auf der Suche nach Antworten überlassen bleiben. Die Wichtigkeit einer<br />
Klärung der [...] methodischen Frage wird durch diesen Hinweis auf ein<br />
nur unter best<strong>im</strong>mten Fragestellungen und <strong>im</strong> Rahmen einer begrenzten<br />
Zielsetzung praktikables Verfahren noch betont.“ 205<br />
Horst Schallenberger hält die Einteilung der Kategorien erst nach eingehender<br />
Durchsicht des Quellenmaterials, d.h. der Schulbücher für sinnvoll,<br />
„um den Anschein zu vermeiden, als solle durch die Fragestellungen<br />
an die Quellen etwas vorher bereits Feststehendes bewiesen werden.“ 206<br />
Auch Peter Meyers sieht in der Formulierung der Kategorien auf der<br />
Grundlage der bereits vorliegenden Kenntnisse keine Schmälerung in der<br />
Objektivität der Untersuchung. 207<br />
In der vorliegenden Arbeit konnten die Kategorien erst nach eingehender<br />
Prüfung der Schulbücher formuliert werden, da sonst nicht <strong>im</strong>mer<br />
sinnvolle Ergebnisse zu erwarten waren. Ferner wurde ein Pretest, d.h.<br />
204 Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen <strong>im</strong> Geschichtsbild der SBZ/DDR, 1983, S. 72<br />
205 Sattler, Rolf-Joach<strong>im</strong>, Die Französische Revolution in europäischen Schulbüchern , 1959, S.<br />
17<br />
206 Schallenberger, Horst, Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und der<br />
We<strong>im</strong>arer Zeit, 1964, S. 44<br />
207 s. Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen <strong>im</strong> Geschichtsbild der SBZ/DDR, 1983, S. 72<br />
61
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Stichproben an einem Teil des Materials durchgeführt, um die Brauchbarkeit<br />
der Kategorien nachzuprüfen.<br />
Schallenberger warnt aber vor der Verabsolutierung der Kategorien<br />
und möchte sie vielmehr als methodisches Hilfsmittel verstanden wissen.<br />
208<br />
Bei der Kategorienbildung sollten drei formale Anforderungen berücksichtigt<br />
werden:<br />
1. Die Kategorienbildung soll aus einem einheitlichen Einteilungsprinzip<br />
abgeleitet sein.<br />
2. Die einzelnen Kategorien und deren zu erwartende Inhalte müssen<br />
einander ausschließen.<br />
3. Die Kategorienreihe muss erschöpfend sein, d.h. jeder Inhalt des<br />
<strong>Schulbuch</strong>s muss sich einer best<strong>im</strong>mten Kategorie zuordnen lassen. 209<br />
Zu Recht weist Anastasia Kesidou darauf hin, dass mit den Kriterien des<br />
Kategoriensystems auch <strong>im</strong>mer ein „ideales“ Gesamtkonzept verbunden<br />
wird. Dies mag natürlich bei ihrer Curriculaanalyse viel stärker zum Tragen<br />
kommen als bei der hier vorliegenden Untersuchung. 210<br />
Im Folgenden wird auf die Veränderungen in der Geschichtsdidaktik<br />
in den vergangenen Jahrzehnten und deren Auswirkungen auf die konzeptionelle<br />
Entwicklung der Schulbücher eingegangen. Dies erscheint<br />
bei der Entwicklung der Kategorien wichtig, sollen die Kriterien sich<br />
auch auf die aktuelle Diskussion der Didaktik beziehen.<br />
Galt bis Ende der 60er Jahre der Geschichtsunterricht eher als Fach,<br />
das historische Fakten zu vermitteln hat, so fordert es seit den 70er Jahren<br />
die Auseinandersetzung mit vergangenem menschlichen Handeln und<br />
deren Wertvorstellungen. Das Ziel, den Schüler zur Mündigkeit und Demokratie<br />
zu erziehen, steht seither <strong>im</strong> Mittelpunkt des Geschichts-, aber<br />
auch Gemeinschaftskundeunterrichts.<br />
Das auswendig Lernen von Fakten tritt in den Hintergrund.<br />
Die Schulgeschichtsbücher präsentieren sich vor 1965 eher als trockene<br />
und „dürre“ Bücher, die kaum schriftliche Quellen beinhalten, sondern<br />
von Verfassertexten dominiert werden. Die Geschichte wird als „totes“<br />
Wissen <strong>im</strong> Unterricht behandelt.<br />
Ab 1965 entstehen <strong>im</strong>mer mehr Arbeitsbücher, die gegen Ende der<br />
208 s. Schallenberger, Horst, Untersuchungen zum Geschichtsbild der Wilhelminischen Ära und<br />
der We<strong>im</strong>arer Zeit, 1964, S. 47 f.<br />
209 s. Mayritz, Renate/Holm, Kurt/Hübner, Peter, Einführung in die Methoden der empirischen<br />
Soziologie, Opladen 1969, in: Meyers, Peter, Friedrich II. von Preußen, 1983, S. 73<br />
210 s. Kesidou, Anastasia, Die europäische D<strong>im</strong>ension, 1999, S. 38<br />
62
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
70er Jahre ihren Höhepunkt finden. Der Verfassertext dient nur noch als<br />
Hintergrundinformation; die geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit<br />
erfolgt fast ausschließlich über historische Pr<strong>im</strong>ärzeugnisse.<br />
Durch eine Fülle von Arbeitsfragen und -aufgaben wollte man auf gesellschaftliche<br />
Probleme mit historischem Denken antworten. In den 90er<br />
Jahren wird der Verfassertext wieder stärker in den Vordergrund gestellt,<br />
wobei dieser sich geändert hat. Er soll weniger permanent Feststellungen<br />
treffen, als vielmehr auch be<strong>im</strong> Schüler Fragen aufwerfen. 211<br />
Der ständige Wandel des <strong>Schulbuch</strong>s äußert sich auch in den verschiedenen<br />
<strong>Schulbuch</strong>typen. So kann man die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher<br />
in drei Kategorien einteilen:<br />
1. Der Typ des traditionellen Lehrbuchs<br />
Hier überwiegt der Verfassertext kombiniert mit Illustrationen.<br />
2. Der Typ des innovativen Arbeitsbuches<br />
Das reine Arbeitsbuch (s. Quellensammlung) reicht für den Erwerb eines<br />
Orientierungswissens kaum aus. Es hat sich als bedenklich herausgestellt,<br />
den letztendlich überforderten Schüler mit dieser Buchform<br />
alleine zu lassen.<br />
3. Der Typ des kombinierten Lehr- und Arbeitsbuches<br />
Es liegt ein Verbund von darstellenden Texten und einer Materialsammlung<br />
vor und soll dem Schüler neben historischen Informationen<br />
eine Motivation zur Eigentätigkeit bieten. 212<br />
Ein völlig neuer Ansatz ist zur Zeit nicht erkennbar.<br />
Für die vorliegende <strong>Schulbuch</strong>analyse ist es für den Leser sicherlich<br />
wichtig, wenn er Informationen über den <strong>Schulbuch</strong>typ des jeweiligen<br />
<strong>Schulbuch</strong>s erfährt. Es ist zwar schwierig diese Aussage über ein ganzes<br />
<strong>Schulbuch</strong> nur durch die entsprechenden Kapitel der europäischen Einigung<br />
ermitteln zu wollen, indem z. B. der prozentuale Anteil von Autorentext,<br />
Illustrationen und Quellen sowie die Anzahl der Arbeitsaufträge<br />
errechnet werden, doch kann davon ausgegangen werden, dass die <strong>Schulbuch</strong>autoren<br />
nicht in jedem Kapitel einen anderen <strong>Schulbuch</strong>typ einsetzen,<br />
sondern kontinuierlich ihr einmal eingeschlagenes Konzept weiter<br />
verfolgen, zumal eine permanente Änderung des <strong>Schulbuch</strong>typs vom<br />
Schüler wegen der darauf folgenden Überforderung keine Akzeptanz finden<br />
würde.<br />
211 vgl. Bergmann, Klaus, Über Geschichtsdidaktik und Geschichtsbücher, in: Tiemann, Dieter<br />
(Hrsg.), Neue Schulgeschichtsbücher, Bochum 1990, S. 67 – 95<br />
212 s. Tiemann, Dieter, Schulgeschichtsbücher heute – eine Bestandsaufnahme, in: Tiemann, Dieter<br />
(Hrsg.), Neue Schulgeschichtsbücher, 1990, S. 99 f.<br />
63
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Die neueren Schulbücher sind auch in der Berücksichtigung der „historischen“<br />
Lernarten „besser“ geworden. Bodo von Borries sieht vier zur<br />
Zeit vorliegende Lernarten:<br />
1. Das Gedächtnis- oder Reproduktionslernen<br />
Ihm wird eine geringe Motivationswirkung und Handlungsrelevanz<br />
zugesprochen.<br />
2. Imitations- oder Identifikationslernen<br />
Die „Fähigkeit des Miterlebens, Mitleidens und Mitjubelns“ 213 kann<br />
zur Stärkung der Persönlichkeit genutzt, aber auch für fremde Zwecke<br />
missbraucht werden.<br />
3. Entdeckungs- und Einsichtslernen<br />
Damit ist eine vereinfachte Form aus dem wissenschaftlichen Forschungsprozess<br />
gemeint, wobei der Schüler kausale Zusammenhänge<br />
selbstständig erörtern und für weitere historische Einsichten nutzen<br />
soll.<br />
4. Identitäts- oder Balancelernen<br />
Hier soll nicht nur Betroffenheit, sondern auch ein Umdenken durch<br />
Aufklärung des eigenen und fremden Handelns erreicht werden. 214<br />
Wolfgang Hug nennt vier vergleichbare, sich in Teilbereichen unterscheidende,<br />
Grundformen des historischen Lernens, nach welchen sich<br />
seiner Meinung heutige Schulbücher richten:<br />
1. wahrnehmend-intuitives Lernen<br />
Der Schüler erhält durch fragen-entwickelnde Verfahren einen ersten<br />
Eindruck.<br />
2. aufnehmend-informatives Lernen<br />
Der Schüler bekommt mit Hilfe von rezeptivem Lernen eine Übersicht<br />
an historischen Informationen.<br />
3. forschend-exploratives Lernen<br />
Hier steht vor allem das anspruchsvolle Erschließen von Quellen <strong>im</strong><br />
Vordergrund.<br />
4. verwertend-integratives Lernen<br />
Die in der Phase der Ergebnissicherung oder Vertiefung angestrebten<br />
Lehren, die aus der Geschichte zu ziehen sind bzw. der Prozess des<br />
Bewusstmachens, erfordern einen hohen Sachverstand. 215<br />
213 s. Borries, Bodo von, Geschichte lernen – mit heutigen Schulbüchern? in: Geschichte in Wissenschaft<br />
und Unterricht, 9/1983, S. 558 – 584<br />
214 s. ebd. S. 561<br />
215 s. Hug, Wolfgang, Historisches Lernen mit dem Schulgeschichtsbuch „Unsere Geschichte“,<br />
in: Tiemann, Dieter (Hrsg.), Neue Schulgeschichtsbücher, 1990, S. 48 – 66<br />
64
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Die vier Lernarten von Borries lassen sich mit den vier didaktischen<br />
Prinzipien des Erziehungs- und Bildungsauftrags aus dem Fachbereich<br />
der Geschichte umsetzen: dem entdeckenden, problemorientierten, handlungsorientierten<br />
und fächerverbindenden Lernen. 216 Neben der textlichen<br />
Berücksichtigung der didaktischen Prinzipien des Bildungsplanes<br />
in den Schulbüchern, ist die Untersuchung der wiederholenden Aufgabenstellungen<br />
in den Lehrbüchern nach genau diesen Prinzipien sowie<br />
der reinen Textrepetition interessant, da sich diese weitestgehend auf den<br />
<strong>Schulbuch</strong>text und sein Konzept beziehen. Somit wäre zu erkennen, welche<br />
Art des Lernens bei den Textauszügen zur europäischen Einigung<br />
eine besondere Berücksichtigung findet.<br />
Werden häufig in den <strong>Schulbuch</strong>analysen die Autorentexte und<br />
schriftliche Quellen ausführlich analysiert, so muss auch die Bildquelle,<br />
mit der die Historiker traditionell weniger vertraut sind als mit schriftlichen<br />
Quellen, Eingang in diese Analyse finden. Das gilt umso mehr, als<br />
die Autoren mit der verstärkten Visualisierung <strong>im</strong>mer mehr auf die veränderten<br />
Seh- und Lerngewohnheiten heutiger Schüler und auf die Konkurrenz<br />
durch andere Medien reagieren. 217 Die reichhaltige Ausstattung heutiger<br />
Schulbücher reicht sogar oftmals bis zu einem Anteil von 50% aller<br />
Seiten. Waren 1906 erst 6% des Platzes in Geschichtsbüchern mit Illustrationen<br />
belegt, so stieg der Anteil 1930 auf 25% und 1964 auf 43% wegen<br />
den besseren Drucktechniken rapide an. 218 Dabei wird nicht unbedingt<br />
<strong>im</strong>mer ein gezieltes Methodentraining zum Umgang mit dem Bild<br />
als Quelle gefördert, sondern lediglich die Anschaulichkeit und Attraktivität<br />
des <strong>Schulbuch</strong>s gesteigert.<br />
So macht es Sinn in der Arbeit nicht nur den räumlichen Anteil der Illustrationen<br />
an der Thematik zu ermitteln, sondern auch deren Inhalte<br />
und gravierendste Defizite. Der Bildeinteilung von Michael Sauer nach<br />
Personen-, Ereignis-, Alltags-, Landschafts-, Stadtbilder und Rekonstruktionszeichnungen<br />
kann nicht Folge geleistet werden, da dies für die<br />
vorliegende Thematik nicht zweckmäßig erscheint. 219 Nach der Durchsicht<br />
der Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher wird eine Unter-<br />
216 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 21<br />
217 s. Kaufmann, Günter, Neue Bücher – alte Fehler, Zur Bildpräsentation in Schulgeschichtsbüchern,<br />
in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2/00, S. 68 – 88<br />
218 s. Choppin, Alain, Aspekte der Illustration und Konzeption von Schulbüchern, in: Fritzsche,<br />
K. Peter (Hrsg.), Schulbücher auf dem Prüfstand, 1992, S. 137 – 150<br />
219 s. Sauer, Michael, Bilder, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2/00, S. 114 – 124<br />
65
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
gliederung aller Illustrationen in folgende Bereiche unternommen:<br />
– Bilder<br />
– Schaubilder, Zeitleisten<br />
– Karten<br />
– Karikaturen<br />
Da hier nicht nur Geschichts- sondern auch Gemeinschaftskundebücher<br />
analysiert werden, ist es unumgänglich fundamentale didaktische<br />
Analysekriterien dieses Faches mit in den Kriterienkatalog aufzunehmen.<br />
Die Politische Didaktik war lange Zeit durch eine harte Diskussion über<br />
politische und wissenschaftliche Kontroversen geprägt.<br />
Im Herbst 1976 kam es schließlich auf einer gemeinsamen Tagung<br />
fast aller führenden Theoretiker der politischen Bildung zu einem Konsens<br />
in drei Punkten, dem Beutelsbacher Konsens:<br />
„1.Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen<br />
Mitteln auch <strong>im</strong>mer – <strong>im</strong> Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln[...].<br />
Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer<br />
Bildung und Indoktrination.<br />
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch <strong>im</strong> Unterricht<br />
kontrovers erscheinen[...].<br />
3. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation<br />
und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln<br />
und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage <strong>im</strong> Sinne seiner Interessen<br />
zu beeinflussen.“ 220<br />
Diese Prinzipien sind nicht nur in der Politischen Didaktik bis heute<br />
unbestritten, sondern lassen sich auch auf die Geschichte übertragen.<br />
Dabei soll vor allem das Kontroversitätsgebot bei der Analyse Beachtung<br />
finden.<br />
Auch Bodo von Borries fordert die Kontroverse vermehrt in Geschichtsschulbüchern,<br />
da sie „auf der Ebene heutiger Erkenntnisweisen<br />
und Handlungskonsequenzen“ 221 liegt.<br />
Keine geringere Beachtung soll der Aspekt der Multiperspektive finden.<br />
Diese „ist vor allem auf der Ebene der beteiligten Parteien und der<br />
hinterlassenen Quellen anzusiedeln.“ 222<br />
Klaus Bergmann sieht in diesem für ihn unabdingbarem Prinzip die<br />
Chance „die unterschiedlichen Positionen und Perspektiven der an einem<br />
220 Hug, Wolfgang, Historisches Lernen mit dem Schulgeschichtsbuch „Unsere Geschichte“, in:<br />
Tiemann, Dieter (Hrsg.), Neue Schulgeschichtsbücher, 1990, S. 48 – 66<br />
221 Borries, Bodo von, Geschichte lernen – mit heutigen Schulbüchern? in: GWU, 9/1983, S. 569<br />
222 ebd.<br />
66
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
historischen Geschehen Beteiligten und Betroffenen sowie die daraus<br />
hervorgehenden Pr<strong>im</strong>ärzeugnisse“ 223 in den Geschichtsunterricht mit<br />
einzubringen.<br />
Beide Kriterien haben sich nach Borries noch nicht hinreichend<br />
durchgesetzt, obwohl sie heute sicherlich als unverzichtbarer Kern eines<br />
modernen Geschichts- und Gemeinschaftskundeschulbuchs gelten können,<br />
zumal sie Lernziele, wie das Erlernen von Rollenwechseln, Toleranz<br />
und Handlungsfähigkeit unterstützen.<br />
N<strong>im</strong>mt man die in den KMK-Papieren oder dem Rat und der <strong>im</strong> Rat<br />
vereinten Minister für das Bildungswesen enthaltene Forderungen nach<br />
einem europäischen Bewusstsein oder gar der Schaffung einer <strong>Europa</strong>kompetenz<br />
ernst, so sollten die Prinzipien der Multiperspektive und Kontroverse<br />
bei der europäischen Einigung in den Lehrbüchern vorhanden<br />
sein.<br />
Im bisherigen Verlauf des Kapitels wurden einige sich ändernde didaktisch-methodische<br />
Aspekte bei der Konzeption von Geschichts- und<br />
Gemeinschaftskundebüchern angesprochen, die in die <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
zur europäischen Einigung miteinbezogen werden können.<br />
Im Folgenden sollen auszugsweise einige allgemeine Kriterien, die<br />
von Theoretikern der <strong>Schulbuch</strong>analyse aufgestellt wurden, Erwähnung<br />
finden. Davon wird sicherlich der ein oder andere Punkt mit in den Kategorienkatalog<br />
dieser Arbeit in der gleichen oder veränderten Form aufgenommen<br />
werden. Es kann an dieser Stelle nicht auf alle in der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
vorhandenen und wissenschaftlich durchgeführten Analysekriterien<br />
eingegangen werden, da dies zum einen den Rahmen der Arbeit<br />
sprengen würde und zum anderen die erstellten Kategorien auch <strong>im</strong>mer in<br />
einem best<strong>im</strong>mten thematisch gebundenen Untersuchungszusammenhang<br />
verwendet werden. Vielmehr sollen die Untersuchungskriterien als<br />
Anregung für die vorliegende Arbeit dienen.<br />
Udo von der Burg erstellt bei der vergleichenden Analyse der sozialen<br />
Frage des 19. Jahrhunderts in Geschichtslehrbüchern für die Oberstufe in<br />
der Bundesrepublik Deutschland und der DDR allgemeine Kriterien, wie<br />
die räumliche Verteilung des Stoffes in den Schulbüchern, die Stoffauswahl,<br />
Haltung des Autors und des Bildeinsatzes. 224 Die Textanalyse hat<br />
223 Bergmann, Klaus, Multiperspektivität, in: GWU, 45/1994, S. 197<br />
224 s. Burg, Udo von der, Theoretische Bemühungen um die Lösung der sozialen Frage des 19.<br />
Jahrhunderts in der Darstellung von Geschichtslehrbüchern für die Oberstufe in der Bundesrepublik<br />
Deutschland und der DDR – Ein Unterrichtsbeispiel, in: Schallenberger, Ernst Horst<br />
(Hrsg.), Texte für den politischen Unterricht, Kastellaun 1976, S. 9–58<br />
67
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
bei seinem Systemvergleich nicht nur die historischen Inhalte, sondern<br />
auch die Wortwahl mit positiven und negativen Wertungen sowie den<br />
Satzbau bei genauer Analyse der verwendeten Verben zum Gegenstand.<br />
Um die Komplexität einer <strong>Schulbuch</strong>analyse in den Griff zu bekommen,<br />
hat Jürgen Ziechmann sechs Fragenpakete erstellt. 225 Diese gelten<br />
wohl für die Analyse des Sachunterrichts an den Grundschulen, beinhalten<br />
aber auch allgemeine Kriterien, die auf andere Fächer übertragbar<br />
sind. Die ersten beiden Fragenpakete der äußeren Merkmale sind wohl<br />
für den Alltag eines Lehrers unverzichtbar, tragen zur Inhaltsanalyse aber<br />
wenig bei. So wird u.a. nach der Stabilität, dem Format, der Papierqualität,<br />
der graphischen äußeren Gestaltung, der Auflage oder einem möglichen<br />
Medienverbund gefragt. Der folgende Punkt der inhaltlichen Korrektheit<br />
muss bei jeder Analyse zum Zuge kommen. Die inhaltlichen<br />
Tendenzen sind besonders bei gesellschaftspolitischen oder ideologischen<br />
Vergleichen wichtig. Die letzten beiden Fragenpakete der didaktischen<br />
Aufmachung sind zum Teil sehr allgemeiner Natur, berücksichtigen<br />
aber auch unumgängliche Aspekte wie der Textverständlichkeit, der<br />
Altersangemessenheit, den Differenzierungsmöglichkeiten durch das<br />
<strong>Schulbuch</strong> und den vorliegenden Aufgabentypen.<br />
Schwierig erscheint mir die Gewichtung der Fragenpakete durch einzelne<br />
Punkte. Es bleibt offen, wie der Autor eine Endbeurteilung (Gesamtzahl<br />
der Punkte) in eine Benotung (Notenskala) des analysierten<br />
<strong>Schulbuch</strong>s umwandelt. Keine Objektivität ist in diesem Zusammenhang<br />
mit der Verteilung der Punkte für die einzelnen Fragen gegeben, zumal<br />
nicht nur jedes Fragenpaket unterschiedlich gewichtet wird, sondern dies<br />
auch mit einer unterschiedlichen Anzahl von Fragen lenkbar ist. So ist es<br />
sicherlich ein Unterschied, ob die inhaltliche Korrektheit wie <strong>im</strong> Beispiel<br />
mit vier Fragen abgedeckt ist oder aber die Fragen zur didaktischen Gestaltung<br />
<strong>im</strong> Vergleich dazu mit 14 Untersuchungsaspekten schon durch<br />
die Fragenanzahl ein unumgänglich größeres Gewicht darstellen.<br />
Eine Wertung der Schulbücher mittels einer Punkteskala mag für den<br />
Lehrer von Vorteil sein, der vor dem Erwerb eines <strong>Schulbuch</strong>es steht und<br />
dabei vor allem auch die Preisfrage und die äußeren Merkmale von ganz<br />
entscheidender Bedeutung sind. Bei der vorliegenden Inhaltsanalyse zur<br />
europäischen Einigung erscheint mir eine Beurteilung der Inhalte per<br />
225 s. Ziechmann, Jürgen, Überlegungen zur Analyse von Schulbüchern für den Sachunterricht an<br />
der Grundschule, in: Schallenberger, E. Horst/Hantsche Irmgard (Hrsg.), Das <strong>Schulbuch</strong>: Analyse<br />
– Kritik – Konstruktion, Zur Sache <strong>Schulbuch</strong>; Band X, Kastellaun 1978, S. 157 – 193<br />
68
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Punkte zu einem oberflächlichen und subjektiven Ergebnis zu führen, das<br />
eventuell lediglich eine Rangfolge der Schulbücher ergibt. Vielmehr<br />
wird es gelten, die Inhalte und Defizite zur europäischen Einigung herauszuarbeiten.<br />
Zwar ist Wolfgang Marienfelds „Geschichte <strong>im</strong> Lehrbuch der Hauptschule“<br />
schon in den 70er Jahren erschienen, doch scheinen die 15 aufgeführten<br />
didaktischen und methodischen Kriterien zur <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. 226 Auch hier wird die sachliche<br />
Richtigkeit, die Zeitgemäßheit des Geschichtsbildes, das Anschauungsmaterial<br />
sowie die Erklärung der Begrifflichkeiten, der Umfang des stofflichen<br />
Angebots, die Altersgemäßheit, die Bildausgestaltung und die kartografischen<br />
Darstellungsformen detailliert mit Fragen untergliedert. Interessant<br />
ist neben der Ermittlung von epochenübergreifenden Strukturen<br />
die Frage, inwieweit die Geschichte als Entscheidung und Tat der Menschen<br />
sowie deren Grunderfahrungen oder auch als offener oder <strong>im</strong>merwährender<br />
Entscheidungsprozess <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> aufgegriffen wird.<br />
Die weltpolitischen Verknüpfungen, sei es in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher<br />
oder kultureller Hinsicht bzw. die wechselseitige Abhängigkeit<br />
verschiedener Handlungsräume, subsumiert Marienfeld unter der<br />
Kategorie der Darstellung der Geschichte als übergreifender Zusammenhang.<br />
Eine allzu vereinfachte und isolierte Präsentation der historischen<br />
Ereignisse erfüllt sicherlich nicht den didaktischen Auftrag der geschichtlichen<br />
Reflektion.<br />
Eng mit der Kategorie der Geschichte als Entscheidung der Menschen<br />
lassen sich die Kriterien der Gruppen als handelnde Einheiten und die bewegenden<br />
Kräfte innerhalb historischer Prozesse verbinden. Mit dieser<br />
Geschichtsdarstellung soll be<strong>im</strong> Schüler letztendlich die Bereitschaft<br />
zum politischen Handeln, die Mitverantwortung und Verantwortungsfähigkeit<br />
für historische Prozesse erzeugt werden. Durch die aufgeführten<br />
Analysekriterien wie auch dem eingebundenen Werturteil versucht Marienfeld<br />
einer reinen Faktendarstellung entgegen zu wirken und hält das<br />
Aufzeigen von historischen Ursachen und Wirkungen als Voraussetzung,<br />
um be<strong>im</strong> Schüler sein Urteilsvermögen auszubilden.<br />
Verschiedene Darbietungs- und Arbeitsformen sollen mit Hilfe des<br />
Methodenmonismus oder-pluralismus festgestellt werden, wobei eine<br />
große Anzahl unterschiedlicher methodischer Ansätze für sich gesehen<br />
226 s. Marienfeld, Wolfgang, Geschichte <strong>im</strong> Lehrbuch der Hauptschule, Stuttgart 1972<br />
69
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
noch keinen Wert darstellt. Diese sollten be<strong>im</strong> Schüler auch eingeübt und<br />
inhaltlich auf den <strong>Schulbuch</strong>text abgest<strong>im</strong>mt sein.<br />
Mittels der Analyse der <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> zur Verfügung gestellten Aufgaben<br />
oder möglicher textlicher Hinweise für den Schüler, die natürlich<br />
<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Zusammenhang mit den präsentierten Materialien wie Autorentext,<br />
Quellen- oder Bildeinsätzen zu sehen sind, kann die Vielfalt der<br />
Methoden sicherlich nachgewiesen werden.<br />
Sollen in der vorliegenden Untersuchung vermehrt die in den Schulbüchern<br />
vorhandenen Inhalte zur europäischen Einigung herausgearbeitet<br />
werden, so ist auch <strong>im</strong>mer darauf zu achten, in wieweit dieser Teil der<br />
Zeitgeschichte als offener Prozess dargestellt wird und in welchem Maße<br />
Personen oder Personengruppen als bewegende Kräfte miteinbezogen<br />
werden. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob der Einigungsprozess<br />
<strong>Europa</strong>s rational durch die Gründungen der Institutionen aufgezählt wird<br />
oder die Beweggründe der Menschen und ihr Handeln miteinbezogen<br />
werden, was natürlich nicht zu einer absoluten Personifizierung führen<br />
darf.<br />
Jörn Rüsen untern<strong>im</strong>mt bei der Auflistung seiner allgemeinen Kriterien<br />
für die <strong>Schulbuch</strong>analyse von Geschichtsbüchern eine Vierteilung.<br />
227 Dem Analysegesichtspunkt der unterrichtlichen Brauchbarkeit<br />
mit den Aspekten des formal klaren Aufbaus, der didaktischen Strukturierung,<br />
dem Schüler- und Unterrichtsbezug folgt ein klassischer Dreischritt<br />
in den Kategorien der historischen Wahrnehmung, Deutung und<br />
Orientierung.<br />
Auch findet man die schon erwähnten Fragen zur Präsentation historischer<br />
Materialien wie Bilder, Karten, Text- oder Quellenmaterial, die<br />
Mehrd<strong>im</strong>ensionalität und Multiperspektive, dem fachlichen und methodischen<br />
Standard sowie der Überzeugungskraft der Darstellung. Ebenso<br />
wie Marienfeld legt Jörn Rüsen Wert auf die Analyse des Prozesscharakters<br />
der Geschichte, der übergreifenden Perspektiven, die eben nicht nur<br />
nationale Geschichte beinhalten, der historischen Urteilsbildung, die als<br />
Lernchance für die Schüler verstanden wird sowie der Gegenwartsbezüge<br />
zur Orientierung in der heutigen Zeit.<br />
Dietmar Raufuss weist zwar darauf hin, dass seine Fragen zur Begutachtung<br />
von Schulbüchern eher für die Schulpraxis als für wissenschaftliches<br />
Arbeiten gedacht sind, doch stellt allein die große Anzahl von 82<br />
227 s. Rüsen, Jörn, Das ideale <strong>Schulbuch</strong>, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, 14/1992, S. 237<br />
– 250<br />
70
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Fragen zur Analyse eines <strong>Schulbuch</strong>es für den Lehrer ein enormes zu bewältigendes<br />
Pensum dar. 228<br />
Hervorzuheben ist in der sinnvollen Grobeinteilung die Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
der Schulbücher mit den Lehrplänen. Dieser Gesichtspunkt muss<br />
bei der vorliegenden Arbeit unbedingt mitaufgenommen werden. Ansonsten<br />
sind die Analysekriterien bei Raufuss nicht speziell für das Fach<br />
Geschichte abgest<strong>im</strong>mt, beachten aber <strong>im</strong>mer wiederkehrende Fragen<br />
nach der Sprache, der vereinfachten wissenschaftlichen Darstellung, der<br />
Verständlichkeit und dem Aufbau der Inhalte.<br />
Die schon erwähnte Arbeit von Peter Weinbrenner stellt ihre Kategorien<br />
vor allem für die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Lehrbücher<br />
auf. 229 Diese mit Manfred Laubig und Heidrun Peters zusammen erarbeiteten<br />
Ergebnisse sind auch unter der Bezeichnung der „Bielefelder<br />
Kriterien“ 230 bekannt geworden.<br />
Die fünf D<strong>im</strong>ensionen (Wissenschaftstheorie, Design, Fachwissenschaft,<br />
Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft) finden eine Unterteilung<br />
in 25 Kategorien, denen aber nur eine paradigmatische Struktur zugesprochen<br />
wird. Wesentlich neue Inhalte kommen hier nicht zum Tragen,<br />
doch kann die klare Gliederungsstruktur bei <strong>Schulbuch</strong>analysen hilfreich<br />
sein. Folgende Kategorien lassen sich den D<strong>im</strong>ensionen zuordnen:<br />
1. Wissenschaftstheorie:<br />
– erkenntnisleitende Interessen<br />
– Aussageanalyse<br />
– Begriffsbildung<br />
– Werturteil<br />
– Ideologiebildung<br />
2. Design:<br />
– äußeres Design<br />
– Typografie<br />
– Farbe<br />
– Grafik<br />
3. Fachwissenschaft:<br />
– sachliche Richtigkeit<br />
228 s. Raufuss, Dietmar, Fragen zur Begutachtung von Schulbüchern, in: Neue Unterrichtspraxis,<br />
13/1980, S. 420 – 426<br />
229 s. Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
8/1986, S. 321 – 337<br />
230 s. Laubig, Manfred, Peters, Heidrun, Weinbrenner, Peter, Methodenprobleme der <strong>Schulbuch</strong>analyse,<br />
Bielefeld 1986<br />
71
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
– aktueller wissenschaftlicher Diskussionsstand und Paradigmenwechsel<br />
– Kontroversität<br />
– Methoden<br />
4. Fachdidaktik:<br />
– fachdidaktischer Ansatz<br />
– Lernzielorientierung<br />
– Strukturierung und Sequenzierung<br />
– Reduktion und Transformation<br />
– Problemorientierung<br />
– Richtlinienbezug<br />
5. Erziehungswissenschaft:<br />
– erziehungswissenschaftliches Paradigma<br />
– <strong>Schulbuch</strong>typ<br />
– Didaktische Funktion des <strong>Schulbuch</strong>s<br />
– Methodische Funktion des <strong>Schulbuch</strong>s<br />
– Textarten, Textstruktur und Textverständlichkeit<br />
– Kommunikations- und Interaktionsformen 231<br />
Auffallend bei dem Analyseraster ist die in der Literatur oft geforderte<br />
Einbeziehung der drei Wissenschaften (jeweilige Fachwissenschaft und<br />
-didaktik sowie Erziehungswissenschaft), die ein <strong>Schulbuch</strong> – gleich<br />
welcher Disziplin – ausmachen, wobei die speziellen fachdidaktischen<br />
und erziehungswissenschaftlichen Ansätze eine große Beachtung finden.<br />
Die vielfältigen Fragen zu den einzelnen Kategorien können hier nicht<br />
berücksichtigt werden.<br />
Gleichwohl gilt es solche Analyseraster <strong>im</strong>mer mit Inhalten zu füllen,<br />
d.h. bei den Schulbüchern methodisch anzuwenden, da sie für sich betrachtet<br />
ohne Anwendung und Ergebnisse zum bloßen Selbstzweck mutieren.<br />
Eine ähnlich aufwendige Checkliste liegt mit dem Reutlinger Raster<br />
vor. 232 Dabei hat die Forschungsgruppe über 40 vorhandene Analyseraster<br />
bei der Erstellung ihres Ergebnisses untersucht und miteinbezogen.<br />
Das Reutlinger Raster ist zur Bewertung von Lehrer- und Schülerband<br />
und den dazugehörigen Arbeitsmappen für den Lehrer gedacht. 233 Ursprünglich<br />
für den Sachkundeunterricht konzipiert, soll es als Entschei-<br />
231 s. Weinbrenner, Peter, Kategorien und Methoden, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
8/1986, S. 327<br />
232 s. Rauch, Martin / Tomaschewski, Lothar, Reutlinger Raster, Reutlingen 1986<br />
233 s. Fritzsche, K. Peter, <strong>Schulbuch</strong>forschung und <strong>Schulbuch</strong>beurteilung <strong>im</strong> Disput, in: Fritzsche,<br />
K. Peter (Hrsg.), Schülerbücher auf dem Prüfstand, 1992, S. 9–22<br />
72
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
dungshilfe bei der Einführung neuer Unterrichtswerke aller Fachrichtungen<br />
dienen. Das Raster n<strong>im</strong>mt zudem noch eine Gewichtung der einzelnen<br />
Merkmale vor. Der Lehrer soll allerdings erst nach vollständiger<br />
Analyse der in dem Reutlinger Raster vorgegebenen Fragen zu einem allgemeinen<br />
Teil, dem Lehrer- und Schülerband sowie der Arbeitsmappe<br />
ein Gesamturteil fällen. Zwar sind die Aussagen der Analyse durch die<br />
Einteilung in Kategorien und Merkmale absolut nachvollziehbar, doch<br />
das Raster ist zu differenziert. So ist der Lehrer bei der Analyse eines Buches<br />
aufgefordert 396 Fragen zu beantworten, was eventuell zu einer zeitlichen<br />
Überforderung führen kann. Ein abgekürztes Verfahren bietet die<br />
Reutlinger Gruppe für den Sachunterricht an.<br />
Zur Ergebnissicherung soll ein Gutachtertext von ca. vier DIN A4-<br />
Seiten und eine Visualisierung per Balkendiagramm erfolgen.<br />
Die Kategorien umfassen folgende Bereiche: bibliographische Angaben,<br />
Ziele und Inhalte des Buches, das angewandte Lehrverfahren, die<br />
Adressaten, Gestaltung, Aufgaben, den Bildeinsatz und das Verhältnis<br />
von Bildern zum Text.<br />
Bei der Untergliederung der Kategorien in die einzelnen Merkmale ist<br />
eine Dominanz bei der Gestaltung, dem Text- und Bildeinsatz festzustellen.<br />
Die Forschergruppe bindet zudem viele der Grundschule angemessenen<br />
Untersuchungsmerkmale mit ein.<br />
Auf die einzelnen Aspekte wie z. B. der sachlichen Richtigkeit, der<br />
Buchgestaltung oder aber dem motivierenden Charakter kann hier nicht<br />
eingegangen werden.<br />
In der vorliegenden Arbeit müssen die Kategorien sicherlich an die<br />
Lernweise der Sekundarstufe I angepasst, jedoch soll auf die Festlegung<br />
verschiedener Kategorien für die drei weiterführenden Schularten<br />
(Haupt-, Realschule und Gymnasium) verzichtet werden, da die Inhalte<br />
zur europäischen Einigung zum einen in allen Schularten in den Klassen<br />
9 und 10 vermittelt werden und der Altersunterschied somit zu vernachlässigen<br />
ist. Zum anderen können dadurch bei der abschließenden Beurteilung<br />
besser Vergleiche und Unterschiede bei der inhaltlichen Umsetzung<br />
in den Schularten herausgearbeitet werden.<br />
Die Fragestellungen dieser Arbeit sollen ferner die Spezifika der europäischen<br />
Einigung miteinbinden, sodass das Reutlinger Raster nur als<br />
Anregung zu verstehen ist. So kann das Reutlinger Raster, das sehr allgemein<br />
gehalten ist, nicht zur Ermittlung von Einzelthemen zur europäischen<br />
Einigung dienen, wie es Ziel der vorliegenden Arbeit ist.<br />
73
Mögliche Analysekriterien zur Bewertung von Schulbüchern<br />
Sehr viel allgemeiner äußert sich Peter Fritzsche mit den „Braunschweiger<br />
Kriterien“ (1989) 234 . Sie orientieren sich eng an den Vorgaben<br />
der UNESCO.<br />
So fordert Peter Fritzsche, dass der dargebotene Stoff nicht <strong>im</strong> Widerspruch<br />
zu den wissenschaftlichen Ergebnissen stehen darf und bezieht die<br />
wissenschaftliche Debatte der Kontroverse mit ein. Unter den didaktischen<br />
Standards sind u.a. die Prinzipien der Multiperspektive und Kontroverse<br />
aufgeführt. Das Kriterium der Vorurteilsfreiheit und Vorurteilskritik<br />
greift den von der UNESCO <strong>im</strong>mer wieder geforderten Abbau von<br />
Feindbildern, Rassismen und Vorurteilen auf, auch indem das <strong>Schulbuch</strong><br />
z. B. best<strong>im</strong>mte Vorurteile selbst zum Thema macht und Strategien zur<br />
Begrenzung dieser anbietet.<br />
Einer Begrenzung der Missverständnisse und Manipulationen sowie<br />
der „underlying assumptions“ versucht man durch das Kriterium der<br />
Transparenz zu begegnen. Die große Bedeutung der Bilder und ihrer möglichen<br />
Funktion der Manipulation wird durch die gewünschte „angemessene<br />
Bildrhetorik“ 235 <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> untersucht. Auch bei den Braunschweiger<br />
Kriterien ergeben sich Spielräume in der Analyse; diese sind aber erst<br />
durch konkrete Themenstellungen der <strong>Schulbuch</strong>analyse auffüllbar.<br />
Ebenso hat das Wiener <strong>Schulbuch</strong>institut ein allgemeines <strong>Schulbuch</strong>raster<br />
zur Bewertung von Lese-, Geschichts-, Geografie- und Physikbüchern<br />
entwickelt. 236 Die Prüfliste für die Geschichte ist mit 86 Fragen<br />
recht voluminös; hinzu kommt noch ein allgemeines Prüfraster von 58<br />
Fragen. Der Schwerpunkt des Wiener <strong>Schulbuch</strong>instituts liegt bei der<br />
Lesbarkeit und Verständlichkeit der <strong>Schulbuch</strong>texte.<br />
Ein von dem Institut durchgeführter „Cloze-Test“ 237 hat 1988 bei<br />
Schülern eine 30% höhere Lernleistung durch den Einsatz von verständlicheren<br />
Texten ergeben. Ein weiteres Augenmerk gilt der Qualität der<br />
Aufgaben in Schulbüchern. Es wurde eine zu hohe Reproduktion des<br />
Textes festgestellt, wobei die Affektion und das Methodentraining bei<br />
den Geschichtsbüchern vernachlässigt werden.<br />
Die in Zusammenarbeit mit dem <strong>Europa</strong>rat aufgestellten deutschösterreichischen<br />
Kriterien zur <strong>Schulbuch</strong>analyse zeigen in ihrer Aus-<br />
234 ebd.<br />
235 ebd., S. 20<br />
236 s. ebd., S. 14<br />
237 s. Thonhauser, Josef, Was Schulbücher (nicht) lehren – <strong>Schulbuch</strong>forschung unter erziehungswissenschaftlichem<br />
Aspekt (Am Beispiel Österreich), in: Fritzsche, K. Peter, Schulbücher auf<br />
dem Prüfstand, 1992, S. 55 – 79<br />
74
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
wahl, dass bei der Analyse historischer Bücher eine gewisse Übereinkunft<br />
in wichtigen Fragestellungen erreicht wurde, wie z. B. die folgenden<br />
Aspekte zeigen:<br />
– „Does the textbook explain the educational function of the textbook [...]?<br />
– Is history presented in a pluralistic and open approach [...]?<br />
– Does the textbook promote European awareness [...]?<br />
– Does the textbook include a presentation of problems [...]?<br />
– Do most of the illustrations [...] in the book transmit informations<br />
[...]?“ 238<br />
Die Liste der möglichen Kategorien oder Frageraster zur Analyse von<br />
Schulbüchern könnte weiter fortgeführt werden. Die wichtigsten Aspekte<br />
zur Analyse von Geschichtsbüchern sind <strong>im</strong> Verlauf des Kapitels genannt<br />
worden.<br />
Abschließend sei noch auf die Kriterienliste der UNESCO hingewiesen,<br />
die weite Teile der vorliegenden Arbeit abdeckt. 239 Sie weist auf die<br />
Analyse der Erziehungssysteme und der geltenden Curricula, des Autorentextes,<br />
der Illustrationen, Quellen, Aufgaben und der Perspektive in<br />
der Darstellung hin.<br />
Im folgenden Kapitel sollen nicht nur mögliche schon durch Analysen<br />
oder andere Arbeiten durchgeführte Kriterien zur europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
erläutert, sondern auch die Kriterien zur Analyse der europäischen Einigung<br />
für die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher festgelegt<br />
werden.<br />
2.4.2 Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur<br />
europäischen Einigung<br />
In diesem Kapitel sollen in einem ersten Schritt die bei bisherigen Analysen<br />
oder Arbeiten aufgestellten Kriterienkataloge zur Thematik der europäischen<br />
Einigung <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> aufgeführt werden. Dabei beschränkt<br />
sich die Arbeit auf eine gezielte Auswahl solcher Kriterienkataloge.<br />
In einem zweiten Schritt wird der für diese Analyse geltende Fragenkatalog<br />
erstellt, der sicherlich den einen oder anderen Aspekt bisheriger<br />
Untersuchungen mitaufn<strong>im</strong>mt.<br />
238 Report of Discussion Group 3 (Germany, Austria), Criteria for textbook evaluation, in: Bourdillon,<br />
Hilary, History and Social Studies – Methodologies of Textbook Analysis, Amsterdam/Lisse<br />
1992, S. 107<br />
239 s. UNESCO, List oft Criteria for Analysis, in: Pingel, Falk, UNESCO-Guidebook, 1999, S. 48<br />
75
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Das Sekretariat des <strong>Europa</strong>rates fordert 1992, dass die europäische<br />
D<strong>im</strong>ension in den Schulbüchern enthalten sein muss. 240 Ferner sollen die<br />
<strong>Schulbuch</strong>autoren dabei eine klare Position beziehen und nicht nur die<br />
Wissensvermittlung ins Auge fassen, sondern durch eine schülerorientierte<br />
Sprache, zu einem kritischen Denken erziehen. Besonderen Wert<br />
sollte nach Ansicht des <strong>Europa</strong>rates auf das Layout, Design und die Illustrationen<br />
gelegt werden, da neben dem <strong>Schulbuch</strong> <strong>im</strong>mer mehr andere<br />
attraktive Medien auf den Markt gelangen.<br />
Diese eher allgemein gehaltenen Aussagen konkretisiert Winfried<br />
Böttcher mit seiner schon erwähnten Analyse, indem er von der Fragestellung<br />
ausgeht: Was kann ein Schüler <strong>im</strong> günstigsten Fall über die europäische<br />
Integration per <strong>Schulbuch</strong> lernen? 241<br />
Von allgemeinen Thesen zur <strong>Europa</strong>politik entwickelt Winfried Böttcher<br />
seine fünf Leitfragen zur Integration Westeuropas:<br />
1. Inwieweit berücksichtigt das <strong>Schulbuch</strong> die historische Entwicklung<br />
der europäischen Integration seit 1945?<br />
2. Werden solche Fragen <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> diskutiert?<br />
3. Schafft die europäische Integration <strong>im</strong> Vergleich zu den Nationalstaaten<br />
ein mehr an Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit, Demokratie, Bildungschancen,<br />
Hilfen für die Dritte Welt und Frieden?<br />
4. Welche Wechselwirkung zwischen der Innen- und Außenpolitik der<br />
Gemeinschaft finden sich <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>?<br />
5. Wird <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> auf die Schwierigkeiten der Integrationsbemühungen<br />
eingegangen?<br />
6. Fördert das <strong>Schulbuch</strong> be<strong>im</strong> Schüler die Bereitschaft nationalstaatliches<br />
Verhalten zugunsten einer europäischen Einigung aufzugeben?<br />
242<br />
Die Leitfragen zum didaktischen Gefüge orientieren sich an der Offenlegung<br />
des erkenntnisleitenden Interesses, den Lernzielen, der Art der Vermittlung,<br />
dem Einsatz der Fachsprache und an der Schaffung eines Problembewusstseins.<br />
243 Die Ergebnisse fasst Böttcher in Thesen zusammen.<br />
240 s. Conclusions of the Council of Europe’s Secretariat, in: Bourdillon, Hilary, History and Social<br />
Studies, 1992, S. 109 – 112<br />
241 s. Böttcher, Winfried, Die west-europäische Integration in Schulbüchern der Bundesrepublik,<br />
in: Neumann, Günther/Schallenberger, E. Horst, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>, Duisburg 1978, S. 38 –<br />
51<br />
242 s. ebd., S. 42 – 43<br />
243 s. ebd., S. 43<br />
76
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Bei dem Raster zur Untersuchung <strong>Europa</strong>s in den Schulbüchern von<br />
Beate Gödde-Baumanns sollen nur die speziellen Fragen zur europäischen<br />
Einigung berücksichtigt werden. 244 Dabei legt sie zur Behandlung<br />
des Themas der Europäischen Gemeinschaft ein detailliertes Analyseraster<br />
mit folgenden Themenbereichen vor:<br />
– Die Grundlagen der EG<br />
– Die Institutionen der EG<br />
– Die Politikbereiche der EG<br />
– Konzeptionen für die Weiterentwicklung der EG (<strong>Europa</strong>modelle)<br />
– Pro und Contra EG 245<br />
Durch die straffe und endgültige Untergliederung werden die Schulbücher<br />
mit dem vorgegebenen Idealtypus verglichen, was einer gewissen<br />
Unvoreingenommenheit und Offenheit widerspricht.<br />
Ferner kann es bei genauerer Betrachtung gerade bei den Gemeinschaftskundebüchern<br />
zu Überschneidungen bezüglich der Zuordnung der<br />
Inhalte kommen. So lassen sich sicherlich die Politikbereiche der EG mit<br />
positiven oder negativen Wertungen in einigen Schulbüchern vorfinden.<br />
Der Entwurf eines Rasters zur quantitativen Feinanalyse von Schulbüchern<br />
zur europäischen Einigung von Barbara Teves soll Auskunft über<br />
das Vorhandensein und den Umfang u.a. folgender Stichpunkte geben,<br />
die in sich wiederum eine Feingliederung erfahren 246 :<br />
– Gemeinsames Erbe<br />
– Gemeinsame Prinzipien<br />
– Gemeinsame Ziele<br />
– Einigungsbemühungen (Marshall-Plan, deutsch-französische Versöhnung)<br />
– <strong>Europa</strong>rat (Kriterien, Kompetenzen, Organe, Vereinbarungen)<br />
– Europäische Integration (<strong>Europa</strong>modelle)<br />
– Europäische Gemeinschaft (Historische Schritte zur Einigung, Politikbereiche,<br />
Probleme)<br />
– Organe der EG<br />
244 s. Gödde-Baumanns, Beate, Beschreibung eines Idealtypus „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>“ und Fragestellungen<br />
und Gödde-Baumanns, Beate, Entwurf eines Fragesbogens für die Erstellung einer<br />
Übersicht „<strong>Europa</strong> in Schulbüchern aus <strong>Europa</strong>“, in: Gödde-Baumanns, Beate (Hrsg.),<br />
<strong>Schulbuch</strong>-Thema: <strong>Europa</strong>, Hohe Ziele – Kleine Schritte, Duisburg o. J., S. 78 – 89<br />
245 s. ebd., S. 87 – 89<br />
246 s. Teves, Barbara, Entwurf eines Rasters zur Feinanalyse von Schulbüchern aus der Bundesrepublik<br />
Deutschland zum Thema „<strong>Europa</strong>/Europäische Einigung“ seit 1945, in: Gödde-Baumanns,<br />
Beate (Hrsg.), <strong>Schulbuch</strong>-Thema: <strong>Europa</strong>, o. J., S. 91 – 98<br />
77
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
– Rolle der EG in der Welt 247<br />
Auch hier ergibt sich die Schwierigkeit, die entsprechenden <strong>Schulbuch</strong>inhalte<br />
den jeweiligen Analysegesichtspunkten und deren Untergliederung<br />
zuzuordnen. Das Raster muss in der Lage sein, alle Inhalte zur europäischen<br />
Einigung widerzuspiegeln. Aus heutiger Sicht müsste das Raster<br />
deswegen eine Aktualisierung erfahren.<br />
Bei der vorliegenden Arbeit wird auf ein zuvor festgelegtes Raster zur<br />
quantitativen Feinanalyse verzichtet, da es unweigerlich den Idealtyp des<br />
Autors über Inhalte in den Schulbüchern darstellt. Vielmehr müssen ausgehend<br />
von den Schulbüchern die Inhalte über die europäische Einigung<br />
festgestellt werden.<br />
Ein etwas anders angelegtes Raster bezieht sich auf eine Stichwortanalyse.<br />
Dabei nehmen Sue Eickhoff und Alfred Pletsch keine Raumanalyse<br />
<strong>im</strong> herkömmlichen Sinne vor, sondern untersuchen Geografieschulbücher<br />
nach dem Vorhandensein oder Fehlen zuvor festgelegter Stichworte.<br />
248 Das von beiden Autoren festgelegte Kriterium der „ausführlichen<br />
Behandlung“ erfährt keine genauere Definition.<br />
Die von Sue Eickhoff und Alfred Pletsch aufgestellten Stichworte<br />
zum Thema „<strong>Europa</strong>“ gehen weit über die Fragestellung zur europäischen<br />
Einigung hinaus, wie z. B. die Untersuchung über die Topografie<br />
und räumlichen Strukturen <strong>Europa</strong>s. Hier seien nur die zur Thematik dieser<br />
Analyse passenden Stichworte genannt:<br />
– historische Entwicklung der europäischen Integration<br />
– Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der EG/EU<br />
– europäische Institutionen<br />
– Öffnung des östlichen <strong>Europa</strong>s<br />
– europäischer Binnenmarkt/Währungsunion<br />
– Politikbereiche: EG/EU-Agrarpolitik, gemeinsamer Umweltschutz,<br />
Energiepolitik, Verkehrspolitik, Regionalordnungspolitik<br />
– EG/EU <strong>im</strong> Welthandel<br />
– Beziehungen der EG/EU zu Entwicklungsländern<br />
– Zukunftsperspektiven 249<br />
Die Autoren unterlassen eine weitere Untergliederung der Stichworte.<br />
Ein weiteres Beispiel für eine Checkliste zur Analyse der Geschichte<br />
247 s. ebd., S. 94 – 98<br />
248 s. Eickhoff, Sue/Pletsch, Alfred, Das Thema „<strong>Europa</strong>“ <strong>im</strong> Geographieunterricht – Rahmenrichtlinien<br />
und Schulbücher <strong>im</strong> Vergleich, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung (Zeitschrift<br />
des Georg-Eckert-Instituts für <strong>Schulbuch</strong>forschung), 20/1998, S. 175 – 202<br />
249 s. ebd., S. 190 – 191<br />
78
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
zur europäischen D<strong>im</strong>ension liegt mit dem Bericht des dritten internationalen<br />
Symposiums von Dillingen vor. 250 Man geht hier vom Wissen aus,<br />
das die Schüler über die europäische D<strong>im</strong>ension aus Schulbüchern erwerben<br />
sollen.<br />
Die Schüler sollen u.a.:<br />
– in die Gründe der europäischen Integration eingeführt werden<br />
– die kooperativen und integrativen Interessen kennen<br />
– die europäischen Institutionen und ihr Zusammenarbeiten bis zur Entscheidungsfindung<br />
kennen<br />
– Einsicht in den Prozess der Entscheidungsfindung erhalten<br />
– Wissen über die europäischen Kulturen erwerben<br />
– am europäischen Prozess in der Zukunft mitwirken können<br />
– die Geschicklichkeit gewinnen, sich eigene Informationen und Meinungen<br />
über <strong>Europa</strong> bilden zu können.<br />
Eindeutig wird hier neben dem Wissenserwerb versucht, ein europäisches<br />
Bewusstsein be<strong>im</strong> Schüler zu initiieren.<br />
Nicht alltäglich ist die Aufstellung von Prüfkriterien zur „Europäischen<br />
D<strong>im</strong>ension“ bei Lehr- und Lernmitteln durch ein Kultusministerium.<br />
Die Erfurter Kriterien sind als Reaktion auf die Empfehlung der Kultusministerkonferenz<br />
„<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“ vom 07. Dezember 1990<br />
zu verstehen. 251 Neben der Stärkung des Grundlagenwissens ist es das<br />
Ziel der Empfehlung des Erfurter Kultusministeriums, ein europäisches<br />
Bewusstsein und eine europäische Identität zu wecken.<br />
<strong>Schulbuch</strong>werke zur politischen Bildung 252 sollen den bisherigen<br />
Stand der europäischen Einigung widerspiegeln und nicht auf halbem<br />
Weg stehenbleiben. Explizit wird die Einbeziehung des Vertrags von<br />
Maastricht als Standard erwähnt.<br />
Um Schulbücher auf den kulturellen Bildungsgehalt zu überprüfen,<br />
sollte auf Alltagserlebnisse und -erfahrungen aus der unmittelbaren Lebenswirklichkeit<br />
der Schüler geachtet werden. 253 Ebenso ist der multiperspektivische<br />
Ansatz bei den Quellen und Texten angesprochen, der die<br />
250 s. Total list of theme categories and theme elements for history, in: Barr, Jan/Hooghoff, Hans<br />
(Hrsg.), Report on the Third International Dillingen Symposium „The European D<strong>im</strong>ension in<br />
Education“, Enschede 1992, o. S.<br />
251 s. Thüringer Kultusministerium/Zentrum für Europäische Bildung, Erfurter Kriterien für den<br />
Prüfaspekt „Europäische D<strong>im</strong>ension“ bei Lehr- und Lernmiteln, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
Zeitschrift des Georg-Eckert-Instituts für Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung,<br />
18/1996, S. 81 – 84<br />
252 s. ebd., S. 82 – 83<br />
253 s. ebd., S. 83<br />
79
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
eigene Identität des Schülers stärken kann. Insgesamt setzt das Erfurter<br />
Ministerium mit der Empfehlung hohe Maßstäbe, denn bisherige Analysen<br />
haben in den genannten Zielsetzungen große Lücken ausgemacht. 254<br />
Dabei werden als Zielgruppe nicht nur die Verlage und Autoren sondern<br />
auch die Schulbehörden angesprochen.<br />
Die folgenden Kriterien zur Analyse der Geschichte der europäischen<br />
Einigung nach 1945 in baden-württembergischen Schulbüchern der Sekundarstufe<br />
I sollen sowohl für die vorliegenden Geschichts- als auch für<br />
die Gemeinschaftskundebücher gelten.<br />
Dabei sollen in der Auswertung durchaus die verschiedenen inhaltlichen<br />
und methodisch-didaktischen Ansätze beider Fächer berücksichtigt<br />
werden. Ein von vornherein völlig verschiedenes Kriteriensystem würde<br />
aber einen Vergleich unendlich erschweren und es wäre z. B. kaum auszumachen,<br />
in welchen inhaltlichen Bereichen die Schulfächer ihre<br />
Schwerpunkte setzen.<br />
Die Beantwortung des Fragebogens soll deshalb für die Fächer Geschichte<br />
und Gemeinschaftskunde getrennt erfolgen. Es wäre der Übersicht<br />
wegen nicht hilfreich, beide Fächer nochmals in die drei vorhandenen<br />
Schularten zu untergliedern. Vielmehr sollen die Kriterien für die gesamte<br />
Sekundarstufe I der Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde<br />
analysiert werden, um dann gegebenenfalls vorhandene Unterschiede<br />
zwischen den einzelnen Schularten zu notieren.<br />
Nach der Erstellung des Kriterienkatalogs zur Analyse des gestellten<br />
Themas erfolgen dazu noch einige Anmerkungen.<br />
Kriterienkatalog<br />
1. Welchen quantitativen Raum misst das Buch der europäischen Einigung<br />
nach 1945 bei?<br />
2. Welchen Anteil haben die einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
dabei?<br />
3. Mit welchen Inhalten belegen die Schulbücher die einzelnen Themen<br />
zur europäischen Einigung?<br />
4. Lassen sich die geforderten Lehrplaninhalte und Lernziele über die<br />
europäische Einigung in den Schulbüchern finden?<br />
5. Lassen sich die Inhalte in einem quantitativ angemessenen Rahmen<br />
den Kategorien Autorentext, Bildmaterial und Quellen zuordnen?<br />
6. Sind die Inhalte sachlich richtig dargestellt?<br />
254 s. Kapitel 5.1<br />
80
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
7. Sind die einzelnen Bildkategorien (Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen)<br />
angemessen vorhanden?<br />
8. Auf welchen Quellen beruhen die Inhalte der Schulbücher über den<br />
europäischen Einigungsprozess?<br />
9. Wird das Gebot der Multiperspektive beachtet?<br />
10.Wird das Gebot der Kontroverse berücksichtigt?<br />
11.Beachten die Schulbücher den Aspekt des Souveränitätsverzichts <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit der europäischen Einigung?<br />
12.Wird die europäische Einigung als offener Prozess dargestellt?<br />
13.Erfährt die europäische Einigung eher eine positive, neutrale oder negative<br />
Bewertung?<br />
14.Sind mit den Arbeitsanweisungen die Prinzipien des wiederholenden,<br />
entdeckenden, fächerübergreifenden, handlungs- und problemorientierten<br />
Lernverfahrens berücksichtigt?<br />
Anmerkungen zum Kriterienkatalog<br />
Die Reihenfolge der aufgestellten Fragen orientiert sich nicht an einem<br />
best<strong>im</strong>mten Grad, der die Wichtigkeit best<strong>im</strong>men soll, sondern hat<br />
sich aus sachlogischen Erwägungen ergeben.<br />
Dabei stehen die inhaltlichen Sachfragen eher zu Beginn des Kriterienkatalogs<br />
und die didaktisch-methodischen sind weitestgehend <strong>im</strong> Anschluss<br />
zu finden, wobei eine strenge Trennung beider Bereiche weder<br />
sinnvoll noch möglich erscheint.<br />
Die Fragen sind insgesamt auf die Thematik bezogen, u. a. mit den<br />
Kriterien der Darstellung der europäischen Einigung als offener Prozess,<br />
der positiven oder negativen Bewertung und dem Souveränitätsverzicht.<br />
Einige orientieren sich eher am Medium <strong>Schulbuch</strong> wie z. B. dem Zusammenspiel<br />
zwischen Lehrplan und <strong>Schulbuch</strong>, der Auswahl an Autorentexten,<br />
Bildmaterial und Quellen oder der Analyse der Arbeitsanweisungen.<br />
Insgesamt lassen sich <strong>Schulbuch</strong>inhalte nur schwer vollständig erfassen,<br />
da – wie schon erwähnt – viele fachwissenschaftliche Zweige zum<br />
Zuge kommen. Der vorliegende Kriterienkatalog erhebt folgerichtig<br />
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, doch lassen sich damit sicherlich<br />
prägnante Aussagen treffen.<br />
Bei der Beantwortung der Fragen muss von den inhaltsanalytischen<br />
Methoden wie z. B. der quantitativen oder qualitativen Gebrauch gemacht<br />
werden, wobei auch hier eine Ordnung der Fragen in dieser Hin-<br />
81
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
sicht nicht von Vorteil wäre. Vielmehr werden bei den Kriterien oftmals<br />
beide Analysemethoden eingesetzt, um eine wissenschaftlich gesicherte<br />
Aussage machen zu können.<br />
Um den Anteil der einzelnen Themen der europäischen Einigung besser<br />
ermitteln zu können, wurde nach der vollständigen Durchsicht aller<br />
Schulbücher ein Raster erstellt. Dabei wurden zum einen ausschließlich<br />
die Inhalte der vorliegenden Bücher berücksichtigt und auf das Hinzufügen<br />
von eigens für wichtig empfundenen Kategorien verzichtet, da so unweigerlich<br />
das eigene Idealbild zur Zählung als Grundlage dienen würde.<br />
Die Liste geht zum anderen auf alle Inhalte ein, die die Bildungspläne<br />
der verschiedenen Schularten vorschreiben.<br />
So ist auch die Aufnahme des Prozesses um die KSZE bzw. OSZE zu<br />
begründen. Die Reihenfolge der aufgelisteten Inhalte orientiert sich am<br />
historischen Verlauf der europäischen Einigung. Daraus ergibt sich folgendes<br />
Raster:<br />
– <strong>Europa</strong>-Symbole<br />
– Gemeinsame Wurzeln <strong>Europa</strong>s<br />
– Ausgangslage nach dem Krieg<br />
– Gründe zur europäischen Einigung<br />
– Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
– <strong>Europa</strong>modelle<br />
– Der Weg zum <strong>Europa</strong>rat<br />
– Die deutsch-französische Versöhnung<br />
– Die Montanunion<br />
– Militärische Zusammenschlüsse:<br />
• Brüsseler Pakt<br />
• EVG/EPG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft/Europäische<br />
Politische Gemeinschaft)<br />
• WEU (Westeuropäische Union)<br />
– Der Weg zur EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft)<br />
– Die EFTA (European Free Trade Association)<br />
– Die bisherigen Erweiterungen der EG/EU (Europäische Gemeinschaft/Europäische<br />
Union), (1973 – 1995)<br />
– Die Organe der EG/EU<br />
– Politikbereiche der EG/EU:<br />
• Agrarpolitik<br />
• Bildungspolitik<br />
• Forschungspolitik<br />
82
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
• Haushaltspolitik<br />
• Entwicklungspolitik<br />
• Regionalpolitik<br />
Baden-Württemberg als europäische Region<br />
• Sozialpolitik<br />
• Umweltpolitik<br />
• Wirtschaftspolitik<br />
– Der Binnenmarkt<br />
– Der Vertrag von Maastricht<br />
– Der Vertrag von Amsterdam<br />
– Die Mitgliedstaaten der EU<br />
– Nationale Interessen der Mitgliedstaaten<br />
– Meinungen zur europäischen Einigung<br />
– Europäische Persönlichkeiten<br />
– Die künftige Erweiterung der EU<br />
– Künftige Reformen der EU<br />
– Die Rolle der Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> (EU)<br />
– Zukunftsvisionen über die europäische Einigung<br />
– Die KSZE/OSZE (Konferenz/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit<br />
in <strong>Europa</strong>)<br />
– Zusammenfassung/Wiederholung<br />
– Sonstiges<br />
Zu einigen Punkten soll eine knappe Erläuterung bezüglich der hinzuzählenden<br />
Buchinhalte erfolgen:<br />
Den „<strong>Europa</strong>-Symbolen“ sind u. a. offizielle Symbole wie Flaggen<br />
oder Hymnen zuzuordnen.<br />
Die „Gemeinsamen Wurzeln“ greifen nicht nur die von der Antike<br />
kommenden europäischen Wurzeln auf, sondern auch die Gemeinsamkeiten<br />
und Werte, die sich <strong>im</strong> Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben.<br />
Eine eigene Kategorie für die Darstellung der „Ausgangslage nach<br />
dem Krieg“ war unumgänglich, da die Schulbücher dies oftmals <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit den daraus resultierenden „Gründen zur europäischen<br />
Einigung“ nochmals aufgreifen, obwohl Themen wie das Leben in der<br />
Nachkriegszeit unter den entsprechenden Buchkapiteln zur deutschen<br />
Geschichte nach 1945 ausführlich zum Zuge kommen.<br />
Die „Pläne zur europäischen Einigung“ werden von den „<strong>Europa</strong>modellen“<br />
abgegrenzt. Während zu letzterem nur Modelle wie z. B. mit bundesstaatlichem<br />
(integrativem) oder staatenbündischem (kooperativem)<br />
83
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Charakter hinzugezählt werden, sind bei den „Plänen zur europäischen<br />
Einigung“ jegliche Einigungsgedanken aufzunehmen wie z. B. die Züricher<br />
Rede von Winston Churchill (1946). Ihnen wird kein Modellcharakter<br />
zugesprochen.<br />
Der „Weg zum <strong>Europa</strong>rat“ berücksichtigt nicht nur die Gründung und<br />
Entwicklung des <strong>Europa</strong>rates, sondern auch die Europäische Bewegung.<br />
Bei der „deutsch-französischen Versöhnung“ ist einmal die Politik der<br />
Versöhnung nach den kriegerischen Auseinandersetzungen beider Staaten<br />
und jegliche Art der Zusammenarbeit zu nennen.<br />
Davon abzugrenzen ist die Montanunion, die zwar auf die maßgebliche<br />
Initiative Frankreichs und Deutschlands zurückzuführen ist, aber <strong>im</strong><br />
Gegensatz zur vorherigen Kategorie keinen bilateralen und kooperativen<br />
Charakter aufzuweisen hat.<br />
Die „militärischen Zusammenschlüsse“ auf europäischer Ebene werden<br />
zur besseren Interpretation in die Bereiche des Brüsseler Paktes, der<br />
EVG/EPG und der WEU gegliedert.<br />
Ebenso finden die „Politikbereiche der EG/EU“ eine Unterteilung.<br />
Als Unterpunkt der „Regionalpolitik der EG/EU“ wird das Land „Baden-Württemberg<br />
als europäische Region“ aufgeführt. So zählen z. B. die<br />
durch die Regionalpolitik der EG/EU entstehenden Hilfen für das Land<br />
Baden-Württemberg ausschließlich zur Regionalpolitik; nur die auf den<br />
EG/EU-Maßnahmen aufbauenden oder ergänzenden Programme (z. B.<br />
MEKA <strong>im</strong> Agrarbereich) können dem Land Baden-Württemberg hinzugerechnet<br />
werden.<br />
Die übrigen historischen Schritte zur europäischen Einigung finden<br />
keine weitere Untergliederung, da nicht nur rechnerisch (quantitativer<br />
Anteil), sondern auch be<strong>im</strong> gedanklichen Erschließen der Tabelle keine<br />
Übersicht gewahrt bleibt. Sicherlich muss daher bei der später erfolgenden<br />
Interpretation gerade bezüglich des Maastrichter Vertrags darauf Bezug<br />
genommen werden, welche vertraglichen Änderungen (z. B. Wirtschafts-<br />
und Währungsunion, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik,<br />
gemeinsame Rechts- und Innenpolitik, Subsidiaritätsprinzip u. a.) in<br />
den Schulbüchern aufgeführt sind.<br />
Das Stichwort der „Zusammenfassung/Wiederholung“ umfasst die<br />
vom jeweiligen <strong>Schulbuch</strong> aufgestellten abschließenden Zusammenfassungen,<br />
die die <strong>im</strong> Buch schon einmal didaktisch aufbereiteten Inhalte<br />
nochmals in geballter Version wiederholen. Eine Aufgliederung entsprechend<br />
den Einzelthemen zur europäischen Einigung gestaltet sich nicht<br />
84
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
als sinnvoll, da es quantitativ wegen der geringen Inhalte kaum erfassbar<br />
ist und auch nicht dem methodischen Aufbau eines <strong>Schulbuch</strong>s entspricht.<br />
Die für den Schüler zur Wiederholung konzipierten Aufgaben werden<br />
nicht der textlichen Zusammenfassung, sondern den entsprechenden Einzelthemen<br />
zugeteilt.<br />
Die Kategorie „Sonstiges“ n<strong>im</strong>mt all die <strong>Schulbuch</strong>inhalte auf, die<br />
entweder ein so geringes Volumen aufweisen, dass keine eigens dafür<br />
eingerichtete prozentuale Zählung für notwendig erachtet wurde oder<br />
globale Themen <strong>im</strong> Rahmen der europäischen Einigung angesprochen<br />
sind wie z. B. die weltweite Umweltverschmutzung; dabei fehlt oftmals<br />
der Bezug zur europäischen Einigung und kann deshalb nur unter dem<br />
