geschichte spital- geschichten und - Kantonsspital Obwalden
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ROMANO CUONZ<br />
SPITAL-<br />
GESCHICHTE UND<br />
GESCHICHTEN
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
Der Geschichtensammler<br />
Der Sarner Journalist <strong>und</strong> Publizist Romano Cuonz hat zum 150. Geburtstag des Kantons<strong>spital</strong>s <strong>Obwalden</strong> Geschichten zur<br />
Geschichte des Spitals gesammelt.<br />
Romano Cuonz war ursprünglich Lehrer; schon früh begann er parallel dazu seine journalistische<br />
Tätigkeit. Seit 1971 redaktionelle Mitarbeit bei verschiedenen Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften.<br />
Seit 1978 Redaktor beim Schweizer Radio DRS. Publizist <strong>und</strong> Schriftsteller. Naturfotograf. Verschiedene<br />
Auszeichnungen. Kürzlich wurde auf Radio DRS sein Hörspiel «Ä Bahn ufs Stanserhorn<br />
– Zläid <strong>und</strong> ztrotz» ausgestrahlt. Zum Jubiläum 100 Jahre Hammetschwandlift wurde im<br />
Sommer 2006 sein Szenenspiel «Hotelpioniere früher <strong>und</strong> heute – Der Fürscht vom Bürgestock<br />
<strong>und</strong> der Luzerner Hotelmanager» aufgeführt.<br />
Geschichte findet nicht einfach in Büchern statt, Geschichte heisst Geschichten. Romano Cuonz<br />
hat sich in vielen Gesprächen mit ehemaligen Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern des Spitals<br />
Geschichten erzählen lassen. Und er hat weiter zurückliegende Geschichten ausgegraben.<br />
Daraus ist eine Geschichte aus Geschichten entstanden, welche anlässlich des Jubiläums «150<br />
Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong>» veröffentlicht wird. Romano Cuonz.<br />
Dieser Sonderdruck kann beim Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong> unter Telefon 041 666 44 22 bestellt oder als PDF vom Internet heruntergeladen<br />
werden: www.ksow.ch.<br />
2
3 150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
1525 –1856<br />
Der alte «Spittel» am Aawasser<br />
Auf dem Schulweg blieben wir<br />
Kinder immer am gleichen Ort<br />
stehen: Eine Miniaturkapelle,<br />
kaum grösser als ein Hühnerstall,<br />
aber mit einem echten<br />
kleinen Türmchen drauf, zog<br />
unsere Blicke magisch auf<br />
sich. Auf dem Ziegeldach des<br />
Türmchens prangte ein silbern<br />
glänzendes Kreuz. Zur Strasse<br />
hin öffnete sich die Kapelle.<br />
Jesus am Kreuz <strong>und</strong> Sankt Antoni<br />
mit einer Lilie in der Hand<br />
<strong>und</strong> dem Jesuskind auf dem<br />
Arm verlangten von uns ein<br />
kurzes Gebet. Unsere Blicke<br />
aber galten etwas anderem:<br />
Inmitten von grossen Steinen<br />
<strong>und</strong> einem ganzen Meer von<br />
Blumen standen r<strong>und</strong> um die<br />
Kapelle herum das Schneewittchen<br />
<strong>und</strong> die sieben Zwerge,<br />
dazu Rehlein <strong>und</strong> Häschen.<br />
Diese ganze Pracht gehörte<br />
den Hess-Kindern. Sie<br />
wohnten in der Spitalmatte.<br />
Ich erinnere mich, dass ich<br />
mich als Kind oft gefragt<br />
habe, warum. Wo sich doch<br />
das Obwaldner Spital auf der<br />
andern Seite der Sarneraa,<br />
drüben an der Brünigstrasse,<br />
befand! Übrigens: Die kleine<br />
Kapelle steht noch immer am<br />
selben Ort. Aus all den vielen<br />
Hochwassern, die das Bauerngut<br />
an der Aa im Verlauf der<br />
Jahre überschwemmt haben,<br />
ist sie, wie durch ein W<strong>und</strong>er,<br />
1856 –1911<br />
Obwaldner Kantons<strong>spital</strong> nach Churer Muster<br />
«Am 22. Jänner 1856 war<br />
Einzug in den neuen Spital»,<br />
heisst es in der Chronik des<br />
Fleckens Sarnen. Diesen Tag<br />
immer wieder in neuem Glanz<br />
hervorgegangen. Was es damit<br />
auf sich hat, sollte ich erst<br />
viel später erfahren …<br />
■ ■<br />
Diese kleine Kapelle – von den<br />
Sarnern stets «Chäppeli» genannt<br />
– ist älter, als man annehmen<br />
möchte. Erbaut wurde<br />
sie zum Andenken an einen<br />
wohltätigen Mann. Melchior<br />
Hess hiess er, <strong>und</strong> er war einer<br />
der ersten Obwaldner Spitalverwalter.<br />
Man hatte das<br />
«Chäppeli» direkt ans nördliche<br />
Ende seines «Spittels» angefügt.<br />
Dieser «Spittel» war<br />
ein für die damalige Zeit aussergewöhnliches<br />
Gebäude.<br />
Etwa 20 bis 25 Meter lang,<br />
fünf bis acht Meter breit <strong>und</strong><br />
r<strong>und</strong> acht Meter hoch war es,<br />
<strong>und</strong> es zog sich «an der oberen<br />
Brücke» dem Aawasser<br />
entlang. Datiert ist es vom Jahre<br />
1695. Aber der damalige<br />
Bau dürfte einen Vorgänger,<br />
der in Urk<strong>und</strong>en bereits 1525<br />
erwähnt wird, ersetzt haben.<br />
«Spittel» war eine m<strong>und</strong>artliche<br />
Version des lateinischen<br />
Substantivs «Ho<strong>spital</strong>e» <strong>und</strong><br />
bedeutete ursprünglich Gastoder<br />
Fremdenhaus. Solche<br />
Häuser betrieben vorerst Mönche<br />
oder Nonnen für ihre Besucher.<br />
Bald aber wurden<br />
darf man denn auch als Geburtstag<br />
des Kantons<strong>spital</strong>s<br />
<strong>Obwalden</strong> bezeichnen. Erstaunlich<br />
– ja, aus heutiger<br />
«Spittel» zu Orten, wo man<br />
Armen <strong>und</strong> Alten ein Obdach<br />
gewährte, Kranke pflegte<br />
oder ledige Mütter ihre unehelichen<br />
Kinder gebären liess.<br />
Von diesem ersten Obwaldner<br />
«Spittel» hat die Spitalmatte<br />
ihren Namen erhalten.<br />
Dass in einem solchen «Spittel»<br />
Menschen ges<strong>und</strong> gepflegt<br />
werden konnten, ist<br />
nach heutigen Hygiene-Massstäben<br />
fast nicht mehr vorstellbar:<br />
Die Kranken – meistens<br />
mittellose Leute – waren im<br />
Nord- <strong>und</strong> Südtrakt in grossen,<br />
kaum geheizten Stuben untergebracht.<br />
Da gab es wenige<br />
«Federbetten», dafür umso<br />
mehr Laubsäcke. Das WC<br />
war in einem Anbau <strong>und</strong> ging<br />
direkt zur Sarneraa. In der<br />
Mitte des Gebäudes gab es<br />
Sicht fast nicht mehr nachvollziehbar<br />
– ist die Tatsache,<br />
dass es von der Initialzündung<br />
über Planung <strong>und</strong> Bau<br />
eine Küche <strong>und</strong> Behandlungszimmer.<br />
Am häufigsten musste<br />
man damals Infektionskrankheiten,<br />
namentlich die Pest, behandeln.<br />
Auch zu frühe oder<br />
komplizierte Geburten wurden<br />
oft verzeichnet. Herz- <strong>und</strong><br />
Kreislaufkrankheiten dagegen<br />
waren selten. Erkannte Tumore<br />
gab es nur ganz wenige.<br />
Vor 150 Jahren – im Mai<br />
1856 – verkaufte die Obwaldner<br />
Regierung den «Spittel»<br />
an den «Spitteler» (Spitalverwalter)<br />
Melchior Hess, <strong>und</strong><br />
schon fünf Jahre später liessen<br />
