Kleinräumige Habitatnutzung des Auerhuhns Tetrao ... - WSL
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Der Ornithologische Beobachter / Band 105 / Heft 1 / März 2008 53<br />
<strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> <strong>Tetrao</strong> urogallus<br />
im Alpenraum<br />
Kurt Bollmann, Andrea Friedrich, Beat Fritsche, Roland F. Graf, Stefan Imhof und Patrick Weibel<br />
Bollmann, K., a. Friedrich, B. Fritsche, r. F. GraF, s. imhoF & P. WeiBel<br />
(2008): Small-scale habitat use of Western Capercaillie in the Alps. Ornithol.<br />
Beob. 105: 53–61.<br />
The Western Capercaillie <strong>Tetrao</strong> urogallus occupies a broad fundamental<br />
ecological niche as long as some criteria are fulfilled regarding structural characteristics<br />
of forest stands. We studied these characteristics at the small scale<br />
in forest ecosystems that differed in landscape characteristics, tree species<br />
composition and ground vegetation. The studies were performed in the Prealps<br />
and Central Alps of Switzerland, respectively. Forest stand characteristics were<br />
assessed with a set of variables that <strong>des</strong>cribe the composition and structure of<br />
tree, shrub and ground vegetation and the number and type of forest gaps and<br />
edge elements. Logistic regression was used to compare study plots of used<br />
areas versus available habitat for Capercaillie in winter and/or summer. Intermediate<br />
canopy cover in combination with a good abundance of forest aisles<br />
and a minimal amount of basal-branched single trees were the most important<br />
predictors of habitat choice of Capercaillie at the scale of a forest stand, independent<br />
of the study area. From the edge variables, free-standing, basal-branched<br />
trees of Norway spruce Picea abies were the preferred hiding elements<br />
for resting Capercaillie. The type and composition of ground vegetation showed<br />
distinct differences among the study areas. Surprisingly, the proportion of<br />
bilberry Vaccinium myrtillus cover was not a significant predictor in the analyses.<br />
We conclude that forestry has a major responsibility for the conservation<br />
of Capercaillie because forest measures have a significant effect on both, the<br />
structure and composition of forest stands.<br />
Kurt Bollmann 1, Andrea Friedrich 2, Beat Fritsche 3, Roland F. Graf 3, 4, Stefan Imhof 5,<br />
Patrick Weibel 3, Eidg. Forschungsanstalt <strong>WSL</strong>, Forschungseinheit «Biodiversität und<br />
Naturschutzbiologie», Zürcherstrasse 111, CH–8903 Birmensdorf; 1 E-Mail: kurt.<br />
bollmann@wsl.ch; zusätzliche Adressen: 2 Eidg. Technische Hochschule, Departement<br />
Biologie, Fachrichtung Ökologie und Evolutionsbiologie, CH–8092 Zürich; 3 Eidg.<br />
Technische Hochschule ETH, Departement Umweltwissenschaften, Institut für Terrestrische<br />
Ökosysteme, Professur Waldökologie, Universitätstrasse 16, CH–8092 Zürich;<br />
4 aktuelle Adresse: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW,<br />
WILMA, Grüental, Postfach 335, CH–8820 Wädenswil; 5 Universität Zürich-Irchel,<br />
Geographisches Institut, Abteilung Geographische Informationssysteme, Zürcherstrasse<br />
190, CH–8057 Zürich<br />
Das Auerhuhn ist ein ausgeprägter Habitatspezialist<br />
und zeigt innerhalb seines Verbreitungsgebiets<br />
von den Kantabrischen Gebirgen Spaniens<br />
bis in die borealen Taigawälder Sibiriens<br />
eine enge Bindung ans Ökosystem Wald. Unabhängig<br />
von der Region zeichnen sich die besiedelten<br />
Wälder durch ein paar typische Eigenschaften<br />
aus, die in naturnahen Altbeständen
54 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> Ornithol. Beob.<br />
besonders ausgeprägt sind: Bestände mit mittlerem<br />
Baumdeckungsgrad (Storch 1993a, b) und<br />
gut ausgebildeter Krautschicht, die durch Heidelbeeren<br />
oder andere Beerkräuter (Ericaceae)<br />
dominiert wird (Klaus et al. 1989). Gleichzeitig<br />
erzeugen die klimatischen, orographischen<br />
