Schoko -Fantasie - Festspielhaus und Festspiele Baden-Baden ...
Schoko -Fantasie - Festspielhaus und Festspiele Baden-Baden ...
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Magazin 2011/1 TiTel aTerballeTTo Persönliches DaheiM bei angela Denoke<br />
PfingsTfesTsPiele MoriTz rinke über saloMe oPer Donna leon liebT<br />
hänDel baDen-baDen-gala 2011 Don giovanni aussTellung neo rauch iM<br />
gesPräch klassiker zenMeisTer MozarT PrograMM von argerich bis aiMarD
www.wmf.de<br />
Wer in seinem Fach seit Jahren mit<br />
Spitzenleistungen glänzt, dem vertraut<br />
auch das Haus für besten Klassikgenuss.<br />
Überall dort, wo die Besten sind, da ist<br />
auch WMF. Herausragende Qualität <strong>und</strong><br />
Innovationskraft sind die Basis für unseren<br />
Erfolg. Eigenschaften, die nicht nur das<br />
<strong>Festspielhaus</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>, sondern auch<br />
unsere K<strong>und</strong>en zu WMF Fans machen.
TiTelfoTo: Monika Höfler; Make-Up: SUSan VoSS-redfern@faMe-agency.coM, ST yling: nina ScHneider; foTo recHTS oben: Monika Höfler; foTo linkS UnTen: cHriSTian geiSler<br />
ediTorial<br />
FIT FüR DIE GäSTE<br />
Saisonhalbzeit. Jetzt wird es wieder Frühling in <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Baden</strong>. In den Gärten entlang der Oos erwacht die Natur<br />
immer etwas eher als anderswo in Deutschland. Das ist<br />
die Zeit, in der Körper <strong>und</strong> Haus für das laufende Jahr fit<br />
gemacht werden sollten. Bei uns standen im Winter die<br />
„inneren Werte“ auf dem Prüfstand. Seit Anfang des Jahres<br />
besitzt das größte deutsche Opernhaus ein nach der<br />
internationalen Norm ISO 9001:2008 zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem.<br />
Das ist einmalig in der Kulturlandschaft.<br />
Wir, das <strong>Festspielhaus</strong>-Team, haben damit auch<br />
vor den unabhängigen Prüfern der DEKRA bewiesen, dass<br />
all unsere Bemühungen für zufriedene Gäste <strong>und</strong> Künstler<br />
optimal gestaltet sind. Schließlich sollen Sie sich wohlfühlen,<br />
einen unvergesslichen Abend verbringen <strong>und</strong><br />
einen Kunstgenuss erleben, der seinesgleichen sucht.<br />
Und wer dann noch die Annehmlichkeiten einer der<br />
schönsten deutschen Städte erlebt, kommt dem Glück<br />
sehr nahe.<br />
Das <strong>Festspielhaus</strong> rüstet sich aber auch schon für die<br />
nächste Saison. Mitte April erscheint das neue Programm<br />
2011/2012 mit vielen künstlerischen Höhepunkten.<br />
Vorher, in dieser Magazin-Ausgabe, schreibt Hellmuth<br />
Karasek über die Reize der unvermittelten Programmänderung<br />
– auf dass sie dennoch nicht oft vorkommen möge.<br />
Aber eines haben die krankheitsbedingten Ausfälle im<br />
Herbst 2011 bewiesen: Das <strong>Festspielhaus</strong>-Team <strong>und</strong> sein<br />
Publikum gehen offen <strong>und</strong> ehrlich miteinander um, <strong>und</strong><br />
der „Stil des Hauses“ beweist sich gerade im Umgang mit<br />
dem Unvorhergesehenen.<br />
Alle anderen Neuigkeiten erfahren Sie ohnehin im elektronischen<br />
Nachrichtendienst des <strong>Festspielhaus</strong>es, für den<br />
Sie sich jederzeit kostenlos registrieren lassen können:<br />
www.festspielhaus.de<br />
Oben:<br />
In jeder Pose überzeugend: Andrea Tortosa Vidal, Tänzerin<br />
des Aterballetto, beim Titelshooting der Fotografin Monika Höfler.<br />
Ihre Kompanie lernen Sie ab Seite 34 kennen.<br />
Links:<br />
Keine Angst vor Fettnäpfchen beweist Hellmuth Karasek ab Seite 22.<br />
– 3 – 2011/1
<strong>Schoko</strong> -<strong>Fantasie</strong><br />
Wellendorff-Boutiquen: Berlin: KaDeWe <strong>und</strong> Hotel Adlon • Mainz: Am Brand • Stuttgart: Stiftstraße<br />
Kollektion „<strong>Schoko</strong>-<strong>Fantasie</strong>“, in 18 kt. Gold mit Diamanten • Wellendorff • Tel. 07231-28.40.10 • www.wellendorff.de
Foto: SteFan HeinricHS<br />
inHalt<br />
22<br />
40<br />
46<br />
58<br />
26<br />
42<br />
30<br />
Persönliches<br />
Von einem, der auszog, den<br />
schwan zu sehen …<br />
gegen Programmänderungen hilft nur<br />
enthusiasmus, rät hellmuth Karasek.<br />
Kurz <strong>und</strong> gut<br />
Julia Fischer, wie ihre Fre<strong>und</strong>e sie sehen.<br />
BeruF: autorin – BeruFung: händel<br />
donna leon verrät, warum die musik<br />
des barocken meisters sie glücklich macht.<br />
auF starKe Frauen aBonniert<br />
im <strong>Festspielhaus</strong> ist sie salome,<br />
privat am liebsten ganz normal:<br />
ein Besuch bei der sopranistin angela denoke.<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
auFriss einer neBelBanK<br />
das museum Frieder Burda widmet seine große<br />
sommerausstellung dem maler neo rauch. wie er<br />
sich darauf vorbereitet, berichtet der Künstler im<br />
interview.<br />
mit oFFenen augen <strong>und</strong> ohren durchs leBen<br />
<strong>Festspielhaus</strong>-geschäftsführer michael drautz im<br />
gespräch über Qualität im Kulturbetrieb <strong>und</strong> den<br />
perfekten abend.<br />
der KlassiKer<br />
zen in der Kunst des mozart-hörens<br />
warum der kürzeste weg zu mozart über Japan führt.<br />
Braucht keine Schleier: Angela Denoke singt die<br />
Salome bei den Pfingstfestspielen 2011.<br />
Mehr über die Sopranistin erfahren Sie ab Seite 58.<br />
34<br />
39<br />
52<br />
64<br />
67<br />
82<br />
84<br />
85<br />
86<br />
Tanz<br />
heiss<br />
alles nur Parmesan <strong>und</strong> Parmaschinken?<br />
die emilia romagna hat mehr zu bieten als<br />
kulinarische genüsse: das aterballetto ist<br />
italiens aufregendste Ballettkompanie.<br />
enTerTainmenT<br />
Vom west end nach <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
das musical „evita“ hat alle rekorde gebrochen.<br />
zum dreißigjährigen Bühnenjubiläum kommt es<br />
ins <strong>Festspielhaus</strong>.<br />
OPer<br />
man muss nur die lieBe ansehen<br />
exklusiv für das <strong>Festspielhaus</strong>-magazin:<br />
moritz rinke über „salome“.<br />
ein „don gioVanni“ Für die ewigKeit<br />
eine prominente sängerriege trifft sich<br />
zur <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>-gala 2011.<br />
sTandards<br />
ProgrammKalender<br />
saalPläne<br />
Für einen PerFeKten aBend<br />
imPressum<br />
Veranstaltungen auF einen BlicK<br />
tHemen <strong>und</strong> orte<br />
– 5 – 2011/1
WinteRfestspiele<br />
2011/1<br />
– 6 –<br />
Così fan tutte<br />
Wolfgang Amadeus Mozart:<br />
„Così fan tutte“<br />
Musikalische Leitung:<br />
Teodor Currentzis<br />
Inszenierung:<br />
Philipp Himmelmann<br />
Fiordiligi: Véronique Gens<br />
Dorabella: Silvia Tro Santafé<br />
Guglielmo: Stephan Genz<br />
Ferrando: Steve Davislim<br />
Despina: Mojca Erdmann<br />
Don Alfonso: Konstantin Wolff<br />
Balthasar-Neumann-Chor<br />
Balthasar-Neumann-Ensemble<br />
Rückblick
foto: AndReA kRempeR<br />
Rückblick<br />
– 7 –<br />
Im Irrgarten der SInne<br />
27. Januar, 22.10 u h r<br />
WinteRfestspiele<br />
der Inhalt der geschichte von „Così“ ist kaum vermittelbar:<br />
Zwei Frauen, die ihren Verlobten ewige<br />
treue schwören <strong>und</strong> sie am selben tag betrügen<br />
mit dem verkleideten Verlobten der jeweils anderen<br />
Frau, der, weil verkleidet, nicht erkennbar ist –<br />
mozart versteht das, weil er die Liebe versteht, die<br />
bizarre Wege findet. In dieser Oper demaskieren<br />
sich alle, <strong>und</strong> jede verlorene Illusion ist eine<br />
gewonnene erkenntnis. Und doch: Véronique<br />
gens’ perfekt geführter Sopran bewies wieder einmal,<br />
dass, wo die Sinnlichkeit das Herz erobert,<br />
die Logik ruhig mal aussetzen darf ...<br />
2011/1
WinteRfestspiele<br />
Wenn statt Vögeln Kleider<br />
fliegen, spricht man<br />
vom großen Opernw<strong>und</strong>er.<br />
W<strong>und</strong>erbar ist die „Così“<br />
allemal, auch wenn ihre<br />
Protagonisten schmerzlich<br />
lernen müssen: Ein Riss<br />
tut sich auf im sonst herrlich<br />
strahlenden Liebeshimmel!<br />
2011/1<br />
Vor ausverkauftem Haus eröffnete<br />
Anne-Sophie Mutter<br />
mit Sir Simon Rattle <strong>und</strong><br />
den Berliner Philharmonikern<br />
die Winterfestspiele 2011<br />
(unten). Nach dem Konzert<br />
war Zeit für privatere Momente<br />
(links). Auf den gelungenen<br />
Festspielauftakt stoßen Britta<br />
<strong>und</strong> Frank Elstner mit dem<br />
Stifter-Ehepaar Anneliese <strong>und</strong><br />
Wolfgang Grenke (Bildmitte) an.<br />
Rückblick<br />
Ein Grieche aus Sibirien probt Mozart.<br />
Hört sich an wie ein Marketing-Gag, doch<br />
Teodor Currentzis ist der griechische<br />
Mozartliebhaber mit Wohnsitz Nowosibirsk<br />
<strong>und</strong> in der Tat einer der aufregendsten<br />
Dirigenten. Mojca Erdmann (unten) ist<br />
eine w<strong>und</strong>erbare Despina <strong>und</strong> bleibt<br />
doch von Mozart als eine mit allen Wassern<br />
gewaschene Schwester Don Giovannis<br />
angelegt – darüber täuscht noch so viel<br />
Theatermaske nicht hinweg.<br />
fotos linke seite: AndReA kRempeR (4); Jochen klenk (3); fotos Rechte seite: AndReA kRempeR (1); mARkus boss/festspielhAus bAden-bAden (1); michAel GReGonoWits (4)
Rückblick<br />
Seit ihrer gemeinsamen<br />
Mozart-CD sind die beiden<br />
befre<strong>und</strong>et. Dennoch:<br />
Es war eine kleine Überraschung,<br />
als beim „Bad<br />
Boys“-Arienabend plötzlich<br />
Cecilia Bartoli vor Bryn<br />
Terfels Garderobentür stand<br />
(rechts). Barfüßig wie<br />
ein junges Mädchen bestritt<br />
Magdalena Kožená ihren<br />
frühbarocken Arienabend<br />
(ganz rechts).<br />
Martin Stadtfeld weihte mit seinem<br />
Spiel den neuen Flügel des <strong>Festspielhaus</strong>es<br />
ein, den er zuvor im Kreise der Spender<br />
exklusiv vorgestellt hatte (oben). Sigm<strong>und</strong><br />
Kiener (rechts), Vorsitzender des<br />
Stiftungsrats des <strong>Festspielhaus</strong>es, ermöglichte<br />
das abendliche Konzert.<br />
Zeiten <strong>und</strong> Kontinente wechseln, Liebes-<br />
schwüre bleiben: Rolando Villazón schwärmte,<br />
flehte <strong>und</strong> bezauberte mit mexikanischen<br />
Liedern (links). Unvergesslich das Silvesterkonzert<br />
mit Anja Harteros (oben), die spontan weitere<br />
Arien in ihr Programm aufnahm, als ihr vorgesehener<br />
Partner Jonas Kaufmann krankheitshalber<br />
absagte. Die Retterin wurde frenetisch gefeiert!<br />
– 9 –<br />
konzeRte<br />
2011/1
heRbeRt von kARAJAn musikpReis<br />
BIS an dIe<br />
grenZen der ZeIt<br />
4. november, 20.40 u h r<br />
eigentlich wollte er mit Chopin auftreten, dann besann<br />
er sich eines anderen: „Ich habe mit Karajan so<br />
viel über Schubert gesprochen, da kann ich ihm zu<br />
ehren auch nur Schubert spielen“, meinte der frischgebackene<br />
Herbert-von-Karajan-Preisträger daniel<br />
Barenboim. ganz nach innen gerichtet dehnte er die<br />
riesigen Bögen der letzten Schubert-Sonate aus, bis<br />
die Zeit fast stehenblieb. gleichzeitig floss die musik<br />
stets natürlich, atmend, leicht: So zaubern kann<br />
nur jemand, der in den großen Formen Wagners,<br />
Bruckners <strong>und</strong> mahlers zu Hause ist.<br />
2011/1<br />
– 10 –<br />
Rückblick
foto: mARcus GeRnsbeck<br />
Rückblick<br />
– 11 –<br />
heRbeRt von kARAJAn musikpReis<br />
Herbert von Karajan<br />
MusiKpreis 2010:<br />
Daniel barenboiM<br />
Klavierabend<br />
Franz Schubert:<br />
Impromptus D 935<br />
Klaviersonate Nr. 21<br />
B-Dur D 960<br />
2011/1
heRbeRt von kARAJAn musikpReis<br />
Die Tischrede auf den<br />
Preisträger wurde von<br />
Dr. Clemens Börsig<br />
gehalten, dem Vorsitzenden<br />
des Kuratoriums der<br />
Kulturstiftung <strong>Festspielhaus</strong><br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>. Daniel<br />
Barenboim, Wolfgang Rihm<br />
<strong>und</strong> Horst Weitzmann,<br />
Vorsitzender des Stiftungsvorstands<br />
der Kulturstiftung<br />
<strong>Festspielhaus</strong> <strong>Baden</strong>-<br />
<strong>Baden</strong> (von links,) zeigen<br />
stolz die Preisurk<strong>und</strong>e.<br />
2011/1<br />
Standing Ovations: Der<br />
letzte Ton war längst verklungen,<br />
doch das Publikum konnte<br />
nicht genug bekommen von<br />
Karajan-Preisträger Daniel<br />
Barenboim. Für den erkrankten<br />
Pierre Boulez verlas<br />
der Komponist Wolfgang Rihm<br />
dessen Laudatio (rechts).<br />
– 12 –<br />
Sie sind ein Humanist ersten ranges<br />
<strong>und</strong> ein mutiger Bürger, dessen intelligente<br />
Beharrlichkeit ich zutiefst bew<strong>und</strong>ere.<br />
Aus der LAudAtio von Pierre BouLez<br />
Auf dAnieL BArenBoim.<br />
Rückblick<br />
fotos linke seite: mARus GeRnsbeck; fotos Rechte seite: mARkus boss/festspielhAus bAden-bAden (1); holGeR bAdekoW (2); Jochen klenk (3)
Rückblick hAmbuRG bAllett – John neumeieR<br />
Ankunft eines großen Künstlers<br />
(oben): John Neumeier auf<br />
dem Weg ins <strong>Festspielhaus</strong>, wo<br />
gleich seine „Hommage aux<br />
Ballets Russes“ gegeben wird.<br />
Der Choreograph, rechts im<br />
Gespräch mit <strong>Festspielhaus</strong>-<br />
Intendant Andreas Mölich-<br />
Zebhauser, fühlt sich seit dem<br />
Jahr der Eröffnung dem <strong>Festspielhaus</strong><br />
verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> plant schon<br />
neue Projekte. Rechts oben:<br />
Otto Bubeníček <strong>und</strong> Miljana<br />
Vračarić in „Le Pavillon d’Armide“.<br />
die Ballett-Werkstätten<br />
von John neumeier sind bereits<br />
zum Kult geworden.<br />
BAdische neueste nAchrichten<br />
John Neumeier schätzt sein<br />
Publikum <strong>und</strong> zeigt dies<br />
gern, wie hier während einer<br />
Probenpause im Gespräch<br />
mit <strong>Festspielhaus</strong>-Stifter<br />
Professor Ernst-Moritz Lipp<br />
(oben). Wer jedoch einen<br />
ganz unmittelbaren, persönlichen<br />
Blick auf die Arbeit<br />
des Künstlers werfen wollte,<br />
der besuchte dessen schon<br />
legendäre Ballett-Werkstatt.<br />
Hier sorgte der Choreograph<br />
für Aha-Effekte, erzählte<br />
viel über die Entstehung seiner<br />
Werke <strong>und</strong> erläuterte laufen-<br />
de Pro duktionen – so auch<br />
„Endstation Sehnsucht“ (links).<br />
2011/1
hAmbuRG bAllett – John neumeieR<br />
dIe KraFt deS<br />
gedanKenS<br />
17. ok tober, 12.10 u h r<br />
Wie entsteht ein Ballettabend? Wie wird eine poetische<br />
Idee, ein roman oder ein theaterstück in<br />
tanz umgesetzt? Berechtigte Fragen, galt doch das<br />
Handlungsballett als hoffnungslos veraltet, als<br />
sich John neumeier seiner annahm. neumeier arbeitet<br />
langsam. er liest, macht recherchen; um<br />
sich für sein Ballett „endstation Sehnsucht“ zu<br />
inspirieren, fuhr er in die Südstaaten der USa. In<br />
neumeiers Ballett-Werkstatt werden diese Ideen<br />
wieder herausdestilliert, der Choreograph kommt<br />
auf die Bühne, erzählt, gibt Hinweise <strong>und</strong> verrät<br />
geheimnisse. In der aufführung selbst sieht man<br />
<strong>und</strong> begreift: genauigkeit <strong>und</strong> Liebe, keine Scheu<br />
vor Pathos <strong>und</strong> ein Blick auf menschen, der ganz<br />
ohne Zynismus auskommt – das sind die Ingredienzien<br />
von neumeiers Kunst.<br />
2011/1<br />
– 14 –<br />
Rückblick
fotos: Jochen klenk<br />
Rückblick<br />
– 15 –<br />
hAmbuRG bAllett – John neumeieR<br />
ballett-WerKstatt<br />
HaMburg ballett –<br />
joHn neuMeier<br />
Carsten Jung als Stanley Kowalski<br />
in „Endstation Sehnsucht“,<br />
Ballett von John Neumeier nach<br />
Tennessee Williams<br />
2011/1
PoP <strong>und</strong> Education Rückblick<br />
Die Ideen John Neumeiers<br />
wirken weiter: Im Ballettprobenraum<br />
des <strong>Festspielhaus</strong>es<br />
zeigten seine<br />
Tänzer Ballettschülern <strong>und</strong><br />
dem Fre<strong>und</strong>eskreis<br />
<strong>Festspielhaus</strong> erste eigene<br />