seine Nachkommen den maroden<br />
Bau abreissen. An seine<br />
Stelle kamen ein Ökonomiegebäude<br />
<strong>und</strong> ein Wohnhaus.<br />
Was als einziges Andenken<br />
bis heute geblieben ist, ist die<br />
kleine Kapelle.<br />
bis hin zum Bezug des neuen<br />
Spitals gerade mal sechs Jahre<br />
dauerte. Wer waren die<br />
Leute, die so effiziente Arbeit
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
leisteten? Im Oktober 1850<br />
gab die Landesarmenkommission<br />
des Obwaldner Landrats<br />
der Regierung einen Auftrag:<br />
Sie möge die nötigen<br />
Vorbereitungen für den Ersatz<br />
des «Spittels» <strong>und</strong> den Neubau<br />
einer Kranken- <strong>und</strong> Strafanstalt<br />
an die Hand nehmen.<br />
Sogleich wurde eine Kommission<br />
eingesetzt. Ihre Mitglieder<br />
hatten klingende Namen:<br />
Landammann Franz Wirz,<br />
Landstatthalter Alois Michel,<br />
Regierungsrat Johann Imfeld,<br />
Landessäckelmeister Dr.<br />
Simon Etlin sowie der bekannte<br />
Regierungs- <strong>und</strong> Ständerat<br />
Niklaus Hermann. Hermann<br />
war es denn auch, der bei Architekt<br />
Josef Ettlin einen Entwurf<br />
in Auftrag gab. Schon<br />
nach kurzem legte dieser Pläne<br />
auf den Ratstisch. Nur, der<br />
Landrat fand sie «überrissen»<br />
<strong>und</strong> lehnte ab. Doch die Herren<br />
liessen nicht locker. Unmittelbar<br />
nach dem Nein stellten<br />
sie ein neues Raumprogramm<br />
zusammen <strong>und</strong> Simon Etlin<br />
bekam den Auftrag, gleich selber<br />
die entsprechenden Baupläne<br />
zu entwerfen. Aber wie<br />
sollte er, der Jurist <strong>und</strong> Finanzfachmann<br />
war, diese schwierige<br />
Aufgabe lösen?<br />
■ ■<br />
Simon Etlin war ein versierter<br />
Lateiner. Deshalb nahm er sich<br />
vor, «sein» Spital unter das<br />
Motto «Christo in Pauperibus»<br />
(Christus offenbart sich in der<br />
Armut) zu stellen. Diese Devise<br />
hatte er einem der bekanntesten<br />
<strong>und</strong> bedeutendsten Zeitgenossen<br />
abgeguckt: dem Kapuzinerpater<br />
Theodosius Florentini.<br />
Er war ein Bündner Bauernkind,<br />
das mit acht Jahren<br />
schon seinen Vater verloren<br />
<strong>und</strong> Entbehrungen <strong>und</strong> Hunger<br />
am eigenen Leib erfahren hatte.<br />
Später wurde er zum cha-<br />
rismatischen Feuerkopf <strong>und</strong><br />
Kapuzinerprediger mit dem<br />
einen Ziel, die grosse Armut<br />
des Volkes nach dem Sonderb<strong>und</strong>skrieg<br />
zu lindern. Spitäler<br />
brauche es, in denen jede<br />
<strong>und</strong> jeder Aufnahme finde,<br />
sagte er. Im Jahre 1853 errichtete<br />
Theodosius Florentini in<br />
Chur sein erstes Spital unter<br />
dem Namen «Kreuz<strong>spital</strong>». Es<br />
wurde zu einem Vorzeigeobjekt.<br />
Auch fürs nötige Pflegepersonal<br />
war er besorgt. Er<br />
holte Schwester Maria Theresia<br />
Scherer, die im Luzerner<br />
Bürger<strong>spital</strong> Krankenpflege erlernt<br />
hatte, ins Bündnerland.<br />
Mit ihr als erster Spital-Oberin<br />
führte er sein Spital. Die Frau<br />
wurde später als Mutter Theresia<br />
vom Institut der Barmherzigen<br />
Schwestern vom heiligen<br />
Kreuz in Ingenbohl selig ge-<br />
sprochen. Pater Theodosius<br />
aber avancierte zum Dompfarrer<br />
<strong>und</strong> Generalvikar in Chur.<br />
Zu diesen beiden Persönlichkeiten<br />
reiste der Obwaldner<br />
Säckelmeister Simon Etlin.<br />
Und er kehrte nicht mit leeren<br />
Händen nach Hause zurück.<br />
In seinem Gepäck befanden<br />
sich Florentinis Pläne für das<br />
neu erstellte Churer Kreuz<strong>spital</strong>.<br />
Von Mutter Maria Theresia<br />
aber hatte er die mündliche<br />
Zusicherung erhalten, dass –<br />
sobald er in Sarnen ein Spital<br />
für alle errichtet habe – die<br />
Schwestern vom Heiligkreuz<br />
in Chur auch nach <strong>Obwalden</strong><br />
kommen würden.<br />
■ ■<br />
Nun brauchte Simon Etlin<br />
keine grossen Überredungskünste<br />
mehr: 1851 genehmigte<br />
die Kommission seine Pläne.<br />
Das «Spital für eigentliche<br />
Kranke», das gleichzeitig als<br />
Pfründerheim für Arme <strong>und</strong><br />
Gebrechliche, als Irrenanstalt,<br />
Gefangenschaftslokal <strong>und</strong> als<br />
Zuchthaus dienen musste, sollte<br />
nach seinen Plänen errichtet<br />
werden. Man begann die Kosten<br />
zu berechnen <strong>und</strong> kam auf<br />
30 000 Gulden. Viel Geld für<br />
einen Kanton, der nach der<br />
jahrelangen Zahlung von Re-<br />
4<br />
parationszahlungen infolge<br />
des Sonderb<strong>und</strong>skriegs völlig<br />
verarmt war. Jedoch: 1851 erliessen<br />
die eidgenössischen<br />
Räte den Sonderbündlern die<br />
Restkosten. <strong>Obwalden</strong> konnte<br />
aus dem Landessäckel 3000<br />
Gulden für gemeinnützige<br />
Zwecke freimachen. Auch die<br />
Gemeinden bezahlten Geld<br />
oder lieferten Material für<br />
6000 Gulden. Weitere Mittel<br />
stammten vom Erlös verkauften<br />
Buchen- oder Tannenholzes<br />
aus dem Spitalwald oder sie<br />
flossen aus der unversiegbaren<br />
Salzkasse. Trotzdem blieben<br />
nicht geringe Restkosten<br />
von 4500 Gulden. Diese sollten<br />
nach Ansicht der Regierung<br />
«aus milden Gaben der<br />
Bevölkerung beigebracht werden».<br />
Die Bevölkerung zeigte<br />
sich milde! Nach drei Jahren<br />
Bauzeit stand das erste Obwaldner<br />
Kantons<strong>spital</strong> samt<br />
Spitalkapelle als stattliches<br />
Gebäude an der Brünigstrasse.<br />
Simon Etlin aber wurde für<br />
seine Initiative <strong>und</strong> die gute<br />
Planung gebührend geehrt.<br />
Und belohnt: Das Landvolk<br />
wählte ihn zu seinem Landammann.<br />
■ ■<br />
Mit dem neuen Spital kamen<br />
wie versprochen auch die
5 150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
Schwestern vom Heiligkreuz –<br />
die späteren Ingenbohlerinnen<br />
– nach Sarnen. Sie haben,<br />
wie die Chronisten einhellig<br />
versichern, «unter fast<br />
unmenschlichen Entbehrungen<br />
unermesslichen Segen gestiftet».<br />
Dreissig Jahre dauerte<br />
der Pflegevertrag, den Simon<br />
Etlin mit der neuen Kongregation<br />
hatte abschliessen können.<br />
Gar vierzig Jahre lang<br />
genügte dieses erste Spital<br />
den Obwaldnern. Nur eine<br />
einzige Erweiterung gab es:<br />
1872 wurde neben dem Gebäude<br />
noch eine Holzhütte mit<br />
Stallungen für die <strong>spital</strong>eigenen<br />
Tiere angegliedert.<br />
Gegen die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />
nahmen infolge der industriellen<br />
Revolution die Einwohnerzahlen<br />
– <strong>und</strong> mit ihnen jene<br />
der Patienten – im ganzen<br />
Land zu. Auch in <strong>Obwalden</strong><br />