und topographischen Unterschiede zwischen<br />
den Gebieten regionale Eigenheiten, welche<br />
dazu geführt haben, dass das Auerhuhn seit der<br />
letzten Eiszeit eine Vielzahl von ökologischen<br />
Nischen besetzt und verschiedene Waldgesellschaften<br />
und Nahrungspflanzen nutzt (Klaus<br />
et al. 1989, Scherzinger 2002). So besiedelt<br />
das Auerhuhn neben Altbeständen auch andere<br />
Sukzessionsstadien oder Wirtschaftswälder,<br />
wenn Bestandsstruktur und Vegeta-<br />
tion günstig sind (Eiberle 1976, Leclercq 1987,<br />
Rolstad & Wegge 1987, Fritsche et al. 2006).<br />
Auch in der Schweiz nutzt das Auerhuhn<br />
zwischen Jura und Münstertal verschiedenste<br />
Nadel- und Mischwälder mit unterschiedlicher<br />
Baumartenzusammensetzung, solange es sich<br />
um halboffene und strukturreiche Bestände<br />
handelt. So ist zum Beispiel eine der wichtigsten<br />
Nahrungspflanze, die Heidelbeere Vaccinium<br />
myrtillus, sehr unterschiedlich in den besiedelten<br />
Gebieten der verschiedenen biogeographischen<br />
Regionen vertreten.<br />
Während die Analyse der Verteilung von<br />
Wäldern in der Landschaft und deren Zusammensetzung<br />
für die Bestimmung von Vorranggebieten<br />
und Trittsteinbiotopen für die<br />
Auerhuhnförderung auf nationaler Ebene von<br />
grosser Bedeutung sind (s. Bollmann & Graf<br />
2008), haben Zusammensetzung und Struktur<br />
der einzelnen Waldbestände eine zentrale<br />
Bedeutung für das Individuum. Deshalb ist es<br />
wichtig, dass sich die naturschutzbiologische<br />
Forschung auch mit der Habitatwahl von Individuen<br />
innerhalb eines von einer Lokalpopulation<br />
besiedelten Lebensraums beschäftigt.<br />
Umso mehr, als die speziellen Unterschiede in<br />
der Habitatwahl zwischen den biogeographischen<br />
Regionen in der Schweiz für ein standortspezifisches<br />
Management der Art wichtig<br />
sind und konkrete forstliche Massnahmen zur<br />
Aufwertung <strong>des</strong> Lebensraums vorwiegend auf<br />
der kleinräumigen Ebene <strong>des</strong> Waldbestands<br />
stattfinden. Deshalb haben wir im Rahmen <strong>des</strong><br />
Auerhuhn-Forschungsprojekts an der <strong>WSL</strong> die<br />
Habitatansprüche <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> in den Voralpen<br />
und Zentralalpen untersucht und miteinander<br />
verglichen.<br />
Methoden<br />
Als repräsentative Untersuchungsgebiete für<br />
die Lebensraumsituation in den Voralpen und<br />
Zentralalpen haben wir die Sonderwaldreservate<br />
Amden (Imhof 2007) und Schwägalp<br />
(Fritsche 2004) bzw. das Albulatal (Weibel<br />
2003, Friedrich 2006) gewählt (Tab. 1). Alle<br />
Untersuchungen beruhen auf dem Vergleich<br />
von genutzten mit ungenutzten bzw. zufällig<br />
ausgewählten Waldbeständen innerhalb eines<br />
zusammenhängenden potenziellen Auerhuhnlebensraums.<br />
Die Nutzung wurde mit Spurentaxationen<br />
im Winter bzw. Sommer nach einem<br />
räumlich stratifizierten System vorgenommen.<br />
Friedrich (2006) und Imhof (2007) nutzten<br />
dazu ein kontinuierliches Rastersystem mit einer<br />
Zellengrösse von 125 m × 125 m. Zellen<br />
mit Nachweisen von Auerhühnern werden als<br />
Präsenzraster, solche ohne Nachweise als Absenzraster<br />
bezeichnet. Details zum Vorgehen<br />
im Feld, den indirekten Nachweisen der Art<br />
und der Erfassung der Waldbestandsvariablen<br />
können den einzelnen Arbeiten entnommen<br />
werden und sind teilweise auch in Bollmann<br />
et al. (2005) und Fritsche et al. (2006) beschrieben.<br />
Die Studie von Fritsche (2004) unterscheidet<br />
sich in der Methode der Erfassung<br />
und räumlichen Auflösung der Lebensraumvariablen<br />
von den anderen drei Untersuchungen.<br />
Er hat für die hier präsentierten Resultate<br />
ausschliesslich Methoden der Fernerkundung<br />
eingesetzt, die Lebensraumvariablen der anderen<br />
drei Studien wurden alle direkt im Feld in<br />
quadratischen Probeflächen mit der Grösse von<br />
625 m 2 erhoben.<br />
Ergebnisse<br />