Choreographien.<br />
2011/1<br />
Sie kam, sang <strong>und</strong> siegte:<br />
Beim Swr3 New Pop Festival<br />
begeisterte Lena, die Gewinnerin<br />
des Grand Prix,<br />
mit ihrer Natürlichkeit.<br />
Nur unwesentlich älter als<br />
das <strong>Festspielhaus</strong> selbst,<br />
lockte sie Besucher ins<br />
Haus, die man sonst kaum<br />
in Musentempeln trifft.<br />
Auf ein Neues, Lena! Damit<br />
es bald wieder heißt:<br />
Germany, 12 Points ...<br />
Das Schulprojekt „Kolumbus – Klassik entdecken!“ wird 2011 zehn<br />
Jahre alt. Über 20.000 Schüler kamen seit 2001 – ermöglicht<br />
wurde das durch den Bildungspartner, die Grenkeleasing AG.<br />
„was machen Sie gegen Lampenfieber? wie merken Sie sich die<br />
vielen Noten?“ Bei unserer SchülerKünstlerBegegnung<br />
erfuhren die Jugendlichen so einiges über den Beruf des Künstlers<br />
vom Meister selbst: Der Geiger Daniel Hope (links)<br />
musiziert auf den großen Bühnen der welt, schreibt Bücher<br />
<strong>und</strong> hat auch ein Schülerpub likum jederzeit im Griff.<br />
Fotos: sWR (2); stEPhaniE schWEigERt (2); JochEn klEnk (2)
fotos: nAtAshA RAzinA (1); Jochen klenk (5)<br />
Rückblick mARiinsky-bAllett<br />
Zu den alljährlichen Höhepunkten<br />
gehören die<br />
Weihnachtsballette mit dem<br />
Mariinsky-Ensemble.<br />
Die Tänzerinnen tanzen<br />
Spitze, als würden sie Göttinnen<br />
gleich über den<br />
Menschen schweben. Übermenschlich<br />
sind sie in der<br />
Tat, die Anforderungen an<br />
Präzision <strong>und</strong> Ausdruck, die<br />
man von den Tänzerinnen<br />
erwartet: Ihre Körper erinnern<br />
an geometrische Figuren –<br />
fast meint man, Edelsteinen<br />
zuzusehen, kostbaren<br />
Diamanten im Brillantschliff.<br />
Die Tänzer erfüllen im klassischen<br />
Ballett die Funktion<br />
von Ballettstangen: Sie geben<br />
der Ballerina Halt, die über<br />
allem schwebt. Die Tänzer<br />
schweben nicht, sie springen.<br />
Und wenn die Rolle es verlangt,<br />
setzen sie Wolfs masken<br />
auf <strong>und</strong> verspeisen Rotkäppchen<br />
– wie der Tänzer unten<br />
in „Dornröschen“.<br />
2011/1
mARiinsky-bAllett<br />
SCHWeBen Lernen,<br />
mädCHentraUm<br />
22. Dezember, 18.50 u h r<br />
der Vorhang ist blickdicht verschlossen, gleich<br />
reißt er auf <strong>und</strong> dann fällt alles Licht auf die kleine<br />
alina Fischer aus Karlsruhe. alina hat zwar nur<br />
eine winzige rolle (dornröschen als Kind), aber<br />
dafür kann sie für immer von sich behaupten,<br />
neben den größten des Balletts getanzt zu haben:<br />
den Ballerinen des mariinsky-Balletts, die auf der<br />
ganzen Welt bew<strong>und</strong>ert werden, für ihre Kunst,<br />
die den alltag vergessen lässt. Klassisches Ballett<br />
übersteigt das Leben, indem es dessen Fehler ausmerzt.<br />
„nur unter druck entstehen diamanten“,<br />
lautet eine alte Ballettweisheit – doch ab <strong>und</strong> an,<br />
heimlich auf der Hinterbühne, da tanzt man selbst<br />
über diese Weisheit lächelnd hinweg ...<br />
2011/1<br />
– 18 –<br />
Rückblick<br />
fotos: Jochen klenk
Rückblick mARiinsky-bAllett<br />
DornrösCHen<br />
Peter Tschaikowsky:<br />
„Dornröschen“<br />
Choreographie:<br />
Marius Petipa (Fassung<br />
von Konstantin Sergejew)<br />
Dirigent: Alexei Repnikov<br />
Ballett <strong>und</strong> Orchester<br />
des Mariinsky-Theaters<br />
St. Petersburg<br />
– 19 –<br />
2011/1
sie ermöglichen ideen<br />
den Stiftern<br />
Frieder Burda · Ladislaus <strong>und</strong> Annemarie von Ehr · Wolfgang <strong>und</strong> Anneliese Grenke · Henriette <strong>und</strong> Paul Heinze Stiftung · Klaus-Georg<br />
Hengstberger · Klaus <strong>und</strong> Hella Janson · Sigm<strong>und</strong> Kiener · Karlheinz Kögel · Ernst H. Kohlhage · Ernst-Moritz Lipp <strong>und</strong> Angelika Lipp-Krüll · Hugo<br />
<strong>und</strong> Rose Mann · Reinhard <strong>und</strong> Karin Müller · Wolfgang <strong>und</strong> Françoise Müller-Claessen · Hans R. Schmid <strong>und</strong> Mary Victoria Gerardi-Schmid<br />
Walter Veyhle · Alberto Vilar · Franz Bernhard <strong>und</strong> Annette Wagener · Horst <strong>und</strong> Marlis Weitzmann · Beatrice <strong>und</strong> Götz W. Werner<br />
IN MEMORIAM: Theo <strong>und</strong> Gabi Kummer · Margarete Stienen<br />
dem fre<strong>und</strong>eSkreiS<br />
mit seinen über 1.400 Mitgliedern<br />
UNSER HERZLICHES DANKESCHöN GILT:<br />
den gröSSten privaten förderern<br />
DIAMANT: Frieder Burda · Wolfgang <strong>und</strong> Anneliese Grenke · Sigm<strong>und</strong> Kiener · Karlheinz Kögel · Ernst H. Kohlhage · Dieter <strong>und</strong> Margrit Kummer<br />
Klaus <strong>und</strong> Kirsten Mangold · Hugo <strong>und</strong> Rose Mann · Horst <strong>und</strong> Marlis Weitzmann · Beatrice <strong>und</strong> Götz W. Werner<br />
SMARAGD: Franz Burda · Joyce <strong>und</strong> Günter Pilarsky · Hanns A. Pielenz Stiftung · sowie ungenannte Förderer<br />
RUBIN: Ladislaus <strong>und</strong> Annemarie von Ehr · Helga <strong>und</strong> Erivan Haub · Klaus <strong>und</strong> Hella Janson · Marga <strong>und</strong> Kurt Möllgaard-Stiftung · Hans <strong>und</strong><br />
Jutta Schmidt · Ulrich <strong>und</strong> Silke Weber · sowie ungenannte Förderer<br />
SAPHIR: Barbara Dyckerhoff-Mack <strong>und</strong> Ingo Mack · Renate Ganter · Axel Hommrich · Bernd J. <strong>und</strong> Gudrun Rombach · sowie ungenannte<br />
Förderer<br />
PLATIN: Clemens <strong>und</strong> Gerhild Börsig · Hans-Jörg <strong>und</strong> Ulrike Haferkamp · Eva <strong>und</strong> Hans-H. Hasbargen · Antje-Katrin Kühnemann <strong>und</strong> Jörg<br />
Gühring · Lieselotte Maier · Erwin <strong>und</strong> Anita Müller · Oswald Nussbaum · Karin Rudolph · Johanna Spinner · Annette <strong>und</strong> Otmar Zwiebelhofer<br />
sowie ungenannte Förderer<br />
GOLD: Katrin <strong>und</strong> Rick van Aerssen · ArteMusica Stiftung · Gerda Dirks <strong>und</strong> Barbara Dacho · Robert F. Dondelinger <strong>und</strong> Daniel Fisch<br />
Lore Einwächter · Eppensteiner Stiftung · Heike <strong>und</strong> John Feldmann · Eberhard <strong>und</strong> Barbara Graf · Arnold <strong>und</strong> Heiderose Höpfinger · Gabriele<br />
Kippert · Inge <strong>und</strong> Werner Lehmann · Gerlinde Rillmann · Ernst-Werner <strong>und</strong> Uta Ruhbaum · Horst Sandner · Bernhard <strong>und</strong> Charlotte Schrickel<br />
Sigrid Schuler · Ina Standare · Rosemarie von Zsóry · sowie ungenannte Förderer<br />
SILBER: Walter <strong>und</strong> Christa Berthold · Veit <strong>und</strong> Karin Bürkle · Hans-H. <strong>und</strong> Ann Firnges · Norbert <strong>und</strong> Marie-Pierre Gross · Edward <strong>und</strong> Marianne<br />
Jaeger-Booth · Klaus <strong>und</strong> Helga Kaiser · Danielle <strong>und</strong> Jean-Paul Koch · Nikolaus <strong>und</strong> Regina Krings · Walter <strong>und</strong> Micheline Müller · Marianne<br />
Schippmann · Annemarie Servas · Karin Siegel · Peter Theile · Klaus-Dieter <strong>und</strong> Ilsetraud Vöhringer · Inge Wenz · Hans Ernst Zöller · sowie<br />
ungenannte Förderer<br />
dem kuratorium<br />
Prinz Bernhard von <strong>Baden</strong> · Bernd Bechtold · Roland Berger · Clemens Börsig (Vorsitzender) · Peter Boudgoust · Pierre Boulez · Christian Brand<br />
Plácido Domingo · Alexander Erdland · Franz Fehrenbach · John Feldmann · Valery Gergiev · Norbert Gross · Hanns-Dieter Herrmann<br />
Hilmar Hoffmann · Eliette von Karajan · Karl-Ludwig Kley · Klaus Mangold · Anne-Sophie Mutter · Heinz Ohnmacht · Wolfgang Rihm<br />
Markus Schächter (stellv. Vorsitzender) · Lothar Späth · Hans-Jörg Vetter · Hans-Peter Villis · Klaus-Dieter Vöhringer<br />
Foto: Clive NiChols/Corbis
dem firmenpool<br />
b.i.g. bechtold Ingenieurgesellschaft mbH Karlsruhe · Bada AG Bühl · Badischer Gemeinde-Versicherungs-Verband Karlsruhe · BASF AG Ludwigshafen<br />
· Biologische Heilmittel Heel GmbH <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> · Bischoff + Scheck Fahrzeugtechnik Gmbh & Co. KG Rheinmünster · Dieter Schätzle<br />
Präzisionswerkzeuge Tuttlingen · Druckerei Dr. Willy Schmidt GmbH & Co. KG <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> · E. Emde Finanz- <strong>und</strong> Vermögenskoordination<br />
Gengenbach · ECG Energie Consulting GmbH Kehl · Falk & Co. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft <strong>und</strong> Steuerberatungsgesellschaft<br />
Heidelberg · Friedrich Ganz Versicherungsmakler GmbH <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> · Futternapf Petfood Group Kronau · GFT Technologies AG St. Georgen<br />
Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz Rechtsanwälte Stuttgart · Herrmann W. Assekuranz KG Ettlingen · Indubau GmbH & Co. KG Karlsruhe · KWH<br />
Automobiltechnik GmbH Gaggenau · LBS Landesbausparkasse <strong>Baden</strong>-Württemberg Stuttgart · Leitwerk AG Appenweier · Liebich & Partner AG<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> · MODE MONTE CARLO von Ehr GmbH Bad Säckingen · MODE WAGENER <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> · Neumayer Tekfor Holding GmbH,<br />
Offenburg · Nussbaum Medien St. Leon-Rot GmbH & Co. KG St. Leon-Rot · OPTICA Abrechnungszentrum Dr. Güldener GmbH Stuttgart · Otto<br />
Nußbaum GmbH & Co. KG Kehl · Progress-Werk Oberkirch AG Oberkirch · Robert Bosch GmbH Bühl · Sal. Oppenheim jr. & Cie. KGaA <strong>Baden</strong>-<br />
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den premiumpartnern<br />
den programmpartnern den BildungSpartnern<br />
den auSStattungSpartnern<br />
den medienpartnern
PersönliCHes<br />
schuld war, wie so oft, das wetter. im silvesterkonzert<br />
des zdF aus der dresdner semperoper<br />
sang, jedenfalls in der Probe für die Konzertaufzeichnung,<br />
keine geringere als anna netrebko für<br />
die amerikanische sopranistin renée Fleming.<br />
was für ein ersatz, was für ein einspringen! wenn<br />
der weltstar in dem Lied „heia, in den Bergen ist<br />
mein heimatland“ zu einer süffigen melodie aus<br />
der „csárdásfürstin“ sich auch der leichten muse<br />
widmete: anna netrebko sang es dennoch so, wie<br />
sie auch ganz große musik singt, <strong>und</strong> die zuhörer<br />
im saal der semperoper jubelten ihr begeistert zu,<br />
als sie in das richtige Live-Konzert mit renée Fleming<br />
eingespielt wurde, die es dann doch noch<br />
zur Übertragung nach dresden geschafft hatte.<br />
das Fernsehen kennt keine geographischen einschränkungen<br />
<strong>und</strong> witterungsbedingungen, es<br />
kommt immer live aus dem beheizten Barocksaal<br />
in die beheizte neujahrsstube zuhause. niemand<br />
hätte das abenteuer der umbesetzung bemerkt,<br />
sondern nur wohlig registriert.<br />
mit dem winterwetter kommen auch die Krankheiten,<br />
<strong>und</strong> so hat, parallel zum zdF-silvesterkonzert,<br />
auch bei der ard-gala ein Programmwechsel<br />
aus not stattgef<strong>und</strong>en. das „Badische Tagblatt“<br />
feierte die sopranistin anja harteros – „Jubel für<br />
die retterin“ – für ihren betörenden Pianoeinsatz<br />
bei Verdis „Pace, pace“, nachdem das Programm<br />
wegen der erkrankung des Tenors Jonas Kaufmann<br />
komplett auf sopran-arien umgestellt worden war.<br />
sopran statt Tenor – in einer normalen opernaufführung<br />
wäre das nicht möglich gewesen. das ersparte<br />
dem galapublikum das missgeschick eines<br />
preußischen Leutnants, der eine Karte für den<br />
„Lohengrin“ geschenkt bekommen <strong>und</strong> übersehen<br />
TexT: HellmuTH KaraSeK<br />
Von einem, der auszog,<br />
den schwan zu sehen ...<br />
... unD beim Figaro lanDeTe.<br />
Wer inS THeaTer geHT, DarF miT ÜberraScHungen recHnen –<br />
miTunTer aucH auF Dem ProgrammzeTTel.<br />
Der Autor<br />
Hellmuth Karasek ist einer<br />
der prominentesten<br />
Kulturkenner in Deutschland.<br />
mit Humor <strong>und</strong><br />
Savoir-vivre war er der ideale<br />
Partner <strong>und</strong> gegenspieler<br />
von marcel reich-ranicki<br />
im „literarischen Quartett“.<br />
Der Journalist <strong>und</strong> Schriftsteller,<br />
1934 in brünn geboren,<br />
leitete über 20 Jahre<br />
lang das Kulturressort des<br />
„Spiegels“ <strong>und</strong> war mit-<br />
herausgeber des „Tagesspiegels“.<br />
er veröf fentlichte<br />
romane, geschichten, bücher<br />
über den Film <strong>und</strong> eine<br />
biographie der 50er Jahre<br />
(„go West!“). 2010 wurde<br />
„ihr tausend faches Weh <strong>und</strong><br />
ach“, eine autobiographisch<br />
gefärbte Sammlung erotischer<br />
geschichten, zum<br />
bestseller. 2011 erscheint<br />
der glossen-band „im<br />
Paradies gibts keine roten<br />
ampeln“.<br />
Linke Seite:<br />
Der Herr mit Helm soll dafür<br />
sorgen, dass alles nach<br />
Programm geht. Doch gegen<br />
Wetter <strong>und</strong> Viren hilft auch<br />
der schärfste Säbel nichts.<br />
HellMutH KaraseK<br />
hatte, dass wegen indisposition des schwans, oder<br />
auch des Tenors, eine Programmänderung notwendig<br />
geworden war. statt „Lohengrin“ stand<br />
„Figaros hochzeit“ auf dem Programm, <strong>und</strong> nachdem<br />
der offizier eine gute halbe st<strong>und</strong>e lang den<br />
gesungenen Vorgängen auf der Bühne um graf<br />
almaviva, susanna, cherubino <strong>und</strong> Figaro mit<br />
großen augen <strong>und</strong> weit geöffneten ohren gefolgt<br />
war, stupste er seinen nachbarn an <strong>und</strong> fragte<br />
flüsternd: „Verzeihen sie, wann kommt denn endlich<br />
der schwan?“ der nachbar flüsterte ebenso<br />
leise zurück: „Überhaupt nicht. wir haben eine<br />
Programmänderung. das ist ‚Figaros hochzeit‘.<br />
worauf sich der offizier krachend erhob <strong>und</strong> sagte:<br />
„na, dann kann ick ja jehen, da kenn ick jede<br />
note“, <strong>und</strong> den saal verließ.<br />
solche geschichten haben weniger mit Programmänderungen<br />
als mit Banausentum zu tun. das allerdings<br />
durch die Programmänderung an den Tag<br />
gebracht wird. zumindest kannte der forsche<br />
Banause keine schwellenangst. es war ihm nicht<br />
peinlich, er überspielte die unvorhergesehene<br />
wendung der dinge auf der Bühne mit einer<br />
scheinbar kennerischen Parade.<br />
witze aus der guten alten zeit mit militärischen<br />
oder neureichen Banausen gibt es ohne zahl:<br />
Fragt die comtesse den hauptmann während des<br />
Tanzes: „Kennen sie ibsen?“ (es war die zeit der<br />
„gespenster“ <strong>und</strong> der schuld der Väter an den<br />
söhnen), <strong>und</strong> erhält die antwort: „nein, wie tanzt<br />
man das?“ oder, um noch einen draufzusetzen:<br />
Kommt einer von einem rom-Besuch zurück <strong>und</strong><br />
erzählt seinen Fre<strong>und</strong>en davon, bis die ihn fragen:<br />
„warst du auch in der sixtinischen Kapelle?“ antwort:<br />
„Ja, bravourös haben die gespielt.“<br />
– 23 – 2011/1
PersönlicHes<br />
Diese Geschichten drücken etwas aus, was man<br />
Menschen nur durch längere kulturelle Erziehung<br />
<strong>und</strong> Gewöhnung abtrainieren kann, nämlich die<br />
Schwellenangst. Die Schwellenangst betrifft meist<br />
die Gefahr, sich bei dem Kunstgenuss im Theater,<br />
Konzert oder in Galerien nicht zu bilden oder<br />
zu unterhalten oder zu amüsieren, sondern sich<br />
im Gegenteil vor der Kunst zu blamieren. Alle<br />
Volksbühnen-Vereine <strong>und</strong> Abonnenten-Unter weisungen<br />
arbeiten hier in lehrreichen <strong>und</strong> oft<br />
schweißtreibenden Unterrichtungen entgegen.<br />
Schwellenangst, das ist die Angst, falsch angezogen<br />
zu sein, wobei die feierliche Abendgarderobe<br />
im Konzert <strong>und</strong> in der Oper auch eine schöne<br />
Exklusivität markiert: „Wir sind eine kulturverschworene<br />
Gemeinschaft, wir haben Zeit, Laune<br />