liess sich nun die Notwendigkeit<br />
eines grösseren Spitals<br />
nicht mehr leugnen. Im April<br />
1897 war es soweit. Auf den<br />
Traktanden der Landsgemeinde<br />
stand: «Errichtung einer<br />
den vielseitigen Verhältnissen<br />
<strong>und</strong> Bedürfnissen entspre-<br />
1911 –1974<br />
chenden Krankenheilanstalt».<br />
Die Mannen unter den Linden<br />
hatten wieder ein heisses Thema:<br />
das neue Obwaldner Spital.<br />
So schnell wie beim ersten<br />
Bau ging es allerdings diesmal<br />
nicht mehr. Ein wahres<br />
Hickhack setzte ein. Landrat<br />
<strong>und</strong> Landvolk mussten noch<br />
zweimal über Abänderungsanträge<br />
debattieren, bis 1910<br />
endlich ein deutliches Handmehr<br />
für den Neubau zustande<br />
kam. Erst jetzt ging es vorwärts.<br />
Nach einjähriger Bauzeit<br />
war das neue Spital – unmittelbar<br />
neben dem alten –<br />
bezugsbereit.<br />
■ ■<br />
Es ist eine eigentümliche Geschichte:<br />
Vom damals neuen<br />
Spital aus dem Jahre 1911<br />
besteht gegenwärtig nur noch<br />
die Gr<strong>und</strong>substanz im Bettentrakt<br />
des Akut<strong>spital</strong>s. Ganz<br />
anders verhält es sich mit dem<br />
ersten Spital aus dem Jahre<br />
1856. Dieses Haus, welches<br />
nach fremden Plänen errichtet<br />
worden ist, steht noch immer.<br />
Niemals dachten die Politiker<br />
an einen Abbruch. Im Gegen-<br />
teil: Nach einem Beschluss,<br />
der im Kantonsrat schlank<br />
durchging, wurde 1915 das<br />
südliche Dachgeschoss erweitert.<br />
Und gut 40 Jahre später –<br />
im Jahre 1972 – beschloss der<br />
Kanton eine stilgerechte Renovation<br />
<strong>und</strong> den Ausbau des altehrwürdigen<br />
Gebäudes. Ob<br />
es der Geist von Pater Theodosius<br />
<strong>und</strong> Schwester Maria Theresia<br />
Scherer ist, der über<br />
dem Gebäude schwebt? Auf<br />
jeden Fall wirkten in diesem<br />
Haus über all die 150 Jahre<br />
Schwestern <strong>und</strong> Pfleger ganz<br />
<strong>und</strong> gar nach der von Landam-<br />
mann Simon Etlin geprägten<br />
Devise «Christo in Pauperibus».<br />
Als das neue Spital bezogen<br />
wurde, diente das alte<br />
vorerst als Alters- <strong>und</strong> Pflegeheim<br />
für wenig bemittelte Senioren.<br />
Bürgerheim wurde es<br />
geheissen. Heute aber befindet<br />
sich in diesem Gebäude<br />
die Psychiatrie. Gerade die<br />
Psychiatrie ist – wenn es um<br />
die Erhaltung des Spitalstandorts<br />
Sarnen geht – mit ihrem<br />
grosszügigen Raumangebot<br />
ein starker Trumpf in den Händen<br />
der Obwaldner gegenüber<br />
den Nidwaldnern.<br />
Ein neues Spital <strong>und</strong> ein altes Bürgerheim<br />
Am 6. Oktober 1911 traten<br />
die beiden ersten Patienten ins<br />
neue Obwaldner Spital ein.<br />
Von nun an stiegen die Zahlen<br />
jährlich an. Spitaldirektor Josef<br />
von Flüe, der 1914 – zu<br />
Beginn des Ersten Weltkrieges<br />
– sein Amt antrat, zählte bereits<br />
in seinem ersten Jahr 181<br />
Patienten. 1935 – kurz vor<br />
dem Zweiten Weltkrieg –<br />
übergab er die Direktion an<br />
Josef Gasser-Imfeld: Der hatte<br />
r<strong>und</strong> 400 Patienten pro Jahr<br />
an 9720 Verpflegungstagen<br />
zu betreuen. Während der<br />
Kriege wurde am Spital baulich<br />
praktisch nichts verändert.<br />
Auch die Medizin <strong>und</strong> die Betreuung<br />
der Patienten entwickelten<br />
sich damals bei weitem<br />
nicht so sprunghaft wie<br />
heutzutage. Ins Spital eingewiesen<br />
wurden schwer kranke<br />
oder pflegebedürftige Einwohner<br />
durch ihre Hausärzte,<br />
<strong>und</strong> diese waren es denn<br />
auch, die nicht allzu komplizierte<br />
Operationen selber vornahmen<br />
<strong>und</strong> die Schwestern<br />
bei der Pflege ihrer Patienten<br />
anleiteten. Eine ganze Anzahl<br />
Allgemeinpraktiker gingen im<br />
Spital ein <strong>und</strong> aus. Einen Spitalarzt<br />
gab es ebenso wenig<br />
wie eine Anästhesie oder einen<br />
Notfalldienst: Schwere<br />
Fälle wurden nach wie vor<br />
den Luzernern überlassen. Als<br />
Spitalverwalter Josef Gasser-<br />
Imfeld 1951 verstarb, war der<br />
Weltkrieg vorbei. Im Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
aber setzte jetzt<br />
eine Neuorientierung ein.<br />
Victor Saladin – ein Mann mit<br />
grosser Energie <strong>und</strong> Tatkraft –<br />
übernahm das Ruder. Bereits<br />
bei Amtsantritt hatte er den<br />
Vorsatz gefasst, das in vielen<br />
Hinsichten unzulängliche<br />
Krankenhaus zu einem modernen<br />
Klein<strong>spital</strong> zu machen.
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
Wie so anders als heute das<br />
Ges<strong>und</strong>heitswesen damals<br />
war, kann man am eindrücklichsten<br />
am Beispiel der Gebärabteilung<br />
aufzeigen. Dort<br />
arbeitete – ab dem Jahr 1946<br />
– die heute 86-jährige Kernser<br />
Hebamme Marianne Egger. In<br />
all den vielen Jahren hat sie<br />
r<strong>und</strong> 3500 Kindern dazu verholfen,<br />
das Licht der Welt zu<br />
erblicken.<br />
■ ■<br />
Sie sei als blutjunge Hebamme<br />
vom St. Galler Spital zurück<br />
nach <strong>Obwalden</strong> gekommen,<br />
erzählt Marianne Egger.<br />
Damals sei es für Obwaldner<br />
Frauen noch eine Schande gewesen,<br />
im Spital zu gebären.<br />
An die allererste Spitalgeburt<br />
kann sie sich noch genau erinnern:<br />
Da war eine Frau gewesen,<br />
die hatte in einem<br />
Kernser Bauernhaus gelebt.<br />
Zusammen mit drei Generationen.<br />
Hatte mit Vater <strong>und</strong> Mutter<br />
im gleichen Bett geschlafen.<br />
Da sei einfach kein Platz<br />
mehr gewesen für einen zusätzlichen<br />
Erdenbürger. Und<br />
dennoch hätten alle Leute gefragt,<br />
warum die ins Spital zu<br />
gehen brauche. Das müsse<br />
eine gar schwere Geburt sein!<br />
Tatsächlich schickte man damals<br />
die Frauen nur für Kaiserschnitte<br />
ins Spital. Eine neue<br />
Ärztegeneration räumte aber<br />
mit den Vorurteilen auf. Professor<br />
Hauser – Chefarzt an der<br />
Luzerner Frauenklinik – habe<br />
es in einer Rede deutsch <strong>und</strong><br />
deutlich gesagt: Eine Hausgeburt<br />
sei, als würde jemand in<br />
Turnschuhen auf einen Gletscher<br />
gehen! Das habe gewirkt,<br />
erzählt Marianne Egger.<br />
Doch für Geburten eingerichtet<br />
sei das Sarner Spital<br />
nicht gewesen. Man habe zu<br />
Beginn wenig gehabt: Meist<br />
lagen zwei Säuglinge in ei-<br />
nem Bettchen. Versehen mit<br />
Armbändchen, damit man sie<br />
nicht verwechseln konnte. Ein<br />
bisschen Sauerstoff in Flaschen<br />
habe es gegeben –<br />
ohne Kontrolle! Keine Wärmebetten<br />
für den Transport von<br />
Frau <strong>und</strong> Kind. Nichts! Die Ingenbohler<br />