Die Resultate der kleinräumigen Lebensraumanalysen<br />
aus den Studiengebieten der Vor- und<br />
Zentralalpen (Tab. 2) haben die aus anderen<br />
Studien bekannte Bedeutung von Waldbeständen<br />
mit mittlerem Baumschichtdeckungsgrad<br />
für das Auerhuhn bestätigt. Optimale Werte<br />
variieren im Bereich von 40–60 % und können
105, 2008 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> 55<br />
Tab. 1. Eigenschaften der Untersuchungsgebiete für die kleinräumige Analyse der Auerhuhnhabitate im<br />
Auerhuhn-Forschungsprojekt der <strong>WSL</strong>. SWR = Sonderwaldreservat. – Characteristics of the study areas<br />
where small-scale analyses of Capercaillie habitat were assessed during the Capercaillie research project of<br />
the Swiss Federal Research Institute <strong>WSL</strong>. SWR = Forest Nature Reserve with a specific function.<br />
Charakteristika SWR Schwägalp 1 SWR Amden 2 Mittelbünden 3 Albulatal Südhang 4<br />
Geographische Lage Voralpin Voralpin Alpin Alpin<br />
Höhenbereich (m ü.M.) 950–1650 1000–1700 982–2025 1100–2200<br />
Fläche (ha) 1800 516 2339 650<br />
Vegetationszonen montan, subalpin montan, subalpin (montan), subalpin subalpin<br />
Waldtypen Fichten-Tannen- Fichten-Tannen- Verschiedene Wald- Erika- und<br />
und Tannen- und Tannen- typen der hoch- Heidelbeer-<br />
Buchenwald Buchenwald montanen und sub- Fichten-Föhren-<br />
alpinen Stufe der wälder<br />
inneren Alpen<br />
Hauptbaumarten Fichte, Tanne, Fichte, Tanne, Fichte, Waldföhre, Fichte, Waldföhre,<br />
Buche, Vogelbeere Buche, Vogelbeere Lärche, Vogelbeere Lärche, Legföhre<br />
Anzahl Probeflächen 222 257 184 335<br />
1 Fritsche (2004), Fritsche et al. (2006)<br />
2 Imhof (2007)<br />
3 Weibel (2004), Bollmann et al. (2005)<br />
4 Friedrich (2006), Friedrich & Bollmann (in Vorb.)<br />
je nach Gebiet Abweichungen von ±10 % von<br />
diesen Werten aufweisen. Das Auerhuhn bevorzugt<br />
zudem zwei- und mehrschichtige Bestände,<br />
wobei diese Beziehung nicht überall deutlich<br />
war und gerade in höheren Lagen der subalpinen<br />
Wälder häufig auch einschichtige Bestände<br />
genutzt werden. Genutzte Waldbestände<br />
zeichnen sich zudem durch ein gutes Angebot<br />
an Schneisen und Grenzlinienelementen mit<br />
Versteckpotenzial aus. Die Häufigkeit von<br />
Schneisen und tiefbeasteten Einzelbäumen in<br />
genutzten Beständen ist sowohl in den Vor- als<br />
auch in den Zentralalpen signifikant höher als<br />
in ungenutzten Beständen <strong>des</strong> gleichen Wal<strong>des</strong><br />
(Tab. 3). So weisen Präsenzraster im Vergleich<br />
mit Absenzrastern im Waldreservat Amden und<br />
Albulatal im Durchschnitt 2–3-mal so viele<br />
Schneisen auf, und in 79 bzw. 86 % der Fälle<br />
hatte eine Probefläche in einem Präsenzraster<br />
min<strong>des</strong>tens eine Schneise (Zufallsraster: 37 %<br />
bzw. 54 %). Die durchschnittliche Grenzlinienlänge<br />
von tiefbeasteten Bäumen, die von Auerhühnern<br />
zur Deckung genutzt werden können,<br />
ist in Präsenzrastern ebenfalls um den Faktor<br />
2–3 grösser als in den Absenzrastern. Im Albulatal<br />
ist dieser Wert für Präsenzraster mit<br />
2,1 m zwar deutlich kleiner als im Waldreser-<br />
vat Amden (6,3 m). Dafür haben die Analysen<br />
für das Albulatal gezeigt, dass dort auch andere<br />
Grenzlinien-bildende Strukturelemente<br />
wie tiefbeastete Rotten und liegen<strong>des</strong> Totholz<br />
signifikant zur Erklärung <strong>des</strong> Unterschieds im<br />
Grenzlinienangebot zwischen Präsenz- und<br />
Zufallsrastern beitragen. Friedrich (2006) hat<br />
berechnet, dass die durchschnittliche Länge<br />
der Grenzlinienelemente, welche von den Auerhühnern<br />
als Verstecke genutzt werden, in den<br />
Präsenzrastern im Albulatal 431 m pro ha beträgt.<br />
Der entsprechende Wert für Zufallsraster<br />
beträgt 320 m pro ha.<br />
Der Deckungsgrad der Strauchschicht hatte<br />
in den kleinräumigen Habitatmodellen eine<br />
signifikant negative Beziehung zum Auerhuhnvorkommen.<br />
Das heisst, dass Waldbestände<br />