<strong>und</strong> Geld, um uns das leisten zu können. Wir<br />
wissen, welche Fliege zum Smoking passt.“<br />
Schwellenangst, das ist auch die Angst, sich<br />
falsch zu verhalten, <strong>und</strong> wie wir oben am Beispiel<br />
des „Lohengrin“-Offiziers gesehen haben, falsche<br />
Erwartungen herauszuposaunen – auch wenn es<br />
flüsternd geschieht. Schwellenangst, das ist die<br />
Angst, schon nach dem dritten Satz zu klatschen,<br />
auch wenn die Sinfonie vier Sätze hat. Bei den<br />
Blicken, die man sich dabei einfängt, möchte man,<br />
wenn schon nicht sterben, dann mindestens in<br />
den Boden versinken. Schwellenangst ist die<br />
Angst, falsch zu reagieren: Programmänderungen<br />
haben es in sich, wenn etwa der banausische<br />
Militär, den wir noch einmal bemühen wollen, auf<br />
die Frage, wie ihm denn „König Lear“ gefallen<br />
habe, mit einem knapp- gnädigen „Man lacht!“<br />
reagiert.<br />
Man kann sich auch durch einen Enthusiasmus,<br />
der anderen falsch vorkommt, vor seinen Mitmenschen<br />
blamieren. So habe ich als junger, frisch<br />
zugezogener Kritiker in Hamburg in der Ära<br />
Ivan Nagel die hinreißend komische Version von<br />
Jerôme Savary der „Périchole“ Offenbachs erlebt<br />
<strong>und</strong> war so belustigt, als der alte Eduard Marx<br />
sich singend mit dem Stemmeisen durch dicke<br />
Gemäuer gebrochen hatte <strong>und</strong> fröhlich versich-<br />
Linke Seite:<br />
Als die Kleiderfrage noch<br />
eine war, traf man sich<br />
im Foyer auf eine Zigarette.<br />
Heute zieht man an, was<br />
man will, fitnessgestärkt <strong>und</strong><br />
ges<strong>und</strong>. So viel zum<br />
Fortschritt!<br />
Oben:<br />
Darf Klassik Spaß machen?<br />
„Aber ja!“, lesen wir aus<br />
dem fein nach oben ge zogenen<br />
rechten M<strong>und</strong>winkel<br />
der Dame links im Bild.<br />
HellmutH KaraseK<br />
erte, in weiteren sieben Jahren würde er sich in<br />
die völlige Freiheit gestemmt haben, dass ich dies<br />
mit überlautem Gelächter begleitete. Eine Hamburger<br />
Dame, die hinter mir saß (ich selbst durfte<br />
mich damals noch nicht zu den Hamburgern<br />
rechnen), stupste mich auf die Schulter <strong>und</strong> sagte:<br />
„Mäßigen Sie sich, mein Herr. Wir sind im Deutschen<br />
Schauspielhaus.“ Wie man damals überhaupt<br />
wusste, was sich gehörte. Es war nicht die<br />
gleiche Dame, aber wahrscheinlich eine ähnliche,<br />
die bei einer anderen Premiere (ich weiß nicht<br />
mehr, von welchem Stück) sagte, als sich der Vorhang<br />
öffnete <strong>und</strong> sie das Bühnenbild sah: „Das<br />
wird nix.“ Weise Voraussicht, sie hatte mit ihrem<br />
Vorurteil auch noch recht. Wie überhaupt eine negative<br />
Reaktion schwerer zu widerlegen ist als<br />
eine positive.<br />
Ich möchte zum Schluss den Helden eines überschäumenden<br />
Enthusiasmus <strong>und</strong> seine heroische<br />
Theaterleistung schildern. Er heißt Nadelman <strong>und</strong><br />
ist einer Kurzgeschichte von Woody Allen entsprungen.<br />
Nadelman bei Woody Allen ist ein leidenschaftlicher<br />
Opernliebhaber, lebt auch noch in<br />
Mailand <strong>und</strong> hat ein Abonnement in der berühmten<br />
Scala. Er hat einen Abonnementplatz im ersten<br />
Rang, fast über dem Orchestergraben, <strong>und</strong> als<br />
ihn eine Aufführung der „Bohème“ am Schluss zu<br />
Begeisterungsstürmen hinreißt, applaudiert er<br />
frenetisch, springt dazu auf <strong>und</strong> beugt sich der<br />
Bühne entgegen – bis er kopfüber in den Orchestergraben<br />
stürzt. Das, bemerkt Woody Allen, war<br />
unendlich schmerzhaft. Doch um sich nicht<br />
wegen seiner Kunst-Tölpelei blamiert fühlen zu<br />
müssen, wiederholt er den Sturz Abend für Abend.<br />
Ich weiß, dass dieser Enthusiasmus auch in der<br />
Scala keine Schule machte. Dazu bedarf es schon<br />
eines Kunsthelden. Und ich weiß nicht, ob an<br />
diesem Abend wirklich „La Bohème“ gespielt<br />
wurde oder vielleicht sogar, wegen eines jähen<br />
Programmwechsels, „La Traviata“. Es ist mir auch<br />
egal. Aber eines weiß ich sicher <strong>und</strong> werde es nie<br />
vergessen: Der Name des in den Orchestergraben<br />
Stürzenden ist Nadelman.<br />
– 25 – 2011/1
MuseuM Frieder Burda <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
TexT: UTe BaUermeisTer<br />
AUFRISS EINER NEBELBANK<br />
er sprichT von sTimUlanzen, schüBen Und siehT sich als hüTer der Flamme.<br />
Wie seine Bilder, so lieBT aUch neo raUchs sprache die meTapher.<br />
zUrzeiT arBeiTeT der KünsTler an einer BronzesKUlpTUr Für <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>. ein inTervieW.<br />
Das Museum Frieder Burda widmet seine große<br />
Sommerausstellung dem Maler Neo Rauch. Viele<br />
bisher nie gezeigte Werke werden zu sehen sein,<br />
darunter auch eine Bronzeskulptur, die gerade für<br />
die Ausstellung entsteht. Mit dem <strong>Festspielhaus</strong>-<br />
Magazin sprach Neo Rauch über die Inspiration,<br />
die von einem Museumsgebäude ausgehen kann,<br />
das Abenteuer der weißen Leinwand <strong>und</strong> den<br />
perfekten normalen Tag …<br />
2011 wird eine große Neo-Rauch-Einzelausstellung<br />
im Museum Frieder Burda <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> zu sehen<br />
sein. Sie haben das Museum gemeinsam mit Frieder<br />
Burda besucht, wie war Ihr Eindruck?<br />
Das Gebäude hat mich auf Anhieb überzeugt, als architektonische<br />
<strong>und</strong> skulpturale Setzung in dem bestehenden<br />
Umfeld. Das ist nicht selbstverständlich,<br />
weil ich sehr strenge Maßstäbe an zeitgenössische<br />
Architektur anlege <strong>und</strong> in dieser Hinsicht nicht<br />
ganz frei von einem verkniffenen Konservatismus<br />
bin. Zum inneren Raumkonzept kann ich auch<br />
nichts anders sagen, als dass ich gar nicht umhin<br />
kam, mir meine Arbeiten hineinzuspiegeln. Ich fing<br />
sofort an, im Geiste das Haus zu bebildern. Als ich<br />
zu Besuch war, hing gerade Baselitz, das war ein<br />
sehr schöner Entfaltungsraum für diese Werke.<br />
Wann haben Sie Frieder Burda kennen gelernt?<br />
Er hat bereits Anfang der 1990er Jahre Bilder von<br />
mir gekauft. Wir traten früh miteinander in Kontakt.<br />
Persönlich kennen gelernt habe ich ihn vor<br />
etwa vier Jahren.<br />
Der Kunsthistoriker Werner Spies wird die Ausstellung<br />
kuratieren. Werden Sie an der Hängung mitwirken?<br />
Nein, ich will auch hier versuchen, scheu <strong>und</strong> diskret<br />
in den Hintergr<strong>und</strong> zu treten, weil ich Werner<br />
Spies auf diesem Gebiet sehr viel zutraue. Meine<br />
Erfahrung ist, dass der Künstler selbst eher als<br />
Störfaktor auftritt. Sowohl in München als auch in<br />
Leipzig war das bei den beiden großen Werkschauen<br />
2010 ein kongeniales Vorgehen. Durch teilweise<br />
riskante Hängemanöver der Kuratoren, die ich so<br />
2011/1<br />
Der Künstler<br />
neo rauch, 1960 in leipzig<br />
geboren, studierte an<br />
der leipziger hochschule für<br />
Grafik <strong>und</strong> design bei arno<br />
rink <strong>und</strong> Bernhard heisig.<br />
von 2005 bis 2009 lehrte er<br />
selbst dort als professor.<br />
Bis heute lebt der Wegbereiter<br />
der „neuen leipziger schule“<br />
in seiner heimatstadt.<br />
Frieder Burda rechnet neo<br />
rauch „zu den bedeu-<br />
tendsten malern der Gegenwart.<br />
als ich rauch im<br />
Blick auf diese ausstellung<br />
in seinem atelier in leipzig<br />
besuchte, war ich sofort<br />
fasziniert vom mythos, dem<br />
Geheimnisvollen, von den<br />
Farben, von der positiven<br />
ausstrahlung der Werke, die<br />
dort entstehen.“ auch<br />
in den Usa werden neo<br />
rauchs Werke gefeiert,<br />
der Künstler zählt international<br />
zu den wichtigsten<br />
malern seiner Generation.<br />
– 26 –<br />
wahrscheinlich nicht vorgenommen hätte, wurden<br />
mir selbst neue Zusammenhänge aufgeschlossen.<br />
Insofern traue ich unserem „Chefsurrealisten“<br />
Werner Spies in dieser Hinsicht auch allerhand<br />
Unternehmungsgeist zu. Mir war es wichtig, Material<br />
einzubeziehen, das vielleicht zu Unrecht in<br />
den zurückliegenden Jahrzehnten unter Verschluss<br />
geblieben ist.<br />
Was wird zu sehen sein? Sie haben in einem Interview<br />
in der „Zeit“ gesagt: „Ich arbeite daran, das<br />
Gute <strong>und</strong> die Zuversicht in diese Bildmaterialien<br />
hineinzumassieren.“<br />
Das liegt nicht in meiner Macht. Angesichts des<br />
zur Verfügung stehenden Konvoluts befürchte ich,<br />
dass sich in <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> wohl noch nicht dieser<br />
helle, frühsommerliche Aspekt durchschlagen wird.<br />
Das ist wohl erst dem vor mir liegenden Produktionsjahr<br />
beschieden, diese Kapazitäten freizuschalten.
Foto: uwe walter; aBBildung: galerie eigen + art leipzig/Berlin <strong>und</strong> david zwirner, new York<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> MuseuM Frieder Burda<br />
Es handelt sich dabei um eine solche Unwägbarkeit,<br />
die so im Atmosphärischen angesiedelt ist,<br />
da muss wohl der Kurator die Auswahl entsprechend<br />
justieren.<br />
Sie haben das eben angesprochene Interview<br />
gemeinsam mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp<br />
(„Der Turm“) gegeben, der auch einen Katalogbeitrag<br />
für Sie schrieb. Wie wichtig ist Literatur für<br />
Sie – inspiriert Sie Literatur zur Malerei?<br />
Ja, sicher, ganz bestimmt sogar. Aber das darf man<br />
sich keinesfalls linear vorstellen. Literatur ist sehr<br />
wichtig als stimulierendes Beiwerk. Es ist nichts,<br />
das den eigentlichen Schub leistet, von unten. Aber<br />
ich lese gern <strong>und</strong> viel, derzeit habe ich Essays <strong>und</strong><br />
Briefe von Michel Houellebecq als Lektüre dabei,<br />
die mir außerordentlich gefallen. Zu meinen langjährigen<br />
literarischen Begleitern zählen unter anderen<br />
Julien Green, Henry Miller, Paul Auster,<br />
Ernst Jünger <strong>und</strong> Horst Lange. Auch Bildbände<br />
strahlen nach oben ab. Wenn ich im Atelier ein bestimmtes<br />
Bild von Velázquez aufgeschlagen habe,<br />
Oben:<br />
neo rauch,<br />
„ausschüttung“ (2009),<br />
Öl auf leinwand,<br />
210 x 300 cm,<br />
museum Frieder Burda,<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
dann bleibt ein atmosphärisches Gewölk haften,<br />
das ich auch in die Bilder hineinnehme.<br />
Was bedeutet Ihnen Musik, ist das ein Thema für Sie?<br />
Wenn ich nicht gerade Hörbücher höre, dann natürlich<br />
Musik. Das ist auch ein stimulierendes, ein atmosphärisches<br />
Beiwerk. Musik muss mich packen.<br />
Wenn ich in die feine Gespinsthaftigkeit der Inspirationsfixierung<br />
eintrete, dann ist im Idealfall Stille<br />
der passende Begleiter, aber es wirkt auch gut ein so<br />
feines Hineinwehen von Debussy oder Ravel. Ich<br />
habe gerne die Impressionisten im Raum oder wenn<br />
es sich verfestigt, dann auch die Romantiker.<br />
Sie nennen Tintoretto, Velázquez, Tizian als Vorbilder.<br />
Große Szenarien, die Welt als absurdes Theater,<br />
historische Kostüme, gemischt mit surrealen Sequenzen<br />
– woher stammen all diese Ideen, die Sie<br />
ohne Vorzeichnung direkt malen? Und: Malen Sie<br />
an mehreren Bildern gleichzeitig?<br />
Das weiß ich selbst nicht immer genau. Es sind<br />
Träume, Albträume, Bilder in mir, aus meinen<br />
Tiefen, die direkt in die Pinselspitze strömen. Oft<br />
– 27 – 2011/1
MuseuM Frieder Burda <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
weiß ich anfangs nicht, was später dabei herauskommt.<br />
Allerdings hat meine Malerei nichts mit<br />
emotionalem Actionpainting zu tun. Manchmal<br />
male ich mehrere Bilder gleichzeitig. Es entstehen<br />
zwischen 15 <strong>und</strong> 20 Gemälde pro Jahr.<br />
Flammen tauchen in Ihren Bildern immer wieder<br />
auf, wofür stehen sie?<br />
Die Flamme ist eine Metapher für die Inspiration.<br />
Das kann auch ein Teelicht sein. Oder Goethes<br />
Märchen vom Knaben Wagenlenker aus „Faust“,<br />
im zweiten Teil: „Auch ein Flämmchen spend ich<br />
dann <strong>und</strong> wann, erwartend, wo es zünden kann.“<br />
Wie ein Hüter der Flamme versuche ich, den kostbaren<br />
Zündstoff der Inspiration zu bewahren, der<br />
auch schnell erlöschen kann. Angesichts eines<br />
Teelichts kann man sich ungefähr vorstellen, wie<br />
es einer schöpferischen Natur gehen kann, wenn<br />
sie anfängt, darüber zu sinnieren, wie gefährdet<br />
dieser kostbare Zündstoff sein kann.<br />
Haben Sie manchmal Angst vor der weißen Leinwand?<br />
Angst nicht, aber Respekt, gemischt mit Abenteuerlust.<br />
Ich verwende immer gern die Metapher<br />
von der Nebelbank, vor der ich stehe. Die große<br />
Frage ist, was sich dahinter verbirgt.<br />
Sie arbeiten gerade auch an Skulpturen, eine davon<br />
wird in der Ausstellung im Museum Frieder Burda<br />
zu sehen sein.<br />
Ich bin am Thema dran, nehme mir die Zeit dafür.<br />
Ich habe ja immer mal einen Ausfallschritt in diese<br />
Richtung unternommen. Derzeit arbeite ich an einer<br />
Bronze. Skulpturen interessieren mich schon<br />
eine geraume Zeit, wobei ich meine Lichtobjekte<br />
nicht Skulpturen nenne, weil sie keine Qualität der<br />
Umschreitbarkeit haben. Man könnte eher von Reliefs<br />
sprechen. Bisher war es zweidimensional –<br />
wie beispielsweise an der Fassade des B<strong>und</strong>estages<br />
die beiden monumentalen Männer in grünem<br />
Neonlicht auf der Leiter.<br />
Wie sieht ein ganz normaler Tag im Leben von<br />
Neo Rauch aus?<br />
Ich wünschte, ich hätte mal wieder einen ganz<br />
normalen Tag. Idealerweise würde ich tagsüber<br />
im Atelier arbeiten, früh anfangen, mittags etwas<br />
Gutes kochen <strong>und</strong> abends am Kamin lesen.<br />
2011/1<br />
MuseuM FrieDer BurDa<br />
Neo Rauch<br />
28. mai Bis 18. sepTemBer 2011<br />
Tel: 0 72 21 / 3 98 98 0, www.museum-frieder-burda.de<br />
Der Kurator<br />
Werner spies, Kurator der<br />
ausstellung, wurde 1937 in<br />
Tübingen geboren. sein<br />
studium schloss er mit einer<br />
dissertation über den<br />
surrealisten max ernst ab,<br />
mit dem er bis zu dessen<br />
Tod 1976 eng befre<strong>und</strong>et war.<br />
seit 1960 lebt er in paris,<br />
wo er in regem Kontakt zu<br />
Künstlern wie pablo<br />
picasso, samuel Beckett,<br />
marguerite duras <strong>und</strong><br />
alain robbe-Grillet stand.<br />
von 1997 bis 2000 war<br />
er direktor des musée national<br />
d’art moderne im<br />
centre Georges pompidou.<br />
als Journalist, Kritiker,<br />
übersetzer, Kunstwissenschaftler<br />
<strong>und</strong> museums-<br />
leiter hat Werner spies maßgeblich<br />
zur anerkennung<br />
der künstlerischen<br />
moderne in deutschland<br />
beigetragen.<br />
– 28 –<br />
FrieDer BurDa<br />
Der Kunstsammler Frieder Burda ist dem <strong>Festspielhaus</strong><br />
eng verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zählt zu den Gründungsstiftern. Am<br />
29. April 2011 wird Frieder Burda 75 Jahre alt. Aus diesem<br />
Anlass wird im Museum Frieder Burda eine sehr persön liche<br />
Auswahl seiner etwa 850 Werke umfassenden Kunstsammlung<br />
zu sehen sein, die Frieder Burda selbst treffen wird. Titel<br />
der Ausstellung: „Lebenslinien. Stationen einer Sammlung“.<br />
„Ich bin mit der Farbe groß geworden, mein Vater sammelte<br />
die deutschen Expressionisten“, erinnert sich Frieder Burda.<br />
Das erste Bild, das er 1968 kaufte, war eine geschlitzte Leinwand<br />
von Lucio Fontana, auch als Rebellion gegen das<br />
Elternhaus: „Ich wollte zeigen, wie modern ich bin.“<br />
Ausgehend von den farbstarken Bildern des deutschen Expressionismus<br />
baute Frieder Burda eine bedeutende Sammlung<br />
mit Kunstwerken des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts auf. Schwerpunkte<br />