Stichwort „Sonstiges“ Beachtung finden.<br />
Insgesamt wird bei der quantitativen Raumanalyse mit Zeilenzent<strong>im</strong>etern<br />
gemessen; die unterschiedliche Zahl der Spalten wie die Größe<br />
der Schulbücher finden ebenfalls Beachtung.<br />
Es ist sicherlich sinnvoll, das aufgestellte Raster zur Erfassung der<br />
Einzelthemen über die europäische Einigung auch bei der Beantwortung<br />
der anderen Fragen (u. a. drei, sechs, acht bis dreizehn) heranzuziehen, da<br />
der Leser somit eine schon vertraute Struktur vorfindet.<br />
Abkürzungsverzeichnis der analysierten Schulbücher<br />
Zur schnelleren Aussagemöglichkeit über die Schulbücher erweist es<br />
sich als unumgänglich, die analysierten Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher<br />
mit Abkürzungen zu versehen. Der Einfachheit wegen<br />
könnten dies Nummern oder Buchstaben sein. Für den Leser ist es allerdings<br />
eine Erleichterung, wenn er aus den Abkürzungen zusätzliche Informationen<br />
wie z. B. den Namen des betreffenden Buches, die Schulart,<br />
das jeweilige Fach und die Klassenstufe gewinnen kann.<br />
Im Folgenden soll ein Verzeichnis der Schulbücher mit den entsprechenden<br />
Abkürzungen erstellt werden.<br />
85
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Geschichte:<br />
Hauptschule<br />
Damals<br />
HSG9<br />
Doppelpunkt<br />
HSG9<br />
Entdecken<br />
HSG9<br />
Quer<br />
HSG9<br />
Reise<br />
HSG9<br />
Damals<br />
HSG10<br />
Doppelpunkt<br />
HSG10<br />
Realschule<br />
Entdecken ’94<br />
RSG10 257<br />
Entdecken ’99<br />
RSG10<br />
Konkret<br />
RSG10<br />
Morgen<br />
RSG10<br />
Unsere<br />
RSG10<br />
Von ... bis<br />
RSG10<br />
Damals–heute–morgen 9, Bauer/Diebold u. a., Stuttgart<br />
1994 255<br />
Doppelpunkt 9, Gerst u. a., Stuttgart 1996<br />
Entdecken und Verstehen 4, Domen u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1994<br />
quer 4, Fiederle u. a., Paderborn 1997 256<br />
Die Reise in die Vergangenheit 4, Ebeling/Birkenfeld,<br />
Braunschweig 1985<br />
Damals-heute-morgen 10, Christoph/Kicherer u. a.,<br />
Stuttgart 1996<br />
Doppelpunkt 10, Gerst u. a., Stuttgart 1996<br />
Entdecken und verstehen 4, Berger u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1994<br />
Entdecken und verstehen 4, Berger u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1999<br />
Geschichte konkret 4, Andraschko u. a., Stuttgart 1997<br />
Geschichte für morgen 4, Domen u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1992<br />
Unsere Geschichte 4, Hug/Bahl, Frankfurt/Main 1995<br />
Von ... bis 4, Christmann/Fiederle, Paderborn 1998<br />
255 Ausführlichere Angaben über die Bücher befinden sich <strong>im</strong> Anhang (s. Verzeichnis der untersuchten<br />
Schulbücher)<br />
256 Das <strong>Schulbuch</strong> wurde für die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde konzipiert, ohne allerdings<br />
die Inhalte strikt voneinander abzugrenzen. Aufgrund der vorzuweisenden Inhalte zur<br />
europäischen Einigung wird es unter dem Fachbereich Geschichte mitgeführt.<br />
257 Bei den Geschichtsbüchern „Entdecken ...“ und „bsv ...“ muss zur Unterscheidung noch das<br />
Erscheinungsjahr hinzugefügt werden. Die restlichen Schulbücher benötigen dies nicht zur<br />
Identifizierung. Aus lesetechnischen Gründen soll daher Abstand davon genommen werden,<br />
eine solche Kennzeichnung bei allen analysierten Schulbüchern einzuführen.<br />
86
Gymnasium<br />
Anno<br />
GyG10<br />
bsv ’95<br />
GyG10<br />
bsv ’97<br />
GyG10<br />
Fragen<br />
Gy G Sek.I 258<br />
Geschehen<br />
GyG10<br />
Geschichtsbuch<br />
GyG10<br />
historia<br />
GyG10<br />
Tempora<br />
GyG10<br />
Zeiten<br />
GyG10<br />
Gemeinschaftskunde:<br />
Hauptschule<br />
Damals<br />
HS GK 9<br />
Doppelpunkt<br />
HS GK 9<br />
Damals<br />
HS GK 10<br />
Doppelpunkt<br />
HS GK 10<br />
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Anno 4, Askani u. a., Braunschweig 1997<br />
bsv Geschichte 4, Bruch u. a., München 1995<br />
bsv Geschichte 4, Cornellssen u. a., München 1997<br />
Fragen an die Geschichte 3, Schmid u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1981<br />
Geschichte und Geschehen 4, Bittner u. a., Stuttgart<br />
1997<br />
Geschichtsbuch 4, Günther/Zwölfer u. a., Berlin/Stuttgart<br />
1997<br />
historia 4, Müller u. a., Paderborn 1999<br />
Tempora – Geschichte und Geschehen 4, Birk u. a.,<br />
Stuttgart 1983<br />
Zeiten und Menschen 4, Görlitz/Immisch, Paderborn<br />
1984<br />
Damals-heute-morgen 9, Bauer/Diebold u. a.,<br />
Stuttgart 1994<br />
Doppelpunkt 9, Gerst u. a., Stuttgart 1996<br />
Damals-heute-morgen 10, Christoph/Kicherer u. a.,<br />
Stuttgart 1996<br />
Doppelpunkt 10, Gerst u. a., Stuttgart 1996<br />
258 Der Quellenband „Fragen ...“ ist für die Sekundarstufe I konzipiert und umfasst <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
das Zeitalter des Absolutismus bis zur Zeitgeschichte. Daher soll auch hier die Kennzeichnung<br />
für die Sekundarstufe I (Sek.I) übernommen werden.<br />
87
Die Erstellung des Kriterienkatalogs zur europäischen Einigung<br />
Realschule<br />
Anstöße<br />
RS GK 9/10 259<br />
Berufswahlvorbereitung<br />
RS GK 9/10<br />
Heute<br />
RS GK 10<br />
Politik<br />
RS GK 10<br />
Gymnasium<br />
Mensch ’95<br />
Gy GK 10 260<br />
Mensch ’99<br />
Gy GK 10<br />
Wandel<br />
Gy GK 10<br />
Anstöße 2, Kneile-Klenck u. a., Stuttgart 1996<br />
Berufswahlvorbereitung 9/10, Baumjohann u. a., Köln<br />
1992<br />
Demokratie heute 10, Sperling u. a., Stuttgart 1995<br />
P – wie Politik 10, Fiederle/Filser, Paderborn 1995<br />
Mensch und Politik 10, Egner u. a., Stuttgart 1995<br />
Mensch und Politik 10, Egner u. a., Stuttgart 1999<br />
Politik und Wandel 10, Bastian u. a., Paderborn 1999<br />
259 Die Schulbücher „Anstöße RS GK 9/10“ und „Berufswahlvorbereitung RS GK 9/10“ finden<br />
ihren Einsatz <strong>im</strong> 9. als auch 10. Schuljahr, was in der entsprechenden Kennzeichnung zum<br />
Ausdruck kommt.<br />
260 Wie schon <strong>im</strong> Fachbereich Geschichte muss zur Unterscheidung der beiden Gemeinschaftskundebücher<br />
„Mensch ...“ das Erscheinungsjahr hinzugefügt werden.<br />
88
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
3 Die europäische Einigung in<br />
den Geschichts- und<br />
Gemeinschaftskundebüchern<br />
von Baden-Württemberg der<br />
Sekundarstufe I<br />
3.1 Die europäische Einigung in den<br />
Bildungsplänen für Geschichte und<br />
Gemeinschaftskunde<br />
3.1.1 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der<br />
Hauptschule<br />
3.1.1.1 Der Bildungsplan für Geschichte<br />
Das in der Hauptschule unterrichtete Doppelfach Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
ist in der Klasse 9 mit drei Wochenunterrichtsstunden vertreten,<br />
was einer unterrichtlichen Verteilung von zwei Stunden auf Geschichte<br />
und einer Stunde auf Gemeinschaftskunde entspricht.<br />
Hat der Bildungsplan von 1984 <strong>im</strong> Fach Geschichte noch keinerlei Inhalte<br />
zur gestellten Thematik aufzuweisen, so ist mit der Aufnahme der<br />
europäischen Einigung nach 1945 in den Bildungsplan von 1994 eine<br />
grundlegende Änderung festzustellen. 261<br />
Im Fach Geschichte umfasst in Klasse 9 die Lehrplaneinheit „<strong>Europa</strong><br />
auf dem Weg zur Einigung“ 262 fünf Unterrichtsstunden. Dies sind 10%<br />
der Unterrichtszeit <strong>im</strong> Fach Geschichte in dem entsprechenden Schuljahr.<br />
Da es allerdings die letzte Unterrichtseinheit kurz vor den Hauptschul-Abschlussprüfungen<br />
in Klasse 9 darstellt und erfahrungsgemäß die<br />
261 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1984, S. 181 – 199<br />
262 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 286<br />
89
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
Themen „Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft“ 263 sowie<br />
„Der Zweite Weltkrieg und das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft“<br />
264 einen breiten Rahmen in dieser Jahrgangsstufe einnehmen, besteht<br />
die Gefahr, dass die Geschichte der europäischen Einigung aus Zeitoder<br />
Interessensgründen nicht mehr in Klasse 9 behandelt wird.<br />
Zwar kommt die „Europäische Union“ 265 auch noch in der Gemeinschaftskunde<br />
zum Zuge, doch ist es aufgrund der engen Verzahnung beider<br />
Fachbereiche sinnvoll, die Thematik parallel durchzunehmen, zumal<br />
die Einsicht in die Bedeutung der Europäischen Union ohne das Wissen<br />
um den historischen Hintergrund be<strong>im</strong> Schüler gering oder ohne innere<br />
Struktur ausfallen dürfte.<br />
Inhaltlich sollen die folgenden Themen angesprochen werden:<br />
– „Versöhnung nach dem Krieg<br />
– Deutsch-französische Beziehungen: Deutsch-französischer Vertrag<br />
1963<br />
– Von der wirtschaftlichen zur politischen Integration <strong>Europa</strong>s: EG,<br />
KSZE.“ 266<br />
Somit wird <strong>im</strong> Bildungsplan ein starkes Gewicht auf die deutschfranzösischen<br />
Beziehungen mit dem Freundschaftsvertrag von 1963, den<br />
Hinweisen zu Adenauer und de Gaulle sowie den bestehenden Partnerschaften<br />
gelegt.<br />
Daneben steht als zweiter großer Themenkomplex die europäische Einigung<br />
mit inhaltlichen Vorschlägen, wie den Römischen Verträgen, den<br />
Mitgliedstaaten und Organen. Doch die europäische Einigung hat weitaus<br />
mehr historische Schritte zu bieten. N<strong>im</strong>mt der Lehrer die verbindliche<br />
Formulierung „von der wirtschaftlichen zur politischen Integration<br />
<strong>Europa</strong>s“ 267 ernst, dann wären Inhalte, wie die Entwicklung der EG, deren<br />
Politikbereiche, der Binnenmarkt, der Vertrag von Maastricht, aber<br />
auch grundsätzliche Fragen zu <strong>Europa</strong>modellen unabdingbar zu behandeln.<br />
Hier zeigt sich nochmals, dass eine Zusammenarbeit mit der Gemeinschaftskunde<br />
sehr sinnvoll ist.<br />
Die Ziele des Lehrplans sind weitgehend kognitiver Art. 268 Die Schüler<br />
sollen neben den Gründen auch die Werte, die den europäischen Eini-<br />
263 ebd., S. 285<br />
264 ebd.<br />
265 ebd., S. 287<br />
266 ebd., S. 286<br />
267 ebd.<br />
268 s. ebd.<br />
90
gungsprozess best<strong>im</strong>men, kennenlernen, wobei der Bildungsplan sich auf<br />
die Einigung der freien europäischen Völker festlegt. Dies bedeutet zumindest<br />
bis 1989/90 eine Begrenzung auf Westeuropa. Ein Bewusstsein<br />
soll be<strong>im</strong> Schüler für die „gegenseitige Verständigung“ 269 und den „Abbau<br />
von Vorurteilen“ 270 geschaffen werden. Zudem liegt ein klares Plädoyer<br />
für das Zusammenbringen von „nationale[n] und gesamteuropäische[n]<br />
Anliegen“ 271 vor.<br />
Insgesamt betrachtet ist der Bildungsplan inhaltlich in Klasse 9 relativ<br />
offen, gerade was den Prozess der europäischen Einigung angeht.<br />
Das Thema lässt sich mit den unterschiedlichsten Inhalten füllen und<br />
so sind auch Differenzen in den Schulbüchern zu erwarten.<br />
Die Offenheit birgt die Chance – aber auch die Gefahr – für den Lehrer,<br />
dass es ihm überlassen bleibt, welche inhaltlichen Akzente er bei der<br />
wirtschaftlichen oder politischen Integration setzen will.<br />
Methodische Hinweise werden ebenso wenig gegeben, wie die Hervorhebung<br />
einer kontroversen oder multiperspektivischen Sichtweise.<br />
Diese Elemente findet man eher <strong>im</strong> Fachbereich der Gemeinschaftskunde<br />
wieder.<br />
In Klasse 10 ist das Fach Geschichte/Gemeinschaftskunde mit zwei<br />
Wochenunterrichtsstunden vertreten, wobei jedem Fachbereich eine<br />
Stunde zukommt.<br />
Die Unterrichtseinheit „<strong>Europa</strong> als neue Völkergemeinschaft“ 272 repräsentiert<br />
mit acht Unterrichtsstunden 32% des Stoffumfangs des Fachbereichs<br />
Geschichte in Klasse 10. Da es für die vom Ministerium für Kultus<br />
und Sport eingeführte freiwillig zu besuchende Klasse 10 erst seit<br />
1994 einen Bildungsplan gibt, sind keine Vergleiche mit zeitlich früher<br />
gelegenen Schulversuchen möglich.<br />
Inhaltlich greift die Werkrealschule mit der „Entstehung der europäischen<br />
Bewegung als Folge des Zweiten Weltkrieges“ 273 nochmals die<br />
Geschichte der Klasse 9 auf. Die dabei vorhandenen Unterthemen, wie<br />
die „Überwindung nationalstaatlichen Denkens“ 274 und die „Montanunion“<br />
275 bestätigen dies durch entsprechende Lehrplanhinweise (z. B.<br />
269 ebd.<br />
270 ebd.<br />
271 ebd.<br />
272 ebd., S. 347<br />
273 ebd.<br />
274 ebd.<br />
275 ebd.<br />
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
91
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
der Rede Churchills 1946, dem <strong>Europa</strong>rat in Straßburg oder den Persönlichkeiten:<br />
Schuman und Adenauer).<br />
Die gleiche These könnte man bei der zweiten großen Thematik, die<br />
analog zur Klasse 9 die Geschichte „von der wirtschaftlichen zur politischen<br />
Integration“ 276 aufgreift, vertreten. Allerdings wird hier <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zur 9. Jahrgangsstufe das Thema detailliert mit verbindlichen Inhalten<br />
gefüllt:<br />
– „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)<br />
– Europäische Gemeinschaft (EG)<br />
– Europäische Union (EU)<br />
– Aufgaben der Institutionen<br />
– Europäischer Binnenmarkt.“ 277<br />
Damit ist der Vertrag von Maastricht wie auch der Binnenmarkt zum ersten<br />
Mal verbindlicher Bestandteil des Unterrichts. Nicht ganz offensichtlich<br />
ist allerdings, warum die Europäische Union zeitlich vor dem europäischen<br />
Binnenmarkt behandelt werden soll; liegt doch die Vertragsunterzeichnung<br />
der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) deutlich vor<br />
der Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union (1992).<br />
Fatalerweise haben sich bei den Lehrplanhinweisen inhaltliche Fehler<br />
eingeschlichen. So spricht der Bildungsplan von „Schumann“ 278 (statt:<br />
Schuman), dem Europäischen Gerichtshof in „Den Haag“ 279 (statt: Europäischer<br />
Gerichtshof in Luxemburg – in Den Haag befindet sich der Internationale<br />
Gerichtshof) und der Sitz des Ministerrats wird alleine „Luxemburg“<br />
280 zugeordnet (Brüssel).<br />
Insgesamt lassen sich breite Inhalte dieser Klassenstufe schon in Klasse<br />
9 vorfinden. Da die Klasse 10 der Werkrealschule ein freiwilliges<br />
Schuljahr für die Schüler darstellt, wären ergänzende Politikbereiche der<br />
Europäischen Union oder Fragen aus den Alltagsbereichen (z. B. Jugend,<br />
Sozial- und Berufspolitik), die über die historischen Grundlagen hinausgehen,<br />
sicherlich wünschenswert gewesen. Denn das Fach Geschichte<br />
sollte auch die Erziehung zu einem verantwortungsbewussten, nach den<br />
demokratischen Grundwerten handelnden Bürger <strong>Europa</strong>s zum Ziel haben.<br />
276 ebd.<br />
277 ebd.<br />
278 ebd.<br />
279 ebd.<br />
280 ebd.<br />
92
Die Annäherung zwischen West- und Osteuropa wird wie schon in der<br />
vorherigen Klassenstufe durch den Prozess der KSZE aufgezeigt.<br />
Die Lehrplaneinheit „Friedensgefährung – Friedenssicherung“ 281<br />
stellt sich dem verbindlichen Thema der „Friedenssicherung und Friedensstiftung<br />
durch die UNO, KSZE und NATO“ 282 . Die Betonung liegt<br />
aber eher bei dem Schutz der Menschenrechte, den möglichen Hilfsprogrammen<br />
sowie der Frage nach einem politischen und militärischen Eingreifen<br />
in Krisengebieten als einer möglichen gesamteuropäischen Einigung.<br />
Die Lernziele weisen <strong>im</strong> Gegensatz zur 9. Klasse weitgehend einen<br />
problemorientierten Ansatz auf. Die Schüler sollen die „neue D<strong>im</strong>ension<br />
der europäischen Einigung“ 283 sprichwörtlich „begreifen“, die wiederum<br />
nur durch einen „Annäherungs- und Einigungsprozeß der freien europäischen<br />
Völker möglich wird.“ 284 Es ist nicht deutlich ersichtlich, ob an dieser<br />
Stelle mit einer „neuen D<strong>im</strong>ension der europäischen Einigung“ 285 die<br />
Zeit nach 1945 oder der die politische und wirtschaftliche Integration fördernde<br />
Vertrag von Maastricht gemeint ist. Die übrigen Lernziele st<strong>im</strong>men<br />
inhaltlich vollkommen mit denen aus Klasse 9 (Fachbereich Geschichte)<br />
überein:<br />
– Die Bereitschaft zur gegenseitigen Verständigung und der Abbau von<br />
Vorurteilen.<br />
– Die Steigerung des Bewusstseins, nationale und gesamteuropäische<br />
Anliegen in Einklang zu bringen. 286<br />
Resümierend greift der Geschichtslehrplan der Klasse 10 lobenswerterweise<br />
nochmals die Geschichte der europäischen Einigung auf. Die vorliegenden<br />
Inhalte vermitteln sicherlich ein grundlegendes Wissen über<br />
die europäische Integration.<br />
Trotzdem gelingt dem Lehrplan der Werkrealschule an dieser Stelle<br />
keine grundlegende Änderung <strong>im</strong> Vergleich zur Klasse 9.<br />
Eine Ermutigung zur kontroversen oder multiperspektivischen Gestaltungsweise<br />
bleibt aus. Es bleibt der Verdacht bestehen, dass die Verfasser<br />
des Bildungsplans schon die Gefahr gesehen haben, dass die Thematik<br />
aus Zeitgründen in Klasse 9 gar nicht oder sehr fragmentarisch be-<br />
281 ebd.<br />
282 ebd.<br />
283 ebd.<br />
284 ebd.<br />
285 ebd.<br />
286 s. ebd.<br />
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
93
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
handelt wird, um die Historie der europäischen Einigung dem Schüler mit<br />
einem vergleichbaren mittleren Abschluss zugänglich zu machen. Doch<br />
ist auch hier das Engagement und Sachwissen des Lehrers entscheidend<br />
bei der Umsetzung des Stoffes.<br />
3.1.1.2 Der Bildungsplan für Gemeinschaftskunde<br />
Wie <strong>im</strong> vorherigen Kapitel schon erwähnt, wird Gemeinschaftskunde <strong>im</strong><br />
Fächerverbund mit Geschichte in Klasse 9 einstündig unterrichtet.<br />
Der Bildungsplan von 1994 ist als Fortführung des schon 1984 eingeschlagenen<br />
Weges zu beurteilen. Mit dem alten Bildungsplan wird der<br />
Schüler in der 9. Klasse mit einer Richtstundenzahl von vier in die Grundzüge<br />
der Europäischen Gemeinschaft eingewiesen, wobei inhaltlich die<br />
Bedeutung und die Schwierigkeiten der EG sowie deren Institutionen <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt stehen. 287<br />
Die <strong>im</strong> Bildungsplan von 1994 ausgewiesene Unterrichtseinheit „Die<br />
Europäische Union“ 288 umfasst mit sechs Unterrichtsstunden 26,1% des<br />
Stoffumfangs der Klasse 9.<br />
Explizit weist der Bildungsplan darauf hin, dass die Inhalte zur „Bedeutung<br />
der europäischen Einigung: Wahrung von Frieden und Freiheit“<br />
289 eng mit dem Unterrichtsfach Geschichte erarbeitet werden sollen.<br />
Interessant erscheint dabei der Lehrplanhinweis der „deutsch-französischen<br />
Zusammenarbeit als Kern der europäischen Einigungsbestrebungen.“<br />
290 So wird sich die Multiperspektive bei der Darstellung der Anfänge<br />
der europäischen Einigung auch in den Schulbüchern wahrscheinlich<br />
auf die deutsche oder französische Sichtweise beschränken.<br />
Ergänzend zum Fachbereich Geschichte soll be<strong>im</strong> Gedanken der wirtschaftlichen<br />
Einigung die Präambel des EWG-Vertrages analysiert oder<br />
eine Erkundung <strong>im</strong> Supermarkt über das europäische Warenangebot vorgenommen<br />
werden. Das Zusammenwirken der wichtigsten Organe wird<br />
neben dem Hinweis <strong>im</strong> Fach Geschichte in der Gemeinschaftskunde zum<br />
Pflichtinhalt, wodurch die Gefahr der Doppelbehandlung durch die beiden<br />
Fächer besteht. Es stellt sich die Frage, ob dies nach dem Prinzip der<br />
permanenten Wiederholung sinnvoll ist – zumal die Klasse 10 die euro-<br />
287 s. Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1984, S. 221<br />
288 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 287<br />
289 ebd.<br />
290 ebd.<br />
94
päischen Institutionen nochmals aufgreift – oder aber vermehrt die Politikbereiche<br />
<strong>im</strong> Verlauf der europäischen Integration Beachtung finden<br />
sollten. Der methodisch-didaktische Hinweis, die Institutionenkunde per<br />
Schaubild oder Rollenspiel umzusetzen, weist auf einen hohen Anspruch<br />
von Seiten des Bildungsplans hin.<br />
Wichtig erscheint mir das nochmalige Aufgreifen (s. Geschichte) des<br />
Themenkomplexes „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur politischen Union.“ 291 Die<br />
Chance, ein europäisches Bewusstsein oder eine Handlungsperspektive<br />
für die Schüler zu erreichen, ist mit den folgenden Unterthemen sicherlich<br />
schwer zu realisieren:<br />
– „Probleme bei der Verwirklichung<br />
– Europäische Union: zentralistische oder föderative Ausrichtung“. 292<br />
Gravierend sind die inhaltlichen Lehrplanhinweise zur Umsetzung<br />
der Probleme bei der Verwirklichung der Europäischen Union: Umfrageergebnisse<br />
oder die Landwirtschaftspolitik können dazu sicherlich einen<br />
Beitrag leisten. Den Binnenmarkt und den Vertrag von Maastricht als reinen<br />
Problemfall darzustellen geht aber an der Wirklichkeit vorbei. Beide<br />
Verträge eignen sich wohl eher als Beispiele zur Umsetzung der politischen<br />
Union.<br />
Negativ in der Formulierung ist der Hinweis der „bürgerferne[n] Entscheidungen<br />
in Brüssel“ 293 (Diskussion) bezüglich des zweiten Unterthemas.<br />
Hier wie bei der Erörterung des Hinweises zur „Erweiterung der demokratischen<br />
Rechte des <strong>Europa</strong>parlaments“ 294 werden die entsprechenden<br />
Schulbücher kontroverse Materialien zur Verfügung stellen müssen,<br />
um nicht zu einem einseitigen Urteil zu gelangen. Lediglich als Wahlthemen<br />
sind die „Wahl zum <strong>Europa</strong>parlament“ 295 und der Alltagsbereich<br />
„Jugend in <strong>Europa</strong>“ 296 <strong>im</strong> Bildungsplan der Klasse 9 berücksichtigt.<br />
Die Lernziele sind ähnlich wie <strong>im</strong> Fachbereich Geschichte vorwiegend<br />
kognitiver Art. 297 Sollen die Gründe für die europäische Einigung<br />
nochmals wiederholt werden, so liegt in der Verbindung von wirtschaftlicher<br />
Abhängigkeit und dem daraus folgenden Zusammenwachsen <strong>Europa</strong>s<br />
ein problemorientierter Erkenntniswert vor. Die Lernziele unterstüt-<br />
291 ebd., S. 288<br />
292 ebd.<br />
293 ebd.<br />
294 ebd.<br />
295 ebd.<br />
296 ebd.<br />
297 s. ebd., S. 287<br />
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
95
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Hauptschule<br />
zen ganz klar den „politischen Zusammenschluß <strong>Europa</strong>s“ 298 , auch wenn<br />
dies in den Inhalten des Bildungsplans nicht <strong>im</strong>mer zum Tragen kommt.<br />
Noch einen Schritt weiter geht das Ziel, das sich für eine „Stärkung<br />
der politischen Union“ 299 ausspricht und den Schüler zur Suche nach<br />
möglichen Lösungswegen auffordert. Dieses letztgenannte Lernziel <strong>im</strong>pliziert<br />
auch unterschwellig den Aufbau eines (kritischen) <strong>Europa</strong>bewusstseins.<br />
Mit den verbindlichen Lehrplaninhalten kann dies alleine<br />
nicht geleistet werden; hier ist erneut die Person des Lehrers gefragt.<br />
Insgesamt bleibt der Gemeinschaftskundelehrplan in Bezug auf die<br />
europäische Einigung mit Lücken behaftet und konzentriert sich neben<br />
den Anfängen zur europäischen Integration vor allem auf neuere Entwicklungen.<br />
Er ist wie schon mehrfach betont in engem Zusammenhang<br />
mit dem Bildungsplan für Geschichte zu sehen. So können sich beide Fächer<br />
ergänzen.<br />
Bedauerlicherweise sind die aktuellen Inhalte auf den Vertrag von<br />
Maastricht begrenzt und nehmen keine weiteren tagespolitischen Themen,<br />
wie z. B. dies der Gemeinschaftskundelehrplan der Realschule vorsieht,<br />
auf. Damit ist die Osterweiterung der Europäischen Union <strong>im</strong> Bildungsplan<br />
für die Hauptschule von 1994 nicht angesprochen.<br />
Die kontroverse Sichtweise bleibt auf die Probleme der europäischen<br />
Integration beschränkt, wobei auf die eigentliche Bedeutung der Kontroverse<br />
hingewiesen werden muss, die wissenschaftliche Streitfragen mit<br />
entgegengesetzten Meinungen belegt, d.h. <strong>im</strong> negativen wie auch <strong>im</strong> positiven<br />
Sinne.<br />
In den bisher aufgeführten Bildungsplänen der Hauptschule sind keine<br />
Inhalte zu „aktuellen“ politischen Entwicklungen der Europäischen<br />
Union enthalten. Eine weitere Möglichkeit wäre die Gemeinschaftskunde<br />
der Klasse 10, hier könnten neben den Politikbereichen der EU auch die<br />
Frage der Osterweiterung und den damit verbundenen Reformen vorzufinden<br />
sein.<br />
In der Lehrplaneinheit „Zentren und Felder internationaler Politik“ 300<br />
ist unter dem Thema „wirtschaftliche und politische Machtzentren“ 301 lediglich<br />
ein Hinweis zu <strong>Europa</strong> zu finden. Hier sind vor allem wirtschaftliche<br />
Vergleiche der Europäischen Union gegenüber den Vereinigten Staaten<br />
oder Japan zu erwarten.<br />
298 ebd.<br />
299 ebd.<br />
300 ebd., S. 349<br />
301 ebd.<br />
96
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Realschule<br />
Ein weiteres Thema dieser Unterrichtseinheit „ Neue Staaten nach<br />
dem Zerfall des Ostblocks“ 302 ist mit dem Hinweis der Entstehung neuer<br />
„Demokratien in Mittel-, Ost- und Südosteuropa“ 303 versehen. Eine einzelstaatliche<br />
Behandlung des Themas liegt nahe; die Frage der Osterweiterung<br />
wird nicht explizit gestellt.<br />
Aktuelle politische Themen sind durch das Lernziel sich mit den<br />
„neuen politischen Entwicklungen der 90er Jahre seit dem Zerfall des<br />
Ostblocks“ 304 auseinanderzusetzen nicht nur legit<strong>im</strong>, sondern auch wünschenswert.<br />
Es liegt also <strong>im</strong> Ermessensspielraum der <strong>Schulbuch</strong>-Herausgeber, inwieweit<br />
sie die Osterweiterung oder andere politische Themen der europäischen<br />
Integration innerhalb der Gemeinschaftskunde aufgreifen. Dies<br />
gilt auch für den unterrichtenden Lehrer.<br />
3.1.2 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der<br />
Realschule<br />
3.1.2.1 Der Bildungsplan für Geschichte<br />
In der Realschule ist die Geschichte in der Klasse 10 mit zwei Unterrichtsstunden<br />
pro Woche vertreten.<br />
Darin umfasst die Lehrplaneinheit „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“<br />
305 zehn Unterrichtsstunden, was einem Unterrichtsanteil von ca.<br />
21,7% an dem gesamten Stoffumfang der Klasse 10 entspricht.<br />
Im alten Bildungsplan von 1984 befassten sich schon <strong>im</strong>merhin acht<br />
Richtstunden (16% des Stoffumfangs) in der Klasse 10 mit dem Thema<br />
„<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“ 306 . Inhaltlich ist mit dem weiterentwickelten<br />
Lehrplan aber eine Veränderung feststellbar, bezieht sich der<br />
alte Lehrplan doch hauptsächlich auf die deutsch-französischen Entwicklungen,<br />
der Gründung und Entwicklung der EWG sowie deren Organe.<br />
Von den zehn Stunden, die <strong>im</strong> Lehrplan von 1994 vorgesehen sind,<br />
befassen sich aber nur ca. sechs bis sieben Unterrichtsstunden mit der eu-<br />
302 ebd.<br />
303 ebd.<br />
304 ebd.<br />
305 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1994, S. 376<br />
306 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1984, S. 236 – 237<br />
97
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Realschule<br />
ropäischen Integration, denn verbindliche Themen, wie die „Freiheitsbestrebungen<br />
in den Ostblockländern“ 307 oder der „Wandel der Ost-West-<br />
Beziehungen“ 308 gehen oft nur von den einzelstaatlichen nationalen Entwicklungen,<br />
wie es auch die Lehrplanhinweise andeuten („Bürgerbewegungen,<br />
Prager Frühling, Polen, Solidarnosc, Gorbatschow, Pariser Erklärung,<br />
Auflösung des Warschauer Paktes“ 309 ), aus.<br />
Bei der Analyse können nur die jeweils <strong>im</strong> Buch vorhandenen<br />
Aspekte bezüglich der europäischen Einigung auf der Basis der Demokratie<br />
und Rechtsstaatlichkeit, wie z. B. die Frage nach der Osterweiterung<br />
der Europäischen Union, die Pariser Erklärung oder gesamteuropäische<br />
Fragen <strong>im</strong> Rahmen des <strong>Europa</strong>rats oder der OSZE, berücksichtigt<br />
werden.<br />
Das Thema „Zusammenschlüsse in <strong>Europa</strong>“ 310 mit den Hinweisen auf<br />
die NATO, den Warschauer Pakt, den RGW und die EFTA kann unter<br />
den vorgegebenen Aspekten der europäischen Einigung auf der Basis der<br />
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weitgehend (Ausnahme: EFTA) vernachlässigt<br />
werden.<br />
Folgende vier Lehrplanthemen machen Aussagen zur europäischen<br />
Einigung:<br />
– „<strong>Europa</strong>pläne<br />
– Die deutsch-französische Verständigung als Voraussetzung und Folge<br />
des europäischen Einigungsprozesses<br />
– Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen<br />
Union – Römische Verträge 1957<br />
– Von der Konfrontation zur Entspannung.“ 311<br />
Die „<strong>Europa</strong>pläne“ beziehen sich vor allem auf mögliche Konsequenzen<br />
aus dem Zweiten Weltkrieg, wie die Lehrplanhinweise der <strong>Europa</strong>pläne<br />
aus dem Widerstand, der Haager Konferenz oder der Gründung des <strong>Europa</strong>rats<br />
beweisen. Es wird sich zeigen, ob die Schulbücher darüber hinaus<br />
auch zeitlich spätere <strong>Europa</strong>modelle aufzuweisen haben.<br />
Die deutsch-französiche Verständigung steht hier nicht für sich, sondern<br />
wird durch den Schuman-Plan, die Montanunion und Politik Adenauers<br />
in den europäischen Rahmen gebettet. Problemorientiert reagiert<br />
307 ebd.<br />
308 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1994, S. 377<br />
309 ebd.<br />
310 ebd.<br />
311 ebd.<br />
98
der Bildungsplan mit dem Vorschlag von einem Besuch von Gedenkstätten<br />
beider Weltkriege.<br />
Nicht konsequent ist der Lehrplan in seinen Hinweisen zur historischen<br />
Entwicklung der europäischen Einigung. So werden die Gründung<br />
der EWG, der Zusammenschluss der EG und der Maastrichter Vertrag<br />
genannt. Wichtige Etappen wie die Erweiterungen, der Binnenmarkt oder<br />
das Zusammenwirken der EG-Organe finden keine Erwähnung. Ein<br />
Blick in den Gemeinschaftskundelehrplan zeigt, dass die Erweiterungen<br />
der EG und der Binnenmarkt als unverbindliche Hinweise vorzufinden<br />
sind; die Institutionenkunde stellt ein Pflichtthema dar.<br />
Wichtig ist der Brückenschlag von der Konfrontation zur Entspannung<br />
in <strong>Europa</strong>, wobei sich der Lehrplan auf die Rolle der KSZE beschränkt.<br />
Die Ziele des Bildungsplanes sind auch hier weitgehend kognitiver<br />
Natur. Neben den Gründen für eine europäische Einigung findet der Friedensgedanke<br />
und die Förderung des Wohlstands durch eine europäische<br />
Einigung eine besondere Hervorhebung.<br />
Die einzelstaatliche Betrachtungsweise bezüglich des Zusammenbruchs<br />
des kommunistischen Systems in <strong>Europa</strong> soll auch bei den Lernzielen<br />
nicht weiter verfolgt werden, wohl aber die neue Verständigung<br />
zwischen West- und Osteuropa. Die Ziele des Bildungsplanes sind relativ<br />
offen formuliert und lassen sich auch mit verschiedenen Inhalten füllen.<br />
Insgesamt bleibt der Geschichtslehrplan für die Realschule in Bezug<br />
auf die europäische Einigung fragmentarisch. Es bleibt dem <strong>Schulbuch</strong>autor<br />
oder dem Lehrer überlassen, welche Inhalte er mit der Entwicklung<br />
der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union“ 312<br />
in Verbindung bringt. Die multiperspektivische Sichtweise wird bei der<br />
Behandlung der <strong>Europa</strong>pläne angesprochen, ansonsten dominieren die<br />
deutsch-französischen Gedanken. Die Kontroverse bleibt dem Gemeinschaftskundelehrplan<br />
vorbehalten. Die methodischen Hinweise beschränken<br />
sich auf den Filmeinsatz.<br />
3.1.2.2 Der Bildungsplan Gemeinschaftskunde<br />
Das Unterrichtsfach Gemeinschaftskunde n<strong>im</strong>mt die Thematik der europäischen<br />
Einigung mit dem revidierten Bildungsplan von 1994 inhaltlich<br />
312 ebd.<br />
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Realschule<br />
99
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan der Realschule<br />
neu auf. Im Bildungsplan von 1984 ist „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“<br />
313 nur <strong>im</strong> Fach Geschichte enthalten.<br />
Welch gewachsene Bedeutung dem Thema mittlerweile zukommt,<br />
zeigt auch die Aussage des allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrages<br />
der Gemeinschaftskunde. Der Gemeinschaftskundeunterricht „dient<br />
der Daseinsorientierung <strong>im</strong> zusammenwachsenden <strong>Europa</strong> und in einer<br />
<strong>im</strong>mer komplexer werdenden Welt.“ 314<br />
Zudem wird die Gemeinschaftkunde „vor allem in den Klassen 9 und<br />
10 [...] [zur] [...] intensiven Zusammenarbeit mit dem Fach Geschichte“<br />
315 ermutigt.<br />
Dem einstündigen Unterrichtsfach in der Klasse 10 kommen mit der<br />
Lehrplaneinheit „Das Zusammenwachsen <strong>Europa</strong>s“ 316 mit einer Richtstundenzahl<br />
von zehn <strong>im</strong>merhin ca. 43,5% des Stoffumfangs der Klassenstufe<br />
zu.<br />
Thematisch sind folgende Inhalte verpflichtend:<br />
– Die Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses<br />
– Der aktuelle Stand der europäischen Einigung<br />
– Das Zusammenwirken der Organe der Europäischen Union<br />
– Die Entwicklung und Stellung des Europäischen Parlaments<br />
– Probleme und Hindernisse auf dem Weg zum vereinten <strong>Europa</strong><br />
– Das Land Baden-Württemberg als europäische Region<br />
– Die Rolle der Europäischen Union in der Staatengemeinschaft. 317<br />
Bei dieser Themenauswahl ist eine enge Abst<strong>im</strong>mung mit der Geschichte<br />
sinnvoll, überschneiden sich doch einerseits die Inhalte zur Geschichte<br />
der europäischen Einigung in beiden Fächern und bietet die Gemeinschaftskunde<br />
andererseits eine opt<strong>im</strong>ale Ergänzung, um aktuelle Themen<br />
kontrovers aufzuarbeiten.<br />
Der Bildungsplan orientiert sich klar an dem integrativen Konzept der<br />
Europäischen Union, sieht er diese doch als ein „sich fortentwickelnder<br />
übernationaler Zusammenschluß“ 318 und setzt mit der Erwähnung der<br />
Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Politischen Union deutliche<br />
Signale.<br />
313 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1984, S. 236 – 237<br />
314 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1994, S. 20<br />
315 ebd., S. 21<br />
316 ebd., S. 380<br />
317 s. ebd.<br />
318 ebd.<br />
100
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des Gymnasiums<br />
Als Wahlthemen bietet der Bildungsplan die Bereiche an:<br />
– Ausgewählte Politikfelder der Europäischen Union<br />
– Die Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten<br />
– Die Zusammenarbeit in <strong>Europa</strong> (hier: Gesamteuropa)<br />
– Der Welthandel und der europäische Binnenmarkt. 319<br />
Die Lehrplanziele orientieren sich hauptsächlich an dem kognitiven Wissenserwerb.<br />
Neben der Bedeutung der europäischen Einigung sollen die<br />
Schüler Einsicht in den Einigungsprozess und die Politik der Europäischen<br />
Union erlangen.<br />
Dabei soll die Wissensaneignung dahingehend umgesetzt werden,<br />
dass die Schüler „als mündige Bürger der Europäischen Union, zu einem<br />
europäischen Denken und Handeln“ 320 ermutigt werden und die europäische<br />
Vielfalt bejahen. Positiv wertend greift der Bildungsplan bei der<br />
Rolle Baden-Württembergs als europäische Region ein. Der Schüler soll<br />
die Chancen und die Möglichkeiten, die sich ihm durch eine europaorientierte<br />
He<strong>im</strong>atregion bieten, begreifen.<br />
Zur methodischen Umsetzung wird der Hinweis auf den Einsatz von<br />
Fallbeispielen bei dem Zusammenwirken der EU-Organe gegeben. Ansonsten<br />
gelten natürlich auch für diese Lehrplaneinheit die allgemeinen<br />
Erziehungs- und Bildungsziele der Gemeinschaftskunde, wie z. B. die<br />
Anerkennung der Vielfalt der Meinungen, die Urteils- und Handlungsfähigkeit<br />
sowie eine handlungsorientierte und die Selbsttätigkeit der Schüler<br />
anregende Methode. 321<br />
Insgesamt bietet der Bildungsplan einerseits eine breite Palette an<br />
Themen an, lässt andererseits durch seine offene Formulierung den<br />
Schulbüchern und Lehrern in der inhaltlichen Umsetzung viel Freiraum.<br />
3.1.3 Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des<br />
Gymnasiums<br />
3.1.3.1 Der Bildungsplan für Geschichte<br />
Hat der Bildungsplan von 1984 nur einen Hinweis zum Prozess der<br />
KSZE <strong>im</strong> Rahmen der Entspannungspolitik aufzuweisen 322 , so finden<br />
319 s. ebd.<br />
320 ebd.<br />
321 s. ebd., S. 21<br />
322 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
1984, S. 408<br />
101
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des Gymnasiums<br />
sich <strong>im</strong> revidierten Bildungsplan der Klasse 10 von 1994 vermehrt Inhalte<br />
zur europäischen Einigung.<br />
Hierbei handelt es sich aber nicht um eine eigenständige Lehrplaneinheit,<br />
sondern nur um unverbindliche Lehrplanhinweise.<br />
In der Lehrplaneinheit „Wege <strong>im</strong> geteilten Deutschland und die Herstellung<br />
der Einheit“ 323 lassen sich folgende Hinweise ausmachen:<br />
– „Die EWG<br />
– Die deutsch-französische Aussöhnung<br />
– Der Ausbau der europäischen Integration.“ 324<br />
Der Hinweis zur „Bedeutung des Europäischen Hauses 325 rundet innerhalb<br />
der Wahl-Lehrplaneinheit „Internationale Probleme in ihrer historischen<br />
D<strong>im</strong>ension“ 326 die spärlichen Inhalte ab.<br />
Damit wird dem Schüler des Gymnasiums in der Sekundarstufe I keine<br />
lückenlose historische Übersicht über die europäische Einigung vorgelegt.<br />
Zudem muss noch einmal betont werden, dass Lehrplanhinweise dem<br />
Lehrer als Hilfen zur methodischen und inhaltlichen Umsetzung des Stoffes<br />
dienen, in keiner Weise aber zwingend bindend sind.<br />
Trotzdem ist damit zu rechnen, dass die Geschichtsbücher der Klasse<br />
10 den ein oder anderen Hinweis aufnehmen, zumal die Geschichte der<br />
Bundesrepublik Deutschland eng mit der europäischen Einigung verbunden<br />
ist.<br />
Bei den Lernzielen wird in der Klasse 10 die europäische Einigung<br />
nicht berücksichtigt.<br />
Um kein einseitiges Bild zu erzeugen, werden der Vollständigkeit halber<br />
die Themen zur europäischen Einigung von der Sekundarstufe II aufgeführt:<br />
– „Staat und Gesellschaft <strong>im</strong> geteilten Deutschland und der Weg zur<br />
Einheit“ 327 (hier: Hinweis zur KSZE); (Grundkurs Klasse 13)<br />
– „Ansätze zu einer neuen Mächteordnung und das Problem der Friedenssicherung“<br />
328 (hier: Thema – „Traditionen des <strong>Europa</strong>gedankens<br />
und <strong>Europa</strong>pläne“ 329 ; Leistungskurs Klasse 13)<br />
323 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
1994, S. 432 – 433<br />
324 ebd., S. 432<br />
325 ebd., S. 433<br />
326 ebd.<br />
327 ebd., S. 641 – 642<br />
328 ebd., S. 666<br />
329 ebd.<br />
102
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des Gymnasiums<br />
Somit wird deutlich, dass die Inhalte zur europäischen Einigung zum<br />
überwiegenden Teil nicht <strong>im</strong> Fach Geschichte vorzufinden sind.<br />
Im Leistungskurs sollen zwar die <strong>Europa</strong>gedanken und -pläne des 20.<br />
Jahrhunderts wie z. B. der Paneuropa-Gedanke, der <strong>Europa</strong>rat, die Entstehung<br />
und Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft oder die europäische<br />
Integration als Beispiel regionaler Friedenssicherung 330 angesprochen<br />
werden, doch stellt die Lehrplaneinheit des Leistungskurses<br />
zeitlich das letzte Thema kurz vor dem Abitur dar. Hier kann natürlich die<br />
für die Vorbereitung des Abitur benötigte Zeit dazu führen, dass gerade<br />
die <strong>Europa</strong>-Thematik nicht mehr <strong>im</strong> angesprochenen Sinne zum Zuge<br />
kommt.<br />
Folgerichtig muss die Gemeinschaftskunde den Hauptteil der thematischen<br />
Umsetzung der europäischen Einigung tragen, denn es kann nicht<br />
angehen, dass zukünftige Studierende diesen Teil der Zeitgeschichte, der<br />
ihr Alltagsleben maßgebend beeinflusst, bei ihrer Ausbildung aussparen.<br />
3.1.3.2 Der Bildungsplan für Gemeinschaftskunde<br />
Der revidierte Bildungsplan für das Gymnasium aus dem Jahr 1994 weist<br />
in der Sekundarstufe I <strong>im</strong> Fach Gemeinschaftskunde keine verbindlichen<br />
Inhalte zur europäischen Einigung auf.<br />
Lediglich in der Lehrplaneinheit „Wirtschaft und Arbeitswelt“ 331 der<br />
Klasse 10 ist ein unverbindlicher Hinweis zu den „Veränderungen durch<br />
den Europäischen Binnenmarkt“ 332 vorhanden. Da dies unter dem Wahlthema<br />
„Mitbest<strong>im</strong>mung der Arbeitnehmer“ 333 aufgeführt ist, sind eben<br />
kaum Inhalte zu den Freiheiten des Binnenmarktes, sondern bestenfalls<br />
Veränderungen des Mitbest<strong>im</strong>mungsrechts der Arbeitnehmer durch das<br />
europäische Recht in den Schulbüchern zu erwarten.<br />
Das Nichtvorhandensein des Themas in der Sekundarstufe I in Gemeinschaftskunde<br />
ist bedauerlich, zumal <strong>im</strong> alten Bildungsplan von 1984<br />
noch Inhalte zur europäischen Einigung in der Klasse 10 mit der Lehrplaneinheit<br />
„Die Bundesrepublik und die europäische Einigung“ 334 und<br />
einer Richtstundenzahl von sechs vorhanden waren. Dabei wurden<br />
Schwerpunkte wie die Motive zur Gründung und die Entwicklung der<br />
330 s. ebd.<br />
331 ebd., S. 436<br />
332 ebd., S. 437<br />
333 ebd.<br />
334 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
1984, S. 486<br />
103
Die europäische Einigung <strong>im</strong> Bildungsplan des Gymnasiums<br />
Europäischen Gemeinschaft, ihren Organen, den wirtschaftlichen Zielsetzungen<br />
gebildet und der Frage der Kompetenzabtretung der Nationalstaaten<br />
und der politischen Integration nachgegangen.<br />
Mittlerweile ist das Thema der europäischen Einigung in die Klasse<br />
11 der Gemeinschaftskunde verschoben worden.<br />
Zwar kommt der „Europäischen Einigung und [der] Bundesrepublik<br />
Deutschland“ 335 mit dem neuesten Bildungsplan eine Mindeststundenzahl<br />
von zwölf zu, was <strong>im</strong>merhin 25% des Unterrichtsstoffes der Klasse<br />
11 in Gemeinschaftskunde ausmacht, doch ist die bereits erwähnte Gefahr<br />
groß, dass Schulabgänger nach der Sekundarstufe I nicht mit dem aktuellen<br />
Thema der europäischen Einigung – weder in Geschichte noch in<br />
Gemeinschaftskunde – konfrontiert werden.<br />
Inhaltlich werden in Klasse 11 neben dem historischen Einigungsprozess<br />
die Begriffe der Kooperation und Integration hervorgehoben. Die<br />
unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union und die politischen Entscheidungsprozesse innerhalb dieser bilden<br />
einen weiteren Schwerpunkt.<br />
Neben dem alternativ zur Lehrplaneinheit zu wählenden fächerverbindenden<br />
Ansatz in Klasse 11 („<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Wandel“ 336 ) setzen sich <strong>im</strong><br />
weiteren Verlauf der Oberstufe folgende Grund- und Leistungskurse mit<br />
europäischen Bezügen auseinander:<br />
– „Friedens- und Sicherheitspolitik in <strong>Europa</strong>“ 337 (Grundkurs der Klasse<br />
13)<br />
– „Die Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland und der<br />
Europäische Einigungsprozeß“ 338 (Leistungskurs der Klasse12)<br />
– „Europäischer Einigungsprozeß und politischer Strukturwandel in der<br />
Bundesrepublik Deutschland“ 339 (Leistungskurs der Klasse 13)<br />
– „Demokratisierung und Friedenssicherung“ 340 (Leistungskurs Klasse13)<br />
Es gilt nun die zugelassenen Gemeinschaftskundeschulbücher auf die<br />
Thematik der europäischen Einigung zu untersuchen.<br />
335 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für das Gymnasium,<br />
1994, S. 540<br />
336 ebd., S. 508<br />
337 ebd., S. 670<br />
338 ebd., S. 675<br />
339 ebd., S. 680<br />
340 ebd., S. 681 – 682<br />
104
Trotz des in der Sekundarstufe I nicht verbindlichen Lehrplanhinweises<br />
könnten aufgrund jahrelanger Präsenz in der Klasse 10 durch den alten<br />
Bildungsplan Teilgebiete zur europäischen Einigung in den jetzigen<br />
Schulbüchern vorhanden sein.<br />
3.2 Ergebnisse der <strong>Schulbuch</strong>analyse durch<br />
Anwendung des Kriterienkatalogs<br />
3.2.1 Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach<br />
1945<br />
Frage: Welchen quantitativen Raum misst das Buch der europäischen Einigung<br />
nach 1945 bei?<br />
Die Ergebnisse der Raumanalyse werden in absoluten Seitenzahlen und<br />
in Prozenten angegeben. Die Zählung erfolgte grundsätzlich ohne Einleitung<br />
(z. B. Inhaltsverzeichnis) und Anhang (z. B. Register, Worterklärungen,<br />
Quellenangabe, Tipps zum Weiterlesen). Die präsentierten Ergebnisse<br />
in Klammern berücksichtigen die Inhalte des gesamten Buches (mit<br />
Einleitung und Anhang). Es wurde stets auf die erste Stelle nach dem<br />
Komma gerundet. Bei der Auflistung der Ergebnisse hat man nicht das alphabetische<br />
Prinzip beachtet, sondern aus interpretationstechnischen<br />
Gründen die einzelnen Schularten zusammen genommen.<br />
3.2.1.1 Geschichte<br />
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
<strong>Schulbuch</strong> Angaben in<br />
Seiten Prozent<br />
Damals HS G 9 12,0 (13,6) 8,5 (8,7)<br />
Doppelpunkt HS G 9 14,0 (15,0) 9,5 (9,5)<br />
Entdecken HS G 9 13,4 (13,8) 6,4 (6,0)<br />
Quer HS G 9 14,2 (14,5) 7,5 (7,4)<br />
Reise HS G 9 9,0 (9,3) 3,9 (3,9)<br />
105
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
Damals HS G 10 22,1 (22,3) 41,7 (41,1)<br />
Doppelpunkt HS G 10 20,1 (20,9) 26,5 (25,1)<br />
Entdecken ’94 RS G 10 13,4 (14,1) 13,1 (11,8)<br />
Entdecken ’99 RS G 10 23,2 (24,4) 16,3 (15,3)<br />
Konkret RS G 10 16,2 (17,8) 11,3 (11,1)<br />
Morgen RS G 10 17,5 (18,1) 9,7 (9,4)<br />
Unsere RS G 10 22,6 (23,5) 16,9 (15,9)<br />
Von ... bis RS G 10 20,6 (22,0) 13,1 (10,7)<br />
Anno Gy G 10 9,6 (10,5) 3,2 (3,3)<br />
bsv ’95 Gy G 10 11,8 (12,9) 4,7 (4,8)<br />
bsv ’97 Gy G 10 4,6 (5,0) 2,0 (2,0)<br />
Fragen Gy G Sek.I 0,7 (0,9) 0,2 (0,3)<br />
Geschehen Gy G 10 19,8 (20,5) 6,5 (6,4)<br />
Geschichtsbuch Gy G 10 11,3 (11,9) 4,3 (4,2)<br />
historia Gy G 10 3,7 (4,3) 1,1 (1,2)<br />
Tempora Gy G 10 3,3 (3,5) 1,2 (1,2)<br />
Zeiten Gy G 10 2,6 (3,5) 1,2 (1,3)<br />
Insgesamt zeigt sich, dass sich keine gravierenden Unterschiede in<br />
den einzelnen Ergebnissen bezüglich der Zählweise (ohne/mit Einleitung<br />
bzw. Anhang) ergeben. Daher soll <strong>im</strong> Folgenden nur die Raumanalyse<br />
ohne Einleitung und Anhang interpretiert werden, da dies zum einen gerade<br />
auch die Buchinhalte sind, die dem Schüler fast aussschließlich als<br />
Informationsquelle dienen und zum anderen bei der weiteren Analyse nur<br />
die genannten Abschnitte über die europäische Einigung ausführlich Beachtung<br />
finden. 341<br />
Im Fach Geschichte weisen die Schulbücher eine erhebliche Bandbreite<br />
in der Zuweisung des quantitativen Raumes auf. So werden Werte<br />
zwischen 0,7 Seiten und 23,2 Seiten (0,2 bis 41,7%) ermittelt. Dass beides<br />
Extremwerte sind, zeigt der Durchschnittswert von 13 Seiten (9,5%)<br />
pro Geschichtsbuch der Sekundarstufe I über die europäische Einigung<br />
nach 1945.<br />
341 s. Zahlenmaterial in der Tabelle ohne Klammer<br />
106
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
Ein Anstieg des quantitativen Raums von Büchern jüngeren Erscheinigungsdatums<br />
ist nicht als feste Regel aufstellbar. Vielmehr sind Schulbücher<br />
<strong>im</strong>mer eher von den sich ändernden Lehrplaninhalten abhängig,<br />
was sich durch die folgenden Aussagen manifestiert.<br />
Es lässt sich nicht übersehen, dass zwischen den Schularten bedeutende<br />
Unterschiede vorhanden sind. Im Durchschnitt kommt den Geschichtsschulbüchern<br />
des Gymnasiums mit 7,5 Seiten (2,7%) der geringste<br />
Inhalt zu, während die Hauptschul- (15 Seiten, 14,9%) und die Realschulbücher<br />
(18,9 Seiten, 13,4%) der Thematik eine vergleichbar größere<br />
Aufmerksamkeit widmen.<br />
Seit en<br />
Prozent<br />
20,0<br />
18,0<br />
16,0<br />
14,0<br />
12,0<br />
10,0<br />
8,0<br />
6,0<br />
4,0<br />
2,0<br />
0,0<br />
16,0<br />
14,0<br />
12,0<br />
10,0<br />
8,0<br />
6,0<br />
4,0<br />
2,0<br />
0,0<br />
Durchschnittlicher Anteil<br />
in Seiten<br />
Schulart en<br />
HS RS Gy<br />
Durchschnittlicher Anteil<br />
in Prozent<br />
Schulart en<br />
HS RS Gy<br />
107
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
Die unterschiedliche Präsenz der europäischen Einigung in den Geschichtsbüchern<br />
ist – wie schon erwähnt – natürlich mit den Lehrplanvorgaben<br />
zum Großteil zu begründen. Rechnet man wie <strong>im</strong> Kapitel zuvor geschehen<br />
die Richtstundenzahl in eine prozentuale Unterrichtszeit pro<br />
Schuljahr um und wagt einen Vergleich mit den prozentualen Anteilen<br />
der einzelnen Schulbücher, so müssten in der Haupschule 10% (Klasse 9)<br />
bzw. 32% (Klasse 10), der Realschule ca. 14,5% und dem Gymnasium<br />
keine Unterrichtszeit der europäischen Einigung gewidmet werden. Es<br />
zeigt sich, dass die <strong>Schulbuch</strong>verlage versuchen, diese Raumvorgaben<br />
durch die Bildungspläne auch in den Schulbüchern entsprechend zu berücksichtigen,<br />
wobei die Hauptschulbücher der Klasse 9 oft quantitativ<br />
unter der Richtzeit liegen, während die Gymnasialbücher das Thema <strong>im</strong>merhin<br />
prozentual betrachtet marginal berücksichtigen.<br />
Insgesamt erhält der Haupt- und Realschüler quantitativ die meisten<br />
Informationen über die gestellte Thematik, während der Gymnasiast der<br />
Sekundarstufe I oftmals nur unwesentlich damit konfrontiert wird.<br />
3.2.1.2 Gemeinschaftskunde<br />
<strong>Schulbuch</strong> Angaben in<br />
Seiten Prozent<br />
Damals HS GK 9 18,7 (20,4) 26,3 (24,0)<br />
Doppelpunkt HS GK 9 20,0 (21,2) 26,7 (25,4)<br />
Damals HS GK 10 3,8 (4,0) 6,8 (7,0)<br />
Doppelpunkt HS GK 10 1,6 (2,3) 2,3 (2,9)<br />
Anstöße RS GK 9/10 17,2 (19,6) 13,2 (13,2)<br />
Berufswahlvorb. RS GK 9/10 0,0 (0,0) 0,0 (0,0)<br />
Heute RS GK 10 39,0 (40,2) 42,9 (41,4)<br />
Politik RS GK 10 45,2 (46,4) 40,0 (38,7)<br />
Mensch ’95 Gy GK 10 0,5 (0,6) 0,3 (0,3)<br />
Mensch ’99 Gy GK 10 0,0 (0,0) 0,0 (0,0)<br />
Wandel Gy GK 10 0,0 (0,0) 0,0 (0,0)<br />
108
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
Wie schon <strong>im</strong> Fach Geschichte nehmen die folgenden Aussagen wegen<br />
zu geringer Unterschiede nur die Buchinhalte zur europäischen Einigung<br />
ohne Einleitung und Anhang als Grundlage.<br />
Dabei ist die Spannbreite, die die Gemeinschaftskundebücher der<br />
Thematik widmen mit null bis 45,2 Seiten (0 – 46,4%) erheblich größer<br />
als in der Geschichte. Doch ist die Nichtbeachtung der europäischen Einigung<br />
durchaus kein „Ausreißer“, ebensowenig wie andererseits die große<br />
Präsenz.<br />
Der Mittelwert ist bei 13,2 Seiten (14,4%) anzusiedeln. Es ist wiederum<br />
nicht möglich, eine Veränderung des quantitativen Raumes mit dem<br />
Erscheinungsjahr des Buches in Verbindung zu bringen.<br />
Eine richtiggehende Staffelung bei der Zuteilung des quantitativen<br />
Raums ist zwischen den Schularten feststellbar. Dem Gymnasium<br />
kommt mit durchschnittlich 0,2 Seiten (0,1%) ein an Umfang zu vernachlässigender<br />
Inhalt zu; die Hauptschule erreicht einen Durchschnittswert<br />
von 11,0 Seiten (15,5%), wobei hier auf die geringen Inhalte der Klasse<br />
10 hingewiesen werden muss 342 . Regelrechte „Spitzenwerte“ sind in den<br />
Realschulbüchern mit durchschnittlich 23,4 Seiten (24%) zu finden. 343<br />
Seit en<br />
25,0<br />
20,0<br />
15,0<br />
10,0<br />
5,0<br />
0,0<br />
Durchschnittlicher Anteil<br />
in Seiten<br />
Schulart en<br />
HS RS Gy<br />
342 Der durchschnittliche Raum liegt in der Klasse 9 bei 19,4 Seiten (26,5 %), während er in der<br />
Klasse 10 auf 2,7 Seiten (4,6 %) absinkt.<br />
343 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Gemeinschaftskundebücher der Realschule ohne „Berufswahlvorbereitung<br />
RS GK 9/10“ einen Mittelwert von 33,8 Seiten bzw. 32 % inne hätten.<br />
109
Quantitativer Anteil der europäischen Einigung nach 1945<br />
Auch hier sind die großen Unterschiede natürlich fast ausschließlich<br />
auf die Bildungspläne zurückzuführen. Wagt man wiederum einen Vergleich<br />
der Zeitvorgaben und damit dem quantitativen Raum der Gemeinschaftskundelehrpläne<br />
mit den entsprechenden Schulbüchern des Faches,<br />
so müsste die Hauptschule in der Klasse 9 <strong>im</strong>merhin 26,1% bzw. in der<br />
Klasse 10 keinerlei Inhalte, die Realschule mit 43,5% und das Gymnasium<br />
abermals keine Unterrichtszeit des Schuljahres <strong>im</strong> Fach Gemeinschaftskunde<br />
der europäischen Einigung widmen. Lediglich die Realschulbücher<br />
erreichen bei diesem Vergleich nicht den quantitativ nötigen<br />
Raum, wobei der Vergleich insofern hinkt, als natürlich keine präzise<br />
zeitliche Umsetzung der <strong>Schulbuch</strong>seiten in Unterrichtszeit vorgenommen<br />
werden kann. Ansonsten orientieren sich die Schulbücher sehr an<br />
den quantitativen Vorgaben seitens der Bildungspläne.<br />
Insgesamt erreichen in der Gemeinschaftskunde die Realschüler mit<br />
großem Abstand vor den Hauptschülern die meisten Inhalte zur europäischen<br />
Einigung, während der Gymnasiast in der Sekundarstufe I wie<br />
schon in der Geschichte weitgehend leer ausgeht.<br />
110
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
3.2.2 Anteile der einzelnen Themen der<br />
europäischen Einigung<br />
Frage: Welchen Anteil haben die einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
dabei?<br />
Die abschließenden Ergebnisse der vorliegenden quantitativen Raumanalyse<br />
werden in absoluten Zeilenzent<strong>im</strong>etern und in Prozenten angegeben.<br />
Auf eine erneute Angabe per Seiten muss hier verzichtet werden, da<br />
die einzelnen Themen oft nur min<strong>im</strong>al vertreten sind (z. B. 0,01 Seiten)<br />
und daher eine größere Aussagekraft und Lesbarkeit per Zeilenzent<strong>im</strong>eter<br />
gegeben ist. Nach dem kaufmännischen Prinzip wurden die ermittelten<br />
Werte auf die zweite Stelle nach dem Komma gerundet; so können bei<br />
einer Addition Rundungsdifferenzen auftreten. Abermals wurde bei der<br />
Präsentation der Ergebnisse nicht dem alphabetischen Prinzip sondern<br />
der Gliederung nach Schularten der Vorzug gegeben.<br />
3.2.2.1 Geschichte<br />
Bei der quantitativen Erfassung der Anteile zu einzelnen Themen der europäischen<br />
Einigung (s. Anhang Nr. 1) machen sich <strong>im</strong> Fach Geschichte<br />
deutlich die Lehrplanvorgaben bemerkbar. Dies betrifft in ganz besonderem<br />
Maße die Geschichtsbücher der Gymnasien, die aufgrund der nicht<br />
vorhandenen verbindlichen Lehrplaninhalte zur europäischen Einigung<br />
nicht nur eine höchst unterschiedliche Anzahl an Einzelthemen aufweisen,<br />
sondern auch große Schwankungen bezüglich des quantitativen Rahmens<br />
haben.<br />
Im Durchschnitt wird <strong>im</strong> gymnasialen Bereich mit 18,1 von 41 aufgestellten<br />
Einzelthemen pro Buch die geringste Vielfalt präsentiert, wobei<br />
bei der Einzelbetrachtung der Schulbücher die angedeuteten Schwankungen<br />
zwischen drei und 28 aufgearbeiteten Themen pro Buch liegen.<br />
Bei den beiden anderen Schularten sind <strong>im</strong> Allgemeinen bezüglich der<br />
Anzahl der behandelten Themen keine allzu großen Unterschiede feststellbar.<br />
So weisen die Hauptschulbücher durchschnittlich 23,7 und die<br />
Realschulbücher 24 Kategorien auf.<br />
Allen analysierten Geschichtsbüchern der Sekundarstufe I ist mit ansteigendem<br />
Erscheinungsjahr keine größere Vielfalt oder ein größerer<br />
quantitativer Raum bei best<strong>im</strong>mten Themen nachzuweisen.<br />
111
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
Insgesamt lassen sich zusammenfassende eindeutige Aussagen über<br />
die jeweiligen Anteile der einzelnen Themen an der europäischen Einigung<br />
nach 1945 über alle Schularten hinweg nur schwer feststellen, da<br />
die Geschichtsbücher bei genauer Einzelbetrachtung oftmals <strong>im</strong> quantitativen<br />
Bereich unterschiedliche Gewichtungen vornehmen. Wohl sind<br />
aber grobe Schwerpunkte oder zumindest Tendenzen erkennbar.<br />
Im Folgenden sollen zuerst die durch die einzelnen Schularten hinweg<br />
existierenden quantitativen Schwerpunkte aufgeführt werden, um darauf<br />
aufbauend die feststellbaren Tendenzen entsprechend dem chronologischen<br />
Aufbau des verwendeten Rasters zu ergänzen.<br />
Ohne Zweifel setzen alle Geschichtsbücher der Hautpschule in der<br />
Klasse 9 mit durchschnittlich 11,06% pro Buch einen Schwerpunkt bei<br />
der deutsch-französischen Versöhnung. Dies gilt nicht für die Hauptschulbücher<br />
der Klasse 10. Mit ansteigender Schulart lässt sich insgesamt<br />
nicht mehr die inhaltliche Kontinuität bezüglich des Teilthemas feststellen.<br />
In der Realschule ist die deutsch-französische Versöhnung noch als<br />
wichtig einzustufen, bildet dieser Teilaspekt in drei von sechs Geschichtsbüchern<br />
<strong>im</strong>merhin mit durchschnittlich 23,85% einen absoluten<br />
Schwerpunkt. Lediglich <strong>im</strong> Gymnasium spielt die deutsch-französische<br />
Versöhnung eine eher untergeordnete Rolle. Nur fünf der neun Bücher<br />
erwähnen sie, in einem davon („bsv ’97 Gy G 10“) wird eine schwerpunktmäßige<br />
Erfassung vorgenommen.<br />
Durchgängig durch alle Schularten hinweg liegt bei der Darstellung<br />
der Organe ein zweiter Schwerpunkt. Damit wird den Organen der<br />
EG/EU <strong>im</strong> Vergleich zu früheren <strong>Schulbuch</strong>erscheinungen <strong>im</strong>mer noch<br />
eine nicht zu unterschätzende Wichtigkeit zugesprochen. Doch ist die<br />
Spannbreite bei der Behandlung recht groß und reicht von einer lediglichen<br />
Nennung bis zur gründlichen Ausarbeitung. Hier zeigen sich wohl<br />
auch die unterschiedlichen didaktischen Ansätze: Jene, die eine intensivere<br />
Institutionenkunde anstreben 344 und andere, die eine bloße Nennung<br />
der Organe mit kurzen Erläuterungen für ausreichend halten. Zudem ist<br />
bei der quantitativen Erfassung natürlich zu berücksichtigen, dass gerade<br />
<strong>im</strong> Bereich der Institutionen verstärkt mit großflächigen Graphiken gearbeitet<br />
wird, die ebenfalls viel Raum einnehmen ohne unbedingt aussagekräftiger<br />
als textliche Angaben zu sein.<br />
Insgesamt finden die Organe von der Hauptschule bis zum Gymnasi-<br />
344 Es sind aber Unterschiede zu den 70er und 80er Jahren in diesem Bereich feststellbar, wo Anteile<br />
von 30 % für die Institutionen keine Seltenheit waren.<br />
112
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
um eine <strong>im</strong>mer geringer ausfallende Erörterung. So kommen der Hauptschule<br />
durchschnittlich 14,99%, der Realschule 6,74% und dem Gymnasium<br />
6,43% zu, wobei sich bei den Gymnasialbüchern nur sieben der<br />
neun Bücher mit den Organen befassen.<br />
Die nahe liegende Schlussfolgerung, dass mit einer vertiefenden Behandlung<br />
der Institutionen andere Bereiche wie die Politikfelder oder der<br />
historische Einigungsprozess generell vernachlässigt werden, ist bei genauer<br />
Analyse nicht haltbar. Zwar nicht generell, aber doch in 14 der 22<br />
Geschichtsbücher der Sekundarstufe I finden die Politikbereiche insgesamt<br />
eine beachtliche Umsetzung, wodurch man ihnen die dritte Schwerpunktsetzung<br />
zusprechen kann. Durchschnittlich widmet die Hauptschule<br />
8,52%, die Realschule 9,35% und das Gymnasium 9,79% den unterschiedlichen<br />
Politikfeldern, wobei festzustellen ist, dass die <strong>Schulbuch</strong>verlage<br />
die Themen oftmals auch in die parallel herausgegebenen Gemeinschaftskundebücher<br />
verlegen, sodass sich <strong>im</strong> Fall einer Nichtbehandlung<br />
<strong>im</strong> Fach Geschichte beide Fächer gut ergänzen (z. B. „Damals<br />
HS G 9“ und „Damals HS GK 9“ sowie „Doppelpunkt HS G 9“ und<br />
„Doppelpunkt HS GK 9“). Innerhalb der Politikbereiche der EG/EU setzen<br />
die Schularten zwar verschiedene Schwerpunkte, die allgemeinen<br />
Tendenzen sind aber ersichtlich.<br />
So ist bei allen Geschichtsbüchern die Wirtschaftspolitik der eindeutige<br />
Favorit, in der Hauptschule folgt in großem Abstand die Regionalpolitik;<br />
in der Realschule ist die Regional- und Agrarpolitik noch ein weiterer<br />
wichtiger Faktor während das Gymnasium auf die Agrarpolitik setzt. 345<br />
Andere Politikbereiche finden eher eine sporadische Erwähnung.<br />
Verwunderlich ist, dass in der Hauptschule die Bildungs-, Sozial- und<br />
Umweltpolitik ganz außer Acht gelassen wird, zumal diese Themengebiete<br />
für den Hauptschulabgänger (=Berufseinsteiger) von einer beruflich<br />
doch nicht unerheblichen Relevanz sein dürften.<br />
Ebenso wird in der Realschule die Bildungs-, Sozial- und Umweltpolitik<br />
gänzlich vernachlässigt, die Haushalts- und Entwicklungspolitik erst<br />
gar nicht angedeutet. Im Gymnasium findet man ein ähnliches Bild vor;<br />
hier sind es nur die Bildungs- und Forschungspolitik, zu denen keine<br />
Aussagen gemacht werden.<br />
Ein vierter Schwerpunkt ist in den Geschichtsbüchern mit dem Binnenmarkt<br />
und dem Vertrag von Maastricht gegeben. Dies gilt allerdings<br />
345 Die Agrarpolitik ist bei den Haupt- und Realschulbüchern in die Gemeinschaftskunde verlagert<br />
worden.<br />
113
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
bedauerlicherweise nur für die Hauptschule der Klasse 10 und die Realschule.<br />
Ist in der Hauptschule der Vertrag von Maastricht <strong>im</strong> Vergleich<br />
zum Binnenmarkt stärker gewichtet, so dreht sich das Verhältnis in der<br />
Realschule um. Generell ist be<strong>im</strong> Vertrag von Maastricht wie auch be<strong>im</strong><br />
Binnenmarkt keine quantitative Erhöhung in den Schulbüchern jüngeren<br />
Erscheinungsdatums festzustellen.<br />
Der fünfte und letzte Schwerpunkt ist über alle Schularten hinweg<br />
überraschenderweise mit dem Prozess der KSZE/OSZE vorzufinden.<br />
Zwar lassen sich hier die gemachten Lehrplanvorgaben als Grund aufführen,<br />
doch ist z. B. die Gründung der EWG in den Bildungsplänen ebenso<br />
berücksichtigt. Vergleicht man den quantitativen Anteil beider Bereiche<br />
(EWG, KSZE), so stellt man fest, dass die KSZE/OSZE einen deutlich<br />
höheren Anteil erhält und damit nicht nur durch die Lehrpläne, sondern<br />
auch durch die Schulbücher eine wichtige Stellung einn<strong>im</strong>mt. Erreicht<br />
die Thematik in der Hauptschule <strong>im</strong> Durchschnitt zwar nur 5,13%, so<br />