Schwestern, die<br />
sonst keine Arbeit scheuten,<br />
durften bei Geburten – auf<br />
Geheiss des Ordens – nicht<br />
mithelfen. Aus moralischen<br />
Gründen! Oft habe man gedacht,<br />
das Kind könnte leben,<br />
wenn man nur ein bisschen<br />
mehr hätte. Doch bei allen Entbehrungen<br />
seien auch kleine<br />
W<strong>und</strong>er geschehen, erinnert<br />
sich Marianne Egger. Einmal<br />
habe ein Mann telefoniert, seine<br />
Frau hätte starke Wehen.<br />
Sie sollten direkt vors Portal<br />
fahren, habe sie den Mann<br />
geheissen <strong>und</strong> selber sei sie<br />
sofort ins Spital gegangen<br />
um alles vorzubereiten. Plötzlich<br />
seien vom Eingang her<br />
Schreie zu hören gewesen.<br />
Da sei sie sofort hinausgerannt.<br />
Eine Frau lag da. Ganz<br />
allein vor der Tür. Halbnackt.<br />
Und neben ihr, auf dem Scharreisen<br />
für die Schuhe, ein Neu-<br />
geborenes, das schrie. Der<br />
Mann, in seiner Aufregung,<br />
habe auf der Rückseite des<br />
Hauses parkiert <strong>und</strong> die Frau<br />
selber zum Spital laufen lassen!<br />
Marianne Egger holte sterile<br />
Sachen <strong>und</strong> eine warme<br />
Packung. Nabelte das Kind<br />
im Freien ab. Wie durch ein<br />
W<strong>und</strong>er seien beide – Mutter<br />
<strong>und</strong> Kind – ges<strong>und</strong> geblieben,<br />
freut sich Marianne Egger<br />
noch heute. Ja, auf W<strong>und</strong>er<br />
habe man in diesen Jahren oft<br />
hoffen müssen!<br />
■ ■<br />
Keiner erkannte all die Mängel<br />
des Spitals besser als Ver-<br />
6<br />
walter Victor Saladin. In Tag<strong>und</strong><br />
Nachtarbeit setzte er sich<br />
für Verbesserungen ein. Ihm<br />
gelang es, die Politiker zu<br />
überzeugen, dass das Haus<br />
aus dem Jahre 1911 so nicht<br />
mehr genügte. Unter seiner<br />
Aufsicht wurde es dann zwischen<br />
1954 <strong>und</strong> 1956 zu einem<br />
wenigstens für die nächsten<br />
Jahre wieder genügenden<br />
Klein<strong>spital</strong> um- <strong>und</strong> ausgebaut.<br />
Victor Saladin sorgte<br />
auch dafür, dass die – wie<br />
man damals sagte – «Insassen»<br />
des Bürgerheims weniger<br />
stiefmütterlich behandelt wurden.<br />
Ab 1960 erhielten sie<br />
das gleiche Menü wie die<br />
Patienten der allgemeinen
7 150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
Abteilung am Kantons<strong>spital</strong>.<br />
Schliesslich sorgte Victor Saladin<br />
auch für geregelte Besuchszeiten<br />
<strong>und</strong> für einen Freibettenfonds.<br />
Das Personal verdankt<br />
ihm das Personalhaus.<br />
Als Victor Saladin 1963 verstarb,<br />
hinterliess er seinem<br />
Nachfolger Hans Imfeld ein<br />
Spital, das sich in der damaligen<br />
Zeit durchaus sehen lassen<br />
durfte.<br />
So konnte sich denn der praktisch<br />
veranlagte Hans Imfeld<br />
vorerst einmal mit ökonomischen<br />
Anliegen befassen. Kosten<br />
sparen war schon damals<br />
angesagt. So machte Imfeld<br />
das Spital mit einem Landwirtschaftsbetrieb<br />
zum Selbstversorger:<br />
Von nun an gab es für<br />
die Spitalküche stets genug<br />
Gemüse, Eier, Milch <strong>und</strong><br />
Schweinefleisch. Hans Imfeld<br />
wusste offenbar besser als alle<br />
Ärzte, was die Leute oft noch<br />
schneller ges<strong>und</strong> macht.<br />
■ ■<br />
Der gegenwärtige Chefarzt<br />
<strong>und</strong> Internist Franz Britschgi<br />
kennt noch eine mündlich<br />
überlieferte Geschichte, die<br />
sehr eindrücklich dokumentiert,<br />
welch gewichtige Stellung<br />
der Spitalbauer damals<br />
eingenommen hat. Da sei ein<br />
Kleinkrieg entbrannt zwischen<br />
einem Chirurgen <strong>und</strong> dem Spitalbauer,<br />
erzählt Britschgi.<br />
Gekämpft hätten die beiden<br />
um den Arbeitseinsatz des Spitalfaktotums<br />
Albert Bäbi. Der<br />
war Pfleger, trug Frauen in<br />
den Gebärsaal, brachte Leichen<br />
weg, transportierte Patienten<br />
von Etage zu Etage. An<br />
einem Nachmittag im Sommer<br />
rief ein Chirurg, der einen Patienten<br />
operieren wollte, nach<br />
Albert Bäbi. Bäbi aber hatte<br />
bereits den Auftrag, dem Spitalbauer<br />
in Giswil beim Mähen<br />
eines Streurieds zu helfen.<br />
Da habe es rote Köpfe gegeben,<br />
sagt Franz Britschgi. Und<br />
das Fazit: Sieger sei der Spitalbauer<br />
geblieben. Albert<br />
Bäbi habe in Giswil mähen<br />
<strong>und</strong> der Chirurg die Operation<br />
verschieben müssen.<br />
■ ■<br />
Ja, Hans Imfeld hatte oft mit<br />
Personalengpässen zu kämpfen.<br />
In einem Jahresbericht<br />
beklagte er sich darüber, dass<br />
junge, weibliche Arbeitskräfte<br />
«einen Wandertrieb» in sich<br />
verspürten <strong>und</strong> es kaum mehr<br />
als ein Jahr im Dienste des<br />
kranken Mitmenschen aushielten.<br />
«Vor allem die Gesinnung<br />
<strong>und</strong> Arbeitsfreude im Dienste<br />
der Kranken mangelt den<br />
heranwachsenden Töchtern»,<br />
schrieb er. Glücklicherweise<br />
waren da bis 1974 noch die<br />
Ingenbohler Schwestern, an<br />
deren Gesinnung auch der<br />
gestrenge Spitalverwalter<br />
nichts zu bemängeln hatte.<br />
Sie besetzten alle leitenden<br />
Stellen: Labor, Operationsassistenz,<br />
Abteilungsleitung,<br />
Röntgen. Ob sie für ihre anspruchsvollen<br />
Aufgaben auch<br />
alle ausgebildet gewesen waren,<br />
weiss heute niemand<br />
mehr.<br />
■ ■<br />
Jakob Brändli – gelernter Röntgenassistent<br />
<strong>und</strong> einer der<br />
langjährigsten Mitarbeiter des<br />
Obwaldner Kantons<strong>spital</strong>s –<br />
bringt die Beliebtheit der Klosterfrauen<br />
auf den Punkt: Als er<br />
1968 begonnen habe, hätten<br />
sowohl Ärzte als auch das<br />
weltliche Personal diese Frauen,<br />
die um Gottes Lohn arbeiteten,<br />
sehr gerne gehabt. Er<br />
beispielsweise sei als junger<br />
Mann dank der Röntgenschwester<br />
zu manchem abendlichen<br />
Ausgang gekommen.<br />
Wenn er die Klosterfrau nämlich<br />
nachmittags um vier abgelöst<br />
habe, damit sie zu ihrem<br />
Gebet gehen <strong>und</strong> mit den Mitschwestern<br />
Kaffee trinken<br />
konnte, hätte sie für ihn noch<br />
so gerne den unbeliebten<br />
Abend- <strong>und</strong> Nachtdienst übernommen.<br />
■ ■<br />
Ab 1964 hatte Spitalverwalter<br />
Hans Imfeld neue Sorgen:<br />
Die starken Erdbeben verunsicherten<br />
Obwaldnerinnen <strong>und</strong><br />
Obwaldner. Im Spital kam es<br />
zu einem spürbaren Patientenrückgang.<br />
Frauen brachten<br />
ihre Kinder ausserhalb des<br />
Kantons zur Welt. Ja sogar<br />
aus dem Bürgerheim zogen<br />
einige Männer <strong>und</strong> Frauen<br />
aus. Hans Imfeld begann nun<br />
für eine Investition nach der<br />
andern, für Verbesserungen<br />