bilden der abstrakte amerikanische Expressionismus,<br />
der späte Picasso <strong>und</strong> die deutsche Malerei von Gerhard<br />
Richter, Sigmar Polke <strong>und</strong> Georg Baselitz. Seit den 90er Jahren<br />
ist ein weiteres Sammlungsfeld hinzugekommen: junge zeitgenössische<br />
Künstler <strong>und</strong> Fotografen wie Axel Hütte <strong>und</strong><br />
Gregory Crewdson.<br />
Die Ausstellung gibt Aufschluss über die Sammelleidenschaft<br />
von Frieder Burda. Das Gemälde „Kerze“ von Gerhard<br />
Richter ist zu sehen, es übt eine große Faszination auf Sammler<br />
<strong>und</strong> Betrachter aus. Frieder Burda: „Es ist ein Bild von<br />
hoher meditativer Ausstrahlung <strong>und</strong> begeistert mich immer<br />
aufs Neue. Ohne Begeisterung <strong>und</strong> Leidenschaft gäbe es<br />
keine gute Malerei <strong>und</strong> keine sportliche Höchstleistung,<br />
keine Musiker wie Anne-Sophie Mutter, keine Nobelpreise<br />
für Forschung. Auch eine Kunstsammlung wächst erst mit<br />
der Begeisterung <strong>und</strong> Leidenschaft des Sammlers.“<br />
MuseuM FrieDer BurDa<br />
Lebenslinien. Stationen einer Sammlung<br />
18. märz Bis 15. mai 2011<br />
Tel: 0 72 21 / 3 98 98 0, www.museum-frieder-burda.de<br />
Foto: MuseuM Frieder Burda
Events <strong>und</strong> Kulturtrips weltweit<br />
Spezielles<br />
Rahmenprogramm<br />
Erstklassige<br />
Studiosus-<br />
Reiseleitung<br />
Erscheint<br />
sechsmal im Jahr<br />
www.kultimer.com<br />
<strong>und</strong> in jedem guten<br />
Reisebüro<br />
Katalog kostenlos <strong>und</strong> unverbindlich<br />
Tel. 00 800 /24 01 24 01<br />
(Gebührenfrei für D, A <strong>und</strong> CH)<br />
oder in jedem guten Reisebüro.<br />
www.kultimer.com<br />
Intensiverleben
mozArt<br />
Dass das Leichteste das Schwerste sei, predigen<br />
Zen-Meister wie Mozart-Kenner. Wobei: Mit Predigten<br />
haben es beide Fraktionen ja eher nicht so.<br />
Sie schweigen <strong>und</strong> genießen, das Leben <strong>und</strong> die<br />
Kunst, wissend, die Erleuchtung kommt auf jeden<br />
Fall in diesem oder im nächsten Leben.<br />
Die Brücke von Mozarts Musik zur japanischen<br />
Zen-Philosophie ist nicht willkürlich gewählt.<br />
Diese sagt, dass man dem Sinn des Lebens nicht<br />
bei spektakulären Ereignissen begegnet, in tibetanischen<br />
Klöstern, auf dem Flug zum Mond <strong>und</strong><br />
zurück oder beim Tauchen mit den Haifischen.<br />
Nein, beim täglichen Tellerwaschen ereilt einen<br />
der Sinn des Lebens, lehrt das Zen. Die Zen-Philosophie<br />
ist nicht ereignisorientiert <strong>und</strong> Mozarts<br />
Musik ist es ebenfalls nicht wirklich. Der normale<br />
Zuhörer ist ebendas <strong>und</strong> weiß genau, was er will:<br />
dramatische Emotionen, schwierige Verwicklungen,<br />
verblüffende Wahrheiten, den Flug zum<br />
Mond <strong>und</strong> zurück. Mozart ist Kinderkram dagegen.<br />
Zwar kennt man das Requiem <strong>und</strong> die c-Moll-<br />
Messe. Bloß typisch ist dieser „romantische“<br />
Mozart eben nicht. Es gibt zwei tragische Sinfonien<br />
<strong>und</strong> 39 heitere, das Verhältnis ist eindeutig,<br />
auch wenn die meisten Pianisten die beiden Moll-<br />
Klavierkonzerte bevorzugen <strong>und</strong> nicht ihre 25 Dur-<br />
Schwestern (die meisten Pianisten sind ebenfalls<br />
ereignisorientiert).<br />
Mit „Ereignis“ meinen wir alles Hervorstechende,<br />
Unerwartete, spannende Tragik im langweiligen<br />
Alltag. Tellerabwasch ist kein Ereignis, es sei denn,<br />
eine Kaffeetasse bricht, da man sich an Kaffeetassenbruch<br />
erinnern wird – das tägliche Abwasch-<br />
Ritual hingegen ist wie das Atmen, man merkt es<br />
kaum. Greifen Sie einmal zu Ihrem Konzertführer<br />
2011/1<br />
TexT: Dariusz szymanski<br />
ZEN IN DER KUNST DES<br />
MOZART-HöRENS<br />
mozarT isT ein einziges Trallala, Denken Wagnerianer, Wenn auch<br />
niemals lauT. Die musik klingT ofT hübsch, selTen<br />
beDeuTungsschWer: um sich ihr zu nähern, Wählen Wir Den<br />
kürzesTen Weg, nämlich über Japan.<br />
<strong>und</strong> schlagen Sie unter Mozarts „Jupiter sinfonie“<br />
nach! Wir versprechen, dass sich alle auf die Fugen<br />
im Finale stürzen. Diese Fugen sind großes Ereignis,<br />
weil untypisch für Mozart. Der erste Satz<br />
(zwei Themen, <strong>und</strong>ramatische Durchführung,<br />
keine Coda, hübsch das Ganze), dieser mozarttypische<br />
erste Satz also, wird meist ordentlich abgehandelt<br />
<strong>und</strong> mehr auch nicht. Es ist so viel<br />
schwieriger, die Sinne auf etwas zu richten, wo<br />
anscheinend „nichts“ passiert. Nur: In diesem<br />
Nichts versteckt sich eben die wahre Erleuchtung,<br />
so toll die Schlussfugen auch sind.<br />
Doch wie geht man mit diesem „Nichts“ um, in dem<br />
doch alles steckt? Mozarts Musik kann man entweder<br />
oberflächlich hören – dann ist sie tatsächlich<br />
ein hübsches Trallala, weil <strong>und</strong>ramatisch im romantischen<br />
Sinn. Oder man versinkt in die Analyse<br />
<strong>und</strong> wird niemals fertig, so fantastisch sind die<br />
komplexen Querbezüge, so unglaublich hängt jedes<br />
mit jedem zusammen: Wo vorhin nichts Ereignis<br />
war, ist nun alles Ereignis, jeder Ton, jede Pause –<br />
doch alles ist Ereignis nur für sich, es kümmert<br />
sich scheinbar überhaupt nicht um den Zuhörer.<br />
Mozarts Musik zu analysieren ist, als untersuche<br />
man das Sein, eine Pflanze, einen Kristall, ein Tier.<br />
Greifen wir zu einer anderen Metapher:<br />
Sie gehen einen bekannten Weg entlang, überqueren<br />
bekannte Straßen <strong>und</strong> kommen am Ziel an. Fragt<br />
man Sie, was passiert ist, so antworten Sie: nichts.<br />
Es ist auch nichts passiert. Nehmen Sie einmal denselben<br />
Weg <strong>und</strong> plötzlich, unter einem Balkon, fällt<br />
Ihnen eine Topfpflanze auf den Kopf. Nun sagen<br />
Sie: Es ist mir was passiert! Ein wahrhaft schreckliches<br />
Ereignis!<br />
Das mit der Topfpflanze sind Wagner <strong>und</strong> Beet-<br />
– 30 –<br />
der KlAssiKer<br />
Rechts:<br />
mozarts gedächtnis ist als<br />
W<strong>und</strong>er kaum zu verstehen.<br />
Dennoch ist es hilfreich,<br />
über andere spektakuläre<br />
gedächtnisleistungen nachzudenken.<br />
Wie schaffen<br />
es gedächtniskünstler, sich<br />
in fünf minuten 100<br />
begriffe zu merken? sie sind<br />
darin trainiert, sek<strong>und</strong>enschnell<br />
komplexeste fantasiewelten<br />
zu erschaffen.<br />
Dazu erinnern sie sich z. b.<br />
an einen bekannten Weg<br />
von der Wohnung zum kaufhaus.<br />
Den Weg haben sie<br />
zuvor „markiert“, indem sie<br />
sich auffälligkeiten merkten:<br />
1) baum, 2) laTerne,<br />
3) zebrasTreifen etc.<br />
müssen sie nun drei begriffe<br />
behalten („katze“, „pfeffer“,<br />
„fußball“), verknüpfen<br />
sie diese mit den markierten<br />
orten zu szenen: „am<br />
1) baum kratzt eine „katze“,<br />
unter der 2) laTerne<br />
herrscht glatteis, nur hat<br />
man statt mit salz mit<br />
„pfeffer“ gestreut, am<br />
3) zebrasTreifen spielt ein<br />
zebra „fußball“. Wer den<br />
sprachwitz in mozarts briefen<br />
kennt, dem erscheint<br />
dieser verspielte surrealismus<br />
vertraut; ein surrealismus,<br />
der an szenen von Toni Del<br />
renzio erinnert <strong>und</strong> dabei<br />
etwas erotischsubversives<br />
hat, da er alles mit allem<br />
kombiniert.<br />
Abbildung: bridgemAn.de
mozArt<br />
hoven, das ohne ist Mozarts erster Satz der „Jupitersinfonie“.<br />
Schauen wir uns die erste Wegbeschreibung<br />
oberflächlich an, dann ist sie tatsächlich<br />
ohne Belang (wir sagten schon: zwei Themen, <strong>und</strong>ramatische<br />
Durchführung, keine Coda, hübsch<br />
das Ganze). Doch dann kommt ein Analytiker vorbei<br />
<strong>und</strong> zeigt auf, dass Sie 27 Jahre alt sind <strong>und</strong> an<br />
genau 27 Häusern vorbeilaufen müssen zum Ziel;<br />
<strong>und</strong> an jedem dritten Haus fährt ein Auto an<br />
Ihnen vorbei, das dunkler lackiert ist als sein Vorgänger;<br />
jedes dritte Auto fährt genau 27 km pro<br />
St<strong>und</strong>e, die Fenstergardinen werden immer heller,<br />
je näher Sie dem Ziel kommen, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong> ...<br />
Daneben macht der Analytiker Sie darauf aufmerksam,<br />
wie unendlich schön die Häuser gestaltet<br />
sind <strong>und</strong> die Autos <strong>und</strong> selbst der Zebrastreifen<br />
– <strong>und</strong> all das nehmen Sie nicht wahr, wenn Sie<br />
hier täglich vorbeigehen. Diese unglaublichen Bezüge<br />
drängen sich nicht auf, die 27 Häuser sind<br />
einfach da, so wie Sie einfach 27 Jahre alt sind. Ist<br />
das Ordnung oder Zufall? Was ist hier Struktur,<br />
was bloßer Hintergr<strong>und</strong>? Und der Schöpfergott all<br />
dessen will gar nicht gepriesen werden! Sie hätten<br />
seine W<strong>und</strong>er nicht bemerkt, wenn sein Prophet,<br />
der Analytiker, Sie nicht darauf hingewiesen<br />
hätte. Bei vielen Komponisten hingegen sind Straße,<br />
Autos <strong>und</strong> Häuser austauschbare Kulissen.<br />
Alles dreht sich um das winzige Ereignis (die<br />
fallende Topfpflanze), das dem Gehenden (oder<br />
Musikhörer) aufgedrängt wird. Autsch! Topf runter,<br />
Kopf ab, <strong>und</strong> schon hört es jedermann: Emoti-<br />
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onen, Dramatik, es geht um Tod <strong>und</strong> Leben – all<br />
das will man doch haben von der Kunst! Heutige<br />
Zuhörer sind auf romantische Überwältigung<br />
konditioniert <strong>und</strong> so fremdeln sie mit Mozarts<br />
Musik. Doch warum macht Mozart das alles?<br />
Warum legt er so komplexe Bezüge aus, als würde<br />
er das Leben in seinen unendlichen Verwinkelungen<br />
imitieren – Verwinkelungen jedoch, die in<br />
ihrer Totalität kaum jemand hört? Dieser Frage<br />
wollen wir uns durch eine andere, ganz praktische<br />
Metapher nähern.<br />
Sie wollen Ihr Leben aufschreiben. Als Prosa oder in<br />
Gedichtform.<br />
Was wählen Sie? Sicherlich doch Prosa, Ihr Leben<br />
ist komplex genug, da wollen Sie es sich nicht<br />
durch Reime noch schwerer machen. Verändern<br />
wir die Ausgangssituation ein wenig:<br />
Sie sitzen ohne Schreibzeug im Gefängnis. So<br />
müssen Sie Ihre Lebensbeichte nicht nur entwerfen,<br />
sondern auch gleich auswendig lernen.<br />
Welche Form wählen Sie nun? Wohl die Gedichtform.<br />
Je strukturierter ein Text ist (zum Beispiel<br />
durch Reime), je weniger willkürlich in seinen<br />
Einzelteilen, desto einfacher ist es, diesen Text im<br />
Gedächtnis zu behalten. Nun war Mozart ein<br />
Gedächtnisw<strong>und</strong>er: Er komponierte <strong>und</strong> lernte<br />
gleichzeitig auswendig. Vieles konzipierte er in<br />
seinem Kopf bis auf die Einzelheiten genau <strong>und</strong><br />
schrieb es anschließend (manchmal viel später)<br />
aus dem Gedächtnis nieder. Wer sich mit Gedächtnistraining<br />
befasst, der weiß, dass Trainierte in<br />
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– 32 –<br />
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der KlAssiKer<br />
Links:<br />
Was ist hintergr<strong>und</strong>, was<br />
ereignis? Was häuserfront,<br />
was blumentopf? im<br />
notenbeispiel 1 beginnt laut<br />
<strong>und</strong> ereignisvoll die<br />
Jupitersin fonie. Das ganze<br />
orchester spielt drei schläge<br />
(x, x, x): Tock, tock, tock!<br />
so hat einst der zeremonienstab<br />
den könig ange<br />
kündigt. Den drei schlägen<br />
antworten drei aufsteigende<br />
seufzer (klammern) in<br />
den Violinen. in der überleitung<br />
(beispiel 2) werden<br />
die seufzer gut hörbar weitergeführt,<br />
die bläser spielen<br />
dazu im doppelten Tempo die<br />
drei schläge. nur: Diese<br />
drei schläge werden vom<br />
hörer bloß als begleitung<br />
wahr genommen, unwichtiger<br />
hintergr<strong>und</strong>, nette häuserfront<br />
am Weg. im dritten beispiel<br />
rutschen die seufzer<br />
in tiefe streicher ab, gut zu<br />
hören für geübte ohren.<br />
Dass hier in der melodie die<br />
drei schläge versteckt sind,<br />
nimmt man hingegen kaum<br />
wahr – wenn, dann als<br />
blasse ahnung, ein echo, aber<br />
nicht als bewusste ableitung<br />
der zeremonienstabschläge.<br />
Diese musik wirkt leicht,<br />
„man redet übers Wetter“,<br />
dabei ist alles wichtig,<br />
weil struktur. es sind spuren,<br />
die mozart auslegt – als<br />
spielten „seufzer“ <strong>und</strong><br />
„schläge“ miteinander, ohne<br />
sich um zuhörer zu kümmern.<br />
notenbeispiele erstellt von peter l Awrence
ABBILDuNg: BRIDgEMAN.DE<br />
DER KLASSIKER MOzART<br />
der Lage sind, komplexeste Systeme in Windeseile<br />
auszuarbeiten. Die Komplexität soll gar nicht nach<br />
außen kommuniziert werden. Sie ist kein Selbstzweck,<br />
sondern dient dem Trainierten, indem sie<br />
ihm beim Auswendiglernen hilft. Deshalb die unendlichen<br />
Spiegelungen, Echos, Spuren <strong>und</strong> Symmetrien<br />
in Mozarts Musik! Reich wie das Leben<br />
selbst helfen sie Mozart nebenbei, seine Werke im<br />
Gedächtnis auszuarbeiten.<br />
Und doch: Nach diesem Ausflug in Mozarts Kopf<br />
ist es immer noch unklar, wie man Mozarts Musik<br />
hört. Lassen Sie uns also unsere gewohnte Hörweise<br />
umkehren: Wer von der Kunst fallende Töpfe<br />
erwartet, Liebestode <strong>und</strong> Mondflüge, der übersieht,<br />
dass es sich hier um Spektakuläres handelt,<br />
aber doch nicht um Schönes. Schönheit geschieht<br />
leise. Spektakuläres manipuliert uns, Schönem<br />
gegenüber müssen wir uns selbst öffnen. Der Witz<br />
am Zen-Tellerwaschen ist, dass man Teller wäscht<br />
<strong>und</strong> nur Teller wäscht, also nicht nebenher Musik<br />
hört, an den Ehestreit denkt oder an Haiattacken.<br />
Man wäscht Teller. Sonst nichts. Bei Mozart spielt<br />
Musik, <strong>und</strong> das Leben selbst ereignet sich: In den<br />
Klavierkon zerten hört man, wie das Klavier mit<br />
dem Orchester flirtet. Das klingt nach so wenig<br />
<strong>und</strong> ist so viel. „Klavier flirtet mit Orchester“<br />
bedeutet hier: Ständig werden die Rollen gewechselt.<br />
Hier führt das Klavier, da das Orchester, da<br />
verbandelt sich das Klavier mit den Bläsern, hier<br />
mit den Streichern, doch alles knapp oberhalb der<br />
Wahrnehmungsschwelle. Erwarten Sie keine Er-<br />
eignisse, wenn sich zwei Flirtende begegnen! Sie<br />
werden scheu vom Wetter reden. Ihre Augen erzählen<br />
etwas anderes, ihre Körperhaltung spricht<br />
Bände <strong>und</strong> alles ändert sich in Sek<strong>und</strong>enschnelle<br />
– ein spektaku läres System vollzieht sich da, voller<br />
Symmetrien, Gewichtsverteilungen, Spuren,<br />
Echos <strong>und</strong> Ereignisse, zu sehen nur für den, der<br />
Augen hat für das Unspektakuläre. Jeder Kick von<br />
außen, ob Hai oder fallender Blumentopf, würde<br />
hier nur stören. Der Flirt kann, muss aber kein<br />
Ziel haben. Er ist Spiel, Vergnügen an sich. Er feiert<br />
das Leben mit seinen Möglichkeiten, die gekostet<br />
oder gelassen werden in Freiheit. Dieses Leben<br />
leben manche Kinder noch <strong>und</strong> manche Alte leben<br />
es wieder; Mozarts Musik ist nichts für ewig Pubertierende<br />
auf der Suche nach Sinn. Denn der ist<br />
immer <strong>und</strong> überall schon da. Niemals drängt er<br />
sich auf, ganz wie Mozarts Musik.<br />
Wolfgang amadeus mozart<br />
Idomeneo<br />
Konzertante Aufführung<br />
Thomas Hengelbrock, Dirigent<br />
Mit Steve Davislim, Camilla Tilling,<br />
Anna Caterina Antonacci, Christina Daletska u. a.<br />
Balthasar-Neumann-Chor <strong>und</strong><br />
Balthasar-Neumann-Ensemble<br />
9. JunI 2011<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>-Gala 2011: Don Giovanni<br />
