Gerd-E. Famulla/ Universität Flensburg „Berufsorientierung im ...

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8 Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Bereits heute sind nur noch etwa die Hälfte aller Erwerbspersonen in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis beschäftigt (vgl. Oschmiansky/Schmid 2000, S. 4), bei dem eine fachlich qualifizierte Arbeit mit voller Stundenzahl ausgeübt und mit vollem tariflichen Entgelt bezahlt wird, in dem gesetzlicher Kündigungsschutz besteht und volle Urlaubs- und Rentenansprüche gesichert sind. Auf die anderen Erwerbspersonen trifft hingegen die Realität zeitweiser oder anhaltender Erwerbsarbeitslosigkeit sowie flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu. Auch wenn man durchaus noch nicht vom Verschwinden der „Normalarbeit“ sprechen kann und neuen Arbeitsformen und -verhältnissen wie dem „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. Voss/Pongratz 1999) oder dem „Scheinselbständigen“ (vgl. Reindl 2000) Zukunftsfähigkeit mit guten Gründen bestritten werden kann, dürften wir erst am Beginn der Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis ökonomisch bestimmter Flexibilität und sozialpolitisch notwendiger Sicherheit stehen (vgl. Keller/Seifert 2000). Immerhin hat die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ auch dazu geführt, dass zunehmend Formen von Eigenarbeit (etwa im Privathaushalt) und öffentlicher Arbeit oder Bürgerarbeit (etwa als Engagement in der Kommunalpolitik) als Alternativen zur Erwerbsarbeit diskutiert werden. Doch alle Anzeichen deuten darauf hin, dass diese alternativen oder besser weiteren, ergänzenden Formen von Arbeit auf längere Sicht in starkem Maße die Erwerbsarbeit zur Voraussetzung haben werden (vgl. Wagner/Gensior 1999, S. 57ff). Das heißt: Trotz des Rückgangs der Erwerbsquote im Normalarbeitsverhältnis und Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die Erwerbsarbeit auch im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die bedeutendste Form der Arbeit. Insofern bewegen wir uns weiterhin in der „Wirtschaftsgesellschaft“ (vgl. Polanyi 1979). Die (vor allem ökonomisch determinierte) Erwerbsarbeit bildet hier das „organisierende Zentrum“ der Lebensführung, das heißt, durch sie werden für Individuum und Gesellschaft zugleich Wohlstand möglich, aber auch Problemlagen erzeugt, die durch „Familienarbeit“ bzw. Sozialpolitik wiederum kompensiert werden müssen (vgl. Famulla 1990). Fazit: Schulische Arbeits- und Berufsorientierung sollte einen erweiterten Arbeitsbegriff zu Grunde legen, in dem Erwerbsarbeit, Eigenarbeit sowie öffentliche oder Bürger-Arbeit gleichermaßen vertreten sind, allerdings sollte oder muss die Erwerbsarbeit nach wie vor als das „organisierende Zentrum der Lebensführung“ angesehen werden.

9 2.3 Dritte Herausforderung: Die Sicherung der Berufsform von Arbeit im Sinne von „beruflicher Handlungsfähigkeit“ Trotz der in letzter Zeit des öfteren zu hörenden These vom „Ende des Lebensberufs“ wird es nicht darum gehen, von der berufsförmigen Arbeit überhaupt Abschied zu nehmen. Vielmehr ist eine Veränderung zu konstatieren. Was sich verändert, ist die Bedeutung der einmal in der Ausbildung gelernten Fachqualifikation wie auch die soziale Sicherheit, den Ausbildungsberuf ein ganzes Leben lang, womöglich noch in einem einzigen Betrieb ausüben zu können. Was jetzt geleistet werden muss, ist die bessere Abstimmung der veränderten und sich rasch wandelnden Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems mit den Bildungs-, Arbeits- und Lebensansprüchen der Menschen, insbesondere der Jugendlichen. Ist dieser Abstimmungs- und Anpassungsprozess im Rahmen der beruflich organisierten und qualifizierten Arbeit noch zu schaffen? Oder ist der Beruf „out“ und verliert mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, vom Facharbeiter zum Wissensarbeiter („Symbolanalytiker“) seine Brückenund Integrationsfunktion, wie etwa der Berufssoziologe Martin Baethge meint (vgl. Baethge 1996)? Zur Rolle des Berufs und der Berufsausbildung bei der Abstimmung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Auch gibt es verschiedene Reformkonzepte (vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung, vom Deutschen Industrie- und Handelstag wie auch von den Handwerkskammern), um eine bessere Anpassung zwischen Bildungsund Beschäftigungssystem zu ermöglichen. Danach geht die Tendenz langfristig dahin, Berufsausbildung stärker auf die Vermittlung theoretisch anspruchsvoller und extrafunktionaler Kompetenzen zu konzentrieren. Es soll eine berufliche Grundqualifikation vermittelt werden, auf der ein stärker an Arbeitsmarkt- bzw. betrieblichen Anforderungen orientiertes und gestaltbares System der beruflichen Weiterbildung aufsetzt (vgl. in diesem Sinne auch Rebmann u. a. 1998, S. 64). Wenn man danach fragt, welchen Beitrag Berufsvorbildung und Berufsausbildung für die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft leistet, so ist die wichtige psychosoziale Funktion des Berufs hervorzuheben. Über den Beruf werden nicht nur marktfähige Qualifikationen gebündelt, Wertorientierungen und Haltungen vermittelt, gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung erreicht, über den Beruf und die Berufswahl werden „Lebenspläne“ entwickelt. Es scheint, als ob die meisten hiermit auch gut fahren: Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft würden immerhin 73 Prozent