sind es in der Realschule und <strong>im</strong> Gymnasium Werte von 10,22% bzw.<br />
8,62%.<br />
Insgesamt betrachtet haben die Geschichtsbücher damit zwei von fünf<br />
Schwerpunkten (deutsch-französische Versöhnung, Prozess der<br />
KSZE/OSZE) vorzuweisen, die nicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit den integrativen<br />
Bestrebungen der europäischen Einigung stehen, sondern bilaterale<br />
oder kooperative Formen zum Ziel haben.<br />
Zählt man noch den <strong>Europa</strong>rat quantitativ zu den kooperativen Bereichen<br />
hinzu, so stellt man fest, dass die Geschichtsbücher der Sekundarstufe<br />
I – obwohl die Integration <strong>Europa</strong>s grundsätzlich textlich nirgends<br />
in Frage gestellt wird – dem „lockeren“ Zusammenschluss <strong>Europa</strong>s zumindest<br />
räumlich einen großen Anteil zur Verfügung stellen. Dies kann<br />
bei den Realschulbüchern beispielsweise ca. 11 bis 40% des Inhalts zur<br />
europäischen Einheit ausmachen.<br />
Nach der Erarbeitung der Schwerpunkte sollen nun Aussagen zu den<br />
übrigen Teilthemen der europäischen Einigung gemacht werden, mit der<br />
Zielvorgabe, festliegende Tendenzen herauszuarbeiten.<br />
Insgesamt beinhalten zwar alle Schulbücher Aussagen zu den Anfängen<br />
der europäischen Einigung 346 , doch ist der quantitative Anteil eher als<br />
gering einzustufen.<br />
Dies gilt <strong>im</strong> Besonderen für die Gründe der europäischen Einigung,<br />
die zwischen Null und 2,09% anzusiedeln sind. Es hat ein wenig den An-<br />
346 Hier markiert die Gründung der Montanunion den Endpunkt.<br />
114
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
schein, als ob die Einigung aus historischer Sicht keiner Begründung<br />
mehr bedarf, obwohl dies für die Gegenwartsbedeutung der Schüler sicherlich<br />
von großer Wichtigkeit sein dürfte, zumal die in der Luft liegende<br />
Frage: „Warum bleibt es nicht bei den Nationalstaaten?“ so nicht hinreichend<br />
geklärt ist.<br />
Ebenso gering werden die <strong>Europa</strong>modelle eingestuft. Der Verdacht,<br />
dass dem Hauptschüler zu dieser Thematik (0 – 3,03%) aus kognitiven<br />
Gründen kaum Inhalte zuzutrauen sind, erhärtet sich nicht, da in der Realschule<br />
(0 – 1,3%) und dem Gymnasium (0 – 2,82%) noch niedrigere Anteile<br />
zu verzeichnen sind!<br />
Die in den Schulbüchern vorhandene Symbolik für die Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
wie z. B. die <strong>Europa</strong>fahne ist in den Hauptschulbüchern traditionell<br />
am ausgeprägtesten und findet <strong>im</strong> Gegensatz dazu in den Real- und Gymnasialbüchern<br />
kaum Erwähnung.<br />
Eine Ausnahme bilden ferner bei den Realschulbüchern die Darstellung<br />
der Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s, die oft mit 5% des Inhalts gewürdigt<br />
werden. 347<br />
Dem <strong>Europa</strong>rat kommt in der Hauptschule mit durchschnittlich 2,9%<br />
pro Buch die meiste quantitative Bedeutung zu, wohingegen er in der<br />
Realschule oftmals lediglich erwähnt wird und in den Geschichtsbüchern<br />
des Gymnasiums nicht einmal mehr dies.<br />
Bei den Schritten zur historischen Integration <strong>Europa</strong>s n<strong>im</strong>mt nur die<br />
Montanunion mit 19 von 22 Geschichtsbüchern einen konstanten Platz<br />
ein, den die Gründung der EWG oder EG in keinem Fall erreicht.<br />
Wenn die Zahlen, die den quantitativen Anteil aufzeigen, zu den militärischen<br />
Zusammenschlüssen auch eher marginal sind, so ist das Scheitern<br />
der EVG am häufigsten genannt 348 , kaum allerdings der Brüsseler<br />
Pakt oder die daraus entstandene WEU.<br />
Überraschenderweise ist wie schon angedeutet mit der Gründung der<br />
EWG, EFTA und EG sowie den bisherigen Erweiterungen der EG/EU<br />
kein Ansteigen des quantitativen Rahmens verbunden. Vielmehr entsteht<br />
der Eindruck des bloßen Aufzählens. Kritische Töne sind bei der Gründung<br />
der EWG angebracht, denn obwohl diese aufgrund der entsprechenden<br />
Lehrplanvorgaben in 21 von 22 Geschichtsbüchern genannt ist, erscheint<br />
es fast nicht möglich, diesen für die europäische Einigung wichti-<br />
347 Ein Ausreißer ist hier „Unsere RS G 10“ mit einem Anteil von 12 % zu den Plänen über die Einigung<br />
<strong>Europa</strong>s.<br />
348 Das Scheitern der EVG nennen: drei Hauptschul-, alle Realschul-, fünf Gymnasialgeschichtsbücher.<br />
115
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
gen integrativen Schritt mit Hilfe so geringer Anteile dem Schüler zu verdeutlichen.<br />
349<br />
Der Vertrag von Amsterdam kann aufgrund seines In-Kraft-Tretens<br />
vom Mai 1999 zwar noch nicht in den Geschichtsbüchern aufgenommen<br />
sein, eine erneuerte Auflage von „Damals HS G 9“ nennt aber zumindest<br />
den Vertrag von Amsterdam <strong>im</strong> Rahmen der Ausweitung der Rechte für<br />
das Europäische Parlament. 350 Andere in Zukunft konzipierte Schulbücher<br />
werden diesem Beispiel eventuell folgen oder aber aufgrund der zu<br />
erwartenden weiteren Vertragsreformen „resignieren“ (s. Vertrag von<br />
Nizza) und die Inhalte unverändert vorlegen.<br />
Alle Schularten legen insgesamt gesehen großen Wert auf die Vorstellung<br />
der Mitgliedstaaten der EU, wobei sie in 20 von 22 Büchern erwähnt<br />
werden. 351<br />
Die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten, die <strong>im</strong>merhin Drehund<br />
Angelpunkt <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer weitergehenden Integration<br />
und dem Souveränitätsverzicht sind oder aber auch bisher oft zu Konfliktsituationen<br />
innerhalb der EG/EU führten, werden mit steigender<br />
Schulart häufiger aber keineswegs hinreichend genannt. 352<br />
Meinungen zur europäischen Einigung lassen sich hauptsächlich in<br />
den Haupt- und Realschulbüchern vorfinden, wobei diese oftmals auf<br />
Schlagworte verkürzt werden.<br />
Die Hauptschulgeschichtsbücher legen Wert darauf, den europäischen<br />
Einigungsprozess zu personifizieren, auch wenn diese bei genauer<br />
Betrachtung oftmals auf Adenauer, Schuman, de Gaulle und Churchill<br />
beschränkt bleibt. In der Realschule werden den europäischen Persönlichkeiten<br />
geringere Anteile gewidmet, <strong>im</strong> Gymnasium wird der Schüler<br />
vergleichsweise so gut wie gar nicht mit den Gedanken europäischer Persönlichkeiten<br />
konfrontiert. 353<br />
Die künftige Entwicklung der Gemeinschaft ist von den Geschichtsbüchern<br />
mit einer kommenden Erweiterung der EU gleichzusetzen. 354<br />
Andere künftige Reformen innerhalb der EU klingen kaum an; lediglich<br />
349 Der EWG kommt <strong>im</strong> Durchschnitt 3,98 % zu, wobei oft kaum die 2 %-Marke erreicht wird.<br />
350 s. damals – heute – morgen, Bauer/Diebold u. a., Leipzig 2000, S. 184<br />
351 Den Mitgliedstaaten der EU werden in der Hauptschule ein durchschnittlicher Anteil von<br />
3,25 %, in der Realschule 5,97 %, <strong>im</strong> Gymnasium 7,28 % zugebilligt.<br />
352 Die nationalen Interessen werden mit durchschnittlich 1,65 % wiedergegeben.<br />
353 Durchschnittlicher Anteil: Hauptschule 4,71 %, Realschule 3,85 %, Gymnasium 0,81 %.<br />
354 Neben Lücken um den Erweiterungsprozess <strong>im</strong> Gymnasialbereich, ist es verwunderlich, dass<br />
in der Realschule ein erst 1998 erschienenes Buch („Von... bis RS G 10“) die Thematik völlig<br />
ausspart.<br />
116
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
das Gymnasium thematisiert die Rolle eines vereinten Deutschlands innerhalb<br />
der EU.<br />
Es kann nicht behauptet werden, dass die Realschule mit durchschnittlich<br />
6,1% pro Buch weniger wiederholende Zusammenfassungen hat als<br />
die Hauptschule (6,6%), die traditionell die Wiederholung zu einem ständig<br />
wiederkehrenden didaktischen Unterrichtsprinzip zum Gegenstand<br />
hat. Im Gymnasium werden Zusammenfassungen zur europäischen Einigung<br />
nur in zwei Geschichtsbüchern angestrebt, was allerdings kein zu<br />
verallgemeinerndes Bild für die Geschichtsbücher des Gymnasiums ist,<br />
da – wie schon festgestellt – die Inhalte zur europäischen Einigung oft nur<br />
sporadisch oder innerhalb anderer Kapitel vorhanden sind.<br />
Die in einigen Haupt- und Realschulbüchern vorhandenen hohen prozentualen<br />
Werte unter der Kategorie „Sonstiges“ ergeben sich durch die<br />
Einbeziehung globaler Themen <strong>im</strong> jeweiligen Kapitel zur Geschichte der<br />
europäischen Einigung, wie z. B. dem Nord-Süd-Konflikt, der weltweiten<br />
Menschenrechtsproblematik oder Umweltverschmutzung, der Asylfrage<br />
oder einem Rückblick ins Zeitalter der Franken ohne aber auf die<br />
Rolle der EG/EU Bezug zu nehmen.<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den Geschichtsbüchern<br />
der Sekundarstufe I den Anfängen der europäischen Einigung<br />
bis hin zur Entwicklung der EG wenig Raum gegeben wird.<br />
Vereinzelt bilden neuere Entwicklungen wie der Binnenmarkt oder<br />
der Vertrag von Maastricht hier Ausnahmen.<br />
Künftige Entwicklungen der europäischen Einigung werden mit Ausnahme<br />
der Erweiterung der EU noch nicht angedacht.<br />
Schwerpunkte setzen die Geschichtsbücher <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
der deutsch-französischen Versöhnung, den Organen, Politikfeldern und<br />
dem Prozess der KSZE/OSZE.<br />
Somit fehlen häufig gerade die Anteile in den Geschichtsbüchern, die<br />
be<strong>im</strong> Schüler ein Bewusstsein schaffen, warum die europäische Einigung<br />
abgesehen von wirtschaftlichen Vorteilen heute nicht nur notwendig,<br />
sondern aus welchen Überlegungen sie auch <strong>im</strong> Ringen mit den verschiedenen<br />
nationalen Vorstellungen entstanden ist und welche Richtung die<br />
Einigung <strong>Europa</strong>s einschlagen könnte.<br />
117
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
3.2.2.2 Gemeinschaftskunde<br />
Aufgrund kaum feststellbarer Inhalte in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
des Gymnasiums, beziehen sich die folgenden Aussagen auf die<br />
Haupt- und Realschule (s. Anhang Nr. 2).<br />
Bei der durchgeführten Analyse sowie der Bearbeitung der anderen<br />
Fragestellungen soll das Gemeinschaftskundebuch „Berufswahlvorbereitung<br />
RS GK 9/10“ wie auch die Gymnasialbücher kaum mehr Beachtung<br />
finden, da ihnen die entsprechenden Inhalte fehlen.<br />
Gleich zu Beginn muss be<strong>im</strong> Vergleich zwischen den Schularten festgehalten<br />
werden, dass in der Hauptschule, bedingt durch die Lehrplanvorgaben,<br />
große Unterschiede quantitativer Art zwischen den Klassen 9<br />
und 10 vorliegen. So werden in der Werkrealschule durchschnittlich nur<br />
neun Einzelthemen zur europäischen Einigung behandelt, während in der<br />
Klasse 9 mit 18,5 Themen ein deutlich höherer und vielfältigerer Rahmen<br />
vorhanden ist.<br />
Die Realschulbücher der Gemeinschaftskunde sprechen <strong>im</strong> Durchschnitt<br />
mit 23,5 der 41 vorgegebenen Einzelthemen <strong>im</strong> Vergleich zur<br />
Hauptschule (13,8 Themen) eine größere Bandbreite an.<br />
Eine Regel, die den quantitativen Anteil mit dem Erscheinungsjahr in<br />
Verbindung bringt, lässt sich nicht ausmachen. 355<br />
In der Gemeinschaftskunde sind leichter als in der Geschichte ganz<br />
eindeutig Schwerpunkte festlegbar, auch wenn die einzelnen Schulbücher<br />
natürlich quantitative Schwankungen aufzuweisen haben. 356 Der<br />
erste Schwerpunkt ist bei den Organen der EG/EU zu setzen, wobei die<br />
Klasse 10 der Hauptschule davon auszunehmen ist. Dabei weist die<br />
Hauptschule der Klasse 9 (22,95%) einen durchschnittlich höheren Anteil<br />
als die Realschule (17,23%) auf.<br />
Zweitens ist in allen Gemeinschaftskundebüchern bei den Politikbereichen<br />
der EG/EU der absolute Schwerpunkt vorhanden. Beide Schularten<br />
weisen hier ähnlich hohe Anteile auf, wobei die Bücher der Realschule<br />
mit einer Spannbreite zwischen 9,63 und 28,85% (= Durchschnitt:<br />
21,47%) 357 und der Hauptschule zwischen 14,56 und 36,39% (= Durchschnitt:<br />
25,04%) große Unterschiede verzeichnen. Im Vergleich zu allen<br />
355 z. B. könnten Bücher neueren Datums mehr Inhalte zur Thematik aufweisen.<br />
356 Hier sei noch einmal der Hinweis getätigt, dass bei der Klasse 10 der Hauptschule wegen der<br />
geringen Inhalte auch die absoluten Werte zu beachten sind (Zeilenzent<strong>im</strong>eter), da die für den<br />
Betrachter hoch erscheinenden Prozentwerte sonst eventuell ein falsches Gesamtbild ergeben.<br />
357 Das <strong>Schulbuch</strong> „Berufswahlvorbereitung RS GK 9/10“ findet wegen fehlender Inhalte keine<br />
Berücksichtigung.<br />
118
Anteile der einzelnen Themen der europäischen Einigung<br />
anderen analysierten Büchern der Sekundarstufe I haben die Gemeinschaftskundebücher<br />
der Realschule bezüglich den Organen den größten<br />
absoluten Raum inne. Dabei gilt generell, dass in der Hauptschule mit der<br />
Wirtschafts- und Agrarpolitik sowie dem Bildungsbereich die größten<br />
Anteile zu verbuchen sind. Nicht so in der Realschule. Hier hat die Regionalpolitik<br />
mit einer besonderen Betonung Baden-Württembergs sicherlich<br />
aufgrund der bildungspolitischen Vorgaben einen Vorsprung vor der<br />
Wirtschaftspolitik. Finden in der Realschule andere Bereiche wie die<br />
Agrar-, Bildungs-, Haushalts-, Entwicklungs-, Sozial- und Umweltpolitik<br />
<strong>im</strong>merhin eine beträchtliche Beachtung, so haben die übrigen Politikbereiche<br />
in der Hauptschule eher einen ergänzenden Charakter. Völlig<br />
ausgespart bleiben in beiden Schularten die Forschungspolitik, in der<br />
Hauptschule ferner noch die Haushaltspolitik.<br />
Ein dritter Schwerpunkt ist bei den neueren Entwicklungen wie dem<br />
Binnenmarkt und dem Vertrag von Maastricht festzustellen. Wird in der<br />
Hauptschule eher dem Binnenmarkt mit durchschnittlich 6,06% der Vorrang<br />
vor dem vielleicht komplizierter wirkenden Vertrag von Maastricht<br />
(4,56%) eingeräumt, so ist das Verhältnis mit 8,02% (Binnenmarkt) zu<br />
10,47% (Vertrag von Maastricht) in der Realschule gerade umgekehrt.<br />
Eine kleine Nuance zwischen beiden Schularten lässt sich bei den nationalen<br />
Interessen der Mitgliedstaaten ausmachen. Werden diese in der<br />
Hauptschule fast totgeschwiegen, so finden sie in der Realschule wenigstens<br />
in Ansätzen eine Erwähnung.<br />
Schließt die Hauptschule mit einer näheren Kennzeichnung der Mitgliedstaaten,<br />
auch wenn dies zu Überschneidungen mit der Erdkunde in<br />
der Klasse 9 führen könnte, die Aussagen zur europäischen Einigung<br />
ab 358 , so lassen sich in der Realschule, wenn auch nur in geringem Umfang,<br />
eher noch Inhalte zur künftigen Entwicklung der europäischen Einigung,<br />
wie z. B. der Erweiterung oder den Reformen der EU finden. Eindeutig<br />
weist man in beiden Schularten den historischen Einigungsprozess<br />
dem Fach Geschichte zu, was die geringen Inhalte in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
auch belegen.<br />
Zusammenfassend sind neben den Schwerpunkten wie den Organen,<br />
Politikfeldern, dem Binnenmarkt und dem Vertrag von Maastricht in den<br />
Gemeinschaftskundebüchern nur vereinzelt Inhalte zu anderen Themengebieten<br />
vorzufinden. In beiden Schularten ist eine große quantitative<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung bei den Anteilen erkennbar, doch hat es den Anschein,<br />
358 Eine Ausnahme stellt hier „Damals HS GK 10“ mit dem Thema der künftigen Erweiterung dar.<br />
119
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
als würde die Hauptschule gerade bei den Politikbereichen die in den Medien<br />
favorisierten Themen ansprechen.<br />
3.2.3 Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen<br />
Einigung<br />
Frage: Mit welchen Inhalten belegen die Schulbücher die einzelnen Themen<br />
zur europäischen Einigung?<br />
Nach der quantitativen Erfassung der Einzelthemen zur europäischen Einigung<br />
soll nun aufgezeigt werden, welche Inhalte die Schulbücher damit<br />
in Verbindung bringen. Es muss noch einmal betont werden, dass es hier<br />
nur um die inhaltlichen Aspekte geht; ob die Schulbücher diese Inhalte<br />
überhaupt aufweisen oder in welchem quantitativen Rahmen das geschieht,<br />
ist Gegenstand der vorherigen Analyse.<br />
Insgesamt sind große inhaltliche Parallelen zwischen den entsprechenden<br />
Schulbüchern aller Schularten festzustellen, sodass hier nur <strong>im</strong><br />
Einzelfall auf die verschiedenen Schularten der Fächer eingegangen werden<br />
muss. 359 Um eine einheitliche Struktur zu wahren, soll bei der Inhaltsanalyse<br />
erneut auf das in der vorherigen Frage verwendete Raster unter<br />
Beachtung der Chronologie zurückgegriffen werden.<br />
3.2.3.1 Geschichte<br />
Die Geschichtsbücher verwenden <strong>im</strong> Zusammenhang mit den „<strong>Europa</strong>-<br />
Symbolen“ meistens die <strong>Europa</strong>-Flagge oder einen Teil des Textes der<br />
„<strong>Europa</strong>-Hymne: Ode an die Freude“. Dabei werden auch gerne die Flaggen<br />
aller Mitgliedstaaten, das blaue EU-Autokennzeichen oder aber die<br />
Sagenfiguren der „<strong>Europa</strong>“ und des als Stier verwandelten Zeus abgebildet.<br />
Die gemeinsamen Wurzeln <strong>Europa</strong>s lassen sich in den Gymnasialbüchern<br />
eher mit allgemeinen Aussagen wie z. B. den vorhandenen gemeinsamen<br />
europäischen Werten oder dem abendländischen Denken finden.<br />
Wesentlich konkreter sind hier die Haupt- und Realschulbücher, die das<br />
Christentum, ein europäisches Bewusstsein bedingt durch die gemeinsame<br />
Geschichte, die Kultur (z. B. Literatur, Kunst, Musik), Werte (Demo-<br />
359 Unterschiede sind sicherlich in der didaktisch-methodischen Aufbereitung vorhanden, die<br />
aber erst in den folgenden Fragestellungen eingehende Behandlung finden.<br />
120
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
kratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit) und die enge geografische<br />
Lage nennen. 360<br />
Bei der Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg dominieren ganz<br />
eindeutig Bilder oder Texte über das Ausmaß der Zerstörung <strong>Europa</strong>s.<br />
Der sich abzeichnende Beginn des Kalten Krieges und die folgende Spaltung<br />
<strong>Europa</strong>s wird auch nochmals klar herausgearbeitet. 361<br />
Als häufigster Grund für die europäische Einigung wird die Sicherung<br />
eines stabilen Friedens und die damit verbundene Friedenssehnsucht der<br />
Menschen genannt. In diesem Zusammenhang wird die Überwindung<br />
des Nationalismus und die Einigung <strong>Europa</strong>s als ein Weg zum dauerhaften<br />
Frieden angesehen. Die wirtschaftlichen Gesichtspunkte für die Einigung<br />
<strong>Europa</strong>s, wie z. B. das wirtschaftlich schwache <strong>Europa</strong> nach dem<br />
Krieg, die Entstehung eines großen Absatzmarktes oder die wirtschaftliche<br />
Behauptung gegenüber den Vereinigten Staaten stehen an zweiter<br />
Stelle. Die sicherheitspolitischen Erwägungen Westeuropas, sich <strong>im</strong><br />
Zuge des Ost-West-Konflikts gegenüber der Sowjetunion zusammenzuschließen,<br />
finden nicht die gleiche Beachtung. Zwar wird <strong>im</strong> Verlauf der<br />
Darstellung der deutschen Geschichte nach 1945 in den Schulbüchern<br />
<strong>im</strong>mer wieder auf Adenauers Politik der Westintegration und dem damit<br />
verbundenen Souveränitätsgewinn verwiesen, doch wird die spezifisch<br />
deutsche Sichtweise, über die europäische Einigung zur staatlichen Souveränität<br />
zu gelangen, explizit nur in einem Buch erwähnt. 362 Ebenso<br />
wird der Gedanke der „dritten Kraft“ kaum gewürdigt: <strong>Europa</strong> als ein den<br />
USA und der UdSSR vergleichbares Glied in der Welt.<br />
Die Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s reichen von ganz allgemeiner Art,<br />
wie der über die Jahrhunderte hinweg <strong>im</strong>mer wieder aufkommenden Idee<br />
zur Vereinigung <strong>Europa</strong>s oder einer Demonstration der Bevölkerung für<br />
eine europäische Regierung Anfang der 50er Jahre bis hin zu ganz konkreten<br />
Plänen einzelner Politiker. Hier sei ganz an der Spitze die Züricher<br />
Rede Winston Churchills vom September 1946 genannt, auch wenn seine<br />
Gedanken um die „Vereinigten Staaten von <strong>Europa</strong>“ in vielen Schulbüchern<br />
nicht weiter ausgeführt werden. In den Reihen des deutschen oder<br />
französischen Widerstandes spricht man sich für die Überwindung des<br />
360 Hier ist eine Gesamt- und keine Einzelbuchbetrachtung vorgenommen worden, d. h. es ist<br />
durchaus möglich, dass einzelne Bücher nicht all die aufgezählten Inhalte aufweisen, die Tendenz<br />
aber gewahrt bleibt.<br />
361 In drei Geschichtsbüchern wird der Wiederaufbau <strong>Europa</strong>s mit dem Marshallplan oder der<br />
OEEC verbunden.<br />
362 s. „Damals HS G 9“, S. 138<br />
121
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Nationalismus und für eine europäische Einigung als Lösung aus. Der<br />
Pan-<strong>Europa</strong>-Gedanke der 20er Jahre wird ebenso wie die Ideen von Briand<br />
und Stresemann von 1929 nicht klar herausgearbeitet, wohl aber das<br />
bundesstaatliche Ziel der europäischen Föderalisten von 1945, das ganz<br />
vereinzelt in den Büchern genannt ist. Aus späterer Zeit wird der erfolglos<br />
gebliebene Fouchet-Plan von 1961 zur Schaffung einer „Union der<br />
europäischen Völker“ 363 in einem <strong>Schulbuch</strong> behandelt. 364<br />
Die Geschichtsbücher konzentrieren sich bei den <strong>Europa</strong>modellen<br />
ganz eindeutig auf zwei: den europäischen Bundesstaat und Staatenbund.<br />
365 Einige Schulbücher verwenden auch Begriffe wie die der Föderation,<br />
Konföderation oder gar das von de Gaulle geprägte „<strong>Europa</strong> der<br />
Vaterländer“. Eine Besonderheit ist in „Geschehen Gy G 10“ zu finden,<br />
das mit der Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion aus dem<br />
Maastrichter Vertrag das in der Diskussion befindliche „<strong>Europa</strong> der zwei<br />
Geschwindigkeiten“ ins Spiel bringt. 366<br />
Nur zwei Schulbücher gehen auf die Europäische Bewegung als Vorgeschichte<br />
zur Gründung des <strong>Europa</strong>rates näher ein 367 , ansonsten stehen<br />
klar die Aussagen über die Institution <strong>im</strong> Vordergrund. Hier sind fast<br />
durchgängig die Gründung, Mitgliedstaaten und die wichtige Rolle der<br />
Menschenrechte vorzufinden. Leider wird nicht überall auf die Arbeitsweise<br />
des <strong>Europa</strong>rats, der politischen Durchsetzbarkeit der Konventionen<br />
oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingegangen.<br />
Häufig werden die Organe aufgezählt, ohne aber den Schüler über deren<br />
Kompetenzen aufzuklären. Zwei Schulbücher sprechen sogar die Aufnahmebedingungen<br />
in den <strong>Europa</strong>rat an. 368 Insgesamt wird die Wirksamkeit<br />
des <strong>Europa</strong>rats als hoch eingeschätzt und seine Rolle als Vorstufe für<br />
eine Aufnahme in die EU gerade für die Staaten Mittel-und Osteuropas<br />
vereinzelt notiert.<br />
Die Darstellung der deutsch-französischen Versöhnung setzt oft zeitlich<br />
weit vor 1945 ein, indem besonders in den Haupt-und Realschulge-<br />
363 „Damals HS G 10“, S. 31<br />
364 Die <strong>im</strong> Vorfeld der Gründung europäischer Institutionen entstandenen „Pläne“ wie z. B. die<br />
Bürgerbewegung (<strong>Europa</strong>rat), der Schuman-Plan (Montanunion) oder der Spaak-Bericht und<br />
die Konferenz von Messina (EWG) sind den jeweiligen Institutionen als „Vorgeschichte“ zuzuordnen.<br />
365 Insgesamt nennen die Schulbücher jedoch am häufigsten das bundesstaatliche Modell vor dem<br />
Staatenbund.<br />
366 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 289<br />
367 s. „Konkret RS G 10“, S. 70 und „Doppelpunkt HS G 9“, S. 173<br />
368 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 253 und „Morgen RS G 10“, S. 100<br />
122
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
schichtsbüchern die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden<br />
Nationen, die <strong>im</strong> 2. Weltkrieg in der totalen Katastrophe endeten, als<br />
Einführung in die Thematik genutzt werden, um dem Schüler die versöhnenden<br />
Schritte nach 1945 vor Augen zu führen.<br />
In allen Geschichtsbüchern wird der Elyséevertrag von 1963 als wichtiger<br />
Meilenstein der Verständigung beider Völker dargestellt und ist fast<br />
<strong>im</strong>mer mit Beispielen, wie u. a. den daraufhin entstandenen Partnerschaften,<br />
dem Deutsch-Französischen Jugendwerk angereichert. In fünf Geschichtsbüchern<br />
wird sogar der Weg von 1945 bis 1963 nachgezeichnet,<br />
indem die französische Deutschlandpolitik nach 1945, die Saarfrage und<br />
der folgende Wandel, u. a. bedingt durch das gute Verhältnis zwischen<br />
Adenauer und de Gaulle, aufgegriffen werden. Die guten Beziehungen<br />
zwischen den Staats- und Regierungschefs werden nochmals in besonderer<br />
Weise durch François Mitterand und Helmut Kohl hervorgehoben.<br />
Wohl sehen einige Geschichtsbücher Deutschland und Frankreich als<br />
Motor der europäischen Einigung, umgekehrt wird die deutsch-französische<br />
Versöhnung aber nicht mit Hilfe der europäischen Einigung begründet,<br />
sondern ist in der Darstellung eindeutig auf den kooperativen,<br />
bilateralen Verträgen und Handlungen aufgebaut. Die Rolle Frankreichs<br />
<strong>im</strong> Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands, die Deutschlandpolitik<br />
Frankreichs nach 1990 und die französischen Befürchtungen vor einer<br />
übermächtig starken deutschen Position innerhalb der EU sprechen zwei<br />
Schulbücher an. 369<br />
Lediglich in fünf Geschichtsbüchern wird der Schuman-Plan (1950)<br />
nicht explizit als Grundlage für das Entstehen der Montanunion genannt.<br />
Als „Monnet-Schuman-Plan“ wird der Gedanke nur einmal konsequent<br />
nachgezeichnet. 370 Viele Geschichtsbücher setzen mit Aussagen von<br />
Adenauer die positive Antwort auf den Schuman-Plan. Sind das Datum<br />
der Gründung und die Mitglieder der Montanunion weitestgehend lückenlos<br />
aufgeführt, so gilt dies nicht für die Organe und konkreten Aufgaben<br />
der EGKS. 371<br />
Die militärischen Zusammenschlüsse werden in den Schulbüchern<br />
nicht gleichermaßen mit Inhalten gefüllt. So kommt der Brüsseler Pakt<br />
ohne jegliche Erklärungen nur zu ganz spärlichen Nennungen, während<br />
die Hälfte der Schulbücher bei der WEU, deren Aufgaben oder Zielset-<br />
369 s. „bsv ’97 Gy G 10“, S. 184, S. 229 und „Unsere RS G 10“, S. 54 – 55, S. 59 – 60<br />
370 s. „Unsere RS G 10“, S. 53<br />
371 Nur acht Geschichtsbücher benennen bei den Organen die supranationale „Hohe Behörde“,<br />
fünf Bücher äußern sich zu den Aufgabenbereichen der EGKS.<br />
123
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
zungen vage miteinbezieht. Mit den meisten Inhalten ist aber kurioserweise<br />
der militärische Zusammenschluss versehen, der letztlich gescheitert<br />
ist: die EVG. Als Gründe für die Entstehung der EVG werden häufig<br />
die Frage um die Wiederbewaffnung Deutschlands und der Kalte Krieg<br />
aufgeführt. Vom Pléven-Plan, der die Grundlage für die EVG darstellt,<br />
erhält der Schüler nur die Information über die Beteiligung der Bundesrepublik<br />
durch Truppenkontingente und der Zust<strong>im</strong>mung der damaligen<br />
Bundesregierung zur EVG. Ausnahmslos alle Bücher nennen das Scheitern<br />
der EVG durch die französische Nationalversammlung, nur zwei Geschichtsbücher<br />
werten dies als tiefen Rückschlag für die europäische Einigung.<br />
372 Die durch den Vertrag vorgesehene Verbindung einer politischen<br />
Gemeinschaft (EPG) mit dem Militärbündnis (EVG) ist nur in drei<br />
Schulbüchern aufgeführt. 373 Mit wenigen Inhalten versehen ist das<br />
Kernstück der europäischen Integration: die Gründung der EWG und deren<br />
Vertragswerk. Werden in fünf Hauptschulbüchern die wirtschaftlichen<br />
Erfolge der EGKS, die Konferenz von Messina oder der<br />
Spaak-Bericht (1956) als ein Stein zur Gründung der EWG genannt, so<br />
n<strong>im</strong>mt diese „ausführliche“ Stellungnahme von der Hauptschule bis zum<br />
Gymnasium stetig ab. 374<br />
In allen Schulbüchern haben die Inhalte zur Gründung der EWG, der<br />
EURATOM und deren Gründungsmitglieder eher einen Stichwortcharakter.<br />
Auch bei der Einführung der Aufgaben und Ziele der EWG ist ein<br />
Unterschied zwischen den Schularten feststellbar. Die Hauptschulbücher<br />
setzen sich häufiger mit diesen auseinander als die Real- oder Gymnasialbücher.<br />
375 Die Rolle Großbritanniens bei der EWG-Gründung wird nur<br />
sporadisch angesprochen, wobei die Gründe für den Verzicht teilweise<br />
mit den Commonwealth-Verbindungen oder dem Souveränitätsverlust<br />
angegeben werden.<br />
Die EFTA wird, wenn auch nur stichwortartig, weitestgehend mit dem<br />
Begriff der Freihandelszone in Verbindung gebracht. Die Unterschiede<br />
zur EWG mit dem lediglichen Zollabbau als Zielvorgabe wird nur zwe<strong>im</strong>al<br />
erwähnt, ebensowenig, dass die EFTA keine politische Union anstrebt.<br />
Die Gründungsmitglieder der EFTA lassen sich viermal mittels<br />
372 s. „Damals HS G 10“, S. 30 und „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 174<br />
373 s. „bsv ’95 Gy G 10“, S. 205 und „Entdecken HS G 9“, S. 207 und „Entdecken ’94 RS G 10“, S.<br />
87<br />
374 Nur drei Realschulbücher und ein Gymnasialbuch gehen in gleicher Weise auf die genannten<br />
Punkte ein.<br />
375 Die Inhalte sind in sechs Hauptschul-, zwei Realschul- und zwei Gymnasialbüchern vertreten.<br />
124
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
geografischer Karten ausfindig machen. Insgesamt wird der EFTA eine<br />
wesentlich geringere politische und wirtschaftliche Bedeutung als der<br />
EWG in den Schulbüchern eingeräumt.<br />
Mit der Gründung der EG bringen alle Schulbücher die Zusammenlegung<br />
der Organe der EGKS, EWG und EURATOM stichwortartig in<br />
Verbindung; der Schüler wird aber wegen fehlender Erläuterungen damit<br />
wohl eher die Namensänderung von der EWG zur EG registrieren, als die<br />
tiefere Bedeutung in der Verknüpfung der Institutionen sehen.<br />
Die bisherigen Erweiterungen der EG/EU (1973 – 95) kann der Schüler<br />
sich aus kurzen Textpassagen oder geografischen Darstellungen erarbeiten.<br />
Je nach Erscheinungsjahr greifen die Geschichtsbücher nur die<br />
historischen Erweiterungen bis 1986 auf; weitestgehend ist die letzte Erweiterungsrunde<br />
von 1995 hinzugefügt. 376 Wird bei der Norderweiterung<br />
von 1973 die wirtschaftliche Anziehungskraft der EG noch vereinzelt als<br />
Antragsgrund für Großbritannien, Irland und Dänemark genannt, so fehlen<br />
jegliche Angaben von Gründen seitens der EG/EU oder den Antragstellern<br />
für die folgende Süderweiterung (1981/86) und zweite Norderweiterung<br />
(1995). Dies ist bedauerlich, zumal damit die Chance vertan<br />
wird, die Aufnahmebedingungen in die EG/EU mit historischen Beispielen<br />
zu koppeln. So gelänge es, vielleicht be<strong>im</strong> Schüler ein größeres Bewusstsein<br />
und Wissen nicht nur um die bisherigen Erweiterungen zu<br />
schaffen, sondern auch die Möglichkeit, die künftigen Erweiterungen<br />
besser in einen historischen Rahmen einstufen zu können. 377<br />
Die Organe der EG/EU nehmen nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich<br />
einen großen Anteil an der europäischen Einigung ein. In allen<br />
Geschichtsbüchern werden als Mindestmaß die Europäische Kommission,<br />
der Ministerrat und das Europäische Parlament mit ihren jeweiligen<br />
Aufgaben genannt. In vielen Büchern geht man in gleicher Weise auf den<br />
Europäischen Rat, den Europäischen Gerichtshof, den Wirtschafts- und<br />
Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen ein.<br />
Immerhin acht Schulbücher nennen alle vorhandenen Organe der EU<br />
und bringen diese in Beziehung zu ihren Aufgaben. Ferner legen die Bücher<br />
großen Wert auf die Zusammensetzung der Organe und ihren jeweiligen<br />
Sitz.<br />
Dem Europäischen Parlament gilt in neun Geschichtsbüchern ein be-<br />
376 In „Damals HS G 10“, S. 33 sind sogar die Überseegebiete berücksichtigt.<br />
377 Beispielsweise könnte die Wichtigkeit der Süderweiterung, oder warum sie erst in den 80er<br />
Jahren erfolgte, erörtert werden.<br />
125
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
sonderes Augenmerk. Dabei wird kaum die historische Entwicklung des<br />
Europäischen Parlaments <strong>im</strong> Sinne der sich ständig erweiternden Rechte<br />
<strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren nachgezeichnet, als vielmehr auf dessen<br />
Rechte <strong>im</strong> „gegenwärtigen“ Zustand 378 , dem bestehenden Demokratiedefizit,<br />
den <strong>Europa</strong>wahlen und der spezifischen Zusammensetzung des Parlaments<br />
eingegangen. Das Gesetzgebungsverfahren wird kaum an konkreten<br />
Beispielen nachvollzogen und wenn, dann nur mittels des Verfahrens<br />
der Zusammenarbeit. Es wäre eventuell sinnvoller, hier das aktuellere<br />
Mitentscheidungsverfahren einzusetzen, um eben dem Schüler die historisch<br />
gewachsene Bedeutung des Europäischen Parlaments aufzuzeigen.<br />
Die Schulbücher machen generell keine Angaben darüber, welche<br />
Rechte das Parlament selbst anstrebt, sondern vergleichen es häufig mit<br />
den nationalen Parlamenten, wodurch natürlich <strong>im</strong>mer ein Demokratiedefizit<br />
festgestellt werden muss. Oftmals werden die Rechte des Parlaments<br />
gerade <strong>im</strong> Bereich der Gesetzgebung, wie z. B. der Anhörung, Zusammenarbeit<br />
oder Mitentscheidung nur aufgezählt und nicht konkretisiert.<br />
Es könnte für den Schüler gerade in der Hauptschule sicherlich hilfreich<br />
sein, wenn man auf eine didaktische Vollständigkeit bei den Organen<br />
zugunsten der anschaulichen Erläuterung des Zusammenspiels zwischen<br />
der Kommission, dem Ministerrat und Parlament verzichten würde.<br />
Mit höchst unterschiedlichen Inhalten sind die Politikbereiche der<br />
EG/EU in den Schulbüchern enthalten. So kommen der Agrar-, Regionalund<br />
Wirtschaftspolitik nicht nur quantitativ die meisten Inhalte zu, diese<br />
werden auch vertiefend angesprochen, während man den anderen Bereichen<br />
nur in Ansätzen gerecht wird.<br />
Erstaunlicherweise werden die ursprünglichen Ziele und Gründe der<br />
Gemeinsamen Agrarpolitik nur in vier Schulbüchern erwähnt. Im Vordergrund<br />
stehen die durch die Agrarpolitik verursachten Kosten, das „Zuschusssystem“<br />
und die Überschussproduktion, was durch zahlreiche Bilder,<br />
Schaubilder und Karikaturen eingängig Dokumentation findet. Lösungsansätze<br />
wie z. B. die Agrarreform von 1992 oder die Einführung<br />
von Höchstmengen kommen nur in vier Geschichtsbüchern zum Tragen.<br />
Ein Hauptschulbuch hebt noch die eigenständige Rolle der Bauern in Baden-Württemberg<br />
durch den Einsatz des baden-württembergischen Herkunfts-<br />
und Qualitätszeichens für Agrarprodukte ab 1993 hervor. 379<br />
378 Diese sind je nach Erscheinungsjahr vor oder nach dem Maastrichter Vertrag aufgeführt.<br />
379 s. „Doppelpunkt HS G 10“, S. 89<br />
126
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Die Schulbücher sprechen <strong>im</strong> Bildungsbereich lediglich die Tatsache<br />
an, dass es EU-Förderprogramme gibt (z. B. PETRA) und fordern die<br />
Schüler auf, sich Informationen darüber zukommen zu lassen (s. Kontaktadressen).<br />
Der Forschungspolitik kommt eine äußerst stiefmütterliche Behandlung<br />
zu. Die gemeinsame Entwicklung der Trägerrakete „Ariane“ dient<br />
als einziges Beispiel. 380<br />
Die meisten Informationen zur Haushaltspolitik erhält der Schüler<br />
überraschenderweise durch ein Hauptschulbuch. 381 Hier findet der Haushalt<br />
der EU eine beispielhafte Aufschlüsselung in Einnahmen und Ausgaben,<br />
die Einnahmequellen der EU werden dargelegt und der Begriff des<br />
„Nettozahlers“ durch Deutschlands Zahlungen an die EU sowie dessen<br />
zahlreiche Vorteile durch die Mitgliedschaft in der EU aufgearbeitet.<br />
Ferner sind in zwei gymnasialen Schulbüchern nur höchst vereinzelt<br />
die Ausgaben der EU oder die „Mär“ vom deutschen Zahlmeister aufgenommen.<br />
382<br />
Die Hilfen der EU <strong>im</strong> Bereich der Entwicklungspolitik werden entweder<br />
allgemein als solche benannt oder spezifischer als Handelsabkommen<br />
mit zollfreiem Zugang zur EU bezeichnet. In vier Schulbüchern sind die<br />
AKP-Staaten und das Lomé-Abkommen direkt aufgeführt.<br />
Die in der EG/EU bestehenden regionalen Unterschiede bezüglich der<br />
Lebensverhältnisse sind das Hauptkriterium, das die Schulbücher unter<br />
dem Stichwort der Regionalpolitik subsumieren. Die daraus resultierenden<br />
Hilfeleistungen der EU sind in vier Haupt- und Realschulbüchern<br />
von Bedeutung; nur ein Geschichtsbuch führt explizit den Begriff des<br />
Strukturfonds ein. 383<br />
Unterstützungen, die das Land Baden-Württemberg zusätzlich in seine<br />
Regionen fließen lässt, werden nicht in den Geschichtsbüchern genannt;<br />
wohl aber Beispiele, die umgekehrt aufzeigen, welche Projekte<br />
beispielsweise durch die EG-Gelder in Baden-Württemberg unterstützt<br />
werden. 384<br />
Die Bandbreite in der Darstellung der Sozialpolitik ist sehr groß: Sie<br />
reicht von der reinen Nennung der sozialen Unterschiede <strong>im</strong> Bereich der<br />
Arbeitszeiten und Lohnhöhen bis hin zur EU-weiten Aufschlüsselung der<br />
380 s. „Damals HS G 9“, S. 137<br />
381 s. „Damals HS G 10“, S. 38 – 39<br />
382 s. „Anno Gy G 10“, S. 246 und „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208<br />
383 s. „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 116<br />
384 z. B. „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 120 – 121<br />
127
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
durchschnittlichen Familieneinkommen oder einem Auszug aus der Europäischen<br />
Sozialcharta. Das Ziel der EU, unterschiedliche soziale Bedingungen<br />
und den Lebensstandard in den verschiedenen Staaten oder<br />
Regionen anzugleichen, wird vereinzelt erwähnt.<br />
Die Umweltpolitik der EG/EU kommt in den Geschichtsbüchern<br />
kaum zum Tragen. Da ist zum einen nur die zeitliche Schwierigkeit bis<br />
einheitliche Richtlinien <strong>im</strong> Bereich des Umweltschutzes entstehen aufgezeigt<br />
oder zum anderen das Vorhandensein einer gemeinsamen Umweltschutzrichtlinie<br />
ganz global genannt.<br />
Die Inhalte bezüglich der Wirtschaftspolitik der EU sind vielfältiger.<br />
Kaum ein Geschichtsbuch betont nicht die wirtschaftlichen Erfolge durch<br />
den entstandenen großen Wirtschaftsraum.<br />
Dies wird auch durch Zahlenmaterial mit Beispielen für den Anstieg<br />
der Produktion innerhalb der EG/EU, dem Anteil der EG/EU am Weltmarkthandel<br />
oder der einzelnen Mitgliedstaaten am Handel innerhalb der<br />
EU dokumentiert. Vereinzelt ist von der insgesamt feststellbaren wirtschaftlichen<br />
Angleichung und dem Ziel, den „ECU“ als einheitliches<br />
Währungssystem einzuführen, die Rede. Daneben wird in der Hälfte der<br />
Geschichtsbücher zumeist mit Hilfe von Karikaturen das Problem der<br />
„Wirtschaftsfestung der EG/EU“ angesprochen. Mögliche Lösungen<br />
oder die kritische Hinterfragung, inwieweit die Schutzmechanismen vor<br />
Konkurrenz tatsächlich bestehen, werden kaum angeboten. 385<br />
Karikatur zur wirtschaftlichen Abschottung <strong>Europa</strong>s<br />
(Quelle: „Anno Gy G 10“, S. 247)<br />
385 s. „Anno Gy G 10“, S. 247 stellt hier eher eine Ausnahme dar. Ansonsten wird der Schüler in<br />
diesem Bereich mit einem einseitig negativen Bild konfrontiert.<br />
128
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Weitgehend alle Bücher setzen den Binnenmarkt mit den vier Freiheiten<br />
386 in Verbindung, wobei die meisten Schulbücher auch erläuternde<br />
Beispiele über die alltäglichen Auswirkungen des Binnenmarktes umsetzen.<br />
Ebenso zeigen doch <strong>im</strong>merhin sieben Geschichtsbücher mögliche<br />
Vor- und Nachteile des einheitlichen Marktes auf. Überraschenderweise<br />
geht kein Geschichtsbuch auf die Einheitliche Europäische Akte als erste<br />
Vertragsänderung (1. Juli 1987 in Kraft) seit den EWG-Verträgen ein und<br />
den damit auch wachsenden Rechten des Europäischen Parlaments <strong>im</strong><br />
Gesetzgebungsverfahren, der Einführung des Europäischen Rates als<br />
„Lenkungsorgan“ sowie den erweiternden Tätigkeitsbereichen der<br />
EG. 387<br />
Auch der Vertrag von Maastricht wird in 14 Geschichtsbüchern nicht<br />
unter dem Blickwinkel der erneuten Vertragsänderung betrachtet, sondern<br />
es werden vielmehr dessen Inhalte herausgearbeitet. 388 Dabei trifft<br />
man die graphische Darstellung des „Drei-Säulen-Hauses“ häufig an,<br />
auch wenn die unterschiedliche Bedeutung der Säulen bezüglich des integrativen<br />
oder kooperativen Ansatzes kaum herausgearbeitet wird. Insgesamt<br />
konzentrieren die Schulbücher sich zwar auf die Wirtschafts- und<br />
Währungsunion (WWU), es liegt aber keine ausschließliche Behandlung<br />
dieser vor. Inhaltlich wird nicht nur die europäische Währung als Ziel genannt,<br />
sondern u. a. auch der zeitliche Fahrplan, die Konvergenzkriterien,<br />
aber auch die Vor- und Nachteile bzw. Einstellungen einiger Mitgliedstaaten<br />
auf Regierungsebene zur WWU.<br />
Als weiteres Ziel des Unionsvertrags wird die Gemeinsame Außenund<br />
Sicherheitspolitik (GASP) in elf Büchern angegeben. Dabei fällt auf,<br />
dass oft darauf hingewiesen wird, dass die GASP noch nicht vollständig<br />
umgesetzt ist bzw. die EU wegen nationaler Vorbehalte noch nicht mit<br />
„einer St<strong>im</strong>me“ in der Außenpolitik spricht. Nachholbedarf haben die<br />
Bücher dahingehend, dass der Schüler wegen fehlender Herausstellung<br />
nicht den Unterschied zwischen der „kooperativen GASP“ und der „integrativen<br />
WWU“ erkennen kann, worin aber ein essentieller Grund in der<br />
mangelhaften Wirkung der GASP in Krisensituationen besteht.<br />
Das gleiche gilt für die geplante gemeinsame Innen- und Rechtspolitik,<br />
wobei diese nur in vier Büchern genannt ist und allenfalls mit einem<br />
Beispiel, wie der Schaffung einer gemeinsamen Asylpolitik oder Dro-<br />
386 Hier ist der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gemeint.<br />
387 u. a. sind die für die Schulen interessanten Bereiche wie die Stärkung der Forschungs- und<br />
Technologiepolitik, Einführung von Bildungsprogrammen und Umweltpolitik aufzuführen.<br />
388 s. „Vertrag über die Europäische Union“, seit 1.11.1993 in Kraft.<br />
129
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
genbekämpfung versehen wird. Umso erstaunlicher ist wohl, dass die<br />
Schulbücher, wenn auch vereinzelt, die Unionsbürgerschaft oder das<br />
Prinzip der Subsidiarität nicht nur aufgreifen, sondern begleitende Erläuterungen<br />
abgeben.<br />
Dass das Europäische Parlament mit dem Vertrag von Maastricht<br />
mehr Kompetenzen erhält, wird viermal auch erwähnt, jedoch nicht näher<br />
erläutert, obwohl die Graphiken neuerer Schulbücher <strong>im</strong>mer wieder die<br />
„Mitentscheidung“ des Parlaments als Stichwort beinhalten.<br />
Ganz außerhalb der Rolle nennt ein Gymnasialbuch sogar den vermehrten<br />
Gebrauch von Mehrheitsentscheidungen <strong>im</strong> Ministerrat in Zusammenhang<br />
mit dem Vertrag von Maastricht. 389<br />
Der Vertrag von Amsterdam ist – wie schon bei der quantitativen<br />
Analyse vermerkt wurde – bei den hier untersuchten Schulbüchern weder<br />
erwähnt noch mit Inhalten gefüllt.<br />
In drei Geschichtsbüchern stellt man dem Schüler aufgrund des Erscheinungsjahres<br />
die 12er Gemeinschaft der EG vor; in einem Gymnasialbuch<br />
wird die EG sogar erst mit neun Mitgliedstaaten dargestellt. 390<br />
Alle anderen Bücher nennen die seit 1995 existierenden 15 Mitgliedstaaten<br />
der EU. Dabei wird ganz vereinzelt versucht, dem Schüler die anderen<br />
Mitgliedstaaten dadurch näher zu bringen, indem sie die Hauptstädte per<br />
Namen oder Bilder, Daten über die Bevölkerungszahl und deren Wirtschaftskraft<br />
aufführen.<br />
Die nationalen Interessen werden gerne in den Karikaturen verkörpert,<br />
indem z. B. jeder Mitgliedstaat symbolisch den „Stier“ in eine andere<br />
Richtung lenken will, die Dame „<strong>Europa</strong>“ mit zu vielen Meinungen zu<br />
kämpfen hat oder aber hitzige Diskussionen gezeichnet werden (s. Abbildung<br />
auf S. 132).<br />
Inhaltlich stellen die Texte die nationalen Interessen ganz global als<br />
Hemmnis für eine weitergehende europäische Einigung dar. Konkreter<br />
werden die Aussagen, wenn die unterschiedlichen Interessen der Industriestaaten<br />
und der <strong>im</strong> Agrarbereich stark national orientierten Staaten<br />
aufgegriffen werden oder der Schutzmechanismus vor Konkurrenz zum<br />
Tragen kommt. Drei Geschichtsbücher gehen auf die von de Gaulle initiierte<br />
„Politik des leeren Stuhls“ (1. Juli 1965 bis 29. Januar 1966) und deren<br />
Ende durch den Luxemburger Kompromiss ein. Immer wieder wird<br />
auf die eigenständige französische Außenpolitik unter de Gaulle verwie-<br />
389 s. „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 242<br />
390 s. „Fragen Gy G Sek. I“, S. 11<br />
130
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Karikatur über den nationalen Eigennutz der Mitgliedstaaten der EG<br />
(Quelle: „Geschehen Gy G 10“, S. 246)<br />
sen. Frankreichs zwe<strong>im</strong>alige ablehnende Haltung gegenüber den britischen<br />
Aufnahmegesuchen in den 60er Jahren ist in einem <strong>Schulbuch</strong> aufgeführt.<br />
391<br />
Bei den Meinungen zur europäischen Einigung sind zum einen die<br />
<strong>Europa</strong>bilder Jugendlicher – sei es in Text- oder Plakatform – zu nennen,<br />
die allgemein den Einigungsprozess für gut oder schlecht befinden oder<br />
Aussagen zu best<strong>im</strong>mten Themengebieten wie dem Binnenmarkt, der europäischen<br />
Vielfalt, der Arbeitslosigkeit, der sozialen Gleichheit und<br />
dem Vertrag von Maastricht. Zum anderen sind dre<strong>im</strong>al Umfragen zur<br />
EG-Mitgliedschaft aufgeführt, die aber <strong>im</strong>mer dann gemacht wurden,<br />
wenn das Interesse an der europäischen Einigung bei der deutschen oder<br />
der Bevölkerung der Mitgliedstaaten am Abnehmen war. 392<br />
391 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 246<br />
392 z. B. „bsv `95 Gy G 10“, eine Umfrage von 1981 zum Thema „EG gut oder schlecht?“, S. 211<br />
oder in: „Damals HS G 10“ wurde die Zust<strong>im</strong>mung der Deutschen zur EG zwischen 1990 und<br />
1992 mit abnehmender Tendenz festgehalten, S. 38<br />
131
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Veraltete Umfrage zur EG-Mitgliedschaft von 1981<br />
(Quelle: „bsv ´95 Gy G 10“, S. 211)<br />
So kann be<strong>im</strong> Schüler ein falsches Bild entstehen, zumal Umfrageergebnisse<br />
vom Schüler oftmals als objektiv und allgemeingültig angesehen<br />
werden. Leider fehlen in diesem Zusammenhang Hinweise oder Arbeitsaufträge,<br />
Vergleiche mit aktuellen Umfragen anzustellen. Eine den<br />
Schüler aktivierende Form seine Meinung wiederzugeben ist mit der nur<br />
einmalig verwendeten Frageform „Wo machst du mit?“ 393 verbunden.<br />
Das Ergebnis bleibt offen und ist individuell verwertbar.<br />
Mit den europäischen Persönlichkeiten verbinden die Schulbücher<br />
weniger deren politische Konzepte als die reine Abbildung von „Köpfen“.<br />
Mag der Schüler durch die begleitenden Quellen noch einen Auszug<br />
aus den europapolitischen Vorstellungen eines Winston Churchill, Robert<br />
Schuman, Konrad Adenauer, Charles de Gaulle oder Vaclav Havel<br />
erfahren, bei Monnet, Mitterand oder Kohl ist dies kaum mehr der Fall,<br />
zumal ein Großteil der genannten Politiker wie auch z. B. Giscard d` Estaing<br />
und Schmidt <strong>im</strong> Zusammenhang mit der deutsch-französischen<br />
Versöhnung abgebildet oder erwähnt werden. So kommt nicht unbedingt<br />
deren Rolle <strong>im</strong> europäischen Einigungsprozess zum Zuge, sie sind vielmehr<br />
schmückendes Beiwerk.<br />
393 „Unsere RS G 10“, S. 69 – 70<br />
132
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
In den älteren Schulbüchern, die Anfang der 90er Jahre erschienen<br />
sind, wird die künftige Erweiterung der EU zwar genannt, nicht aber an<br />
best<strong>im</strong>mten Staaten festgemacht. Neuere Ausgaben gehen verstärkt auf<br />
die tschechischen, polnischen und ungarischen Forderungen um Aufnahme<br />
in die EU ein bzw. führen die jeweils nach dem Erscheinungsjahr des<br />
Geschichtsbuches „aktuellen“ Assoziierungs- bzw. <strong>Europa</strong>abkommen<br />
kartographisch auf. Ganz vereinzelt werden auch die Hilfeleistungen der<br />
EU für die antragstellenden Staaten zur Heranführung an die EU genannt.<br />
Vier Schulbücher klären den Schüler über die Aufnahmebedingungen in<br />
die EU auf, fünf gehen in Zeichnungen auf den von Gorbatschow initiierten<br />
Gedanken eines europäischen Hauses ein.<br />
Zum Gedanken eines europäischen Hauses von Michail Gorbatschow<br />
(Quelle: „Entdecken HS G 9“, S. 212)<br />
Eine Ausnahme ist sicherlich, wenn in einer ausführlichen Diskussion<br />
der Frage um die Aufnahme in die EU <strong>im</strong> Falle der Slowakei und der Türkei<br />
nachgegangen wird. 394 Ebenso wird nur einmal per Karikatur die EU<br />
als Festung in Bezug auf die Öffnung Anfang der 90er Jahre gesehen. 395<br />
Der Inhalt über künftige Reformen der EU beschränkt sich auf die<br />
vage Aussage, dass die EU nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eine<br />
neue politische Rolle in der Welt übernehmen kann.<br />
394 s. „Entdecken `99 RS G 10“, S. 124 – 125<br />
395 s. „Doppelpunkt HS G 9“, S. 177<br />
133
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Die Rolle der Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> wird nur in<br />
den Gymnasialgeschichtsbüchern <strong>im</strong> Zusammenhang mit der deutschen<br />
Wiedervereinigung eindeutig dahingehend gesehen, dass die europäische<br />
Einigung für die Bundesrepublik die Zukunft darstellt und umgekehrt ein<br />
„europäisches Deutschland“ gefordert wird, d. h. eine Bundesrepublik,<br />
die aufgrund ihres starken Gewichts in den europäischen Einigungsprozess<br />
fest verankert ist. Dieser Gedanke wird in einem <strong>Schulbuch</strong> durch<br />
den geänderten Artikel 23 des Grundgesetzes aus dem Jahr 1992 untermauert.<br />
396<br />
Die sporadisch vorhandenen Zukunftsvisionen über die europäische<br />
Einigung greifen entweder den Vergleich mit den Vereinigten Staaten<br />
von Amerika auf oder sprechen allgemein von der neuen europäischen<br />
Einheit mit gesamteuropäischen Institutionen, wobei man sich nicht auf<br />
die Art des Zusammenschlusses (Föderation, Konföderation) festlegt. Inhaltlich<br />
äußerst homogen ist in allen Geschichtsbüchern der Prozess der<br />
KSZE und deren Weiterentwicklung zur OSZE dargestellt. In fast allen<br />
Schulbüchern werden die Teilnehmer der KSZE, die Inhalte und die unterschiedlichen<br />
Schwerpunkte, die der Westen (Menschenrechte) und der<br />
Osten (Unverletzlichkeit der Grenzen, Status quo in <strong>Europa</strong>) bei den Verhandlungen<br />
setzte, sowie den Auswirkungen auf die Staaten Mittel- und<br />
Osteuropas beispielsweise mit dem Entstehen der Menschenrechtsbewegungen<br />
(u. a. die Charta 77, Solidarnosc) behandelt. In <strong>im</strong>merhin acht<br />
Geschichtsbüchern wird die Pariser Charta für ein „neues <strong>Europa</strong>“ mit Inhalten<br />
versehen. Der Prozess der Umwandlung von der KSZE in die<br />
OSZE (1995) reicht von der bloßen Nennung bis zur Behandlung der<br />
Aufgaben und Organe der OSZE, wobei nur sechs Schulbücher ihr Aufmerksamkeit<br />
schenken.<br />
Die Zusammenfassungen in Form von Zeitstrahlen, Autorentexten,<br />
Lernzirkel oder wiederholenden Aufgaben und Literaturangaben gehen<br />
meistens nochmals auf den Zeitraum zwischen 1945 und 1995 ein. 397<br />
Ausnahmen sind nur bei wesentlich älteren Geschichtsbüchern festzustellen.<br />
Die Kategorie „Sonstiges“ umfasst meistens global aufgezeigte Probleme<br />
in der Welt, wie die Asylfrage, Umweltproblematik, Menschenrechtsfrage,<br />
Collagen über die europäische Einigung oder aber die Abbil-<br />
396 s. „historia Gy G 10“, S. 325, 327<br />
397 Je nach Erscheinungsjahr nehmen die Schulbücher Anfang der 90er den Vertrag von Maastricht<br />
noch mit auf.<br />
134
dung von Straßenfesten, die die Begegnung zwischen den Menschen fördern<br />
sollen.<br />
Auf eine Zusammenfassung bezüglich der in den Geschichtsbüchern<br />
vorhandenen Inhalte zur europäischen Einigung muss aufgrund der vielfältigen<br />
Aussagen verzichtet werden, da dies zu einer Vereinfachung führen<br />
würde und die Gefahr bestünde, den Schulbüchern nicht mehr gerecht<br />
zu werden. Die inhaltlichen Schwerpunkte und Tendenzen sind aus dem<br />
vorangegangenen Kapitel ersichtlich.<br />
3.2.3.2 Gemeinschaftskunde<br />
Insgesamt sind große Parallelen bei den Inhalten zur europäischen Einigung<br />
zwischen den Geschichts- und den Gemeinschaftskundebüchern<br />
der Haupt- und Realschule festzustellen. Diese sind vor allem in den Anfängen<br />
der Einigung auszumachen, wobei nochmals auf die in der Gemeinschaftskunde<br />
vorhandenen sporadischen Aussagen zum historischen<br />
Einigungsprozess hingewiesen werden muss.<br />
Bei den Politikbereichen der EG/EU oder den aktuelleren Entwicklungen<br />
sind ebenfalls Parallelen zur Geschichte vorhanden; die Inhalte<br />
sind <strong>im</strong> ein oder anderen Fall in der Gemeinschaftskunde stärker vertiefend<br />
aufgeführt.<br />
Im Folgenden werden die einzelnen Inhalte der Gemeinschaftskundebücher<br />
der Haupt- und Realschule zur europäischen Einigung aufgelistet.<br />
Ebenso wie in der Geschichte ist auch in der Gemeinschaftskunde die<br />
<strong>Europa</strong>fahne das am meisten gebrauchte Symbol. Daneben sind noch das<br />
„Euro-KFZ-Nummernschild“, das Emblem des Europäischen Parlaments,<br />
das Symbol für die EU, die Figuren aus der griechischen Sage<br />
(„<strong>Europa</strong>“ und der Stier) sowie das Logo der Eurovisions-Sendungen aus<br />
dem Fernsehen abgebildet.<br />
Bei den gemeinsamen Wurzeln <strong>Europa</strong>s dominieren Aussagen über<br />
die gemeinsamen Gebräuche, Sitten und Lebensgewohnheiten, die aber<br />
nicht näher ausgeführt werden. Nur ein Realschulbuch spricht das<br />
Abendland und die kulturelle Gemeinschaft <strong>im</strong> Bereich der Musik und<br />
Literatur an. 398 In drei von zehn Büchern wird die Zerstörung <strong>Europa</strong>s<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg als Ausgangslage für die europäische Einigung<br />
sichtbar gemacht sowie einmal der Beginn des Kalten Krieges erwähnt,<br />
woraus sich auch die Gründe zur Einigung herleiten lassen.<br />
Im Vordergrund steht hier der Gedanke, eine Friedensgemeinschaft<br />
398 s. „ Politik RS GK 10“, S. 65<br />
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
135
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
zu schaffen, wodurch <strong>Europa</strong> natürlich auch an politischer Stabilität gewinnen<br />
sollte. Die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen<br />
und der Aufbau einer sozialen Sicherheit als Gründe für die Einigung<br />
werden nur am Rande erwähnt.<br />
Die vorhandenen Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s lassen sich fast ausschließlich<br />
in den Geschichtsbüchern antreffen. Lediglich der globale<br />
Gedanke, ein vereintes <strong>Europa</strong> zu schaffen, wird einmal genannt. 399<br />
Überraschenderweise sind auch die <strong>Europa</strong>modelle inhaltlich nicht<br />
breit gefächert; der bundesstaatliche Ansatz wird dre<strong>im</strong>al angesprochen,<br />
der kooperative <strong>im</strong> Sinne eines Staatenbundes nur einmal.<br />
Der Weg zum <strong>Europa</strong>rat wird nur in einem Realschulbuch mit der<br />
Aufzählung der Anzahl der Mitgliedstaaten, seiner Aufgaben, der Organe,<br />
der Wirkung der Konventionen und <strong>im</strong> Besonderen der Menschenrechtsfrage<br />
<strong>im</strong> Verbund mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte<br />
näher erläutert. 400 Die Inhalte zur deutsch-französischen<br />
Versöhnung, der Montanunion sowie zu den militärischen Zusammenschlüssen<br />
sind zu vernachlässigen. 401<br />
Den Lehrplanvorgaben folgend sind in den Hauptschulbüchern der<br />
Klasse 9 die Präambel des EWG-Vertrages abgedruckt, woraus der Schüler<br />
sich die Zielsetzung der EWG erarbeiten kann. Ansonsten wird in den<br />
Büchern die EWG lediglich genannt.<br />
Von der EFTA, der Gründung der EG sowie den bisherigen Erweiterungen<br />
der EG/EU (1973 – 95) erfährt der Schüler so gut wie nichts. Es<br />
erhebt sich die Frage, ob hier vorausgesetzt wird, dass für den Schüler die<br />
Inhalte der Geschichtsbücher als ausreichend angesehen werden.<br />
In breitem Maße werden die Geschichtsbücher, mit Ausnahme der<br />
Hauptschule Klasse 10, von den Gemeinschaftskundebüchern <strong>im</strong> Bereich<br />
der Organe unterstützt. 402 Dabei ist auffallend, dass in fast allen Büchern<br />
die Organe, deren Zusammensetzung, Sitz und Aufgaben <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren<br />
vollständig erwähnt werden. 403 Der Unterschied zwischen<br />
den Richtlinien und Verordnungen wird dre<strong>im</strong>al herausgearbeitet.<br />
In <strong>im</strong>merhin ebenso vielen Fällen werden die Organe mit dem Begriff der<br />
Bürokratie in Zusammenhang gebracht. Ein ganz besonderes Augenmerk<br />
gilt dem Europäischen Parlament, wobei hier nicht das Demokratiedefizit<br />
399 s. „Damals HS GK 9“, S. 175<br />
400 s. „Politik RS GK 10“, S. 99 – 101<br />
401 Nur in „Politik RS GK 10“ sind der WEU die Mitglieder und Organe zugeordnet, S. 97.<br />
402 Die Organe der EG/EU sind schon in der Geschichte mit vielen Inhalten versehen.<br />
403 Eine Ausnahme bildet „Damals HS GK 9“.<br />
136
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
<strong>im</strong> Vordergrund steht 404 , sondern vielmehr die spezifische Zusammensetzung<br />
der Fraktionen, die <strong>Europa</strong>wahlen und die Rechte des Parlaments.<br />
405 Insgesamt werden v. a. die Rechte des Europäischen Parlaments<br />
mit mehr Inhalt als in der Geschichte belegt.<br />
Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments bei der Gesetzgebung<br />
(Quelle: „Politik RS GK 10“, S. 81)<br />
Das Zusammenwirken der Organe wird in einem Realschulbuch sogar<br />
am Beispiel der „Novel-Food“-Verordnung (1992/93) mit dem Verfahren<br />
der Zusammenarbeit nachgezeichnet. 406<br />
Die Politikbereiche der EG/EU sind gerade in den Büchern der Realschule<br />
mit zahlreichen Inhalten versehen.<br />
Nichts wesentlich Neues <strong>im</strong> Vergleich zu den Geschichtsbüchern<br />
kommt bei der Agrarpolitik zum Tragen. Ebenso wie dort werden die anfänglichen<br />
Ziele der gemeinsamen Agrarmarktpolitik, die schnelle Produktivitätssteigerung<br />
in diesem Bereich, die subventionierte Preis- und<br />
Abnahmegarantie und die darauffolgende Überschussproduktion genannt.<br />
In allen Gemeinschaftskundebüchern werden allerdings die Reformen<br />
als Weg zur Lösung der Überschussproduktion herangezogen und in<br />
zwei Büchern mit Beispielen der Umsetzung in einem landwirtschaftlichen<br />
Betrieb versehen. 407 Dabei gibt der aufgeführte Bauer den Hilfsleistungen<br />
aus dem eigenen Land (hier: Baden-Württemberg) den Vorzug.<br />
404 Das Demokratiedefizit wird nur einmal in „Anstöße RS GK 9/10“, S. 130 genannt.<br />
405 Folgende Rechte des Parlaments werden erwähnt: Gesetzgebung, Kontrollrechte, Haushaltsrechte,<br />
außen- und innenpolitische Rechte.<br />
406 s. „Anstöße RS GK 9/10“, S. 130 -131<br />
407 Hier ist u. a. die Reform von 1992 zu nennen.<br />
137
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Bezüglich der Bildungspolitik werden nicht nur die bestehenden Bildungsprogramme<br />
der EU (z. B. Petra, Lingua) genannt und auch mit<br />
Adressen versehen, der Schüler wird durch die Texte regelrecht dazu an<strong>im</strong>iert,<br />
neue Kenntnisse zu erwerben, wobei den Sprachen ein besonderes<br />
Augenmerk zukommt.<br />
Haushaltspolitisch nennt nur ein <strong>Schulbuch</strong> die Einnahmequellen der<br />
EU und in welche politischen Zweige die Ausgaben hauptsächlich fließen.<br />
408 In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff des „Nettozahlers“<br />
eingeführt. Obwohl klargestellt wird, dass dem rechnerischen Minus<br />
viele Vorteile durch den freien Warenverkehr entgegenzusetzen sind,<br />
wird wohl jeder Schüler die Tatsache, dass die Bundesrepublik der<br />
„wichtigste Nettozahler“ 409 ist, unbewusst oder bewusst als gerecht oder<br />
änderungswürdig einstufen. In dem zitierten <strong>Schulbuch</strong> fehlt in diesem<br />
Zusammenhang die Betonung des vertraglich festgelegten Gedankens<br />
der Solidarität.<br />
Die Entwicklungspolitik der EU wird nur in zwei Realschulbüchern<br />
mit Inhalten gefüllt. Wichtig ist hierbei sicherlich die Nennung der vertraglichen<br />
Verankerung der Entwicklungspolitik durch den Vertrag von<br />
Maastricht (Art. 130 u), aber auch die Zielsetzung mit der Festigung und<br />
Umsetzung der Demokratie, des Rechtsstaates, der Menschenrechte und<br />
Grundfreiheiten <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Entwicklungsarbeit. Ferner<br />
nennen die Bücher die AKP-Länder und versehen die EU-Hilfen mit konkreten<br />
Beispielen. Das Lomé-Abkommen wird in einem Buch ausführlich<br />
behandelt, wobei auch die Befürchtung der Entwicklungsländer um<br />
das Entstehen einer „Festung <strong>Europa</strong>“ aufgegriffen wird. 410<br />
Bedingt durch den Bildungsplan wird die Regionalpolitik in den Realschulbüchern<br />
hervorgehoben. Diese ist neben dem Aufzeigen von regionalen<br />
Unterschieden und Lösungsansätzen durch die Strukturpolitik der<br />
EU sehr stark auf das Land Baden-Württemberg zugeschnitten. So wird<br />
der Bedeutung der Regionen, aber auch ganz spezifisch den Bundesländern<br />
eine große Rolle zugeschrieben und in diesem Zusammenhang gerne<br />
auf den Ausschuss der Regionen, das Subsidiaritätsprinzip oder auf<br />
die kommunale Wahlberechtigung der „EU-Staatsbürger“ hingewiesen.<br />
408 s. „Heute RS GK 10“, S. 75<br />
409 ebd.<br />
410 s. „Anstöße RS GK 9/10“, S. 136 nennt folgende Inhalte des Lomé-Abkommens: zoll- und<br />
mengenfreier Zugang zum „EU-Markt“, garantierte Erlöse für Rohstoffe, Unterstützung von<br />
bevölkerungspolitischen Maßnahmen, des Umweltschutzes, des privaten Sektors und des Demokratisierungsprozesses.<br />