da <strong>und</strong> dort zu sorgen: Das<br />
Bürgerheim liess er renovieren.<br />
Vor allem wurde dort<br />
auch ein Personen- <strong>und</strong> Bettenlift<br />
eingebaut. Ältere Menschen,<br />
die zuvor jahrelang<br />
nicht hatten ins Freie gehen<br />
können, freuten sich. Auch die<br />
Wäscherei <strong>und</strong> das Personalhaus<br />
wurden modernisiert. Viel<br />
Überzeugungskraft brauchte<br />
Imfeld, damit die Landsgemeinde<br />
1966 endlich auch<br />
zur Anschaffung eines Krankenautos<br />
ihr Jawort gab.<br />
■ ■<br />
Da habe man einen blitzschnellen<br />
Mercedes samt Blaulicht<br />
erhalten, erinnert sich<br />
Röntgenassistent Jakob Brändli.<br />
Aber keinen Fahrer. Zuerst<br />
habe ja der Spitalverwalter<br />
Hans Imfeld das Fahrzeug<br />
noch persönlich gelenkt. Doch<br />
dann, eines Tages, habe Imfeld<br />
zu ihm gesagt: Wenn er,<br />
Brändli, nachts schon Patienten<br />
röntgen müsse, könne er<br />
sie mit dem Krankenwagen<br />
gleich auch selber abholen.<br />
So sei der Fahrdienst erf<strong>und</strong>en<br />
worden. Die Fahrer rückten<br />
stets allein aus. Ein wahres<br />
W<strong>und</strong>er, dass es nie Reklamationen<br />
gegeben habe, sinniert<br />
Brändli. Innerhalb nützlicher<br />
Frist sei der Wagen auf Bergen<br />
<strong>und</strong> im Tal zur Stelle gewesen.<br />
Nur einmal habe der<br />
Ambulanzdienst bös versagt,<br />
ergänzt der spätere Spitalverwalter<br />
Otmar Herzog: damals,<br />
als ein Kleinflugzeug im<br />
Sarner Seefeld abgestürzt <strong>und</strong><br />
der Pilot auf der Stelle tot gewesen<br />
sei. Seinen Leichnam<br />
habe man in der Spitalkapelle<br />
neben einem andern Sarg aufgebahrt.<br />
Später sollte der<br />
Krankenwagenfahrer den Piloten<br />
zur Obduktion nach Bern<br />
transportieren. Nur: Als kurz<br />
danach Angehörige von ihrem<br />
Grosi Abschied nehmen woll-
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
ten, hätten sie im Sarg den Piloten<br />
vorgef<strong>und</strong>en. Das Grosi<br />
aber sei im Krankenwagen<br />
auf dem Weg nach Bern gewesen.<br />
■ ■<br />
In seinen letzten Arbeitsjahren<br />
musste sich Hans Imfeld mehr<br />
<strong>und</strong> mehr mit Spitalplanungsfragen<br />
beschäftigen. Regierungs-<br />
<strong>und</strong> Kantonsrat wollten<br />
das Spitalwesen, die Kranken<strong>und</strong><br />
Alterspflege völlig neu<br />
ordnen. Noch war Hans Imfeld<br />
im Amt, als das Landvolk<br />
– nach einem wahren Kleinkrieg<br />
zwischen Spitalverwaltung,<br />
Politikern <strong>und</strong> den im<br />
Spital operierenden Ärzten –<br />
das neue Spitalgesetz annahm.<br />
Ein modernes Gesetz,<br />
welches für das Spital die<br />
19 74 –1990<br />
Chefärzte übernehmen die Führung<br />
Nachfolger von Hans Imfeld<br />
war Spitalverwalter Dr. Otmar<br />
Herzog. Als er nach einem<br />
mehrmonatigen Interregnum<br />
das zusehends komplexer gewordene<br />
Amt antrat, stellte er<br />
ernüchtert fest: «Ich übernehme<br />
da einen Landwirtschaftsbetrieb<br />
mit acht Kühen, sechzig<br />
Säuen <strong>und</strong> 1200 Batterielegehühnern<br />
<strong>und</strong> dazu ein<br />
kleines Spitälchen.» Vom Frühling<br />
bis zum Herbst – als kein<br />
Spitalverwalter die Zügel in<br />
den Händen hatte – war in<br />
diesem «Spitälchen» der<br />
Wohlstand ausgebrochen:<br />
Alle hatten bestellt <strong>und</strong> gekauft,<br />
was sie für ihre Abteilung<br />
als richtig <strong>und</strong> für ihre<br />
Arbeit als nützlich erachteten.<br />
■ ■<br />
Gr<strong>und</strong>lage zur Einführung des<br />
Chefarztsystems schaffte. Gegen<br />
alle noch so vehemente<br />
Opposition der Dorfärzte.<br />
Diese durften nun ihre Patienten<br />
bei Krankheiten von der<br />
Lungenentzündung bis hin zur<br />
Blinddarmoperation im Sarner<br />
Spital nicht mehr selber<br />
behandeln. Der Zutritt war ihnen<br />
verwehrt <strong>und</strong> damit versiegte<br />
auch eine ihrer lukrativsten<br />
Einnahmequellen.<br />
■ ■<br />
Die Auseinandersetzungen<br />
übers Chefarztsystem wurden<br />
im Obwaldner Kantonsrat,<br />
aber vor allem auch in den<br />
Leserbriefspalten ziemlich unzimperlich<br />
geführt. So monierte<br />
der freisinnige Fürsorgedirektor<br />
Dr. Emil Kathriner<br />
Der Röntgenassistent Jakob<br />
Brändli musste, wie das damals<br />
war, seine Lehre am Kantons<strong>spital</strong><br />
Luzern absolvieren.<br />
Eines Tages sei er dort ins Büro<br />
von Chefarzt Hans Etter zitiert<br />
worden, erzählt Brändli. Der<br />
Mediziner habe ihm erklärt,<br />
dass Luzern ein neues Röntgengerät<br />
anschaffe <strong>und</strong> dass<br />
das alte – welches immerhin<br />
einen Fernsehmonitor besitze<br />
– den Sarnern wohlfeil überlassen<br />
würde. Brändli setzte<br />
sich bei seinen Vorgesetzten<br />
mit Vehemenz für den Kauf<br />
ein. Und er hatte Erfolg. Als<br />
das Gerät drei Jahre später in<br />
Luzern zur Verfügung stand,<br />
fuhren er <strong>und</strong> der Meisterknecht<br />
des Landwirtschaftsbetriebes<br />
mit Traktor <strong>und</strong> Ladewagen<br />
nach Luzern <strong>und</strong> luden<br />
an einer Kantonsratssitzung:<br />
«Auch im ‹Vaterland› ist ein<br />
Artikel erschienen. Aus der Primitivität<br />
des Artikels muss ich<br />
annehmen, dass er von einem<br />
Mediziner geschrieben worden<br />
ist.» Worauf der anwesende<br />
Redaktor der Zeitung<br />
«Vaterland» dem christlichsozialen<br />
Kantonsrat Karl Röthlin<br />
zuflüsterte, dass dann der Leserbrief<br />
nicht direkt von einem<br />
Arzt stamme. Darauf ergriff<br />
Röthlin das Wort: «Wir erwarten<br />
nicht von der Regierungsbank<br />
von einem Akademiker<br />
einen Angriff auf einen andern<br />
Akademikerstand.» Kathriner<br />
solle sich umgehend entschuldigen.<br />
Was denn dieser auch<br />
tat. Aber nicht ohne eine weitere<br />
Spitze. «Ich weiss, dass<br />
Ärzte gegen Verschiedenes<br />
eingestellt sind», sagte er.<br />
dort das teure Gerät auf. So<br />
sei es nach Sarnen transportiert<br />
<strong>und</strong> dort noch mehr als<br />
ein Jahr in der Krankenwagen-Garage<br />
zwischengelagert<br />
worden, berichtet Brändli.<br />
Später aber habe es jahrelang<br />
gute Dienste geleistet.<br />
Herzog musste die Zügel anziehen.<br />
Er machte sich auf beiden<br />
Seiten unbeliebt: bei den<br />
Ärzten <strong>und</strong> dem Personal, weil<br />
er Verbote aussprach. Bei der<br />
Regierung, weil er mit stets<br />
neuen Forderungen vorstellig<br />
wurde. Überdies musste er in<br />
dieser Zeit zusehends höhere<br />
finanzielle Einbussen in Kauf<br />
nehmen. Die meisten Obwaldner<br />
Ärzte machten nämlich auf<br />
Opposition. Weil sie den Zutritt<br />