Konzertante Aufführung<br />
Yannick Nézet-Séguin, Dirigent<br />
Mit Diana Damrau, Joyce DiDonato,<br />
Ildebrando D' Arcangelo, Luca Pisaroni,<br />
Rolando Villazón, Mojca Erdmann,<br />
Konstantin Wolff, Vitalij Kowaljow<br />
18., 21. unD 24. JulI 2011<br />
Mozart: die letzten Sinfonien<br />
Yannick Nézet-Séguin, Dirigent<br />
Mahler Chamber Orchestra<br />
20. JulI 2011<br />
Mozart: privat<br />
Mit Nicole Heesters, Mojca Erdmann,<br />
Konstantin Wolff u. a.<br />
22. JulI 2011<br />
Mozart: Klavierkonzerte<br />
Pierre-Laurent Aimard, Klavier <strong>und</strong> Leitung<br />
Mahler Chamber Orchestra<br />
23. JulI 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf<br />
Programmseite 76 <strong>und</strong> 81.<br />
Links:<br />
„Die Entführung aus dem<br />
Serail“, „Die Hochzeit des<br />
Figaro“, „Così fan tutte“<br />
<strong>und</strong> natürlich „Don Giovanni“<br />
(die Abbildung zeigt eine<br />
Don-Giovanni-Szene von<br />
Alexandre-Evariste Fragonard,<br />
1780-1850):<br />
Mozarts späte Opern feiern<br />
den Eros in einer Weise,<br />
mit der das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
seine moralischen Probleme<br />
hatte. Aber nicht nur die<br />
Opernstoffe (um von<br />
den „Bäsle-Briefen“ nicht<br />
zu reden), Mozarts Musik<br />
an sich ist erotisch.<br />
Die Form, in der seine Instrumentalmusik<br />
am schönsten<br />
zu sich findet, ist deshalb ein<br />
„Zweifigurenstück“: das<br />
Klavierkonzert. Doch wenden<br />
Sie sich noch einmal<br />
Mozarts Jupiter sinfonie zu<br />
(Seite 32)! Die drei<br />
„Zeremonien schläge“ im<br />
Beispiel 1 gelten als männlich,<br />
die „Seufzer“, die ihnen<br />
antworten, sind weiblich.<br />
Schläge wie Seufzer<br />
umschlingen einander, widersprechen,<br />
flirten, fremdeln,<br />
<strong>und</strong> dann, plötzlich, reißt<br />
etwas auf <strong>und</strong> es zeigt sich<br />
die Einsamkeit, die der<br />
Schatten dieser Kunst ist, ihr<br />
ständiger stiller Horizont.<br />
der autor<br />
Dariusz Szymanski hält im<br />
<strong>Festspielhaus</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
jeweils eine St<strong>und</strong>e<br />
vor Veranstaltungsbeginn<br />
die Einführungsvorträge.<br />
In seinen Seminaren<br />
eröffnet er Mitgliedern<br />
des Fre<strong>und</strong>eskreises<br />
ungewöhnliche Zugänge<br />
zur klassischen Musik.<br />
Der Musikwissenschaftler<br />
spielt begeistert<br />
Klavier. Er begann seine<br />
berufliche laufbahn in einer<br />
renommierten Werbeagentur.<br />
– 33 – 2011/1
atErBallEtto<br />
2011/1<br />
HeiSS<br />
Einst standEn hiEr schmElzöfEn für diE italiEnischE autoindustriE.<br />
hEutE schlägt in dEr Emilia romagna das hErz<br />
dEs italiEnischEn BallEtts. Wir BEsuchtEn diE fondazionE<br />
nazionalE dElla danza atErBallEtto.<br />
– 34 –<br />
tanz<br />
foto: a. ancEschi
FoTo: DARIo LASAgnI<br />
TAnz ATeRBALLeTTo<br />
Mauern beflügeln sie nur:<br />
Um die Italiener für Ballett zu<br />
begeistern, strömt das<br />
Aterballetto hinaus in die<br />
Region. Andrea Tortosa<br />
Vidal (zweite von links), deren<br />
Porträt den Titel dieses<br />
Magazins schmückt, nahm<br />
uns mit einigen Fre<strong>und</strong>en<br />
aus der Ballettkompanie mit<br />
auf einen Ausflug:<br />
Szene an der Kathedrale<br />
von Modena.<br />
– 35 – 2011/1
ATeRBALLeTTo<br />
2011/1<br />
– 36 –<br />
Wo einst erz geschmolzen<br />
wurde, werden heute<br />
Muskeln gehärtet. Tänzer<br />
der Kompanie vor ihrem<br />
Ballettstudio, einer ehe maligen<br />
Metallschmelzerei.<br />
TAnz<br />
FoTo: DARIo LASAgnI
FoTo: A. AnceSchI<br />
TAnz ATeRBALLeTTo<br />
– 37 – 2011/1
ATeRBALLeTTo TAnz<br />
In der Sala del Tricolore in<br />
Reggio Emilia (rechts):<br />
Hier wurde 1797 zum ersten<br />
Mal die italienische Flagge<br />
gehisst. Das lässt Andrea<br />
Tortosa Vidal <strong>und</strong> ihre<br />
Fre<strong>und</strong>e erstarren – wenn<br />
schon nicht in Ehrfurcht,<br />
so doch in einer improvisierten<br />
menschlichen<br />
Skulptur. Der künstlerische<br />
Leiter des Aterballetto,<br />
Mauro Bigonzetti (unten),<br />
choreographiert als einer<br />
der wenigen Europäer<br />
auch in New York <strong>und</strong> kehrt<br />
doch immer wieder<br />
in die Region zurück.<br />
2011/1<br />
aterBalletto<br />
Le Sacre du Printemps (Uraufführung der Neuchoreographie)<br />
Come un Respiro<br />
Mauro Bigonzetti, Choreographie<br />
8. uND 9. ApRIL 2011<br />
Carnet de Notes<br />
Mauro Bigonzetti, Choreographie<br />
10. ApRIL 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 72.<br />
– 38 –<br />
Mauro Bigonzetti <strong>und</strong><br />
das aterBalletto<br />
Neben all ihren kulinarischen Genüssen ist das Aterballetto einer der<br />
beliebtesten Exportartikel der Emilia Romagna. Italiens einzige moderne Ballettkompanie<br />
von internationaler Bedeutung behauptet sich seit über<br />
30 Jahren erfolgreich in einem Land, wo der Tanz – <strong>und</strong> dann auch noch der<br />
moderne Tanz! – traditionell einen Stellenwert weit hinter Oper <strong>und</strong> Belcanto hat.<br />
Mauro Bigonzetti, der bekannteste italienische Choreograph, war zunächst<br />
Tänzer beim Aterballetto, bevor er 1990 sein erstes eigenes Werk schuf<br />
<strong>und</strong> in den folgenden Jahren international Karriere machte. Von 1997 an<br />
leitete er die Kompanie für zehn Jahre, heute ist er ihr Chefchoreograph<br />
<strong>und</strong> kreiert außerdem Werke für zahlreiche europäische Ballettkompanien.<br />
Als einer von wenigen europäischen Choreographen hat er auch<br />
Erfolg in New York. Als seine Vorbilder nennt er „Jirˇí Kylián <strong>und</strong> William<br />
Forsythe. Ich fühle mich ihrer Ästhetik <strong>und</strong> ihrer choreographischen Inspiration<br />
verb<strong>und</strong>en.“<br />
Mit „Le Sacre du Printemps“ kreiert er fürs <strong>Festspielhaus</strong> eine Uraufführung,<br />
die sich zu Igor Strawinskys wilder, archaisch getönter Musik in eine<br />
große Tradition einreiht. Seit Vaslaw Nijinsky, dem Choreographen der<br />
skandalumtosten Uraufführung im Jahr 1913, über Tanzschöpfer wie Pina<br />
Bausch, Maurice Béjart <strong>und</strong> Glen Tetley bedeutet dieses Werk einen Meilenstein<br />
im Œuvre jedes Choreographen: „Es ist die wichtigste Ballettpartitur<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Danach hat sich alles in der Ballettmusik verändert“,<br />
so Bigonzetti. Die ursprüngliche Handlung vom Mädchen, das dem Frühlingsgott<br />
geopfert wird, will er nicht konkret zeigen, sondern eher abstrakt<br />
arbeiten: „Ich brauche keine Kulissen. Ich möchte erforschen, was möglich<br />
ist <strong>und</strong> was nicht möglich ist mit dem menschlichen Körper – welche Energie<br />
aus dieser Musik fließt. Ich habe den Gedanken an ‚Sacre’ schon seit<br />
langer, langer Zeit. Aber man braucht als Choreograph auch die passende<br />
Kompanie, um etwas ganz Besonderes zu machen.“ Angela Reinhardt<br />
FoToS (v. o. n. U.): DARIo LASAgnI; MARIA heLenA BUcKLey
FoToS (v. o. n. U.): RIchARD hUBeRT SMITh; SAvvAS vASILIADIS<br />
enTeRTAInMenT<br />
TExT: ToBIAS RoHE<br />
VOM WEST END<br />
NACH BADEN-BADEN<br />
IN DEN gRoSSEN opERNHäuSERN MAcHT<br />
EINE MuSIcALNEuINSzENIERuNg VoN SIcH REDEN:<br />
„EVITA“ koMMT NAcH BADENBADEN.<br />
„Evita“ ist unbestritten einer der größten Erfolge der Musical-<br />
Geschichte. Die Uraufführung 1978 im Londoner West End sowie<br />
die Broadway-Originalproduktion bildeten den Auftakt zu<br />
einem weltweiten Triumphzug des Werkes. Neben zahllosen<br />
Nominierungen gewann „Evita“ als „Bestes Musical“ jeweils<br />
den Olivier, den Tony sowie den Drama Desk Award <strong>und</strong> ehrte<br />
seine Schöpfer mit je einem Tony Award in den Kategorien „Beste<br />
Partitur“, „Bestes Buch“ <strong>und</strong> „Beste Regie“. Der ergreifende<br />
Schlüsselsong „Don’t Cry for Me Argentina” stürmte die Toppositionen<br />
der internationalen Charts. Die Verfilmung aus dem<br />
Jahr 1996 mit Madonna in der Titelrolle an der Seite von Antonio<br />
Banderas faszinierte ein Millionenpublikum.<br />
Seit Sommer 2010 nun feiert die offizielle Produktion von Sir<br />
Andrew Lloyd Webber <strong>und</strong> Tim Rice, neu inszeniert anlässlich<br />
des dreißigjährigen Bühnenjubiläums, an den renommiertesten<br />
deutschsprachigen Bühnen große Erfolge <strong>und</strong> kommt auch<br />
ins <strong>Festspielhaus</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>. Zuvor war sie ein Kassenschlager<br />
in ganz Großbritannien.<br />
Neben einer hochkarätigen Besetzung mit Stars aus dem Londoner<br />
West End <strong>und</strong> einem exzellenten Orchester besticht die<br />
Inszenierung durch eine mitreißende Choreographie <strong>und</strong> eine<br />
stilvoll aufwendige Ausstattung. „Diese ‚Evita‘-Inszenierung ist<br />
die beste, konsequenteste <strong>und</strong> auch mutigste“, urteilt das „Hamburger<br />
Abendblatt“, <strong>und</strong> die „Dresdner Morgenpost“ schwärmt:<br />
„Viel Gefühl, mitreißende Musik, ein wandelbares, effektvolles<br />
Bühnenbild <strong>und</strong> vor allem erstklassige Solisten – die Original-<br />
Abigail Jaye ist die Eva<br />
„Evita“ perón in Bob<br />
Tomsons Neuinszenierung<br />
des Musicals von Andrew<br />
Lloyd Webber <strong>und</strong> Tim<br />
Rice. Im Londoner West<br />
End war sie schon in<br />
zahlreichen Musicals dabei.<br />
produktion aus dem Londoner West End lässt nichts aus“.<br />
Das weltweit erfolgreiche Autorenteam Lloyd Webber <strong>und</strong> Rice<br />
schuf die grandiose Partitur zu „Evita“ fasziniert von der einzigartigen<br />
Geschichte der María Eva Duarte de Perón. Mit ihrer<br />
Schönheit <strong>und</strong> ihrem Charisma, das dem argentinischen Volk so<br />
viel Hoffnung gab, war die Präsidentengattin schon zu Lebzeiten<br />
zur „spirituellen Führerin“ ihrer Nation geworden. Ihr unvergleichlicher<br />
Aufstieg in einem wahnwitzigen Geflecht aus ehrgeizig<br />
verfolgten Träumen <strong>und</strong> politischen Manipulationen, gepaart<br />
mit der Gier nach Macht, Wohlstand <strong>und</strong> Anerkennung <strong>und</strong><br />
einem bis zum bitteren Ende gehaltenen Liebespakt, ist der fesselnde<br />
Stoff, aus dem der Musical-Klassiker „Evita“ gemacht ist.<br />
evita<br />
Musical von Andrew Lloyd Webber <strong>und</strong> Tim Rice<br />
22. BIS 27. FEBRuAR 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 68.<br />
evITA<br />
– 39 – 2011/1
2011/1
IllustratIon: Frank HöHne<br />
Kurz <strong>und</strong> gut<br />
Wer ist eigentlich Julia Fischer?<br />
hier ein paar skizzen ihrer kammermusikpartner,<br />
mit denen sie ihre porträtkonzerte<br />
bestreiten Wird.<br />
Julia Fischer<br />
Künstlerporträt I-III<br />
1., 2. <strong>und</strong> 3. april 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf<br />
Programmseite 71 <strong>und</strong> 72.<br />
– 41 – 2011/1
Michael Drautz BaDen-BaDen<br />
Für viele <strong>Festspielhaus</strong>-Besucher sind Sie ein eher<br />
unbekanntes Gesicht. Dabei bilden Sie seit zwölf<br />
Jahren mit dem Intendanten Andreas Mölich-<br />
Zebhauser ein erfolgreiches Team. Wie darf man<br />
sich die Aufgaben teilung vorstellen?<br />
Andreas Mölich-Zebhauser setzt seinen Schwerpunkt<br />
neben der Gesamtverantwortung auf Programm<br />
<strong>und</strong> Spendengewinnung. Ich kümmere<br />
mich um das operative Geschäft. Dazu gehören<br />
Finanzen <strong>und</strong> Marketing genauso wie Technik<br />
<strong>und</strong> Gastronomie. Gemeinsam entwickeln wir die<br />
Strategie.<br />
Zwischen Kunst <strong>und</strong> Management gibt es doch<br />
sicher immer wieder Interessenkonflikte. Gibt es da<br />
nicht öfter mal Zoff?<br />
Wir haben glücklicherweise ein gemeinsames<br />
Ziel – das bestmögliche Erlebnis für unser Publikum.<br />
Aber natürlich ringen wir gelegentlich um<br />
den besten Weg dorthin. Der gegenseitige Respekt<br />
<strong>und</strong> das Verständnis füreinander werden jedoch<br />
nie in Frage gestellt.<br />
Das <strong>Festspielhaus</strong> ist kürzlich als erste Kulturinstitution<br />
nach dem Qualitätsstandard ISO 9001:2008<br />
zertifiziert worden. Was haben Ihre Gäste davon?<br />
Nur durch ein ausgezeichnetes Qualitätsmanagement<br />
konnten wir die rasante Entwicklung der<br />
letzten Jahre überhaupt bewältigen. Da war die<br />
Zertifizierung unseres Qualitätsmanagements geradezu<br />
ein logischer Meilenstein. Wir konnten über<br />
100 relevante Prozesse optimieren – von der Künstlerbetreuung<br />
über die Veranstaltungsorganisation<br />
bis hin zum Kartenverkauf. Durch die systematische<br />
Verbesserung unserer Produkte <strong>und</strong> Abläufe<br />
wird in erster Linie die K<strong>und</strong>enzufriedenheit erhöht.<br />
Dies zeigt sich dann im Service <strong>und</strong> Komfort<br />
genauso wie bei den stabilen Eintrittspreisen.<br />
Oh, das ist aber ein hoher Anspruch. „Nobody is<br />
2011/1<br />
TexT: Jochen Siegle<br />
MIT OFFENEN<br />
AUGEN UND OhREN<br />
DURchS LEBEN<br />
Michael DrauTz, geSchäfTSführer DeS feSTSpielhauS<br />
BaDen-BaDen, SprichT üBer Den perfekTen aBenD,<br />
QualiTäTSManageMenT iM kulTurBeTrieB unD Seine inSpiraTionen.<br />
Zur Person<br />
Michael Drautz wurde 1970<br />
in Stuttgart geboren<br />
<strong>und</strong> startete nach einem<br />
Betriebswirtschafts-<br />
studium seine karriere in<br />
einer unternehmens-<br />
beratung. Bevor er im herbst<br />
1998 nach <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
kam, war er als geschäftsführer<br />
für eine Marketingagentur<br />
tätig. Drautz<br />
ist verheiratet <strong>und</strong> Vater von<br />
zwei kindern.<br />
– 42 –<br />
perfect“ lautet doch eine alte Binsenweisheit. Wie<br />
schaffen Sie das also?<br />
Sicherlich, auch uns passieren gelegentlich Fehler<br />
<strong>und</strong> Missgeschicke. Die Beschwerdequote lag vergangene<br />
Saison jedoch bei nur 0,1 Prozent der<br />
Gesamtbesucher. Wir sind für jede Kritik dankbar –<br />
nur so können wir uns verbessern. Regelmäßig<br />
bekommen wir glücklicherweise auch positive<br />
Reaktionen von unseren Gästen. So können wir<br />
unsere Stärken ebenfalls ausbauen. Auch nach<br />
zehn Jahren entwickelt sich unser Leitbild der<br />
„perfekten Gastgeberin“ stetig weiter.<br />
Bezieht sich Ihr Qualitätsmanagement auch auf den<br />
Umgang mit Spenden?<br />
Ja, wir sind stolz darauf, dass sich gezeigt hat,<br />
dass uns gewidmete Gelder äußerst effektiv eingesetzt<br />
werden. Unsere Verwaltungskosten betragen<br />
gerade mal 15 Prozent des Gesamtbudgets.<br />
Apropos Spenden: Worin unterscheidet sich ein<br />
privat finanziertes Haus wie das <strong>Festspielhaus</strong><br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> von einer staatlich subventionierten<br />
Kulturinstitution?<br />
Ich denke, die Form der Finanzierung hat keinen Einfluss<br />
auf das künstlerische Programm. Kultur auf<br />
diesem Topniveau ist gr<strong>und</strong>sätzlich defizitär <strong>und</strong><br />
bleibt ein Zuschussgeschäft. Der Unterschied spiegelt<br />
sich in drei anderen Bereichen wider. Erstens:<br />
Aus Begeisterung über Programm <strong>und</strong> Service gibt<br />
das <strong>Festspielhaus</strong>-Publikum zusätzlich zu den Eintrittsgeldern<br />
großzügige Spenden. Ein Drittel des<br />
Gesamtbudgets wird durch Spender <strong>und</strong> Sponsoren<br />
getragen. Ohne diese Förderung müssten die Eintrittskarten<br />
kalkulatorisch das Doppelte kosten.<br />
Was zur Folge hätte, dass sich nur noch Privilegierte<br />
einen Besuch im <strong>Festspielhaus</strong> leisten könnten ...<br />
... <strong>und</strong> genau dieser Effekt wäre doch bitter. Das<br />
<strong>Festspielhaus</strong> ist eine gemeinnützige Organisation.