138
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Die geografische Lage Baden-Württembergs, die Änderung des Vorspruchs<br />
der Landesverfassung von 1995, die Partnerschaftsregionen Baden-Württembergs<br />
sei es die Arbeitsgemeinschaft „Vier Motoren für <strong>Europa</strong>“<br />
411 , das Pamina-Projekt 412 oder bestehende Städtepartnerschaften<br />
sollen nicht nur die aktive Rolle Baden-Württembergs innerhalb <strong>Europa</strong>s<br />
untermauern, sondern auch ganz klar die Wichtigkeit der Regionen <strong>Europa</strong>s<br />
herausstreichen. Diese „starke Stellung“ Baden-Württembergs als<br />
europäische Region wird in den Geschichtsbüchern kaum betont.<br />
Bei der Sozialpolitik nennen zwei Realschulbücher die Angleichung<br />
der sozialen Systeme der Mitgliedstaaten als Zielvorgabe der EU; ein<br />
Auszug aus der Sozial-Charta bekräftigt den Grundsatz der Gleichbehandlung.<br />
Hinweise <strong>im</strong> Bereich der Umweltpolitik werden durch die EU-weiten<br />
Richtlinien über das Trinkwasser und den Drei-Wege-Katalysator angedeutet<br />
ebenso wie die Haltung der EU zum in Rio de Janeiro 1992 beschlossenen<br />
„Leitbild der nachhaltigen Entwicklung“. 413<br />
Wie schon <strong>im</strong> Fachbereich Geschichte wird <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
der Wirtschaftspolitik u. a. die Wirtschaftskraft und das Handelsvolumen<br />
der EU an der Weltproduktion hervorgehoben. Das Prinzip der Einfuhrzölle<br />
und Ausfuhr-Erstattungen (z. B. Agrarmarkt) und die Kritik von<br />
Drittstaaten an diesem zeigt nur ein Gemeinschaftskundebuch auf, wobei<br />
gleichzeitig Lösungsansätze (z. B. Verringerung der „Zölle“ und „Subventionen“)<br />
gesucht werden. 414<br />
Verbinden die Hauptschulbücher der Klasse 9 mit dem Binnenmarkt<br />
nur die vier Freiheiten mit Beispielen und der Aufzählung von Vorteilen,<br />
so führen die Realschulbücher zusätzlich noch den Inhalt und die Teilnehmer<br />
des Schengener Abkommens auf. Der dadurch entstehenden Warenvielfalt<br />
<strong>im</strong> Supermarkt sollen die Schüler in zwei Büchern nachgehen.<br />
Dem Vertrag von Maastricht werden in fünf Gemeinschaftskundebüchern<br />
zahlreiche Inhalte zugeordnet. Dabei setzen vier Bücher das<br />
„drei-Säulen-Modell“ ein, aber nur zwei unterscheiden zwischen dem integrativen<br />
oder kooperativen Einigungsgrad der einzelnen Säulen.<br />
411 Gemeint sind die vier Regionen: Rhônes-Alpes, Katalonien, Lombardei, Baden-Württemberg.<br />
412 Pamina bedeutet Palatinat, Mittlerer Oberrhein, Nord d‘ Alsace (grenzüberschreitende Entwicklungskonzeption<br />
der Regionen Nordelsass, Südpfalz und Mittlerer Oberrhein).<br />
413 „Damals HS GK 10“, S. 111. Eventuell verdeutlicht der „Rio-Beschluss“ dem Schüler auch ein<br />
gemeinsames Auftreten der EU bei Gipfeln.<br />
414 s. „Heute RS GK 10“, S. 88 – 89<br />
139
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Der Vertrag über die Europäische Union<br />
„Be<strong>im</strong> Zusammenwirken und be<strong>im</strong> Zusammenspiel der EU-Staaten und der<br />
EU-Organe kann man grob zwei Abstufungen unterscheiden:<br />
Zusammenarbeit: Die Staaten haben vereinbart, daß ihre Regierungen in best<strong>im</strong>mten<br />
Bereichen nicht mehr allein handeln, sondern zusammenarbeiten. Für<br />
die Gesetzgebung in diesen Bereichen sind die Parlamente der Einzelstaaten<br />
zuständig. Gemeinsamkeit: Die Staaten haben für best<strong>im</strong>mte Bereiche die gesetzgebende<br />
und die vollziehende Gewalt auf die gemeinsamen Organe der<br />
EU übertragen. Die Zuständigkeit liegt also bei der EU, nicht mehr bei den<br />
Einzelstaaten.“<br />
(Quelle: „Heute RS GK 10“, S. 60)<br />
Der Wirtschafts- und Währungsunion kommen mit der Zielvorgabe<br />
der Schaffung einer gemeinsamen Währung, deren zeitliche Umsetzung<br />
sowie den Konvergenzkriterien die meisten Inhalte zu. In allen fünf Büchern<br />
wird die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die gemeinsame<br />
Rechts- und Innenpolitik genannt und dre<strong>im</strong>al mit Inhalten<br />
verbunden. Eine Besonderheit bietet ein Realschulbuch, in dem es den<br />
Weg zu „Gemeinsamen Standpunkten“ oder „Gemeinsamen Aktionen“<br />
genau nachzeichnet und das Ziel einer gemeinsamen Armee nennt. 415<br />
415 s. „Politik RS GK 10“, S. 95, 97<br />
140
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Ferner sind in den aufgeführten Büchern die Unionsbürgerschaft und das<br />
Subsidiaritätsprinzip erklärt. Den erweiterten Rechten des Europäischen<br />
Parlaments kann der Schüler ohne genauere Angabe wohl kaum Folge<br />
leisten.<br />
Angefügt sei noch, dass je ein <strong>Schulbuch</strong> das Petitionsrecht und den<br />
Grundsatz der Solidarität in der Gemeinschaft erwähnen. Zusammenfassend<br />
bieten die Gemeinschaftskundebücher zwar zahlreiche Inhalte zum<br />
Maastrichter Vertrag an, die unmittelbaren Auswirkungen auf den Alltag<br />
– auch eines Schülers – könnten noch verstärkt zum Ausdruck kommen.<br />
Total übergangen wird der Vertrag von Amsterdam in den analysierten<br />
Schulbüchern.<br />
Die 15 Mitgliedstaaten der EU werden oftmals mit näheren Angaben<br />
über die Einwohner, Fläche, Hauptstädte und Wirtschaftskraft in Form<br />
kurzer Steckbriefe versehen.<br />
Die nationalen Interessen werden in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
nicht wie in der Geschichte als Hemmnis für eine weitergehende Integration<br />
angesehen. Vielmehr wird nur vereinzelt auf den nationalen Eigennutz<br />
hingewiesen. 416 Die Schwierigkeit, dass zur Lösung übernationaler<br />
Probleme oft mittels langer Verhandlungen Kompromisse vonnöten sind,<br />
wird einmal aufgezeigt. 417<br />
Neben einer Umfrage 418 dominieren die Meinungen Jugendlicher zur<br />
EU. In eine Entscheidungsposition wird der Schüler versetzt, wenn er<br />
vorgegebenen Aussagen zust<strong>im</strong>men oder diese negieren soll.<br />
Über führende und maßgeblich mitentscheidende europäische Persönlichkeiten<br />
liegen keine Angaben vor.<br />
Die künftige Erweiterung der EU wird weniger mit der Fragestellung,<br />
welche Staaten zuerst aufgenommen werden sollen untersucht 419 , als<br />
vielmehr die hohen Kosten, die Schwierigkeiten der „jungen“ Demokratien<br />
in Mitteleuropa und der Appell, den Gedanken eines gemeinsamen<br />
Hauses <strong>Europa</strong> umzusetzen, betont. Interessant ist eine Karikatur, in der<br />
ein Wartesaal zur EU mit ziemlich verstaubten Insassen der zweiten<br />
Klasse abgebildet ist. 420<br />
416 Als Beispiele sind die unterschiedlichen Steuersysteme der Mitgliedstaaten, die Bananeneinfuhr<br />
in die EU und die Arbeiter-Entsende Richtlinie der EU zu nennen.<br />
417 s. „Heute RS GK 10“, S. 79<br />
418 s. „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 195 – Umfragen zur EG/EU-Mitgliedschaft von 1991 und 1994<br />
419 Diesem Bereich schenkt der Fachbereich Geschichte seine Aufmerksamkeit.<br />
420 s. „Damals HS GK 10“ S. 94<br />
141
Inhalte der einzelnen Themen zur europäischen Einigung<br />
Karikatur zur künftigen Erweiterung der EU<br />
(Quelle: „Damals HS GK 10“, S. 94)<br />
Sehr konkret werden in zwei Realschulbüchern die künftigen Reformen<br />
der EU angesprochen. Zum einen soll die EU in die Lage versetzt<br />
werden, künftige Mitglieder aufzunehmen. Wie die Reform diesbezüglich<br />
auszusehen hat, wird offen gelassen. Zum anderen wird <strong>im</strong> Zuge von<br />
möglichen Reformen der Gedanke der Übertragung der Gemeinsamen<br />
Außen- und Sicherheitspolitik und der gemeinsamen Rechts- und Innenpolitik<br />
von der dritten in die erste Säule angesprochen.<br />
Die Rolle der Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> (EU) ist in<br />
den Gemeinschaftskundebüchern nicht vermerkt.<br />
Zukünftige Visionen über die europäische Einigung werden mit dem<br />
Gedankenspiel eines Austritts der Bundesrepublik aus der EU, aber auch<br />
der Forderung, die Probleme gemeinsam anzugehen, festgehalten. Eine<br />
Stellungnahme, wie die EU <strong>im</strong> Jahr 2010 aussehen könnte, wird einmal<br />
vom Schüler gefordert.<br />
Eine inhaltlich wesentlich geringere Stellung als in der Geschichte hat<br />
der Prozess der KSZE, der nur vereinzelt genannt wird. Dem gegenüber<br />
gehen zwei Bücher auf die aktuellere OSZE, deren Aufgaben und Wirkungen,<br />
ein.<br />
Die Zusammenfassungen in den Gemeinschaftskundebüchern greifen<br />
oft nochmal die wesentlich zuvor behandelten Begriffe in Text-, Frageoder<br />
Memoryform auf.<br />
Inhalte, die der Kategorie „Sonstiges“ zuzuschreiben sind, betreffen<br />
in den Gemeinschaftskundebüchern die Asylpolitik, das Ende des Kalten<br />
Krieges und die damit neu entstehenden Grenzen in Osteuropa (z. B.<br />
GUS) sowie die globale Verantwortung <strong>Europa</strong>s „für die Welt“.<br />
142
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
3.2.4 Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern<br />
(Lehrplankonformität)<br />
Frage: Lassen sich die geforderten Lehrplaninhalte und Lernziele über<br />
die europäische Einigung in den Schulbüchern finden?<br />
Grundsätzlich geht der Lehrer bei dem gegenwärtigen <strong>Schulbuch</strong>zulassungsverfahren<br />
sicherlich davon aus, dass die vom Ministerium genehmigten<br />
Schulbücher lehrplankonform sind und eine nochmalige Überprüfung<br />
nicht notwendig ist. Dies mag für den Unterrichtsalltag auch zutreffen,<br />
doch sollte eine wissenschaftlich angelegte <strong>Schulbuch</strong>analyse einen<br />
Vergleich der entsprechenden Lehrpläne mit den Schulbüchern einbeziehen.<br />
Dabei bildet der zuvor schon ausführlich dargelegte baden-württembergische<br />
Bildungsplan von 1994 die Grundlage, auch wenn sechs der<br />
hier vorliegenden Bücher zu einem früheren Zeitpunkt konzipiert wurden.<br />
Eine Gegenüberstellung dieser älteren Schulbücher zu den Lehrplänen,<br />
die damals als Basis dienten (z. B. Bildungsplan von 1984) mag zwar<br />
interessant sein, geht aber an der schulpraktischen Tatsache vorbei, dass<br />
die zugelassenen Schulbücher <strong>im</strong>mer dem neuesten Bildungsplan entsprechen<br />
müssen.<br />
Nachdem der Lehrplan von Baden-Württemberg Bildungs- und Erziehungsinhalte<br />
vorzuweisen hat, ist es sinnvoll, die Schulbücher nicht nur<br />
auf die Lehrplaninhalte, sondern auch auf die Lernziele hin zu überprüfen.<br />
Obwohl jedes Buch natürlich auf alle entsprechenden Lehrplaninhalte<br />
und Lernziele analysiert wurde, ist es aus lesetechnischen Gründen nicht<br />
erstrebenswert, alle Teilergebnisse zu präsentieren, da sonst alle Themengebiete<br />
sowie die Lernziele der vier verschiedenen Lehrpläne pro<br />
Fach aufgeschlüsselt dokumentiert werden müssten. 421<br />
Vielmehr wird hier das abgebildete Endergebnis der Frage gerecht, ob<br />
die entsprechenden Lehrplaninhalte und -ziele <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> vorhanden<br />
sind.<br />
Eine Differenzierung wird mit der Abstufung durch die folgende<br />
Kennzeichnung vorgenommen:<br />
421 Hierbei wären die Klassen 9 und 10 der Hauptschule sowie die beiden zehnten Klassen der<br />
Realschule und des Gymnasiums je Fach zu beachten.<br />
143
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
Lehrplanvorgaben <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>:<br />
++ = ausführlich vorhanden<br />
+ = vorhanden (auch als Stichworte)<br />
- = nicht vorhanden<br />
Eine ausführliche Umsetzung der Lehrplanvorgaben berücksichtigt<br />
nicht nur den Raum, den das <strong>Schulbuch</strong> den Lehrplanvorgaben zubilligt,<br />
sondern erhebt auch den Anspruch, alle Lehrplaninhalte – selbst die Hinweise<br />
und Wahlthemen – aufzuführen.<br />
Die zweite Kategorie geht davon aus, dass alle Lehrplanvorgaben<br />
(verbindliche Inhalte) zumindest als Stichworte vorhanden sind, während<br />
die dritte Gruppierung eindeutige Lücken bei der Umsetzung <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong><br />
feststellt.<br />
Die in tabellarischer Form dargestellte Übersicht fasst wieder die einzelnen<br />
Schularten zusammen. Trotzdem soll ein abschließender Text<br />
mögliche Differenzen zwischen den Schularten oder Tendenzen bei der<br />
Lehrplanumsetzung in den Schulbüchern herausarbeiten.<br />
3.2.4.1 Geschichte<br />
<strong>Schulbuch</strong> Lehrplaninhalte Lehrplanziele<br />
Damals HS G 9 ++ ++<br />
Doppelpunkt HS G 9 ++ ++<br />
Entdecken HS G 9 ++ +<br />
Quer HS G 9 + +<br />
Reise HS G 9 - +<br />
Damals HS G 10 ++ ++<br />
Doppelpunkt HS G 10 ++ +<br />
Entdecken ’94 RS G 10 + +<br />
Entdecken ’99 RS G 10 + ++<br />
Konkret RS G 10 ++ ++<br />
Morgen RS G 10 + ++<br />
Unsere RS G 10 ++ ++<br />
Von ... bis RS G 10 + +<br />
144
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
Anno Gy G 10 + Lehrplanziele<br />
bsv ’95 Gy G 10 ++ nicht vorhanden.<br />
bsv ’97 Gy G 10 +<br />
Fragen Gy G Sek.I -<br />
Geschehen Gy G 10 ++<br />
Geschichtsbuch Gy G 10 ++<br />
historia Gy G 10 +<br />
Tempora Gy G 10 +<br />
Zeiten Gy G 10 +<br />
Lehrplanvorgaben <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>:<br />
++ = ausführlich vorhanden<br />
+ = vorhanden (auch als Stichworte)<br />
- = nicht vorhanden<br />
Insgesamt ist bei allen Geschichtsbüchern eine große Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
mit den Lehrplanvorgaben feststellbar.<br />
Immerhin zehn der 22 analysierten Schulbücher weisen alle Lehrplaninhalte<br />
ausführlich auf, sieben setzen die Lehrplanziele vorbildlich um.<br />
Die durch die Lehrpläne vorgegebenen Pflichtthemen werden in 20<br />
Büchern umgesetzt, die Lehrplanziele 13 Mal angesprochen.<br />
Dabei ist nochmals anzumerken, dass be<strong>im</strong> Gymnasium lediglich die<br />
unverbindlichen Lehrplanhinweise zur Thematik in der Sekundarstufe I<br />
als Grundlage dienen. Lehrplanziele sind <strong>im</strong> Bildungsplan keine vorhanden,<br />
wodurch sich jede Analyse erübrigt und damit keine Ergebnisse vorzuweisen<br />
sind.<br />
Insgesamt haben zwei Geschichtsbücher erhebliche Lücken bei den<br />
verbindlichen Themen der Lehrpläne 422 ; beide Schulbücher sind allerdings<br />
älteren Erscheinungsdatums, sodass sie nicht mehr mit dem jüngsten<br />
Bildungsplan von 1994 korrespondieren.<br />
Im Folgenden sollen die einzelnen Schularten beleuchtet werden.<br />
Von den Lehrplaninhalten ist in fünf der sieben Geschichtsbücher der<br />
Hauptschule eine absolute Lehrplankonformität festzustellen; oftmals<br />
wird inhaltlich sogar darüber hinausgegangen. 423<br />
422 Hierbei handelt es sich um „Reise HS G 9“ mit Fehlanzeige bei der KSZE und den Römischen<br />
Verträgen sowie „Fragen Gy G Sek. I“ mit Defiziten in allen Bereichen.<br />
423 Zusätzlich werden Themen wie die Entwicklung Mittel- und Osteuropas, <strong>Europa</strong> und die Welt,<br />
145
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
Die Lehrplanziele werden in drei Schulbüchern ohne Abstriche umgesetzt.<br />
Da die Ziele in der Klasse 9 und 10 bei der Thematik weitestgehend<br />
gleich sind, können in der nun folgenden Beurteilung beide Klassenstufen<br />
zusammengefasst werden. Die Schulbücher weisen unterschiedliche<br />
Defizite auf. Dre<strong>im</strong>al wird nicht das Zusammenspiel zwischen „nationalen<br />
und gesamteuropäischen Anliegen“ 424 herausgearbeitet, einmal fehlen<br />
die Werte, die dem Einigungsprozess nach 1945 als Grundlage dienen<br />
und die Kräfte, die den Annäherungsprozess in Gang setzten.<br />
In der Realschule orientieren sich zwei Geschichtsbücher absolut an<br />
den Lehrplaninhalten, alle anderen decken zumindest die verbindlichen<br />
Inhalte und noch weite Bereiche der Hinweise ab. Bei der vergleichenden<br />
Beurteilung zwischen den Schularten muss an dieser Stelle festgehalten<br />
werden, dass der Realschullehrplan in Geschichte die umfangreichsten<br />
Vorgaben macht, sodass es natürlich auch „schwieriger“ ist, diese entsprechend<br />
umzusetzen. Im inhaltlichen Bereich spart nur ein <strong>Schulbuch</strong><br />
das verbindliche Thema der <strong>Europa</strong>pläne aus 425 , ein anderes versäumt<br />
den Vertrag von Maastricht zu nennen 426 , ansonsten sind Defizite dahingehend<br />
festzustellen, dass die Lehrplanhinweise nicht alle berücksichtigt<br />
werden. Dabei sind übereinst<strong>im</strong>mend die Haager Konferenz, der <strong>Europa</strong>rat,<br />
der Besuch von Gedenkstätten beider Weltkriege, die EFTA und vereinzelt<br />
Texte aus dem europäischen Widerstand betroffen.<br />
Trotzdem haben die Realschulbücher auch Inhalte, die über den Lehrplan<br />
hinausreichen, wie z. B. das Scheitern der EVG, den Binnenmarkt,<br />
die Organe der EG/EU, die deutsch-französische Verständigung oder Politikbereiche<br />
(Agrar-, Sozial-, Wirtschaftspolitik).<br />
Die Lehrplanziele werden in vier von sechs Schulbüchern vollständig<br />
umgesetzt, zwei Bücher schenken den Gründen und der daraus folgenden<br />
Notwendigkeit einer Einigung <strong>Europa</strong>s kaum Beachtung.<br />
Im Gymnasium setzen nur drei von neun Büchern alle Lehrplanhinweise<br />
ausführlich um, wobei festzustellen ist, dass gerade die Geschichtsbücher,<br />
die der europäischen Einigung ein eigenes Kapitel widmen, hier<br />
die meisten Lehrplanvorgaben erfüllen. 427 Fünf Schulbücher weisen Lü-<br />
die historischen Gemeinsamkeiten, das Scheitern der EVG, <strong>Europa</strong>modelle oder aber Politikbereiche<br />
(Agrar-, Haushaltspolitik) behandelt.<br />
424 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 286<br />
425 s. „Von ... bis RS G 10“<br />
426 s. „Morgen RS G 10“<br />
427 Folgende Bücher setzen für die europäische Einigung ein eigenes Kapitel an: „Anno Gy G 10“,<br />
„bsv ’95 Gy G 10“, „Geschehen Gy G 10“, „Geschichtsbuch Gy G 10“, „Zeiten Gy G 10“.<br />
146
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
cken in den unterschiedlichsten Bereichen auf: Der Ausbau der europäischen<br />
Integration wird zwe<strong>im</strong>al, die deutsch-französische Aussöhnung<br />
und die Bedeutung des europäischen Hauses werden dre<strong>im</strong>al kaum beachtet.<br />
Ein Gymnasialbuch hat – wie schon erwähnt – Defizite in allen<br />
Bereichen.<br />
Immerhin gehen sechs Geschichtsbücher des Gymnasiums über die<br />
spärlichen Lehrplanvorgaben hinaus, wenn sie Themen, wie z. B. die<br />
Gründe für die europäische Einigung, den <strong>Europa</strong>gedanken nach 1945,<br />
den <strong>Europa</strong>rat, die Montanunion, das Scheitern der EVG, Schwierigkeiten<br />
bei der Einigung, die EFTA oder den Prozess der KSZE ansprechen.<br />
Zusammenfassend muss den Geschichtsbüchern der Sekundarstufe I<br />
bezüglich der Thematik der europäischen Einigung fast durchgängig eine<br />
Lehrplankonformität <strong>im</strong> Bereich der Umsetzung der verpflichtenden Inhalte<br />
und Ziele anerkannt werden.<br />
3.2.4.2 Gemeinschaftskunde<br />
<strong>Schulbuch</strong> Lehrplaninhalte Lehrplanziele<br />
Damals HS GK 9 + +<br />
Doppelpunkt HS GK 9 ++ +<br />
Damals HS GK 10 ++ ++<br />
Doppelpunkt HS GK 10 ++ +<br />
Anstöße RS GK 9/10 + ++<br />
Berufswahlvorb. RS GK 9/10 - -<br />
Heute RS GK 10 ++ ++<br />
Politik RS GK 10 + ++<br />
Mensch ’95 Gy GK 10 - Lehrplanziele<br />
Mensch ’99 Gy GK 10 - nicht vorhanden<br />
Wandel Gy GK 10 -<br />
Lehrplanvorgaben <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong>:<br />
++ = ausführlich vorhanden<br />
+ = vorhanden (auch als Stichworte)<br />
- = nicht vorhanden<br />
147
Vergleich der Lehrpläne mit den Schulbüchern (Lehrplankonformität)<br />
Insgesamt sind <strong>im</strong> Großen und Ganzen den Schulbüchern auch <strong>im</strong><br />
Fachbereich der Gemeinschaftskunde ein hohes Maß an Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
mit den Lehrplänen zu attestieren.<br />
Hiervon müssen die drei Gymnasialbücher jedoch ausgeklammert<br />
werden, da keines der Bücher den Hinweis über die Veränderung der<br />
Wirtschafts- und Arbeitswelt durch den europäischen Binnenmarkt berücksichtigt.<br />
Ferner sind <strong>im</strong> Gymnasialbereich – wie schon <strong>im</strong> Fach Geschichte<br />
– keine zur Thematik passenden Lernziele aufzufinden.<br />
Im Haupt- und Realschulbereich decken vier der acht vorhandenen<br />
Gemeinschaftskundebücher alle Inhalte und Lernziele vollständig ab.<br />
Drei weitere Schulbücher weisen Defizite auf, indem nicht alle Lehrplanvorgaben<br />
umgesetzt werden. Ein Realschulbuch kann wegen fehlender<br />
Inhalte zur Thematik nicht analysiert werden. 428<br />
Insgesamt soll auch hier nochmals darauf aufmerksam gemacht werden,<br />
dass abgesehen vom Gymnasium, die Hauptschule der Klasse 10 die<br />
geringsten und die Realschule die umfangreichsten Lehrplanvorgaben zu<br />
bewältigen hat, was sich aber bei den Ergebnissen des Lehrplanvergleichs<br />
nicht niederschlägt.<br />
Eine spezifische Herausstellung der einzelnen Schularten ist aufgrund<br />
der geringen Anzahl der Bücher und der schon gemachten Aussagen<br />
nicht notwendig, vielmehr beschränken sich die folgenden Feststellungen<br />
auf die vorhandenen Defizite <strong>im</strong> Bereich der Haupt- und Realschule.<br />
In der Hauptschule wird lediglich einmal die Wahl des Europäischen<br />
Parlaments nicht berücksichtigt, 429 während <strong>im</strong> Bereich der Lernziele in<br />
der Klasse 9 der Schüler nicht hinreichend bezüglich der gegenseitigen<br />
wirtschaftlichen Abhängigkeiten, der Stellung <strong>Europa</strong>s in der Welt und<br />
der möglichen Stärkung einer politischen Union zum Nachdenken aufgefordert<br />
wird.<br />
In der Klasse 10 befassen sich die Schüler in einem Fall nicht ausreichend<br />
mit den neuen politischen Entwicklungen der 90er Jahre, v. a. Dingen<br />
nicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Erweiterung der EU. 430<br />
In der Realschule sind zwe<strong>im</strong>al Lücken bei dem verbindlichen Thema<br />
der Entwicklung des Europäischen Parlaments sowie einmal bezüglich<br />
den Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten und dem<br />
428 s. „Berufswahlvorbereitung RS GK 9/10“<br />
429 s. „Damals HS GK 9“<br />
430 s. „Doppelpunkt HS GK 10“<br />
148
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
Welthandel festzustellen. Ansonsten werden einige Hinweise nicht umgesetzt.<br />
431<br />
In vorbildlicher Weise setzen die Realschulbücher die Lehrplanziele<br />
um, wobei die Schulbücher eher ihre Schwerpunkte bei der Informationsgebung<br />
über die Politik der EU setzen; ein Buch unterstreicht aber in starkem<br />
Maße das Ziel, den Schüler zum mündigen Bürger mit europäischem<br />
Denken und Handeln zu erziehen. 432<br />
Zusammenfassend sind mit Ausnahme des Gymnasiums und einem<br />
Realschulbuch 433 alle analysierten Gemeinschaftskundebücher zumindest<br />
in den Pflichtbereichen weitgehend lehrplankonform.<br />
3.2.5 Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und<br />
Quellenmaterials<br />
Frage: Lassen sich die Inhalte in einem quantitativ angemessenen Rahmen<br />
den Kategorien Autorentext, Bildmaterial und Quellen zuordnen?<br />
Die folgende Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, inwieweit die<br />
Inhalte zur Geschichte der europäischen Einigung didaktisch aufgebaut<br />
sind, indem die quantitativen Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterial<br />
ermittelt werden.<br />
Die Ergebnisse geben sicherlich einen Überblick, welche der drei genannten<br />
Kategorien in dem betreffenden <strong>Schulbuch</strong> favorisiert werden<br />
und können daher dem Lehrer auch eine Hilfe bezüglich des möglichen<br />
Einsatzes <strong>im</strong> Unterricht sein.<br />
Die abschließenden Daten weisen auch darauf hin, inwieweit die<br />
Schulbücher die Modelle des Lehr-, Arbeits- oder des integrierten Lehrund<br />
Arbeitsbuches als Grundlage haben. Dabei müssen natürlich die Texte<br />
selbst und die Arbeitsaufträge, die beide auch ein Gradmesser für die<br />
Präsentation fertiger Ergebnisse oder der absoluten eigenständigen inhaltlichen<br />
Erörterung sind, berücksichtigt werden.<br />
Trotzdem muss davor gewarnt werden, die vorliegenden Aussagen<br />
431 Diese betreffen u. a. Stichworte wie der EWR, <strong>Europa</strong>rat, der Besuch des <strong>Europa</strong>parlaments,<br />
der Jugend- und Kulturaustausch, der Erweiterung der EU sowie den Vorschlag des Zusammenwirkens<br />
der Organe mittels Fallbeispielen aufzuarbeiten.<br />
432 s. „Anstöße RS GK 9/10“<br />
433 s. „Berufswahlvorbereitung RS GK 9/10“ deutet schon mit dem Titel seinen speziellen inhaltlichen<br />
Bereich an.<br />
149
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Q7uellenmaterials<br />
auf die Schulbücher als ganzes auszuweiten; auch wenn es als unwahrscheinlich<br />
gilt, dass die Autoren eines <strong>Schulbuch</strong>es jedes Kapitel hinsichtlich<br />
des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterial völlig anders gestalten.<br />
Differenzen zwischen den einzelnen Buchkapiteln sind sicherlich<br />
nicht nur möglich, sondern auch vorhanden.<br />
Die Angaben wurden auf die erste Stelle nach dem Komma gerundet.<br />
434 Obwohl bei der Auflistung die absoluten wie auch die prozentualen<br />
Zahlen berücksichtigt werden, sind in der abschließenden Bewertung<br />
aufgrund der Fragestellung u. a. das Verhältnis der drei Kategorien zueinander<br />
von Bedeutung.<br />
3.2.5.1 Geschichte<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anteile am<br />
Autorentext Bildmaterial Quellenmaterial<br />
in cm in % in cm in % in cm in %<br />
1. Damals HS G 9 131,8 56,8 74,3 32,1 25,8 11,1<br />
2. Doppelpunkt HS G 9 119,8 42,3 135,0 47,7 28,3 10,0<br />
3. Entdecken HS G 9 137,5 54,1 76,5 30,1 40,0 15,8<br />
4. Quer HS G 9 69,5 37,1 117,6 62,9 0,0 0,0<br />
5. Reise HS G 9 61,3 41,1 81,8 54,9 6,0 4,0<br />
6. Damals HS G 10 210,8 44,5 189,5 40,0 73,0 15,4<br />
7. Doppelpunkt HS G 10 180,0 43,2 182,3 43,8 54,0 13,0<br />
8. Entdecken ’94 RS G 10 145,3 56,5 72,8 28,3 39,0 15,2<br />
9. Entdecken ’99 RS G 10 167,6 38,3 152,8 34,9 117,3 26,8<br />
10. Konkret RS G 10 167,7 49,3 128,8 37,8 44,05 12,9<br />
11. Morgen RS G 10 109,3 40,1 118,5 43,5 44,6 16,4<br />
12. Unsere RS G 10 189,5 42,7 115,0 25,9 139,3 31,4<br />
13. Von ... bis RS G 10 125,8 34,0 215,5 58,2 29,0 7,8<br />
14. Anno Gy G 10 90,0 42,7 77,3 36,7 43,3 20,6<br />
15. bsv ’95 Gy G 10 109,7 46,6 91,5 38,8 34,3 14,6<br />
16. bsv ’97 Gy G 10 52,9 58,0 25,2 27,7 13,0 14,3<br />
17. Fragen Gy G Sek.I 5,8 42,6 3,5 25,9 4,3 31,5<br />
434 Rundungsdifferenzen ergeben sich nur bei „Damals HS G 10“.<br />
150
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
18. Geschehen Gy G 10 179,8 42,2 139,0 32,7 106,8 25,1<br />
19. Geschichtsbuch<br />
GyG10<br />
114,8 53,3 59,5 27,7 40,8 19,0<br />
20. historia Gy G 10 37,2 46,4 21,8 27,1 21,3 26,5<br />
21. Tempora Gy G 10 21,5 37,2 25,3 43,7 11,0 19,1<br />
22. Zeiten Gy G 10 39,0 66,7 17,5 29,9 2,0 3,4<br />
N<strong>im</strong>mt man nur die prozentualen Anteile als Grundlage, so ergibt sich<br />
folgender Vergleich der didaktischen Ausstattung der Schulbücher:<br />
Insgesamt ist die Bandbreite, die zwischen den einzelnen Büchern bezüglich<br />
der drei Kategorien liegt, mit bis zu 30 Prozentpunkten recht<br />
groß.<br />
Doch lassen sich Tendenzen ausmachen, die natürlich nicht lückenlos<br />
für alle Bücher gelten. Bei einer Vielzahl von Schulbüchern aller Schularten<br />
fehlt eine ausgewogene didaktische Ausstattung. Dies liegt nicht an<br />
einem zu geringen Bildeinsatz, sind dies durchschnittlich doch <strong>im</strong>merhin<br />
37,7%. Der Schwerpunkt liegt daher eindeutig in der textlichen Verarbeitung<br />
(62,3%). Hier muss allerdings eine Unausgewogenheit festgestellt<br />
werden, wenn mit durchschnittlich 46,2% die Verfassertexte eindeutig<br />
gegenüber den Quellenanteilen (16,1%) eine herausragende Stellung ein-<br />
435 Die Nummern entsprechen der zuvor aufgestellten Reihenfolge der Schulbücher.<br />
151<br />
435
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
nehmen. Dies deutet darauf hin, dass die Geschichte eher rezipierend<br />
vom Schüler verarbeitet wird. Zumindest wird durch den geringen Quellenanteil<br />
nicht gerade der Umgang mit historischen Zeugnissen gefördert,<br />
was aber das fachspezifische Arbeiten ausmacht. Zudem wird eine<br />
ausgewogene Aufteilung den verschiedenen Lerntypen am meisten gerecht.<br />
Dieser kommen ca. sieben von 22 Büchern nach, wobei der Begriff<br />
der Ausgewogenheit von jedem Lehrer begründet mit anderen Schwerpunkten<br />
definiert werden könnte.<br />
Bei der Betrachtung der einzelnen Schularten ergibt sich folgendes<br />
Bild:<br />
Prozent<br />
50,0<br />
40,0<br />
30,0<br />
20,0<br />
10,0<br />
0,0<br />
Durchschnittlicher Anteil in %<br />
Ges chichte<br />
Hauptschule Realschule Gymnasium<br />
Autorentext Bildanteil Quellenanteil<br />
Der Anteil des Autorentextes pendelt sich durchschnittlich in einer<br />
vergleichbaren Höhe ein. 436 Dem gegenüber ist der Bildanteil, der sicherlich<br />
auch der methodischen Auflockerung und Stärkung der historischen<br />
Vorstellungskraft dient, in der Hauptschule am höchsten und n<strong>im</strong>mt mit<br />
fortlaufender Schulart rapide ab. 437 Im weiteren Verlauf der Arbeit ist sicherlich<br />
darauf einzugehen, ob hier eine plakative „Bebilderung“ – gerade<br />
<strong>im</strong> Fall der Hauptschule – vorgenommen wurde oder die inhaltlichen<br />
Aussagen der Bilder den Anteil rechtfertigen.<br />
Der Quellenanteil verhält sich reziprok zu den Bildern: er steigt erwartungsgemäß<br />
von der Hauptschule über die Realschule bis zum Gymnasium.<br />
438<br />
436 durchschnittlicher Autorentext: Hauptschule: 45,6 %; Realschule: 43,5%; Gymnasium: 48,4%<br />
437 durchschnittlicher Bildanteil: Hauptschule: 44,5 %; Realschule: 38,1 %; Gymnasium 32,2 %<br />
438 durchschnittlicher Quellenanteil: Hauptschule: 9,9 %; Realschule: 18,4 %; Gymnasium 19,3 %<br />
152
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
Innerhalb der Hauptschule ist allerdings ein deutlicher Anstieg bei den<br />
Geschichtsbüchern der Klasse 10 feststellbar, was sich eventuell durch<br />
die Lehrplanvorgaben der Klasse 10 begründen lässt, indem ein „gesteigerte[r]<br />
kognitive[r] Anspruch“ und die „Fähigkeit zum abstrakten Denken“<br />
439 angestrebt wird.<br />
Absolut nicht hinnehmbar ist die Verweigerung von Quelleneinsätzen<br />
in einem Hauptschulbuch zur Geschichte der europäischen Einigung. 440<br />
Dies liegt hoffentlich nicht daran, dass dem Hauptschüler aus lerntheoretischen<br />
Gründen keine Quellenarbeit zugetraut oder zugemutet wird.<br />
Es muss nochmals betont werden, dass mit den prozentualen Angaben<br />
nur die räumlichen Schwerpunkte angegeben werden, nicht aber eine inhaltliche<br />
Expertise.<br />
Zusammenfassend liegen die Schwerpunkte be<strong>im</strong> Autorentext und<br />
Bildmaterial, wohingegen der Umgang mit Quellen in manchen Büchern<br />
gefördert wird, aber absolut nicht <strong>im</strong> Mittelpunkt steht. Die Geschichtsbücher<br />
sind mittels dieser Analyse dem Typus dem in den 90er Jahren<br />
gängigen integrierten Lehr- und Arbeitsbuch hinzuzurechnen, auch wenn<br />
drei Schulbücher für sich den Gedanken des Arbeitsbuches in Anspruch<br />
nehmen. 441<br />
3.2.5.2 Gemeinschaftskunde<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anteile am<br />
Autorentext Bildmaterial Quellenmaterial<br />
in cm in % in cm in % in cm in %<br />
1. Damals<br />
HS GK 9<br />
167,5 46,7 185,8 51,8 5,5 1,5<br />
2. Doppelpunkt<br />
HS GK 9<br />
11,5 56,0 122,3 32,3 44,3 11,7<br />
3. Damals<br />
HS GK 10<br />
18,0 20,5 37,8 43,0 32,0 36,5<br />
4. Doppelpunkt<br />
HS GK 10<br />
19,0 46,9 16,5 40,7 5,0 12,4<br />
439 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 327<br />
440 s. „Quer HS G 9“<br />
441 Durch das in den Schulbüchern vorhandene Vorwort nehmen folgende Bücher das Konzept<br />
des Arbeitsbuches als Grundlage: „Reise HS G 9“, „Damals HS G 10“, „Morgen RS G 10“.<br />
Dies kann durch das jeweilige Kapitel der europäischen Einigung nicht bestätigt werden.<br />
153
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
5. Anstöße<br />
RS GK 9/10<br />
6. Berufswahlvorbereitung<br />
RS GK 9/10<br />
7. Heute<br />
RS GK 10<br />
8. Politik<br />
RS GK 10<br />
9.Mensch ’95<br />
Gy GK 10<br />
10. Mensch ’99<br />
Gy GK 10<br />
11. Wandel<br />
Gy GK 10<br />
102,3 32,8 78,5 25,2 131,0 42,0<br />
– – – – – –<br />
388,5 54,8 199,8 28,1 121,5 17,1<br />
380,0 53,4 283,0 39,8 48,3 6,8<br />
11,0 100 – – – –<br />
– – – – – –<br />
– – – – – –<br />
Dienen wiederum nur die prozentualen Werte zum Vergleich der didaktischen<br />
Ausstattung der Gemeinschaftskundebücher, so ergibt sich<br />
das folgende Bild:<br />
Lässt man die Gemeinschaftskundebücher ohne potentielle Inhalte<br />
beiseite 443 , so ist die Spannbreite zwischen den einzelnen Büchern mit<br />
Unterschieden bis zu 40 Prozentpunkten recht hoch.<br />
442 Die Nummern entsprechen der Reihenfolge der Schulbücher in der obigen Liste.<br />
443 Dies betrifft wiederum die Gymnasialbücher und „Berufswahlvorbereitung RS GK 9/10“.<br />
154<br />
442
Quantitative Anteile des Autorentextes, Bild- und Quellenmaterials<br />
Geht man davon aus, dass die Quellenarbeit nicht in dem Maße wie in<br />
der Geschichte zur ureigensten politischen Arbeitsweise gehört, so dürfte<br />
eine ausgewogene didaktische Ausstattung einen höheren Anteil an<br />
Sachtexten und Bildmaterial gegenüber den Quellen umfassen. Gleichwohl<br />
eignen sich u. a. natürlich die durch die Bildungspläne unterstützten<br />
Auszüge aus den einzelnen Verträgen zur europäischen Einigung als<br />
Quellen in den Gemeinschaftskundebüchern.<br />
Von den sechs mit Inhalten gefüllten Schulbüchern der Haupt- und<br />
Realschule kann drei eine ausgewogene didaktische Ausstattung zugesprochen<br />
werden. 444 Insgesamt bestätigen die Durchschnittswerte der<br />
Bücher die weitestgehende Ausgewogenheit mit einem Verfassertext von<br />
44,4%, dem Bildanteil von 37,3% und den Quellen mit 18,3%. So liegt<br />
auch in der Gemeinschaftskunde der Schwerpunkt be<strong>im</strong> Textanteil, der<br />
Bildanteil ist aber keineswegs als zu gering einzustufen.<br />
Hinsichtlich der Schularten fällt auf, dass sich die gleichen Tendenzen<br />
wie in der Geschichte ergeben: der Autorentext ist in der Haupt- wie in<br />
der Realschule durchschnittlich betrachtet ähnlich hoch, während der<br />
Bildeinsatz in der Hauptschule wesentlich höher ist und umgekehrt die<br />
Quellen in der Realschule eine größere Rolle als in der Hauptschule spielen.<br />
445<br />
Prozent<br />
50,0<br />
40,0<br />
30,0<br />
20,0<br />
10,0<br />
0,0<br />
Durchschnittlicher Anteil in %<br />
Gemeinschaftskunde<br />
Hauptschule Realschule<br />
Autorentext Bildanteil Quellenanteil<br />
444 s. „Doppelpunkt HS GK 9“, „Doppelpunkt HS GK 10“, „Heute RS GK 10“.<br />
445 Durchschnittlicher Anteil am Autorentext: Hauptschule: 42,5 %; Realschule: 47,0 %<br />
durchschnittlicher Bildanteil: Hauptschule: 42,0 %; Realschule: 31,0 %<br />
durchschnittlicher Quellenanteil: Hauptschule: 15,5 %; Realschule: 22,0 %<br />
155
Sachliche Richtigkeit<br />
Im Folgenden muss sicherlich auch in der Gemeinschaftskunde der<br />
hohe Bildanteil inhaltlich gerade in der Hauptschule (bis 50%) unter die<br />
Lupe genommen werden.<br />
Hinsichtlich der Kapitel zur europäischen Einigung sind fünf der Gemeinschaftskundebücher<br />
dem integrierten Lehr- und Arbeitsbuch, eines<br />
dem Typus des Arbeitsbuches zuzuordnen. 446<br />
Zusammenfassend überwiegt in den Büchern der Anteil an Verfassertexten<br />
und Bildmaterial, die Schulbücher sind aber weitestgehend bemüht,<br />
diese mit Quellen anzureichern.<br />
3.2.6 Sachliche Richtigkeit<br />
Frage: Sind die Inhalte sachlich richtig dargestellt?<br />
Bei der Beurteilung der sachlichen Richtigkeit der Schulbücher zur europäischen<br />
Einigung soll auf der einen Seite natürlich der neueste fachwissenschaftliche<br />
Stand herangezogen, andererseits das jeweilige Erscheinungsjahr<br />
des <strong>Schulbuch</strong>es berücksichtigt werden.<br />
Zur Findung der abschließenden Feststellung über die sachliche Richtigkeit<br />
sollen nicht nur die „richtigen“ Fehler aufgeschlüsselt werden,<br />
sondern auch die „verbal nuances“: 447 Formulierungen, die durch ihre<br />
Ungenauigkeit be<strong>im</strong> Schüler ein falsches Bild entstehen lassen. Das gleiche<br />
gilt für absolut veraltete Darstellungen und Aussagen, die bei einer<br />
erneuerten Auflage einer Änderung bedürfen.<br />
Insgesamt sollte berücksichtigt werden, dass es sich hier nicht um<br />
Sachbücher, sondern um Schulbücher handelt, die aufgrund der Stofffülle<br />
eine didaktische Auswahl und eine Reduzierung vom Schwierigkeitsgrad<br />
vornehmen müssen.<br />
3.2.6.1 Geschichte<br />
In den analysierten Geschichtsbüchern lässt sich insgesamt nur eine<br />
geringe Anzahl an Fehlern ausmachen. Eine Regel bezüglich des Erscheinungsjahres<br />
oder der Schulart ist nicht festzustellen.<br />
446 s. „Anstöße RS GK 9/10“<br />
447 Schüddekopf, Otto-Ernst, Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulgeschichtsbuchrevision<br />
1945 – 1965, Braunschweig 1966, S. 34.<br />
156
Haben sich in der Hauptschule kleinere Fehler wie die Abkürzung der<br />
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in „EVS“ 448 (statt EVG) oder<br />
die Datierung der letzten Erweiterung um Österreich, Schweden und<br />
Finnland in das Jahr 1994 449 (statt 1995) eingeschlichen, so ist die Aussage<br />
zum Binnenmarkt, nach dessen Einführung „die Bürger an der Grenze<br />
weiterhin ihre Einkäufe verzollen“ 450 müssen, nicht hinnehmbar. Ebensowenig<br />
soll die geplante Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik<br />
durch den Maastrichter Vertrag „die Außen- und Verteidigungspolitik<br />
der einzelnen Staaten ablösen“ 451 , sondern diese wird, wie das <strong>Schulbuch</strong><br />
auch zu einem späteren Zeitpunkt korrigiert, vielmehr „angestrebt“.<br />
Die nicht abgemilderte Aussage eines Realschulbuches, dass „ die<br />
Verträge über die Gründung der EWG von 1957 reine Wirtschaftsverträge<br />
[sind]“ 452 , muss letztendlich als falsch gewertet werden. Zwar ist eine<br />
Dominanz der Wirtschaftspolitik nicht abzustreiten, doch lassen sich <strong>im</strong><br />
Gründungsvertrag auch Aspekte der Sozial- und Beschäftigungs-, Landwirtschafts-<br />
und Verkehrspolitik finden. Nicht ganz vergessen sollte man<br />
die <strong>im</strong>merwährende Zielvorgabe „einen <strong>im</strong>mer engeren Zusammenschluss<br />
der europäischen Völker zu schaffen.“ 453<br />
Ansonsten liegen in den Geschichtsbüchern der Realschule „kleinere“<br />
sachliche Fehler vor, indem z. B. die Vereinigung der Organe der EGKS,<br />
EWG und EURATOM zur EG in das Jahr 1968 454 (statt 1967) datiert<br />
wird oder aber <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Erweiterung der EU parallel<br />
von der �SR und �SFR gesprochen wird, obwohl es ab dem 1.1.1993<br />
zwei Republiken gibt (�R, SR), die getrennt laufende Aufnahmeanträge<br />
zur EU haben. 455 Im Gymnasialbereich datiert eine geografische Karte<br />
die Gründungsstaaten der EWG ins Jahr 1952 (statt 1957) und das Europäische<br />
Parlament wird fälschlicherweise seit 1977 456 (statt 1979) direkt<br />
von den Bürgern gewählt.<br />
Sind in einigen Schulbüchern nur ungenaue Aussagen über das Europäische<br />
Parlament vorhanden, wird in einem relativ aktuellen <strong>Schulbuch</strong><br />
157<br />
Sachliche Richtigkeit<br />
448 „Quer HS G 9“, S. 187<br />
449 s. ebd. S. 186<br />
450 „Entdecken HS G 9“, S. 297<br />
451 „Doppelpunkt HS G 9“, S. 172<br />
452 „Entdecken RS G 10“, S. 117<br />
453 Läufer, Thomas (Bearb.), EWG-Vertrag: Grundlage der Europäischen Gemeinschaft, Bonn<br />
1987, S. 16.<br />
454 s. „Unsere RS G 10“, S. 62<br />
455 s. ebd., S. 63<br />
456 s. „Tempora Gy G 10“, S. 211
Sachliche Richtigkeit<br />
diesem „keine gesetzgebende, sondern nur eine beratende Funktion“ 457<br />
zugesprochen.<br />
Das ist spätestens mit der Einheitlichen Europäischen Akte und dem<br />
Vertrag von Maastricht, mit denen die Rechte des Europäischen Parlaments<br />
durch die Verfahren der Zusammenarbeit und Mitentscheidung <strong>im</strong><br />
Gesetzgebungsverfahren maßgeblich erweitert wurden, nicht mehr haltbar.<br />
Die „verbal nuances“ lassen sich in den Geschichtsbüchern erheblich<br />
öfter als offensichtliche Falschaussagen finden. 458<br />
Hier einige Beispiele: Am häufigsten sind in allen Schularten bezüglich<br />
der Organe der EG/EU ungenaue Aussagen festzustellen. Dabei erhält<br />
der Schüler den Eindruck, als ob das Parlament durch das fehlende<br />
Aufzeigen seiner Befugnisse <strong>im</strong>mer noch keine echte Entscheidungsgewalt<br />
innehat und somit zum eher beratenden Organ degradiert wird. Solche<br />
Eindrücke werden natürlich noch verstärkt, wenn die Parlamentarier<br />
lediglich als Zugreisende dargestellt werden, die zwar die Richtung kennen,<br />
diese aber nicht ändern können. 459<br />
Im Gegenzug erhalten die Kommission und der Ministerrat eine ungleiche<br />
Aufwertung, wenn sie als Kabinett bzw. Regierung oder als Gesetzgeber<br />
der EU bezeichnet werden. 460<br />
Eine weitere, nicht ganz korrekte Aussage entsteht, wenn <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
von einem Einheitlichen Wirtschaftsraum in <strong>Europa</strong> (statt<br />
Westeuropa) gesprochen wird; 461 auch wenn die Aufnahme in die E(W)G<br />
jederzeit offen war, sind die entsprechenden Voraussetzungen erst mit<br />
dem Ende des Kalten Krieges geschaffen worden.<br />
Unglücklich sind Formulierungen, in denen die Wirtschafts- und<br />
Währungsunion als Ergebnis der Einheitlichen Europäischen Akte ausgegeben<br />
wird 462 oder <strong>im</strong> Zusammenhang mit Deutschland und Frankreich<br />
die Rede von den wichtigsten Ländern der EU ist. 463<br />
Einseitig ist die Feststellung, dass Großbritannien „mit Rücksicht auf<br />
seine Beziehungen zu den Commonwealth-Ländern“ 464 nicht Gründungsmitglied<br />
der EWG war; die britischen Bedenken hinsichtlich des<br />
Souveränitätsverzichts lernt der Schüler hier nicht kennen.<br />
457 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 206<br />
458 ungenaue Aussagen: Hauptschule: 6, Realschule: 5, Gymnasium: 8<br />
459 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 252<br />
460 s. „bsv `95 Gy G 10“, S. 207; „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 242 und „Quer HS G 9“, S. 188<br />
461 s. „Entdecken ’94 RS G 10“, S. 87<br />
462 s. ebd., S. 89<br />
463 s. „Konkret RS G 10“, S. 72<br />
464 „Zeiten Gy G 10“, S. 202 und vgl. „Doppelpunkt HS G 9“, S. 170<br />
158
Die meisten – aus heutigem Gesichtspunkt – veralteten Aussagen ergeben<br />
sich <strong>im</strong> Rahmen der zahlenmäßigen Erfassung der Mitglieder der<br />
Kommission (z. B. 17 statt 20), des Europäischen Parlaments (518, 567<br />
statt 626 Abgeordnete), den Wahlergebnissen von 1994, den veränderten<br />
Wahlperioden (5 statt 4 Jahre), der Erweiterung von 1995 sowie der sich<br />
in der Vergangenheit ständig veränderten Situation bezüglich der künftigen<br />
Erweiterung der EU. Schade ist sicherlich, wenn in Schulbüchern<br />
noch Karten mit nur 9 Mitgliedstaaten abgedruckt 465 oder Umfrageergebnisse<br />
von 1981 aus der Zeit der „Eurosklerose“ präsentiert werden. 466<br />
Diese oft in Graphiken oder <strong>im</strong> Kartenmaterial enthaltenen veralteten<br />
Aussagen, die bei neueren Erscheinungen normalerweise korrigiert werden,<br />
können vom betreffenden Lehrer sicherlich leichter richtiggestellt<br />
werden, als die sogenannten „verbal nuances“, die sich be<strong>im</strong> Schüler als<br />
glaubhafte „Schulweisheiten“ einprägen können.<br />
Insgesamt überwiegen in den Geschichtsbüchern eindeutig die ungenauen<br />
Aussagen, während die absoluten Fehler in der Minderheit sind.<br />
3.2.6.2 Gemeinschaftskunde<br />
In den analysierten Schulbüchern der Gemeinschaftskunde sind Parallelen<br />
in der sachlichen Richtigkeit zu den Geschichtsbüchern der Sekundarstufe<br />
I feststellbar.<br />
So lassen sich hier kaum „richtige“ Fehler finden, vielmehr herrschen<br />
ungenaue Aussagen vor. Im Folgenden sollen zuerst die eindeutigen Fehler<br />
aufgezeigt werden, um in weiteren Schritten ungenaue und veraltete<br />
Aussagen anzufügen.<br />
In einer wiederholenden Zusammenfassung verkennt ein Hauptschulbuch<br />
die Tatsachen wohl zu sehr, wenn es angibt, dass „bis zur Jahrtausendwende<br />
[...] die Vereinigten Staaten von <strong>Europa</strong> Wirklichkeit werden<br />
[sollen].“ 467<br />
Unverständlicherweise spricht der Autorentext eines Realschulbuches<br />
dem Europäischen Parlament „<strong>im</strong> Bereich der Gesetzgebung [...]<br />
nur Beratungsfunktion“ 468 zu, obwohl die Graphiken sonst die Mitwirkungsrechte<br />
aufführen.<br />
Ungenau wird die Rolle des Europäischen Parlaments definiert, dessen<br />
Abgeordnete wie schon in der Geschichte mit nicht richtungsweisen-<br />
465 s. „Reise HS G 9“, S. 200<br />
466 s. „bsv ’95 Gy G 10“, S. 211<br />
467 „Damals HS GK 9“, S. 190<br />
468 „Politik RS GK 10“, S. 84<br />
159<br />
Sachliche Richtigkeit
Sachliche Richtigkeit<br />
den Bahnreisenden verglichen werden 469 oder bei der Gesetzgebung bestenfalls<br />
„mitentscheidend“ 470 wirken.<br />
Die Organe der EU, ihr Zusammenwirken und ihre Aufgaben in einer bildhaften<br />
Darstellung. (Quelle: „Damals HS GK 9“, S. 183)<br />
Es ist zudem schade, dass der Weg einer Richtlinie beispielhaft am<br />
Zusammenarbeitsverfahren aufgezeigt wird, ohne dieses be<strong>im</strong> Namen zu<br />
nennen. 471 Hier hätte – wie schon mehrfach betont – mit dem Anbringen<br />
eines vereinfachten Mitentscheidungsverfahrens dem Schüler die <strong>im</strong> historischen<br />
Prozess wachsende Rolle des Europäischen Parlaments näher<br />
gebracht werden können.<br />
Auf Lückentexte wie die „Legislative ist zur Zeit [...]“ 472 , kann der<br />
Schüler unter Betrachtung des vorangehenden Textes nur den Ministerrat<br />
als Lösungswort einsetzen, anstelle der beiden maßgeblichen Organe<br />
(Ministerrat, Europäisches Parlament). Hier wird eine didaktische Vereinfachung<br />
zum sachwissenschaftlichen Fehler.<br />
Be<strong>im</strong> Schüler entsteht auch ein falsches Bild für seine Zukunft, wenn<br />
suggeriert wird, dass es „wegen der unterschiedlichen Qualifikationen<br />
[...] noch einige Zeit [dauern wird], bis die Berufsabschlüsse europaweit<br />
anerkannt werden.“ 473<br />
Die Einführung des Begriffes des „Nettozahlers“ 474 ist – wenn auch<br />
gut erklärt – fachwissenschaftlich gesehen nicht haltbar. Der wirtschaftli-<br />
469 s. „Damals HS GK 9“, S. 182<br />
470 s. „Heute RS GK 10“, S. 72<br />
471 s. „Politik RS GK 10“, S. 83<br />
472 ebd., S. 85<br />
473 „Damals HS GK 9“, S. 186<br />
474 s. „Heute RS GK 10“, S. 75<br />
160
che Vorteil der Mitgliedstaaten der EG lässt sich nicht anhand der staatlichen<br />
Ausgaben und Einnahmen messen. Unweigerlich werden dadurch<br />
auch populistische Berichterstattungen über den „Nettozahler Bundesrepublik<br />
Deutschland“ unterstützt und fördern be<strong>im</strong> Schüler nicht unbedingt<br />
den Gedanken der Solidarität in der Gemeinschaft, sondern lassen<br />
das Motto des „Zahlmeisters“ entstehen.<br />
Ob der Schüler mit der „Unionsbürgerschaft als Vorstufe für die europäische<br />
Staatsbürgerschaft“ 475 <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Maastrichter<br />
Vertrag ohne weitere Erklärung viel anzufangen weiß, ist fraglich.<br />
Ferner entsteht der Eindruck, als ob in der Gemeinschaft ab dem<br />
01.01.1999 eine gemeinsame Währung als Zahlungsmittel dient. 476<br />
Bedauerlicherweise sind in einem <strong>Schulbuch</strong> Falschaussagen mit Zitaten<br />
aus dem Maastrichter Vertrag vermengt, ohne diese explizit auszuweisen.<br />
477<br />
Veraltete Textpassagen betreffen erneut die Anzahl der Mitgliedstaaten,<br />
Angaben aus den <strong>Europa</strong>wahlen (hier: 1994) oder die Nennung des<br />
ECU‘s statt des Euro’s.<br />
Zu korrigieren wären auch die Agrarausgaben von 60% des Gesamthaushaltes<br />
der EU, die sich heute bei ca. 50% einpendeln. 478<br />
Eine Graphik aus dem Jahr 1993, die die Konvergenzkriterien der<br />
Mitgliedstaaten für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion<br />
überprüft („Reif für die Währungsunion?“ 479 ), hat selbst aus heutiger<br />
Sicht einen didaktischen Sinn. Schade ist allerdings, dass keine Frage<br />
zur aktuellen Entwicklung gestellt wird, zumal die Schulbücher ja ständig<br />
gerade bei politischen Themen mit dem Problem der Überalterung zu<br />
kämpfen haben.<br />
Insgesamt gilt auch hier, dass offensichtliche Fehlerquellen vom Lehrer<br />
leichter und eingängiger zu korrigieren sind als Halbwahrheiten, Ungenauigkeiten<br />
oder Unterstellungen. So überwiegen in den Gemeinschaftskundebüchern,<br />
wie an den Beispielen dokumentiert, die ungenauen<br />
Aussagen; eindeutige Fehler sind kaum ausfindig zu machen.<br />
Es wäre aber falsch, Büchern mit neuerem Erscheinungsdatum eine<br />
„korrektere“ Vorgehensweise zuzusprechen.<br />
475 ebd., S. 60<br />
476 s. ebd.<br />
477 s. „Politik RS GK 10“, S. 76<br />
478 s. „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 188<br />
479 „Politik RS GK 10“, S. 75<br />
161<br />
Sachliche Richtigkeit
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
3.2.7 Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder,<br />
Karten, Karikaturen<br />
Frage: Sind die einzelnen Bildkategorien (Bilder, Schaubilder, Karten,<br />
Karikaturen) angemessen vorhanden?<br />
Mit der Analyse der Bildkategorien soll aufgezeigt werden, ob die oben<br />
genannten Bilder, Schaubilder, Karten und Karikaturen in einem ausgewogenen<br />
didaktischen Verhältnis in den Schulbüchern eingesetzt sind<br />
und welche Bildart bevorzugt wird. Ferner muss der z. T. festgestellte<br />
hohe Bildanteil zur Geschichte der europäischen Einigung dahingehend<br />
inhaltlich betrachtet werden, inwieweit die Bilder Inhalte transportieren,<br />
durch Arbeitsanweisungen aufgearbeitet werden oder mehr plakative Lückenfüller<br />
sind.<br />
Um das Verhältnis der vier Bildkategorien zueinander zu best<strong>im</strong>men,<br />
wird keine räumliche Best<strong>im</strong>mung vorgenommen, sondern die Anzahl<br />
der Bilder ermittelt. Dies gewährleistet sicherlich einen Eindruck, in welchem<br />
Verhältnis die einzelnen Bildarten zueinander stehen, auch wenn<br />
beispielsweise nicht die Größe der Karten oder Karikaturen berücksichtigt<br />
wurde. 480<br />
Ebenso wichtig ist aber auch die qualitative Beurteilung der Bilder mit<br />
dem oben genannten Ziel, die Aussagekraft und Inhalte, die die Schüler<br />
dadurch erhalten, herauszuarbeiten.<br />
Natürlich würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wenn alle<br />
Bilder einer Einzelanalyse unterzogen würden. Vielmehr sind wiederum<br />
die Tendenzen festzustellen, was dadurch erleichtert wird, dass beinahe<br />
alle Schulbücher durch die bildungsplantechnischen, vorgegebenen Themen<br />
auf ähnliche Bilder zurückgreifen.<br />
3.2.7.1 Geschichte<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anzahl der<br />
Bilder<br />
Schaubilder<br />
Karten<br />
Karikaturen<br />
Insgesamt<br />
Damals HS G9 17 1 1 5 24<br />
Doppelpunkt HS G 9 19 1 4 3 27<br />
480 Das Gesamtvolumen der Bilder wurde <strong>im</strong> Kapitel 4.2.5 ermittelt.<br />
162
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Entdecken HS G 9 10 2 3 4 19<br />
Quer HS G 9 13 3 9 4 29<br />
Reise HS G 9 7 4 1 2 14<br />
Damals HS G 10 13 14 1 8 36<br />
Doppelpunkt HS G 10 14 11 1 9 35<br />
Entdecken ’94 RS G 10 10 2 3 4 19<br />
Entdecken ’99 RS G 10 11 14 2 5 32<br />
Konkret RS G 10 16 4 3 4 27<br />
Morgen RS G 10 30 3 2 2 37<br />
Unser RS G 10 4 9 1 4 18<br />
Von ... bis RS G 10 43 7 2 0 52<br />
Anno Gy G 10 6 3 1 4 14<br />
bsv ’95 Gy G 10 17 6 1 2 26<br />
bsv ’97 Gy G 10 6 2 0 0 8<br />
Fragen Gy G Sek. I 0 0 1 0 1<br />
Geschehen Gy G 10 12 2 2 7 23<br />
Geschichtsbuch Gy G 10 3 3 1 4 11<br />
historia Gy G 10 1 1 0 1 3<br />
Tempora Gy G 10 0 3 1 0 4<br />
Zeiten Gy G 10 1 1 0 0 2<br />
Be<strong>im</strong> Bildeinsatz sind über alle Schularten hinweg ähnliche Tendenzen<br />
feststellbar. Insgesamt werden zahlreiche Gestaltungsmittel eingesetzt.<br />
Eindeutig liegt aber eine Dominanz der Bilder vor den Schaubildern,<br />
Karikaturen und Karten vor, sodass nur fünf Geschichtsbüchern ein ausgewogener<br />
Bildeinsatz zugesprochen werden kann.<br />
Im Folgenden sollen die Inhalte der einzelnen Bildkategorien überblicksweise<br />
dargestellt und beurteilt werden.<br />
Bei den Bildern sind am häufigsten Symbole (z. B. Flaggen, Währungen,<br />
Pässe etc.), die Gebäude der EG/EU, europäische Persönlichkeiten<br />
(u. a. Adenauer, Schuman, de Gaulle), das Ausmaß der Zerstörung durch<br />
beide Weltkriege und die deutsch-französischen Beziehungen (z. B. Partnerschaftszeichen,<br />
Politiker, Arbeiten des Deutsch-Französischen Jugendwerkes)<br />
vorzufinden.<br />
163
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
„Die EG-Gebäude in Brüssel: oben links „Palais Charlemagne“, der Sitz des<br />
Ministerrates, vorne „Palais Berlaymont“, der Sitz der Kommission.“<br />
(Quelle: „bsv ´95 Gy G 10“, S. 206)<br />
Daneben nehmen Bilder, die einen Einsatz für die europäische Einigung<br />
zeigen (z. B. Beseitigung der Schlagbäume, Demonstration für eine<br />
Einigung in den 50er Jahren) oder Bilder, die Missstände aufzeigen wollen<br />
(z. B. Vernichtung von Agrarprodukten, die „Euro-Schnecke“) einen<br />
geringen Raum ein.<br />
„Symbolische Grenzpfahlverbrennung am 07. August 1950 durch 300 Studenten<br />
aus acht Ländern an der deutsch-französischen Grenze bei St. Germanshof<br />
und Weißenburg. Auf dem Plakat fordern sie ein Europäisches Parlament und<br />
eine Europäische Regierung.“<br />
(Quelle: „Entdecken HS G 9“, S. 202)<br />
164
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Diese sind es aber gerade, die die Affektion der Schüler ansprechen<br />
und das Motto: „Bilder sagen mehr als tausend Worte“ vertreten.<br />
„Kinder machen der europäischen Schnecke Tempo.<br />
Plakat des Erich-Kästner-Gymnasiums Esslingen.“<br />
(Quelle: „Morgen RS G 10“, S. 102)<br />
So gehen die Bilder insgesamt stark auf den Gegensatz von Krieg und<br />
Frieden am Beispiel der beiden Länder Deutschland und Frankreich ein.<br />
Ein Manko ist, dass durch die häufige Abbildung von Symbolen oder<br />
Gebäuden, der Aspekt von „handelnden Personen oder Personengruppen“<br />
481 häufig missachtet wird. In den seltensten Fällen wird dem Schüler<br />
eine „Grenzsituation menschlicher Existienz“ 482 vor Augen geführt, die<br />
es ihm ermöglicht, Stellung zu beziehen.<br />
Ob der Schüler mit Hilfe der Bilder eine „Entscheidungshilfe“ für<br />
„zukünftige Handlungssituationen“ 483 bei der europäischen Einigung erlangt,<br />
mag fraglich sein. Es muss den Bildern eher eine plakative Rolle<br />
zugesprochen werden, zumal auch die nötigen Arbeitsanweisungen fehlen<br />
bzw. in vielen Fällen „sinnvolle“ Fragen (z. B. Gebäude-, Personenabbildungen)<br />
auch nicht möglich sind.<br />
Es ist auffallend, dass die Schaubilder, die eher komplexere Zusammenhänge<br />
darstellen, in geringerem Umfang in der Hauptschule der<br />
Klasse 9 und verstärkt erst in allen 10. Klassen eingesetzt werden.<br />
Inhaltlich sind in breitem Maße die Institutionenkunde (u. a. das Zusammenwirken<br />
der EU-Organe) und in den Real- und Gymnasialbüchern<br />
die Wirtschaftspolitik der EU (u. a. Handelsvolumen) in den Mittelpunkt<br />
gerückt.<br />
481 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 20<br />
482 ebd.<br />
483 ebd.<br />
165
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Das Zusammenwirken der Organe der EU<br />
(Quelle: „Von ... bis RS G 10“, S. 111)<br />
Vereinzelt werden auch die Beschlüsse des Maastrichter Vertrags, der<br />
„Teufelskreis“ der Agrarpolitik, der Haushalt der EU oder die Etappen<br />
zur europäischen Einigung in Schaubildern umgesetzt.<br />
Zur gemeinsamen Argrarpolitik der EG<br />
(Quelle: „Morgen RS G 10“, S. 109)<br />
166
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Vermehrt setzen die Schulbücher Arbeitsanweisungen zur Aufarbeitung<br />
der Schaubilder ein.<br />
Die Karten stellen in den verschiedensten Varianten die Mitgliedstaaten<br />
der EU dar, wobei oft die historische Entwicklung und die künftige<br />
Erweiterung berücksichtigt wird. 484 In der Haupt- und Realschule werden<br />
noch die regionalen Unterschiede und die Wirtschaftsleistung der Bewohner<br />
der EU thematisiert. In einem Fall sind sogar die Mitgliedstaaten<br />
des <strong>Europa</strong>rates aufgezeichnet.<br />
Insgesamt wird die geografische Orientierung durch die Schulbücher<br />
unterstützt, auch wenn die Karten inhaltlich <strong>im</strong> ein oder anderen Fall fast<br />
überfrachtet sind. 485 Letztendlich wird der Lehrer gemeinsam mit dem<br />
Schüler das Kartenmaterial durcharbeiten müssen, da auch hier Arbeitsanweisungen<br />
fehlen.<br />
Zur Entwicklung der EU von 1957 bis 1995<br />
(Quelle: „Konkret RS G 10“, S. 76)<br />
484 Es ist allerdings auch aus methodischen Gründen nicht sinnvoll, dre<strong>im</strong>al die gleiche Karte über<br />
die Mitgliedstaaten der EU und der künftigen Erweiterung einzusetzen, wie dies in „Quer HS<br />
G 9“ geschieht.<br />
485 s. beispielhaft „Anno Gy G 10“, S. 242 – 243 über die wirtschaftlichen Zusammenschlüsse in<br />
<strong>Europa</strong> mit Informationen über die Gründungsstaaten der EWG, der bisherigen und künftigen<br />
Erweiterung, der assoziierten Staaten, dem Sitz der Organe, Wirtschaftsdaten zur EU, den EF-<br />
TA-Staaten, den RGW-Staaten bis 1991 sowie der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten)<br />
seit 1991.<br />
167
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
In den Karikaturen werden weitestgehend relativ aktuelle Anlässe der<br />
europäischen Einigung herangezogen. Lediglich das „Gemeinschaftsunternehmen“<br />
der Montanunion von Schuman und Adenauer wird in der<br />
Realschule und dem Gymnasium mittels Karikaturen aus dem Jahr 1950<br />
thematisiert.<br />
Zum Schuman-Plan<br />
„Karikatur, 1950: Der Vorschlag einer<br />
deutsch-französischen Gemeinschaft für Kohle und<br />
Stahl in der hoffnungsvollen Sicht von Schuman<br />
und Adenauer.“<br />
(Quelle: „Doppelpunkt HS G 10“, S. 79)<br />
In allen drei Schularten lassen sich Karikaturen zum Gedanken der<br />
Festung <strong>Europa</strong>, dem europäischen Bürokratismus, dem gemeinsamen<br />
europäischen Haus sowie der künftigen Erweiterung der EU, aber auch<br />
dem nationalen Eigennutz finden.<br />
Zur künftigen Erweiterung der EU um Mittel- und Osteuropa<br />
(Quelle: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 123)<br />
168
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Zusätzlich gehen die Haupt- und Realschulbücher noch auf die Brüsseler<br />
„Spitzen“ <strong>im</strong> Bereich der Agrarpolitik ein. Die Hauptschulgeschichtsbücher<br />
zweifeln die Stabilität des Euro in ihren Karikaturen an (z.<br />
B. „nur noch wenige tausend Tage!“ 486 darf der deutsche Michel seine<br />
Deutsch-Mark behalten) und kritisieren gemeinsam mit den Gymnasialbüchern<br />
die „Mär“ vom deutschen Zahlmeister.<br />
Zur Umsetzung des Maastrichter Vertrages: Der Weg zur Währungsunion<br />
(Quelle: „Doppelpunkt HS G 10“, S. 92)<br />
(Quelle: „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208)<br />
Zusätzlich thematisieren die Geschichtsbücher des Gymnasiums vereinzelt<br />
das Gewicht der „Germania“ nach der deutschen Wiedervereinigung<br />
innerhalb der EU. Zu bemängeln ist die lückenhafte Quellenangabe,<br />
486 s. „Doppelpunkt HS G 10“, S. 92<br />
169
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
die oftmals keinerlei Angaben über den Erscheinungsort, -jahr oder Karikaturisten<br />
machen.<br />
Insgesamt fördern die Karikaturen das Bild einer EG/EU, die nur<br />
langsam und umständlich zur Einheit gelangt. Nur die rauchenden<br />
Schornsteine der Montanunion werden ausnahmslos begrüßt und die nationalen<br />
Forderungen als Hemmnis für die europäische Einigung kritisch<br />
beäugt. Positiv ausgedrückt stehen die Karikaturen letztendlich für eine<br />
schnellere Einigung <strong>Europa</strong>s; dem Schüler werden allerdings eher die<br />
einzelnen Kritikpunkte an der EG/EU <strong>im</strong> Gedächtnis haften bleiben.<br />
Der Einsatz von Karikaturen, der die Sachkompetenz, die Meinungsbildung<br />
und das problemorientierte Lernen fördert, wird in allen Schularten<br />
durch die Aufarbeitung per Arbeitsanweisungen unterstützt.<br />
Zusammenfassend ist die zahlreiche Bildauswahl jeweils passend<br />
zum Autorentext getroffen worden, wobei kaum „historische“ Bilder aus<br />
den Anfängen der europäischen Einigung vorhanden sind.<br />
Zwar wird die europäische Einigung durch die Bilder oft posititv unterstützt,<br />
doch wäre der oftmals plakativen Bebilderung durch eine gezieltere<br />
Bildauswahl entgegenzuwirken. Mit Ausnahme der Karikaturen<br />
fehlt in vielen Fällen die direkte Ansprache des Schülers durch die Bilder,<br />
indem sie Informationen, einen Aufforderungscharakter oder Werte<br />
transportieren.<br />
So wird sonst das in der allgemeinen Meinung herrschende Bild von<br />
einer EU, die weniger auf den Handlungen und dem Einsatz von Menschen,<br />
sondern auf Verträgen und Institutionen beruht, untermauert und<br />
es wird schwer sein, daraus ein europäisches Bewusstsein aufzubauen.<br />
1.1.1.2 Gemeinschaftskunde<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anzahl der<br />
Bilder SchaubilderKarten<br />
Karikaturen<br />
insgesamt<br />
Damals HS GK 9 45 2 0 6 53<br />
Doppelpunkt HS GK 9 16 6 1 2 25<br />
Damals HS GK 10 0 3 1 1 5<br />
Doppelpunkt HS GK 10 0 2 0 0 2<br />
170
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Anstöße RS GK 9/10 8 7 4 3 22<br />
Berufswahlvorbereitung<br />
RS GK 9/10<br />
- - - - -<br />
Heute RS GK 10 27 9 3 6 45<br />
Politik RS GK 10 46 12 4 9 71<br />
Mensch ’95 Gy GK 10 - - - - -<br />
Mensch ’99 Gy GK 10 - - - - -<br />
Wandel Gy GK 10 - - - - -<br />
Es sind große Parallelen zwischen den Geschichts- und Gemeinschaftskundebüchern<br />
bezüglich den Bildkategorien feststellbar.<br />
So dominieren die Bilder durchschnittlich noch stärker gegenüber den<br />
Schaubildern, Karikaturen und Karten als in der Geschichte.<br />
Den Büchern wird eine Vielfalt an Gestaltungsmittel zuerkannt, nicht<br />
aber ein ausgewogener Bildeinsatz der verschiedenen Kategorien. Dies<br />
erreichen lediglich zwei der sieben mit Bildern versehenen Gemeinschaftskundebüchern.<br />