mit einem für die Untersuchungsgebiete überdurchschnittlichen<br />
Strauchschichtanteil vom<br />
Auerhuhn gemieden wurden. Erstaunt hat<br />
zum Teil die Bedeutung jener Variablen, welche<br />
die Bodenvegetation beschreiben. Zwar<br />
zeigt das Habitatmodell von Bollmann et al.<br />
(2005), dass bei einem Bodenvegetations-<br />
Deckungsgrad von über 70 % eine sehr hohe<br />
Wahrscheinlichkeit für Auerhuhnvorkommen<br />
im Untersuchungsgebiet besteht. Die in der Li-
56 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> Ornithol. Beob.<br />
Tab. 2. Zusammenstellung der Wirkung von Vegetations- und Strukturvariablen, welche in vier Studiengebieten<br />
die Unterschiede zwischen genutzten und vorhandenen Waldbeständen auf der Ebene <strong>des</strong> einzelnen<br />
Waldbestands erklären. Die Resultate der einzelnen Studien wurden mit Logistischen Regressionsmodellen<br />
ermittelt. Die genauen quantitativen Beziehungen können den einzelnen in den Fussnoten erwähnten Studien<br />
bzw. Publikationen entnommen werden. Angegeben ist die Art der Beziehung: ++ = stark positiv, + = positiv,<br />
0 = neutral, − = negativ, . = Beziehung nicht untersucht (meistens wegen Korrelation > 0,7 mit anderer Variable)<br />
bzw. Variablen nicht erhoben (Schwägalp). WR = Waldreservat. – Set of variables that <strong>des</strong>cribe the<br />
vegetation and structure of forest stands in four study areas of the Swiss Prealps (Schwägalp, Amden) and<br />
Alps (Mittelbünden, Albulatal), respectively. Indicated is the type of response to Capercaillie occurrence: ++<br />
= strongly positive, + = positive, 0 = neutral, − = negative, . = not studied (mostly because of pairwise correlations<br />
> 0.7 with other variable) or variable not investigated (study area of Schwägalp). Analyses are based<br />
on logistic regressions. Waldreservat = Forest nature reserve, Deckungsgrad = proportion of canopy closure.<br />
Unabhängige Variablen Voralpen Alpen<br />
teratur breit abgestützte zentrale Bedeutung der<br />
Heidelbeere (z.B. Storch 1993a, Schroth 1994,<br />
Suchant 2002, Suter et al. 2002) konnte aber<br />
in keiner unserer Untersuchungen bestätigt<br />
werden. Zwar wird die Heidelbeere dort, wo<br />
sie vorkommt, sehr gerne als Nahrungspflanze<br />
Waldreservat Waldreservat Amden Mittelbünden/Albulatal<br />
Schwägalp 1<br />
Winter/ Sommer 3 Winter/ Sommer 5<br />
Frühling 2 Frühling 4<br />
Baumschicht<br />
Mittlerer Deckungsgrad ++ 0 0 + 0<br />
Vielfalt Deckungsgrad ++ . . . .<br />
Anzahl Bäume . . . 0 0<br />
Bestandsstruktur: 2- bis<br />
mehrschichtig . + 0 + 0<br />
Anzahl Weisstannen . + + 0 .<br />
Strauchschicht<br />
Deckungsgrad . − 0 0 −<br />
Bodenvegetation<br />
Deckungsgrad . . . + .<br />
Anteil Beerensträucher . . . 0 0<br />
Anteil Heidelbeere . 0 0 0 0<br />
Anteil Gras . 0 + . 0<br />
Anteil Farne/Hochstauden . 0 + . 0<br />
Anzahl Ameisenhaufen . 0 0 0 0<br />
Bestandsöffnungen<br />
Anzahl Schneisen . ++ 0 . ++<br />
Grenzlinien mit Versteckpotenzial<br />
Tiefbeastete Einzelbäume . 0 ++ + +<br />
Tiefbeastete Rotten . 0 0 0 +<br />
Liegen<strong>des</strong> Totholz . 0 0 0 +<br />
Anzahl Wurzelteller . 0 0 0 0<br />
1 Fritsche (2004), Fritsche et al. (2006)<br />
2, 3 Imhof (2007)<br />
4 Weibel (2004), Bollmann et al. (2005)<br />
5 Friedrich 2006, Friedrich & Bollmann (in Vorb.)<br />
und Deckungselement angenommen, aber sie<br />
vermag keinen signifikanten Beitrag zur Erklärung<br />
der Unterschiede zwischen Präsenz- und<br />
Absenzrastern zu leisten. Im Waldreservat Amden<br />
haben der Anteil an Gras sowie Farnen und<br />
Hochstaudenpflanzen an der Bodenvegetation
105, 2008 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> 57<br />
einen signifikanten Anteil der Varianz im Habitatmodell<br />
erklärt.<br />
Im Gegensatz zum Studiengebiet in den Zentralalpen,<br />
wo die Weisstanne Abies alba nur<br />
ganz vereinzelt vorkommt, zeigen unsere Untersuchungen<br />
in den Voralpen, dass die Weisstanne<br />
häufiger als erwartet in Präsenzrastern<br />