Foto: thoMas BernharDt
Michael Drautz BaDen-BaDen<br />
Zweitens sind wir anders als staatliche häuser,<br />
deren Einnahmen bis zu 80 Prozent von der<br />
öffentlichen hand garantiert werden, auf professionelle<br />
Marketing- <strong>und</strong> Verkaufsstrukturen angewiesen.<br />
Nur so können wir jährlich 200.000<br />
Besucher gewinnen. Und drittens wird unser<br />
Kosten management – auch im künstlerischen<br />
Bereich – stetig optimiert. In diesen drei Feldern<br />
können staatlich subventionierte häuser sicher<br />
von uns lernen.<br />
Sie meinen also, Ihre öffentlich geförderten Kollegen<br />
könnten mit weniger Subventionen auskommen?<br />
Die öffentliche Förderung ist ein wichtiger Gr<strong>und</strong>satz,<br />
den ich nicht in Frage stellen möchte. Jedoch<br />
muss sich angesichts knapper Kassen jeder Kulturverantwortliche<br />
fragen, ob bereits alle möglichen<br />
Maßnahmen zur Effizienzsteigerung ausgeschöpft<br />
sind. Einsparungen im künstlerischen Programm<br />
sind für mich das letzte Mittel zum Erfolg – eher<br />
der erste Schritt zum Misserfolg.<br />
Im Kreis der <strong>Festspielhaus</strong>-Stifter engagieren sich<br />
herausragende Unternehmerpersönlichkeiten. Gibt<br />
es da einen regen Austausch?<br />
Absolut. Der Dialog <strong>und</strong> die enge Zusammenarbeit<br />
mit den Stiftern ist ein Eckpfeiler unseres Erfolgs.<br />
Mit den Verantwortlichen der Stiftung besprechen<br />
wir uns alle vier Wochen. Ohne die Kompetenz<br />
<strong>und</strong> das finanzielle Engagement der Stifter wäre<br />
die Erfolgsgeschichte des <strong>Festspielhaus</strong>es niemals<br />
möglich gewesen.<br />
2011/1<br />
Der Autor<br />
Der Journalist Jochen Siegle<br />
berichtet aus seiner<br />
Wahlheimat San francisco<br />
für führende Tageszeitungen<br />
<strong>und</strong> Magazine. Der Webpionier<br />
betreibt daneben<br />
international beachtete<br />
internet-Medien-projekte<br />
<strong>und</strong> berät unternehmen<br />
in onlinefragen.<br />
– 44 –<br />
Sie beschreiten mit Ihren Konzepten im Kulturbereich<br />
zum Teil völlig neue Pfade. Woher nehmen Sie<br />
Ihre Ideen?<br />
Es macht mir ungeheuerlichen Spaß, mit offenen<br />
Augen durch die Welt zu gehen <strong>und</strong> außerhalb des<br />
Kultursektors nach erfolgreichen Beispielen Ausschau<br />
zu halten. So kann man sich beim Service<br />
von Luxushotels inspirieren lassen, im Personalbereich<br />
von Familienunternehmen <strong>und</strong> im Marketing<br />
orientieren wir uns an internationalen Topmarken.<br />
Derzeit beobachten wir übrigens sehr auf-<br />
merksam die Entwicklung im Internetsektor <strong>und</strong><br />
bauen unser Web-Angebot sukzessive aus.<br />
Wird es also bald Live-Web-Streams von Veranstaltungen<br />
aus dem <strong>Festspielhaus</strong> oder eine iPhone-App<br />
geben?<br />
Lassen Sie sich überraschen. Unser neuer E-Mail-<br />
Newsletter wird schon mal hochgelobt, da hier<br />
nicht nur Sonderangebote aufgedrängt, sondern<br />
Angesichts knapper Kassen<br />
muss sich jeder Kulturverantwortliche<br />
fragen, ob alle Maßnahmen<br />
ausgeschöpft sind. Einsparungen im<br />
künstlerischen Programm<br />
sind für mich das letzte Mittel.<br />
Michael drautz<br />
spannende Geschichten r<strong>und</strong> um das <strong>Festspielhaus</strong><br />
erzählt werden. Natürlich möchten wir auch jüngere<br />
Zielgruppen über interaktive Onlinekanäle <strong>und</strong><br />
Social Media für das <strong>Festspielhaus</strong> interessieren.<br />
Sie investieren also ganz gezielt in die Zukunft. Das<br />
<strong>Festspielhaus</strong> hat schon viel erreicht. Gibt es denn<br />
überhaupt noch Raum für Wachstum?<br />
Auch wenn wir bereits eine sehr gute Auslastung<br />
haben, möchten wir noch mehr Gäste für unser Angebot<br />
interessieren. Und das keinesfalls nur international<br />
– auch im näheren Umkreis hat noch<br />
längst nicht jeder Musikinteressierte das <strong>Festspielhaus</strong><br />
besucht. Daneben veranstalten wir innovative<br />
Werkstätten <strong>und</strong> Seminare, um Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendliche für klassische Musik zu begeistern.<br />
Und nachdem die Qualität des künstlerischen<br />
Programms immer in Abhängigkeit von der Großzügigkeit<br />
der Förderer steht, wünsche ich mir natürlich<br />
auch hier noch einiges an Wachstum.<br />
Sie sind gerade mal 40 Jahre alt <strong>und</strong> schon seit 1998<br />
dabei. Was sind Ihre ganz persönlichen Ziele?<br />
(lacht): Nun, ganz kurzfristig gesehen, würde ich<br />
mich als frischgebackener Vater erst mal wieder<br />
über eine ruhige Nacht freuen.<br />
Foto: thoMas BernharDt
Leasing, Bank, Factoring<br />
Mittelstand im Mittelpunkt<br />
Über Finanzangelegenheiten spricht man nicht mit irgendjemandem. Und wichtige Investitionsentscheidungen<br />
trifft man nicht zwischen Tür <strong>und</strong> Angel. Wir bei GRENKE legen daher Wert auf Ihre individuelle Betreuung <strong>und</strong> nehmen<br />
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Foto: José Luis Martínez HernánDez<br />
Bewahrt den Durchblick auch<br />
ohne Partiturkenntnisse:<br />
Donna Leon, eine amerikanische<br />
Intellektuelle wie<br />
aus dem Bilderbuch, schätzt<br />
den unmittelbaren Ausdruck<br />
von Händels Musik.<br />
TexT: BIrgIT PAuLs<br />
BeRuF:<br />
AuTORIN.<br />
BeRuFuNG:<br />
HäNDeL.<br />
Donna Leon<br />
eIne AMerIkAnerIn, DIe In VeneDIg krIMIs scHreIBT<br />
unD sIcH MIT LeIDenscHAfT für HänDeLs<br />
MusIk eInseTzT: DonnA Leon PräsenTIerT IM<br />
fesTsPIeLHAus DIe oPer „ArIoDAnTe“.<br />
Wir treffen die Schriftstellerin Donna Leon in Venedig in den<br />
Tagen kurz vor Weihnachten. Das ist in dieser Stadt ein kostbarer<br />
Moment, denn im Advent – <strong>und</strong> nur dann – scheint Venedig<br />
ganz den Venezianern zu gehören. Tagestouristen sieht man in<br />
diesen Tagen gar keine, nur ein paar wenige Individualisten<br />
streunen trotz Nebel <strong>und</strong> winterlicher Hochwassergefahr durch<br />
die Serenissima. Aber vor allem sieht man immer wieder Venezianer,<br />
deren man sonst in anderen Jahreszeiten zwischen den<br />
Touristen strömen kaum gewahr wird. Zu ihnen gehört natürlich<br />
die berühmteste lebende Autorin der Stadt.<br />
Donna Leon kommt gerade von einer erfolgreichen Lesereise<br />
aus Deutschland zurück, wo sie „Schöner Schein“, ihren neuen<br />
Brunetti-Roman, vorgestellt hat. Nebenbei warb sie für ein neues<br />
Buch, das mit Musik, nämlich mit den Opern des Komponisten<br />
Georg Friedrich Händel, zu tun hat. Aber dazu später. Wir<br />
treffen die amerikanische Signora im Café der traditionsreichen<br />
Pasticceria Rosa Salva, das am Campo San Giovanni e Paolo<br />
liegt – in dem Stadtsechstel, in dem Donna Leon zu Hause ist.<br />
Nicht weit davon entfernt befindet sich auch die Kirche San<br />
Francesco della Vigna. Durch ein Nebenportal der Anlage sieht<br />
man in den Fernsehverfilmungen Commissario Brunetti, den<br />
treuen Sergente Vianello oder den zwielichtigen Vice-Questore<br />
Patta ein- <strong>und</strong> ausgehen.<br />
Im Sommer sitzt Donna Leon auf dem Campo San Giovanni<br />
e Paolo – oder „Zanipolo“ im näselnden Venezianer Dialekt – zu<br />
Füßen der Reiterstatue des Feldherrn Colleoni. Doch dafür ist es<br />
jetzt im Dezember zu kalt. Wir sitzen drinnen <strong>und</strong> trinken einen<br />
starken, heißen Caffè, wie ihn nur die Italiener zu brauen verstehen<br />
<strong>und</strong> der Donna Leon die Wachheit verleiht, auch in der<br />
dunkel-nebligen Jahreszeit an einem neuen Roman zu schreiben.<br />
Aber Krimis beiseite. Wir wollen Donna Leon zu einer ihrer<br />
2011/1
Donna Leon<br />
größten Leidenschaften befragen: zur Musik von Georg Friedrich<br />
Händel. Sie unterstützt mit Rat <strong>und</strong> Tat das berühmte ensemble<br />
„Il Complesso Barocco“ unter dem Dirigenten Alan Curtis,<br />
der ausschließlich auf historischen Instrumenten musizieren<br />
lässt. Curtis forscht seit 50 Jahren über Händel, <strong>und</strong> der kraftvolle,<br />
aufgeraute So<strong>und</strong>, den er mit seinem Orchester erarbeitet<br />
hat, ist unverwechselbar. Bisher hat er schon 13 Opern von Händel<br />
auf CD eingespielt. <strong>und</strong> wenn es nach Donna Leon ginge,<br />
könnten noch viele folgen.<br />
Sie lieben die Musik von Georg Friedrich Händel. Können Sie uns<br />
ein wenig erklären warum?<br />
In Händels Musik gibt es eine ganz besondere Qualität, die mich<br />
glücklich macht, mich beim Hören in eine andere, heitere Sphäre<br />
versetzt. <strong>und</strong> vor allem wenn ich Händels Chören lausche,<br />
dann scheint sich mein Geist in die Lüfte zu erheben. es fällt<br />
mir allerdings immer schwer, diese w<strong>und</strong>erbaren Gefühle, die<br />
Händels Musik mir entlockt, in eine verständliche Sprache zu<br />
übersetzen. Ich bin keine Musikwissenschaftlerin, darum kann<br />
ich es nur mit meinen Gefühlen ausdrücken <strong>und</strong> nicht in professionellen<br />
Termini. Alan Curtis, der Dirigent, mit dem ich seit<br />
vielen Jahren befre<strong>und</strong>et bin, hat immer wieder angeboten, mir<br />
das Partituren-Lesen beizubringen, weil er überzeugt ist, ich<br />
könnte die Musik dann noch besser schätzen. Aber das Angebot<br />
habe ich nie angenommen. Meiner Meinung nach ist das Schöne<br />
an Händels Musik auch, dass man das für den vollen Genuss<br />
gar nicht können muss.<br />
Die neueste Produktion einer Händel-Oper des „Complesso Barocco“<br />
wird bald herauskommen <strong>und</strong> im Mai bei einem Konzert im <strong>Festspielhaus</strong><br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> präsentiert werden. Es handelt sich um<br />
„Ariodante“, eine Oper, die Händel im Jahr 1734 komponierte. Die<br />
Oper handelt von einer bösen Intrige, die die beiden Liebenden,<br />
Ginevra <strong>und</strong> Ariodante, fast in den Tod treibt. Gefallen Ihnen die<br />
Bösewichter in den Opern von Händel?<br />
Ich könnte diesen bösen Intriganten ganz sicher mehr abgewinnen,<br />
wenn Händel für sie die schönste Musik geschrieben hätte.<br />
Ganz offensichtlich hatte er aber mehr für die guten Charaktere<br />
2011/1<br />
– 48 –<br />
PersönLicHes<br />
Händelfre<strong>und</strong>e fürs Leben:<br />
Donna Leon <strong>und</strong> der<br />
Barockdirigent Alan curtis.<br />
übrig <strong>und</strong> widmete denen seine ganze erfindungskraft. Giulio<br />
Cesare etwa hat viel großartigere Arien als Tolomeo. Aber dann<br />
gibt es verwirrenderweise auch die Magierin Alcina als Titelheldin<br />
einer der Opern von Händel. Ihre Rolle versammelt eine<br />
besonders große Anzahl von w<strong>und</strong>erbaren Arien. Aber Alcina<br />
schafft aus Liebe viel Leid. Ist sie darum gut oder böse? Händel<br />
gab ihr so viele unglaublich virtuose Arien, weil sie der interessanteste<br />
<strong>und</strong> vielschichtigste Charakter ist. Ariodante ist auch<br />
so ein vielschichtiger, aber dennoch guter Charakter <strong>und</strong> hat<br />
darum musikalisch herausragende Arien.<br />
Die Rolle des „Ariodante“ wurde bei der Uraufführung in London<br />
von dem berühmten italienischen Kastraten Giovanni Carestini gesungen.<br />
Meinen Sie, dass die weiblichen Mezzosoprane, wenn sie<br />
heute diese Rollen singen, stimmlich einen ähnlichen Effekt erreichen<br />
können?<br />
Oh, geben Sie mir eine Zeitmaschine, <strong>und</strong> ich werde sofort losfahren,<br />
um es herauszufinden! Wir wissen es einfach wirklich<br />
nicht. Kastraten waren physiologisch Männer <strong>und</strong> hatten<br />
schlicht einen größeren Brustkorb <strong>und</strong> dadurch ein größeres<br />
Stimmvolumen als Frauen. Sie konnten darum längere Passagen<br />
mit größerer Durchschlagskraft <strong>und</strong> Kondition singen.<br />
Kraft ist aber ja nicht alles, worum es beim Singen geht, <strong>und</strong> das<br />
war auch schon damals so. Soviel ich gelesen habe <strong>und</strong> weiß,<br />
vermute ich aber, dass ein weiblicher Mezzosopran dem damaligen<br />
Gesang der Kastraten näher kommt als ein Countertenor,<br />
also eine männliche Alt-Stimme. Für uns ist es heute umso<br />
schwerer, diese Frage nach dem Stimmfach zu beantworten, als<br />
Händel selbst auch keine so großen unterschiede machte zwischen<br />
Sopran <strong>und</strong> Mezzosopran. Man sagt, dass auch damals<br />
Countertenöre oder Falsettisten die Sopran-Stimme imitierten,<br />
aber sie sangen in dieser Stimme männliche Charaktere, also<br />
war es auch damals vielleicht gar nicht so gefragt, dass ein<br />
Mann ganz extrem hoch singen konnte.<br />
Wir wissen, dass Sie die Sängerin Joyce DiDonato sehr schätzen,<br />
die in <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> die Rolle des Ariodante singen wird. Können<br />
Sie uns beschreiben, welche stimmlichen Qualitäten Sie an ihr<br />
besonders begeistern?<br />
Foto: José Luis Martínez HernánDez
Foto: PLainPicture/LoneLy PL anet<br />
PersönLicHes Donna Leon<br />
Hier muss ich jetzt mal eine „Warnung an den Leser“ aussprechen,<br />
glaube ich: Joyce ist eine gute Fre<strong>und</strong>in von mir … Da bin<br />
ich sehr parteiisch, aber wenn Sie meine Meinung wissen wollen:<br />
Sie hat eine großartige <strong>und</strong> w<strong>und</strong>erschöne Stimme, eine perfekte<br />
Technik, ein erstklassiges Italienisch, ein tiefes Verständnis<br />
für Barockgesang <strong>und</strong> sie ist einfach eine hervorragende Musikerin<br />
<strong>und</strong> hat die Gabe, ihren Rollen durch Gesang eine dramatische<br />
Dimension zu verleihen. Außerdem hat Joyce einen w<strong>und</strong>ervollen<br />
Humor … (Sie sehen schon, wie sich meine persönliche<br />
Sympathie in mein urteil einschleicht …)<br />
Ihre Ansicht über Sänger beeinflusst auch oft die Arbeit von Alan<br />
Curtis bei der Auswahl von Sängern für CD-Aufnahmen. Wie wichtig<br />
ist für Sie die Beziehung der Stimmen bei einem Liebespaar in<br />
der Oper, wie es Ariodante <strong>und</strong> Ginevra darstellen? In unserem<br />
Fall in <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> singt die Rolle der Geliebten von Ariodante<br />
die Kanadierin Karina Gauvin.<br />
Bei den CD-Aufnahmen von Alan Curtis habe ich zwar die<br />
Möglichkeit, meinen Vorlieben Ausdruck zu verleihen, aber die<br />
endauswahl trifft am Schluss immer der Dirigent. er ist der<br />
Fachmann. <strong>und</strong> er ist der Boss. Im Fall von Karina Gauvin war<br />
es Alan, der sie noch vor mir das erste Mal singen hörte. Wie bei<br />
Ich liebe Happy ends in<br />
der Oper im selben Maße, wie ich sie<br />
in Romanen verabscheue.<br />
Donna Leon<br />
Joyce DiDonato ist auch hier vor allem der Wohlklang der Stimme<br />
für mich ausschlaggebend. <strong>und</strong> sie hat ebenso wie Joyce die<br />
große Qualität der unverwechselbarkeit des Timbres. Joyce’ <strong>und</strong><br />
Karinas Stimmen ergeben eine perfekte Harmonie, <strong>und</strong> sie haben<br />
einfach auch schon sehr oft zusammen gesungen <strong>und</strong> kennen<br />
sich gut. Ich denke, so eine Vertrautheit macht die Zusammenarbeit<br />
sehr viel einfacher, weil jede von beiden weiß, wie sie<br />
ihren eigenen Gesang mit dem der anderen auf ideale Weise<br />
kombiniert. <strong>und</strong> das spürt dann auch der Zuhörer.<br />
Was halten Sie von den vielen Happy Ends bei den Opern von<br />
Händel <strong>und</strong> auch in unserem Fall bei „Ariodante“. Ist das Leben<br />
nicht ganz anders?<br />
Ich glaube, dass ich Happy ends in der Oper im selben Maße<br />
liebe, wie ich sie bei Romanen verabscheue. Das kann daran<br />
liegen, dass ich bei Opern einfach die Finale so mag, die nichts<br />
anderes als eine große Harmonie <strong>und</strong> einen einklang vermitteln.<br />
Denken Sie nur an die w<strong>und</strong>erbare Chaconne am ende der<br />
Oper „Giustino“ von Vivaldi – diese Klänge würden selbst das<br />
Herz eines Steins zum Schmelzen bringen.<br />
Sie erzählten einmal, dass Sie die Musik von Händel bereits als<br />
junge Studentin bei einer Aufführung des „Messiah“ kennen- <strong>und</strong><br />
lieben gelernt haben. Was gefiel Ihnen damals mehr, die Musik<br />
oder der Gesang?<br />
Genau genommen war ich noch ein Kind, aber schon damals<br />
waren es die Stimmen, die mich umgehauen haben. <strong>und</strong> das ist<br />
auch heute noch so. Heute sind 50 Jahre vergangen <strong>und</strong> die<br />
Schönheit des „Messiah“ ist für mich immer noch atemberaubend.<br />
es ist das einzige Werk, bei dem ich alle kritischen<br />
Betrachtungen <strong>und</strong> Fähigkeiten fahren lasse. Ganz egal wie<br />
schlecht dieses Werk gesungen oder gespielt ist – es ist immer<br />
<strong>und</strong> ausnahmslos phantastisch.<br />
Sie sind auch oft bei den Proben <strong>und</strong> Aufnahmen des „Complesso<br />
Barocco“ dabei. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als ein<br />
Konzert zu hören. Was begeistert Sie daran, den Musikern bei der<br />
Arbeit zuzusehen <strong>und</strong> zuzuhören?<br />
Jeder, der jemals bei längeren Proben dabei war, hat erfahren,<br />
wie die musikalische Ausführung sich entlang einer geraden<br />
Linie <strong>und</strong> in einem faszinierenden Prozess zu dem ergebnis<br />
entwickelt, das der Dirigent am ende hören will. Von Tag zu<br />
Tag oder von Probe zu Probe schreitet dieser Prozess voran <strong>und</strong><br />
ist oft auch für den Zuhörer genau wahrnehmbar. Die schlussendliche<br />
Aufführung auf einer CD oder in einem Konzert ist<br />
hingegen das fertige Produkt. Ich würde das Faszinierende bei<br />
den Proben mit dem Prozess beim entstehen eines Bildes vergleichen:<br />
wie wenn man in den verschiedenen Stadien <strong>und</strong><br />
Phasen im Atelier die Fortschritte betrachtet. Oder wie man<br />
– 49 – 2011/1
Donna Leon<br />
auch beim entstehen eines Buches sehen kann, wie es wächst<br />
<strong>und</strong> sich verändert. <strong>und</strong> dann ist es auch w<strong>und</strong>erbar zu beobachten,<br />
wie sich während der Proben die Sänger emotional einander<br />
annähern. Während des gesamten Prozesses wird im<br />
besten Fall der menschliche Kontakt zwischen den Sängern,<br />
aber vor allem auch zwischen den Sängern <strong>und</strong> dem Dirigenten<br />
immer wärmer <strong>und</strong> vertrauensvoller. Das hilft jedem der Beteiligten<br />
sowohl mehr an seine eigenen wie auch an die Fähigkeiten<br />
der anderen Sänger <strong>und</strong> Musiker zu glauben <strong>und</strong> das in die<br />
Musik zu übersetzen.<br />
Was sind das für Momente, wenn Sie die Musik von Händel am<br />
liebsten hören? Hören Sie Händel auch, während Sie an einem<br />
Krimi schreiben <strong>und</strong> gerade Commissario Brunetti in Venedig seine<br />
Fälle lösen lassen?<br />
Ich höre Musik ausschließlich dann, wenn ich Musik höre. Ich<br />