487<br />
Die Inhalte der Bilder lassen in der Haupt- wie auch der Realschule<br />
allgemeine Tendenzen erkennen.<br />
Ein Großteil der Bilder widmet sich den Symbolen der europäischen<br />
Einigung und den Nationalstaaten (Flaggen, Geld, Pässe etc.), den Gebäuden<br />
der Institutionen und „charakteristischen“ Bildern der Mitgliedstaaten.<br />
171<br />
<strong>Europa</strong>fahne<br />
(Quelle: „Heute RS GK 10“,<br />
S. 59)<br />
487 Es handelt sich hierbei um „Anstöße RS GK 9/10“ und „Heute RS GK 10“.
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Die Mitgliedstaaten der EU in einer typisierenden Darstellung<br />
(Quelle: „Damals HS GK 9“, S. 189)<br />
Abbildungen, die die Historie der Einigung thematisieren, liegen<br />
kaum vor, ebensowenig die „Köpfe“ europäischer Persönlichkeiten.<br />
Ganz vereinzelt wird die Agrarpolitik der EU (z. B. Überschussproduktion,<br />
Anbau in Deutschland und Spanien), die Entwicklungspolitik der EU<br />
oder die Warenvielfalt <strong>im</strong> Supermarkt dargestellt.<br />
Warenvielfalt in Supermärkten mit Produkten aus <strong>Europa</strong><br />
(Quelle: „Heute RS GK 10“, S. 65)<br />
172
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Durch das Bildmaterial erhalten die Schüler so gut wie keinen Einblick<br />
in die Politik der EU; zudem liegt nur ein ungenügender Aufforderungscharakter<br />
in den Bildern begründet, sich eine eigene politische Meinung<br />
zu bilden oder eine Auseinandersetzung mit der Thematik anzustreben,<br />
zumal sich noch nicht einmal alle Bilder direkt mit der europäischen<br />
Einigung beschäftigen (siehe Darstellung der Nationalstaaten). Wie<br />
schon in der Geschichte haben die Bilder auch hier eher einen plakativen<br />
Charakter; die möglichen Arbeitsanweisungen bleiben aus.<br />
Beide Schularten legen bei den Organen und dem wirtschaftlichen<br />
Anteil der EU am Welthandel ihren Schwerpunkt bei der Darstellung per<br />
Schaubild. Da die Realschule <strong>im</strong> Bereich der Schaubilder vielfältiger ist,<br />
werden noch Themen wie der Binnenmarkt (z. B. vier Freiheiten des Binnenmarktes,<br />
Schengener Abkommen), der Vertrag von Maastricht (z. B.<br />
die drei Säulen des Vertrages, WWU oder Subsidiaritätsprinzip), die Einwohnerzahlen<br />
oder die Entwicklungspolitik der EU dargestellt. Die<br />
Schaubilder werden in weiten Bereichen durch entsprechende Arbeitsanweisungen<br />
aufgearbeitet.<br />
Zum gemeinsamen Binnenmarkt der EU<br />
(Quelle: „Politik RS GK 10“, S. 73)<br />
173
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Das Kartenmaterial ist in der Realschule viel breiter gestreut als in der<br />
Hauptschule. Wohl werden in den beiden Schularten vereinzelt die Mitgliedstaaten<br />
der EU und die neu entstandenen Grenzen in Osteuropa nach<br />
1991 abgebildet; die AKP-Länder, die Erweiterung um Mittel- und Osteuropa,<br />
die regionalen Unterschiede innerhalb der EU, die Mitgliedstaaten<br />
des Schengener Abkommens und die Oberrheinregion zeigen ein differenziertes<br />
Bild der Realschulbücher.<br />
Verwunderlich ist, dass die Anzahl der Karikaturen in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
durchschnittlich betrachtet nicht höher ist als in den<br />
entsprechenden Geschichtsbüchern und dies, obwohl sich dieses Medium<br />
besonders gut zur politisch kontroversen und multiperspektivischen Meinungsbildung<br />
eignet. Ferner liegt wiederum eine unzureichende Quellenangabe<br />
bezüglich der Karikaturen vor. Inhaltlich werden ähnliche Themen<br />
wie in der Geschichte aufgegriffen: schulartübergreifend sind dies<br />
das Haus <strong>Europa</strong> mit seiner künftigen Erweiterung (z. B. „Warten auf <strong>Europa</strong>“)<br />
488 , die „Brüsseler Bürokratie“ (z. B. Verordnung über Backoblaten)<br />
489 und der Vertrag von Maastricht (z. B. Blick einer „<strong>Europa</strong>-Sternwarte“<br />
490 auf die große WWU und vernichtend kleine politische Union).<br />
488 „Damals HS GK 10“, S. 94<br />
489 s. „Politik RS GK 10“, S. 82<br />
490 „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 197<br />
„<strong>Europa</strong>-Sternwarte Maastricht“<br />
(Quelle: „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 197)<br />
174
Analyse der Bildkategorien: Bilder, Schaubilder, Karten, Karikaturen<br />
Ferner greift die Hauptschule noch die Agrarpolitik kritisch auf.<br />
Die Gemeinschaftskundebücher der Realschule erweisen sich <strong>im</strong> Bereich<br />
der Karikaturen als vielfältiger, wenn sie zusätzlich den nationalen<br />
Eigennutz (z. B. durch die nationalen Steuersysteme), das Begräbnis des<br />
Kalten Krieges, die Festung <strong>Europa</strong> oder die Frage, wie <strong>Europa</strong> in Zukunft<br />
sich entwickeln soll, aufwerfen (z. B. Ausbau, Umbau, Neubau etc.). 491<br />
Zur künftigen Entwicklung der europäischen Einigung<br />
(Quelle: „Anstöße RS GK 10“, S. 133)<br />
Sind in den Büchern zu den Karikaturen allgemein ausreichend Arbeitsanweisungen<br />
vorhanden, so greift ein Realschulbuch ein gezieltes<br />
Methodentraining auf, indem es ein Interpretationsraster anbietet. 492<br />
Insgesamt nehmen die Bilder in den Gemeinschaftskundebücher eher<br />
eine plakative Funktion ein, indem die Symbole, Organe und Mitgliedsländer<br />
der EU <strong>im</strong> Mittelpunkt stehen. Der Lehrer wird bei einer effektiven<br />
Nutzung gerade der Schaubilder, Karten oder Karikaturen lenkend<br />
eingreifen müssen. Die Bilder nutzen nicht die Chance, den Schüler auf<br />
affektive Weise anzusprechen, sodass er sich selbstständig „ein Bild“ von<br />
der Politik der europäischen Einigung machen kann. Probleme oder gar<br />
Befürchtungen, die Menschen bezüglich einer weitergehenden Integration<br />
<strong>Europa</strong>s haben, bleiben ausgespart. Eine gezieltere Bildauswahl, die<br />
verstärkt den handelnden Menschen mit einer größeren Aussagekraft berücksichtigt,<br />
wäre von Vorteil und würde den quantitativ hohen Bildanteil<br />
rechtfertigen.<br />
491 s. „Anstöße RS GK 10“, S. 133<br />
492 s. ebd., S. 124 – 125 verwendet die von Herbert Uppendahl aufgestellte „Lasswel’sche Formel“<br />
und setzt diese am Beispiel der Asylpolitik um. Vgl. Uppendahl, Herbert (Hrsg.), Die Karikatur<br />
<strong>im</strong> historisch-politischen Unterrricht, Freiburg 1978, S. 23.<br />
175
Der Einsatz von Quellen<br />
3.2.8 Der Einsatz von Quellen<br />
Frage: Auf welchen Quellen beruhen die Inhalte der Schulbücher über<br />
den europäischen Einigungsprozess?<br />
Die Untersuchung der Quellen soll vor allem darüber Aufschluss geben,<br />
inwieweit der Schüler ausreichende Originalaussagen über den europäischen<br />
Einigungsprozess erhält und mit welchen Inhalten er <strong>im</strong> Wesentlichen<br />
konfrontiert wird.<br />
Dabei soll keine Detailanalyse der einzelnen Quellen erfolgen, sondern<br />
vielmehr ein Überblick über die vorhandenen Quellen aller 34 Geschichts-<br />
und Gemeinschaftskundebücher gegeben werden. 493<br />
Neben den Kernaussagen sind auch sicherlich die Zeiträume zu beachten,<br />
aus denen bevorzugt Quellen eingesetzt werden. Ferner kann gerade<br />
das Untersuchungskriterium der Multiperspektive, das in einem späteren<br />
Kapitel auf die gesamten Inhalte anzuwenden ist, be<strong>im</strong> Quelleneinsatz<br />
überprüft werden. Damit lassen sich nachfolgend gezieltere Aussagen<br />
über die Schulbücher machen.<br />
3.2.8.1 Geschichte<br />
Wie schon durch vorangegangene Analysen ermittelt wurde, beträgt<br />
der durchschnittliche Raumanteil der Quellen in allen Geschichtsbüchern<br />
16,1%. Betrachtet man nur die gesamte Anzahl der ausgewählten Quellenstücke,<br />
so sind in der Realschule mit durchschnittlich 21,8 pro Buch<br />
die meisten Originalaussagen vorhanden, gefolgt von der Hauptschule<br />
(durchschnittlich 11,0 Quellen pro Buch) und dem Gymnasium (durchschnittlich<br />
6,8 Quellen).<br />
Ein durchaus anderes Bild entsteht, wenn man die Quellen nach den<br />
„Herkunftsländern“ ordnet. Allen Geschichtsbüchern kann kaum eine<br />
diesbezügliche Multiperspektive bescheinigt werden. 494 Erhält der<br />
Hauptschüler eine relativ ausgewogene Mischung aus deutschen, französischen,<br />
britischen und multinationalen Quellen 495 , so reduziert sich dies<br />
493 In diesem Zusammenhang soll auf eine Auflistung aller vorhandenen Quellen verzichtet und<br />
nur die abschließenden Ergebnisse präsentiert werden.<br />
494 Der Begriff der Multiperspektive wird in diesem Zusammenhang nur auf die verschiedenen<br />
nationalen Aussagen zur europäischen Einigung übertragen, nicht aber die verschiedenen Ansichten<br />
innerhalb eines Landes oder verschiedener Gruppierungen berücksichtigt. Dies erfolgt<br />
unter dem Kapitel der „Multiperspektive“.<br />
495 Darunter fallen EWG/EG/EU-Papiere oder die der KSZE.<br />
176
in den Geschichtsbüchern der Realschule um die britischen Ansichten<br />
und <strong>im</strong> Gymnasium fällt die multinationale Sichtweise überhaupt weg,<br />
während die Quellen deutscher Autoren <strong>im</strong>mer gewichtiger werden. Dies<br />
ist zu bedauern, zumal ein europäisches Bewusstsein auch durch die Konfrontation<br />
mit unterschiedlichen nationalen Meinungen gefördert werden<br />
kann.<br />
Im Folgenden gilt es zum einen festzustellen, inwieweit sich die Quellen<br />
in den Jahren von 1945 bis heute einordnen lassen und wo die Schulbücher<br />
quantitative und inhaltliche Schwerpunkte setzen. Dafür eignet<br />
sich ein systematisch chronologisches Vorgehen.<br />
Bei der zeitlichen Einordnung der Quellen lassen sich zwei absolute<br />
Schwerpunkte ausmachen. So entstammen 20,7% aller Quellen den 50er<br />
und 39,9% den 90er Jahren. Der hohe Anteil an Quellen aus den 90er Jahren<br />
mag überraschend sein, handelt es sich hier doch um Geschichtsbücher,<br />
die eher ältere Aussagen vermuten lassen. 496<br />
Inhaltlich sind in allen analysierten Geschichtsbüchern sehr wohl<br />
Schwerpunkte festzustellen.<br />
So findet man in den Quellen der 40er Jahre hauptsächlich Aussagen<br />
über die Lage <strong>Europa</strong>s nach dem Zweiten Weltkrieg, mögliche Lösungen<br />
in einem übernationalen europäischen Zusammenschluss und die Frage,<br />
welche Rolle die Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> spielen darf.<br />
Wie vage die diesbezüglichen Vorstellungen noch sind, zeigt vor allem<br />
die in elf Geschichtsbüchern zitierte Züricher Rede (1946) von Winston<br />
Churchill über die „Vereinigten Staaten von <strong>Europa</strong>“. 497 Leider wird<br />
aber in keinem <strong>Schulbuch</strong> gerade die Unbest<strong>im</strong>mtheit der Inhalte durch<br />
ergänzende Texte oder Arbeitsaufträge herausgearbeitet, sodass der<br />
Schüler unweigerlich Churchills Gedanken mit den Vereinigten Staaten<br />
von Amerika vergleicht und damit die Geburtsstunde oder Zielvorgabe<br />
für ein vereintes <strong>Europa</strong> sieht. Vergleicht der Schüler dann noch die heute<br />
existierende Europäische Union mit den „Vereinigten Staaten von <strong>Europa</strong>“,<br />
so kann sich eine latente Enttäuschung breit machen, die aber nicht<br />
auf einem fundierten Wissen basiert. Churchill sah bei näherer Analyse<br />
Großbritannien aus einem europäischen Bund ausgeklammert und war<br />
eher dem Gedanken eines Staatenbundes zugetan. Doch beide Elemente<br />
sind in den Schulbüchern weitestgehend nicht zu finden.<br />
177<br />
Der Einsatz von Quellen<br />
496 Folgender Quellenanteil kann den einzelnen Jahrzehnten zugesprochen werden:<br />
1945 – 1950: 8,5 %, 50er: 20,7 %, 60er: 8,0 %, 70er: 11,7 %, 80er: 11,3 %, 90er: 39,9 %<br />
497 s. u. a. „Damals HS G 9“, S. 138
Der Einsatz von Quellen<br />
Ein wesentlich geringerer Schwerpunkt wird mit der einmaligen Erwähnung<br />
der Haager Forderungen, Konrad Adenauers Ziel, eine politische<br />
Einheit <strong>Europa</strong>s zu schaffen und dem Artikel 1 des Statuts aus dem<br />
<strong>Europa</strong>rat (Ziele), gesetzt.<br />
Die in den Schulbüchern vorhandenen Quellen der 50er Jahre erfahren<br />
eine gewisse Dreiteilung. Den absoluten Schwerpunkt setzen dreizehn Geschichtsbücher<br />
mit der Erklärung von Robert Schuman aus dem Jahr 1950,<br />
in der zum einen die deutsch-französische Aussöhnung hervorgehoben<br />
wird sowie die Schaffung einer übernationalen Montanunion. Werden die<br />
positiven Reaktionen der damaligen Bundesregierung bzw. Konrad Adenauers<br />
in vielfältiger Weise in den entsprechenden Autorentexten aufgeführt,<br />
so sind diese auch in einigen wenigen Quellen vorhanden.<br />
Zweitens beschäftigen sich fünf Quellen mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.<br />
Konrad Adenauers und Franz-Josef Strauß‘ positiver<br />
Haltung steht Erich Ollenhauers Ablehnung in einer Bundestagsdebatte<br />
von 1952 gegenüber. Das endgültige Scheitern der EVG (1954)<br />
wird durch einen französischen Abgeordneten mit dem staatlichen Verlust<br />
an Souveränität <strong>im</strong> Bereich der Verteidigung begründet. „Wenn ein<br />
Volk nicht mehr die Lenkung seiner Streitkräfte besitzt, hat es auch keine<br />
Führungsgewalt über seine Diplomatie. All dies bedeutet in meinen Augen<br />
eine Erniedrigung Frankreichs.“ 498<br />
Drittens sind in sieben Geschichtsbüchern Auszüge (vor allem Artikel<br />
2 und 3) aus den Gründungsverträgen zur EWG aufgeführt, aus denen der<br />
Schüler die vertraglich gesteckten Aufgaben und Tätigkeiten herausarbeiten<br />
kann. Die Vorgeschichte bis zum Vertragsabschluss wird durch<br />
die Erklärung von Messina (1955) oder der daraufhin eingesetzten Arbeitsgruppe,<br />
die die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses bekräftigt,<br />
untermauert. Interessant ist sicherlich eine Hallstein-Rede (1957), in der<br />
die Veränderungen der EWG gegenüber der Montanunion u. a. durch die<br />
„Errichtung eines wirtschaftlich und politisch geeinigten <strong>Europa</strong> [...] der<br />
Schaffung eines großen gemeinsamen Marktes [...] [die] Grundsätze der<br />
Sozialpolitik“ 499 begründet werden.<br />
Die 60er Jahre stehen ganz unter dem Zeichen der deutsch-französischen<br />
Aussöhnung. Dabei bilden die Rede von Charles de Gaulle an<br />
die deutsche Jugend (1962), Auszüge sowie Berichte über die Unter-<br />
498 französischer Abgeordneter, in: „Entdecken HS G 9“, S. 207 und „Entdecken ’94 RS G 10“, S.<br />
87<br />
499 Hallstein, Walter, in: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 112<br />
178
zeichnung des deutsch-französischen Vertrages einen Mittelpunkt. Die<br />
diesbezüglichen Quellen nehmen keinen Bezug zur europäischen Einigung,<br />
sondern heben die Versöhnung und die bilaterale Zusammenarbeit<br />
hervor. „Während sich die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit<br />
zwischen den beiden Staaten weiter entwickelt, sollten Sie<br />
und die jungen Franzosen alle Menschen bei ihnen und bei uns dazu bewegen,<br />
sich einander näher zu kommen, sich besser kennenzulernen und<br />
engere Bande zu knüpfen.“ 500 Abgerundet wird das Bild der 60er Jahre<br />
durch de Gaulles geografische Definition <strong>Europa</strong>s sowie seinen Gedanken<br />
zu einem Staatenbund, in denen die einzelnen Staaten als Eckpfeiler<br />
von <strong>Europa</strong> angesehen werden. 501<br />
Ein Hauptschulbuch hebt dem gegenüber das Bekenntnis Walter Hallsteins<br />
über die bundesstaatlichen Strukturen der Gemeinschaft hervor. 502<br />
Rückblickend sieht der belgische Politiker Paul-Henri Spaak in seinen<br />
Memoiren den EWG-Vertrag als großen Erfolg an und verknüpft damit<br />
die Hoffnung von einer Weiterentwicklung der wirtschaftlichen zur politischen<br />
Integration. 503<br />
Die 70er Jahre sind von der Quellenlage her durch die beginnende europäische<br />
Entspannungspolitik geprägt, was sich ganz deutlich durch die<br />
vielfältigen Auszüge oder Kommentare über den Prozess der Konferenz<br />
für Sicherheit und Zusammenarbeit (1975) ausdrückt. Unter den begleitenden<br />
Kommentaren findet man z. B. die Ziele der Bundesrepublik bei<br />
den Verhandlungen zur KSZE (Hans-Dietrich Genscher), die Befürwortung<br />
des Deutschen Bundestages oder die Haltung Erich Honeckers zur<br />
„friedlichen Koexistenz“ 504 sowie ein Appell Andrej Sacharows an die<br />
westlichen Staaten, die Ergebnisse der KSZE umzusetzen.<br />
Wurden durch die einzelnen Quellen mehr oder weniger die politischen<br />
Themen der einzelnen Jahre wiedergegeben, so trifft diese Eindeutigkeit<br />
nicht für die 80er Jahre zu. Hier werden nicht der Gedanke des<br />
Binnenmarktes bzw. die Ergebnisse der Einheitlichen Europäischen Akte<br />
durch Originalaussagen in den Vordergrund gerückt. Nur in einem Fall<br />
äußert sich die Europäische Kommission zu den Vorteilen des Binnenmarktes<br />
(1988), dem aber auch die Bedenken gegenübergestellt sind. An-<br />
179<br />
Der Einsatz von Quellen<br />
500 de Gaulle, Charles, Rede an die deutsche Jugend in Ludwigsburg (1962), in: „bsv ’97 Gy G<br />
10“, S. 184<br />
501 s. de Gaulle, Charles, zum Staatenbündnis, in: „Geschehen Gy G 10“, S. 247<br />
502 s. Hallstein, Walter, in: „Doppelpunkt HS G 10“, S. 83<br />
503 s. Spaak, Paul-Henri, in: „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 245<br />
504 Honecker, Erich, in: „bsv ’95 Gy G 10“, S. 229
Der Einsatz von Quellen<br />
sonsten herrscht in den Quellen der 80er eine bunte Themenmischung:<br />
Die deutsch-französische Freundschaft findet sich in der gemeinsamen<br />
Erklärung von Verdun über den Weg zum Frieden und zur Freundschaft<br />
beider Völker von Helmut Kohl und François Mitterand (1984) neben Erfolgsberichten<br />
über die Ergebnisse des Deutsch-Französischen Jugendwerkes<br />
wieder. Von den Politikbereichen stehen die Agrarpolitik mit der<br />
Vernichtung von Agrarerzeugnissen, die Probleme bei der zu langsamen<br />
Verwirklichung einer gemeinsamen Umweltpolitik ebenso wie die „Festung<br />
<strong>Europa</strong>“ und die Auswirkung einer unterschiedlichen Besteuerung<br />
unter Beschuss. In das von den Quellen eher negativ oder stagnierende<br />
Bild der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft in den 80er Jahren<br />
passt auch Margaret Thatchers Vorstellungen über die staatenbündischen<br />
Strukturen der Gemeinschaft (1988).<br />
Auch in den 90er Jahren lassen sich durch die Vielzahl der aufgegriffenen<br />
Themen nicht mehr die thematischen Schwerpunkte in den Quellen<br />
wie zu Beginn der europäischen Einigung finden. Entgegen allen Vorstellungen<br />
sind nur in drei Schulbüchern Auszüge aus dem Vertragstext<br />
von Maastricht (1992) vorhanden. Wie schon be<strong>im</strong> Binnenmarkt werden<br />
die Vertragstexte eher durch Autorentexte oder Schaubilder aufgearbeitet.<br />
Das gleiche gilt für die kritische Aufarbeitung. Nur eine Quelle („General-Anzeiger“<br />
1991) vertritt eine kritische Meinung zum Vertrag von<br />
Maastricht, während Richard von Weizsäcker die Ergebnisse absolut als<br />
„Meilenstein“ 505 zur Vereinigung <strong>Europa</strong>s beurteilt.<br />
In den Geschichtsbüchern aller Schularten thematisieren die Quellen<br />
<strong>im</strong>mer wieder die Erweiterung der Europäischen Union. Neben der einmaligen<br />
Nennung der Aufnahmebedingungen beitrittswilliger Länder<br />
zur EU wird die zust<strong>im</strong>mende Haltung der Bundesrepublik und der Wille<br />
der mitteleuropäischen Staaten (vor allem Polens), in die europäische<br />
Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden, aufgeführt. Demgegenüber<br />
erhält der Dauerkonflikt zwischen der EU und der Türkei – bedingt<br />
durch die Menschenrechtsverletzungen und die bisherige Absage der<br />
EU-Kommission zum Aufnahmeantrag der Türkei – eine untergeordnete<br />
Rolle.<br />
Die Geschichtsbücher des Gymnasiums widmen sich noch der Rolle<br />
des wiedervereinten Deutschlands in <strong>Europa</strong>. Führt Margaret Thatcher<br />
die Macht Deutschlands eher als Problem an (1992), so wünschen sich<br />
Michail Gorbatschow (1995) und Henry Kissinger ein gefestigtes<br />
505 Weizsäcker, Richard von, in: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 114<br />
180
Deutschland in der Mitte <strong>Europa</strong>s. Von deutscher Seite wird die europäische<br />
Einigung als Chance und Notwendigkeit beurteilt (Roman Herzog,<br />
1995).<br />
Ansonsten führen die Quellen der 90er Jahre die zuvor schon angerissenen<br />
Themen mit aktuellen Inhalten fort, wie z. B. die Bedeutung der<br />
deutsch-französischen Partnerschaft, die Probleme und Perspektiven einer<br />
Gemeinsamen Agrarpolitik, der Weiterentwicklung der KSZE zur<br />
OSZE und deren Wirkung am Beispiel Tschetscheniens, den Auswirkungen<br />
des Binnenmarktes (z. B. Leben und Arbeiten in <strong>Europa</strong>, das Bierurteil)<br />
oder der Rolle des Europäischen Parlaments.<br />
Insgesamt vermitteln die Quellen der 40er Jahre aus den Geschichtsbüchern<br />
Visionen über eine Einigung <strong>Europa</strong>s, die mit der Gründung der<br />
Montanunion und der EWG in den 50er Jahren eine Umsetzung finden.<br />
Die zwei folgenden Jahrzehnte sind allerdings von der Quellenlage her<br />
gesehen nicht der europäischen Einigung, sondern der deutsch-französischen<br />
Versöhnung und den Ergebnissen um die KSZE gewidmet. So<br />
kann der Schüler den Eindruck erlangen, dass der Vergleich der EG als<br />
„Schildkröte“ nicht ganz unzutreffend ist. Erst die Quellen aus den 80er<br />
und 90er Jahren gehen ihrerseits auf die noch zu lösenden Probleme oder<br />
Hindernisse der europäischen Einigung ein und sehen für die Bundesrepublik<br />
Deutschland keine Alternative als ein klares Bekenntnis zur Erweiterung<br />
und Vertiefung der EU. Damit bestätigen die Quellen weitestgehend<br />
die Aussagen, die der Schüler durch den Autorentext oder das<br />
Bildmaterial erhält.<br />
3.2.8.2 Gemeinschaftskunde<br />
Den Gemeinschaftskundebüchern der Haupt- und Realschule kommt ein<br />
durchschnittlicher Quellenanteil von 18,3% zu. 506<br />
N<strong>im</strong>mt man nur die absolute Anzahl der Quellen zur Grundlage, so<br />
setzen die Gemeinschaftskundebücher der Realschule mit durchschnittlich<br />
12,3 Quellen pro Buch diese Textart sehr viel häufiger als die Hauptschulbücher<br />
(durchschnittlich 3,5 Quellen pro Buch) ein.<br />
Wurde in den Geschichtsbüchern noch eine gewisse Verteilung auf<br />
französische und britische Ansichten – neben einer starken Dominanz<br />
von Quellen deutscher Herkunft – festgestellt, so beschränken sich die<br />
Schulbücher der Gemeinschaftskunde auf die Wiedergabe deutscher und<br />
181<br />
Der Einsatz von Quellen<br />
506 Dabei wurden wegen fehlender Inhalte die Gemeinschaftskundebücher des Gymnasiums nicht<br />
berücksichtigt.
Der Einsatz von Quellen<br />
in sehr geringem Maße multinationaler Quellen. Dies unterstützt nicht<br />
gerade eine multiperspektivische europäische Sichtweise über die Entwicklung<br />
der europäischen Einigung.<br />
Bei der Einordnung der Quellen in die Jahre von 1945 bis heute liegt<br />
mit 87,9% aller Quellen der absolute Schwerpunkt bei den 90er Jahren. 507<br />
Damit ist von den Quellen in den Gemeinschaftskundebüchern keine<br />
Aufarbeitung des historischen Einigungsprozesses zu erwarten, sondern<br />
Stellungnahmen zu aktuellen Themen der Europäischen Union.<br />
Die einzig vorhandene Quelle der 40er Jahre nennt mit dem Artikel 1<br />
aus der Satzung des <strong>Europa</strong>rates (1949) dessen Ziele und Aufgaben.<br />
Zwei Hauptschulbücher führen <strong>im</strong>merhin die Präambel des<br />
EWG-Vertrages (1957) auf, aus der der Schüler die Ziele, die sich die Gemeinschaft<br />
gesetzt hat, entnehmen kann.<br />
Die 60er und 70er Jahre sind durch keine Quellen in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
vertreten.<br />
Ganz vereinzelt treten die Befürchtungen der Entwicklungsländer<br />
über den Gedanken einer „Festung <strong>Europa</strong>“ oder Aussagen von Bürgern<br />
zum Binnenmarkt aus den 80er Jahren zu Tage.<br />
In den 90er Jahren stehen in den Quellen kaum der hier erwartete Vertrag<br />
von Maastricht und seine Auswirkungen <strong>im</strong> Vordergrund. Vielmehr<br />
wird intensiv die Weiterentwicklung der EU diskutiert. Stellen einige Bücher<br />
noch die Frage der Vertiefung oder Erweiterung, so gehen die meisten<br />
Gemeinschaftskundebücher nur auf das Stichwort der Eweiterung<br />
ein, die Probleme, die mit einer frühen Erweiterung verbunden sind, aber<br />
auch das Ziel eines gemeinsamen europäischen Hauses. Die Vereinigung<br />
<strong>Europa</strong>s wird nicht in Frage gestellt, lediglich der Zeitrahmen oder der<br />
genaue Weg ist in den Quellen noch offen gehalten. „<strong>Europa</strong> zu einigen<br />
heißt, die Antwort zu geben auf die historischen Herausforderungen und<br />
die leidvollen Erfahrungen.“ 508<br />
Ein zweiter Schwerpunkt wird mit der Bedeutung der Regionen innerhalb<br />
der EU nach den Veränderungen des Unionsvertrages (1992) gesetzt.<br />
Die Quellen gehen hier aber nicht auf den Ausschuss der Regionen<br />
ein, sondern auf die Rolle Baden-Württembergs innerhalb der EU, Beispiele<br />
der Regionalförderungen von Seiten der EU oder die grenzüberschreitenden<br />
Aktivitäten Baden-Württembergs und der veränderte Vor-<br />
507 1,7 % aller Quellen sind den 40er Jahren zuzuordnen, 3,5 % den 50er und 6,9 % den 80er Jahren.<br />
508 EUROPA-UNION Deutschland, Charta der Europäischen Identität, Bonn 1995, in: „Damals<br />
HS GK 10“, S. 94<br />
182
spruch der Landesverfassung von 1995. Darin verpflichtet sich Baden-Württemberg<br />
„als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland<br />
in einem vereinten <strong>Europa</strong>, dessen Aufbau förderativen Prinzipien und<br />
dem Grundsatz der Subsidiarität entspricht, zu gestalten und an der<br />
Schaffung eines <strong>Europa</strong>s der Regionen sowie der Förderung der grenzüberschreitenden<br />
Zusammenarbeit aktiv mitzuwirken.“ 509 Die starke<br />
Rolle der Bundesländer wird also nicht nur in den Autorentexten, sondern<br />
auch in den Quellen hervorgehoben.<br />
Vereinzelt werden noch Probleme oder Themen der EU wie folgt aufgegriffen:<br />
der Arbeitsmarkt <strong>Europa</strong>s, das Problemfeld des nationalen<br />
Egoismus‘, das europäische Demokratiedefizit und die Arbeit eines Parlamentariers<br />
und einer Kommissarin sowie der freie Welthandel am Beispiel<br />
von protektionistischem Handeln der USA, Japans und der EU.<br />
Insgesamt begleiten die Quellen die Aussagen der Autorentexte und<br />
stehen als Ergänzung zur Verfügung. Es werden Themen angesprochen,<br />
die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Allerdings erhalten die<br />
Schüler kaum einen Einblick in die Meinungslage einzelner Politiker, da<br />
<strong>im</strong> Gegensatz zur Geschichte nicht „historische“ Personen zu Wort kommen,<br />
sondern eher Zeitungsartikel, Vertragspassagen oder Auszüge aus<br />
Büchern als Quellen dienen.<br />
3.2.9 Die Multiperspektive<br />
Frage: Wird das Gebot der Multiperspektive beachtet?<br />
Im folgenden Kapitel soll nicht nur die Anzahl der Schulbücher herausgearbeitet<br />
werden, die das Prinzip der Multiperspektive beachten, sondern<br />
auch die thematischen Schwerpunkte, mit denen die Schulbücher in bevorzugter<br />
Weise die unterschiedlichsten Sichtweisen verbinden. Die ausgewählten<br />
Beispiele dienen der Veranschaulichung und sollen dem Lehrer<br />
die Möglichkeit bieten, sich von der Umsetzung der Multiperspektive<br />
in den Schulbüchern ein Bild zu machen.<br />
3.2.9.1 Geschichte<br />
Insgesamt lässt sich in 21 von 22 analysierten Geschichtsbüchern der Sekundarstufe<br />
I zur Thematik der europäischen Einigung eine multiper-<br />
183<br />
Die Multiperspektive<br />
509 Vorspruch der Landesverfassung von Baden-Württemberg vom 15. Februar 1995, in: „Heute<br />
RS GK 10“, S. 82
Die Multiperspektive<br />
spektivische Betrachtung feststellen, die allerdings in den einzelnen<br />
Schulbüchern unterschiedlich stark ausgeprägt ist. 510 Durchgängig ist in<br />
allen Schularten eine Konzentration der Multiperspektive bei den Anfängen<br />
der europäischen Einigung vorhanden. Dabei sind folgende Themen<br />
betroffen:<br />
– Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
– Die deutsch-französische Versöhnung<br />
– Die Montanunion<br />
– Gedanken europäischer Persönlichkeiten zur Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
Ganz eindeutig wird dabei ausschließlich die deutsche, französische und<br />
vereinzelt die britische Sichtweise dargestellt. Hier einige Beispiele:<br />
Ein Hauptschulbuch führt Konrad Adenauers Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
von 1945 auf. „Dem Verlangen Frankreichs und Belgiens nach Sicherheit<br />
kann auf die Dauer nur durch wirtschaftliche Verflechtung von<br />
Westdeutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Holland wirklich<br />
Genüge geschehen.“ 511<br />
In einem Realschulbuch werden Adenauers weiterführende Gedanken<br />
aus dem Jahr 1946 zitiert. „Eine konstruktive Lösung [...] erblicke ich allein<br />
in der Gründung der Vereinigten Staaten <strong>Europa</strong>s unter Führung von<br />
England und Frankreich. Dazu muss auch Deutschland gehören [...].“ 512<br />
In <strong>im</strong>merhin drei Geschichtsbüchern findet der Schüler die Forderung<br />
französischer und deutscher Demonstranten nach einer Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
von 1950. „L’ Europe est présente: nous demandons la création d‘ un parlement<br />
et d‘ un gouvernement européen!“ 513<br />
Neben der vielzitierten Vision Winston Churchills von der Schaffung<br />
der „Vereinigten Staaten von <strong>Europa</strong>“ (9.9.1946), hat die Resolution der<br />
europäischen Föderalisten von 1945 so etwas wie einen internationalen<br />
Charakter. „Wenn die europäischen Völker ihre gemeinsame demokratische<br />
Zivilisation retten wollen, müssen sie sich in eine Föderation zusammenschließen.“<br />
514<br />
Konrad Adenauer sieht „das Verhältnis zwischen Frankreich und<br />
Deutschland [...] [als] eines der wichtigsten [an] [...]. Seine Lösung wird<br />
510 Nur vier Geschichtsbücher der Hauptschule, drei der Realschule und zwei des Gymnasiums<br />
setzen überdurchschnittlich die multiperspektivische Sichtweise ein.<br />
511 Adenauer, Konrad, in: „Damals HS G 9“, S. 138<br />
512 ebd., in: „Unsere RS G 10“, S. 65<br />
513 „Doppelpunkt HS G 9“, S. 167; „Entdecken HS G 9“, S. 202; „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 110<br />
514 Europäische Föderalisten, in: „Geschehen Gy G 10“, S. 217<br />
184
entscheidend sein für den Frieden für lange Zeit.“ 515 Mit seiner berühmt<br />
gewordenen Erklärung von 1950 wird der Franzose Robert Schuman<br />
häufig in den Bücher wie folgt zitiert: „Die Vereinigung der europäischen<br />
Nationen erfordert, dass der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen<br />
Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird.“ 516<br />
Eine weitere „typische“ Aussage zum Verhältnis beider Staaten ist mit<br />
de Gaulles Ansprache vor jungen Deutschen in Ludwigsburg von 1962 zu<br />
vermerken. „Die Zukunft unserer beider Länder, der Grundstein, auf dem<br />
die Einheit <strong>Europa</strong>s errichtet werden kann und muss [...] bleiben die gegenseitige<br />
Achtung, das Vertrauen und die Freundschaft zwischen dem<br />
deutschen und französischen Volk.“ 517<br />
Neben den Aussagen führender Politiker sind Eindrücke privater Personen<br />
nur ganz selten berücksichtigt. Die Erlebnisse einer deutschen<br />
Schülerin in Frankreich werden sicherlich das Interesse der Schüler wecken.<br />
„Er [französischer Großvater der Austauschschülerin] sprach davon,<br />
wie wichtig es wäre, dass sich die Völker aussöhnen und es zwischen<br />
Frankreich und Deutschland nie wieder Krieg geben dürfe. [...]<br />
Mich hat dieser Satz mehr beeindruckt, als jede Versöhnungsfeier.“ 518<br />
Den zeitlichen Rahmen schließt ein französischer Journalist mit einer<br />
überaus positiven Bemerkung über die Beziehung beider Völker aus dem<br />
Jahr 1987 <strong>im</strong> „Figaro“ ab. „Es ist etwas Verliebtheit dabei. Eine gänzliche<br />
vorurteilsfreie Beziehung richtet sich da ein [...].“ 519<br />
Mit der Montanunion wird in den Schulbüchern ganz klar der Schuman-Plan<br />
vom 9. Mai 1950 verbunden und dessen Zielsetzung, „dass der<br />
jahrhundert alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht<br />
wird [...], dass jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland<br />
nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist,“ 520 neben der<br />
Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, <strong>im</strong>mer<br />
wieder genannt.<br />
Konrad Adenauers sofortige Zust<strong>im</strong>mung zum Schuman-Plan – auch<br />
um die politische Souveränität der Bundesrepublik wieder zu erlangen –<br />
wird als Antwort auf den französischen Vorschlag herausgearbeitet.<br />
Kritische Töne kommen mit der Reaktion des deutschen Oppositions-<br />
515 Adenauer, Konrad, in: „Doppelpunkt HS G 9“, S. 168<br />
516 Schuman, Robert, in: ebd., S. 168<br />
517 de Gaulle, Charles, in: „Morgen RS G 10“, S. 102<br />
518 Deutsche Schülerin, in: „Von ... bis RS G 10“, S. 98<br />
519 Picaper, Jean-Pierre, in: „bsv ’95 Gy G 10“, S. 217<br />
520 Schuman, Robert, in: „Geschehen Gy G 10“, S. 247<br />
185<br />
Die Multiperspektive
Die Multiperspektive<br />
politikers Kurt Schumacher in einem Hauptschulbuch auf. „Mit dem<br />
Schumanplan wird eine Marktordnung geschaffen, die Frankreich und<br />
den anderen Ländern die Konkurrenz der deutschen Stahlindustrie vom<br />
Halse schafft, aber den Zugriff auf die deutsche Kohle aus bevorzugter<br />
Position heraus ermöglicht.“ 521<br />
Eine französische Karikatur vom 11. Mai 1950 zeigt auch in gewisser<br />
Weise die deutsche Hilfeleistung <strong>im</strong> „Gemeinschaftsunternehmen“, in<br />
dem es Konrad Adenauer als Heizer des „Schuman-Hochofens“ darstellt.<br />
522<br />
Karikatur zum Schuman-Plan<br />
(Quelle: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 111)<br />
Zwar zeigen die Bücher oft die europäischen Persönlichkeiten mittels<br />
Bilder, doch äußern sich auch einige bezüglich ihrer Gedanken zur europäischen<br />
Einigung. Neben der Betonung des Friedens durch Churchill,<br />
Schuman, de Gaulle, Adenauer, Mitterand und Kohl, sprechen sich alle<br />
Politiker für die europäische Einigung aus, wenn auch mit verschiedenen<br />
Nuancen behaftet.<br />
521 Schumacher, Kurt, in : „Damals HS G 10“, S. 29<br />
522 s. „Entdecken RS G 10“, S. 111<br />
186
So tritt Walter Hallstein für den europäischen Bundesstaat, Margaret<br />
Thatcher für den Staatenbund 523 und de Gaulle für sein Konzept des „<strong>Europa</strong>s<br />
der Vaterländer“ ein. 524 Jean Monnets Plädoyer: „Wir einigen keine<br />
Staaten, wir einigen Menschen“, 525 oder Willy Brandts Befürwortung<br />
der Gemeinschaft („Nur in der Europäischen Gemeinschaft können wir<br />
gewiss sein, dass die für uns unveräußerlichen Werte der Demokratie, der<br />
Freiheit und der Absage an den zerstörerischen Nationalismus geschützt<br />
bleiben.“ 526 ) unterstützen die europäische Einigung. Trotzdem muss<br />
noch einmal betont werden, dass bei weitem nicht alle Geschichtsbücher<br />
die Ansichten europäischer Persönlichkeiten zur europäischen Einigung<br />
herausarbeiten und eher der historische Ablauf der Einigung <strong>im</strong> Vordergrund<br />
steht.<br />
Nur ein Gymnasialbuch befasst sich mit der Hoffnung des belgischen<br />
Politikers Paul Henri Spaak und des damaligen Bundeskanzlers Konrad<br />
Adenauer, dass die Gründung der EWG eine politische Union nach sich<br />
ziehen würde. 527<br />
Bei den Politikbereichen der EG/EU sind kaum nationale St<strong>im</strong>men<br />
vorhanden, lediglich die deutsche Sichtweise ist sporadisch zur positiv<br />
gesehenen Wirtschaftspolitik oder kritisch beäugten Agrarpolitik vorzufinden,<br />
der einerseits eine hohe Überschussproduktion und Subventionspolitik,<br />
andererseits die mangelnde Unterstützung für die deutschen Bauern<br />
(z. B. niedrige Festpreise) und die hohe Konkurrenz bei der Produktion<br />
vorgeworfen wird.<br />
Nur ein <strong>Schulbuch</strong> versucht die verschiedenen nationalen Perspektiven<br />
zur Agrarpolitik darzulegen. „Während Franzosen, Niederländer, Italiener,<br />
Spanier oder Griechen mit ihrer stark agrarwirtschaftlichen Ausrichtung<br />
von dieser Politik profitierten, fühlten sich Großbritannien und<br />
die Bundesrepublik, wegen ihrer Abhängigkeit vom industriellen Export<br />
wirtschaftlich benachteiligt. Die Briten waren zusätzlich verärgert, weil<br />
sie viel Geld zum Agrarhaushalt beisteuern mussten, ohne davon, wie die<br />
Agrarländer, Gegenleistungen zu erhalten. Die Deutschen beklagten sich<br />
regelmäßig über die Preisfestsetzung für Getreide und Wein .“ 528<br />
Überraschenderweise werden die neueren Entwicklungen der EG/EU<br />
523 s. „Doppelpunkt HS G 10“, S. 83<br />
524 s. „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208 und „Geschehen Gy G 10“, S. 245<br />
525 Monnet, Jean, in: „Damals HS G 10“, S. 25<br />
526 Brandt, Willy, in: ebd.<br />
527 s. „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 245<br />
528 „Geschehen Gy G 10“, S. 248<br />
187<br />
Die Multiperspektive
Die Multiperspektive<br />
kaum mit Hilfe der Multiperspektive beurteilt. Hier machen zwei Gymnasialbücher<br />
bei der Beurteilung des Vertrags von Maastricht eine Ausnahme,<br />
wobei das Kriterium der Kontroverse in der folgenden Aussage<br />
mit aufgegriffen wird.<br />
„In einigen EU-Ländern sind die Maastricht-Kriterien und die Währungsunion<br />
als solche heftig umstritten. In Großbritannien fürchten Fachleute<br />
[...], dass mit der Währungsunion die deutsche Position übermächtig<br />
werde. Französische Politiker warnen davor, dass die strikten Stabilitätskriterien<br />
und Sparmaßnahmen [...] den sozialen Frieden gefährden.<br />
[...] In Deutschland macht sich zunehmende Sorge breit, dass der Euro<br />
nicht annähernd die Stabilität haben werde, wie man [...] von der DM gewohnt<br />
war. Befürworter der Währungsunion in Deutschland versprechen<br />
sich vom Euro wiederum bessere Exportchancen .“ 529 Die Interessen<br />
Deutschlands und Frankreichs macht ein anderes Buch deutlich: „Mehrere<br />
Vorstöße, das Ziel einer politischen Union zu erreichen, wurden auf Initiative<br />
Deutschlands und Frankreichs [...] unternommen. Das Ergebnis<br />
war: [...] Maastricht .“ 530<br />
Übereinst<strong>im</strong>mend wird die künftige Erweiterung der EU aus der Sicht<br />
der potentiellen Beitrittskandidaten geschildert. 531 Dabei spielen die<br />
Hauptschulbücher eine zu vernachlässigende Rolle. Beispielhaft sei hier<br />
die Ansicht der polnischen Regierung aufgeführt. „Skubiszewski hatte<br />
den Gegnern einer Assoziierung Polens mit der EG entgegengehalten,<br />
dass die Mitgliedschaft in der EG auch größere Sicherheit verbürge. Folgerichtig<br />
spricht sich die polnische Führung [...] auch für die Vertiefung<br />
der wirtschaftlichen und politischen Integration in der EG aus und befürwortet<br />
die Einbeziehung der Sicherheitspolitik [...] in diese Entwicklung.“<br />
532<br />
Die Position der deutschen Regierung hierzu machen u. a. einige<br />
Gymnasialbücher deutlich: „Mit besonderer Ungeduld drängen [...] Polen,<br />
Tschechien, Ungarn [...] Estland, Lettland, Litauen [...] auf ihre baldige<br />
Zulassung. [...] Einige Regierungen der EU – wie vor allem die deutsche<br />
– halten eine Aufnahme für dringend erwünscht.“ 533<br />
Als einzige Schulart thematisiert das Gymnasium die Rolle der Bun-<br />
529 ebd.<br />
530 „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 241<br />
531 Die Geschichtsbücher nennen in diesem Zusammenhang am häufigsten Polen, Ungarn und die<br />
Tschechische Republik.<br />
532 FAZ vom 16.11.99, in: „Entdecken RS G 10“, S. 113<br />
533 „Geschehen Gy G 10“, S. 251<br />
188
desrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> mit Hilfe verschiedener nationaler<br />
Perspektiven.<br />
Unterschiedliche <strong>Europa</strong>-Vorstellungen zum weiteren Verlauf des<br />
Integrationsprozesses: opting-out – status quo – Erweiterung<br />
(Quelle: „Geschehen Gy G 10“, S. 253)<br />
Die Befürchtungen bezüglich des deutschen Gewichts nach der Wiedervereinigung<br />
innerhalb der EU und <strong>Europa</strong>s kommen in einer österreichischen<br />
Karikatur von 1990 „Das Gewicht der Germania“ 534 oder in<br />
textlichen Passagen direkt zum Ausdruck.<br />
Das wieder vereinigte Deutschland und seine Rolle innerhalb der EU und der<br />
Welt (Quelle: „Geschehen Gy G 10“, S. 290)<br />
534 ebd., S. 290<br />
189<br />
Die Multiperspektive
Die Multiperspektive<br />
Margaret Thatcher n<strong>im</strong>mt 1992 darauf Bezug, ebenso wie Henry Kissinger.<br />
„Dessen ungeachtet ist Deutschlands Macht ein Problem – für die<br />
Deutschen ebenso sehr wie für das übrige <strong>Europa</strong>.“ 535 „Inzwischen ist<br />
Deutschland so stark geworden, dass die bestehenden europäischen Institutionen<br />
aus eigener Kraft keine Balance zwischen Deutschland und seinen<br />
europäischen Partnern mehr herzustellen vermögen.“ 536<br />
Diesen Befürchtungen möchte die Bundesregierung entgegentreten,<br />
indem sie Deutschland eng innerhalb <strong>Europa</strong>s einbetten will. „Um solche<br />
Befürchtungen vor einem „deutschen <strong>Europa</strong>“ zu zerstreuen, hatte der<br />
deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl bei den [...] Verhandlungen um die<br />
Wiedervereinigung 1990 ein „europäisches Deutschland“ versprochen“.<br />
537 Auch Michail Gorbatschow sieht in der „Stärke“ Deutschlands<br />
eher einen Vorteil für <strong>Europa</strong>, wenn er notiert, dass ein „gesundes<br />
Deutschland [...] zu einem der wichtigsten positiven Faktoren der europäischen<br />
[...] Entwicklung werden“ 538 wird. Folgerichtig führt ein <strong>Schulbuch</strong><br />
auch einen Auszug aus einer Erklärung des Europäischen Rates<br />
vom 28. April 1990 auf, indem die Gemeinschaft die Wiedervereinigung<br />
Deutschlands begrüßt und dem Beitrag Deutschlands für die Gemeinschaft<br />
positiv entgegensieht. 539<br />
Der Prozess der KSZE wird in allen Schularten in einigen Büchern mit<br />
der westlichen und östlichen Zielsetzung belegt. „Für die damaligen Ostblockstaaten<br />
war die Festschreibung der Grenzen wichtig, während der<br />
Westen die Einforderung der Menschenrechte als Erfolg verbuchte.“ 540<br />
Ebenso wird herausgearbeitet, dass die Bundesrepublik vor allem an<br />
einer Verbesserung der Ost-West-Beziehungen interessiert war. Ein<br />
Realschulbuch widmet sich auch den unterschiedlichen Wirkungen des<br />
Konferenzbeschlusses von Helsinki. „In den westlichen Staaten wurde<br />
der Konferenzbeschluss [...] nicht besonders gewürdigt [...] . In den Staaten<br />
des Ostblocks [...] waren an diesem Tag die Zeitungen ausverkauft<br />
[...] . Die meisten Menschen empfanden die Beschlüsse und die Veröffentlichung<br />
in ihren Staaten als Sensation.“ 541<br />
Insgesamt kann nicht behauptet werden, dass sich der multiperspekti-<br />
535 Thatcher, Margaret, in: „Geschehen Gy G 10“, S. 291<br />
536 Kissinger, Henry, in: „historia Gy G 10“, S. 326<br />
537 „Geschehen Gy G 10“, S. 288<br />
538 Gorbatschow, Michail, in: ebd., S. 297<br />
539 s. „historia Gy G 10“, S. 304<br />
540 „Damals HS G 10“, S. 50<br />
541 „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 76<br />
190
vische Ansatz als roter Faden durch alle Themen der europäischen Einigung<br />
durchzieht. Vielmehr verdichten sich die diesbezüglichen Aussagen<br />
bei der Hauptschule vor allem in den Anfängen der europäischen Einigung,<br />
während die Realschule und das Gymnasium eine etwas breitere<br />
Streuung vorzuweisen haben. Allerdings beschränken sich die Geschichtsbücher<br />
weitestgehend auf die Darstellung der deutschen, französischen<br />
und britischen Sichtweise, wobei alle Schularten eindeutig eine<br />
Dominanz der eigenen nationalen und französischen Perspektive innehaben.<br />
Zu bedauern ist, dass keine Meinungen zur europäischen Einigung<br />
von Seiten der kleineren Mitgliedstaaten der EU vorliegen, was be<strong>im</strong><br />
Schüler fälschlicherweise den Eindruck hinterlassen könnte, die europäische<br />
Einigung sei nur eine Angelegenheit der „großen Drei“. Dies fördert<br />
nicht gerade den Einblick in die europäische Denkweise anderer Staaten.<br />
3.2.9.2 Gemeinschaftskunde<br />
In der Gemeinschaftskunde liegen in der Haupt- und Realschule nur ganz<br />
vereinzelt multiperspektivische Ansätze zur europäischen Einigung vor.<br />
Ein thematischer Schwerpunkt der Multiperspektive ist weder bei den<br />
Haupt- noch bei den Realschulbüchern feststellbar.<br />
Insgesamt ist bei dem äußerst spärlichen Einsatz der verschiedenen<br />
Perspektiven eine eindeutige Dominanz der deutschen Sichtweise festzustellen,<br />
bei den Realschulbüchern wird ausschließlich damit gearbeitet.<br />
So kommen in der Realschule allgemeine in der Öffentlichkeit vorherrschende<br />
Meinungen wie die Wichtigkeit <strong>Europa</strong>s für das Land Baden-Württemberg,<br />
die großen wirtschaftlichen Vorteile Deutschlands<br />
durch den Binnenmarkt, aber auch die Klagen eines deutschen Bauern<br />
über die EU-Agrarpolitik zum Zuge.<br />
In der Hauptschule sind zum einen die Forderung Polens und der<br />
�SFR um eine Aufnahme in die EU sowie der Appell dieser Staaten an<br />
den Westen diese Herausforderung anzunehmen 542 , zum anderen ist der<br />
britische Widerstand hinsichtlich der Umsetzung von Europol aufgeführt,<br />
bei der „in Zukunft der Europäische Gerichtshof für den vollen<br />
Rechtsschutz der Bürger gegenüber Europol zuständig ist. Dieser Regelung<br />
[...] widersetzte sich nur der britische Premierminister John Major,<br />
der von den <strong>Europa</strong>gegnern seiner eigenen konservativen Partei unter<br />
Druck gesetzt wurde.“ 543<br />
542 s. „Damals HS GK 10“, S. 94 – 95<br />
543 „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 192<br />
191<br />
Die Multiperspektive
Die Kontroverse<br />
Insgesamt ist das Gebot der Multiperspektive in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
zu vernachlässigen. Dies mag überraschend sein, da die<br />
Schulbücher des Faches gerade inhaltlich die Politikbereiche der EG/EU<br />
oder deren Mitgliedstaaten in den Mittelpunkt ihres Interesses rücken und<br />
dabei die verschiedenen nationalen Sichtweisen doch so wenig berücksichtigen.<br />
3.2.10 Die Kontroverse<br />
Frage: Wird das Gebot der Kontroverse berücksichtigt?<br />
Mit dem Stichwort der Kontroverse soll überprüft werden, in welchem<br />
quantitativen und qualitativen Rahmen die Schulbücher die europäische<br />
Einigung mit gegensätzlichen Meinungen belegen. Dabei sollen nicht nur<br />
die Anzahl der Bücher und einzelnen Themen, die das Gebot der Kontroverse<br />
einsetzen, festgestellt werden; wichtig ist, die einzelnen Themen<br />
auch zu benennen und mit Beispielen anzureichern, damit ein differenziertes<br />
Bild entstehen kann.<br />
3.2.10.1 Geschichte<br />
In 18 von 22 analysierten Geschichtsbüchern lässt sich zur europäischen<br />
Einigung das Gebot der Kontroverse feststellen. 544<br />
Hinsichtlich der Schularten machen sich Differenzen bei der Behandlung<br />
der einzelnen Themen bemerkbar. So ist ein zunehmender Einsatz<br />
des kontroversen Prinzips von der Haupt-, über die Realschule bis zum<br />
Gymnasium vorhanden.<br />
Sind in der Hauptschule <strong>im</strong> Fach Geschichte <strong>im</strong> Durchschnitt zwei<br />
Themengebiete der europäischen Einigung pro Buch kontrovers aufgearbeitet,<br />
so steigert sich dies in der Realschule auf 3,3 Themen und <strong>im</strong><br />
Gymnasium auf 3,6 Themen pro Buch.<br />
Über alle drei Schularten hinweg liegt allerdings zwischen den einzelnen<br />
Schulbüchern eine große Spannbreite bezüglich der Anzahl der kon-<br />
544 Dabei setzen sechs der sieben Hauptschulbücher, alle sechs Realschulbücher und sechs der<br />
neun Gymnasialbücher kontroverse Sichtweisen zu Themen der europäischen Einigung ein.<br />
192
trovers aufgearbeiteten Themen vor, wobei diese auch bis zum Gymnasium<br />
hin ansteigend sind. 545<br />
Nachfolgend sollen die Themen genannt werden, die häufiger mit unterschiedlichen<br />
Ansichten belegt sind. Ferner gilt es, die dabei herrschenden<br />
kontroversen Standpunkte aufzuführen und mit beispielhaften Zitaten<br />
zu veranschaulichen.<br />
1. <strong>Europa</strong>modelle (5 Mal) 546<br />
Hier wird dem Gedanken eines europäischen Bundesstaates der Staatenbund<br />
entgegengesetzt.<br />
„Frankreich [...] hatte größere Probleme mit der Vision eines europäischen<br />
Bundesstaates, wie er westdeutschen Politikern [...] vorschwebte.<br />
De Gaulle versuchte die Gemeinschaft in einen Staatenbund umzuwandeln.“<br />
547<br />
In einem Gymnasialbuch heißt es: „Die in Deutschland vorherrschende<br />
Auffassung, [...] eine[n] europäischen Bundesstaat zu schaffen,<br />
wird [..] in den meisten Mitgliedsländern nicht geteilt.“ 548<br />
2. Der Weg zum <strong>Europa</strong>rat (3 Mal)<br />
Zum einen wird die Wirkung des <strong>Europa</strong>rates in Hauptschulbüchern<br />
unterschiedlich eingestuft, zum anderen sieht ein Gymnasialbuch<br />
schon be<strong>im</strong> <strong>Europa</strong>rat die entstehende Diskrepanz zwischen der Beibehaltung<br />
der vollen nationalen Souveränität und dem Souveränitätsverzicht<br />
zugunsten einer supranationalen Institution.<br />
„Der <strong>Europa</strong>rat [...] ist eine wichtige Institution der europäischen Zusammenarbeit“.<br />
549<br />
Im weiteren Textverlauf werden die Kontrollmöglichkeiten des <strong>Europa</strong>rats<br />
am Beispiel des Konflikts zwischen Tschetschenien und Russland<br />
in Frage gestellt. 550<br />
Das Problem des Souveränitätsverzichts analysiert ein Gymnasialbuch<br />
wie folgt: „Der <strong>Europa</strong>rat [...] stellte einen Versuch dar, das „politische<br />
<strong>Europa</strong>“ zu schaffen [...] . Der Versuch [...] scheiterte freilich<br />
193<br />
Die Kontroverse<br />
545 Folgende Anzahl an Themen werden in den Schularten kontrovers behandelt:<br />
Hauptschule: 0 – 4 Themen pro Buch<br />
Realschule: 1 – 7 Themen pro Buch<br />
Gymnasium: 0 – 15 Themen pro Buch<br />
Absolut mit gegensätzlichen Meinungen versehen ist das Geschichtsbuch „Geschehen Gy G<br />
10“.<br />
546 Die Zahl in Klammern gibt die Häufigkeit der kontroversen Aufarbeitung in den Büchern an.<br />
547 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208<br />
548 „Geschehen Gy G 10“, S. 288<br />
549 „Doppelpunkt HS G 10“, S. 78<br />
550 s. ebd.