verbreitet ist. Die spezifische Funktion der<br />
einzelnen Baumarten und -individuen für das<br />
Auerhuhn wurde in der Studie von Lanz &<br />
Bollmann (2008) untersucht.<br />
Diskussion und Folgerungen für die Praxis<br />
Lockere Waldbestände mit mittlerem Baumschichtdeckungsrad,<br />
die häufig von Schneisen<br />
durchbrochen werden, ein überdurchschnittliches<br />
Angebot an Grenzlinienelementen aufweisen<br />
und eine gut entwickelte Bodenvegetation<br />
haben, sind gemäss unseren Untersuchungen<br />
typische Auerhuhnlebensräume der<br />
Alpen. Dabei kann die Bodenvegetation in ihrer<br />
Zusammensetzung aber deutliche regionale<br />
Unterschiede aufweisen. Mit diesen Resultaten<br />
haben wir die Ergebnisse von Studien aus anderen<br />
Regionen <strong>des</strong> Verbreitungsgebiets der<br />
Art mehrheitlich bestätigt, die Bedeutung von<br />
einzelnen Faktoren für die alpine Verbreitung<br />
der Art ergänzt oder relativiert und mehrheit-<br />
lich auch quantifiziert. Im Folgenden werden<br />
einzelne Faktoren näher besprochen.<br />
Unabhängig von Waldgesellschaft und Untersuchungsgebiet<br />
fällt in unseren Studien auf,<br />
dass Bestandslücken in der Form von Schneisen<br />
eine grosse Bedeutung für Auerhühner<br />
haben. Dieses Resultat wird auch durch die<br />
Untersuchung von Thiel et al. (2007) bestätigt.<br />
Schneisen haben mehrere ökologische Funktionen<br />
im Auerhuhnlebensraum. Erstens bilden<br />
sie Flug- und Fluchtmöglichkeiten innerhalb<br />
<strong>des</strong> Wal<strong>des</strong>. Zweitens erhöhen sie das Angebot<br />
an inneren Waldrändern und Grenzlinien. Und<br />
drittens fördern sie durch den Lichteinfall die<br />
Bodenvegetation in der Schneise und damit<br />
auch die Heterogenität der Vegetation in der<br />
unmittelbaren Umgebung. Wir haben Hinweise,<br />
dass die Bedeutung von Schneisen für Auerhühner<br />
mit der Stammdichte im Lebensraum<br />
zunimmt. Auch das Angebot an inneren Grenzlinien<br />
trägt in den gemässigten Zonen massgeblich<br />
zur Qualität eines Auerhuhnlebensraums<br />
bei (Stein 1974, von Hessberg & Beierkuhnlein<br />
2000), indem die Grenzlinien die Strukturvielfalt<br />
innerhalb eines Wal<strong>des</strong> erhöhen und zu einer<br />
kleinräumigen Verzahnung von Nahrungs-<br />
und Deckungsangebot und zu einem optimalem<br />
Mikroklima beitragen (Klaus et al. 1989).<br />
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Brut-<br />
Tab. 3. Durchschnittliche Anzahl Schneisen und Grenzlinienumfang von tiefbeasteten Einzelbäumen mit Versteckpotenzial<br />
sowie der prozentuelle Anteil Probeflächen ohne diese Strukturelemente in Präsenz- und Zufallsrastern<br />
der Untersuchungsgebiete in den Voralpen (Imhof 2007) und den Zentralalpen (Friedrich 2006).<br />
– Average number of aisles (Schneisen) and circumference of low-branched trees (Grenzlinien durch tiefbeastete<br />
Einzelbäume; in metre) with hiding potential for the Capercaillie in grid cells with evidence of Capercaillie<br />
presence (Präsenz) and random cells (Zufall), respectively. Additionally, the average proportion of<br />
plots without these structural elements are shown for both categories of grid cells and study areas (Voralpen<br />
= Prealps, Zentralalpen = Central Alps).<br />
Unabhängige Variablen Voralpen: Zentralalpen:<br />
Waldreservat Albulatal, südexponierte<br />
Amden Seite<br />
Präsenz Zufall Präsenz Zufall<br />
Schneisen<br />
Durchschnittliche Anzahl 1,2 0,4 1,3 0,7<br />
% Probeflächen ohne Schneisen 21 63 16 44<br />
Grenzlinien durch tiefbeastete Einzelbäume<br />
Durchschnittliche Länge (m) 6,2 2,0 2,1 1,1<br />
% Probeflächen ohne tiefbeastete Einzelbäume 24 53 45 68
58 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> Ornithol. Beob.<br />
plätze oft nahe von Grenzlinien liegen (zusammengefasst<br />
in Klaus et al. 1989).<br />
Wir haben den Grenzlinien-bildenden Strukturelementen,<br />
die den Auerhühnern Versteckmöglichkeiten<br />
am Boden bieten, in einigen<br />