widme mich dann ganz der gehörten Musik <strong>und</strong> tue nichts anderes<br />
dabei. Wenn ich lese oder schreibe, höre ich niemals Musik<br />
– noch nicht einmal, wenn ich Briefe schreibe. Wenn ich<br />
Musik hören will, dann höre ich sie. Sie würden doch auch kein<br />
Buch mit in die Oper nehmen, oder?<br />
Sie haben gerade ein Buch eines neuen Genres veröffentlicht: Es<br />
handelt sich nicht um einen Krimi, sondern um das Buch „Tiere<br />
<strong>und</strong> Töne“. Sie haben sich darin in sehr geistreicher Form den<br />
verschiedenen Tieren wie Nachtigall, Biene, Tiger oder dem Frosch<br />
gewidmet, die auch immer wieder in den Texten der Arien von<br />
Händel auftauchen. Das Ganze wurde sehr lustig vom Zeichner<br />
Michael Sowa illustriert. Das Buch enthält für den Leser noch eine<br />
CD, auf der Alan Curtis solche „Tier“-Arien aufgenommen hat. Wie<br />
hatten Sie die Idee zu diesem Projekt?<br />
eines Abends war ich bei einem Abendessen mit Alan Curtis<br />
<strong>und</strong> dem Manager der Orchesters, Giulio D’Alessio, <strong>und</strong> begann<br />
darüber zu sprechen, dass mir aufgefallen war, dass in vielen<br />
der Arien von Händel Tiere auftauchen als Metaphern für<br />
Gefühle: treu wie die Turteltaube, mutig wie ein Löwe. Wir<br />
kamen überein, dass es ein interessantes Thema für eine CD<br />
sein könnte, sich auf diesen Aspekt zu konzentrieren, anstatt<br />
immer nur Liebesduette aufzunehmen. <strong>und</strong> dann schlug ich<br />
2011/1<br />
– 50 –<br />
meinem Verlagshaus Diogenes vor, ein Buch dazu zu machen,<br />
in dem ich die historische Bedeutung von Tieren behandle. Ich<br />
habe über genau so ein Thema, über die Bestiarien <strong>und</strong> Tier-<br />
Allegorien in der Literatur, schon einmal vor etwa, sagen wir,<br />
100 Jahren an der universität geschrieben <strong>und</strong> fand das Thema<br />
faszinierend. <strong>und</strong> dann kam einer von uns auf Michael Sowa,<br />
den deutschen Maler <strong>und</strong> Illustrator, den wir alle kennen <strong>und</strong><br />
schätzen. um das ganze Projekt dann zu verwirk lichen,<br />
brauchten wir ein Jahr. Ich dachte zuerst, es würde mich nicht<br />
viel Zeit kosten, zu diesem Thema Texte zu verfassen, aber<br />
dann vertiefte ich mich in die Recherche <strong>und</strong> las mich parallel<br />
auch in Literatur über die behandelten Tiere fest, so dass es<br />
Händel wäre wahrscheinlich sehr<br />
viel berühmter geworden,<br />
wenn er in Italien geblieben wäre.<br />
Donna Leon<br />
PersönLicHes<br />
dann doch ein paar Monate dauerte. <strong>und</strong> Michael Sowa ist einfach<br />
ein Genie. Die ganze Produktion war ein großartiger<br />
Spaß, die Sänger <strong>und</strong> das Orchester auf der CD sind exzellent,<br />
Michaels Zeichnungen sind w<strong>und</strong>ervoll komisch <strong>und</strong> brillant,<br />
so dass ich meinen Teil daran sehr genossen habe. Ich möchte<br />
in aller Bescheidenheit sagen, dass ich auf das ergebnis sehr<br />
stolz bin.<br />
Sie leben in der schönsten Stadt der Welt: in Venedig. Händel hat<br />
während seiner Karriere drei Jahre in Italien verbracht, davon<br />
auch einige Zeit in Venedig, wo er im Jahr 1709 einen seiner ersten<br />
großen Opern erfolge mit „Agrippina“ feierte. Wir wissen, dass es<br />
für den damals 21-jährigen Händel eine sehr wichtige Lebensphase<br />
war <strong>und</strong> dass er noch später sein ganzes Leben lang die musikalischen<br />
Notizen, die er damals anfertigte, für Kompositionen<br />
weiterbenutzte. Was wäre Ihrer Meinung nach mit ihm passiert,<br />
wenn er länger in Venedig geblieben wäre?<br />
Nun, ganz sicher hätte er in Venedig sehr viel besser gegessen<br />
als in London. Wenn er in Italien geblieben wäre, denke ich,<br />
Foto: PLainPicture/HaraLD Braun
Foto: José Luis Martínez HernánDez<br />
PersönLicHes Donna Leon<br />
Ihr aufgerautes klangbild<br />
tut gut, wenn Leidenschaften<br />
überquellen: 13 Händelopern<br />
hat das ensemble<br />
„complesso Barocco“<br />
unter der Leitung von Alan<br />
curtis inzwischen aufgenommen.<br />
Im festspielhaus<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> begleiten<br />
die Musiker die sängerin<br />
Joyce DiDonato.<br />
wäre er außerdem wahrscheinlich sehr viel berühmter geworden,<br />
als er es in england geworden ist, weil die Leidenschaft für<br />
die Oper in Italien immer auf einem hohen Niveau geblieben<br />
ist, während sie in england kontinuierlich abnahm. Aber dann<br />
hätten wir heute nicht Händels Oratorien, die er schrieb, als die<br />
Oper in London aus der Mode kam. Da ich die Oratorien sehr<br />
mag, hat er meiner Meinung nach genau das Richtige getan.<br />
In London hat Händel sicher auch mehr Geld verdienen können<br />
als im Rest von Europa, schließlich befand sich das Land zu diesem<br />
Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Kolonialgeschichte. Er<br />
hatte also pragmatische Gründe, dorthin zu gehen. Sie aber wohnen<br />
in Venedig aus Liebe zu dieser Stadt. Können Sie den Entschluss<br />
Händels verstehen, Italien den Rücken zu kehren?<br />
Wie Sie sagten, er ging nach London, um mehr Geld zu verdienen.<br />
<strong>und</strong> er war ja schließlich ein Norddeutscher. Vielleicht<br />
fühlte er sich einfach in england mehr zu Hause als in Italien.<br />
Die Kultur <strong>und</strong> Lebensart dort waren ihm sicher vertrauter. Ich<br />
glaube aber, er tat es vor allem aus professionellen Gründen.<br />
Seine Biographie zeigt, dass er sein Leben lang alles dafür getan<br />
<strong>und</strong> immer wieder neue Wege beschritten hat, um seinem Genie<br />
Ausdruck zu verleihen. <strong>und</strong> London war damals schlicht das<br />
Zentrum der Welt.<br />
Bei der Aufführung einer seiner Opern in Oxford im Jahr 1732 hat<br />
man ihm die Ehrendoktorwürde angeboten, die er ablehnte. War<br />
Händel zu bescheiden oder mochte er die Universität nicht?<br />
er war ein sehr kultivierter Mann, <strong>und</strong> so vermute ich, dass er<br />
vor universitäten einen großen Respekt hatte. Ich würde meinen,<br />
er lehnte die ehrendoktorwürde aus Bescheidenheit ab. Ich<br />
glaube, dass die meisten Genies von sich wissen, dass sie ein<br />
Genie sind, <strong>und</strong> daran kaum zweifeln. <strong>und</strong> darum hätte Händel<br />
so ein Stück Papier mit einer ehrung nicht selbstbewusster gemacht,<br />
als er ohnehin schon war. <strong>und</strong> beeindruckt hätte ihn so<br />
ein Titel schon mal gar nicht.<br />
Sie haben als Amerikanerin den größten Teil Ihres Lebens in Italien<br />
gelebt, so wie Händel als Deutscher in England lebte. Sie sind wie<br />
er emigriert. Fühlen Sie sich ihm geistesverwandt?<br />
In mancher Hinsicht ja. Wie Händel lebe ich seit langer Zeit in<br />
einem Land <strong>und</strong> mit einer Kultur, die nicht die sind, mit denen<br />
ich meine Jugend verbrachte.<br />
Was würden Sie jemandem empfehlen, der sich mit der Musik von<br />
Händel beschäftigen will, aber mit dieser Musik noch nicht so<br />
vertraut ist? Mit welcher Oper oder mit welchem Oratorium sollte<br />
er beginnen?<br />
Nun, ich würde das empfehlen, was wir umgangssprachlich<br />
eine olle Kamelle nennen: den „Messiah“. Weil kein anderes<br />
Stück so unmittelbar anzusprechen vermag wie dieses Werk. es<br />
hat w<strong>und</strong>ervolle Arien, aber es hat auch diese kraftvollen Chöre.<br />
<strong>und</strong> der „Messiah“ ist auf biblische Texte komponiert, die<br />
vielen Personen der westlichen Welt sehr vertraut sein dürften.<br />
Bei Opern würde ich gleich zu so großartigen Stücken wie<br />
„Giulio Cesare“ oder „Alcina“ raten. In beiden Opern sind die<br />
tollsten Arien <strong>und</strong> es wird eine überzeugende Story mit sehr<br />
distinkten, starken Charakteren erzählt.<br />
Würden Sie uns am Schluss noch verraten, an welchem Buch Sie<br />
gerade arbeiten oder welchen Fall Sie Commissario Brunetti<br />
gerade lösen lassen?<br />
Merkwürdig genug: Mein aktuelles Thema passt hervorragend<br />
zum Dioxin-Skandal in Deutschland. Ich arbeite an einem Buch,<br />
das von vergiftetem essen handelt. Das ist ein Thema, das mich<br />
wahnsinnig interessiert. Nach allem, was ich jetzt gelesen habe,<br />
sind die Ausmaße des Skandals in Deutschland enorm. <strong>und</strong> das,<br />
obwohl Deutschland ja ein funktionierendes Rechtssystem besitzt.<br />
Jetzt stellen Sie sich mal vor, was dann erst in einem Land<br />
wie Italien auf diesem Gebiet los sein muss! Guten Appetit.<br />
Donna Leon präsentiert: arioDante<br />
Oper von Georg Friedrich Händel<br />
Konzertante Aufführung<br />
20. MAI 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 76.<br />
– 51 – 2011/1
Salome oper<br />
2011/1<br />
TexT: MoriTz rinke<br />
Man Muss<br />
nur die Liebe<br />
ansehen<br />
Für das FesTspielhaus <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
liesT MoriTz rinke das „saloMe“-liBreTTo von<br />
sTrauss <strong>und</strong> verTeidigT oscar Wilde.<br />
– 52 –
als ich einem Fre<strong>und</strong>, einem Opernspezialisten, erzählte, ich<br />
solle über „salome“ schreiben, <strong>und</strong> ihn fragte, was er denn davon<br />
halte, sagte er: „ach, so sind die tollen Frauen eben!“<br />
„du meinst, so wie salome, die Tochter der herodias?“, fragte ich.<br />
„Ja, die wirklich interessanten Frauen von heute, die sind so“, antwortete<br />
er. „also, eine interessante, tolle Frau von heute lässt mir<br />
den Kopf abschlagen, um mich zu küssen?“, wollte ich wissen.<br />
„ich glaube, schon“ sagte der Fre<strong>und</strong>. „Wenn sie dich wirklich<br />
herausfordert, kann so etwas passieren. der Kopf ist ja nicht alles.<br />
Und das Geheimnis der Liebe größer.“<br />
– – –<br />
Was besagt eigentlich die Tatsache, dass strauss die „salome“-<br />
Oper hauptsächlich im bügelzimmer geschrieben hat?<br />
– – –<br />
beim Lesen des Librettos erscheint mir die „salome“ wirklich<br />
wie für eine Karikatur meines Fre<strong>und</strong>eskreises geschrieben:<br />
narraboth, der junge hauptmann, will salome ansehen. der Page<br />
will es nicht („sieh sie nicht an!“). salome will Jochanaan ansehen,<br />
narraboth will es nicht <strong>und</strong> „ersticht sich <strong>und</strong> fällt tot zwischen<br />
salome <strong>und</strong> Jochanaan“. herodes will keinen Toten (narraboth),<br />
sondern salome ansehen, herodias will es nicht. („du<br />
sollst sie nicht ansehn.“) Jochanaan will, dass salome Jesus oder<br />
Gott ansieht, doch sie will nicht. erst will sie nicht für herodes<br />
tanzen, dann will sie, kurzum: es isT WirKLiCh KOMPLiZierT,<br />
ansTrenGend.<br />
nichts scheint zu passen! Warum sehen sich ausnahmsweise<br />
nicht mal zwei an, die sich GLeiChZeiTiG ansehen wollen? salome<br />
<strong>und</strong> narraboth, der junge, syrische, tote hauptmann, der<br />
laut herodes „sehr schön“ gewesen sei – das wäre doch etwas<br />
gewesen!<br />
Warum schaut herodes nicht seine herodias an? „Weil er ein<br />
Mann ist!“, hat mein Opernspezialist gesagt. „ein Mann<br />
ist ein Mann, er muss sie“ – also salome – „ansehen.“<br />
(Wie oft streiten sich darüber wohl Paare<br />
auf der straße ...? es gibt angeblich auch mehr<br />
männliche auffahrunfälle als weibliche, was die<br />
These des Opernspezialisten stützt!)<br />
„also, wenn ich Jochanaan gewesen wäre“, habe<br />
ich gesagt, „ich hätte mich aber von salome<br />
küssen lassen. iM GanZen; also MiT KOPF! erstens<br />
muss die doch irre gut aussehen; <strong>und</strong> zweitens<br />
wäre das doch die einmalige Chance, aus dem<br />
Loch herauszukommen, weil doch herodes ihr an<br />
den Lippen hängt. ehrlich gesagt, ich finde Jochanaan<br />
unnatürlich, so agiert kein Mensch. als moderner<br />
dramatiker muss ich so etwas anmerken! Meinetwegen<br />
kann er sich ja dann in einer beginnenden amour<br />
fou den Kopf abhauen lassen, aber einfach da im Loch<br />
zu sitzen, wenn über dir eine Mischung aus Penélope<br />
Cruz, scarlett Johansson <strong>und</strong> angelina Jolie nach deinem<br />
lilienhaften Körper, nach deinem weintraubenartigen<br />
<strong>und</strong> libanesischen Cedern-Haar sowie deinem korallenhaften<br />
bzw. granatapfel- bzw. elfenbeinhaften Purpurm<strong>und</strong><br />
schmachtet?! also, psychologisch nachvollziehbar<br />
ist das nicht gerade! Zu viel statik, zu wenig ibsen!“<br />
„er ist ein heiliger oder sozialist, dieser Jochanaan, daran<br />
erkennt man es“, sagte der Opernspezialist. „diese Oper<br />
handelt von Männern, wie sie immer waren, sie sehen zu viel<br />
(herodes) oder sie sehen nichts (Jochanaan). <strong>und</strong> sie handelt<br />
von modernen Frauen. Von der Femme fatale, aber eigentlich<br />
mehr von der Femme fragile!“<br />
„Fragil?? Fragil erscheint mir die salome aber leider gar nicht!“,<br />
sagte ich.<br />
„dafür musst du das Original von Wilde lesen!“, sagte er.<br />
– 53 – 2011/1
2011/1<br />
– – –<br />
etwas ibsenhaftes hätte mir beim auffinden des<br />
Fragilen bestimmt geholfen. Wenn ein Lyriker die<br />
ersten „salome“-Libretto-sätze schrieb (anton Lindner),<br />
dann ist es vielleicht zu unpsychologisch <strong>und</strong><br />
deshalb zu emotional einsilbig oder zu griffig in<br />
den dramatischen Kontrasten? Lindner klingt nach<br />
edelbitter <strong>und</strong> edelsüß! strauss schrieb dann jedoch<br />
selbst, nach einer Übersetzung der Wilde’schen „salome“<br />
aus dem Französischen von hedwig Lachmann.<br />
auf diese Lachmann kommen wir noch!<br />
(Man müsste neben Oscar Wilde auch die salome-Versuche<br />
von Mallarmé <strong>und</strong> Flaubert lesen.)<br />
– – –<br />
den „Tanz der sieben schleier“ müsste man auch mal untersuchen! sieben<br />
Tore soll man durchschreiten, bis man die unterwelt erreicht. die<br />
Göttin isis trug sieben Gewänder. es gibt sieben sphären, die nach<br />
alter Vorstellung die erde umschlossen. sieben Weltw<strong>und</strong>er. am<br />
siebten Tag vollendete Gott die Welt. auch die sieben Zwerge. dann:<br />
sieben gegen Theben. Über sieben brücken musst du gehen. siebenmal<br />
lockt das Weib, ja, das geht schon in die richtige richtung.<br />
außerdem muss man sich die Tänzerin Maud allan ansehen!!<br />
(spezialistin für den Tanz der sieben schleier.)<br />
– – –<br />
– 54 –
den schönsten smaragd der Welt will sie nicht. die h<strong>und</strong>ert schönen,<br />
weißen Pfauen will sie nicht. die tollsten Topase will sie nicht.<br />
die funkelnden Opale will sie nicht. rubine! Magische Türkise! der<br />
Mantel des hohepriesters! das halbe Königreich – all das will sie<br />
nicht. salome will den Kopf des Jochanaan.<br />
Warum, warum?<br />
der schriftsteller Franz blei schrieb: „der Keusche ist eine ständige<br />
Versuchung für die Frauen; keine Wüste ist groß genug, dass<br />
sie nicht zu ihm kämen. <strong>und</strong> der allein zu sein meinte, lebt in<br />
einem harem, wo ihm von tausend händen das Taschentuch geworfen<br />
wird. eine Flut von batist, Linon <strong>und</strong> spitzen erstickt ihn.“<br />
Oh, wie heute ...<br />
heute kommen die Frauen, ob wir wollen oder nicht (<strong>und</strong> ob sie<br />
wollen oder nicht!): Von reklame-Litfasssäulen, aus dem Otto-Katalog,<br />
aus dem netz, aus dem Fernseher, sogar die eigenen Töchter<br />
gehen in <strong>und</strong> aus den schulen wie zu Jochanaans spott (die armen Lehrer ...<br />
unbedingt lesen: Philip roth, „der menschliche Makel“).<br />
– – –<br />
aber warum den Kopf des Jochanaan?<br />
Oscar Wilde lesend kommen mehr Zwischentöne dazu. ich könnte salome (die<br />
nicht wie bei strauss als erotisch Wissende auftritt, sondern zunächst als Kind) hier<br />
auch so verstehen: sie wird berührt, innerlich berührt, vielleicht das erste Mal, <strong>und</strong><br />
zwar von Jochanaan. (stimme? dessen bemitleidenswerte Gefangenschaft? ihre<br />
Projektion eines heiligen?) sie sucht also vielleicht nach dem Geheimnis der Liebe.<br />
alles ist unlogisch, aber sinnlich. <strong>und</strong> Jochanaan spricht die sprache der Liquidation<br />
(<strong>und</strong> des Christentums ...). salomes Mutter soll liquidiert werden, salome<br />
selbst, ja, verflucht soll sie sein. seine Flüche werden von salome später als vernichtend<br />
empf<strong>und</strong>en: „Tu m’as dit des choses infâmes. Tu m’as traitée comme une<br />
courtisane, comme une prostituée.“ Wie eine Prostituierte fühlt sie sich behandelt bei<br />
Wilde. (Kommt bei strauss gar nicht vor!) Man könnte auch sagen: Jochanaan bedroht<br />
die sinnlichkeit, die angst vor dem stärkeren, wie im Übrigen auch herodes<br />
diese sinnlichkeit bedroht, er weiß es – <strong>und</strong> beide, Jochanaan, der ideologisch nach<br />
Macht strebt, <strong>und</strong> herodes, der physisch die Macht besitzt: sie beide glauben, die<br />
Flügel des Todesengels in der Luft zu spüren. es ist also auch ein drama vom Kampf<br />
der Männer gegen das sinnliche, das Liebende, das stärkere. (Vielleicht hat der<br />
befre<strong>und</strong>ete Opernspezialist mit der These über die tollen Frauen absolut recht!)<br />
– 55 – 2011/1
– – –<br />
Ja, salomes Festhalten an der Liebe – gerade im Verlangen nach dem Kopf – ist fast wie eine utopische<br />
rebellion, eine anarchische Liebestat.<br />
– – –<br />
ich glaube, die berühmte salome-darstellung der Gertrud eysoldt in der Max-reinhardt-inszenierung<br />
von 1902 wäre mir zu sehr auf die Verdammung des weiblichen dämons ausgelegt<br />
erschienen. „<strong>und</strong> ihr raubtierkopf neigt sich über das tote haupt“, schrieb eine Kritikerin.<br />
Man liest im „Vorwärts“ von „lüstern-listigen Gedanken“ der salome; von einem Weib nach<br />
strindberg plus Wedekinds Lulu. ich glaube, es wäre Wilde zu aufdringlich, zu unwidersprüchlich,<br />
zu geheimnislos gewesen. (er regte sich ja schon über die obszönen beardsley-<br />
Zeichnungen auf.) salomes satz über das Geheimnis der Liebe könnte eine solche darstellung<br />
nicht mehr einholen. (es muss eine w<strong>und</strong>erbare Verteidigung der Wilde’schen<br />
„salome“ von Karl Kraus geben, erschienen 1903 in „die Fackel“.)<br />
die sprache der reinhardt-inszenierung war im Übrigen die Lachmann-Übersetzung.<br />
Lachmann sprach vom Wilde-drama als von einem drama der „tierhaften<br />
Wildheit salomes“ – ich glaube, dieser satz hätte herrn Wilde die schuhe ausgezogen!<br />
bei Lachmann ist das böse in der Frau, das reine in dem Propheten, im<br />
jungen Christentum.<br />
Lachmann streicht sogar sätze von Wilde, seiner salome: „Il ne faut regarder<br />
que l’amour“. („Man muss nur die Liebe ansehen“). dieser satz fällt Lachmann<br />
zum Opfer, er passte nicht in ihr bild der verbrecherischen salome.<br />
– – –<br />
<strong>und</strong> würde Wilde seine salome in der strauss-Oper wiederfinden? natürlich<br />
nicht. strauss bediente sich ja der Lachmann-Übersetzung,<br />
allerdings in der irrigen annahme, Wildes französisches Original<br />