Die Kontroverse<br />
daran, dass die wenigsten Mitglieder des <strong>Europa</strong>rates zu einem so<br />
weitgehenden Souveränitätsverzicht bereit waren.“ 551<br />
3. Die deutsch-französische Versöhnung (10 Mal)<br />
Trotz teilweise kontroverser Standpunkte wird die deutsch-französische<br />
Versöhnung als gelungen angesehen.<br />
Vielmehr unterstreicht der Einsatz von kontrastreichen Bildern die<br />
Entwicklung vom Zweiten Weltkrieg (z. B. kriegsbegeisterte Soldaten,<br />
Kriegsgräber) zum freundschaftlichen Miteinander, vor allem<br />
dargestellt durch Staatspräsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl.<br />
Konkret wird die Befürwortung Mitterands zur Teilnahme deutscher<br />
Soldaten am Defilée anlässlich des französischen Nationalfeiertages<br />
am 14. Juli 1994 von Teilen der französischen Bevölkerung abgelehnt.<br />
552<br />
Die unterschiedliche Haltung beider Länder in der Außenpolitik bezüglich<br />
der Vereinigten Staaten kommt u. a. in den Gymnasialbüchern<br />
zum Ausdruck. „Die enge deutsch-französische Zusammenarbeit belastete<br />
mitunter das Verhältnis zu den USA. Während de Gaulle auf<br />
eine eigenständige machtbewusste Politik der europäischen Regierung<br />
drängte und dafür auch verschlechterte Beziehungen zu den<br />
Amerikanern in Kauf nahm, war die Bundesrepublik stets auf ein gleichermaßen<br />
gutes Verhältnis zu den beiden Bundesgenossen bedacht.“<br />
553<br />
Die ambivalente französische Haltung bei der deutschen Wiedervereinigung<br />
und die Kurskorrektur als die Einheit nicht mehr aufzuhalten<br />
war, sind selten erwähnte Punkte der französischen Deutschlandpolitik.<br />
„Offiziell unterstützte Frankreich die Wiedervereinigung<br />
Deutschlands. Es wurde aber <strong>im</strong>mer wieder deutlich, dass die deutsche<br />
Teilung und die europäische Nachkriegsordnung den außenpolitischen<br />
Interessen Frankreichs entgegenkam.“ 554<br />
4. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft/Europäische Politische<br />
Gemeinschaft (5 Mal)<br />
Obwohl alle Schularten – auch wenn nur sporadisch – die EVG erwähnen,<br />
gehen nur die Gymnasialbücher auf die damals herrschende<br />
Kontroverse ein. Adenauers Befürwortung der Pläne wird die ablehnende<br />
Haltung der SPD gegenübergestellt, die „befürchtete, dass der<br />
551 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 205<br />
552 s. „Unsere RS G 10“, S. 59<br />
553 „Geschehen Gy G 10“, S. 213<br />
554 „bsv ’97 Gy G 10“, S. 184 und vgl. „Unsere RS G 10“, S. 54<br />
194
Beitritt der Bundesrepublik zu westeuropäischen Bündnissen [...] die<br />
Wiedervereinigung minderten.“ 555<br />
Die Sichtweise der DDR kommt mittels der SED zum Tragen, deren<br />
propagandistisches Plakat die Aufschrift trägt: „Die EVG bedroht den<br />
Frieden.“ 556<br />
Der Versuch der Sowjetunion mit allen Mitteln, wie z. B. der Stalin-Note<br />
das Zustandekommen der EVG zu verhindern 557 , zeigt bei<br />
Durchsicht aller Bücher neben der ablehnenden Haltung der französischen<br />
Nationalversammlung die äußeren Widerstände gegen die EVG.<br />
5. Die Organe der EG/EU (3 Mal)<br />
Zwar wird dem Europäischen Parlament gerade in den Haupt- und<br />
Realschulbüchern ein Demokratiedefizit bei der Gesetzgebung bescheinigt,<br />
doch wird die Thematik nur in den seltensten Fällen kontrovers<br />
aufgearbeitet.<br />
Die Arbeit der Abgeordneten und damit auch ihr Einfluss wird in einem<br />
Realschulbuch offensichtlich bewusst unterschiedlich beurteilt.<br />
„Die Parlamentarier haben den Eindruck, in einem gleichsam luftleeren<br />
Raum eine Tätigkeit auszuüben, die kaum jemand richtig wahrn<strong>im</strong>mt.“<br />
558 Eine <strong>Europa</strong>-Abgeordnete hält dem entgegen: „Das Europäische<br />
Parlament ist [...] alles andere als eine einflusslose „Quasselbude“.“<br />
559<br />
Eine Änderung oder Lösung des gegenwärtigen Zustandes sehen zwei<br />
Bücher in der Entwicklung des Europäischen Parlaments zur verfassungsgebenden<br />
Versammlung bzw. der Gesetzgebungskraft durch die<br />
Abgeordneten und einer europäischen Regierung, die durch eine Direktwahl<br />
zustande kommt. 560<br />
6. Die Agrarpolitik der EG/EU (6 Mal)<br />
Von den Politikbereichen findet alleine die Agrarpolitik häufig eine<br />
erwartungsgemäß kontroverse Darstellung. Der Subventionierung,<br />
Überschussproduktion, Lagerung und Vernichtung wird der hohe<br />
Selbstversorgungsgrad der EU und damit die Unabhängigkeit von<br />
möglichen Weltmarktkrisen gegenübergestellt. 561 Ferner sind gegen-<br />
555 „bsv ’97 Gy G 10“, S. 180<br />
556 „Geschehen Gy G 10“, S. 212<br />
557 s. „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 174<br />
558 Neue Westfälische vom 07.02.1989, in: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 118<br />
559 Rothe, Mechthild, in: ebd.<br />
560 s. „Reise HS G 9“, S. 203 und „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 243<br />
561 s. z. B. „Unsere RS G 10“, S. 67<br />
195<br />
Die Kontroverse
Die Kontroverse<br />
sätzliche Positionen der Mitgliedstaaten vorhanden, je nachdem, ob<br />
sie von der agrarwirtschaftlichen Gemeinschaftspolitik profitieren<br />
oder sich wegen hoher Abhängigkeit vom industriellen Bereich benachteiligt<br />
fühlen. Interessanterweise ist auch die Beurteilung von<br />
Drittstaaten ausgeführt, die den „Agrarprotektionismus“ scharf attackieren<br />
und wiederholt mit „Strafzöllen“ für EG-Waren geantwortet<br />
haben. 562<br />
7. Der Binnenmarkt (4 Mal)<br />
Mit dem Binnenmarkt werden zahlreiche Vorteile und einige Nachteile<br />
verbunden, wie z. B. der Aufschwung in der Wirtschaft mit steigender<br />
Zahl an Arbeitsplätzen, die geringeren Kosten durch die offenen<br />
Grenzen oder aber das Problem bei der Bekämpfung der Kr<strong>im</strong>inalität<br />
sowie den möglichen Risiken für die Arbeitnehmer durch die gestiegene<br />
Konkurrenz. Die Befürchtungen, eigene Gebräuche gerade bei<br />
der Produktion von Waren möglicherweise zu verlieren, werden am<br />
Beispiel des deutschen Reinheitsgebots für Bier von 1516 dargestellt.<br />
„Deutsche Brauer wollten keine ausländischen Biersorten ins Land<br />
lassen, die nicht das deutsche Reinheitsgebot erfüllten, Italiener in ihren<br />
Läden keine Spaghetti dulden, die aus Weichweizen hergestellt<br />
sind. Beide mussten sich jedoch den Entscheidungen des Europäischen<br />
Gerichtshofes beugen.“ 563 Damit wird dem Schüler auch ersichtlich,<br />
dass die einheitlichen „Regeln“ des Binnenmarktes keinen<br />
nationalen Protektionismus zulassen.<br />
8. Der Vertrag von Maastricht (3 Mal)<br />
Der in der Öffentlichkeit <strong>Europa</strong>s mit geteilten Meinungen aufgenommene<br />
Vertrag von Maastricht wird in den Schulbüchern nicht gleichermaßen<br />
kontrovers dargestellt. Befürworten in der Hauptschule<br />
die Bücher in der textlichen Darstellung eher den Vertrag, so wird<br />
dem zeichnerisch alleine die Angst des deutschen Michels um den<br />
Verlust der DM in einer Karikatur entgegengestellt. 564<br />
Sehr viel mehr in die Tiefe gehen die Real- und Gymnasialbücher.<br />
Hier werden die Stabilität des Euro diskutiert, verschiedene Meinungen<br />
zum Vertrag allgemein aufgeführt oder die Frage einer weitergehenden<br />
Integration mit dem Vertrag verbunden. „Strenge Regeln sorgen<br />
für die Stabilität der neuen Währung.“ 565<br />
562 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 248<br />
563 s. ebd., S. 252<br />
564 s. „Doppelpunkt HS G 10“, S. 92<br />
565 „Konkret RS G 10“, S. 77<br />
196
Dem wird entgegen gehalten, dass für eine stabile Währung, „jeder<br />
Staat eine ausgeglichene Haushaltspolitik betreiben [muss]. Das ist<br />
aber bei der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der<br />
Staaten sehr schwer durchzusetzen.“ 566<br />
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist, dass „durch eine gemeinsame<br />
Währung [...] das Zusammengehörigkeitsgefühl in der EU gefördert“<br />
567 wird.<br />
Die Gefahr eines <strong>Europa</strong> der zwei Geschwindigkeiten wird auch genannt.<br />
„Nur wenige Staaten werden die Beitrittskriterien für die Währungsunion<br />
erfüllen können [...] . Es besteht die Gefahr, dass sich ein<br />
wirtschaftlich zweigeteiltes <strong>Europa</strong> entwickelt.“ 568 Sehr interessant<br />
ist, dass der Haltung der Regierungen die Befürchtungen der Bevölkerung<br />
gegenübergestellt sind.<br />
„Seit Maastricht wuchsen die Zweifel, ob die Mehrheit der EU-Bürger<br />
tatsächlich eine so weitgehende europäische Integration wünscht, wie<br />
sie die Regierungen ansteuern.“ 569 Etwas allgemeiner lautet es in einem<br />
anderen Buch: „Ein weiterer Meilenstein zum vereinten <strong>Europa</strong><br />
war die Gründung der Europäischen Union (EU), die 1992 durch [...]<br />
Maastricht erfolgte [...] . Der Vertrag von Maastricht fand nicht nur<br />
Zust<strong>im</strong>mung. Gegner in ganz <strong>Europa</strong> kritisierten den Eifer der Brüsseler<br />
Bürokratie [...] . Viele Bürger sorgen sich zudem um die Benachteiligung<br />
ihrer He<strong>im</strong>atregionen. Dem soll das Prinzip der Subsidiarität<br />
entgegenwirken.“ 570<br />
Kontrovers wird ferner den vertraglichen Inhalten bei der Gemeinsamen<br />
Außen- und Sicherheitspolitik die politische Wirklichkeit durch<br />
das Verhalten der Mitgliedstaaten vorgehalten. „Allerdings sah auch<br />
nach Maastricht die politische Praxis oft anders aus, als mit dem Vertragswerk<br />
beabsichtigt: Einer einheitlich abgest<strong>im</strong>mten und formulierten<br />
Außenpolitik widersetzten sich des öfteren die von eigenen Interessen<br />
geleiteten Positionen der jeweiligen Länder, so <strong>im</strong> Verlaufe<br />
des Bürgerkrieges und gegenüber neu entstandenen Staaten <strong>im</strong> ehemaligen<br />
Jugoslawien oder in Fragen der Menschenrechtspolitik gegenüber<br />
dem Iran und China.“ 571<br />
566 ebd.<br />
567 ebd.<br />
568 ebd.<br />
569 „Geschehen Gy G 10“, S. 252<br />
570 „Anno Gy G 10“, S. 244<br />
571 „Geschehen Gy G 10, S. 288<br />
197<br />
Die Kontroverse
Die Kontroverse<br />
9. Nationale Interessen der Mitgliedstaaten (4 Mal)<br />
Die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten korrespondieren natürlich<br />
auch <strong>im</strong>mer ein Stück weit mit der fehlenden Bereitschaft auf den<br />
Verzicht von Souveränität, wie es mitunter in Karikaturen treffend<br />
zum Ausdruck kommt. 572 Dem gegenüber sprechen sich die Texte <strong>im</strong>mer<br />
wieder für die Einigung <strong>Europa</strong>s – <strong>im</strong> Sinne der politischen Union<br />
– aus.<br />
Äußerst scharf „schießt“ der britische Handelsminister N. Ridley<br />
1990 gegen die Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft, worauf er auf öffentlichen<br />
Druck – zum Leidwesen seiner Premierministerin Margaret<br />
Thatcher – zurücktreten musste. N. Ridley: „Die Europäische Wirtschaftspolitik<br />
ist nichts anderes als eine deutsche Erpressung, um ganz<br />
<strong>Europa</strong> zu übernehmen. Das muss verhindert werden.“ 573<br />
Weiter wird dem Gemeinschaftsinteresse mit dem Luxemburger<br />
Kompromiss das nationale Interesse gegenübergestellt. „Damit wurde<br />
– gegen den Sinn der Verträge – ein Vetorecht für Einzelstaaten eingeführt.“<br />
574<br />
Ebenso werden wirtschaftliche Krisen für nationale Alleingänge aufgeführt.<br />
„In wirtschaftlichen Krisenzeiten neigten viele Mitglieder<br />
dazu, eigene Wege zu gehen und auf die Gemeinschaftsinteressen wenig<br />
Rücksicht zu nehmen.“ 575<br />
10. Meinungen zur europäischen Einigung (4 Mal)<br />
Ganz allgemeine Meinungen zur europäischen Einigung, die sich<br />
nicht den anderen Themengebieten zuordnen lassen, sind in den Geschichtsbüchern<br />
kaum vorhanden.<br />
Beispielhaft werden in einem Gymnasialbuch Schüler zur europäischen<br />
Einigung mit folgendem Ergebnis befragt: „Man kann nicht so<br />
viele verschiedene Kulturen auf einmal verbinden, das geht gar nicht.<br />
Das gibt Reibungen [...] . Wir werden daran untergehen.“ 576 Eine andere<br />
Schülerin sieht das anders: „Für mich ist das mehr Freiheit: [...]<br />
[es ist] für mich kein Problem nach Frankreich zu gehen, nach England,<br />
nach Spanien – wenn ich Lust dazu habe.“ 577<br />
Interessant ist Alfred Grossers Beurteilung zur europäischen Einstel-<br />
572 s. „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208<br />
573 Ridley, N., in: „Unsere RS G 10“, S. 68<br />
574 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 208<br />
575 „Anno Gy G 10“, S. 249<br />
576 ebd.<br />
577 ebd.<br />
198
lung in Deutschland aus dem Jahre 1977. „Die europäische Einstellung<br />
in Deutschland war indes niemals homogen. Sie reichte von Begeisterung<br />
bis zu Zynismus.“ 578<br />
Vorsichtig müssen Geschichtsbücher sicher mit der Aufnahme jeglicher<br />
Meinungen zum kontrovers diskutierten Thema der europäischen<br />
Einigung sein, da oftmals die Gefahr von plakativen Lückenfüllern<br />
oder „Stammtischparolen“ besteht, sofern nicht eine kritische Aufarbeitung<br />
mit Hilfe von Sachinformationen vorgenommen wird.<br />
11. Die künftige Erweiterung der EU (5 Mal)<br />
Die künftige Osterweiterung der EU wird als solches nicht in den Texten<br />
in Frage gestellt, vielmehr steht der Zeitpunkt der Erweiterung zur<br />
Diskussion. In einem <strong>Schulbuch</strong> wird die uneinheitliche, zögernde<br />
Haltung der Mitgliedstaaten der EU kritisiert. „Polen, Tschechien,<br />
Ungarn und andere Staaten wie die Türkei oder Malta drängen auf einen<br />
Beitritt. Die EU allerdings hat Vorbehalte, weil diese Volkswirtschaften<br />
in der Industrialisierung noch nicht so weit fortgeschritten<br />
sind. [...] So wurde [...] ein Beitritt [...] an [...] Bedingungen geknüpft<br />
[...] . Unter den Mitgliedern der EU gibt es allerdings keine gemeinsame<br />
Linie, wie man sich gegenüber der Osterweiterung verhalten<br />
soll.“ 579 Eine Karikatur zeigt auch die unterschiedlichen Vorstellungen<br />
Großbritanniens (opting out), Frankreichs (status quo) und<br />
Deutschlands (Erweiterung) <strong>im</strong> Hinblick auf eine mögliche Erweiterung<br />
– allerdings stammt sie aus dem Jahr 1989 und dürfte daher z. T.<br />
schon überholt sein. 580<br />
Nur <strong>im</strong> Falle der Aufnahme der Türkei in die EU zeigt sich ein Realschulbuch<br />
absolut kontrovers, indem es einer türkischen Ansicht die<br />
des Europäischen Parlaments gegenüberstellt und der Schüler sich unweigerlich<br />
eine eigene Meinung bilden muss. „Die Demokratie in der<br />
Türkei ist nicht stabil, Menschenrechte werden verletzt. Das sind die<br />
Argumente für die EU-Kommission, den Aufnahmeantrag [...] zurückzuweisen.<br />
Bei der Aufnahme Spaniens, Griechenlands und Portugals<br />
waren die instabilen politischen Verhältnisse das Hauptargument<br />
für einen Beitritt.“ 581 „Manche Themen tauchen mit schöner Regelmäßigkeit<br />
wieder auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments<br />
auf . [...] Dazu gehören die Menschenrechtsverletzungen und das De-<br />
578 Grosser, Alfred, in: „bsv ’95 Gy G 10“, S. 207<br />
579 „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 242<br />
580 s. „Geschehen Gy G 10“, S. 253<br />
581 Akkaya, Cigdem, in: „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 125<br />
199<br />
Die Kontroverse
Die Kontroverse<br />
mokratiedefizit in der Türkei [...] . Das EP kritisiert den Rat, der bisher<br />
noch keinerlei Initiative ergriffen hat und fordert ihn auf, Druck auf<br />
die Türkei auszuüben.“ 582<br />
Es liegt in der Natur der Sache, dass Schulbücher bei laufenden politischen<br />
Themen nicht ständig alle Veränderungen topaktuell beinhalten<br />
können (siehe Beschluss von Helsinki, Dezember 1999). Die diskutierten<br />
Erweiterungen der EU werden zwar angesprochen und werfen<br />
somit grundsätzliche Fragen für den Geschichtsunterricht auf und<br />
stellen insoweit einen wichtigen Beitrag dar.<br />
12. Der Prozess der KSZE/OSZE (5 Mal)<br />
Die Haupt- und Realschulbücher beurteilen den Prozess der KSZE<br />
zwar ausnahmslos positiv, die Wirksamkeit der Ergebnisse wird in<br />
dem ein oder anderen Buch kontrovers gesehen.<br />
„In nur 15 Jahren hat die Ausstrahlung der KSZE zu Unerwartetem<br />
beigetragen, nämlich dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung<br />
aller Länder Osteuropas.“ 583 Bemängelt wird gleichzeitig, dass „der<br />
deutsche OSZE-Beobachter in Tschetschenien [...] keine Befugnisse“<br />
584 hat. Obwohl die positive Rolle der KSZE <strong>im</strong> Bereich der Entspannung,<br />
Abrüstung und Betonung der Menschenrechte in <strong>Europa</strong><br />
oft herausgearbeitet wird, beurteilt eine Wochenzeitung vom zehnten<br />
Jahrestag der Verkündung die Schlussakte kritisch: „Die Bilanz geriet<br />
schon [...] reichlich düster. Zu deutlich waren die Rückschläge der<br />
letzten Jahre, die das Unternehmen mehr als einmal an den Rand des<br />
Abbruchs gebracht hatten [...] .“ 585<br />
13. Sonstiges<br />
Ganz vereinzelt 586 werden die bisherigen Erweiterungen der EU/EU,<br />
die Haushalts-, Entwicklungs- und Sozialpolitik sowie die Rolle der<br />
Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> mit gegensätzlichen Meinungen<br />
aufgearbeitet.<br />
Insgesamt sind in fast allen analysierten Geschichtsbüchern kontroverse<br />
Sichtweisen zum Prozess der europäischen Einigung vorhanden. Dabei<br />
macht allerdings nur ein verschwindend geringer Anteil sich das kontro-<br />
582 <strong>Europa</strong>-Forum, Informationsblatt des Europäischen Parlaments vom Juli 1997, in: ebd.<br />
583 „Damals HS G 10“, S. 50<br />
584 ebd.<br />
585 „Unsere RS G 10“, S. 80 – 81<br />
586 Dabei sind die Themen nur ein Mal in allen Schulbüchern mit einer kontroversen Meinung belegt.<br />
200
verse Prinzip zu eigen. 587 Thematisch zeigt sich, dass die Anfänge der europäischen<br />
Einigung weniger mit kontroversen Darstellungen versehen<br />
sind als aktuelle Themen, wodurch der Schüler eventuell auch die grundsätzliche<br />
Entscheidung für eine europäische Einigung weniger hinterfragt.<br />
3.2.10.2 Gemeinschaftskunde<br />
Von den acht vorhandenen Haupt- und Realschulbüchern der Gemeinschaftskunde<br />
beachten fünf das Prinzip der Kontroverse.<br />
Wie schon in der Geschichte nehmen kontroverse Stellungnahmen<br />
quantitativ von der Haupt- zur Realschule zu. Dabei ist ein durchschnittlicher<br />
Einsatz von 1,75 Themen in der Hauptschule und 3,2 Themen in der<br />
Realschule pro Buch zu registrieren. 588 Betrachtet man die einzelnen<br />
Schulbücher für sich, so ist auch in der Gemeinschaftskunde eine große<br />
Spannbreite bezüglich der kontrovers aufgearbeiteten Themen festzustellen.<br />
589<br />
Im weiteren Verlauf gilt es, die Schwerpunkte der vorhandenen kontroversen<br />
Aufarbeitung zu notieren und diese mit Beispielen aus den<br />
Schulbüchern anzureichern. Es lässt sich kaum übersehen, dass die Gemeinschaftskundebücher<br />
bei der kontroversen Darstellungsweise ähnliche<br />
Schwerpunkte wie die Geschichte setzten.<br />
1. Die Organe der EG/EU (5 Mal) 590<br />
Zum einen arbeiten die Bücher vereinzelt den Gedanken des Demokratiedefizits<br />
auf, zum anderen die „Bürokratie“ be<strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren.<br />
So wirft ein Realschulbuch der EU ein umständliches bürokratisches<br />
Verfahren vor, „dass die Bürger [..] gar nicht verfolgen können.“ 591 Im<br />
weiteren Text sieht es aber gerade darin einen Grund, „eine stärkere<br />
politische Einigung anzustreben. Dann können die Entscheidungsverfahren<br />
vereinfacht und noch mehr Rechte an das Parlament gegeben<br />
werden.“ 592<br />
201<br />
Die Kontroverse<br />
587 Vier von 22 Büchern setzen mindestens sechs Mal gegensätzliche Ansichten ein.<br />
588 Damit weisen die Fächer Geschichte und Gemeinschaftskunde in den genannten Schularten<br />
ähnliche Daten auf.<br />
589 Folgende Anzahl an Themen werden kontrovers behandelt:<br />
Hauptschule: 0 – 6 Themen pro Buch<br />
Realschule: 0 – 7 Themen pro Buch<br />
Die höchsten Werte erreichen dabei „Doppelpunkt HS GK 9“ und „Heute RS GK 10“.<br />
590 Die Zahl in Klammer gibt die Häufigkeit der kontroversen Aufarbeitung in den Büchern an.<br />
591 „Heute RS GK 10“, S. 74<br />
592 ebd.
Die Kontroverse<br />
2. Die Agrarpolitik der EG/EU (2 Mal)<br />
Hier werden in beiden Fällen die Ergebnisse der Agrarreform von<br />
1992 den Aussagen eines Bauern gegenübergestellt, worin eine Unzufriedenheit<br />
mit den Bedingungen aus der Reform hervorgeht.<br />
3. Der Binnenmarkt (3 Mal)<br />
Den genannten Vorteilen, die aus den vier Freiheiten des Binnenmarktes<br />
entstehen, werden die noch bestehenden Defizite bei der Vereinheitlichung<br />
von Normen und die Konsequenzen aus dem „Bierurteil“<br />
des Europäischen Gerichtshofes gegenüber aufgeführt.<br />
4. Der Vertrag von Maastricht (3 Mal)<br />
Gerade be<strong>im</strong> Vertrag von Maastricht ist den Realschulbüchern eine<br />
kontroverse Vorgehensweise zu bescheinigen. Ganz allgemein wird<br />
die Verbilligung des Zahlungsverkehrs durch eine europäische Währungsunion<br />
aufgeführt. 593 Dem wird gegenübergehalten, dass „eine<br />
europäische Währungsunion [...] Wechselkurskorrekturen durch wirtschaftlich<br />
schwächere Staaten“ 594 verhindert.<br />
Von hohem Niveau zeugt die Aufnahme der „Motortheorie“ der Monetaristen<br />
und die „Krönungstheorie“ der Ökonomisten. „Eine europäische<br />
Währung zwingt zu einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik<br />
und bringt damit die politische Union voran.“ 595 Weiter<br />
heißt es : „Eine europäische Währungsunion ist erst sinnvoll, wenn<br />
zuvor eine politische Union mit gemeinsamer Wirtschaftspolitik geschaffen<br />
wurde.“ 596<br />
Das Vorantreiben der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik<br />
wird kritisch von zwei Seiten beleuchtet. „Gerade der Krieg <strong>im</strong> ehemaligen<br />
Jugoslawien macht deutlich, dass die EU eine gemeinsame<br />
Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln muss, wenn sie insbesondere<br />
auf europäischem Boden Kriegen und Greueltaten ernsthaft etwas<br />
entgegensetzen will. [...] Ziel ist, verteidigungspolitische Entscheidungen<br />
und Aktionen auszuarbeiten und durchzuführen, d. h. unmittelbar<br />
militärisch handlungsfähig zu werden.“ 597<br />
Es ist durchaus legit<strong>im</strong>, den Schüler auf die möglichen Befürchtungen<br />
von Seiten der Bevölkerung unter den <strong>im</strong> Text erwähnten Prämissen<br />
hinzuweisen. „Dieser Weg der EU hin zu einer militärischen Groß-<br />
593 s. „Anstöße RS GK 9/10“, S. 133<br />
594 ebd.<br />
595 ebd.<br />
596 ebd.<br />
597 „Politik RS GK 10“, S. 97<br />
202
macht ist nicht unumstritten. Vor der Tatsache, dass eine Armee <strong>im</strong>mer<br />
auch zum Nachteil der Menschen missbraucht werden kann, vor<br />
allem dann, wenn sie sich demokratischer Kontrolle entzieht, haben<br />
nicht wenige Bürger und Politiker Angst.“ 598<br />
5. Meinungen zur europäischen Einigung (4 Mal)<br />
Die in den Gemeinschaftskundebüchern aufgeführten Meinungen<br />
meist Jugendlicher zur europäischen Einigung sind weitestgehend<br />
von provokanter Art und sollen den Schüler zur Diskussion oder Aufarbeitung<br />
anregen.<br />
Hier einige Beispiele: „<strong>Europa</strong> ist viel zu groß und unübersichtlich<br />
und bringt für die Menschen nur mehr Bürokratie mit sich.“ 599 In die<br />
gleiche Richtung geht eine weitere Aussage: „Wir leben in der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Die ist unser Staat und die brauchen wir.<br />
Aber die Europäische Union doch nicht!“ 600<br />
Ebenso findet man gegensätzliche Positionen. „Na ja, vielleicht klingt<br />
das mit 17 etwas altklug – aber man muss nur ins Geschichtsbuch gucken:<br />
So lange Frieden gab’s in dieser Ecke <strong>Europa</strong>s noch nie. Und<br />
auch den Menschen ging’s noch nie so gut. Das gemeinsame <strong>Europa</strong><br />
hat ziemlich viel Wohlstand gebracht.“ 601 Unbedingt notwendig ist<br />
aber die kritische Nacharbeit von plakativen Aussagen oder „Stammtisch-Parolen“<br />
durch den Unterricht.<br />
6. Die künftige Erweiterung der EU (2 Mal)<br />
Bei der Thematik der künftigen Erweiterung der EU äußern sich die<br />
Schulbücher abermals nicht für oder gegen diese, sondern nur der<br />
Zeitpunkt steht zur Diskussion offen, d. h. eine Erweiterung zu einem<br />
früheren oder späteren Termin.<br />
7. Sonstiges<br />
Sporadisch 602 werden in den Haupt- und Realschulbüchern die Entwicklungs-<br />
und Wirtschaftspolitik sowie die nationalen Interessen der<br />
Mitgliedstaaten der EU mit einer gegensätzlichen Meinung versehen.<br />
Insgesamt weisen die Gemeinschaftskundebücher bei der kontroversen<br />
Aufarbeitung der Themen zur europäischen Einigung große Parallelen zu<br />
den Geschichtsbüchern auf. In etwas geringerem Maße als in der Ge-<br />
203<br />
Die Kontroverse<br />
598 ebd.<br />
599 ebd., S. 72<br />
600 „Heute RS GK 10“, S. 64<br />
601 „Anstöße RS GK 9/10“, S. 122<br />
602 Dies bedeutet, dass die jeweiligen Bücher die entsprechende Thematik nur ein Mal mit einer<br />
kontroversen Meinung belegen.
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
schichte beinhalten die Gemeinschaftskundebücher kontroverse Meinungen.<br />
Dabei konnte nicht festgestellt werden, dass das Gebot der Kontroverse<br />
als ein feststehendes Prinzip der Politikdidaktik bei der Thematik<br />
der europäischen Einigung in den analysierten Schulbüchern umgesetzt<br />
wurde. 603<br />
Bezüglich der einzelnen Themen zeigt die Analyse, dass in der Gemeinschaftskunde<br />
die wenig vorhandenen Inhalte zu den Anfängen der<br />
europäischen Einigung nicht kontrovers behandelt werden. Vielmehr<br />
werden bevorzugt aktuellere Themen wie z. B. das Demokratiedefizit bei<br />
der Gesetzgebung, der Binnenmarkt oder der Vertrag von Maastricht mit<br />
kontroversen Ansichten belegt.<br />
Die Gemeinschaftskundebücher fordern den Schüler aber <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zur Geschichte stärker auf, sich zu den dargelegten Positionen zu äußern.<br />
3.2.11 Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der<br />
europäischen Einigung<br />
Frage: Beachten die Schulbücher den Aspekt des Souveränitätsverzichts<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit der europäischen Einigung?<br />
Die Analyse über den Souveränitätsverzicht bei der europäischen Einigung<br />
soll unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten erfolgen<br />
und Aussagen darüber machen, wie oft und in welchem Zusammenhang<br />
der genannte Aspekt in den Schulbüchern auftritt.<br />
3.2.11.1 Geschichte<br />
Von den 22 analysierten Geschichtsbüchern berücksichtigen 14 Bücher<br />
direkt den Verzicht auf Souveränität bei der Darstellung der europäischen<br />
Einigung.<br />
Dabei ist eine Zunahme bei der Häufigkeit der Nennung von der<br />
Hauptschule bis zum Gymnasium festzustellen. In der Hauptschule wird<br />
der Souveränitätsverzicht <strong>im</strong> Durchschnitt ein Mal pro Buch erwähnt, in<br />
der Realschule 1,3 Mal und <strong>im</strong> Gymnasium doch <strong>im</strong>merhin 2,3 Mal pro<br />
Buch. Eine Differenzierung ist zwischen der Klasse 9 und 10 der Hauptschule<br />
vorzunehmen: Die Klasse 10 greift häufiger und intensiver die<br />
603 Zwei der acht Schulbücher setzen mindestens sechsmal das Prinzip der Kontroverse ein.<br />
204
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
Thematik auf.<br />
Zudem gibt es bei der Errechnung des Durchschnitts natürlich zwischen<br />
den Büchern große Schwankungen. Die Hauptschule n<strong>im</strong>mt in einer<br />
Bandbreite von 0–3 Mal den Souveränitätsverzicht in die Bücher auf,<br />
die Realschule 0–5 Mal und das Gymnasium 0–6 Mal. 604<br />
Geht man auf die inhaltliche Komponente ein, so lassen sich bei der<br />
Thematik des Souveränitätsverzichts in den einzelnen Schularten<br />
Schwerpunkte bilden. Diese sollen <strong>im</strong> Folgenden nicht nur genannt, sondern<br />
auch mit einigen ausgewählten Beispielen angereichert werden.<br />
In der Hauptschule wird der Souveränitätsverzicht vor allem bei den<br />
Anfängen wie z. B. der Gründung des <strong>Europa</strong>rats und der EWG und deren<br />
Organe, aber auch punktuell bei aktuelleren Themen wie dem Vertrag<br />
von Maastricht oder den künftigen Reformen erwähnt.<br />
Zum Souveränitätsverzicht bei der Gründung des <strong>Europa</strong>rates findet<br />
man folgende Anmerkung: „Die verschiedenen Regierungen der europäischen<br />
Länder sollten Souveränitätsrechte auf überstaatliche Organe übertragen.<br />
Doch zu diesem Schritt waren die Staaten noch nicht bereit.“ 605<br />
Auch der EWG werden zumindest in einem <strong>Schulbuch</strong> Schwierigkeiten<br />
in diesem Bereich zugesprochen. „Die staatenübergreifende Zusammenarbeit<br />
funktionierte dort, wo sich alle Beteiligten Vorteile versprachen – <strong>im</strong><br />
Bereich der Wirtschaft. Aber die Sechsergemeinschaft tat sich schwer, politische<br />
Kompetenzen an eine supranationale Behörde abzugeben.“ 606<br />
Relativ neutral wird die Abgabe von Hoheitsrechten <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit den Organen der EU festgestellt. „Ihre Mitglieder haben Schritt<br />
für Schritt einen Teil ihrer Hoheitsrechte, ihrer staatlichen Souveränität<br />
an die Organe der EU übertragen.“ 607<br />
Auch be<strong>im</strong> Vertrag von Maastricht deutet ein <strong>Schulbuch</strong> die weitere<br />
Abgabe von Hoheitsrechten als schwierig an, bleibt aber zu unkonkret.<br />
„Die Verhandlungen der Regierungen zur Verwirklichung dieser Union<br />
sind allerdings schwierig, weil die Staaten dafür Rechte an die Organe der<br />
Union abgeben müssen.“ 608<br />
Insgesamt sprechen nur vier der sieben Hauptschulbücher den Souveränitätsverzicht<br />
bei der europäischen Einigung sporadisch an.<br />
604 Positiv heben sich dabei folgende Schulbücher hervor: „Doppelpunkt HS G 10“, „Konkret RS<br />
G 10“, „bsv ’95 Gy G 10“ und „Geschehen Gy G 10“.<br />
605 „Damals HS G 9“, S. 139<br />
606 „Damals HS G 10“, S. 31<br />
607 „Doppelpunkt HS G 10“, S. 85<br />
608 „Doppelpunkt HS G 9“, S. 172<br />
205
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
In den Geschichtsbüchern der Realschule berücksichtigen zwar auch<br />
nur vier von sechs Büchern den gestellten Aspekt, doch ist eine vielfältigere<br />
Erwähnung <strong>im</strong> Zusammenhang mit folgenden Themen festzustellen:<br />
Der Weg zum <strong>Europa</strong>rat, die Montanunion, das Scheitern der EVG,<br />
die Gründung der EWG und deren Organe sowie die nationalen Interessen<br />
der Mitgliedstaaten.<br />
Die ablehnende Haltung einiger Nationalstaaten gegenüber dem <strong>Europa</strong>rat<br />
begründet ein Realschulbuch folgendermaßen: Die „Nationalstaaten<br />
wollten ihre Rechte an keinen europäischen Bundesstaat abgeben.“<br />
609<br />
Mit der Montanunion wird ebenfalls die Übertragung von nationalen<br />
Rechten an eine europäische Organisation verbunden. 610<br />
Die ablehnende Haltung Frankreichs, Hoheitsrechte <strong>im</strong> Verteidigungsbereich<br />
zur Gründung der EVG abzugeben wird in zwei Geschichtsbüchern<br />
deutlich herausgearbeitet. „Im französischen Parlament<br />
waren die Abgeordneten in einer deutlichen Mehrheit, die es ablehnten,<br />
die nationale Souveränität in Verteidigungsfragen aufzugeben.“ 611<br />
Die Gründe Großbritanniens, nicht an der EWG teilzunehmen, werden<br />
nur in einem Buch deutlich herausgearbeitet. „Vor allem England<br />
und die skandinavischen Staaten lehnten die Übertragung von nationalen<br />
Souveränitätsrechten auf eine europäische Organisation ab.“ 612<br />
Die nationalen Interessen werden nicht mit den unterschiedlichen<br />
Meinungen zu einer ganz best<strong>im</strong>mten politischen Frage, sondern mit der<br />
fehlenden Bereitschaft, „zugunsten einer europäischen Institution auf [...]<br />
Souveränitätsrechte zu verzichten“ 613 , begründet.<br />
Inhaltlich greifen die Gymnasialbücher den Verzicht auf Souveränität<br />
nicht nur am häufigsten sondern auch am deutlichsten mit sechs von neun<br />
Büchern heraus. Durchweg alle Bücher führen zwar den Gedanken der<br />
supranationalen europäischen Einigung auf, sei es am Beispiel der Hohen<br />
Behörde, der Montanunion, den supranationalen Organen der EU, dem<br />
vorangeschrittenen Integrationsprozess durch den Binnenmarkt oder den<br />
Vertrag von Maastricht; erklärende Erläuterungen oder der wichtige<br />
Schritt des Souveränitätsverzichts bleiben häufig aus. Trotzdem liegt in<br />
den Geschichtsbüchern des Gymnasiums <strong>im</strong> Vergleich zu den anderen<br />
609 „Konkret RS G 10“, S. 72<br />
610 s. ebd.<br />
611 „Morgen RS G 10“, S. 58 und vgl. „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 112<br />
612 „Konkret RS G 10“, S. 74<br />
613 ebd., S. 76<br />
206
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
beiden Schularten eine breitere Streuung vor.<br />
Bei den kommenden Themen wird die Abgabe von Hoheitsrechten in<br />
einigen Büchern berücksichtigt: Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s, der Weg<br />
zum <strong>Europa</strong>rat, die Montanunion, das Scheitern der EVG, der Weg zur<br />
EWG, die EFTA, der Vertrag von Maastricht, die nationalen Interessen<br />
der Mitgliedstaaten und die Rolle der Bundesrepublik in einem vereinten<br />
<strong>Europa</strong>. Nachfolgend sollen nur noch <strong>Schulbuch</strong>abschnitte zitiert werden,<br />
deren Inhalte mit den Haupt- und Realschulbüchern noch nicht analysiert<br />
wurden, um unnötige Überschneidungen zu vermeiden.<br />
Die Rolle des <strong>Europa</strong>rates wird mit Hilfe des Souveränitätsverzichts<br />
in einem <strong>Schulbuch</strong> deutlicher als in der Haupt- oder Realschule herausgestellt.<br />
„Als es darum ging, diesem <strong>Europa</strong>rat Machtbefugnisse zukommen<br />
zu lassen, waren die meisten Mitgliedstaaten aus West- und Nordeuropa<br />
nicht bereit, auf nationalstaatliche Souveränitätsrechte zu verzichten.<br />
So blieb der <strong>Europa</strong>rat mehr eine beratende Versammlung, die eine<br />
politische Vereinigung nicht bewirken konnte.“ 614<br />
Ebenso wird die EFTA in zwei Schulbüchern klar von der EWG abgegrenzt.<br />
„Einige der europäischen Länder, die nicht zu so weitgehendem<br />
Souveränitätsverzicht bereit waren, wie die „Sechsergemeinschaft“ schlossen<br />
sich [...] in eine Freihandelszone [...] zusammen. [...] Sie strebten keine<br />
politische Einigung an und hatten keine supranationalen Organe.“ 615<br />
Die Haltung einiger Mitgliedstaaten bezüglich des Souveränitätsverzichts<br />
wird in vier Büchern genannt, zwe<strong>im</strong>al wird es als Hemmnis für<br />
eine weitergehende Integration beurteilt. Hier einige Beispiele: „Die<br />
Bundesrepublik Deutschland hatte sich relativ leicht getan mit ihrem<br />
Verzicht auf Souveränität zugunsten einer europäischen Einigung . [...]<br />
Die Erweiterung der Sechsergemeinschaft um Länder, die zu weitgehendem<br />
Souveränitätsverzicht oft nicht bereit sind [...], 616 macht eine baldige<br />
Einigung über das politische <strong>Europa</strong> noch schwieriger.“ 617<br />
Über de Gaulles <strong>Europa</strong>vorstellung finden sich folgende Zeilen: „Er<br />
wollte die Souveränität der Einzelstaaten ungeschmälert erhalten sehen<br />
und verfocht ein ´<strong>Europa</strong> der Vaterländer`.“ 618<br />
Die Rolle der Bundesrepublik in einem vereinten <strong>Europa</strong> wird ein einziges<br />
Mal auch mit der Grundgesetzänderung bezüglich des Art. 23 vom<br />
614 „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 240<br />
615 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 207 und vgl. „Anno Gy G 10“, S. 240<br />
616 Der Text nennt zuvor Großbritannien, Irland, Dänemark, Griechenland, Spanien und Portugal.<br />
617 „Anno Gy G 10“, S. 208<br />
618 „Geschehen Gy G 10“, S. 245<br />
207
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
21. Dezember 1992 hervorgehoben, indem es heißt: „Der Bund kann<br />
hierzu durch Gesetz mit Zust<strong>im</strong>mung des Bundesrates Hoheitsrechte<br />
übertragen.“ 619<br />
Insgesamt lassen die Gymnasialbücher stärker als die Haupt- oder<br />
Realschulbücher die Tatsache anklingen, dass eine politische Einigung<br />
<strong>Europa</strong>s nur mit dem Verzicht auf Souveränität zu erreichen ist, viele<br />
Mitgliedstaaten der EU dazu aber noch nicht bereit sind. 620<br />
Zu bemängeln ist allerdings bei allen Schularten, dass die Begrifflichkeiten<br />
wie der Souveränitätsverzicht oder die in diesem Zusammenhang<br />
genannten Stichworte der Integration, Kooperation oder Föderation nicht<br />
mit Inhalten gefüllt werden, wodurch natürlich fraglich ist, ob der Schüler<br />
die Thematik ohne die Hilfe des Lehrers bewältigen kann. Zudem wird so<br />
gut wie nicht erwähnt, in welchem Maß mit den einzelnen <strong>Europa</strong>modellen<br />
(z. B. Bundesstaat, Staatenbund) ein Verzicht auf staatliche Hoheitsrechte<br />
verbunden ist.<br />
Die Folgen des Souveränitätsverzichts für das alltägliche Leben werden<br />
überhaupt nicht erwähnt. Dadurch kann be<strong>im</strong> Schüler mit Hilfe der<br />
Geschichtsbücher kein konkretes Meinungsbild bezüglich der gestellten<br />
Thematik entstehen.<br />
Zusammenfassend kann den Geschichtsbüchern aufgrund der quantitativen<br />
und qualitativen Lücken nicht attestiert werden, dass sie den entscheidenden<br />
Gedanken des Souveränitätsverzichts als durchgängiges<br />
Prinzip in die Schulbücher mit aufnehmen, was bedenklich erscheint, da<br />
die Schüler somit einen wesentlichen Aspekt der europäischen Integration<br />
nicht kennen lernen.<br />
3.2.11.2 Gemeinschaftskunde<br />
Im Fachbereich der Gemeinschaftskunde findet der Souveränitätsverzicht<br />
nahezu keine Erwähnung. Klammert man den Gymnasialbereich<br />
aus, so ist nur bei drei von acht Büchern der Gedanke des Souveränitätsverzichts<br />
festzustellen. Berücksichtigt man die Anzahl der Nennungen,<br />
so bedeutet dies eine durchschnittliche Erwähnung von 0,5 Mal in der<br />
Hauptschule und 0,75 Mal in der Realschule.<br />
In der Hauptschule nennt nur ein Buch die Abgabe von Zuständigkeiten,<br />
die die Nationalstaaten <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Vertrag von<br />
619 „historia Gy G 10“, S. 325<br />
620 Es wird u. a. <strong>im</strong>mer wieder in diesem Zusammenhang Großbritannien erwähnt.<br />
208
Der Aspekt des Souveränitätsverzichts bei der europäischen Einigung<br />
Maastricht leisten müssen. „Für eine einheitliche europäische Politik<br />
muss die EG die Befugnis haben, entsprechende Entscheidungen zu treffen.<br />
Die Nationalstaaten müssen deshalb Zuständigkeiten an Organe der<br />
Gemeinschaft abgeben.“ 621 Konkrete Beispiele über die Abgabe von Hoheitsrechten<br />
werden nicht gemacht.<br />
In der Realschule greifen zwei von vier Gemeinschaftskundebüchern<br />
den Souveränitätsverzicht auf.<br />
Zum einen wird die EU vom <strong>Europa</strong>rat abgegrenzt. „Die Zusammenarbeit<br />
<strong>im</strong> <strong>Europa</strong>rat beschränkt sich auf „freiwillige“ Abkommen selbständiger<br />
Staaten“ während die „EU [..] ein Zusammenschluss von Staaten<br />
[ist], die Teile ihrer Entscheidungskompetenz schon an die Gemeinschaft<br />
abtreten.“ 622<br />
Zum anderen wird der Vertrag von Maastricht und die damit beschlossene<br />
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit dem Souveränitätsverzicht<br />
in Verbindung gebracht. „Die Staaten haben für best<strong>im</strong>mte Bereiche<br />
die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt auf die gemeinsamen<br />
Organe der EU übertragen. Die Zuständigkeit liegt also bei der EU,<br />
nicht mehr bei den Einzelstaaten.“ 623<br />
Weiter heißt es in einem anderen Buch: „Obwohl die einzelnen Mitgliedsländer<br />
grundsätzlich ihre außenpolitische Souveränität (Selbständigkeit)<br />
behalten, ist [...] eine gegenseitige Information und Abst<strong>im</strong>mung<br />
vorgesehen.“ 624<br />
Fragen in Kapitelüberschriften über die Berechtigung von nationalen<br />
Interessen <strong>im</strong> Zusammenhang mit der europäischen Einigung oder dem<br />
Bestehen von Nationalstaaten überhaupt reißen die Problematik zwar<br />
an 625 , die folgenden <strong>Schulbuch</strong>texte beantworten sie aber nicht. Zudem<br />
sind die bundesstaatlichen oder staatenbündischen Modelle in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
sehr viel weniger als in der Geschichte auszumachen.<br />
626<br />
Insgesamt stellen die Schulbücher der Gemeinschaftskunde in keinster<br />
Weise den Souveränitätsverzicht als ein für die europäische Einigung<br />
wichtiges Prinzip dar. Dies muss bemängelt werden, zumal die Gemeinschaftskunde<br />
sich die Erziehung eines politisch mündigen Bürgers zum<br />
621 „Damals HS GK 9“, S. 181<br />
622 „Politik RS GK 10“, S. 99<br />
623 „Heute RS GK 10“, S. 60<br />
624 „Politik RS GK 10“, S. 97<br />
625 s. „Heute RS GK 10“, S. 58<br />
626 Eine Ausnahme ist hier sicherlich „Anstöße RS GK 9/10“.<br />
209
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
Ziel gesetzt hat und der Schüler aus dem Gemeinschaftskundebuch sicherlich<br />
kein eigenes Meinungsbild bezüglich der Frage auf Verzicht von<br />
staatlichen Hoheitsrechten zu bilden vermag.<br />
3.2.12 Die Geschichte der europäischen Einigung als offener<br />
Prozess<br />
Frage: Wird die europäische Einigung als offener Prozess dargestellt?<br />
Im kommenden Kapitel soll quantitativ und qualitativ untersucht werden,<br />
wie oft und mit welchen Inhalten die Schulbücher die europäische Einigung<br />
als offener Prozess darstellen. Dabei werden ebenfalls die Tendenzen<br />
der Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher bzw. der verschiedenen<br />
Schularten, die sie <strong>im</strong> Zusammenhang mit der offenen Geschichtsschreibung<br />
aufweisen, untersucht.<br />
3.2.12.1 Geschichte<br />
Die Geschichtsbücher der Sekundarstufe I in Baden-Württemberg stellen<br />
die Geschichte der europäischen Einigung sehr häufig als offenen Prozess<br />
dar. Nur sechs der 22 analysierten Bücher machen keine diesbezüglichen<br />
Aussagen. Dabei ist generell festzustellen, dass von der Haupt- über<br />
die Realschule bis zum Gymnasium die Gewichtung bei der Darstellung<br />
als offener Geschichtsprozess zun<strong>im</strong>mt. So werden in den Geschichtsbüchern<br />
der Hauptschule <strong>im</strong> Durchschnitt zwe<strong>im</strong>al pro Buch der offene<br />
Charakter der Geschichte der europäischen Einigung angesprochen, in<br />
der Realschule 2,3 Mal und <strong>im</strong> Gymnasium 2,9 Mal pro Buch.<br />
Bei der Haupt- und Realschule verteilen sich die Nennungen zum offenen<br />
Prozess recht homogen über die Bücher hinweg, während be<strong>im</strong><br />
Gymnasium doch größere Schwankungen auftreten. 627 Beachtet lediglich<br />
je ein Hauptschul- und ein Realschulbuch nicht den zu untersuchenden<br />
Aspekt, so sind es <strong>im</strong> Gymnasialbereich <strong>im</strong>merhin vier der neun vorhandenen<br />
Bücher. 628<br />
Sind bisher die quantitativen Unterschiede zwischen den Schularten<br />
627 Die Gymnasialbücher thematisieren den offenen Prozess zwischen zwei und sieben Mal.<br />
628 Folgende Schulbücher beachten nicht die europäische Einigung als offenen Prozess: „Quer HS<br />
G 9“, „Von ... bis RS G 10“, „bsv ’97 Gy G 10“, „Fragen Gy G Sek. I“, „Tempora Gy G 10“,<br />
„Zeiten Gy G 10“.<br />
210
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
herausgestellt, so sollen anschließend die durchaus bestehenden qualitativen<br />
Differenzen aufgeführt werden.<br />
Von der Hauptschule bis zum Gymnasium ist eine vertiefende Darstellung<br />
der Inhalte über die europäische Einigung mit offenem „Charakter“<br />
feststellbar.<br />
Die Klasse 9 der Hauptschule spricht global von dem „Weg zur Einigung“<br />
oder nur höchst vereinzelt von einer möglichen zukünftigen Weiterentwicklung<br />
des Europäischen Parlaments zur verfassungsgebenden<br />
Versammlung 629 wie einer Weiterentwicklung der EU 630 ; die Hauptschulbücher<br />
der Werkrealschule greifen hingegen ganz konkret die Frage<br />
des zukünftigen Modells (Bundesstaat oder Staatenbund) für die bislang<br />
„unfertige“ europäische Einigung auf. 631<br />
Alle Hauptschulgeschichtsbücher der Klasse 10 weisen darauf hin,<br />
dass zur Einigung <strong>Europa</strong>s noch viele Schritte notwendig sind, wie z. B.<br />
bei der Vollendung des Binnenmarktes, der Umsetzung der Wirtschaftsund<br />
Währungsunion, der Vereinheitlichung <strong>im</strong> Bereich der Rechtspolitik<br />
oder der noch anstehenden Erweiterung der EU.<br />
Auch die Geschichtsbücher der Realschule signalisieren schon mit ihren<br />
allgemeinen Überschriften, dass der Einigungsprozess noch nicht abgeschlossen<br />
ist. 632 Leider wird jedoch ebensowenig wie in der Klasse 9<br />
der Hauptschule darauf eingegangen, welche <strong>Europa</strong>modelle bei der<br />
künftigen Gestaltung <strong>Europa</strong>s umgesetzt werden können. Zudem wird<br />
der offene Charakter der bisherigen Verträge <strong>im</strong> Bereich der <strong>Europa</strong>modelle<br />
nicht sichtbar. 633<br />
Wie auch in der Hauptschule stellen die Bücher fest, was bis zur „endgültigen“<br />
Einigung <strong>Europa</strong>s noch „erledigt“ werden muss.<br />
Dabei sind die genannten Bereiche zwar vielfältiger, doch werden sie<br />
auch hier in keinster Weise vertiefend dargestellt oder mit möglichen Lösungen<br />
versehen. Folgende in der Europäischen Union noch zu bewältigende<br />
Aufgaben werden angedeutet:<br />
– die noch nicht bestehende gemeinsame Verteidigungspolitik 634<br />
629 s. „Reise HS G 9“, S. 203<br />
630 Weder „Damals HS G 9“ noch „Damals HS G 10“ machen zu dieser allgemeinen Aussage eine<br />
nähere Angabe.<br />
631 s. „Damals HS G 10“, S. 32 und „Doppelpunkt HS G 10“, S. 83<br />
632 z. B. „<strong>Europa</strong> auf dem Weg zur Einigung“, in: „Entdecken ’94 RS G 10“, S. 82<br />
633 Hier wären die EWG-Verträge, die Einheitliche Europäische Akte, der Vertrag von Maastricht<br />
und Amsterdam zu nennen.<br />
634 s. „Unsere RS G 10“, S. 58 – 59<br />
211
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
– die regionalen Unterschiede 635<br />
– die Schwierigkeiten bei der Schaffung einer gemeinsamen Umweltpolitik<br />
636<br />
– die kostspielige Überschussproduktion <strong>im</strong> Agrarbereich 637<br />
– die hohe Arbeitslosigkeit 638<br />
– der unvollendete Binnenmarkt 639<br />
– die künftige Erweiterung der EU. 640<br />
Dabei muss angemerkt werden, dass die künftige Erweiterung der EU als<br />
solches nicht zur Disposition steht, vielmehr wird nur der Zeitpunkt wie<br />
auch die Zahl der aufzunehmenden Staaten „offen“ gehalten. Diese Feststellung<br />
trifft für die Schulbücher aller Schularten zu.<br />
Interessant sind die Zukunftsvisionen eines Geschichtsbuches der<br />
Realschule, das als Ziel eindeutig die „Wiedervereinigung <strong>Europa</strong>s“ 641<br />
anstrebt, den zu wählenden Weg <strong>im</strong> Konkreten aber offen lässt. Allgemein<br />
plädiert das genannte <strong>Schulbuch</strong> dabei für das Entstehen einer „neuartige[n]<br />
politische[n] und wirtschaftliche[n] Einheit“ 642 , die in Form einer<br />
„Föderation, Union oder Konföderation“ 643 umgesetzt werden kann.<br />
Wie schon eingangs erwähnt, sind die Aussagen zum offenen europäischen<br />
Einigungsprozess in den Geschichtsbüchern des Gymnasiums am<br />
vielfältigsten. Einführend wird der Schuman-Plan als „erste Etappe“ zur<br />
europäischen Föderation angesehen. 644<br />
Ob aus der Europäischen Union letztendlich die Gestalt eines Bundesstaates<br />
oder Staatenbundes entstehen soll, wird nur in einem <strong>Schulbuch</strong><br />
offen gelassen. 645 Ansonsten besteht eher die Tendenz zur bundesstaatlichen<br />
Lösung. So mahnt ein Geschichtsbuch verstärkt an, „die politische<br />
Zielsetzung eines vereinten <strong>Europa</strong> nicht aus den Augen zu verlieren.“ 646<br />
Eine eindeutige Verdichtung des offenen Geschichtsprozesses lässt<br />
sich bei der Frage zur künftigen Erweiterung der EU feststellen. Wie<br />
schon angedeutet ist nicht die Verwirklichung der Erweiterung offen ge-<br />
635 s. „Konkret RS G 10“, S. 74<br />
636 s. ebd.<br />
637 s. ebd.<br />
638 s. ebd.<br />
639 s. „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 115<br />
640 s. „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 113, S. 123 – 125 und „Unsere RS G 10“, S. 63<br />
641 „Unsere RS G 10“, S. 67<br />
642 ebd., S. 68<br />
643 ebd.<br />
644 s. „Anno Gy G 10“, S. 240 und „bsv ’95 Gy G 10“, S. 205<br />
645 s. „Anno Gy G 10“, S. 242<br />
646 „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 241<br />
212
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
halten, sondern nur der Zeitpunkt und die Anzahl der aufzunehmenden<br />
Staaten. 647<br />
Verhalten äußern sich die Geschichtsbücher des Gymnasiums zu den<br />
Zukunftsvisionen. 648<br />
Ein <strong>Schulbuch</strong> fragt zwar nach dem „Quo vadis <strong>Europa</strong>?“ 649 , bleibt<br />
die Antwort aber schuldig. Interessant mag in diesem Zusammenhang sicherlich<br />
die Forderung von Polens Ministerpräsident Mazowiecki aus<br />
dem Jahr 1990 sein, „Institutionen zu schaffen, die das ganze <strong>Europa</strong><br />
wirksam umfassen.“ 650<br />
Karikatur zur Erweiterung der EU um Polen<br />
„Polen wünscht, dass 1998 die Beitrittsverhandlungen zur EU beginnen und<br />
dann <strong>im</strong> Jahre 2000 der Beitritt mit langen Übergangsfristen erfolgt<br />
(Karikatur aus der Zeitschrift Das Parlament, Nr. 42, 11. Oktober 1996).“<br />
(Quelle: „Geschehen Gy G 10“, S. 294)<br />
Insgesamt lassen alle Geschichtsbücher der Sekundarstufe I keinen<br />
Zweifel, dass der europäische Einigungsprozess erst auf dem Weg und<br />
damit noch offen ist, in welche Richtung er sich bewegt. Dies kommt von<br />
der Haupt- über die Realschule bis zum Gymnasium <strong>im</strong>mer konkreter<br />
zum Ausdruck.<br />
Alle drei Schularten arbeiten aber nicht den offenen Charakter der<br />
verschiedenen Einigungsverträge heraus. Trotzdem weisen viele Schul-<br />
647 s. ebd., S. 242<br />
648 Ein Beispiel wäre hier eine Karikatur über die Aufnahme Polens, in der eine Hand den offensichtlichen<br />
Aufnahmeantrag mit der Frage des „Wann?“ versieht und über das geografische<br />
Gebiet der EU hält, in: „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 241<br />
649 „Anno Gy G 10“, S. 249<br />
650 „Geschehen Gy G 10“, S. 253<br />
213
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
bücher auf eine zukünftige bundesstaatliche Lösung für den künftigen Einigungsprozess<br />
hin.<br />
3.2.12.2 Gemeinschaftskunde 651<br />
Bei sechs von acht vorhandenen Gemeinschaftskundebüchern der Hauptund<br />
Realschule sind Inhalte zum offenen Prozess der europäischen Einigung<br />
feststellbar. Dabei sind nicht nur auf der quantitativen sondern auch<br />
auf der qualitativen Seite gravierende Unterschiede zwischen beiden<br />
Schularten auszumachen.<br />
Zwar werden in der Haupt- wie in der Realschule in drei von vier<br />
Schulbüchern der offene Prozess bei den Themen der europäischen Einigung<br />
genannt, doch ist dies durchschnittlich nur 1,3 Mal pro Hauptschulbuch<br />
gegenüber von 4,3 Mal, mit der die Thematik in Realschulbüchern<br />
angesprochen wird. Zwischen den einzelnen Büchern sind keine quantitativen<br />
Schwankungen zu vermerken.<br />
Inhaltlich werden in den Hauptschulbüchern ganz unterschiedliche<br />
Akzente gesetzt, während bei den Realschulbüchern Schwerpunkte vorhanden<br />
sind.<br />
In der Hauptschule wird die zeitliche Umsetzung eines vereinten <strong>Europa</strong>s<br />
652 , die Vorbereitung der künftigen gemeinsamen Verteidigungspolitik<br />
durch die WEU, 653 die noch zu leistende Angleichung bei Normen<br />
und Gesetzen <strong>im</strong> Bereich des Binnenmarktes, 654 der Erweiterung der<br />
EU 655 sowie der gesamteuropäischen Entwicklung nach dem Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion 656 als noch offen angesehen. Insgesamt kann aber<br />
in der Hauptschule <strong>im</strong> Fach Gemeinschaftskunde aufgrund der sporadischen<br />
Nennungen kein durchgängiges Prinzip <strong>im</strong> Sinn der offenen „Geschichtsdarstellung“<br />
festgestellt werden.<br />
Auch in der Realschule wird nicht die noch offene Diskussion bezüglich<br />
der <strong>Europa</strong>modelle und der Entwicklung des europäischen Einigungsprozesses<br />
thematisiert, sondern die Offenheit konkret auf die <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit den noch bestehenden Problemen der europäischen<br />
Einigung übertragen.<br />
651 Die Gemeinschaftskundebücher des Gymnasiums finden wegen fehlender Inhalte keine Beachtung.<br />
652 s. „Damals HS GK 9“, S. 175<br />
653 s. „Doppelpunkt HS GK 10“, S. 138<br />
654 s. „Damals HS GK 9“, S. 179<br />
655 s. „Damals HS GK 10“, S. 94<br />
656 s. ebd., S. 87<br />
214
Die Geschichte der europäischen Einigung als offener Prozess<br />
Diese sind vielfältiger Natur wie z. B.<br />
– der künftige Arbeitsmarkt für qualifizierte junge Kräfte 657<br />
– das Fehlen einer militärisch handlungsfähigen Armee 658<br />
– die Aufnahme weiterer Mitglieder bei gleichzeitiger Reform der<br />
EU 659<br />
– die fehlende europäische Verfassung 660<br />
– die Demokratisierung der Entscheidungsfindung bei der Gesetzgebung<br />
661<br />
– die Akzeptanz der europäischen Einigung durch die Bürger 662<br />
– die Weiterentwicklung der KSZE als mögliche „UNO für den europäischen<br />
Raum“. 663<br />
Ganz offen gibt sich ein Realschulbuch bei den Zukunftsvisionen, in<br />
dem zum einzigen Mal ein Gemeinschaftskundebuch die Möglichkeit einen<br />
europäischen Bundesrat der Regionen, einen föderalistisch oder zentralistisch<br />
geprägten Bundesstaat oder gar ein europäisches Staatsoberhaupt<br />
mit einer europäischen Hauptstadt in Erwägung zieht. 664<br />
Im Gegensatz zu den Hauptschulbüchern, die nur punktuelle Aussagen<br />
machen, ist bei den Realschulbüchern der „offene Prozess“ schwerpunktmäßig<br />
be<strong>im</strong> künftigen Einigungsprozess (z. B. Erweiterungen der<br />
EU, Reformen der EU, Zukunftsvisionen) anzusiedeln.<br />
Insgesamt wird dem Schüler vor allem mit den Realschulbüchern der<br />
Gemeinschaftskunde einsichtig gemacht, dass der europäische Einigungsprozess<br />
noch nicht abgeschlossen ist.<br />
Alle Gemeinschaftskundebücher versuchen <strong>im</strong> Gegenzug dem Schüler<br />
eine Stellungnahme zu entlocken, inwieweit der Schüler z. B. die Erweiterung<br />
oder eine weitergehende Integration <strong>im</strong> Sinne des Maastrichter<br />
Vertrages für zust<strong>im</strong>mungswürdig hält. Die Bücher selbst plädieren eher<br />
für eine weitergehende Integration auf der Basis einer Föderation; in Bezug<br />
auf Deutschland ist man für eine starke Stellung der einzelnen Bundesländer<br />
innerhalb einer europäischen Föderation.<br />
657 s. „Anstöße RS GK 9/10“, S. 26<br />
658 s. „Politik RS GK 10“, S. 93<br />
659 s. „Anstöße RS GK 9/10“, S. 132<br />
660 s. „Heute RS GK 10“, S. 70<br />
661 s. ebd.<br />
662 s. ebd.<br />
663 „Politik RS GK 10“, S. 101<br />
664 s. ebd., S. 92, S. 118<br />
215
Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
3.2.13 Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
Frage: Erfährt die europäische Einigung eher eine positive, neutrale oder<br />
negative Bewertung?<br />
Die Bewertung soll Aufschluss geben inwieweit die einzelnen Themen<br />
der europäischen Einigung in den Geschichts- und Gemeinschaftskundebüchern<br />
positiv, neutral oder negativ dargestellt werden.<br />
Um fundierte Aussagen machen zu können, sollen alle Themen der<br />
analysierten Bücher nach dem folgenden Schlüssel beurteilt werden:<br />
+ = positiv<br />
o = neutral<br />
- = negativ<br />
In einem zweiten Schritt gilt es, zusammenfassende Ergebnisse über die<br />
Werturteile bezüglich den Themengebieten der europäischen Einigung<br />
zu präsentieren.<br />
3.2.13.1 Geschichte<br />
Zwischen den einzelnen Schularten lassen sich bezüglich der positiven,<br />
neutralen oder negativen Darstellung der europäischen Einigung nur Nuancen<br />
ausmachen (s. Anhang Nr. 3).<br />
Insgesamt spielt die negative Beurteilung in allen Schularten eher eine<br />
untergeordnete Rolle. 665 Inwieweit diese negative Sichtweise die Einstellung<br />
der Schüler beeinflusst oder vielmehr die Tagespresse, das Elternhaus<br />
oder andere Faktoren maßgebend sind, kann hier nicht untersucht<br />
werden.<br />
Des Weiteren sind vermehrt positive Wertungen in den Text- und<br />
Bildaussagen der Schulbücher vorzufinden. Dabei ist überraschend, dass<br />
in der Hauptschule eine eindeutige Dominanz der positiven Äußerungen<br />
gegenüber der neutralen Darstellung vorhanden ist, 666 während sich die<br />
positiven und neutralen Wertungen in der Realschule die Waage halten.<br />
667 Im Gymnasium hat sich das Verhältnis umgekehrt: Hier überwiegt<br />
665 Im Durchschnitt finden in allen Schularten2–3Themen eine negative Beurteilung pro Buch.<br />
666 Durchschnittlich werden in der Hauptschule 11,4 Themen positiv und 9,0 Themen pro Buch<br />
neutral dargestellt.<br />
667 In der Realschule werden durchschnittlich 11 Themen positiv und 10,5 Themen pro Buch neutral<br />
bewertet.<br />
216
Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
die neutrale Darstellungsweise klar vor der positiven. 668<br />
Die sehr viel nüchterne Darstellungsweise der europäischen Einigung<br />
in den Geschichtsbüchern des Gymnasiums ist wohl auch darauf zurückzuführen,<br />
dass dem Schüler hier die Meinungsbildung eher überlassen<br />
bleibt.<br />
Die Geschichtsbücher der verschiedenen Schularten weisen bei der<br />
Einzelbetrachtung keine allzu großen Unterschiede auf, wodurch zusammenfassende<br />
inhaltliche Aussagen über die Behandlung der einzelnen<br />
Themen zur europäischen Einigung möglich sind.<br />
Überraschenderweise sind keine Schwankungen bezüglich einer Bewertung<br />
der gestellten Thematik mit dem Erscheinungsjahr der Schulbücher<br />
aller Schularten in Verbindung zu setzen. Offensichtlich ist hier die<br />
Zeitspanne, in denen die Bücher erschienen sind, nicht groß genug, um<br />
differenzierende Aussagen zu treffen. 669<br />
Im Folgenden werden bei der Betrachtung der einzelnen Themen die<br />
Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der europäischen Einigung<br />
aufgeführt.<br />
So werden insbesondere die ersten Schritte zur europäischen Einigung,<br />
wie z. B. die Pläne zur Einigung <strong>Europa</strong>s, der <strong>Europa</strong>rat, die<br />
deutsch-französische Versöhnung und die Montanunion begrüßt.<br />
Lediglich die Ausgangslage nach dem Krieg wird entweder neutral<br />
oder negativ bewertet, worin die Bücher aber eher einen Grund zur Einigung<br />
<strong>Europa</strong>s sehen. 670<br />
Am deutlichsten stellen die Geschichtsbücher des Gymnasiums einen<br />
Zusammenhang zwischen der deutsch-französischen Versöhnung als Initiative<br />
zur europäischen Einigung her, während die Haupt- und Realschulbücher<br />
die vollzogene Versöhnung bejahend für sich stehen lassen.<br />
Eine deutlich neutralere Darstellung beginnt mit der Gründung der<br />
EWG, der EG und deren bisherigen Erweiterungen.<br />
Die Organe der EG/EU finden bestenfalls eine informativ neutrale Fixierung.<br />
Hier zeigt sich ein krasser Gegensatz zwischen den Hauptschulbüchern<br />
und dem Gymnasium. Überwiegen bei ersteren die Klagen über<br />
den Mangel an Demokratie und „Bürokratie“ bei der Gesetzgebung, so<br />
668 Das Gymnasium wertet durchschnittlich 10,4 Themen pro Buch neutral und 5,9 Themen positiv.<br />
669 Die Schulbücher sind zwischen 1981 und 1999 erschienen, der Schwerpunkt liegt Mitte der<br />
90er Jahre.<br />
670 Negativ wird die Ausgangslage nach dem Krieg aufgrund der Zerstörung <strong>Europa</strong>s als Bilanz<br />
des Zweiten Weltkrieges bewertet.<br />
217
Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
stufen die Gymnasialgeschichtsbücher das Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht des Europäischen<br />
Parlaments eher als zu gering ein; dies ist mitunter auch mit<br />
der Befürchtung versehen, dass daraus eine <strong>Europa</strong>müdigkeit der Bürger<br />
entstehen könnte.<br />
Bei den Politikbereichen ist eine Zweiteilung festzustellen: Während<br />
die Agrarpolitik wegen zu hoher Kosten, der Überschussproduktion und<br />
einer anscheinend fehlenden „durchgreifenden“ Reform als negatives<br />
Objekt <strong>im</strong> Rampenlicht steht, kommt der Wirtschaftspolitik eine absolut<br />
positive Beurteilung zu. Dabei ist auffallend, dass der Schüler unweigerlich<br />
bei der Agrarpolitik den Eindruck einer sinnlos teuren Produktion erhalten<br />
muss, da weder die Gründe hierfür noch mögliche Lösungen (z. B.<br />
Agrarreform von 1992) hinreichend herausgearbeitet werden.<br />
Verhaltene Kritik kommt be<strong>im</strong> Schlagwort der „Festung <strong>Europa</strong>“ auf,<br />
wie auch bei der bisher gestalteten Regionalpolitik der Gemeinschaft. In<br />
den Hauptschulbüchern wird einerseits die fehlende Bereitschaft der reicheren<br />
Regionen, die Regionalpolitik der EG/EU zu forcieren, beklagt,<br />
andererseits in den Real- und Gymnasialbüchern das noch bestehende soziale<br />
Gefälle innerhalb der EU nicht nur als zu hoch, sondern auch als oft<br />
nicht gelungene Regionalpolitik der EU angesehen.<br />
Die Forschungspolitik der EU (s. Hauptschule) oder die ergänzende<br />
Politik des Landes Baden-Württemberg <strong>im</strong> Rahmen der EU (s. Hauptund<br />
Realschule) wird ausnahmslos als Erfolg verbucht, wobei <strong>im</strong>mer<br />
wieder die zu wahrende starke Stellung der Regionen – in diesem Fall der<br />
Bundesländer – innerhalb der EU v. a. in den Realschulbüchern betont<br />
wird.<br />
Eine weitere Zweiteilung in der Bearbeitung der Themen findet man<br />
in den bisherigen Vertragsänderungen: Während der Binnenmarkt eine<br />
breite Zust<strong>im</strong>mung erreicht, halten sich be<strong>im</strong> Vertrag von Maastricht die<br />
positiven und neutralen Darstellungsformen bei den Hauptschulbüchern<br />
zwar noch die Waage, in den Realschul- und Gymnasialbüchern liegt<br />
eine auffallende Neutralität vor. Lediglich die Geschichtsbücher der<br />
Hauptschule bringen die deutschen Zweifel an der Umsetzung der Wirtschafts-<br />
und Währungsunion mit dem Verlust der DM zum Ausdruck,<br />
was andererseits auch Verunsicherung be<strong>im</strong> Schüler auslösen kann.<br />
Die <strong>im</strong> internationalen Bereich noch nicht ausreichend wirksame Gemeinsame<br />
Außen- und Sicherheitspolitik wird zwar begrüßt, aber deutlich<br />
gemacht, dass hier vermehrt eine gemeinsame europäische „St<strong>im</strong>me“<br />
in der Welt vonnöten ist.<br />
218
Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
Die Rolle der Bundesrepublik innerhalb der Gemeinschaft wird nur in<br />
den Geschichtsbüchern des Gymnasiums als positiv und den integrierenden<br />
Prozess unterstützend betrachtet.<br />
Absolut mit negativen Attitüden wird in allen Geschichtsbüchern das<br />
Verhalten der Nationalstaaten belegt, wenn sich ihre nationalen Interessen<br />
als Hemmnis für den weiteren Verlauf des Integrationsprozesses erweisen.<br />
Die künftigen Entwicklungen der europäischen Einigung, die vor allem<br />
mit dem „gemeinsamen Haus“ <strong>Europa</strong> in Verbindung gebracht werden,<br />
finden eine fast durchgängig <strong>im</strong> positiven Licht gesehene Darstellung.<br />
Der Prozess der KSZE/OSZE wird fast ausnahmslos begrüßt.<br />
Zusammenfassend werden die historischen Schritte zur Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
– vor allem in der Anfangsphase – weitestgehend positiv beurteilt.<br />
Kritische St<strong>im</strong>men kommen mit den Organen der EU, der Agrarpolitik,<br />
der „Festung <strong>Europa</strong>“, mit Teilbereichen des Maastrichter Vertrages und<br />
das den Integrationsprozess hemmende Verhalten mancher Nationalstaaten<br />
auf.<br />
Insgesamt wird die europäische Einigung als solches – durch die unterschiedlichen<br />
Beurteilungen in den Geschichtsbüchern – zu keinem<br />
Zeitpunkt in Frage gestellt. Wohl deuten die Schulbücher an, dass für die<br />
Umsetzung der in den Schulbüchern befürworteten Pläne nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg noch ein langer Weg notwendig ist.<br />
3.2.13.2 Gemeinschaftskunde<br />
Auch in der Gemeinschaftskunde lassen sich zwischen den Haupt- und<br />
Realschulbüchern kaum Unterschiede in den Werturteilen zur europäischen<br />
Einigung feststellen 671 (s. Anhang Nr. 4).<br />
Wie schon in der Geschichte nehmen die negativen Äußerungen zur europäischen<br />
Einigung in beiden Schularten eine untergeordnete Rolle ein. 672<br />
Im Durchschnitt überwiegt in der Hauptschule die neutrale Darstellung<br />
knapp vor der positiven, während in der Realschule eher die positive<br />
Bewertung umgesetzt wird. 673 Damit wird <strong>im</strong> Gegensatz zum Fach Ge-<br />
671 Die Gymnasialbücher finden wegen fehlender Inhalte keine Berücksichtigung.<br />
672 In der Hauptschule werden durchschnittlich 1,3 Themen pro Buch, in der Realschule 1,5 Themen<br />
negativ dargestellt.<br />
673 In der Hauptschule umfasst die durchschnittliche neutrale Darstellung 6,8 Themengebiete pro<br />
Buch gegenüber 5,5 positiv vorhandenen Themengebieten. In der Realschule steht einer positiven<br />
Aufarbeitung von durchschnittlich 9,8 Themen eine neutrale Umsetzung von 7,8 Mal gegenüber.<br />
219
Die Werturteile über die europäische Einigung<br />
schichte die europäische Einigung in der Realschule mit positiveren Zügen<br />
als in der Hauptschule belegt.<br />
Weitere Aufgabe soll sein, die einzelnen Themen hinsichtlich der<br />
Werturteile aufzuschlüsseln. Finden sich bei den Anfängen zur europäischen<br />
Einigung – auch wenn oftmals in der Gemeinschaftskunde nur von<br />
einer sporadischen Behandlung die Rede sein kann – in der Hauptschule<br />
überwiegend eine positive Wertung, so zeigt sich die Realschule mit einer<br />
eher neutralen Form zurückhaltender.<br />
Ein Gegensatz zeichnet sich bei der Darstellung der Organe ab. Wie<br />
auch <strong>im</strong> Fach Geschichte werden die Organe der EG/EU in der Hauptschule<br />
mit dem Touch der „Brüsseler Bürokratie“ belegt, während die<br />
Schulbücher der Realschule verstärkt die bisher errungenen Rechte des<br />
Europäischen Parlaments positiv hervorheben. Dies stellt ein Novum unter<br />
den Schulbüchern Baden-Württembergs dar!<br />
Eindeutig negativ wird in beiden Schularten die Agrarpolitik mit der<br />
Überschussproduktion und einer fehlenden konsequenten Reform gesehen.<br />
Die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten werden in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
auch als eine Verhinderung einer weitergehenden<br />
Integration verurteilt (z. B. GASP).<br />
Demgegenüber sind in der Haupt- und Realschule die übrigen Politikbereiche<br />
der EG/EU, der Binnenmarkt und die künftige Entwicklung der<br />
europäischen Einigung mit positiven Attributen belegt. Das gleiche gilt<br />
für den Vertrag von Maastricht, allerdings nur für die Bücher der Realschule.<br />
Auffallend neutral konzentrieren sich die Gemeinschaftskundebücher<br />
der Hauptschule bei diesem Themengebiet rein auf die Inhalte.<br />
Der Prozess der KSZE/OSZE findet eine sachliche Darstellung oder<br />
dessen Verdienste werden positiv hervorgehoben.<br />
Insgesamt sind die Schulbücher neutraler als <strong>im</strong> Fach Geschichte. Dadurch<br />
will man eventuell die individuelle selbstständige Meinungsbildung<br />
fördern. So findet <strong>im</strong> Gegensatz zur Geschichte die historische Entwicklung<br />
eher eine neutrale Bewertung, während die Politikbereiche dafür<br />
stärker positiv hervorgehoben werden. Abermals Kritik kommt an der<br />
Agrarpolitik und den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten der EU<br />
auf, wenn sie gemeinsame Lösungswege blockieren.<br />
220
3.2.14 Die Arbeitsanweisungen<br />
Frage: Sind mit den Arbeitsanweisungen die Prinzipien des wiederholenden,<br />
entdeckenden, fächerübergreifenden, handlungs- und problemorientierten<br />
Lernverfahrens berücksichtigt?<br />
Die Auswertung der Arbeitsaufgaben bezüglich der Kapitel über die europäische<br />
Einigung soll einen weiteren Einblick in die didaktisch-methodische<br />
Konzeption der Schulbücher geben.<br />
Dabei werden die Lehrplanforderungen zugrunde gelegt, indem überprüft<br />
wird, inwieweit die Schulbücher durch die Arbeitsanweisungen der<br />
„Sicherung historischer Fakten“ 674 bei Berücksichtigung aller didaktischen<br />
Prinzipien des „entdecken[n], problemorientierte[n], handlungsorientierte[n]<br />
und fächerverbindende[n] Lernen[s]“ 675 nachkommen.<br />
Ebenso sollen alle genannten Lernformen auf die Gemeinschaftskunde<br />
übertragen werden. Insgesamt muss den Kriterien noch die reine Textrepetition<br />
hinzugefügt werden. Bei der Einordnung der Aufgaben zu den<br />
einzelnen Kriterien gab bei eventuellen Überschneidungen <strong>im</strong>mer das<br />
prägende Merkmal den Ausschlag, inwieweit der Arbeitsvorschlag z. B.<br />
verstärkt das entdeckende oder handlungsorientierte Lernen unterstützt.<br />
Eine Unterscheidung nach offenen und geschlossenen Fragen wäre<br />
auch möglich gewesen, doch kann mit der hier vorgenommenen Unterteilung<br />
sicherlich ein differenzierteres Bild vermittelt werden. So könnte<br />
man die wiederholenden Arbeitsanweisungen, die inhaltlich auf Fakten<br />
abzielen und ihre Antworten meistens direkt aus den Quellen oder Textpassagen<br />
entnehmen, auch als geschlossene Frageform werten.<br />
Demgegenüber zielen alle anderen Lehrformen eher auf den Erwerb<br />
von Erkenntnissen und Einsichten, indem vom Schüler eigenständige<br />
Überlegungen, Werturteile oder Stellungnahmen verlangt werden. Diese<br />
könnten auch als offene Fragen eingestuft werden.<br />
Die Analyse der Arbeitsaufgaben soll nach ausführlicher Untersuchung<br />
der Arbeitstexte, Quellen und Bilder mit Hilfe zahlreicher Kriterien<br />
ein abschließendes Bild über die Vermittlung der europäischen Einigung<br />
in den Geschichts- und Gemeinschaftskundebüchern vermitteln.<br />
221<br />
Die Arbeitsanweisungen<br />
674 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 21<br />
675 ebd.