unserer Studien ein besonderes Augenmerk<br />
geschenkt. Eine ausserordentliche Bedeutung<br />
hatten einzeln stehende, tiefbeastete Fichten<br />
(Bollmann et al. 2005), welche auch von<br />
Gjerde (1991), Scherzinger (1974) und Finne<br />
et al. (2000) als wichtige Elemente <strong>des</strong> Auerhuhnlebensraums<br />
erwähnt werden. Tiefbeastete<br />
Fichten werden von beiden Geschlechtern<br />
während den Ruhephasen im Tagesablauf gerne<br />
als Verstecke aufgesucht. Möglicherweise<br />
zeichnen sie sich im Winter durch ein besseres<br />
Mikroklima aus als andere bodennahe Bereiche<br />
oder die Baumkronen bei Schneegestöber<br />
und Wind. Thompson & Fritzell (1988) haben<br />
nämlich gezeigt, dass für Raufusshühner im<br />
Winter zwischen Stamm und äusseren Ästen<br />
von Nadelbäumen vorteilhafte Bedingungen<br />
zur Optimierung der Energiebilanz herrschen.<br />
Weiter weisen die Resultate aus den zentralalpinen<br />
Lebensräumen darauf hin, dass auch<br />
tiefbeastete Rotten und liegen<strong>des</strong> Totholz zur<br />
Lebensraumqualität beitragen, indem sie das<br />
vielfältige Angebot an Grenzlinien und Verstecken<br />
in den Waldbeständen erhöhen.<br />
In unserem Studiengebiet in den Voralpen,<br />
wo die Weisstanne eine bestandsbildende<br />
Baumart ist, war der Anteil dieses beliebten<br />
Schlaf- und Nahrungsbaums (Lanz & Bollmann<br />
2008) eine signifikante Variable in den<br />
Habitatmodellen. Wir haben festgestellt, dass<br />
auch einzelne peripher stehende alte Weisstannen<br />
die Nutzung eines Gebietes im Winter<br />
wesentlich erweitern können. Entsprechend<br />
ist die Förderung der Weisstanne in Regionen<br />
ohne Waldföhre eine bedeutende Massnahme<br />
bei Lebensraumaufwertungen.<br />
Aufgrund unserer Resultate kann die Bedeutung<br />
der Heidelbeere als Indikatorart von<br />
nutzbaren Waldbeständen nicht generalisiert<br />
werden. Unbestritten ist, dass die Stauden und<br />
die Beeren der Heidelbeere in den Gebieten,<br />
wo die Art vorkommt, die bevorzugte Nahrung<br />
von Hahn und Henne sind (Storch et al. 1991).<br />
Zudem bieten gut ausgebildete Heidelbeerstauden<br />
auch gute Versteckmöglichkeiten und ein<br />
reiches Angebot an Wirbellosen. Diese sind die<br />
wichtigsten Bestandteile der Kükennahrung in<br />
den ersten 3–4 Lebenswochen. In vielen Föhrenwäldern<br />
der inneren Alpen ist das Angebot<br />
an Heidelbeerpflanzen aber spärlich, und<br />
trotzdem sind diese Wälder ganzjährig vom<br />
Auerhuhn besiedelt. Entgegen der etablierten<br />
Meinung (Klaus et al. 1989) kann dort die<br />
Funktion der Heidelbeere offensichtlich durch<br />
andere Zwergsträucher, Gräser und Krautpflanzen<br />
substituiert werden (Bollmann et al. 2005,<br />
Friedrich & Bollmann in Vorb.). Dasselbe gilt<br />
bzw. galt wohl auch für einige Gebiete im Berner<br />
und Solothurner Jura (C. Marti, mdl. Mitt.).<br />
Insgesamt scheint die Zusammensetzung der<br />
Bodenvegetation für das Auerhuhn wichtiger<br />
zu sein als der absolute Deckungsgrad (siehe<br />
auch Suchant 2002). Friedrich (2006) vermutet,<br />
dass der Wachtelweizen eine wichtige<br />
Nahrungspflanze für das Auerhuhn im Albulatal<br />
ist und dass dort das reiche Angebot an<br />
Grenzlinienelementen mit Versteckpotenzial<br />
die Schutzfunktion der Heidelbeere im Bodenbereich<br />
übernimmt. In den Moorlandschaften<br />
der Voralpen haben die Riedwiesen im Wald<br />
und in seiner Nähe eine wichtige Funktion im<br />
Frühling und während der Brutzeit. Nach unseren<br />
Beobachtungen scheinen Hennen vor der<br />
Eiablage fast ausschliesslich die pollen- und<br />
nährstoffreichen Blütentriebe <strong>des</strong> Scheidigen<br />
Wollgrases Eriophorum vaginatum zu fressen.<br />
Später im Jahr bieten die gleichen Riedwiesen<br />
ein reichhaltiges Insektenangebot für die Küken<br />
nach dem Schlupf.<br />
Die einzige signifikante Variable mit einer<br />
negativen Beziehung zum Auerhuhnvorkommen<br />
in den voralpinen und alpinen Studiengebieten<br />