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Beschäftigung (vgl. Beck 1986). Bereits heute sind nur noch etwa die Hälfte<br />

aller Erwerbspersonen in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis<br />

beschäftigt (vgl. Oschmiansky/Schmid 2000, S. 4), bei dem eine fachlich qualifizierte<br />

Arbeit mit voller Stundenzahl ausgeübt und mit vollem tariflichen Entgelt<br />

bezahlt wird, in dem gesetzlicher Kündigungsschutz besteht und volle<br />

Urlaubs- und Rentenansprüche gesichert sind. Auf die anderen Erwerbspersonen<br />

trifft hingegen die Realität zeitweiser oder anhaltender Erwerbsarbeitslosigkeit<br />

sowie flexibler Beschäftigungsverhältnisse zu. Auch wenn man<br />

durchaus noch nicht vom Verschwinden der „Normalarbeit“ sprechen kann<br />

und neuen Arbeitsformen und -verhältnissen wie dem „Arbeitskraftunternehmer“<br />

(vgl. Voss/Pongratz 1999) oder dem „Scheinselbständigen“ (vgl. Reindl 2000)<br />

Zukunftsfähigkeit mit guten Gründen bestritten werden kann, dürften wir erst<br />

am Beginn der Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis ökonomisch<br />

best<strong>im</strong>mter Flexibilität und sozialpolitisch notwendiger Sicherheit stehen (vgl.<br />

Keller/Seifert 2000).<br />

Immerhin hat die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ auch dazu<br />

geführt, dass zunehmend Formen von Eigenarbeit (etwa <strong>im</strong> Privathaushalt)<br />

und öffentlicher Arbeit oder Bürgerarbeit (etwa als Engagement in der Kommunalpolitik)<br />

als Alternativen zur Erwerbsarbeit diskutiert werden. Doch alle<br />

Anzeichen deuten darauf hin, dass diese alternativen oder besser weiteren,<br />

ergänzenden Formen von Arbeit auf längere Sicht in starkem Maße die<br />

Erwerbsarbeit zur Voraussetzung haben werden (vgl. Wagner/Gensior 1999, S.<br />

57ff).<br />

Das heißt: Trotz des Rückgangs der Erwerbsquote <strong>im</strong> Normalarbeitsverhältnis<br />

und Zunahme anderer Erwerbsarbeitsformen mit höheren sozialen Risiken<br />

bis hin zur sozialen Ausschließung bleibt die Erwerbsarbeit auch <strong>im</strong><br />

Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft die<br />

bedeutendste Form der Arbeit. Insofern bewegen wir uns weiterhin in der<br />

„Wirtschaftsgesellschaft“ (vgl. Polanyi 1979). Die (vor allem ökonomisch determinierte)<br />

Erwerbsarbeit bildet hier das „organisierende Zentrum“ der<br />

Lebensführung, das heißt, durch sie werden für Individuum und Gesellschaft<br />

zugleich Wohlstand möglich, aber auch Problemlagen erzeugt, die durch<br />

„Familienarbeit“ bzw. Sozialpolitik wiederum kompensiert werden müssen (vgl.<br />

<strong>Famulla</strong> 1990).<br />

Fazit: Schulische Arbeits- und Berufsorientierung sollte einen erweiterten<br />

Arbeitsbegriff zu Grunde legen, in dem Erwerbsarbeit, Eigenarbeit sowie<br />

öffentliche oder Bürger-Arbeit gleichermaßen vertreten sind, allerdings sollte<br />

oder muss die Erwerbsarbeit nach wie vor als das „organisierende Zentrum<br />

der Lebensführung“ angesehen werden.

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