Die Arbeitsanweisungen<br />
3.2.14.1 Geschichte<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anzahl der Arbeitsanweisungen<br />
Damals<br />
HSG9<br />
Doppelpunkt<br />
HSG9<br />
Entdecken<br />
HSG9<br />
Quer<br />
HSG9<br />
Reise<br />
HSG9<br />
Damals<br />
HSG10<br />
Doppelpunkt<br />
HSG10<br />
Entdecken ’94<br />
RSG10<br />
Entdecken ’99<br />
RSG10<br />
Konkret<br />
RSG10<br />
Morgen<br />
RSG10<br />
Unsere<br />
RSG10<br />
Von ... bis<br />
RSG10<br />
Anno<br />
GyG10<br />
bsv ’95<br />
GyG10<br />
bsv ’97<br />
GyG10<br />
Fragen<br />
Gy G Sek.I<br />
wiederholend<br />
entdeckend<br />
fächerübergreifend<br />
handlungsorientiert<br />
problemorientiert<br />
insgesamt<br />
15 10 2 3 1 31<br />
9 3 1 1 2 16<br />
20 13 4 5 3 45<br />
16 4 3 0 1 24<br />
4 3 2 0 2 11<br />
25 13 4 4 9 55<br />
27 3 1 1 2 34<br />
20 13 4 5 3 45<br />
35 14 4 2 10 65<br />
8 6 5 6 6 31<br />
16 13 1 2 4 36<br />
26 17 0 1 14 58<br />
10 15 0 1 0 26<br />
7 0 0 1 7 15<br />
6 6 0 0 6 18<br />
1 6 0 1 2 10<br />
4 0 0 0 0 4<br />
222
Geschehen<br />
GyG10<br />
Geschichtsb.<br />
GyG10<br />
historia<br />
GyG10<br />
Tempora<br />
GyG10<br />
Zeiten<br />
GyG10<br />
7 0 0 0 6 13<br />
10 2 0 1 2 15<br />
2 1 0 0 0 3<br />
0 1 0 0 0 1<br />
2 1 1 0 2 6<br />
Insgesamt bieten die Geschichtsbücher genügend Wiederholungsmöglichkeiten.<br />
Dies zeigt, dass die Lehrplanforderung nach „Übung und<br />
Wiederholung“ 676 sowie „Anwendung des Gelernten und das Sinn suchende<br />
Fragen“ 677 ernsthaft umgesetzt wird.<br />
Doch zeigen die drei Schularten große Schwankungen bei der absoluten<br />
Anzahl der Arbeitsanweisungen auf, was aber mit der Gewichtung<br />
des jeweiligen Themas in den betreffenden Schularten zu begründen ist.<br />
Die meisten Arbeitsaufträge weisen die Geschichtsbücher der Realschule<br />
auf, gefolgt von der Hauptschule. Im Gymnasium sind wesentlich weniger<br />
Aufgaben vorzufinden.<br />
Prozentual gesehen weisen die Schularten be<strong>im</strong> Unterstützen der verschiedenen<br />
Lernverfahren ähnliche Schwerpunkte auf.<br />
Betrachtet man die verschiedenen Arten an Arbeitsvorschlägen, so<br />
kann in allen Schularten keine ausgewogene Einteilung festgestellt werden.<br />
Ganz eindeutig steht mit der reinen Textrepetition die Konzentration<br />
auf kognitive Wissensaneignung <strong>im</strong> Vordergrund. Im Durchschnitt aller<br />
Schulbücher kommen der reinen Wiederholung mit 48% fast die Hälfte<br />
aller Aufgaben zu. Diese sind <strong>im</strong> Schwierigkeitsgrad den einzelnen<br />
Schularten angepasst, indem z. B. der Hauptschüler die Lösung eher <strong>im</strong><br />
letzten Textabschnitt findet, während der Realschüler größere Textpassagen<br />
heranziehen muss.<br />
Beispielhaft sollen folgende Aufgaben für den Typus der Textrepetition<br />
stehen:<br />
– „Nenne die wichtigsten Organe des <strong>Europa</strong>rates.“ 678<br />
– „Lest nochmals Q 4 und Q 5 und überlegt, welche Gründe hinter der<br />
676 ebd., S. 328<br />
677 ebd.<br />
678 „Damals HS G 9“, S. 139<br />
223<br />
Die Arbeitsanweisungen
Die Arbeitsanweisungen<br />
Ablehnung [EVG] gestanden haben könnten.“ 679<br />
– „Welche Befugnisse fehlen dem Parlament noch?“ 680<br />
– „Welcher der Gründe, die Robert Schuman für das Angebot einer<br />
Montanunion nennt, ist für Frankreich 1950 besonders wichtig gewesen?“<br />
681<br />
Fragen, die mit einem reinen „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, mögen<br />
für den Schüler attraktiv sein. Ohne zusätzliche Begründung fördern<br />
sie aber die oberflächliche Wissensaneignung ohne auf grundlegende<br />
Aspekte einzugehen. 682<br />
Den Aufgaben, die das entdeckende Lernen unterstützen, kommt mit<br />
durchschnittlich 25,6% in allen Geschichtsbüchern noch ein zweiter<br />
Schwerpunkt hinzu, wobei hier gerade die Realschulbücher eine Vorreiterrolle<br />
spielen und den Ansatz nutzen, den Schüler zu ermuntern, sich<br />
selbstständig über den aktuellen Stand der europäischen Einigung zu informieren.<br />
Dabei muss angemerkt werden, dass zu diesem Bereich auch Fragen<br />
hinzugerechnet werden, deren Antworten nicht <strong>im</strong> Buch zu finden waren<br />
und der Schüler somit „entdeckend“ handeln muss, was bei zu häufigem<br />
Einsatz auch zur Entmutigung führen kann.<br />
Hier einige Beispiele:<br />
– „Erkundige dich, wer den Wahlkreis, in dem du lebst, <strong>im</strong> EP vertritt.“<br />
683<br />
– „Fordert be<strong>im</strong> Informationsbüro des Europäischen Parlamentes<br />
[Adresse angeben] Material an, und informiert euch gemeinsam mit<br />
der Lehrerin oder dem Lehrer über die europäische Agrarpolitik.“ 684<br />
– „Sammelt Materialien, die belegen, dass der deutsch-französische<br />
Vertrag auch heute noch umgesetzt wird.“ 685<br />
– „Ist man den 1972 geäußerten Vorstellungen bis heute näher gekommen?“<br />
686 (u. a. Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion)<br />
Schwierigkeiten kann dem Schüler das Lösen von nicht präzise formulierten<br />
Arbeitsaufträgen machen, wobei dies bei den entsprechenden Pas-<br />
679 „Morgen RS G 10“, S. 101<br />
680 „Anno Gy G 10“, S. 245<br />
681 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 205<br />
682 z. B. „Darf ich mich um eine Stelle in Irland bewerben?“ oder „Kann ich meine Rente <strong>im</strong> sonnigen<br />
Süden bekommen?“, in: „Von ... bis RS G 10“, S. 114<br />
683 „Damals HS G 10“, S. 34<br />
684 „Entdecken HS G 9“, S. 208<br />
685 „Konkret RS G 10“, S. 73<br />
686 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 211<br />
224
sagen zur europäischen Einigung selten der Fall ist. (z. B. „Zwischen<br />
Deutschland und Frankreich gibt es keine Konflikte mehr.“ 687 )<br />
Den problemorientierten Aufgaben kommt in der Rangfolge mit<br />
durchschnittlich 14,6% aller Geschichtsbücher die dritte Position zu.<br />
Dieser <strong>im</strong>merhin noch relativ häufige Einsatz ist damit zu begründen,<br />
dass in vielen Fällen die Karikaturen problemorientiert aufgearbeitet<br />
werden. Auch in diesem Bereich haben die Realschulbücher die meisten<br />
Aufgaben vorzuweisen. Die Hauptschule und das Gymnasium setzen nur<br />
vereinzelt das Prinzip des problemorientierten Geschichtsunterrichts in<br />
den Arbeitsanweisungen ein.<br />
Folgende Beispiele sollen den Aufgabentypus verdeutlichen:<br />
– „Welche Aspekte der Europäischen Union werden in den Karikaturen<br />
angesprochen? N<strong>im</strong>m Stellung dazu und überlege Lösungsvorschläge.“<br />
688<br />
– „Stelle dir folgende Situation vor und „spinne“ den Gedankengang<br />
weiter aus: Schlagzeile in allen Medien: „Die Bundesrepublik<br />
Deutschland ist heute morgen aus der EU ausgetreten!“<br />
• An den Grenzen wird wieder gründlich kontrolliert. Es haben sich<br />
kilometerlange Warteschlangen gebildet.<br />
• Mehrere Staaten Westeuropas belegen seit heute PKW-Importe<br />
aus Deutschland mit hohen Zöllen.“ 689<br />
– „Wie denkt ihr selbst über den Nutzen einer weiteren Integration <strong>Europa</strong>s?<br />
Was könnte/sollte geschehen, um sie zu fördern?“ 690<br />
– „Beurteilt die EU-Beitrittsbedingungen (M)“ 691<br />
– „Die Währungsunion als wichtigstes Element der EU wird heftig diskutiert.<br />
Bildet euch an Hand des Materials ein eigenes Urteil dazu.“ 692<br />
– „Überlegen Sie, welche Bedeutung das „Vetorecht“ <strong>im</strong> Ministerrat für<br />
die politische Funktion der Kommission hat! Sollte die Bundesregierung<br />
für das Mehrheitsprinzip eintreten?“ 693<br />
Den Aspekt des handlungsorientierten und fächerübergreifenden Arbeitens<br />
vernachlässigen die Geschichtsbüchern <strong>im</strong> Zusammenhang mit den<br />
Aufgabenstellungen. Interessant ist, dass die Hauptschule <strong>im</strong> fächerüber-<br />
687 „Von ... bis RS G 10“, S. 101<br />
688 „Doppelpunkt HS G 10“ S. 93<br />
689 „Damals HS G 10“, S. 39<br />
690 „Unsere RS G 10“, S. 65<br />
691 „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 123<br />
692 „Konkret RS G 10“, S. 77<br />
693 „bsv ’95 Gy G 10“, S. 209<br />
225<br />
Die Arbeitsanweisungen
Die Arbeitsanweisungen<br />
greifenden Bereich etwas intensiver als die Realschule arbeitet; bei der<br />
Handlungsorientierung halten sich beide Schularten die Waage. Das<br />
Gymnasium n<strong>im</strong>mt beide Prinzipien kaum in die Geschichtsbücher mit<br />
auf, obwohl diese „alternativen“ Lernverfahren auch dazu dienen, den<br />
Schüler auf „zukünftige Handlungssituationen“ 694 vorzubereiten. Im<br />
Durchschnitt kommen den handlungsorientierten Aufgaben 6% und den<br />
fächerübergreifenden 5,7% in allen analysierten Geschichtsbüchern zu.<br />
Hervorzuheben ist z. B. ein zusammenfassender Lernzirkel in einem<br />
Hauptschulbuch 695 oder der Einsatz von projekt- bzw. themenorientiertem<br />
Arbeiten in einem Realschulbuch; 696 beides unterstützt die Lern- und<br />
Arbeitstechniken in besonderer Weise.<br />
Beispiele für handlungsorientierte Arbeitsanweisungen wären:<br />
– „Verfolgt in den Medien über eine Woche lang die Berichte über die<br />
Politik der EG und erstellt darüber eine Wandzeitung.“ 697<br />
– „In Artikeln über die EU werden oft seltsame Abkürzungen verwendet.<br />
Lege dir ein „Kleines <strong>Europa</strong>-ABC“ an, indem du die Begriffe<br />
kurz erläuterst.“ 698<br />
– „Legt eine Zeittafel an und tragt alle Stationen der wirtschaftlichen<br />
Zusammenarbeit <strong>Europa</strong>s ein.“ 699<br />
– „Werbung für <strong>Europa</strong> [...] <strong>Europa</strong> ins Bewusstsein rücken – diese<br />
Aufgabe kann eine Projektgruppe mit den Mitteln der Werbung angehen<br />
. [...] Zunächst müsst ihr aber Informationen über <strong>Europa</strong> sammeln.<br />
Schließlich sollt ihr wissen, wofür ihr Werbung macht: für Frieden,<br />
Wohlstand, offene Grenzen oder für die Verständigung zwischen<br />
Ost- und Westeuropa.“ 700<br />
– „Fertige selbst eine Zeichnung des „Europäischen Hauses“ an.“ 701<br />
Die Geschichte der europäischen Einigung wird bei fächerübergreifenden<br />
Aufgaben u. a. folgendermaßen berücksichtigt:<br />
– „Stellt mit Hilfe der Karte fest, welche Länder zu den armen und welche<br />
zu den reichen EU-Mitgliedern gehören.“ 702<br />
694 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 20<br />
695 s. „Quer HS G 9“, S. 192 – 193<br />
696 s. „Konkret RS G 10“, S. 84 – 85<br />
697 „Entdecken HS G 9“, S. 211<br />
698 „Damals HS G 10“, S. 37<br />
699 „Konkret RS G 10, S. 74<br />
700 ebd., S. 85<br />
701 „Geschichtsbuch Gy G 10“, S. 246<br />
702 „Entdecken HS G 9“, S. 211<br />
226
– „Stelle die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in einer<br />
Faustskizze zusammen! Welche westeuropäischen Staaten gehören<br />
nicht dazu?“ 703<br />
– „Übersetzt die Forderung auf dem Transparent.“ 704<br />
– „Versetzt euch in die Lage der Zöllner auf beiden Seiten der Grenze<br />
[Deutschland, Frankreich] und schreibt einen Bericht über den Vorgang<br />
aus der Sicht der Zollbeamten.“ 705<br />
Bei den fächerübergreifenden Aufgaben sind meistens neben der Geschichte<br />
die Fächer Erdkunde und Deutsch berührt.<br />
Insgesamt decken die Aufgaben die inhaltlichen Themen zur europäischen<br />
Einigung ab und orientieren sich <strong>im</strong> Schwierigkeitsgrad am Alter<br />
der Schüler. Allen drei Schularten kann jedoch kein ausgewogener Einsatz<br />
aller Lernformen bescheinigt werden, zumal die Textrepetition den<br />
überwiegenden Teil einn<strong>im</strong>mt. Dies wird aber durch die Fülle der Arbeitsanweisungen<br />
abgemildert, da der Lehrer hier eine didaktische Auswahl<br />
vornehmen kann.<br />
1.1.1.1 Gemeinschaftskunde<br />
<strong>Schulbuch</strong> Anzahl der Arbeitsanweisungen<br />
Damals<br />
HS GK 9<br />
Doppelpunkt<br />
HS GK 9<br />
Damals<br />
HS GK 10<br />
Doppelpunkt<br />
HS GK 10<br />
Anstöße<br />
RS GK 9/10<br />
Berufswahlvorb.<br />
RS GK 9/10<br />
wiederholend<br />
703 „Reise HS G 9“, S. 201<br />
704 „Konkret RS G 10“, S. 71<br />
705 „Entdecken ’99 RS G 10“, S. 110<br />
entdeckend<br />
fächerübergreifend<br />
handlungsorientiert<br />
problemorientiert<br />
insgesamt<br />
17 5 1 4 5 32<br />
30 1 2 1 5 39<br />
7 3 0 0 1 11<br />
2 2 0 0 0 4<br />
22 8 0 2 11 43<br />
0 0 0 0 0 0<br />
227<br />
Die Arbeitsanweisungen
Die Arbeitsanweisungen<br />
Heute<br />
RS GK 10<br />
Politik<br />
RS GK 10<br />
Mensch ’95<br />
Gy GK 10<br />
Mensch ’99<br />
Gy GK 10<br />
Wandel<br />
Gy GK 10<br />
51 3 4 2 13 73<br />
114 21 7 0 8 150<br />
0 0 0 0 0 0<br />
0 0 0 0 0 0<br />
0 0 0 0 0 0<br />
N<strong>im</strong>mt man wiederum nur die Haupt- und Realschulbücher als<br />
Grundlage der Auswertung, so bieten sich in beiden Schularten genügend<br />
Wiederholungsmöglichkeiten.<br />
Dabei orientiert sich die Zahl der Arbeitsanweisungen natürlich am<br />
zugrunde liegenden Stoffvolumen, woraus sich auch die <strong>im</strong> Vergleich<br />
wenigen Aufgaben der Klasse 10 in der Hauptschule begründen lassen.<br />
Ansonsten zeigen gerade die Realschulbücher große Schwankungen bei<br />
der Anzahl der absoluten Arbeitsanweisungen auf.<br />
Im Durchschnitt weisen die Gemeinschaftskundebücher der Realschule<br />
zur europäischen Einigung allerdings dre<strong>im</strong>al so viele Arbeitsaufträge<br />
wie die Hauptschulbücher auf.<br />
Betrachtet man die hier vorgenommene Einteilung der Arbeitsanweisungen,<br />
so liegt den Gemeinschaftskundebüchern noch eine einseitigere<br />
Auswahl als in der Geschichte zugrunde. Die Tendenzen sind dabei in<br />
beiden Schularten die gleichen.<br />
Eine absolute Priorität räumen die Bücher dem wiederholenden Lernen<br />
ein, indem durchschnittlich 69% aller Aufgaben der Textrepetition<br />
dienen. Um eine sachgerechte Urteilsfähigkeit zu erreichen, muss der<br />
Schüler sicherlich das sinnentnehmende Lesen beherrschen, doch ist es<br />
nicht konsequent, wenn kontroverse Themen nicht durch entsprechende<br />
Arbeitsanweisungen kontrovers bzw. problemorientiert aufgearbeitet<br />
werden.<br />
Folgende Beispiele werden für den Typus der Textrepetition zitiert:<br />
– „Welche wirtschaftlichen und politischen Ziele nennt die Präambel<br />
des EWG-Vertrages?“ 706<br />
– „Mit welcher der vier Freiheiten <strong>im</strong> Binnenmarkt hat das jeweilige<br />
706 „Damals HS GK 9“, S. 177<br />
228
Beispiel zu tun?“ 707<br />
– „Nenne zwei, drei interessante Erfahrungen, die Frau Wulf-Mathies<br />
wiedergibt.“ 708<br />
– „Die Unionsbürgerschaft bringt den EU-Bürgern ein kleines Stück<br />
mehr Demokratie. Grund: [...]“ 709<br />
Die jeweiligen Antworten findet der Schüler chronologisch angeordnet<br />
<strong>im</strong> entsprechenden Autorentext und dienen der nochmaligen Vergegenwärtigung<br />
des bearbeiteten Textes und der Wissensaneignung.<br />
Den Aufgaben, die das entdeckende oder problemorientierte Lernen<br />
fördern, kommt jeweils mit durchschnittlich 12,2% eine gleich starke Gewichtung<br />
in den Gemeinschaftskundebüchern der Haupt- und Realschule<br />
zu.<br />
Wie auch schon in der Geschichte fordern die entdeckenden Arbeitsanweisungen<br />
vor allem den Schüler auf, sich selbstständig Informationen<br />
zu beschaffen und zu verarbeiten.<br />
– „Erkundige dich über das Ausmaß der Zerstörung nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg in deiner He<strong>im</strong>atgemeinde. Frage Verwandte und Bekannte,<br />
wie sie das Leben nach 1945 gemeistert haben.“ 710<br />
– „Sammelt, was ihr mit der europäischen Einigung verbindet.“ 711<br />
– „Sammelt und analysiert Meldungen in der Presse über aktuelle Entwicklungen<br />
in und um die EU.“ 712<br />
– „Beispiele für den Widerstreit zwischen nationalem Egoismus und Interessen<br />
der EU [...]“ 713<br />
Die problemorientierten Arbeitsaufgaben setzen entweder bei der Interpretation<br />
von Karikaturen an oder fordern den Schüler auf, aktuelle in der<br />
<strong>Europa</strong>politik vorherrschende Probleme aus eigener Sicht und mit Hilfe<br />
von Sachinformationen zu beurteilen.<br />
– „Was sagt die Karikatur über die Brüsseler Bürokraten aus?“ 714<br />
– „Soll es in einem Vereinten <strong>Europa</strong> keine Nationalstaaten mehr geben?<br />
Wie stehst du dazu?“ 715<br />
– „Überlegt euch, warum das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger<br />
707 „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 181<br />
708 „Heute RS GK 10“, S. 71<br />
709 „Politik RS GK 10“, S. 77<br />
710 „Damals HS GK 9“, S. 175<br />
711 „Anstöße RS GK 9/10“, S. 126<br />
712 ebd., S. 133<br />
713 „Politik RS GK 10“, S. 89<br />
714 „Damals HS GK 9“, S. 179<br />
715 ebd., S. 190<br />
229<br />
Die Arbeitsanweisungen
Die Arbeitsanweisungen<br />
eingeführt wurde (Text 3). Sollte dieses Wahlrecht auf alle in Baden-Württemberg<br />
lebenden Ausländer ausgedehnt werden?“ 716<br />
– „Jeder Staat soll soviel herausbekommen, wie er hineinzahlt. – Was<br />
meinst du dazu?“ 717<br />
– „Wenn ich <strong>Europa</strong>abgeordneter wäre, würde ich mich insbesondere<br />
für folgende drei „Dinge“ einsetzen [...]“ 718<br />
Wie schon <strong>im</strong> Fach Geschichte spielen die fächerübergreifenden und<br />
handlungsorientierten Arbeitsanweisungen in den Gemeinschaftskundebüchern<br />
eine untergeordnete Rolle, obwohl eine Lehrplanvorgabe besagt,<br />
dass „der Gemeinschaftskundeunterricht handlungsorientiert zu gestalten“<br />
719 ist. So wird der affektive Bereich und der Erfahrungsraum der<br />
Schüler zu oft ausgespart. Dies ist aber zur Findung des „eigenen Standorte[s]“<br />
720 wichtig und trägt zur Steigerung der „Urteils- und Handlungsfähigkeit“<br />
721 bei. Durchschnittlich kommen den fächerübergreifenden<br />
Arbeitsanweisungen 4% und den handlungsorientierten 2,8% in den<br />
Haupt- und Realschulbüchern zu.<br />
Folgende Beispiele zu dem Prinzip des fächerübergreifenden Arbeitens<br />
sollen zur Veranschaulichung dienen:<br />
– „Erkundung: <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Supermarkt: [...] Fertigt nach der Erkundung<br />
eine thematische Karte an:<br />
• Zeichnet eine möglichst große Karte von <strong>Europa</strong> aus dem Atlas ab<br />
– mit den Grenzen der Mitgliedstaaten.<br />
• Tragt in die Karte die Ergebnisse eurer Erkundung ein (mit Symbolen<br />
für Nahrungsmittel u. ä.).“ 722<br />
– „Wie viele Einwohner haben die Länder der Europäischen Union insgesamt?“<br />
723 (Einwohnerzahlen aus Text ersichtlich)<br />
Die handlungsorientierten Aufgaben sind oft umfangreich, was verstärkt<br />
dazu führen kann, dass diese nicht bearbeitet werden. Hier einige Beispiele:<br />
– „Ihr könntet in der Klasse einen „Europäischen Tag“ veranstalten.<br />
Bildet dazu elf Gruppen. Jede Gruppe berichtet über ein Land der Eu-<br />
716 „Anstöße RS GK 9/10“, S. 135<br />
717 „Heute RS GK 10“, S. 75<br />
718 „Politik RS GK 10‘“, S. 81<br />
719 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Realschule,<br />
1994, S. 21<br />
720 ebd.<br />
721 ebd.<br />
722 „Doppelpunkt HS GK 9“, S. 186<br />
723 „Politik RS GK 10“, S. 67<br />
230
opäischen Gemeinschaft. [...] Jede Gruppe könnte sich ein spezielles<br />
Rezept aus der Küche des Landes besorgen und es ausprobieren.<br />
[...]“ 724<br />
– „Gehe in einen Supermarkt und suche in den Regalen nach Erzeugnissen<br />
aus anderen EG-Staaten. Notiere sie und ordne sie zu Hause auf einer<br />
Liste nach Ländern.“ 725<br />
– „Sammelt Karikaturen zum Thema „<strong>Europa</strong>“ und macht dazu eine<br />
kleine Wandzeitung. Interpretiert und kommentiert dort die Karikaturen.“<br />
726<br />
Insgesamt bietet die Gemeinschaftskunde ebenso wie die Geschichte eine<br />
außerordentlich große Zahl an Wiederholungsmöglichkeiten zu den Themen<br />
der europäischen Einigung. Der Schwierigkeitsgrad und die Sprache<br />
können als altersgemäß eingestuft werden.<br />
Die Gemeinschaftskundebücher der Haupt- und Realschule setzen die<br />
verschiedenen Aufgabentypen jedoch nicht in einem ausgewogenen Verhältnis<br />
ein. Die starke Gewichtung der reinen Textwiederholung oder kognitiven<br />
Wissensaneignung kann sicherlich die Grundlage für ein europäisches<br />
Bewusstsein bilden, der weitergehende Schritt, die Schüler zu<br />
europäischem Handeln aufzufordern oder sich mit den gegenwärtigen<br />
Problemen auseinanderzusetzen, rückt in vielen Gemeinschaftskundebüchern<br />
in den Hintergrund.<br />
3.3 Exkurs:<br />
Das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
3.3.1 Zur Vorgeschichte eines europäischen<br />
Geschichtsbuches<br />
Mit den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz von 1978 und 1990<br />
zum Thema „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“ hat die „europäische D<strong>im</strong>ension“ in<br />
den Geschichtslehrplänen der Bundesländer Einzug gehalten und ist mit<br />
verpflichtenden Themen spätestens seit den frühen 90ern präsent. Dies<br />
724 „Damals HS GK 9“, S. 188<br />
725 ebd., S. 177<br />
726 „Anstöße RS GK 9/10“, S. 125<br />
Zur Vorgeschichte eines europäischen Geschichtsbuches<br />
231
Zur Vorgeschichte eines europäischen Geschichtsbuches<br />
müsste wie schon erörtert zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Geschichtslehrbücher<br />
haben. Dass dies bei näherem Hinsehen nicht <strong>im</strong>mer<br />
so ist, hat die bisherige Analyse gezeigt.<br />
Das Thema <strong>Europa</strong> wird allzu oft nur „in Einschüben abgehakt und dem<br />
Zentralthema der nationalen Geschichte als Garnierung hinzugefügt.“ 727<br />
Dies kann wie Herbert Michel schlussfolgert „nicht die Ausgangsbasis für<br />
die Bildung eines europäischen Geschichtsbewußtseins sein.“ 728<br />
So müsste die europäische D<strong>im</strong>ension als strukturelles Element in allen<br />
Geschichtsbüchern vorhanden sein. Dabei kann es sich nicht um eine<br />
massiv eurozentrische Darstellung handeln, sondern um das Sichtbar machen<br />
der europäischen D<strong>im</strong>ension in der regionalen und nationalen Geschichte.<br />
Themen könnten beispielsweise das Alltagsleben in Städten und auf<br />
dem Lande, das Christentum, das Rechtssystem, der Gedanke der Toleranz,<br />
die Entstehung einer modernen Verwaltung in den Staaten, aber<br />
auch der Nationalismus sein. Die Frage nach einem in diesem Sinne gestalteten<br />
europäischen Geschichtsbuch wird schon seit 1918 erörtert.<br />
Doch folgte dem bisher kein Ergebnis, war die Sorge um den Rückgang<br />
der nationalen Geschichte und die Angst, die Geschichte nur noch aus einem<br />
europäischen Blickwinkel zu sehen, zu groß.<br />
In den 30er Jahren gab es wohl die deutsch-französischen Historikergespräche,<br />
deren gemeinsame Erklärung von 1935 zur Behandlung der<br />
gemeinsamen Geschichte in den Schulbüchern in Deutschland jedoch<br />
wirkungslos blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das „Institut für<br />
Europäische Geschichte“ 1949 in Mainz in seiner Satzung dahingehend<br />
verpflichtet, ein europäisches Geschichtsbuch herzustellen, wozu es aber<br />
leider nie kam, da das Georg-Eckert-Institut in Braunschweig <strong>im</strong>mer stärker<br />
die internationale <strong>Schulbuch</strong>arbeit übernahm.<br />
Wie wichtig ein europäisches Geschichtsbuch letztendlich auch der<br />
Öffentlichkeit war, zeigt die Ausschreibung der „Gesellschaft für die<br />
Verleihung des internationalen Karlspreises der Stadt Aachen“ aus dem<br />
Jahr 1952 für solch ein Buch.<br />
Interessant gestalteten sich dabei die Kriterien, die an ein europäisches<br />
Geschichtsbuch gestellt wurden:<br />
– Die Einheit <strong>Europa</strong>s muss <strong>im</strong> politischen, wirtschaftlichen, religiösen<br />
727 Michel, Herbert, Europäische Geschichte als Chance oder ein Plädoyer für ein europäisches<br />
Geschichtsbuch, Zehn Thesen für ein europäisches Geschichtsbuch, in: Bundeszentrale für politische<br />
Bildung (Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, Bonn 1994, S. 41<br />
728 ebd.<br />
232
Die Intention des „Europäischen Geschichtsbuches“<br />
und kulturellen Bereich sichtbar gemacht werden.<br />
– Es darf keine historische Verengung auf das eigene Land stattfinden.<br />
– Es muss die Demokratie und der jeweilige Anteil der einzelnen Staaten<br />
daran in den Vordergrund gerückt werden.<br />
– Ein gesamteuropäisches Bewusstsein soll geschaffen werden. 729<br />
Nach Schüddekopf könnte sich ein wissenschaftlich und pädagogisch gutes<br />
europäisches Geschichtsbuch durchsetzen. „Wir sprechen ständig von<br />
der Überwindung des nationalstaatlichen Denkens in der Geschichtsschreibung,<br />
aber geschehen ist in dieser Richtung bisher noch viel zu wenig.“<br />
730 Gleichzeitig warnt Schüddekopf davor, „nationalstaatliche Geschichtsbilder<br />
durch einen europäischen Nationalismus [zu] ersetzen.“ 731<br />
Trotzdem wird nach Schüddekopf eine Europäisierung der Geschichtsbücher<br />
noch viel zu wenig beachtet. Dabei fordert er den Aufbau<br />
eines konzentrischen Geschichtsbildes: ausgehend von der He<strong>im</strong>at und<br />
der Nation über <strong>Europa</strong> hin zur westlichen Welt und der gesamten Erdgeschichte.<br />
Man braucht dazu allerdings „aufgeschlossene Erziehungsbehörden,<br />
gute Autoren, wirklich bis ins letzte durchdachte Lehrpläne, einen engen<br />
Kontakt zwischen Forschung und Lehre, und schließlich weitblickende<br />
und wagemutige Verleger.“ 732<br />
3.3.2 Die Intention des „Europäischen Geschichtsbuches“<br />
Das erste „Europäische Geschichtsbuch“ 733 erschien <strong>im</strong> Jahre 1992, konzipiert<br />
von zwölf europäischen Historikern. Der Verlag äußerte sich dazu<br />
folgendermaßen: „Dieses Buch hat keine Vorläufer [...] . Darstellungen<br />
der europäischen Geschichte gibt es viele und bedeutende. Eine europäische<br />
Darstellung der europäischen Geschichte aber ist etwas ganz anderes.<br />
Sie wurde verfaßt von 12 Historikern aus 12 verschiedenen europäischen<br />
Ländern. Nach einem Grundkonzept wurde jedes Kapitel von je einem<br />
anderen Autor verfaßt.“ 734<br />
729 s. Schüddekopf, Otto-Ernst, Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulgeschichtsbuchrevision<br />
1945-1965, 1966, S. 75<br />
730 ebd., S. 77<br />
731 ebd., S. 81<br />
732 ebd., S. 88<br />
733 Delouche, Frédéric, Europäisches Geschichtsbuch, Stuttgart 1992<br />
734 ebd., S. 3<br />
233
Die Intention des „Europäischen Geschichtsbuches“<br />
Bemerkenswerterweise sind die zwölf Historiker nicht den zwölf<br />
EG-Staaten zuzuordnen. Es fehlen die Belgier und Luxemburger, dafür<br />
arbeiteten zwei Franzosen und ein Tschechoslowake mit. Andere Vertreter<br />
aus Mittel- und Osteuropa fehlen noch. Bei der erweiterten Auflage<br />
aus dem Jahr 1997 befassten sich 14 Historiker aus 13 europäischen Staaten<br />
mit dem Konzept. Ein Pole und ein Belgier bereicherten die Arbeitsgruppe.<br />
Überraschend wird in der ersten Auflage der Untertitel „Geschichtliches<br />
Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I und II“ 735 hinzugefügt. Dieser<br />
fehlt wohlweislich in der erweiterten zweiten Auflage, denn an eine<br />
europaweite Zulassung durch die jeweiligen ministeriellen Gremien ist<br />
nicht zu denken. Dabei fehlt es an gleichen bildungspolitischen Vorgaben,<br />
einem Abnehmerkreis und wahrscheinlich auch einem Verlag, sich<br />
auf solch ein Unternehmen einzulassen. Selbst in der Bundesrepublik<br />
weichen die einzelnen Länder mit ihren bildungspolitischen Vorgaben<br />
zur europäischen Geschichte so stark voneinander ab, dass die Verlage<br />
unterschiedliche Länderausgaben für die Geschichtsbücher bereitstellen<br />
müssen.<br />
So heißt es gleich einschränkend: „Ein Geschichtsbuch für die Schule,<br />
wie andere Geschichtsbücher, ist es dennoch nicht. Es erfüllt nicht die engen<br />
Kriterien der Zulassungsfähigkeit. Aber man darf sicher behaupten,<br />
daß es dennoch, vielleicht sogar um so mehr, ein Schul-Buch ist, ein Prototyp<br />
für europäische Schulbücher, mit denen kommende Generationen<br />
lernen müssen, in erweiterten Perspektiven und über die gegenwärtig best<strong>im</strong>menden<br />
Horizonte hinaus zu denken und zu handeln.“ 736<br />
Erheblich weiter wird die Zielgruppe in der erweiterten Auflage best<strong>im</strong>mt.<br />
„Die Autoren haben versucht, ein Buch für jedermann zu schreiben,<br />
für Menschen, die am Entstehen und Gedeihen unseres <strong>Europa</strong>s interessiert<br />
sind.“ 737<br />
Welche Intention verfolgt nun das „Europäische Geschichtsbuch“?<br />
Georg Hansen bemerkt dazu: „Es handelt sich um den Versuch, die<br />
eine europäische Perspektive zu gewinnen, die allen Europäern gemeinsam<br />
ist.“ 738 Der Verlag sieht dies ebenso. „Das Ziel ist also komplemen-<br />
735 ebd., S. 1<br />
736 ebd. S. 3<br />
737 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch: Von den Anfängen bis heute, Stuttgart<br />
1998, S. 7<br />
738 Hansen, Georg, Europäisches Geschichtsbuch / Histoire de l’Europe, in: Bundeszentrale für<br />
politische Bildung (Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 56<br />
234
Kritische St<strong>im</strong>men zum „Europäischen Geschichtsbuch“<br />
tär: die Sache <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Kontext der je nationalen Geschichte und nationalen<br />
Wirklichkeit zu verstehen.“ 739<br />
Ein ganz anderer Aufforderungscharakter entspringt dem Vorwort der<br />
erweiterten Auflage. „Wir alle sollten, wenn auch <strong>im</strong> kleinen Rahmen,<br />
Historiker werden, um zu begreifen, warum das nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
begonnene europäische Haus so existentiell wichtig für die Zukunft<br />
<strong>Europa</strong>s ist. Der europäische Bürger wird den Ausbau dieses Hauses nur<br />
unterstützen, wenn er die Notwendigkeit dieser Erfahrung begreift.“ 740<br />
3.3.3 Kritische St<strong>im</strong>men zum „Europäischen<br />
Geschichtsbuch“<br />
Obwohl die erste Auflage des „Europäischen Geschichtsbuches“ voranschickt,<br />
dass „das ,Europäische Geschichtsbuch‘ [...] ein Versuch [ist]“ 741<br />
und die erweiterte Auflage die Schwierigkeit der Auswahl möglicher<br />
Themen für „die europäische Geschichte aus grauer Vorzeit bis zur Gegenwart<br />
auf 416 Seiten zu konzentrieren“ 742 sieht, ist es vor Kritik aus<br />
Kreisen der Historiker nicht gefeit.<br />
Ich möchte mich hier <strong>im</strong> Wesentlichen auf Georg Hansen und Winfried<br />
Schulze stützen, da sie gewichtige Kritikpunkte zur ersten Auflage<br />
vorbringen.<br />
Georg Hansen befürchtet, dass mit dem „Europäischen Geschichtsbuch“<br />
ein erster Ansatz für einen verbindlichen europäischen Kanon anstelle<br />
des nationalen vorzufinden sei. Die Aneignung verschiedener historischer<br />
Positionen würde verhindert werden, „wenn sie z. B. in der verbindlichen<br />
Sichtweise der europäischen Geschichte enden würde – verbindlich<br />
für Dänen wie für Griechen, für Korsen wie für Friesen.“ 743<br />
Eine eindeutig bejahende Antwort erwartet Hansen auf die folgende<br />
Frage: „Wird also vom Bildungswesen wieder einmal ein Beitrag zur<br />
Formierung, zur Herstellung von Massenloyalität, zur Stiftung von Gemeinsamkeiten<br />
erwartet – trotz einer anderen bildungspolitischen Pro-<br />
739 Delouche, Frédéric, Europäisches Geschichtsbuch, 1992, S. 3<br />
740 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 6<br />
741 Delouche, Frédéric, Europäisches Geschichtsbuch,1992, S. 3<br />
742 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 6<br />
743 Hansen, Georg, Die exekutierte Einheit. Vom Deutschen Reich zur Nation <strong>Europa</strong>, Frankfurt<br />
am Main 1991, S. 109<br />
235
Kritische St<strong>im</strong>men zum „Europäischen Geschichtsbuch“<br />
grammatik, aber angesichts zu erwartender Probleme der Sicherung von<br />
Massenloyalität <strong>im</strong> Zuge des weiteren Ausbaus der EG?“ 744<br />
Hansen sieht mit dem Einsatz des „Europäischen Geschichtsbuches“<br />
<strong>im</strong> Unterricht „die aufklärerischen Möglichkeiten einer Schule“ 745 als<br />
verspielt an, da er hier latent die Gefahr sieht, dass „die Schule [...] ihren<br />
Beitrag zur Formierung des ,guten Europäers‘ leisten“ 746 soll. Dem ist<br />
wohl entgegen zu halten, dass das „Europäische Geschichtsbuch“ weder<br />
für den Unterricht zugelassen ist, noch die bildungspolitischen Vorgaben<br />
sich gegen einen problemorientierten, mit verschiedenen historischen Positionen<br />
versehenen Geschichtsunterricht wenden.<br />
Die erweiterte Auflage greift die Kritik Hansens in ihrem Vorwort auf<br />
und versucht sie zu entkräftigen. „Das Europäische Geschichtsbuch versteht<br />
sich als Lesebuch [...], ohne daß hier <strong>Europa</strong> verherrlicht wird.“ 747<br />
Weiter heißt es: „ Es könnte nun gesagt werden, daß ein solches, eurozentrisches<br />
Werk die evidenten Nationalgeschichten <strong>im</strong> Bewußtsein und<br />
auch in der Realität obsolet werden ließe. Dieses ist nicht der Fall, die Sache<br />
<strong>Europa</strong>s steht ja <strong>im</strong> Zusammenhang jeweils nationaler Geschichte.“<br />
748<br />
Die hauptsächliche, mit zahlreichen Beispielen belegte Schwäche<br />
sieht Hansen jedoch in dem Konzept des „Europäischen Geschichtsbuches“.<br />
Der Leser geht sicherlich davon aus, dass die verschiedenen nationalen<br />
Ausgaben des „Europäischen Geschichtsbuches“ <strong>im</strong> textlichen Inhalt,<br />
dem Bild- und Kartenmaterial identisch sind. Ist dies bei den Karten<br />
und Illustrationen zu bejahen, so weist Hansen in den jeweiligen Übersetzungen<br />
doch so gravierende Mängel nach, dass er es nicht unter der Rubrik<br />
der zu vernachlässigenden, ungenauen Übersetzungen verbuchen<br />
kann, sondern von „Fehlern und Falschmeldungen oder unverständlichen<br />
Auslassungen“ 749 spricht. So wird dem preußischen Schulwesen <strong>im</strong> 18.<br />
Jahrhundert die Berücksichtigung des einzelnen Schülerinteresses zugesprochen<br />
oder der Begriff der „Völkerwanderung“ in der französischen<br />
Ausgabe mit „Grandes Invasions“ übersetzt. Es kann hier kein vollständiger<br />
Vergleich der verschiedenen nationalen Ausgaben des „Europäischen<br />
744 ebd., S. 111<br />
745 Hansen, Georg, Europäisches Geschichtsbuch, in: Bundeszentrale für politische Bildung<br />
(Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 60<br />
746 ebd., S. 60<br />
747 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 6<br />
748 ebd., S. 7<br />
749 Hansen, Georg, Europäisches Geschichtsbuch, in: Bundeszentrale für politische Bildung<br />
(Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 56<br />
236
Kritische St<strong>im</strong>men zum „Europäischen Geschichtsbuch“<br />
Geschichtsbuches“ erfolgen, vielmehr soll nur auf die existierende Problematik<br />
hingewiesen werden, die auch noch in der erweiterten Auflage<br />
nicht grundlegend beseitigt wurde. 750<br />
Winfried Schulze würdigt wohl den Versuch eines „Europäischen Geschichtsbuches“,<br />
setzt dann aber auch mit seiner Kritik an der Konzeption<br />
an.<br />
„Ihnen gelang bemerkenswerterweise nach knappen vier Jahren, was<br />
andernorts nach vieljährigen Bemühungen <strong>im</strong> Sande verlaufen war. [...]<br />
Um so eher wird man die Frage stellen müssen, was mit dem Unternehmen<br />
wirklich gewonnen wurde.“ 751 Deutlich weist Schulze darauf hin,<br />
dass dieses Geschichtsbuch wohl nicht die nationalen Schulbücher ablösen,<br />
bestenfalls als Rahmenorientierung oder Ergänzung dem Lehrer dienen<br />
wird.<br />
Hauptkritikpunkt ist nach Schulze die Gliederung des „Europäischen<br />
Geschichtsbuches“ nach dem chronologisch-exemplarischen Prinzip.<br />
Die großen Leitartikel seien der Übersicht wegen hier kurz aufgeführt:<br />
– Wesenszüge <strong>Europa</strong>s<br />
– Fragen an die europäische Geschichte<br />
– Von der Tundra zum Tempel (Ur- und Frühgeschichte – 4. Jahrhundert<br />
v. Chr.)<br />
– Das römische Weltreich (6. Jahrhundert v. Chr. – 5. Jahrhundert n.<br />
Chr.)<br />
– Das Byzantinische Reich und das Abendland (6. – 11. Jahrhundert)<br />
– Das christliche <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Mittelalter (11. – 13. Jahrhundert)<br />
– Krisenzeiten und Renaissance (14. – 15. Jahrhundert)<br />
– Begegnung mit der Welt (15. – 18. Jahrhundert)<br />
– Reformation und Absolutismus (16. und 17. Jahrhundert)<br />
– Die Aufklärung und die Ideen der Freiheit (1700 – 1815)<br />
– <strong>Europa</strong> auf dem Weg in die Moderne (Das 19. Jahrhundert)<br />
– Auf dem Weg zur Selbstzerstörung (1900 – 1945)<br />
– Von der Teilung zur Öffnung (1945 – 1985)<br />
– Unterwegs zu einem geeinten <strong>Europa</strong>? (1986 – 1997) 752<br />
750 s. Georg Hansen führt in seinem Aufsatz „Europäisches Geschichtsbuch / Histoire de<br />
l’Europe“ (in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 56 –<br />
60) zahlreiche diesbezügliche Beispiele mit Quellenangabe an.<br />
751 Schulze, Winfried, Von der „europäischen Geschichte“ zum „Europäischen Geschichtsbuch“,<br />
in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 61. Der ganze<br />
Aufsatz erschien auch in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 6 (1993), S. 402 –<br />
409<br />
752 s. Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 3–6<br />
237
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass alleine die einleitenden<br />
Strukturkapitel „Wesenszüge <strong>Europa</strong>s“ 753 und „Fragen an die europäische<br />
Geschichte“ 754 von der klassischen Stufen-Chronologie abweichen.<br />
Hier werden grundlegende europäische Themen wie z. B. die kulturelle<br />
Vielfalt, die geografische Definition <strong>Europa</strong>s, die sprachliche Vielfalt<br />
und der wirtschaftliche und soziale Zusammenschluss <strong>Europa</strong>s angesprochen.<br />
755<br />
Den „Fragen an die europäische Geschichte“ 756 möchte ich nicht den<br />
roten Faden absprechen, doch wird hier den Schülern der Sekundarstufe I<br />
ein enormes Wissen und vernetztes Denken abverlangt.<br />
3.3.4 Die europäische Einigung nach 1945 <strong>im</strong><br />
„Europäischen Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Die Verfasserin weist gleich zu Beginn dieser Analyse darauf hin, dass in<br />
dem „Europäischen Geschichtsbuch" vielfältige europäische und multiperspektivische<br />
Aspekte aufgezeigt werden, wie sie kaum in einem Geschichtsbuch<br />
der Sekundarstufe I vorzufinden sind. Dies muss bei dem<br />
Ergebnis der Analyse vom Leser beachtet werden. Hinzu kommt, dass es<br />
sich hier, wie schon erwähnt, zweifelsohne nicht um ein Schulgeschichtsbuch<br />
<strong>im</strong> herkömmlichen Sinne handelt und somit auch nicht die gleichen<br />
Kriterien wie bei den bisher analysierten Geschichtsbüchern übertragen<br />
werden können.<br />
Um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu gelangen, ist es allerdings<br />
sinnvoll einen Fragekatalog zu entwickeln, der zum einen das Konzept<br />
des „Europäischen Geschichtsbuches“ berücksichtigt und andererseits<br />
sich an den bisher verwendeten Analysekriterien orientiert.<br />
Sicherlich erübrigt sich nicht nur ein Vergleich mit dem Bildungsplan,<br />
da hier die Schulart nicht berücksichtigt wird, sondern auch die didaktisch-methodische<br />
Aufbereitung z. B. durch entsprechende Arbeitsvorschläge.<br />
Wohl lassen sich aber quantitative wie qualitative Untersuchungen<br />
über die entsprechenden Textpassagen zur europäischen Einigung nach<br />
753 ebd., S. 9<br />
754 ebd., S. 20<br />
755 s. ebd., S. 8–20<br />
756 ebd., S. 20<br />
238
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
1945 erheben. Dabei sei noch angemerkt, dass bei der Analyse lediglich<br />
die erweiterte Auflage von 1998 757 Berücksichtigung finden wird, da die<br />
Ersterscheinung von 1992 758 nur die Entwicklung bis zur Einheitlichen<br />
Europäischen Akte (1987) beachtet und bei den Schulbüchern auch <strong>im</strong>mer<br />
auf die neueste zugelassene Ausgabe zurückgegriffen wurde.<br />
Zudem stellt Schulze zu recht fest: „Es bleiben Fragen!“ 759<br />
Ob in einem einzigen räumlich begrenzten Geschichtsbuch wirklich<br />
allen Fragen zur europäischen Identität und Geschichte nachgegangen<br />
werden kann, wie es sich Schulze wünscht, bleibt wohl <strong>im</strong> Raum stehen.<br />
Festzuhalten bleibt, dass dieses „Europäische Geschichtsbuch“ nach<br />
Schulze keine völlig neue Konzeption vorzuweisen hat und für den Schüler<br />
die europäischen Gemeinsamkeiten nicht genügend herausgearbeitet<br />
werden. „Nirgends wird der Schüler hinreichend über das aufgeklärt, was<br />
denn als wirklich „europäisch“ <strong>im</strong> Unterschied zu den anderen Kulturkreisen<br />
zu bezeichnen ist. [...] All das, was <strong>Europa</strong> als historische Formation<br />
sui generis ausmacht, kommt nicht hinreichend zur Sprache.“ 760 .<br />
Positiv zu vermerken ist die graphische Aufbereitung des Buches mit<br />
gut ausgewählten und relativ ausführlich kommentierten Bildern und<br />
Quellenausschnitten, die von den „üblich verwendeten“ Bildern und<br />
Quellen in Geschichtsschulbüchern abweichen. Auch kartographisch<br />
wurde sehr sorgfältig gearbeitet.<br />
Lässt sich die bisher erwähnte Kritik nicht ganz von der Hand weisen,<br />
so möchte ich <strong>im</strong> Folgenden überprüfen, ob sich die europäische Einigung<br />
nach 1945 in der inhaltlichen Aufbereitung wesentlich von den in<br />
Baden-Württemberg zugelassenen Geschichts- und Gemeinschaftskundebüchern<br />
der Sekundarstufe I unterscheidet.<br />
Folgende Fragen gilt es nach entsprechender Analyse zu beantworten:<br />
1. Welchen quantitativen Raum misst das Buch der europäischen Einigung<br />
nach 1945 bei?<br />
2. Wie lassen sich die Inhalte quantitativ den Kategorien Autorentext,<br />
Bildmaterial und Quellen zuordnen?<br />
3. Welche Inhalte weist das Buch zur Thematik der europäischen Einigung<br />
nach 1945 auf?<br />
4. a) Welche Personen werden <strong>im</strong> Zusammenhang mit der europäischen<br />
757 s. Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch: Von den Anfängen bis heute, 1998<br />
758 s. Delouche, Frédéric, Europäisches Geschichtsbuch, 1992<br />
759 Schulze, Winfried, Von der „europäischen Geschichte“ zum „Europäischen Geschichtsbuch",<br />
in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg), Lernen für <strong>Europa</strong>, 1994, S. 62<br />
760 ebd., S. 64 – 65<br />
239
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Integration genannt?<br />
b) Sind die einzelnen Bildkategorien (Bilder, Schaubilder, Karten,<br />
Karikaturen) angemessen vorhanden?<br />
c) Welche Quellen weist das Buch zur europäischen Einigung auf?<br />
5. a) Sind die Inhalte sachlich richtig dargestellt?<br />
b) Wird das Gebot der Multiperspektive und Kontroverse beachtet?<br />
Zu 1. Welchen quantitativen Raum misst das Buch der<br />
europäischen Einigung nach 1945 bei?<br />
Zu Beginn der quantitativen Analyse ist darauf hinzuweisen, dass das<br />
„Europäische Geschichtsbuch“ sehr wohl differenziert auf entscheidende<br />
Entwicklungen der einzelnen Staaten in West-, Mittel- und Osteuropa<br />
eingeht. Diese multiperspektivische Sicht auf die Krisen und deren Lösungsversuche<br />
ist wichtig, steht aber bei dieser Untersuchung nicht zur<br />
Debatte. Auch be<strong>im</strong> „Europäischen Geschichtsbuch“ sollen nur die integrativen<br />
Elemente nach 1945 Berücksichtigung finden, d.h. hier wird der<br />
gleiche Maßstab wie bei den Schulbüchern angelegt.<br />
Da <strong>im</strong> „Europäischen Geschichtsbuch“ kein zusammenhängendes<br />
Kapitel zur europäischen Integration vorhanden ist, müssen die Inhalte<br />
aus den zwei letzten Buchabschnitten „Von der Teilung zur Öffnung“ 761<br />
und „Unterwegs zu einem geeinten <strong>Europa</strong>?“ 762 herausgefiltert werden.<br />
Dabei gelangt man zu folgendem Ergebnis: 14 Seiten widmen sich der<br />
europäischen Einigung nach 1945. Setzt man diese zum Gesamttext des<br />
Buches (ohne Einleitung und Anhang) in Relation, so erhält man einen<br />
Prozentanteil von 3,5%. 763 Es befassen sich also 3,5% des „Europäischen<br />
Geschichtsbuches“ mit der europäischen Einigung. Dies erscheint <strong>im</strong><br />
Vergleich zu den Schulbüchern erschreckend wenig zu sein, doch muss<br />
man beachten, dass dieses Geschichtsbuch inhaltlich von den Anfängen<br />
bis heute konzipiert ist und nicht nur weitgehend das 20. Jahrhundert berücksichtigt<br />
wie alle anderen Schulbücher dieser Untersuchung.<br />
Setzt man den Teil der europäischen Integration nur in Relation zur<br />
Geschichte des 20. Jahrhunderts 764 , so befassen sich 14,4% des „Europäi-<br />
761 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 351<br />
762 ebd., S. 383<br />
763 Würden die Einleitung und der Anhang ebenfalls <strong>im</strong> Hinblick auf die europäische Einigung<br />
untersucht und würde somit das ganze Buch berücksichtigt werden, so ist das Ergebnis in diesem<br />
Fall annähernd gleichlautend. Es wären 14,2 von 416 Seiten, was einem prozentualen Anteil<br />
von 3,4 Prozent entspräche.<br />
764 Es befassen sich 14 von 97 Seiten mit der europäischen Einigung <strong>im</strong> 20. Jahrhundert.<br />
240
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
schen Geschichtsbuches“ mit der europäischen Einigung nach 1945. Diese<br />
Zahl macht sicherlich noch keine Aussage bezüglich der Inhalte und<br />
der didaktisch-methodischen Aufarbeitung, ist aber <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />
Schulbüchern der Sekundarstufe beachtlich hoch.<br />
Graphisch lassen sich die unterschiedlichen Prozentsätze aufgrund<br />
des Heranziehens von verschiedenen Grundwerten folgendermaßen darstellen:<br />
Anteil der Geschichte der europäischen Integration nach 1945:<br />
a) an der Geschichte von den Anfängen bis heute: 3,5%<br />
Prozent<br />
100%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
Europäisches Geschichtsbuch<br />
allgemeine G. europ. G. 1945ff.<br />
b) an der Geschichte des 20. Jahrhunderts: 14,4%<br />
Prozent<br />
100%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
0%<br />
Europäisches Geschichtsbuch<br />
G. 20. Jh. europ. G. 1945ff.<br />
Zu 2. Wie lassen sich die Inhalte quantitativ den Kategorien<br />
Autorentext, Bildmaterial und Quellen zuordnen?<br />
Die quantitative Ermittlung der räumlichen Anteile des Autorentextes<br />
und des Bild- und Quellenmaterials an der europäischen Einigung lassen<br />
sich aufgrund der klaren Buchstruktur eindeutig ermitteln.<br />
Auf jeder Doppelseite befindet sich ein zweispaltiger Autorentext mit<br />
vier Bildern oder Quellen versehen.<br />
241
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Bezogen auf die europäische Einigung nach 1945 (14 Seiten) lassen<br />
sich folgende Ergebnisse rekonstruieren:<br />
Autorentext (52,6%)<br />
Europäisches Geschichtsbuch<br />
Damit dominiert der Autorentext eindeutig mit 52,6% vor dem Bildmaterial<br />
mit 37,0%. Hier unterscheidet sich das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
nicht wesentlich von den Schulbüchern der Sekundarstufe I.<br />
Überraschenderweise beläuft sich der Anteil der Quellen an der Geschichte<br />
der europäischen Integration nach 1945 nur auf 10,4%, obwohl<br />
dieses Geschichtswerk gerne in jedem Leser einen kleinen Historiker erziehen<br />
möchte. 765 Das Quellenstudium als ureigenste Arbeit eines Historikers<br />
kommt hier jedoch zu kurz, zumal der angebotene Autorentext<br />
auch ohne die Quellen einen lückenlosen historischen Gesamtüberblick<br />
liefert.<br />
Zu 3. Welche Inhalte weist das Buch zur Thematik der<br />
europäischen Einigung nach 1945 auf?<br />
Inhaltlich greift das „Europäische Geschichtsbuch“ folgende Themen<br />
auf, wobei nochmals darauf hingewiesen wird, dass diese räumlich <strong>im</strong><br />
Geschichtsbuch zerstreut sind und es dem Leser sicherlich Mühe bereitet,<br />
sich eine schnelle Übersicht über die europäische Einigung nach 1945 anzueignen.<br />
Hier die Themen <strong>im</strong> Einzelnen:<br />
– Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG)<br />
und die Gründung der Westeuropäischen Union (WEU)<br />
– Der Marshallplan und die daraus folgende Organisation für die europäische<br />
Wirtschaftsentwicklung (OEEC)<br />
– Die europäische Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
242<br />
Quellen (10,4%)<br />
Bildmaterial (37,0%)<br />
765 s. Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 6
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
– Der <strong>Europa</strong>rat<br />
– Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)<br />
– Die Gründung der EWG<br />
– Die EFTA<br />
– Die französische <strong>Europa</strong>politik unter de Gaulle<br />
– Arbeitslosigkeit in den Ländern der EG<br />
– Die Erweiterung der EG auf zwölf Mitgliedstaaten<br />
– Gemeinsame Politikbereiche der EG: Forschung, Agrarpolitik, Währungspolitik,<br />
Wirtschaftspolitik, Entwicklungspolitik (Lomé-Abkommen),<br />
Bildungspolitik<br />
– Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE)<br />
– Die Idee eines vereinten <strong>Europa</strong>s<br />
– Die Einheitliche Europäische Akte (EEA)<br />
– Die Einbeziehung Mittel- und Osteuropas in ein gemeinsames europäisches<br />
Haus<br />
– Der Vertrag von Maastricht: Seine Inhalte und die Befürchtungen einzelner<br />
Mitgliedsstaaten<br />
– Die Erweiterung der EU auf 15 Mitgliedstaaten<br />
– Die Erweiterung der EU um Mittel- und Osteuropa<br />
– Die Frage nach einer föderativen Struktur der EU<br />
– Die Institutionen der EU<br />
Diese Fülle europäischer Themen, auf nur 14 Seiten dargestellt, bringt<br />
natürlich oftmals nur eine knappe Darstellung des einzelnen Sachverhalts<br />
mit sich. Es soll hier auf eine prozentuale Darstellung der einzelnen Themen<br />
an der europäischen Einigung verzichtet werden, da es sich um kein<br />
<strong>Schulbuch</strong> handelt und eine echte Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. Es<br />
sei nochmals betont, dass hier lediglich mit einigen Kriterien die Grundzüge<br />
des „Europäischen Geschichtsbuches“ herausgearbeitet werden sollen,<br />
um festzustellen, ob das „Europäische Geschichtsbuch“ einen gravierenden<br />
Unterschied zu den Schulbüchern der Sekundarstufe I darstellt.<br />
Grobe inhaltliche Differenzen lassen sich jedoch bei folgenden<br />
Themen feststellen, die weitgehend oder völlig in den Geschichtsbüchern<br />
der Sekundarstufe I ausgespart werden:<br />
– die Organisation für die europäische Wirtschaftsentwicklung (OEEC)<br />
– die französische <strong>Europa</strong>politik unter de Gaulle<br />
Hier wird in den Schulbüchern vielmehr die deutsch-französische<br />
Freundschaft unter Konrad Adenauer und Charles de Gaulle hervorgehoben;<br />
das Konzept des „<strong>Europa</strong> der Vaterländer“, die Rolle Frank-<br />
243
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
reichs zum Beitrittsgesuch Großbritanniens oder gar die „Politik des<br />
leeren Stuhls“ (1965) bleiben weitgehend unerwähnt.<br />
– die Arbeitslosigkeit in den Ländern der EG<br />
– gemeinsame Politikbereiche der EG<br />
Hiervon sind in erster Linie die Entwicklungspolitik und die Bildungspolitik<br />
zu nennen. Die Forschung, aber vor allem die Bereiche<br />
der Agrar-, Wirtschafts- und Währungspolitik, werden in den Schulbüchern<br />
der Gemeinschaftskunde (s. Hauptschule) <strong>im</strong> Vergleich zum<br />
„Europäischen Geschichtsbuch“ noch ausführlicher behandelt.<br />
– Die Idee eines vereinten <strong>Europa</strong><br />
Das „Europäische Geschichtsbuch“ führt konsequent die <strong>Europa</strong>pläne<br />
der 20er Jahre unter Briand und Stresemann fort und stellt sich als Befürworter<br />
der Vereinigungsidee heraus, wobei die Schulbücher in ihrer<br />
Darstellung weitgehend neutraler sind.<br />
– Die Einheitliche Europäische Akte (EEA)<br />
Das Thema ist unter dem Stichwort „Binnenmarkt“ in den Schulbüchern<br />
zu finden.<br />
– Die Einbeziehung Mittel- und Osteuropas in ein gemeinsames europäisches<br />
Haus<br />
Schulbücher neueren Erscheinungsdatums berücksichtigen diese<br />
Thematik sehr wohl, koppeln sie aber gleich an die Frage der Erweiterung<br />
der EU um Mittel- und Osteuropa.<br />
– Die Frage nach einer föderativen Struktur der EU<br />
Ein solches Plädoyer für den Föderalismus, angereichert mit zahlreichen<br />
regionalen Beispielen, findet man in den Schulbüchern nicht, lediglich<br />
der „Ausschuss der Regionen“ wird hier vereinzelt genannt,<br />
oftmals ohne ihn in den Gesamtzusammenhang einzubetten.<br />
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
mehr Aspekte zur europäischen Integration als die Schulbücher berücksichtigt.<br />
Mit dem Umbruch in Mittel- und Osteuropa spricht sich das „Europäische<br />
Geschichtsbuch“ auch für eine verstärkte Einigung aller europäischen<br />
Staaten aus.<br />
Zu 4 a) Welche Personen werden <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />
europäischen Einigung genannt?<br />
Gerade die Frequenzanalyse von den genannten Personen weist die<br />
Schwierigkeit auf, dass sie das Bild des „Europäischen Geschichtsbuches“<br />
verfälscht, denn es werden hier nur die Personen berücksichtigt, die<br />
244
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
auch <strong>im</strong> inhaltlichen Zusammenhang mit der europäischen Einigung genannt<br />
werden. Darüber hinaus berücksichtigt das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
eine Vielzahl von Politikern und Menschen, die sich auch<br />
für die europäische Integration eingesetzt haben oder aber Gegner dieser<br />
waren. Es wäre aber dem Prinzip der Zufälligkeit nahe, diese je nach Einzelfallentscheidung<br />
aus den übrigen Textpassagen über die Geschichte<br />
nach 1945 herauszufiltern.<br />
Folgende Personen werden also <strong>im</strong> Zusammenhang mit der europäischen<br />
Einigung genannt:<br />
Frankreich (8/22) 766 :<br />
Bundesrepublik Deutschland (4/6):<br />
Großbritannien (3/6):<br />
Italien (3/4):<br />
Spanien (2/3):<br />
Belgien (2/3):<br />
Jean Monnet (4x) 767<br />
Léon Blum (1x)<br />
Robert Schuman (6x)<br />
Charles de Gaulle (6x)<br />
Valéry Giscard d’Estaing (1x)<br />
Jacques Delors (2x)<br />
François Mitterrand (1x)<br />
Philippe Séguin (1x)<br />
Konrad Adenauer (2x)<br />
Helmut Schmidt (1x)<br />
Willy Brandt (1x)<br />
Helmut Kohl (2x)<br />
Winston Churchill (4x)<br />
Harold MacMillan (1x)<br />
Margaret Thatcher (1x)<br />
Alcide de Gasperi (1x)<br />
Altiero Spinelli (1x)<br />
Umberto Bossi (2x)<br />
General Franco (2x)<br />
Juan Carlos (1x)<br />
Paul Henri Spaak (2x)<br />
Leo Tindemans (1x)<br />
USA (2/4):<br />
George Marshall (2x)<br />
Dean Acheson (2x)<br />
UdSSR (1/1): Leonid Breschnew (1x)<br />
766 Die erste Zahl gibt die Anzahl der genannten Personen eines Landes an, die zweite Zahl berücksichtigt<br />
deren Mehrfachnennungen.<br />
767 Diese Zahl gibt die Anzahl der Nennungen wieder.<br />
245
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Aus der Auflistung der Personen wird ersichtlich, dass das „Europäische<br />
Geschichtsbuch“ mit 25 Personennennungen die Darstellung der europäischen<br />
Einigung eng an die politischen Vorstellungen einzelner Politiker<br />
koppelt. Würden die Mehrfachnennungen Berücksichtigung finden,<br />
so steigt die Anzahl der genannten Personen auf 54 an.<br />
Bei der Textanalyse wird deutlich, dass <strong>im</strong> Vergleich zu den Schulbüchern<br />
die Personen nicht nur genannt, sondern auch mit ihren politischen<br />
Programmen in Verbindung gebracht werden. Auffallend ist jedoch die<br />
weitgehende Beschränkung auf Personen aus den EU-Mitgliedsstaaten<br />
(Ausnahmen: USA, UdSSR), da der Umbruch in Mittel- und Osteuropa<br />
in anderen Kapiteln und jeweils aus nationaler Sichtweise dargestellt ist.<br />
Zwar berücksichtigt das „Europäische Geschichtsbuch“ eine Vielzahl an<br />
Personen aus unterschiedlichen Ländern, was die multiperspektivische<br />
Sicht fördert, bei näherer Betrachtung ist aber auch hier wie bei den<br />
Schulbüchern eine Dominanz von französischen, deutschen und britischen<br />
Persönlichkeiten auszumachen.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in dem „Europäischen<br />
Geschichtsbuch“ erwartungsgemäß nicht nur mehr Personen, sondern<br />
mit de Gasperi, Monnet, Schuman, Spinelli, Spaak oder Delors auch Europäer<br />
genannt werden, welche die europäische Integration entscheidend<br />
mitgeformt haben.<br />
Zu 4 b) Sind die einzelnen Bildkategorien (Bilder, Schaubilder,<br />
Karten, Karikaturen) angemessen vorhanden?<br />
Insgesamt weist das „Europäische Geschichtsbuch“ 25 Bilder auf. Verteilt<br />
auf die einzelnen Bildkategorien ergibt sich folgende Zusammensetzung:<br />
– 13 Bilder<br />
– 4 Schaubilder<br />
– 5 Karten<br />
– 3 Karikaturen<br />
Damit ist ein angemessener Bildeinsatz vorhanden, der auch eine ausgeglichene<br />
Verteilung auf die einzelnen Bildkategorien berücksichtigt, wobei<br />
die Bilder <strong>im</strong> engeren Sinne dominieren.<br />
Zwar können die Bilder nicht aus bildungsplan-technischer Perspektive<br />
betrachtet werden, doch ist <strong>im</strong> Vergleich zu den Schulbüchern auch<br />
hier (vgl. Anzahl der Personen) eine weitaus größere multiperspektivische<br />
Sicht vorhanden. Dies drückt sich nicht nur in den dargestellten Per-<br />
246
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
sonen, sondern auch in den „Entstehungsländern“ aus. So sind beispielsweise<br />
Karikaturen aus den Vereinigten Staaten, den Niederlanden und<br />
Frankreich abgebildet oder ein schwedisches Werbeplakat für den Marshallplan<br />
aus dem Jahr 1947. Das stellt ein Novum dar, was sicherlich absolut<br />
die „Bereitschaft zur gegenseitigen Verständigung“ 768 und die<br />
„Achtung fremder Kulturen“ 769 fördert. Inhaltlich beschränken sich die<br />
Bilder auf Themen aus der europäischen Einigung wie z. B. den Plenarsaal<br />
des Europäischen Parlaments, die Unterzeichnung der Römischen<br />
Verträge oder den Vertrag von Maastricht, das „Nein“ der Dänen zum<br />
Maastrichter Vertrag oder eine Karikatur über den Schuman-Plan. Zudem<br />
ist eine Aktualität in der erweiterten Auflage bezüglich des Kartenmaterials<br />
vorhanden, ebenso findet der Aspekt „der handelnden Personen“<br />
770 bei den Bildern Beachtung.<br />
Kontroverse Themen werden nicht nur <strong>im</strong> Text , sondern auch in den<br />
Bildern thematisiert, wie z. B. die Inflation und Arbeitslosigkeit in der<br />
EG, der Beitritt Großbritanniens (Karikatur: Großbritannien kommt nicht<br />
allein!), der „Euro“ und das „Nein“ der Dänen zum Maastrichter Vertrag.<br />
Die Schaubilder und Karikaturen bedürfen be<strong>im</strong> eventuellen Einsatz<br />
<strong>im</strong> Unterricht je nach Schulart und Klassenstufe noch eine didaktisch-methodische<br />
Aufarbeitung.<br />
Zu 4 c) Welche Quellen weist das Buch zur europäischen<br />
Einigung auf?<br />
Wie schon festgestellt beläuft sich der Quellenanteil der Geschichte der<br />
europäischen Einigung auf nur 10,5 Prozent. Mit nur 9 Quellen weist das<br />
„Europäische Geschichtsbuch“ auch <strong>im</strong> Vergleich zu den Schulbüchern<br />
eine relativ geringe Anzahl auf. Da das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
wie schon mehrfach betont ein Lesebuch bzw. historisches Sachbuch ist<br />
und somit keine Arbeitsaufträge zur Analyse der Quellen beinhaltet, ist<br />
ein direkter Vergleich kaum durchführbar. Der Vollständigkeit halber<br />
sind hier die einzelnen Quellen nach Ländern und Autoren gegliedert:<br />
768 Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Bildungsplan für die Hauptschule,<br />
1994, S. 21<br />
769 ebd.<br />
770 ebd., S. 20<br />
247
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Frankreich (2) 771 :<br />
Großbritannien (1):<br />
Italien (1):<br />
USA (1):<br />
EWG / EU (2):<br />
KSZE (2):<br />
Jacques Delors: Über das Prinzip der Subsidiarität<br />
(17. Okt. 1981)<br />
Philippe Séguin: Kritik am Vertrag von Maastricht<br />
(05. Mai 1992)<br />
Winston Churchill: Auszüge aus der Züricher<br />
Rede (19. Sept. 1946)<br />
Umberto Bossi: Der europäische Föderalismus<br />
und der italienische Regionalismus (1993)<br />
Dean Acheson: Über den Schuman-Plan (Mai<br />
1950)<br />
Auszüge aus den Römischen Verträgen (1957)<br />
Auszüge aus dem Vertrag von Maastricht<br />
(05. Mai 1992)<br />
Auszüge aus der Schlussakte von Helsinki<br />
(1. Aug. 1975)<br />
Neue Institutionen (o.J.)<br />
Werden die Anfänge der europäischen Einigung mit Winston Churchill<br />
und Robert Schuman betont, so ist positiv zu vermerken, dass mit<br />
den Auszügen aus den Römischen Verträgen (hier: Ziele und Aufgaben<br />
der EWG) und dem Vertrag von Masstricht (hier: Wirtschafts- und Währungsunion,<br />
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) entscheidende<br />
Grundlagen der europäischen Integration wiedergegeben werden. Mit der<br />
KSZE-Schlussakte wird der Bogen zu den mittel- und osteuropäischen<br />
Staaten geschlagen.<br />
Kontrovers ist die Auswahl der St<strong>im</strong>men für eine weitergehende Ausgestaltung<br />
der europäischen Einigung (Jacques Delors) und einer Umgestaltung<br />
bzw. kritischen Haltung gegenüber dieser (Umberto Bossi, Philippe<br />
Séguin). Wie schon bei den genannten Personen beschränkt sich die<br />