sei von Lachmann wörtlich übersetzt worden.<br />
anmerkung des dramatikers: Wie ich selbst diese umdeutungen,<br />
Verplattungen <strong>und</strong> Verwässerungen kenne! am<br />
ende kommt der abonnent <strong>und</strong> sagt: aber, herr rinke,<br />
ihre brünhild heute abend war richtig doll furienhaft!<br />
die Lachmanns sind überall ...<br />
– – –<br />
Was wünschte ich mir also für eine strauss-Oper?<br />
Vielleicht etwas vom Wilde’schen Geist in der<br />
spielweise der akteure, wenn man schon auf<br />
das Libretto nicht mehr eingreifen kann? Vielleicht<br />
könnte man noch den satz „Il ne faut<br />
regarder que l’amour“ („Man muss nur<br />
die Liebe ansehen“) am ende einfügen?<br />
ein winziger satz, aber vielleicht<br />
ein kleiner utopischer beitrag zur<br />
Widersprüchlichkeit <strong>und</strong> zum<br />
Geheimnis der Liebe.<br />
(dann könnte auch der<br />
befre<strong>und</strong>ete Opernspezi<br />
alist wieder von seinen<br />
interessanten,<br />
tollen Frauen<br />
sprechen!)<br />
2011/1<br />
– 56 –<br />
IlluStratIonen: JulIa pfaller
Der Autor<br />
Moritz rinke, 1967 geboren,<br />
wurde 1997 für sein<br />
Theaterstück „der Mann,<br />
der noch keiner Frau<br />
Blöße entdeckte“ mit dem<br />
literaturpreis des p.e.n.clubs<br />
ausgezeichnet, „republik<br />
vineta“ wurde zum<br />
besten deutschsprachigen<br />
stück 2001 gewählt. Für<br />
die nibelungen-<strong>Festspiele</strong> in<br />
Worms schuf er neue<br />
Theaterfassungen des nibelungen-stoffes,<br />
als drehbuchautor<br />
war er 2003 gast<br />
der Filmfestspiele in cannes.<br />
2010 erschien sein erster<br />
roman, „der Mann, der durch<br />
das Jahrh<strong>und</strong>ert fiel“.<br />
im selben Jahr wurde Moritz<br />
rinke mit der deutschen<br />
dFB-autoren-nationalmannschaft<br />
Fußball-europameister.<br />
richArD StrAuSS: SAlome<br />
Neuinszenierung von Nikolaus Lehnhoff<br />
Stefan Soltesz, Musikalische Leitung<br />
Mit Angela Denoke, Kim Begley, Doris Soffel,<br />
Alan Held u. a.<br />
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin<br />
10., 13. <strong>und</strong> 16. Juni 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 76.<br />
– 57 – 2011/1
Foto: SteFan HeinricHS
TexT: ChrisTine Claussen<br />
Auf stArke frAuen<br />
Abonniert<br />
„eigenTliCh will iCh normal leben, rosen blühen sehen“,<br />
sagT angela Denoke, Die für ihre inTensive bühnenpräsenz<br />
auf Der ganzen welT gefeierT wirD. wir Trafen<br />
Die salome unserer neuinszenierung in ihrem heimaTorT.<br />
Linke Seite:<br />
zuhause ist ihr wichtig.<br />
angela Denoke ist bei<br />
konzert- <strong>und</strong> opernveranstaltern<br />
begehrt,<br />
„durchgehend von mitte<br />
februar bis mitte<br />
november“. in ihrem<br />
nach eigenen plänen<br />
gebauten haus findet die<br />
künstlerin muße.<br />
angela Denoke<br />
Apfelbäume im nebel. Der Metronom rattert durchs<br />
Alte Land, Hamburgs obstanbaugebiet südlich der<br />
elbe. buxtehude, Agathenburg, stade. sie werde<br />
am bahnhof sein, hatte Angela Denoke am telefon<br />
gesagt. Die besucherin soll festes schuhwerk mitbringen,<br />
die besichtigung stades lohne: „ich führe<br />
sie.“ Da läuft sie schon den bahnsteig herauf, mit<br />
wehendem Mantel, ausgreifendem schritt. sie ist<br />
groß, schlank, hat blaue Augen, die blitzen, <strong>und</strong><br />
kurze Haare, deren blond fast so blass ist wie ihre<br />
Haut. ein fast überoffenes, empfind sames Gesicht,<br />
in das die fabelhafte sängerin <strong>und</strong> schauspielerin<br />
Denoke auf der bühne Wahnsinn, Leidenschaft,<br />
eros, Gier, sex oder Verführung mit geradezu<br />
überwältigender Überzeugungskraft einzuzeichnen<br />
versteht.<br />
Doch dazu später. Die private Denoke ist eine oft<br />
zum Lachen aufgelegte, ebenso energische wie<br />
pragmatische Person, die jetzt das Auto vor ihrem<br />
Haus am stadtrand parkt <strong>und</strong> einem Handwerker,<br />
der den kühlschrank reparieren soll, die Haustür<br />
öffnet. sie bietet kaffee an <strong>und</strong> lädt zur „schlossführung“<br />
ein. ihr Mann, der tenor David kübler,<br />
<strong>und</strong> sie haben das Haus nach eigenen Plänen gebaut:<br />
Alles ist durchlässig, offen <strong>und</strong> modern. Drüben<br />
wohnen die nachbarn, die sie mit frischem<br />
Gemüse versorgen, dort der bauer, von dem sie<br />
Milch <strong>und</strong> kaminholz beziehen, <strong>und</strong> ein anderer,<br />
der frisches Lammfleisch hat. Angela Denoke liebt<br />
dieses Haus zwischen Weiden <strong>und</strong> Wald, den Garten,<br />
die natur, die vor der Haustür beginnt.<br />
„ich habe bloß definitiv zu wenig Zeit, um hier zu<br />
sein“, sagt Angela Denoke ein wenig betrübt. „ich<br />
liebe meinen beruf, ich finde ihn großartig“, aber<br />
es sei eine Art Hassliebe, weil der beruf ihr Leben<br />
bestimme: „ich bin zu viel unterwegs. Ganz normal<br />
zu leben wie andere Leute, die rosen blühen<br />
– 59 – 2011/1
2011/1<br />
– 60 –
FotoS: SteFan HeinricHS<br />
innenschau <strong>und</strong> Außenwirkung<br />
bedingen sich bei salome-Darstellerin<br />
Angela Denoke, die auch<br />
unverschleiert ihr Geheimnis bewahrt.<br />
– 61 – 2011/1
Oben:<br />
sie ist längst in allen<br />
opernzentren angekommen:<br />
„irgendeiner hat immer<br />
am wegrand gestanden, um<br />
mir weiterzuhelfen.“<br />
2011/1<br />
zu sehen – manchmal fehlt mir das sehr.“ in diesem<br />
Jahr ist sie verplant wie noch nie, „durchgehend<br />
von Mitte februar bis Mitte november“. in<br />
Paris gibt sie die k<strong>und</strong>ry <strong>und</strong> die katja kabanova<br />
aus Leoš Janáčeks gleichnamiger oper. in Hamburg<br />
singt sie die sieglinde, in baden-baden eine<br />
aufregende neue salome in der regie von nikolaus<br />
Lehnhoff <strong>und</strong> bei den salzburger festspielen<br />
die emilia Marty aus der „sache Makropulos“ –<br />
um nur einige ihrer rollen zu nennen.<br />
Angela Denoke ist mittlerweile geradezu abonniert<br />
auf solche Partien: starke, unglücklich liebende<br />
<strong>und</strong> immer irgendwie moderne frauen, deren Gefühle<br />
so groß sind, dass sie kollidieren mit jedwedem<br />
Alltag; frauen, die eher ins Wasser gehen<br />
oder wahnsinnig werden, als dass sie sich ihren<br />
Glauben nehmen ließen <strong>und</strong> ihre Liebe. Denoke<br />
spielt sie so, dass die kritiker niederknien. Die<br />
„Zeit“ feierte sie als „eine berückende sängerdarstellerin,<br />
die sich im Ausdruck geradezu verzehrt,<br />
stimmlich von starker lyrischer intensität <strong>und</strong> ins<br />
Hymnische ausgreifend“. Die „süddeutsche Zeitung“<br />
beobachtete: „nie erweckt sie den eindruck,<br />
– 62 –<br />
als würde sie singen <strong>und</strong> spielen – das Artifizielle<br />
der oper erfüllt sie von innen mit einer gewaltigen<br />
energie, sodass man nicht mehr die Mittel wahrnimmt,<br />
sondern nur den von Denoke imaginierten<br />
Charakter […].“ ihre bühnenpräsenz ist fast sprichwörtlich:<br />
nicht selten scheint es so, als sei eine<br />
inszenierung ganz allein auf sie fokussiert.<br />
Wie sie das macht? sie lese sehr viel, über ihre<br />
bühnenperson <strong>und</strong> um sie herum. Zum beispiel<br />
jetzt über die salome, die sie im Juni im festspielhaus<br />
baden-baden geben wird. es ist – nach München,<br />
Wien, berlin <strong>und</strong> London – ihre fünfte: „ich<br />
liebe diese komplexen Charaktere, da hat man die<br />
verschiedensten Darstellungsmöglichkeiten. Mit<br />
jeder inszenierung lernt man neue facetten kennen.“<br />
Meist gelingt es ihr, sich „völlig unvoreingenommen<br />
auf das neue einzulassen“. sie versuche,<br />
sich mit der Person, die sie darstellen soll, zu<br />
identifizieren, sich ganz in sie hineinzufühlen,<br />
„ohne die kontrolle zu verlieren“. bei katja kabanova<br />
sei sie einmal so in der rolle gewesen, „dass<br />
mir die tränen herunterliefen. so etwas sollte<br />
nicht häufig vorkommen.“
FotoS: SteFan HeinricHS<br />
PerSönlicHeS<br />
Der Handwerker ist mit dem kühlschrank fertig,<br />
David kübler, ihr Mann, vom Golfen zurück. ortswechsel<br />
in die küche. sie kocht für ihr Leben gern.<br />
„Man kann mir einen kühlschrank mit sachen<br />
zeigen <strong>und</strong> sagen: Mach was draus! ich koche aber<br />
auch gern nach rezepten.“ sie kocht exzellent <strong>und</strong><br />
bew<strong>und</strong>ernswert nebenbei. Vollkommen stressfrei<br />
<strong>und</strong> unter fortsetzung der konversation. einer<br />
ihrer fre<strong>und</strong>e war koch. Daher. „Über die Männer<br />
in meinem Leben könnte man ein eigenes buch<br />
schreiben“, sagt sie <strong>und</strong> lacht.<br />
schaut sie auf ihre erstaunliche karriere, w<strong>und</strong>ert<br />
sie sich gelegentlich selbst. es sei nichts daran geplant<br />
gewesen, als kind, als Jugendliche habe sie<br />
nie an dergleichen gedacht. „ich hätte auch friseurin<br />
werden können, ich wäre auch glücklich geworden.“<br />
Glauben wir das? Aber dass sie einmal singen<br />
würde, <strong>und</strong> das noch in der ersten Liga – an der<br />
Wiege gesungen war es ihr nicht unbedingt. ihre<br />
eltern hatten in stade ein Lebensmittelgeschäft, ihr<br />
Vater, ein passionierter Akkordeonspieler, liebte<br />
es, am Wochenende mit seiner band über Land zu<br />
ziehen <strong>und</strong> auf Hochzeiten <strong>und</strong> schützenfesten zu<br />
spielen. einmal gab es statt eines Honorars ein klavier.<br />
Das stand zu Hause <strong>und</strong> zog die kleine Angela,<br />
damals vier Jahre alt, mächtig an. sodass die eltern<br />
sich entschließen, der kleinen klavierunterricht zu<br />
geben. sie ist zwölf, als sie zu Wilhelm Adrian<br />
kommt, einem studienrat am stader Gymnasium,<br />
zudem organist <strong>und</strong> kantor an der st.-Wilhadi-kirche.<br />
Adrian erkennt ihre begabung. „er hat mich<br />
auch für kunst <strong>und</strong> Literatur interessiert, mit Gesangsunterricht<br />
gegeben <strong>und</strong> mir geraten, im Chor<br />
zu singen.“ Ganze nachmittage verbringt das Mädchen<br />
in Wilhelm Adrians großer bibliothek.<br />
sie ist 15, als die Mutter stirbt. nach dem Abitur<br />
studiert sie in Hamburg schulmusik, singt im<br />
Chor, aus Gefälligkeit auch immer wieder solopartien,<br />
<strong>und</strong> findet Geschmack am Gesang. erst im<br />
zweiten Anlauf schafft sie die Aufnahmeprüfung.<br />
sie sei durchaus nicht die beste gewesen, „eher im<br />
Mittelfeld“. Aber als sie – das studium war noch<br />
gar nicht ganz abgeschlossen – „mal Vorsingen<br />
probieren wollte“ <strong>und</strong> nach ulm fuhr, wurde sie<br />
gleich engagiert.<br />
„irgendeiner hat komischerweise immer am Wegrand<br />
gestanden, um mir weiterzuhelfen.“ sie lacht.<br />
so saß einmal ein Agent im Publikum, der eigentlich<br />
wegen des tenors gekommen war <strong>und</strong> sich<br />
plötzlich nur für Denoke interessierte. Dieser rudi<br />
ballmer war es, der sie als Marie für den Hamburger<br />
„Wozzeck“ vorschlug. Der sie zum Vorsingen<br />
unter anderem nach stuttgart schickte. Vier herrli-<br />
che Jahre im dortigen ensemble folgten, in denen<br />
stuttgart zweimal in folge „opernhaus des Jahres“<br />
wurde, wozu Denoke mit ihrer Darstellungskraft<br />
<strong>und</strong> der strahlenden stimme ganz wesentlich beitrug.<br />
1999 wurde sie selbst „sängerin des Jahres“.<br />
Da hatte sie bereits ihr salzburg-Debüt hinter sich,<br />
hatte umjubelt die Marie in Peter konwitschnys<br />
legendärem Hamburger „Wozzeck“ gesungen <strong>und</strong><br />
die titelrolle in Christoph Marthalers „katja kabanova“,<br />
die salzburg 1998 traf wie ein erdbeben.<br />
seitdem singt sie weltweit, in London, Paris, Wien<br />
<strong>und</strong> an der Met.<br />
<strong>und</strong> dann – der nebel ist längst der sonne gewichen<br />
– führt Angela Denoke die besucherin wirklich<br />
noch durch die stadt: zur st.-Wilhadi-kirche,<br />
wo sie im Chor sang, am rathaus vorbei, wo sie<br />
geheiratet hat: „Ganz spontan!“ Zum idyllischen<br />
Alten Hafen, dem Zeughaus, in dem früher das<br />
kino war, zu den buchläden, sie liest so gern. sie<br />
habe immer viel Glück gehabt, sagt sie: „ich glaube<br />
daran: Wie es kommt, ist es richtig.“ Wir sind<br />
wieder am bahnhof. Als der Metronom richtung<br />
Hamburg fährt, leuchten die obstbäume in der<br />
nachmittagssonne.<br />
richArD StrAuSS: SAlome<br />
Neuinszenierung von Nikolaus Lehnhoff<br />
10., 13. unD 16. Juni 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 76.<br />
angela Denoke<br />
Die Autorin<br />
Christine Claussen lebt als<br />
freie autorin in hamburg.<br />
sie war lange kulturredakteurin<br />
des magazins „stern“<br />
<strong>und</strong> publizierte über die<br />
berliner philharmoniker <strong>und</strong><br />
sir simon rattle, über<br />
Daniel barenboim, Cecilia<br />
bartoli, anna netrebko,<br />
elīna garanča, Jonas kaufmann<br />
<strong>und</strong> rolando villazón.<br />
in der von ihr gegründeten<br />
martha pulvermacher<br />
stiftung widmet sie sich der<br />
förderung hochbegabter<br />
junger musiker.<br />
– 63 – 2011/1
Oper<br />
TExT: RüDIGER BEERMAnn<br />
EIN „DON GIOVANNI“<br />
FÜR DIE EWIGKEIT<br />
EInE pROMInEnTE SänGERRIEGE wIRD MOzARTS<br />
„DOn GIOVAnnI“ In BADEn-BADEn SInGEn.<br />
DIE kOnzERTAnTEn AuFFüHRunGEn SOllEn FüR<br />
EInE CD AuFGEnOMMEn wERDEn.<br />
SO EnTSTEHT EwIGE MuSIk nEu FüR DIE EwIGkEIT.<br />
Opern sind wie Wein: Sie brauchen Zeit, um zu<br />
reifen. Oftmals werden Verabredungen mit Sängern,<br />
Dirigenten <strong>und</strong> Orchestern mehrere Jahre<br />
im Voraus getroffen, <strong>und</strong> da nimmt es nicht w<strong>und</strong>er,<br />
wenn sich Besetzungen auch noch einmal<br />
verändern.<br />
Anders als geplant können Elīna Garanča <strong>und</strong><br />
Thomas Quasthoff nicht bei der „<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>-Gala<br />
2011“ mit von der Partie sein. „Elīna Garanča <strong>und</strong><br />
Thomas Quasthoff bleiben dem <strong>Festspielhaus</strong> aber<br />
weiter eng verb<strong>und</strong>en“, sagt Intendant Andreas<br />
Mölich-Zebhauser. Elīna Garanča wird noch zweimal<br />
in dieser Saison im <strong>Festspielhaus</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong><br />
auftreten: am 4. März 2011 bei einem Arien-Abend<br />
sowie am 17. Juni 2011 bei einem Liederabend, in<br />
dem sie unter anderem Lieder von Richard Strauss<br />
singen wird. Thomas Quasthoff wird am 13. April<br />
2012 zurück an der Oos erwartet. Die Reihe der Solisten für die konzertanten Aufführungen<br />
des „Don Giovanni“ im Juli 2011 bleibt<br />
äußerst prominent: Diana Damrau, Joyce DiDonato,<br />
Mojca Erdmann, Rolando Villazón, Ildebrando<br />
D’Arcangelo, Luca Pisaroni, Konstantin Wolff <strong>und</strong><br />
Vitalij Kowaljow werden in den Hauptrollen zu hören<br />
sein. Das Mahler Chamber Orchestra spielt unter<br />
der Leitung von Yannick Nézet-Séguin.<br />
Als Joyce DiDonato 2010 den „ECHO Klassik“ als<br />
„Sängerin des Jahres“ im ZDF entgegennahm, kannte<br />
das <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>er Publikum diese Sängerin schon<br />
längst: Die sympathische Künstlerin hatte das Silvesterkonzert<br />
2009 gesungen. Nun kommt die „Yankee-Diva“,<br />
wie sie sich selbst augenzwinkernd auf<br />
ihrem YouTube-Videokanal im Internet nennt, als<br />
„Donna Elvira“ für drei konzertante Don-Giovanni-<br />
Abende zurück. Mittlerweile ist Joyce DiDonato<br />
weltweit eine begehrte Darstellerin <strong>und</strong> Sängerin.<br />
„Es ist einfach der beste Gesang, den ich seit Jahren<br />
gehört habe“, schwärmte ein Kritiker der „Financial<br />
Times“ neulich: „Eine Ehre, sie erleben zu dürfen.“<br />
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Zu den Bildern:<br />
Mozarts „Don Giovanni“<br />
besteht nur aus Hauptrollen.<br />
Bei dieser Oper ein gleichwertiges<br />
Ensemble<br />
zusammen zu stellen, bleibt<br />
eine Heraus forderung,<br />
der das <strong>Festspielhaus</strong><br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> mit einer<br />
Traumbesetzung<br />
begegnet (v. l. n. r.):<br />
Mojca Erdmann,<br />
Rolando Villazón,<br />
Diana Damrau,<br />
Joyce DiDonato,<br />
Ildebrando D’Arcangelo
FOtOs (v. l. n. r.): Felix BrOede/dG; AnjA Frers/dG; dAn ettinGer/virGin ClAssiCs; niCk HeAviCAn; FAdil BerisHA/dG<br />
In der konzertanten Aufführung der Händel-Oper<br />
„Ariodante“ wird Joyce DiDonato bereits am<br />
20. Mai 2011 in <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> in der Titelrolle zu<br />
erleben sein.<br />
Die Sopranistin Diana Damrau ist <strong>und</strong> bleibt eine<br />
der besten Klangpoetinnen. Gerade hat sie mit<br />
Christian Thielemann <strong>und</strong> den Münchner Philharmonikern<br />
Orchesterlieder von Richard Strauss<br />
veröffentlicht <strong>und</strong> damit den Eindruck nachhaltig<br />
verstärkt, den sie in der Rolle der Sophie im umjubelten<br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>er „Rosenkavalier“ hinterlassen<br />
hatte. In der Zwischenzeit aber hatte Diana<br />
Damrau nicht nur beruflich besondere „Erfolge“<br />
zu verbuchen. Im Frühjahr 2010 heiratete sie in<br />
aller Stille den Bariton Nicolas Testé <strong>und</strong> machte<br />
in der zweiten Jahreshälfte eine Babypause. Am<br />
3. Oktober des vergangenen Jahres kam Sohn Alexander<br />
in Amsterdam zur Welt.<br />
Er gilt als Vorzeige-Macho der Opernszene <strong>und</strong><br />
doch bringt ihn manchmal eine einzige Phrase<br />
des Barock-Komponisten Corelli zum Weinen:<br />
Ildebrando D’Arcangelo mag es nicht, in eine PR-<br />
Schublade gesteckt zu werden, <strong>und</strong> geht daher oft<br />
seine eigenen künstlerischen Wege.<br />
Rolando Villazón war sofort begeistert, als er von<br />
diesem „Don Giovanni“-Projekt in <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> hörte.<br />
Nach seinen umjubelten Soloabenden mit Händel-Arien<br />
<strong>und</strong> mexikanischen Liedern kehrt er zum<br />
dritten Mal in kurzer Zeit nach <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> zurück.<br />
Mojca Erdmann gilt laut „ZEIT“ als „der Sopran<br />
der Zukunft“. Gerade konnte dies in der Neuinszenierung<br />
der Mozart-Oper „Così fan tutte“ im <strong>Festspielhaus</strong><br />
<strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong> unter Beweis gestellt werden.<br />
Mozart spielt für die gebürtige Hamburgerin<br />
ohnehin derzeit eine wichtige Rolle: „Man muss<br />
jede Partie beseelen“, sagt sie, „bei Mozart lernt<br />
man das am besten.“<br />
BADEn-BADEn-GAlA 2011: Don GIoVAnnI<br />
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Konzertante Aufführung<br />
18., 21. unD 24. JulI 2011<br />
Weitere Informationen finden Sie auf Programmseite 81.
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