zum Obwaldner Spital ver-<br />
8<br />
Aber es sei schliesslich gleichgültig,<br />
wer es geschrieben<br />
habe, intelligent sei der Artikel<br />
nach wie vor nicht. Klammerbemerkung<br />
des Protokollführers:<br />
«Grosse Heiterkeit im<br />
Saal».<br />
■ ■<br />
Die Kraft, den endgültigen<br />
Vollzug <strong>und</strong> die Auswirkungen<br />
des umstrittenen Gesetzes abzuwarten,<br />
hatte Hans Imfeld<br />
nach all den Querelen <strong>und</strong><br />
persönlichen Anfeindungen<br />
dann doch nicht mehr. Im Frühling<br />
1974 – kurz nachdem er<br />
gemäss neuem Gesetz anstelle<br />
der Hauskapelle eine Notfallstation<br />
eingerichtet <strong>und</strong><br />
den versierten Chirurgen, Dr.<br />
Hans-Ueli Burri, als ersten<br />
Chefarzt eingestellt hatte –<br />
nahm er den Hut.<br />
loren hatten, schickten sie ihre<br />
Patienten an die Kantonsspitäler<br />
in Nidwalden <strong>und</strong> Luzern.<br />
In dieser schwierigen Situation<br />
gab es für Herzog nur<br />
eines: die Flucht nach vorne.<br />
Gleichzeitig hatten weitere<br />
Chefärzte ihre Stelle angetreten:<br />
der Gynäkologe Hans<br />
Knüsel, bald abgelöst durch<br />
Abraham Mitrani <strong>und</strong> Laszlo<br />
Hidvéghy, <strong>und</strong> der überaus<br />
temperamentvolle <strong>und</strong> innovative<br />
Internist Paul Dorn.<br />
■ ■<br />
Als er seine Stelle angetreten<br />
habe, seien die Patientenzimmer<br />
in einem wenig einladenden<br />
Zustand gewesen, schildert<br />
Paul Dorn. Dazu eine von<br />
der Armee ausgeliehene Stöp
9 150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
sel-Telefonzentrale! Ein notdürftiges<br />
Labor sei in einem<br />
kleinen Räumchen gewesen.<br />
Eine Physiotherapie ohne<br />
Wasser <strong>und</strong> Bad habe man in<br />
einem Personalzimmer eingerichtet.<br />
Zwar hatte die Regierung<br />
das Architekturbüro Iten<br />
<strong>und</strong> Brechtbühl mit der Projektierung<br />
eines Spitalerneuerungsbaus<br />
auf dem Platz des<br />
früheren Zuchthauses beauftragt.<br />
Als jedoch der Regierungsrat<br />
die Kosten sah <strong>und</strong><br />
die weiteren anstehenden Bauaufgaben<br />
in einer Klausurtagung<br />
beurteilte, erhielt der Spitalausbau<br />
letzte Priorität, was<br />
den Ges<strong>und</strong>heitsdirektor Anton<br />
Ettlin schwer enttäuschte.<br />
Nun aber handelte Paul Dorn<br />
wie weiland Reformator Martin<br />
Luther. Wenn auch nicht<br />
gerade 95 Thesen, so waren<br />
es doch 10 Forderungen, die<br />
er aufstellte. Diese müssten allesamt<br />
erfüllt sein, wenn das<br />
Spital wiederum zufriedene<br />
Patienten haben wolle, sagte<br />
er. Unter den Forderungen<br />
war eine neue Telefonzentrale<br />
genauso wie die Renovation<br />
der Patientenzimmer. Ein neu-<br />
er Eingangsbereich mit separater<br />
Zufahrt für die Ambulanz<br />
ebenso wie ein Lift oder die<br />
Entflechtung der Gebärabteilung<br />
von den Patientenzimmern.<br />
In den folgenden Jahren<br />
sei er jeweils im April auf den<br />
Landenberg marschiert, um erleben<br />
zu dürfen, wie seine<br />
Forderungen, eine nach der<br />
andern, erfüllt worden seien.<br />
Allerdings: ganz nach <strong>Obwalden</strong>s<br />
Devise «Eile mit Weile».<br />
■ ■<br />
Um alle zehn Forderungen<br />
der Chefärzte zu realisieren,<br />
brauchte die Regierung etwa<br />
zehn Jahre. Die neue Telefonzentrale<br />
liess bis 1978 auf<br />
sich warten. 1979 wurden für<br />
die Patientenzimmer 31 Elektrobetten<br />
angeschafft. 1980<br />
begann die Gebäudesanierung<br />
für r<strong>und</strong> 7,5 Millionen.<br />
Sie sollte – mit all den Erschwernissen<br />
für den Betrieb,<br />
die sie mit sich brachte – mehrere<br />
Jahre dauern. Verwalter<br />
Otmar Herzog konnte in dieser<br />
Zeit zu einer Eröffnung<br />
oder Inbetriebnahme nach der<br />
andern einladen: 1983 wurden<br />
die neu gestaltete Geburtsabteilung<br />
<strong>und</strong> die Cafeteria<br />
in Betrieb genommen.<br />
Auch der frische Haupteingang<br />
samt eigener Zufahrt für<br />
die Ambulanzfahrzeuge wurde<br />
fertig gestellt. Den erneuerten<br />
Bettentrakt erschloss man<br />
mit einem Betten- <strong>und</strong> Personenlift.<br />
Doch das war noch<br />
lange nicht alles, woran Otmar<br />
Herzog <strong>und</strong> die Chefärzte<br />
beim Planen denken mussten:<br />
Verträge mit Belegärzten<br />
für Augenheilk<strong>und</strong>e, später<br />
auch für HNO <strong>und</strong> Urologie,<br />
mussten ausgehandelt werden.<br />
Ein grosser Brocken kam<br />
1985: Da nahm man die Planung<br />
für die geschützte Operationsstelle<br />
in Angriff. Bereits<br />
ein Jahr später stellte sie Ges<strong>und</strong>heitsdirektor<br />
Alexander<br />
Höchli den Ärzten zur Verfügung.<br />
1987 endlich waren<br />
Paul Dorns zehn Forderungen<br />
erfüllt, die mehrjährigen Sanierungsarbeitenabgeschlossen.<br />
Das Erstaunliche daran:<br />
Bei der ganzen Sanierung hatte<br />
es nur ein einziges Mal eine<br />
Kostenüberschreitung gegeben,<br />
die mit dem Investitionsbonus<br />
des B<strong>und</strong>es abgedeckt<br />
werden konnte. Alle weiteren<br />
Sanierungsetappen schloss<br />
das Spital gemäss Budget ab.<br />
■ ■<br />
Für Spitalverwalter Otmar<br />
Herzog war dies eine mehr als<br />
stressige Zeit. Wer wollte da<br />
staunen, dass ihm – wenn er<br />
durch die Spitalgänge schritt –<br />
manchmal h<strong>und</strong>ert Gedanken<br />
gleichzeitig durch den Kopf<br />
schwirrten? Einmal sei er aus<br />
seinem Büro im Parterre, welches<br />
genau neben der Gebärabteilung<br />
lag, gekommen, erzählt<br />
Herzog. Da habe er den<br />
wohlbeleibten Sachsler Pfarrer<br />
Josef Eberli mit einem grossen<br />
Blumenstrauss gesehen.<br />
Mit den Gedanken ganz anderswo,<br />
fragte Herzog den<br />
Geistlichen: «Ah, Herr Pfarrer,<br />
haben Sie ein Kind bekommen?»<br />
Die schlagfertige Antwort<br />
habe nicht auf sich warten<br />
lassen, erinnert sich Herzog:<br />
«Ja, ein Gotteskind!»<br />
■ ■<br />
Auch nach der Sanierung<br />
blieb für Otmar Herzog <strong>und</strong><br />
die Chefärzte keine Zeit zum<br />
Verschnaufen. Jetzt nämlich<br />
erging ans Spital bereits der<br />
Auftrag, die längerfristige Planung<br />
an die Hand zu nehmen.<br />
Für die Chefärzte, die nun die<br />
medizinische Verantwortung<br />
trugen, war klar, dass das<br />
Sarner Spital um einen Neubau<br />
zur Erweiterung des Behandlungstrakts<br />
nicht herumkommen<br />
würde, wollte es<br />
nicht hinter der modernen Medizin<br />
<strong>und</strong> ihren neuen Herausforderungen<br />
hinterherhinken.<br />
1989 sprach das Landvolk einen<br />
Projektierungskredit von<br />
1,9 Millionen.