multiperspektivische Sicht nur auf Westeuropa. Neben den Vertragstexten<br />
manifestiert die Quellenverteilung auf Frankreich, Großbritannien und Italien<br />
in einem „Europäischen Geschichtsbuch“ nicht gerade die Multiperspektive.<br />
Die kleinen Mitgliedsstaaten der EU kommen eindeutig zu kurz.<br />
Zu 5 a) Sind die Inhalte sachlich richtig dargestellt?<br />
Bei der Frage der sachlichen Richtigkeit ist nach den neuesten fachwissenschaftlichen<br />
Ergebnissen zu urteilen. Es sei gleich zu Beginn die An-<br />
771 Diese Zahl gibt die Anzahl der Quellen pro Land an.<br />
248
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
merkung gestattet, dass das „Europäische Geschichtsbuch“ keine rein<br />
sachlichen Fehler aufzuweisen hat. Hervorzuheben ist auch die Aktualität<br />
und die Korrektheit der Schaubilder und des verwendeten Kartenmaterials,<br />
was gerade bei den Schulbüchern häufig Anlass zur Kritik war.<br />
Otto-Ernst Schüddekopf stellte mit Recht die „verbal nuances“, 772 die<br />
„omissions“ 773 und „les mots malheureux“ 774 als die größte Problematik<br />
bei der <strong>Schulbuch</strong>revision heraus. Auf die Untersuchung der unglücklichen<br />
Ausdrücke („lets mots malheureux“) kann <strong>im</strong> Sinn von Schüddekopf<br />
verzichtet werden. Interessant erscheinen mir aber <strong>im</strong> „Europäischen<br />
Geschichtsbuch“ die Formulierungen („verbal nuances“) und die<br />
Auslassungen („omissions“) zu sein. Schüddekopf äußert sich dazu folgendermaßen:<br />
„Denn das ernsteste Problem bei der Begutachtung von Schulbüchern<br />
sind nicht die tatsächlichen oder leicht nachweisbaren Ungenauigkeiten,<br />
sondern die besonderen Formulierungen (verbal nuances), die Urteile<br />
enthalten, ,which reveal a feeling‘.“ 775 Auslassungen sind für Schüddekopf<br />
ein ernstes Problem, „weil hier bei der Beurteilung historische und<br />
pädagogische Elemente grundsätzlich aufeinanderprallen und beide gewichtige<br />
Argumente für sich in Anspruch nehmen können.“ 776<br />
Hier handelt es sich nicht um ein <strong>Schulbuch</strong>, sodass Aspekte wie die<br />
Stofffülle oder unabdingbare Inhalte für die Schüler nicht gerade <strong>im</strong> Vordergrund<br />
stehen. Wohl hat aber jedes Sachbuch die Tendenz, Dinge aufzunehmen,<br />
die die Autoren mögen – umgekehrt natürlich auch!<br />
Das „Europäische Geschichtsbuch“ weist sicherlich einige „verbal<br />
nuances“ auf, die oftmals nur <strong>im</strong> Raum als gewisse Wertung stehen und<br />
be<strong>im</strong> Schüler falsche oder einseitige Vorstellungen wecken könnten.<br />
Über die Westeuropäische Union (WEU) erfolgt eine negative Wertung,<br />
ohne sie zu begründen. „Am 23. Oktober 1954 erblickte die Westeuropäische<br />
Union (WEU) das Licht der Welt [...]. Tatsächlich aber erwies<br />
sich die WEU als leeres Gebilde.“ 777<br />
Ein besonderes Augenmerk schenkt das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
dem britischen Verhalten gegenüber den Integrationsbemühungen<br />
772 s. Schüddekopf, Otto-Ernst, Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulgeschichtsbuchrevision<br />
1945 – 1965, 1966, S. 34<br />
773 ebd.<br />
774 ebd.<br />
775 ebd.<br />
776 ebd., S. 34<br />
777 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 356<br />
249
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
auf dem Kontinent. Die Ablehnung Großbritanniens gegenüber der<br />
EGKS und der EWG wird richtigerweise mit dem Prinzip der Supranationalität<br />
begründet. Trotzdem scheinen mir folgende Aussagen die europäische<br />
Integration einseitig zu bevorzugen:<br />
„Die englische Labour Party stellte sich hinter die Torys und kehrte<br />
<strong>Europa</strong> ebenfalls dauerhaft den Rücken.“ 778 (Großbritannien stellte aber<br />
schon 1962 seinen ersten Antrag zur Aufnahme in die EWG.)<br />
Die Gründung der EWG wird in der Überschrift als „schwierige Geburt“<br />
779 bezeichnet, ohne dass der Leser jemals über die Schwierigkeiten<br />
aufgeklärt wird.<br />
Weiter heißt es: „Auch hier verweigerte sich Großbritannien der europäischen<br />
Integration [...], so daß sich die Briten mit einer „europäischen<br />
Freihandelszone“ (EFTA) begnügen mußten.“ 780 Die EWG wird <strong>im</strong> Gegenzug<br />
wesentlich positiver beurteilt: „Die Konkurrenz der EFTA<br />
schränkte die tatsächliche Bedeutung des Gemeinsamen Marktes [...]<br />
nicht ein.“ 781<br />
Es ist sicherlich fachwissenschaftlich nicht falsch, den Fouchet-Plan<br />
<strong>im</strong> Jahr 1961 mit dem Konzept des „<strong>Europa</strong> der Vaterländer“ zu verbinden,<br />
doch sollte gerade an dieser Stelle der größte Befürworter, de Gaulle,<br />
genannt werden.<br />
Das „Sträuben Frankreichs in der ersten Hälfte der 60er Jahre“ 782 wird<br />
zwar als „schwere Hypothek“ 783 bezeichnet, aber mit der Politik des „leeren<br />
Stuhls“ und dem Luxemburger Kompromiss von 1966 begründet.<br />
Eine durchgängig zu beobachtende Auslassung betrifft die Aufnahmebedingungen<br />
der EG. Bei der Erweiterung um Großbritannien, Dänemark<br />
und Irland ist diese Nichtnennung aufgrund der demokratischen<br />
Verhältnisse in diesen Staaten noch verständlich, aber mit der Erweiterung<br />
um Griechenland, Spanien, Portugal oder der in diesem Buch schon<br />
thematisierten Osterweiterung halte ich eine vertragliche Begründung für<br />
unabdingbar. Nach Artikel 6 des EU-Vertrages müssen die Grundsätze<br />
der Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />
sowie die Rechtsstaatlichkeit beachtet werden. 784 Die Übernahme<br />
778 ebd., S. 364<br />
779 ebd., S. 365<br />
780 ebd.<br />
781 ebd.<br />
782 ebd., S. 366<br />
783 ebd.<br />
784 s. Läufer, Thomas, Vertrag von Amsterdam, 1998, S. 22<br />
250
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
und Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes (acquis communitaire)<br />
sowie eine funktionierende freie Marktwirtschaft sind ferner Gegenstand<br />
der Überprüfung durch die Europäische Kommission. Die Kommentierung<br />
über die Senkung der britischen Beitragszahlungen Mitte der<br />
80er Jahre erweckt be<strong>im</strong> Leser den Eindruck, dass die EG ein „Krisenclub“<br />
sein muss. „Dies stürzte die EG wiederum in eine schwere Krise,<br />
brachte England aber einen finanziellen Ausgleich.“ 785<br />
Leider werden mit dem In-Kraft-Treten der Einheitlichen Europäischen<br />
Akte (EEA) am 1. Januar 1986 nicht die zusätzlichen Rechte des<br />
Europäischen Parlaments <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren erwähnt (Verfahren<br />
der Zusammenarbeit). So muss es den Leser verwundern, wenn er einige<br />
Seiten später erfährt, dass <strong>im</strong> Zusammenhang mit der EEA „das europäische<br />
Parlament und der Ministerrat der Mitgliedstaaten die Legislative<br />
gemeinsam“ 786 wahrnehmen. Diese zu allgemein gehaltene Aussage<br />
erweckt den Eindruck der paritätischen Mitbest<strong>im</strong>mung beider Organe,<br />
was aber erst <strong>im</strong> Verfahren der Mitbest<strong>im</strong>mung mit dem Vertrag von<br />
Maastricht kam. Die aufgeführten Gründe zur Errichtung eines westeuropäischen<br />
Hauses, einen Pol des Wohlstands und der Demokratie zu schaffen,<br />
erscheinen halbherzig, jedoch befürwortet das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
die Erweiterung der EU um Mittel- und Osteuropa.<br />
Die Bedeutung des Maastrichter Vertrages weitgehend auf die einheitliche<br />
europäische Währung zu reduzieren erscheint gerade für ein „Europäisches<br />
Geschichtsbuch“ inhaltlich sehr begrenzt zu sein, zumal dieser Vertrag<br />
einen großen Schritt auf dem Weg zur Integration der EU darstellt.<br />
Inhaltlich rundet das „Europäische Geschichtsbuch“ die Erweiterung<br />
der EU <strong>im</strong> Jahre 1995 um Schweden, Finnland und Österreich sowie den<br />
Gedanken der Erweiterung um Mittel- und Osteuropa ab.<br />
Zusammenfassend befürwortet das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
die europäische Integration auf der Basis des Föderalismus und lehnt somit<br />
ganz klar den Nationalstaat als nicht mehr zeitgemäße Staatsform ab.<br />
Betonung findet gleichzeitig <strong>im</strong>mer wieder die Übertragung der Souveränität<br />
auf die EU, womit dem Leser das wesentlich Neue an der europäischen<br />
Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt wird. Es fällt<br />
dem Leser aber oft schwer, vom Buch gestellte Fragen wie z. B. „Unterwegs<br />
zu einem geeinten <strong>Europa</strong>?“ 787 zu beantworten.<br />
785 Delouche, Frédéric, Das Europäische Geschichtsbuch, 1998, S. 376<br />
786 ebd., S. 385<br />
787 ebd., S. 383<br />
251
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Zu 5 b) Wird das Gebot der Multiperspektive und Kontroverse<br />
beachtet?<br />
Das Gebot der Multiperspektive wird wie schon aufgezeigt bei der Nennung<br />
der Personen und der Bildauswahl hinreichend berücksichtigt.<br />
Bei dem Quellenmaterial und dem Autorentext konzentriert sich das<br />
Buch oft auf die französische, britische oder deutsche Position. Gerade<br />
die kleinen Mitgliedsstaaten oder aber auch die Staaten, die erst durch<br />
eine Erweiterung später Mitglied der EU wurden, sind in ihren vielfältigen<br />
Denkweisen nicht genügend berücksichtigt bzw. werden es nur <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit ihrer jeweils nationalen Geschichte.<br />
Zusammenfassend lässt sich dem „Europäischen Geschichtsbuch“ <strong>im</strong><br />
Vergleich zu den Schulbüchern eine multiperspektivische Sichtweise bescheinigen,<br />
jedoch nicht eine europäische!<br />
Das Gebot der Kontroverse wird nicht nur durch die Bild- und Quellenauswahl,<br />
sondern gerade auch durch den Autorentext unterstützt.<br />
Die zahlreichen Probleme und Krisen der Europäischen Gemeinschaft<br />
werden be<strong>im</strong> Namen genannt so auch die Befürchtungen und Hoffnungen<br />
bezüglich der Einheitlichen Europäischen Akte sowie dem Vertrag von<br />
Maastricht.<br />
Das Buch weist den Mut auf, Studien über Anpassungsprobleme des<br />
gemeinsamen Binnenmarktes und die Referenden über den Vertrag von<br />
Maastricht in Dänemark (1992) und Frankreich (1992) zu nennen.<br />
Doch muss es sich dem Vorwurf – trotz dieser kontroversen Darstellung<br />
– die Wertung nicht dem Leser zu überlassen, stellen.<br />
„Solange es dem politischen <strong>Europa</strong> nicht gelingt, sich zusammenzuschließen,<br />
werden auch seine Völker an der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Effizienz des Konstrukts <strong>Europa</strong> zweifeln.“ 788<br />
Dem Leser werden auch zu wenig eigene politische Handlungsmöglichkeiten<br />
aufgezeigt, zumal die Wahlen zum Europäischen Parlament<br />
völlig ausgenommen sind. „Die Idee eines vereinten <strong>Europa</strong>s hatte zu<br />
lange nur in den Köpfen der politisch führenden Schichten und Politiker<br />
bestanden. [...] Die letzten zehn Jahre des zweiten Jahrtausends scheinen<br />
das Jahrzehnt des Zweifels zu sein.“ 789<br />
Solche Aussagen ermutigen den Leser offensichtlich wenig zur Änderung<br />
oder gar Teilnahme am Prozess der europäischen Einigung.<br />
788 ebd., S. 400<br />
789 ebd., S. 383<br />
252
Die europäische Einigung <strong>im</strong> „Europ. Geschichtsbuch“ – eine Analyse<br />
Fazit:<br />
Schlägt das „Europäische Geschichtsbuch“ nun einen völlig neuen<br />
Weg ein, dem die nationalen Geschichtsbücher folgen sollten oder aber<br />
bezieht man sich auf das Urteil von Falk Pingel, der dem „Europäischen<br />
Geschichtsbuch“ seine traditionelle Aufmachung und die bloße Addition<br />
nationaler Einzelgeschichten vorwirft? 790<br />
Nach der differenzierten Analyse versucht das „Europäische Geschichtsbuch“<br />
verstärkt Aspekte wie die Multiperspektive und Kontroverse<br />
zu beachten, ebenfalls ist die genaue Darstellung über die europäische<br />
Einigung nach 1945 beachtlich, wenn auch nicht schülerorientiert.<br />
Trotzdem: einen völlig neuen, europäischen Ansatz hat es nicht vorzuweisen<br />
und wird auch in absehbarer Zukunft wegen der Bildungshoheit<br />
der Länder nicht die nationalen Geschichtsbücher ablösen. Der deutsche<br />
Geschichtslehrerverband hat mit seinem fiktiven „Strukturmodell für ein<br />
europäisches Geschichtsbuch“ 791 mit der Aufteilung in ein „Fundamentum“,<br />
das für alle Mitgliedstaaten gilt und einem nationalen oder gar regionalen<br />
„Additum“ einen interessanten Weg vorgezeichnet. Das „Europäische<br />
Geschichtsbuch“ ist ein erster Versuch, oder ein erstes geistiges<br />
Exper<strong>im</strong>ent, den es weiter mit wagemutigen Historikern zu verfolgen<br />
gilt.<br />
790 s. Pingel, Falk, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 44/1993, S. 550 – 566<br />
791 s. Deutscher Geschichtslehrerverband: Strukturmodell für ein europäisches Geschichtsbuch,<br />
in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik, 18 (1990), S. 8–12<br />
253
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
4 Zusammenfassung<br />
4.1 <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> –<br />
Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
Bei einer Tagung des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen wurde<br />
von Historikern und Lehrern aus mehreren europäischen Ländern <strong>im</strong>mer<br />
noch das Fehlen eines „europäischen Geschichtsbewusstseins“ 792 beklagt<br />
und es mehrten sich die St<strong>im</strong>men nach der Schaffung dieses „intellektuellen<br />
Euro“ 793 . Dem Geschichtsbuch wurde dabei abermals eine wichtige<br />
Rolle zugesprochen, obwohl eine in Frankreich unternommene statistische<br />
Erhebung in französischen Schulen das enttäuschende Ergebnis präsentierte,<br />
dass der Geschichtsunterricht in den Schulen offenbar „keinerlei<br />
Einfluss darauf habe, was Jugendliche sich unter <strong>Europa</strong> vorstellen.“<br />
794 Dem stehen häufig geführte Klagen gegenüber, dass die Schulen<br />
nicht genügend Grundwissen über die europäische Einigung vermitteln.<br />
Im bisherigen Verlauf dieser Arbeit wurden methodische Wege der<br />
<strong>Schulbuch</strong>analyse und mögliche Analysekriterien zur Bewertung von<br />
Schulbüchern ausführlich dargelegt, um die Analyse der vorliegenden<br />
Arbeit in einen Gesamtzusammenhang einzubetten. Die Bestandsaufnahme<br />
bisheriger Analysen zur Thematik soll bewusst erst jetzt erfolgen, da<br />
es dem Leser eine bessere Möglichkeit bietet, die Ergebnisse vergangener<br />
Jahrzehnte mit den Ergebnissen dieser Arbeit zu vergleichen und der<br />
Kontrast dadurch auch deutlicher ausfällt. Die früher gemachten Analysen<br />
beziehen sich auf verschiedene Fächer und Schularten, die es aufzuführen<br />
gilt; allerdings liegen noch keine Ergebnisse in dieser Form für<br />
Baden-Württemberg vor. Generell gilt, dass alle bisherigen Untersuchungen<br />
heute natürlich nur noch bedingt verwendbar sind, hat sich die Lehrplan-<br />
und <strong>Schulbuch</strong>situation doch seit den Untersuchungen der 70er und<br />
80er Jahre grundlegend verändert.<br />
Die Bestandsaufnahme erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit,<br />
soll aber einen Überblick über den quantitativen und qualitativen Rah-<br />
792 s. Peter, Stefanie, Sehr gut, setzen! Wie Geschichtslehrer aus Fernsehguckern Europäer machen,<br />
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2000<br />
793 ebd.<br />
794 ebd.<br />
254
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
men, den man dem Thema <strong>Europa</strong> in den Schulbüchern der Bundesrepublik<br />
in den letzten Jahrzehnten eingeräumt hat, geben. Ferner sollen die<br />
bisher gemachten Untersuchungen in einen chronologischen Rahmen gefasst<br />
werden, um Veränderungen, die zu Verbesserungen geführt haben,<br />
in den Schulbüchern bzw. jeweiligen Lehrplänen der 70er, 80er und 90er<br />
Jahre besser verdeutlichen zu können. Die Veränderungen, die sich <strong>im</strong><br />
Laufe der 90er Jahre bezüglich der Darstellung der europäischen Einigung<br />
in Schulbüchern ergeben haben, lassen sich durch die vorliegende<br />
Analyse am Beispiel Baden-Württembergs ablesen.<br />
Die Hanns-Seidel-Stiftung konstatiert <strong>im</strong> Jahr 1977, dass der <strong>Europa</strong>gedanke<br />
in den Lehrplänen bisher nicht direkt als Lernziel ausgewiesen<br />
und infolge dessen die Thematik in den Schulbüchern konzeptionslos und<br />
eher zufällig behandelt wird. Die Stiftung sieht eine Änderung nur über<br />
die Aktualisierung der Lehrpläne als mögliche Lösung an. 795<br />
Günther Neumann stellt mit einer Analyse, die Ende 1977 über die in<br />
Nordrhein-Westfalen in den Fächern Geschichte, Sozial- und Erdkunde<br />
der Sekundarstufe I (Haupt-, Realschule, gymnasiale Mittelstufe) am<br />
häufigsten verwendeten Schulbüchern durchgeführt wurde, einen großen<br />
Nachholbedarf bei der <strong>Europa</strong>thematik fest 796 und bestätigt damit eine<br />
Untersuchung von Winfried Böttcher. 797<br />
Von den 19 Bücherreihen mit 49 Bänden konnte Neumann bei der<br />
quantitativen Untersuchung einen inhaltlichen Rahmen zwischen 0,1 und<br />
5,6% ausmachen, was einen Durchschnitt von 3% ergibt. Der Einwand,<br />
dass davon ca. die Hälfte mit Schaubildern ausgefüllt ist, soll hier auch<br />
angefügt werden.<br />
Inhaltlich konnte Neumann ein Übergehen der kleineren EG-Partner<br />
wie z. B. der BENELUX-Staaten feststellen. Bei der deutsch-französischen<br />
Zusammenarbeit wird eine starke Personalisierung mit Adenauer,<br />
Schuman und de Gaulle vorgenommen. Insgesamt wird das Fehlen eines<br />
problemorientierten Ansatzes und einer Diskussion über den Stand des<br />
bisher vereinten <strong>Europa</strong> beklagt. Im Vordergrund steht in den Schulbüchern<br />
eher die Institutionenkunde, mit der nach Neumann noch nie ein<br />
guter Politikunterricht gelang.<br />
795 s. Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Akademie für Politik und Zeitgeschehen (Hrsg.), <strong>Europa</strong> <strong>im</strong><br />
Unterricht, München 1977<br />
796 s. Neumann, Günther, Warum <strong>Schulbuch</strong>-Autoren sich so schwer mit „<strong>Europa</strong>“ tun! in: EGmagazin,<br />
5/78, S. 26 – 27<br />
797 s. Böttcher, Winfried, Die westeuropäische Integration in Schulbüchern der Bundesrepublik<br />
Deutschland, in: Gegenwartskunde, 4/1976, S. 441 – 454<br />
255
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
Eine 1981 durchgeführte Untersuchung von Lehrplänen bzw. Curricula<br />
für den Geschichts-, Politik- und Geografieunterricht stellt zwei<br />
schwerwiegende Defizite fest. 798 Zum einen wird der Integrationsthematik<br />
eine fehlende Systematik über die Fächer und Klassenstufen hinweg<br />
bescheinigt. Zum anderen werden die Lehrpläne häufig nicht den fachdidaktischen<br />
Anforderungen gerecht.<br />
Astrid Ingenwerth stellt bei der Analyse von zwei zugelassenen Geschichtsbüchern<br />
in Nordrhein-Westfalen ein höchst unterschiedliches Ergebnis<br />
von 1,2 und 6,3% an <strong>Europa</strong>anteilen des gesamten Buchumfanges<br />
fest. 799 Dies zeigt zwar einen gedanklichen Umbruch bei der Wichtigkeit<br />
der Thematik durch die Darstellung in den Schulbüchern Anfang der 80er<br />
Jahre, doch ist die europäische Einigung noch nicht grundlegend in allen<br />
Schulbüchern vorhanden. In der qualitativen Analyse kommt Astrid Ingenwerth<br />
allerdings nicht über eine inhaltliche Zusammenfassung hinaus.<br />
Die Analyse von Thomas Knechtges von 25 Schulbüchern aus den<br />
Fachbereichen der Geschichte, Politik/Wirtschaft und Geografie der Sekundarstufe<br />
I aus mehreren Bundesländern bestätigt den von Astrid Ingenwerth<br />
festgestellten Umbruch. 800 Im Durchschnitt wird die europäische<br />
Integration mit 1,94% repräsentiert, die Einzelanalysen ergeben eine<br />
Bandbreite von 0 bis 6,1%, wobei letztere Prozentangabe offensichtlich<br />
einen „Ausreißer“ darstellt.<br />
Inhaltlich lässt die oft geringe Quantität bei den Schulbüchern nach<br />
der Untersuchung von Knechtges es kaum zu, dem Schüler die Motive,<br />
Ziele und Probleme der europäischen Einigung nahe zu bringen. So kann<br />
be<strong>im</strong> Schüler kaum ein zusammenhängendes Bild von der Einigung <strong>Europa</strong>s<br />
entstehen. Absolut vernachlässigt werden Überlegungen, aus welchen<br />
Gründen der Integrationsprozess gewollt und in Gang gesetzt wurde.<br />
Eine Problematisierung der Thematik ist zwar in allen Schulbüchern<br />
vorhanden, doch kann hier kaum von einer Vertiefung wegen des geringen<br />
quantitativen Rahmens gesprochen werden. Die wirtschaftliche Einigung<br />
steht <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Institutionenkunde <strong>im</strong> Vorder-<br />
798 s. Grosjean, M./Renner G., Die Europäische Integration in den Rahmenplänen für Unterricht<br />
der Länder der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe des Instituts für europäische Lehrerbildung),<br />
Berlin 1981<br />
799 s. Ingenwerth, Astrid, Thema „<strong>Europa</strong>/Europäische Gemeinschaften“ in zwei Geschichtsschulbüchern<br />
aus den letzten Jahren, in: Gödde-Baumanns, Beate, <strong>Schulbuch</strong>-Thema: <strong>Europa</strong>,<br />
S. 37 – 41<br />
800 s. Knechtges, Thomas, Das Thema „Europäische Integration“ in Schulbüchern, in: Lehmann,<br />
Hans Georg, Die Europäische Integration in der interdisziplinären Lehrerbildung, 1981, S.<br />
13–29<br />
256
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
grund. Die Beziehungen der EG zu Drittstaaten wird so gut wie gar nicht<br />
berücksichtigt.<br />
Auch Wolfgang Sander stellt fest, dass die quantitativen Anteile von<br />
europäischen Unterrichtsthemen in der politischen Bildung nicht der Bedeutung<br />
der europäischen D<strong>im</strong>ension in der Realität entsprechen. 801 So<br />
haben in einer von Sander durchgeführten Untersuchung die meisten der<br />
18 Politikbücher die europäische D<strong>im</strong>ension nicht genügend berücksichtigt,<br />
was sich in einem durchschnittlichen Prozentsatz von 3% äußert.<br />
Von der europäischen Politik wird höchstens die EG als selbstständiges<br />
Thema behandelt.<br />
Die Untersuchung von Ruth Elisabeth Kirsch aus dem Jahr 1986 zeigt,<br />
dass sich gegenüber den 70er Jahren ein langsamer Wandel vollzogen<br />
hat; allerdings muss hier angemerkt werden, dass sich die Analyse auf<br />
Politikbücher der gymnasialen Oberstufe in der Bundesrepublik bezieht.<br />
802<br />
So wird die politische Integration nach 1980 in den überwiegenden<br />
Büchern anerkannt, wenn auch nicht in der gleichen überzeugenden Weise<br />
wie bei der wirtschaftlichen Integration, was einen Gegensatz zu der<br />
Böttcher-Analyse von 1976 darstellt. Allerdings erhalten bei den Motiven<br />
zur europäischen Einigung die wirtschaftlichen Aspekte eindeutig<br />
den Vorrang vor dem Ost-West-Konflikt und dem Friedensbezug, der lediglich<br />
Erwähnung findet. Ebenso werden <strong>Europa</strong>modelle oder Integrationstheorien<br />
nur marginal angesprochen.<br />
Den Oberstufenbüchern kann sicherlich eine problemorientierte Vorgehensweise<br />
zugesprochen werden, doch bleiben die Hauptkritikpunkte,<br />
dass die Schüler zu wenig am supranationalen Konfliktpotential geschult<br />
werden und die EG vielfach nur aus nationaler und nicht aus multiperspektivischer<br />
Sicht dargestellt wird, bestehen.<br />
Die Analyse vom Institut für Europäische Politik (IEP) wurde Mitte<br />
der 80er Jahre in einem ersten Abschnitt durchgeführt 803 und Ende der<br />
801 s. Sander, Wolfgang, Politische Bildung <strong>im</strong> europäischen Zusammenhang, Untersuchungen<br />
aus Dänemark, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Bundesrepublik<br />
Deutschland, in: Internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, Zeitschrift des Georg-Eckert-Instituts<br />
für internationale <strong>Schulbuch</strong>forschung, 7/1985, S. 41 – 53<br />
802 s. Kirsch, Ruth Elisabeth, Die Europäische Integration <strong>im</strong> Unterricht – Die Behandlung der<br />
Gemeinschaft <strong>im</strong> Sozialkundeunterricht der gymnasialen Oberstufe, wissenschaftliche Prüfungsarbeit<br />
für das Lehramt an Gymnasien <strong>im</strong> Fach Sozialkunde, Mainz 1985<br />
803 s. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), <strong>Europa</strong> in der Schule, Zur politischen Bildung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland, in Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den<br />
Niederlanden, Bonn 1986<br />
257
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
80er Jahre erweitert. 804 Dabei waren die Lehrpläne und die Schulbücher<br />
für den Politikunterricht der Sekundarstufe I Gegenstand der Untersuchung.<br />
An dieser Stelle soll nur auf die Ergebnisse der <strong>Schulbuch</strong>analyse<br />
deutscher Politikbücher eingegangen werden. 805<br />
<strong>Europa</strong> wird in den 17 Politikbüchern, die zwischen 1977 und 1983<br />
herausgegeben wurden, fast durchweg mit dem <strong>Europa</strong> der EG oder der<br />
NATO gleichgesetzt. Somit findet eine Reduzierung der europäischen<br />
Einigung auf die westeuropäische Integration statt. Inhaltlich stehen wiederum<br />
wirtschafts- und außenpolitische Gesichtspunkte <strong>im</strong> Vordergrund.<br />
Die Problembereiche wie etwa „Armut und Reichtum in <strong>Europa</strong>“ 806 , „Demokratie<br />
innerhalb der EG-Institutionen“ 807 oder „Kultur und Alltagsleben“<br />
808 haben ein deutlich geringeres Gewicht. Im Rahmen der wirtschaftspolitischen<br />
Themen finden die Agrarpolitik und der Binnenmarkt<br />
die häufigste Erwähnung. Nur vereinzelt werden <strong>Europa</strong>modelle oder unterschiedliche<br />
Vorstellungen über ein zukünftiges <strong>Europa</strong> mit möglichen<br />
Alternativen genannt.<br />
Bei der quantitativen Analyse konnten erhebliche Unterschiede innerhalb<br />
der einzelnen Lehrbücher festgestellt werden. So schwankt der Anteil<br />
der europäischen Themen am Gesamtumfang der Politikbücher zwischen<br />
0 und 9,5%. Im Durchschnitt ergibt das einen Prozentwert von drei,<br />
was <strong>im</strong>mer noch als gering einzustufen ist; besonders dann, wenn man einen<br />
Vergleich mit anderen Themen wie z. B. der Familie oder den Massenmedien<br />
anstrebt.<br />
Günter Kirchberg resümiert 1990 die erstaunliche Wirkungslosigkeit<br />
des KMK-Beschlusses vom 8. Juni 1978 „<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Unterricht“. 809 Er<br />
sieht es als keinen Beitrag zur <strong>Europa</strong>idee an, wenn die geografischen<br />
Raumbeispiele lediglich innerhalb <strong>Europa</strong>s liegen. Vielmehr soll die Erdkunde<br />
wie die Geschichte stärker die historisch-kulturelle Einheit <strong>Europa</strong>s<br />
herausstellen, ohne aber ein eurozentrisches Bild zu vermitteln. Dies<br />
strebt Kirchberg durch einen problemorientierten Unterricht an, der neben<br />
der Wissensvermittlung auch ein europäisches Bewusstsein zu schaf-<br />
804 s. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Politische Bildung in <strong>Europa</strong>, Die europäische<br />
D<strong>im</strong>ension in der politischen Bildung der zwölf EG-Staaten, Bonn 1991<br />
805 s. Renner, Günter/Sander, Wolfgang/Sygusch, Frank, <strong>Europa</strong> in der politischen Bildung, in:<br />
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), <strong>Europa</strong> in der Schule, 1986, S. 47–80<br />
806 ebd. S. 71<br />
807 ebd.<br />
808 ebd.<br />
809 s. Kirchberg, Günter, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Geographieunterricht, in: Geographische Rundschau, H.4,<br />
42/1990, S. 225–228<br />
258
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
fen vermag. Deutlich spricht sich Günter Kirchberg für die Einbeziehung<br />
eines Gesamteuropas aus und nicht nur die Erziehung zur Europäischen<br />
Gemeinschaft.<br />
Eigene Analysen aus dem Jahr 1992 bestätigen die bisher gemachten<br />
Aussagen weitgehend. 810 Die vier zwischen 1986 und 1991 herausgegebenen<br />
Geschichtsbücher für die Hauptschule weisen einen Anteil von<br />
null bis 6,9% an Inhalten zur europäischen Integration auf; zwei Realschulgeschichtsbücher<br />
aus den Jahren 1984 und 1986 <strong>im</strong>merhin 8,3%<br />
und 20,2%. Auffallend sind die großen quantitativen Schwankungen,<br />
wobei nicht bestätigt werden kann, dass mit einem neueren Erscheinungsdatum<br />
der zugewiesene Raumanteil zur europäischen Integration<br />
ansteigt. Inhaltlich werden Begriffe wie die der Integration oder Kooperation<br />
entweder gar nicht genannt oder es fehlt deren Erläuterung. Eine<br />
starke Betonung erfährt die deutsch-französische Freundschaft, wobei<br />
hier weniger der Gedanke der europäischen Einigung durch die „Motorenfunktion“<br />
beider Staaten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft<br />
hervorgehoben wird, als vielmehr kooperative Aspekte wie der deutschfranzösische<br />
Freundschaftsvertrag mit seinen Auswirkungen. Die historischen<br />
Schritte zur europäischen Einigung werden selten ausführlicher erläutert,<br />
sondern eher chronologisch aufgelistet.<br />
Wegen der einseitigen Betonung der wirtschaftlichen Integration und<br />
der europäischen Institutionen können dem Schüler keine ideellen Werte<br />
der europäischen Einigung nahe gebracht werden. Sie wird als wirtschaftlicher<br />
Vorteil verstanden. Die Frage einer politischen Integration<br />
bleibt in den Büchern noch ausgespart.<br />
Die Chance einer multiperspektivischen oder kontroversen Darstellung<br />
erfährt in den Geschichtsbüchern der Hauptschule keine Umsetzung,<br />
in den Realschulbüchern eine geringe. Die europäische Einigung<br />
wird als Ganzes nicht in Frage gestellt. Das vielfältig eingesetzte Bildmaterial<br />
erweckt oftmals den Eindruck der Zufälligkeit. Dieses Analysebeispiel<br />
zeigt, dass nicht unbedingt ein größerer Stoffumfang das europäische<br />
Bewusstsein fördert, sondern eine gezieltere Stoffauswahl erforderlich<br />
erscheint.<br />
Nicht nur auf die europäische Integration, sondern auf die gesamte<br />
<strong>Europa</strong>darstellung in Schulgeschichtsbüchern bezieht sich die Analyse<br />
810 s. <strong>Natterer</strong>, <strong>Alexandra</strong>, Die Entwicklung der europäischen Integration bis 1968 und die Berücksichtigung<br />
der europäischen D<strong>im</strong>ension bei ihrer Darstellung in Schulbüchern, Karlsruhe<br />
1992<br />
259
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
von Rolf Westheider 811 . Dabei werden fünf Buchreihen mit 18 Bänden<br />
der Sekundarstufe I, die zwischen 1983 und 1988 in der Bundesrepublik<br />
erschienen sind, auf nationale, europäische und außereuropäische Inhalte<br />
untersucht.<br />
Überraschend mag das Ergebnis sein: Die höchsten europabezogenen<br />
Anteile lassen sich in den Mittelalterdarstellungen finden, wobei sich bis<br />
zur Zeitgeschichte kontinuierlich eine Abnahme verzeichnet. Die frühe<br />
Neuzeit mit den Schlagworten des Humanismus, der Renaissance oder<br />
Reformation ist noch <strong>im</strong> Wesentlichen europäisch ausgerichtet. Der<br />
Dreißigjährige Krieg wird jedoch fast durchgehend als deutscher und<br />
kaum als ein europäischer Krieg verstanden. Das Zeitalter der Aufklärung<br />
und die Folgezeit sind an nationalen Beispielen festgemacht.<br />
Die Anteile der europabezogenen Darstellungen am Gesamtumfang<br />
der Geschichtsschulbücher gehen von Spitzenwerten bei der mittelalterlichen<br />
Epoche von bis zu 54% auf 10 bis 23% bei der Zeitgeschichte zurück.<br />
Dies umfasst inhaltlich natürlich einen viel größeren Rahmen als<br />
nur die europäische Einigung. Überwiegend sind dabei die westeuropäischen<br />
Nationen berücksichtigt.<br />
Die <strong>Europa</strong>anteile an der Darstellung der Geschichte nach 1945<br />
schwanken zwischen 9 und 25%. Dabei liegen die Schwerpunkte bei der<br />
Nachkriegsgeschichte mit dem Ost-West-Gegensatz und der Integration<br />
Westeuropas.<br />
Insgesamt bemängelt Westheider die fehlende Klarheit, warum etwas<br />
über <strong>Europa</strong> gelernt werden soll. Ebenso ist die europäische Identität<br />
nicht über eine bloße Institutionenkunde zu erreichen. Oftmals wird der<br />
europäische Einigungsprozess als abgeschlossene Handlung ohne Zukunftsvisionen<br />
vermittelt.<br />
Auch die Analyse von K. Peter Fritzsche über elf deutsche Politikbücher<br />
beider Sekundarstufen aus den Jahren 1986 bis 1993 bezieht sich auf<br />
die Darstellung <strong>Europa</strong>s und nicht nur die europäische Einigung. 812 Er<br />
sieht in den quantitativen Anteilen von 5 bis 10% einen Trend zugunsten<br />
europäischer Themen in den Politikbüchern.<br />
Die untersuchten Schulbücher gehen dabei weitgehend auf das <strong>Europa</strong><br />
der EG zurück. Inhaltlich wird in allen Fällen die historische D<strong>im</strong>ension<br />
zumindest mittels einer kurzen Skizze angesprochen. Ein Schwer-<br />
811 s. Westheider, Rolf, <strong>Europa</strong> ist nicht <strong>Europa</strong> – Zur Geschichte einer verhinderten Identität, in:<br />
Pingel Falk (Hrsg.), Macht <strong>Europa</strong> Schule? 1995, S. 15–62<br />
812 s. Fritzsche, K. Peter, <strong>Europa</strong> in deutschen Politiklehrbüchern, in: Pingel, Falk (Hrsg.), Macht<br />
<strong>Europa</strong> Schule?, 1995, S. 81 – 94<br />
260
<strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – Bestandsaufnahme bisheriger Analysen<br />
punkt ist bei der Darstellung der Institutionen feststellbar, die meistens<br />
ausführlich und vollständig aufgeführt werden.<br />
K. Peter Fritzsche stellt in seiner Untersuchung fest, dass der europäische<br />
Weg mittlerweile durchaus problembeladen, aber nicht unbedingt<br />
kontrovers dargestellt wird, wobei hauptsächlich die wirtschaftliche Integration<br />
(z. B. Agrarüberschüsse, regionale Unterschiede) <strong>im</strong> Vordergrund<br />
steht. Vorurteile gegenüber anderen europäischen Nationen kann<br />
Fritzsche ausschließen. Immer noch wird den Politikbüchern eine fehlende<br />
Multiperspektive vorgeworfen; der Schüler erfährt über andere Länder<br />
bestenfalls etwas aus deutscher Perspektive. K. Peter Fritzsche sieht als<br />
mögliche Folge das Entstehen eines Eurozentrismus; ein <strong>Europa</strong>bewusstsein,<br />
das ausgrenzend statt integrierend wirkt.<br />
In seinen Schlussfolgerungen bemängelt Falk Pingel, dass bei dem<br />
Thema Osteuropa weiterhin außen vor bleibt und eine eindeutige Konzentration<br />
auf die westeuropäische Perspektive, vor allem der drei großen<br />
Länder (Frankreich, Großbritannien, Deutschland), vorliegt. 813 Dabei<br />
werden <strong>im</strong>mer noch die europäischen Institutionen und bestehenden<br />
Wirtschaftsverhältnisse behandelt. Be<strong>im</strong> Schüler wird weder ein gemeinsames<br />
Lebensgefühl initiiert, noch werden gemeinsame politische Ziele<br />
in den Schulbüchern beachtet.<br />
In den jüngsten <strong>Schulbuch</strong>erscheinungen sieht Falk Pingel eine gewisse<br />
Aufgabe der einseitigen Westorientierung, in dem man auf multikulturelle<br />
Elemente und gesamteuropäische Ansätze zurückgreift. 814<br />
Den westlichen Schulbüchern legt Falk Pingel jedoch nahe, ihr auch<br />
in den Schulbüchern spürbares Überlegenheitsgefühl gegenüber mittelund<br />
osteuropäischen Staaten abzubauen. So sehen sich westeuropäische<br />
Jugendliche bei dem Thema der Erweiterung der Europäischen Union<br />
eher als Opfer bzw. äußern sich über den Verlust anstelle über den möglichen<br />
Gewinn einer gesamteuropäischen Einigung.<br />
Besorgt blickt Pingel gleichzeitig auf die mittel- und osteuropäischen<br />
<strong>Schulbuch</strong>texte, die sich stark von Russland distanzieren und sich der Gefahr<br />
der Nivellierung von eigenen Traditionen aussetzen, indem Westeu-<br />
813 s. Pingel, Falk, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – eine Bestandsaufnahme, in: Bombardelli, Olga (Hrsg.),<br />
Die Europäische D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> für politische Bildung und Geschichte, 1993, S. 87<br />
– 88, ebenso: Pingel, Falk, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> <strong>Schulbuch</strong> – eine Bestandsaufnahme, in: Geschichte in<br />
Wissenschaft und Unterricht, 44 /1993, S. 550 – 566<br />
814 s. Pingel, Falk, <strong>Europa</strong> <strong>im</strong> Geschichtsbuch, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland (Hrsg.), Europäische Geschichtskultur <strong>im</strong> 21. Jahrhundert, Bonn 1999, S.<br />
215 – 237<br />
261
Resümee<br />
ropa und die Europäische Union als Bezugspunkt und, wenn auch mit kritischen<br />
Untertönen versehen, als Zukunftshoffnung angesehen wird.<br />
Falk Pingel sieht nicht nur bei der Darstellung der europäischen D<strong>im</strong>ension<br />
sondern auch bei der gleichwertigen Darstellung von West- und<br />
Osteuropa eine vordringliche Aufgabe der <strong>Schulbuch</strong>autoren.<br />
4.2 Resümee<br />
Mit der vorliegenden Analyse über die Darstellung der europäischen Einigung<br />
in baden-württembergischen Schulbüchern für Geschichte und<br />
Gemeinschaftskunde der Sekundarstufe I konnten zahlreiche Daten und<br />
Aussagen ermittelt werden.<br />
Ohne die vielschichtigen Ergebnisse der <strong>Schulbuch</strong>analyse zu pauschalisieren,<br />
gilt es nun noch einmal die Kernaussagen, die sich wie ein<br />
roter Faden durch alle analysierten Bücher ziehen, hervorzuheben.<br />
Dabei sollen die Brüche und Neuerungen – aber auch die Kontinuitäten<br />
– die die Schulbücher zu bisherigen Untersuchungen aufweisen, betont<br />
werden.<br />
Stellte man in den 70er Jahren eher eine zufällige und konzeptionslose<br />
Behandlung der europäischen Einigung in den Geschichts- und Gemeinchaftskundebüchern<br />
fest, so war selbst in den 80er Jahren ein großes<br />
quantitatives Defizit und ein diesbezüglicher Nachholbedarf vorhanden.<br />
Die bisher beklagte Wirkungslosigkeit der KMK-Papiere wird in den<br />
90er Jahren zumindest <strong>im</strong> quantitativen Bereich aufgebrochen, ist doch<br />
ein Trend zugunsten der Aufnahme europäischer Themen in Schulbüchern<br />
auszumachen. Das kann mit der hier vorliegenden Arbeit bestätigt<br />
werden, zumal doch <strong>im</strong>merhin durchschnittlich 9,5% in den Schulbüchern<br />
der Geschichte und 14,4% in den entsprechenden Schulbüchern der<br />
Gemeinschaftskunde der europäischen Einigung nach 1945 gewidmet<br />
werden.<br />
Immer noch bilden die wirtschaftliche Integration und die Institutionenkunde<br />
Schwerpunkte, doch kann nicht mehr von einer einseitigen Betonung<br />
dieser Themen die Rede sein. Alle analysierten Schulbücher beachten<br />
zumindest überblicksartig die historische D<strong>im</strong>ension der europäischen<br />
Einigung. Dabei stehen nicht mehr, wie in früheren Untersuchungen,<br />
die wirtschaftlichen Gesichtspunkte für die Einigung <strong>Europa</strong>s <strong>im</strong><br />
262
Vordergrund, sondern die Sicherung eines stabilen Friedens, die Überwindung<br />
des Nationalismus und die Friedenssehnsucht der Menschen.<br />
Neben den genannten Schwerpunkten ist in den baden-württembergischen<br />
Schulbüchern eine starke Dominanz der deutsch-französischen<br />
Versöhnung und dem Prozess der KSZE vorhanden.<br />
Nur vereinzelt kommen die <strong>Europa</strong>modelle oder die verschiedenen<br />
Vorstellungen über die künftige Einigung <strong>Europa</strong>s zum Tragen.<br />
Eindeutig vernachlässigt werden nicht unbedingt die Gründe, warum<br />
der Integrationsprozess gewollt war, wohl aber warum die europäische<br />
Einigung heute noch notwendig ist. Die Schulbücher initiieren nicht so<br />
etwas wie ein gemeinsames Lebensgefühl und binden den Schüler auch<br />
kaum in den Prozess der europäischen Einigung ein.<br />
Bei der Vermittlung der Thematik kann den Geschichts- und Gemeinschaftskundebüchern<br />
eine weitgehende sachliche Richtigkeit anerkannt<br />
werden. Bedenklich sind in diesem Zusammenhang vielmehr die ungenauen<br />
Aussagen, wie z. B. über die Rolle des Europäischen Parlaments,<br />
die Kommission oder den Ministerrat. Dadurch kann be<strong>im</strong> Schüler leicht<br />
– wenn auch nicht beabsichtigt – ein falsches Bild über die europäische<br />
Einigung entstehen.<br />
Zwar arbeiten die von mir untersuchten baden-württembergischen<br />
Schulbücher die Thematik problemorientiert auf, es fehlt aber auch bei<br />
diesen wie auch bei früheren Erscheinungen der multiperspektivische<br />
Ansatz. Die verschiedenen Sichtweisen über die europäische Einigung<br />
beschränken sich bei den Geschichtsbüchern auf die deutsche, französische<br />
und britische, während die Gemeinschaftskundebücher das Gebot<br />
der Multiperspektive total vernachlässigen. Durch das Fehlen von Meinungsbildern<br />
kleinerer Mitgliedstaaten der EU wird dem Schüler kein<br />
Einblick in die europäische Denkweise dieser Staaten gewährt und es<br />
kann der Eindruck entstehen, dass die europäische Einigung eine Angelegenheit<br />
der „großen Drei“ ist.<br />
Ebenso kann – obwohl kontroverse Sichtweisen vorhanden sind – nur<br />
einem verschwindend geringen Anteil der Schulbücher der Einsatz der<br />
Kontroverse als durchgehendes Prinzip bescheinigt werden.Verwunderlich<br />
mag die Tatsache erscheinen, dass die Gemeinschaftskundebücher<br />
hier in keinster Weise das Gebot der Kontroverse verstärkt einsetzen.<br />
Thematisch sind eher die aktuelleren Themen der europäischen Einigung<br />
mit gegensätzlichen Positionen dargestellt, wodurch der Schüler sicherlich<br />
die Anfänge der europäischen Einigung eher als problemlos und<br />
263<br />
Resümee
Resümee<br />
schnell voranschreitend empfindet und die dabei existierenden Fragen<br />
und Schwierigkeiten nicht kritisch aufarbeiten kann.<br />
Der für den europäischen Integrationsprozess grundlegende Aspekt<br />
des Souveränitätsverzichts wird zwar ca. von der Hälfte der Bücher <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit der Hohen Behörde der Montanunion oder den supranationalen<br />
Organen der EG/EU genannt, die Begrifflichkeiten bleiben<br />
aber zu oft für sich stehen und eine weitergehende Erläuterung für den<br />
Schüler fehlt sehr häufig. Betrachtet man die Schulbücher differenziert<br />
nach ihren Fächern, so behandeln eindeutig die Geschichtsbücher häufiger<br />
die aufgestellte Kategorie, während die Gemeinschaftskundebücher<br />
beispielsweise auf die Organe der EU oder deren Politikfelder eingehen,<br />
ohne den Souveränitätsverzicht zu erwähnen. Ebenfalls wird bei der Darstellung<br />
der <strong>Europa</strong>modelle zu wenig auf das damit verbundene Maß auf<br />
Verzicht staatlicher Hoheitsrechte verwiesen. So wird einerseits in den<br />
Schulbüchern die europäische Einigung begrüßt, andererseits aber zu wenig<br />
verdeutlicht, dass eine politische Union nur mit dem Verzicht auf<br />
staatliche Hoheitsrechte zu erreichen ist und viele Mitgliedstaaten der EU<br />
dazu <strong>im</strong> Grunde noch nicht bereit sind.<br />
Ein Großteil der Geschichts- und Gemeinschaftskundeschulbücher<br />
signalisieren dem Leser, dass der europäische Einigungsprozess noch auf<br />
dem Weg ist. Dabei wird der Begriff des offenen Prozesses von den<br />
Schulbüchern nicht dahingehend umgesetzt, dass sie den offenen Charakter<br />
der Einigungsverträge (<strong>im</strong> Sinne einer staatenbündischen oder<br />
bundesstaatlichen Lösung) herausarbeiten, sondern es werden die in Zukunft<br />
noch zu lösenden Aufgaben, z. B. <strong>im</strong> Bereich der Agrarpolitik oder<br />
der Erweiterung der EU, markiert. Die Schulbücher selbst tendieren eher<br />
zur weitergehenden Integration in Gestalt eines Bundesstaates auf einer<br />
föderativen Basis mit starker Stellung der einzelnen Regionen oder Bundesländer.<br />
Im Gegensatz zu den Geschichtsbüchern fordern die Gemeinschaftskundebücher<br />
vermehrt den Schüler zu einer Stellungnahme bezüglich einer<br />
Erweiterung oder weitergehenden Integration der EU heraus. Die bei<br />
früheren Untersuchungen kritisch beurteilte Tatsache, dass eine eindeutige<br />
Konzentration auf Westeuropa vorliegt und Osteuropa außen vorbleibt,<br />
umgehen die Schulbücher der 90er Jahre häufig dadurch, indem<br />
sie die Erweiterung der EU, die gesamteuropäischen Werte und Gemeinsamkeiten<br />
oder den <strong>Europa</strong>rat als „europäisches“ Gremium darstellen.<br />
Insgesamt stellen die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher die<br />
264
europäische Einigung zu keinem Zeitpunkt in Frage, wenn auch unterschiedliche<br />
Wertungen vorliegen und angedeutet wird, dass für die Umsetzung<br />
der <strong>Europa</strong>-Pläne, wie sie etwa nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden<br />
sind, noch einige Anstrengungen notwendig sind.<br />
Auffallend ist, dass die Gemeinschaftskundebücher sich bei der Beurteilung<br />
der europäischen Einigung neutraler als die Geschichtsbücher geben,<br />
was eventuell die selbstständige Meinungsbildung der Schüler fördern<br />
soll.<br />
Alle Schulbücher weisen allerdings die Tendenz auf, die Anfangsphase<br />
der europäischen Einigung sowie die deutsch-französische Versöhnung<br />
fast ausnahmslos positiv zu beurteilen. Neben vielen rein informativen<br />
Textpassagen kommen <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Organen der EU<br />
(z. B. Demokratiedefizit), der Agrarpolitik ( z. B. kostenintensive „Überschussproduktion“),<br />
der wirtschaftlichen „Festung <strong>Europa</strong>“, Teilbereichen<br />
des Maastrichter Vertrages (z. B. Wirtschafts- und Währungsunion)<br />
und dem hemmenden Verhalten mancher Nationalstaaten <strong>im</strong> Finden gemeinsamer<br />
Lösungswege kritische St<strong>im</strong>men auf.<br />
In der didaktisch-methodischen Umsetzung greifen die Schulbücher<br />
schwerpunktmäßig auf Autorentexte und Bildmaterial zurück. Der Umgang<br />
mit Quellen wird zwar in manchen Büchern gefördert, er steht aber<br />
nicht <strong>im</strong> Mittelpunkt. Die Kerninformationen erhält der Schüler mittels<br />
der Autorentexte, während die Quellen eher der Ergänzung und dem historischen<br />
Arbeiten dienen. Ein Großteil der Quellen stammt aus den Anfängen<br />
der europäischen Einigung (40er, 50er Jahre) und der jüngsten<br />
Zeitgeschichte (90er Jahre).<br />
Die Vielzahl an Bilder unterstützen zwar oft den Einigungsprozess,<br />
trotzdem müssen sich die Schulbücher dem Vorwurf einer plakativen Bebilderung<br />
stellen. Mit Ausnahme der Karikaturen wird durch die Bildauswahl<br />
nicht die Chance genutzt, den Schüler mittels Informationen oder<br />
einem Aufforderungscharakter anzusprechen. So kann sich be<strong>im</strong> Schüler<br />
leicht das Bild von einer EU verfestigen, die die Befürchtungen der Menschen<br />
und deren Handeln ausspart, und auf Verträgen und Institutionen<br />
beruht.<br />
Eine gezieltere Bildauswahl, die sich europäischen Fragen stellt oder<br />
ein europäisches – durchaus kritisches – Bewusstsein aufbaut, würde den<br />
hohen Bildanteil rechtfertigen.<br />
Die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher bieten dem Schüler<br />
genügend Wiederholungsmöglichkeiten in einem altersgemäßen Schwie-<br />
265<br />
Resümee
Resümee<br />
rigkeitsgrad an. Mit der dabei vorherrschenden reinen Textwiederholung<br />
kann die Grundlage für eine kognitive Wissensaneignung zur europäischen<br />
Einigung geschaffen werden.<br />
Um allen Lernformen gerecht zu werden oder aber ein gewisses europäisches<br />
Bewusstsein zu bilden, müsste noch stärker die Auseinandersetzung<br />
mit entdeckenden, handlungs-, problem- und fächerübergreifenden<br />
Fragestellungen gesucht werden.<br />
Auf einen kurzen Nenner gebracht, kann bei der durchgeführten Analyse<br />
festgestellt werden, dass die Geschichts- und Gemeinschaftskundebücher<br />
eine Vielzahl von Informationen zur europäischen Integration beinhalten<br />
und sich die Thematik in den Schulbüchern zunehmend verfestigt.<br />
Es weisen dennoch bei allen Verbesserungen gegenüber den 70er und<br />
80er Jahren mehrere Schulbücher Nachholbedarf bei folgenden Kriterien<br />
auf:<br />
– Schaffung eines europäischen Bewusstseins<br />
– Einbeziehung des multiperspektivischen und kontroversen Ansatzes<br />
als durchgehendes Prinzip<br />
– Verzicht auf Souveränität als grundlegender Gedanke der europäischen<br />
Einigung<br />
– gezieltere Bildauswahl bei den Themen zur euroäischen Einigung<br />
– Einbeziehung aller Lernformen.<br />
Darüber hinaus muss der Frage der „politischen Union“ stärker als<br />
bisher neben der wirtschaftlichen Integration ein Platz in den Schulbüchern<br />
eingeräumt werden.<br />
Ferner gilt es, den Schüler und damit den Bürger <strong>Europa</strong>s nicht aus<br />
den Augen zu verlieren und ihn bei der Informationsvermittlung miteinzubeziehen.<br />
Der tägliche Umgang mit der europäischen Einigung, die<br />
Ängste und Befürchtungen aber auch die Hoffnungen und die Frage:<br />
„Was tust du für <strong>Europa</strong>?“ darf be<strong>im</strong> Vermittlungsprozess nicht außer<br />
Acht gelassen werden.<br />
266
Verzeichnis der untersuchten Schulbücher<br />
6 Verzeichnis der untersuchten<br />
Schulbücher<br />
6.1 Hauptschule:<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
Da viele <strong>Schulbuch</strong>verlage das mit dem Bildungs- und Erziehungsplan<br />
von 1994 neu entstandene Doppelfach Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
auch in einem <strong>Schulbuch</strong> präsentieren, macht eine Unterscheidung nach<br />
Fachbereichen an dieser Stelle wenig Sinn.<br />
– Damals – heute – morgen. – Bauer/Diebold u.a.<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
Hauptschule, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
9. Schuljahr<br />
Stuttgart 1994 , Klett-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Damals – heute – morgen. – Christoph/Kicherer u.a.<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
Hauptschule, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1996 , Klett-Verlag<br />
(Anmerkung: Arbeitsheft – nicht zur Zulassung be<strong>im</strong> Ministerium für<br />
Kultus und Sport eingereicht)<br />
– Doppelpunkt. – Gerst u.a.<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
Hauptschule, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
9. Schuljahr<br />
Stuttgart 1996, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Doppelpunkt. – Gerst u.a.<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde<br />
Hauptschule, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1996, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
267
Verzeichnis der untersuchten Schulbücher<br />
– Entdecken und Verstehen. – Domen (Hrsg.)<br />
Geschichtsbuch für Hauptschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: 9. Schuljahr<br />
Berlin/Stuttgart 1994, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999; nicht mehr zugelassen: 24. März 2000)<br />
– Die Reise in die Vergangenheit – Ebeling/Birkenfeld<br />
Geschichtsbuch für Hauptschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Zeitgeschichte, 9. Schuljahr<br />
Braunschweig 1985, Westermann-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999; nicht mehr zugelassen: 24. März 2000)<br />
– quer. – Friederle u. a.<br />
Geschichte/Gemeinschaftskunde Hauptschule, Ausgabe Baden-<br />
Württemberg<br />
Band 4: Gegensätze und Einheit – Vom Ersten Weltkrieg bis zur EU,<br />
9. Schuljahr<br />
Paderborn 1997, Schöningh-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
6.2 Realschule<br />
6.2.1 Fachbereich Geschichte<br />
– Entdecken und Verstehen. – Berger u.a.<br />
Geschichtsbuch für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: 10. Schuljahr<br />
Berlin/Stuttgart 1998, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Entdecken und Verstehen. – Berger u.a.<br />
Geschichtsbuch für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: 10. Schuljahr<br />
Berlin/Stuttgart 1994, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999; nicht mehr zugelassen: 24. März 2000)<br />
– Geschichte konkret. – Andraschko u.a.<br />
Geschichtsbuch für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: 10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1997, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
268
Verzeichnis der untersuchten Schulbücher<br />
– Geschichte für morgen. – Domen (Hrsg.)<br />
Arbeitsbuch für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Zeitgeschichte, 10. Schuljahr<br />
Berlin/Stuttgart 1992, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999; nicht mehr zugelassen: 24. März 2000)<br />
– Unsere Geschichte. – Hug/Bahl<br />
Ausgabe für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Die Welt nach 1945, 10. Schuljahr<br />
Frankfurt/Main 1995, Diesterweg-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Von ... bis ... – Christmann/Fiederle<br />
Geschichtsbuch für Realschulen – Neu, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Von 1945 bis heute<br />
Paderborn 1998, Schöningh-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
6.2.2 Fachbereich Gemeinschaftskunde<br />
– Anstöße. – Kneile-Klenck u.a.<br />
Gemeinschaftskunde für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 2: 9./10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1996, Klett-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Berufswahlvorbereitung – Baumjohann u.a.<br />
Informationen – Arbeitsaufgaben – Fallbeispiele – Rollenspiele<br />
9./10. Schuljahr<br />
Köln 1992, Wirtschaftsverlag Bachem<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Demokratie heute. – Sperling u.a.<br />
Gemeinschaftskunde für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Klasse 10<br />
Stuttgart 1995, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– P – wie Politik. – Fiederle/Filser<br />
Gemeinschaftskunde für Realschulen, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
10. Schuljahr<br />
Paderborn 1995, Schöningh-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
269
Verzeichnis der untersuchten Schulbücher<br />
6.3 Gymnasium<br />
6.3.1 Fachbereich Geschichte<br />
– Anno 1. – Askani u.a.<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Das 20. Jahrhundert, 10. Schuljahr<br />
Braunschweig 1997, Westermann-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– bsv Geschichte. – Cornellssen u.a.<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4 BW: Das 20. Jahrhundert, 10. Schuljahr<br />
München 1997, Bayrischer <strong>Schulbuch</strong>-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– bsv Geschichte. – v. Bruch u.a.<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4 N: Das 20. Jahrhundert, 10. Schuljahr<br />
München 1995, Bayrischer <strong>Schulbuch</strong>-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Fragen an die Geschichte. – Schmid (Hrsg.)<br />
Geschichtliches Arbeitsbuch für die Sekundarstufe I (Quellenwerk)<br />
Band 3: Europäische Weltgeschichte<br />
Berlin/Stuttgart 1981, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Geschichte und Geschehen. – Bittner u.a.<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: 10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1997, Klett-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Geschichtsbuch – Neue Ausgabe B. – Günther/Zwölfer u.a.<br />
Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumentationen,<br />
Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Von 1918 bis 1995, 10. Schuljahr<br />
Berlin/Stuttgart 1997, Cornelsen-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– historia. – Müller u.a.<br />
Geschichtswerk für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4: Das zwanzigste Jahrhundert, 10.Schuljahr<br />
Paderborn 1999, Schöningh-Verlag (zugelassen: 13. Juni 2000)<br />
270
Verzeichnis der untersuchten Schulbücher<br />
– Tempora – Geschichte und Geschehen. – Birk u.a.<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
10. Schuljahr<br />
Stuttgart 1988, Klett-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
– Zeiten und Menschen: Neue Ausgabe B. – Görlitz/Immisch<br />
Geschichte für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Band 4 BW: Zeitgeschichte, 10. Schuljahr<br />
Paderborn 1984, Schöningh-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
6.3.2 Fachbereich Gemeinschaftskunde<br />
– Mensch und Politik. – Egner u.a.<br />
Gemeinschaftskunde für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Klasse 10 (Neubearbeitung)<br />
Stuttgart 1999, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 24. März 2000)<br />
– Mensch und Politik. – Egner u.a.<br />
Gemeinschaftskunde für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
Klasse 10<br />
Stuttgart 1995, Schroedel-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999; nicht mehr zugelassen: 24. März 2000)<br />
– Politik <strong>im</strong> Wandel. – Bastian u.a.<br />
Gemeinschaftskunde für Gymnasien, Ausgabe Baden-Württemberg<br />
10. Schuljahr<br />
Paderborn 1994, Schöningh-Verlag<br />
(zugelassen: 26. März 1999 und 24. März 2000)<br />
271
Literaturverzeichnis<br />
7 Literaturverzeichnis<br />
Antrag der Abgeordneten Monika Schnaitmann u. a. Grüne und Stellungnahme<br />
des Ministeriums für Kultus und Sport vom 28.09.93 über die Erweiterung der<br />
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Stuttgart 1993<br />
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Schallenberger, Horst/Stein, Gerd (Hrsg.): Das <strong>Schulbuch</strong> zwischen staatlichem<br />
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1976, S. 85<br />
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<strong>Schulbuch</strong>zulassung. Zur Geschichte und Problematik staatlicher Bevormundung<br />
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Europäisches Parlament: Entschließung zur europäischen D<strong>im</strong>ension <strong>im</strong> Bildungswesen,<br />
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der Grundlage vertraglicher Souveränitätsteilung mit den fortbestehenden Nationalstaaten,<br />
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Schallenberger, E. Horst (Hrsg.): Studien zur Methodenproblematik wissenschaftlicher<br />
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Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.) Geschäftsbericht<br />
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Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Kultus<br />
und Unterricht, 6a–c/1999 vom 26. März 1999<br />
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Kultus<br />
und Unterricht, 6a–c/2000 vom 24. März 2000<br />
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Kultus<br />
und Unterricht vom 13. Juni 2000<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
das Gymnasium, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1984<br />
278
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
das Gymnasium, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1994<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Grundschule, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1994<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Hauptschule, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1984<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Hauptschule, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1994<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Realschule, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1984<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Realschule, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, 1994<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan für<br />
die Schule für Lernbehinderte, Band 1, Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag,<br />
1990<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Handreichungen<br />
zur Begutachtung von Schulbüchern, Stuttgart o. J.<br />
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Kultus und Unterricht,<br />
2. Mai 1996<br />
Müller, Walter: <strong>Schulbuch</strong>zulassung. Zur Geschichte und Problematik staatlicher<br />
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Band X), Kastellaun: Henn, 1978, S. 157 – 193<br />
284
8 Anhang<br />
8.1 Anhang Nr. 1: Anteile der einzelnen<br />
Themen der europäischen Einigung<br />
(Geschichte)<br />
8.2 Anhang Nr. 2: Anteile der einzelnen<br />
Themen der europäischen Einigung<br />
(Gemeinschaftskunde)<br />
8.3 Anhang Nr. 3: Werturteile über die<br />
europäische Einigung<br />
(Geschichte)<br />
8.4 Anhang Nr. 4: Werturteile über die<br />
europäische Einigung<br />
(Gemeinschaftskunde)<br />
285<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 1, Tabelle 1<br />
286
Anhang Nr. 1, Tabelle 2<br />
287<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 1, Tabelle 3<br />
288
Anhang Nr. 1, Tabelle 4<br />
289<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 1, Tabelle 5<br />
290
Anhang Nr. 1, Tabelle 6<br />
291<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 1, Tabelle 7<br />
292
Anhang Nr. 2, Tabelle 1<br />
293<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 2, Tabelle 2<br />
294
Anhang Nr. 2, Tabelle 3<br />
295<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 3, Tabelle 1<br />
296
Anhang Nr. 3, Tabelle 2<br />
297<br />
Anhang
Anhang<br />
Anhang Nr. 3, Tabelle 3<br />
298
Anhang Nr. 4<br />
299<br />
Anhang