war der Deckungsgrad der Strauchschicht.<br />
Sträucher sind nicht als Hauptbestandteil<br />
der Nahrung von Auerhühnern bekannt<br />
(Klaus et al. 1989, Storch et al. 1991). Dabei<br />
dürften weniger die Nahrungskomponenten als<br />
vielmehr die Grösse und das Gewicht der Vögel<br />
und die damit verbundenen Schwierigkeiten<br />
bei der Nahrungsaufnahme die Gründe dafür<br />
sein, dass Auerhühner nur vereinzelt Strauchnahrung<br />
nutzen. Zudem nimmt die Befliegbarkeit<br />
<strong>des</strong> Waldbestands mit dem Deckungsrad<br />
der Strauchschicht ab. Ungeklärt bleibt, wieweit<br />
diese Variable in unseren Studien mit dem
105, 2008 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> 59<br />
Verjüngungsgrad der Buche korreliert. Die<br />
teilweise flächige Verbuschung von tiefer gelegenen<br />
Lebensräumen mit Buchenverjüngung<br />
vermindert die Qualität der Lebensräume und<br />
stellt mittelfristig ein Problem bei der Aufwertung<br />
solcher Waldbestände dar (s. Bollmann et<br />
al. 2008).<br />
Das Auerhuhn ist sensibel gegenüber Veränderungen<br />
in der kleinräumigen Struktur <strong>des</strong><br />
Waldbestands. Der Art ist es aber grundsätzlich<br />
egal, ob die bevorzugte Bestandsstruktur<br />
durch (1) eine ökologische Limitierung der<br />
Wuchsbedingungen, (2) natürliche Extremereignisse<br />
wie Windwurf, Lawinen, Schneedruck<br />
und Feuer oder (3) forstliches Lebensraummanagement<br />
erzeugt wird. Hier besteht ein<br />
Ansatz für Lebensraumaufwertungen auf der<br />
Ebene <strong>des</strong> Waldbestands. Denn sämtliche hier<br />
untersuchten Variablen mit einer positiven oder<br />
negativen Beziehung zum Auerhuhnvorkommen<br />
können durch forstliche Eingriffe direkt<br />
beeinflusst werden (Tab. 4): Die Verringerung<br />
<strong>des</strong> stehenden Holzvorrats durch die Entnah-<br />
me von Bäumen beeinflusst den Baumschicht-<br />
Deckungsgrad. Bei einer plenterartigen Nutzung<br />
oder durch kleinflächigen Femelschlag<br />
kann gleichzeitig die Grenzliniendichte erhöht<br />
werden (Stein 1974) und es entstehen wichtige<br />
Flugschneisen. Bei diesem Vorgehen ist es<br />
wichtig, dass der Lichteinfall auf Standorte mit<br />
geringer Verjüngungsgunst und einem guten<br />
Potenzial für die Etablierung von Beerensträuchern<br />
(vor allem Vaccinien) gelenkt wird. Dabei<br />
sind tiefbeastete Einzelbäume oder Rotten<br />
zu schonen und auf das Aufasten ist vollständig<br />
zu verzichten. Liegen<strong>des</strong>, vermodern<strong>des</strong><br />
Totholz begünstigt die Naturverjüngung von<br />
Einzelbäumen und ist zudem ein gutes Substrat<br />
zur Ansiedlung der Heidelbeere. Die hier vorgeschlagenen<br />
Massnahmen zur Förderung von<br />
lockeren bis lückigen Waldbeständen decken<br />
sich weitgehend mit den Empfehlungen in der<br />
Vollzugshilfe <strong>des</strong> BAFU (Mollet & Marti 2001)<br />
oder ergänzen diese partiell, insbesondere was<br />
die Bedeutung von Schneisen und von Grenzlinien-bildenden<br />
Deckungselementen betrifft.<br />
Tab. 4. Eigenschaften von Waldbeständen, die vom Auerhuhn bevorzugt werden, und forstliche Massnahmen<br />
zur Förderung der entsprechenden Merkmale. Saisonal und abhängig vom Geschlecht können Unterschiede<br />
in der Präferenz für einzelne Merkmale auftreten. Verändert und ergänzt aus Mollet & Marti (2001) und<br />
Bollmann (2006). – Traits of forest stands that are preferred by the Capercaillie, and management measures<br />
that have a positive effect on these traits. Dependent on season and sex, deviations in the preference for some<br />
traits can be observed. Modified and supplemented from Mollet & Marti (2001) and Bollmann (2006).<br />
Eigenschaften Anforderungen Massnahmen<br />
Altbestände oder reich Je mehr <strong>des</strong>to besser! Altholzstadien (>150 Jahre) zulassen;<br />
strukturierte Bestände in jüngeren Beständen geringe Stammzahlen<br />
in Hochwäldern mit horizontalem Gefüge und Lücken fördern<br />