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
1990–2000<br />
Pioniertaten in modernstem Spital<br />
Noch bevor der Ausbau von<br />
den Architekten Christoph<br />
Mennel <strong>und</strong> Paul Dillier realisiert<br />
wurde, übergab Otmar<br />
Herzog das Zepter seinem<br />
Nachfolger: Der hiess Jost<br />
Barmettler <strong>und</strong> war als Projektleiter<br />
mit der Spitalerweiterung<br />
schon bestens vertraut.<br />
Doch auch ihm blieb, angesichts<br />
der fast rasenden Entwicklungen<br />
im Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />
kaum je Zeit, um sich<br />
in seinem Sessel zurückzulehnen.<br />
Am 11. Januar 1994<br />
nahm er am Spatenstich zum<br />
40-Millionen-Erweiterungsbau<br />
teil. Zwei Jahre später<br />
lobte Fürsorgedirektorin Maria<br />
Küchler-Flury bei der Einweihung<br />
die gute Zusammenarbeit<br />
aller Beteiligten: <strong>Obwalden</strong><br />
hatte einen hochmodernen<br />
Behandlungstrakt, in<br />
dem bauliche <strong>und</strong> medizintechnische<br />
Lösungen Hand in<br />
Hand gingen. Das Volk, das<br />
an seinem Spital damals hing<br />
– <strong>und</strong> heute noch hängt –,<br />
liess sich den Bau etwas kosten:<br />
Es bezahlte dafür freiwillig<br />
eine Sondersteuer. Lichtreiche<br />
Operationsräume gab es<br />
nun. Eine neue Notfallstation<br />
samt Zufahrt. Auch die Intensivstation<br />
<strong>und</strong> die Tagesklinik<br />
fanden im Neubau Platz.<br />
Dazu kamen ein geräumiges<br />
Labor <strong>und</strong> endlich auch eine<br />
Physiotherapie, die ihren Namen<br />
voll verdiente. Im Eingangsbereich<br />
– einer architektonischen<br />
Meisterleistung –<br />
wurde auch ein modern gestalteter<br />
Andachtsraum eingerichtet.<br />
Die künstlerische Ausstattung<br />
hatte, nach einer Vergabe<br />
ans Team von Kurt Sigrist,<br />
in <strong>Obwalden</strong> zu einem<br />
eigentlichen Künstlerstreit mit<br />
gehässigen Auseinandersetzungen<br />
geführt. Jost Barmettler<br />
aber war der Mann, der<br />
zusammen mit der Baukommission<br />
auch diesen Streit salomonisch<br />
zu schlichten vermochte:<br />
Mit einer zweiten<br />
Wettbewerbsetappe wurden<br />
weitere Künstlerinnen zugelassen<br />
<strong>und</strong> so der Friede wiederhergestellt.<br />
■ ■<br />
Kunst stand auch im Mittelpunkt<br />
einer einzigartigen Aktion<br />
des so genannten «Spital-<br />
Jassclubs». Dieser Freizeitclub<br />
war von Pflegerinnen <strong>und</strong> Pflegern<br />
in den 70er-Jahren gegründet<br />
worden. Über all die<br />
Zeit hatte er auf eindrückliche<br />
Weise eine Stärke des Obwaldner<br />
Spitals demonstriert:<br />
nämlich den guten Zusammenhalt<br />
eines motivierten Teams in<br />
der Freizeit <strong>und</strong> bei der Ar-<br />
beit. Immer mehr vermochte<br />
der Jassclub zu bewegen.<br />
Als – nach dem Spitalausbau<br />
von 1997 – das Altarbild der<br />
ehemaligen Spitalkapelle von<br />
Bepp Haas verschwinden sollte,<br />
schritt der Jassclub zu seiner<br />
grössten Tat. Mit einem<br />
Appell an die Öffentlichkeit<br />
<strong>und</strong> grossem finanziellem Einsatz<br />
liess der Club das altehrwürdige<br />
Bild restaurieren.<br />
Und so hat es denn im Spitalpark<br />
in altem Glanz einen<br />
neuen <strong>und</strong> wohl bleibenden<br />
Platz gef<strong>und</strong>en.<br />
■ ■<br />
Das Obwaldner Kantons<strong>spital</strong><br />
erhielt in dieser Zeit bei Patientenumfragen<br />
allerbeste Noten.<br />
Dies war, neben dem engagierten<br />
Personal, vor allem<br />
auch einem innovativen Chefärzteteam<br />
zu verdanken. Zu<br />
diesem Team waren in den<br />
80er-Jahren neue Leute mit<br />
10<br />
neuen Ausbildungen <strong>und</strong> Ideen<br />
gestossen: Der erste Anästhesiearzt<br />
am Spital überhaupt,<br />
Jusuf Orucevic, <strong>und</strong> vor<br />
allem Internist Franz Britschgi<br />
<strong>und</strong> Chef-Chirurg Claude Müller.<br />
Alle sorgten sie zusammen<br />
mit Paul Dorn dafür, dass das<br />
Sarner Spital nun geradezu<br />
pionierhafte Wege ging. Ein<br />
Beispiel: Als Paul Dorn wusste,<br />
dass der ehemalige Assistent<br />
Franz Britschgi nach Sarnen<br />
zurückkehren würde, nahm er<br />
voraus planend bereits Ultraschallgeräte<br />
ins Budget auf.<br />
Britschgi war ein Ultraschall-<br />
Pionier. Bei seiner Ausbildung<br />
hatte er die neue Untersuchungsmethode<br />
aus dem Effeff<br />
kennen gelernt. Und er war<br />
denn vorerst auch der Einzige<br />
im Kanton <strong>und</strong> einer der Ersten<br />
in der Zentralschweiz, der sichere<br />
Diagnosen stellen konnten.<br />
Sarnen blieb in der Ultraschall-Diagnostik<br />
eine Zeit<br />
lang die führende Station.
11 150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
■ ■<br />
Er habe die Ultraschall-Diagnostik<br />
erlernt, weil sie damals<br />
viele Vorteile gebracht<br />
habe, sagt Franz Britschgi. So<br />
seien die Untersuche mit den<br />
leidigen Kontrastmitteln weitgehend<br />
weggefallen. Für die<br />
Diagnose der Hausärzte <strong>und</strong><br />
für Chirurgen, die Bauchoperationen<br />
machen mussten, sei<br />
der Ultraschall eine wichtige<br />
Vorausabklärung gewesen. Im<br />
Verlauf der Jahre habe er unzählige<br />
Untersuche gemacht,<br />
sinniert Britschgi. Und grinsend<br />
konstatiert er: «Ich glaube,<br />
ich kenne den grössten<br />
Teil der Obwaldner. Sonografisch.<br />
Innerlich, von Bauch <strong>und</strong><br />
Darm her!» Bei Ultraschall-<br />
Diagnosen zähle Erfahrung<br />
mehr als bei andern Untersuchen.<br />
Nicht jeder könne das.<br />
Franz Britschgi hat aber inzwischen<br />
Assistenten ausgebildet<br />
<strong>und</strong> auch den Hausärzten Fortbildungen<br />
angeboten.<br />
■ ■<br />
Auch der neue Chirurgie-Chefarzt<br />
Claude Müller sorgte dafür,<br />
dass auf das Sarner Spital<br />
geschaut wurde. Er gehörte<br />
zu den Ersten, die Routineoperationen<br />
mit der neuen, für<br />
Patienten überaus schonenden<br />
«Schlüssellochmethode» – ihr<br />
Fachausdruck lautet Laparoskopie<br />
– ausführten. Stets<br />
auch pionierhafte Wege ging<br />
das Obwaldner Spital bei<br />
Herzpatienten. Schon Ende<br />
1975 hatte man den ersten<br />
Herzüberwacher mit Monitor<br />
angeschafft <strong>und</strong> so manchem<br />
Patienten das Leben gerettet.<br />
Die logische Konsequenz aus<br />
langjährigen Vorarbeiten der<br />
Internisten war dann die Einstellung<br />
eines eigenen Kardiologen.<br />
Diesen Posten übernahm<br />
als Erster Thomas Kaes-<br />
lin. Eine weitere entscheidende<br />
Pionierleistung war<br />
schliesslich die Eröffnung der<br />
Psychiatrie im alten Bürgerheim.<br />
Sie erfolgte im Jahre<br />
1996. Erster Chefarzt wurde<br />
Jörg Püschel.<br />
■ ■<br />
Die Idee für eine eigene<br />
Psychiatrie sei aus der Not<br />
heraus entstanden, erzählt<br />
Paul Dorn. Da habe man einmal<br />
einen psychisch kranken<br />
Patienten ambulant betreuen<br />
