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Das novellierte Arbeitszeitgesetz nach der Jaeger-Entscheidung des

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<strong>Das</strong> <strong>novellierte</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong><br />

<strong>nach</strong> <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> EuGH<br />

Von RA Dr. Christian Schlottfeldt, Berlin 1<br />

Einführung<br />

In <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> vom 09. September 2003 2 zur arbeitszeitrechtlichen Bewertung<br />

<strong>des</strong> in Deutschland typischen Bereitschaftsdienstmodells 3 hat <strong>der</strong> Europäische Gerichtshof<br />

Vorgaben für die europarechtskonforme Gestaltung <strong>des</strong> deutschen Arbeitszeitrechts gemacht.<br />

Der deutsche Gesetzgeber hat auf die <strong>Entscheidung</strong> unverzüglich reagiert und im Dezember<br />

2003 die zum 01. Januar 2004 in Kraft getretene Novelle <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es beschlossen.<br />

Dabei hat er allerdings für bestehende tarifvertragliche Regelungen eine Übergangsfrist bis<br />

längstens 31. Dezember 2005 eingeräumt. Der <strong>nach</strong>stehende Beitrag untersucht, inwieweit<br />

das <strong>novellierte</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> den europarechtlichen Anfor<strong>der</strong>ungen entspricht und erläutert,<br />

welche praktischen Konsequenzen sich aus <strong>der</strong> neuen Rechtslage ergeben.<br />

1. Arbeitszeitbegriff: Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit im Sinne <strong>der</strong> europäischen<br />

Arbeitszeitrichtlinie<br />

1.1 Der Begriff <strong>der</strong> „Arbeitszeit“ in <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH<br />

Der EuGH hat mit dem <strong>Jaeger</strong>-Urteil den in <strong>der</strong> SIMAP-<strong>Entscheidung</strong> 4 entwickelten Begriff<br />

<strong>der</strong> „Arbeitszeit“ nunmehr auch auf Deutschland übertragen. Er hat damit zugleich erneut<br />

nationalstaatlichen Spielräumen bei <strong>der</strong> Definition <strong>des</strong> Arbeitszeitbegriffs eine Absage erteilt.<br />

5 Die europäische Richtlinie über bestimmte Aspekte <strong>der</strong> Arbeitszeitgestaltung sei dahin<br />

auszulegen,<br />

„dass <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst, den ein Arzt in Form persönlicher Anwesenheit im Krankenhaus<br />

leistet, in vollem Umfang Arbeitszeit im Sinne dieser Richtlinie darstellt, auch<br />

wenn es dem Betroffenen in Zeiten, in denen er nicht in Anspruch genommen wird, gestattet<br />

ist, sich an seiner Arbeitsstelle auszuruhen, so dass die Richtlinie <strong>der</strong> Regelung eines<br />

Mitgliedstaats entgegensteht, <strong>nach</strong> <strong>der</strong> Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer während<br />

eines Bereitschaftsdienstes untätig ist, als Ruhezeit eingestuft werden.“ 6<br />

Die Übertragung <strong>der</strong> „SIMAP-Lehre“ auch auf den in Deutschland üblichen ärztlichen Bereitschaftsdienst<br />

in Krankenhäusern war vielfach erwartet worden. Bemerkenswert ist insoweit<br />

lediglich, dass <strong>der</strong> EuGH dem Umstand, dass <strong>der</strong> betroffene Arzt sich in den Zeiten <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes<br />

ohne Inanspruchnahme ausruhen und sogar schlafen konnte, keinerlei Be-<br />

1<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin und Kooperationspartner <strong>der</strong> Arbeitszeitberatung Dr. Hoff Weidinger<br />

Herrmann.<br />

2<br />

EuGH, Urt. v. 09.09.2003 (<strong>Jaeger</strong>) - Rs. C 151/02, ZESAR 2004, 38 ff; EuGRZ 203, 722 ff.; EuZW 2003 655<br />

ff.; EWS 2003, 470 ff.; RIW 2003, 873; BB 2003, 2063 ff.<br />

3<br />

Der Bereitschaftsdienst wird von Montag-Freitag in <strong>der</strong> Regel im Anschluss an einen meist achtstündigen Regeldienst<br />

bis zum nächsten Morgen geleistet; an den Tagen Samstag und Sonntag und an Feiertagen wird ausschließlich<br />

Bereitschaftsdienst (24 Stunden) geleistet.<br />

4<br />

EuGH, Urt. v. 03.10.2003, Slg. I, Bd. 2000 – 10 (A), Rechtssache C-303/98 (SIMAP). Kritisch zur Dogmatik<br />

<strong>des</strong> SIMAP-Urteils Schlottfeldt, ZESAR 2003, 144 ff. Zur Diskussion um die Übertragbarkeit <strong>des</strong> Urteils auf das<br />

deutsche Recht vgl. nur Tietje, NZA 2001, 144 und Rixen, EuZW 2001, 421.<br />

5<br />

Zustimmend insoweit Boerner/Boerner, ZESAR 2004, 48 (49).<br />

6<br />

EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), 1. Leits. bzw. Ziff. 44 ff. (ebd., S. 38 bzw. 43 ff.).<br />

1


deutung für die arbeitszeitrechtliche Bewertung solcher Ruhephasen zumaß. 7 Der EuGH hat<br />

insoweit an seinem „sozialen“ Ruhezeitbegriff festgehalten, indem er darauf abstellt, dass ein<br />