Hoher Nadelholzanteil ≥ zwei Drittel; ein nicht zu Traditionelle und bevorzugte Sitz-, Schlaf-,<br />
kleiner Anteil von Tanne Nahrungs- und Balzbäume schonen; häufig<br />
und Föhre (>10−20 %) alte Tannen und Föhren mit kräftigen<br />
ist vorteilhaft waagrechten Ästen<br />
Mittlerer Kronenschlussgrad 30−40−60−70 % Bestände frühzeitig und wiederholt auslichten<br />
Gut entwickelte Je mehr Beerenkraut <strong>des</strong>to Wo möglich, Heidelbeere mit gezieltem Licht-<br />
Krautschicht; besser, idealerweise einfall auf geeignetem Substrat begünstigen;<br />
Vogelbeerbaum 30−50 cm hoch Vogelbeerbaum schonen<br />
Gutes Angebot an Grenz- Je mehr <strong>des</strong>to besser! Rottenverjüngung, tiefbeastete Einzelbäume<br />
linien-bildenden Deckungs- und liegen<strong>des</strong> Totholz fördern; innere Wald-<br />
elementen und Randzonen ränder und Schneisen pflegen; Vegetations-<br />
grenzen und -übergänge fördern<br />
Struktur- und Komfort- Liegen<strong>des</strong> Totholz; Totholz liegen lassen; aufgestellte Wurzelteller<br />
elemente reichlich offene Sandba<strong>des</strong>tellen; nach Windwurf zulassen und Ameisenhaufen<br />
vorhanden Ameisenhaufen schonen
60 K. Bollmann et al., <strong>Kleinräumige</strong> <strong>Habitatnutzung</strong> <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> Ornithol. Beob.<br />
Dank. Die im Artikel genannten Untersuchungen<br />
profitierten von der Unterstützung zahlreicher Personen<br />
der kantonalen und regionalen Forstdienste und<br />
der Wildhut der Kantone St.Gallen, Graubünden und<br />
beider Appenzell. Ein besonderer Dank gebührt Batist<br />
Bischoff, Kurt Bleiker, Ueli Bühler, Rolf Ehrbar, Ricardo<br />
Engler, Hannes Jenny, Franz Rudmann und Robert<br />
Sommerhalder. Speziell bedanken möchten wir<br />
uns auch bei den Leitern der einzelnen Untersuchungen:<br />
Prof. Harald Bugmann, Prof. Klaus C. Ewald, Dr.<br />
Werner Suter und Prof. Robert Weibel.<br />
Zusammenfassung<br />
Das Auerhuhn besiedelt innerhalb seines Verbreitungsgebiets<br />
unterschiedliche ökologische Nischen,<br />
wobei die Nutzung <strong>des</strong> Lebensraums durch die<br />
Struktur und Zusammensetzung <strong>des</strong> einzelnen Waldbestands<br />
beeinflusst wird. Dies zeigt sich besonders<br />
in den Alpen, wo die klimatischen, orographischen<br />
und topographischen Unterschiede auf kleinem<br />
Raum dazu geführt haben, dass das Auerhuhn seit<br />
der letzten Eiszeit zahlreiche Waldgesellschaften besiedelt<br />
hat und verschiedene Nahrungspflanzen nutzt.<br />
Weil neben den natürlichen Umwelteigenschaften<br />
die forstliche Nutzung der Wälder einen weiteren<br />
grossen Einfluss auf die Struktur und Zusammensetzung<br />
der Waldbestände hat, haben wir in vier Diplomarbeiten<br />
die Habitatwahl <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong> in den<br />
Vor- und Zentralalpen untersucht und verglichen.<br />
Dabei zeigte sich, dass das Auerhuhn Waldbestände<br />
mit mittlerem Baumschichtdeckungsrad bevorzugt,<br />
die häufig von Schneisen durchbrochen sind und ein<br />
überdurchschnittliches Angebot an Strukturelementen<br />
aufweisen, die eine gute Deckung bieten. Eine<br />
gut entwickelte Bodenvegetation ist ebenfalls wichtig,<br />
wobei ihre Zusammensetzung deutliche regionale<br />
Unterschiede aufweisen kann. Eine ausserordentliche<br />
Bedeutung haben einzeln stehende, tiefbeastete<br />
Fichten im alpinen Lebensraum <strong>des</strong> <strong>Auerhuhns</strong>, die<br />
häufig als gedeckte Ruheplätze genutzt werden. Die<br />
genannten Eigenschaften von Auerhuhnlebensräumen<br />
sind typisch für alte Sukzessionsstadien <strong>des</strong><br />
Wal<strong>des</strong>. Dem Auerhuhn ist es aber grundsätzlich<br />
egal, ob die bevorzugte Bestandsstruktur durch eine<br />
ökologische Limitierung der Wuchsbedingungen,<br />
durch natürliche Extremereignisse wie Windwurf,<br />
Lawinen und Schneedruck oder durch ein gezieltes<br />
forstliches Lebensraummanagement erzeugt wird.<br />
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