müssen. Der sei in seiner manischen<br />
Phase äusserst aggressiv<br />
geworden. Nach der<br />
Einweisung ins Spital habe er<br />
in einem Patientenzimmer alles<br />
kurz <strong>und</strong> klein geschlagen<br />
<strong>und</strong> darauf gar Reissaus genommen.<br />
Als der Patient später<br />
zurückgebracht worden<br />
sei, habe man es nicht nochmals<br />
riskieren wollen, ihn in<br />
einem Patientenzimmer unterzubringen.<br />
Innerhalb der<br />
nächsten 48 St<strong>und</strong>en sei aber<br />
in keiner Psychiatrie ein Platz<br />
frei gewesen. Und so hätte<br />
man halt eine alles andere als<br />
schöne Notlösung getroffen:<br />
Der Patient sei – bis zum Ein-<br />
tritt in die Psychiatrie – in einer<br />
Zelle des Gefängnisses untergebracht<br />
worden. Dieses Erlebnis<br />
aber habe ihn sehr aufgewühlt,<br />
gesteht Paul Dorn.<br />
Und: Um niemals wieder zu<br />
solchen Massnahmen greifen<br />
zu müssen, habe er sich von<br />
jenem Tag an vehement für die<br />
Errichtung einer Psychiatrie in<br />
Sarnen eingesetzt.<br />
■ ■<br />
Nur wenige Akutspitäler der<br />
Schweiz konnten zu diesem<br />
Zeitpunkt eine eigene, ans<br />
Akut<strong>spital</strong> angegliederte Psychiatrie<br />
mit Chefarzt anbieten.<br />
Die Eröffnung der Psychiatrie<br />
war aber noch in einer andern<br />
Hinsicht eine Pionierleistung:<br />
Sie wurde <strong>und</strong> wird von Ob<strong>und</strong><br />
Nidwalden gemeinsam<br />
geführt <strong>und</strong> finanziert <strong>und</strong><br />
stellt so das erste konkrete Ergebnis<br />
einer zaghaft einsetzenden<br />
Zusammenarbeit zwischen<br />
den Spitälern der Halbkantone<br />
dar.<br />
Jost Barmettler war nicht nur<br />
ein umsichtiger Planer. Er war<br />
auch ein konzeptioneller Vordenker.<br />
Unter seiner Ägide<br />
wurde schon 1992 die ers-<br />
te Verwaltungsvereinbarung<br />
über die Zusammenarbeit<br />
zwischen Ob- <strong>und</strong> Nidwalden<br />
im Spitalwesen ausgehandelt.<br />
Er war es auch, der eine Lenkungsgruppe<br />
zur Schaffung<br />
von Führungsinstrumenten<br />
wie einem Spitalleitbild, einem<br />
Konzept der medizinischen<br />
Versorgung <strong>und</strong> einem<br />
Management- oder Pflegekonzept<br />
ins Leben rief. Weil das<br />
Obwaldner Kantons<strong>spital</strong> –<br />
wie die meisten andern Krankenhäuser<br />
auch – zusehends<br />
mehr Gr<strong>und</strong>aufträge erfüllen<br />
musste <strong>und</strong> damit auch stets<br />
mehr in die roten Zahlen kam,<br />
galt es eine neue Finanzierungs-<br />
<strong>und</strong> Rechtsform zu finden.<br />
Im Jahre 2000 hatte Jost Barmettler<br />
auch dieses Ziel erreicht:<br />
Die neue Spitalfinanzierung<br />
mittels Globalkredit<br />
<strong>und</strong> Leistungsauftrag nahm<br />
die kantonsrätliche Hürde.<br />
Damit sollte die ständig weitere<br />
Öffnung der Kostenschere<br />
verhindert werden. Allein:<br />
Auch diese Idee scheiterte.<br />
Und das war denn – nach<br />
nur zehn Jahren – gleichzeitig<br />
auch der Zeitpunkt für den<br />
Abgang von Jost Barmettler.
150 Jahre Kantons<strong>spital</strong> <strong>Obwalden</strong><br />
Ab 2000<br />
Die gemeinsame Zukunft mit Nidwalden<br />
Die Nachfolge von Jost Barmettler<br />
als Spitaldirektor trat<br />
im Jahre 2000 Paul Flückiger<br />
an. Mit ihm hat das Obwaldner<br />
Kantons<strong>spital</strong> die Geschichte<br />
endgültig hinter sich<br />
gelassen. Es wurde verselbständigt<br />
<strong>und</strong> erhielt einen Globalkredit,<br />
mit dem es seinen<br />
klar definierten Leistungsauftrag<br />
erfüllen musste. Eine Aufsichtskommission<br />
wurde eingesetzt.<br />
Ihre Aufgabe: Sie sollte<br />
das Spital wieder fit machen.<br />
Man kann es auch so<br />
sagen: An die Hand genommen<br />
wurde die schon in den<br />
90er-Jahren in die Wege geleitete<br />
gemeinsame Zukunft<br />
der Spitäler in Sarnen <strong>und</strong><br />
Stans. Ja, es war in erster Linie<br />
die Kostenexplosion an den<br />
beiden Kantonsspitälern, welche<br />
zwei Nachbarn, die in<br />
vergangenen Zeiten «das Heu<br />
so selten auf der gleichen Bühne<br />
hatten», zu einer engeren<br />
Zusammenarbeit geradezu<br />
zwang. Erklärtes Ziel der Ob<strong>und</strong><br />
Nidwaldner Regierung<br />
<strong>und</strong> der Aufsichtskommission:<br />
Die beiden eigenständigen<br />
Akutspitäler von Ob- <strong>und</strong> Nidwalden<br />
sollten zusammengeführt<br />
werden. Damit – so hofften<br />
die Politiker – könnten Kosten<br />
von 5 bis 12 Millionen<br />
Franken eingespart werden.<br />
■ ■<br />
<strong>Obwalden</strong>s Ges<strong>und</strong>heitsdirektorin<br />
Elisabeth Gander <strong>und</strong><br />
Nidwaldens Ges<strong>und</strong>heitsdirektor<br />
Leo Odermatt – aber<br />
auch die zuständigen Kommissionen<br />
ob <strong>und</strong> nid dem Wald<br />
– sassen nun oft st<strong>und</strong>enlang<br />
am gleichen Tisch. Alle wollten<br />
sie das Beste für ihre Kantone.<br />
Nur: Sie mussten etwas erkennen,<br />
was vor ihnen schon viele<br />
erkannt hatten. Die Tatsache<br />
nämlich, dass man «Tschifä-<br />
ler» – wie die Obwaldner von<br />
den Nidwaldnern genannt<br />
werden – <strong>und</strong> «Raissäckler» –<br />
wie die Obwaldner die Nidwaldner<br />
nennen – nicht von<br />
einem Tag auf den andern zusammenführen<br />
kann. Sobald<br />
nämlich die Nidwaldner das<br />
traditionsreiche Obwaldner<br />
Spital einfach schlucken wollten,<br />
formierte sich in der Bevölkerung<br />
ob dem Wald massiver<br />
Widerstand. Und mit einem<br />
Schlag waren all die Vorbehalte,<br />
die die Nachbarn gegeneinander<br />
hegten <strong>und</strong> hegen,<br />
wieder da. Der Obwaldner<br />
Regierung blieb schliesslich<br />
nichts anderes übrig, als – zum<br />
Leidwesen der Nidwaldner<br />
Kollegen – zu verkünden, dass<br />
sie einen Marschhalt einzulegen<br />
gedenke.<br />
■ ■<br />
Nach den heftigen Reaktionen<br />
hüben <strong>und</strong> drüben hat die Ton-<br />
12<br />
art gewechselt: Das Wort «Fusion»<br />
bleibt vorerst einmal<br />
tabu. Umso mehr in Kurs gekommen<br />
ist der Begriff «Zusammenarbeit».<br />
2003 setzten<br />
die beiden Spitäler Paul Flückiger<br />
als gemeinsamen Direktor<br />
ein. Ihm <strong>und</strong> der Aufsichtskommission<br />
gelang es,<br />
eine einerseits sehr intensive<br />
<strong>und</strong> andererseits für beide<br />
Partner äusserst vorteilhafte<br />
Zusammenarbeit in Gang zu<br />
bringen. Vorläufiger Höhepunkt<br />
hat sie in der gemeinsamen<br />
Chirurgie mit bestens ausgewiesenen<br />
Ärzten, die Patienten<br />
in beiden Spitälern betreuen,<br />
gef<strong>und</strong>en.<br />
Indessen: Hier hört die Spital<strong>geschichte</strong><br />
auf. Eingesetzt hat<br />
die Zukunft. Und es wird wohl<br />
eine gemeinsame Zukunft der<br />
beiden Kantonsspitäler werden.<br />
Aber nicht ohne Berücksichtigung<br />
ihrer individuellen<br />
Stärken <strong>und</strong> Eigenheiten.