Arbeitnehmer, <strong>der</strong> sich (im Unterschied zum nur Rufbereitschaft leistenden Arbeitnehmer) an<br />

einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (hier: das Krankenhaus) aufhalten muss, erheblich<br />

stärkeren Einschränkungen unterliegt,<br />

„da er sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss und über<br />

die Zeit, in <strong>der</strong> er nicht in Anspruch genommen wird, weniger frei verfügen kann.“ 8<br />

Damit ist nunmehr klargestellt, dass auch solche Bereitschaftszeiten europarechtlich als Arbeitszeit<br />

zu bewerten sind, bei denen angesichts nur geringfügiger Inanspruchnahmen eine<br />

ausreichende physische Erholungsmöglichkeit besteht, wie dies zum Beispiel bei Betriebsfeuerwehren,<br />

aber auch in den sogenannten Funktionsdiensten <strong>der</strong> Krankenhäuser 9 häufig <strong>der</strong><br />

Fall ist. Nach <strong>der</strong> Argumentation <strong>des</strong> EuGH steht <strong>der</strong> Einordnung solcher Phasen als Ruhezeit<br />

auch hier <strong>der</strong> Umstand entgegen, dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer sich außerhalb seines familiären und<br />

sozialen Umfelds aufhalten muss.<br />

1.2 Neuer Arbeitszeitbegriff im deutschen Arbeitszeitrecht<br />

Mit <strong>der</strong> Novellierung <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es zum 01. Januar 2004 10 hat <strong>der</strong> deutsche Gesetzgeber<br />

den vom EuGH vorgegebenen Arbeitszeitbegriff in das deutsche Arbeitszeitrecht übernommen.<br />

Dabei hat <strong>der</strong> Gesetzgeber auf eine ausdrückliche Klarstellung allerdings verzichtet.<br />

Die Legaldefinition ist <strong>der</strong> Arbeitszeit ist - erstaunlicherweise - unverän<strong>der</strong>t geblieben. Gemäß<br />

§ 2 Abs. 1 ArbZG 11 ist Arbeitszeit <strong>nach</strong> wie vor die Zeit<br />

„vom Beginn bis zum Ende <strong>der</strong> Arbeit ohne die Ruhepausen...“.<br />

<strong>Das</strong>s nunmehr auch Zeiten <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes zur „Arbeit“ gehören, ergibt sich im <strong>novellierte</strong>n<br />

<strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es lediglich mittelbar und etwas versteckt aus den Vorschriften zur<br />

Abweichungen von den Grundnormen <strong>der</strong> Arbeitszeitgestaltung. Die Neubewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes<br />

(nunmehr Arbeitszeit statt Ruhezeit) wird daran deutlich, dass das <strong>Arbeitszeitgesetz</strong><br />

jetzt von <strong>der</strong> „Verlängerung <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit“ (!) durch Bereitschaftsdienst<br />

spricht 12 und Kürzungen <strong>der</strong> Ruhezeit nur noch durch Inanspruchnahmen während <strong>des</strong><br />

Rufbereitschaftsdienstes möglich sind. 13 Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst<br />

nicht (mehr) zur Ruhezeit zu rechnen ist.<br />

Als „Arbeit“ wurde <strong>nach</strong> herrschen<strong>der</strong> Meinung dabei bislang die arbeitsvertraglich geschuldete<br />

Tätigkeit <strong>des</strong> Arbeitnehmers angesehen. 14 Die Verpflichtung zur Ableistung von Bereitschaftsdiensten<br />

ist aber oft eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Vor dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

<strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> ist <strong>der</strong> arbeitszeitgesetzliche Begriff <strong>der</strong> „Arbeitszeit“ nunmehr neu zu<br />

7 EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 63 (ebd., S. 45).<br />

8 EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 65 (ebd., S. 45).<br />

9 Im Funktionsdienst ist insbeson<strong>der</strong>e das pflegerische Unterstützungspersonal für die Bereiche Anästhesie und<br />

OP tätig.<br />

10 Die Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es wurde im Zuge <strong>des</strong> Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt v.<br />

24.12.2003 umgesetzt; BGBl. I 2003 v. 30.12.2003, 3002 (3005/3006); vgl. auch BT-Ds. 15/1587 v. 25.09.2003.<br />

Über Hintergründe <strong>des</strong> Gesetzgebungsverfahrens informiert Bermig, in: BB 2004, 101.<br />

11 Soweit nicht beson<strong>der</strong>s vermerkt, beziehen sich die zitierten Vorschriften <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es auf die neue<br />

Fassung <strong>des</strong> Gesetzes (Stand 01. Januar 2004). Vorschriften <strong>des</strong> bis 31.12.2003 geltenden <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es<br />

sind durch einen entsprechenden Zusatz („a.F.“ = alte Fassung) gekennzeichnet.<br />

12 § 7 Abs. 1 Nr. 1a) ArbZG<br />

13 § 5 Abs. 3 ArbZG.<br />

14 Vgl. zum Begriff <strong>der</strong> Arbeitszeit Schlottfeldt, in: Ignor/Rixen (Hrsg.), Handbuch Arbeitsstrafrecht, 2002, Rz.<br />

783 ff.<br />

2


definieren. Als „Arbeit“ im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG ist daher nicht mehr nur die Erbringung<br />

<strong>der</strong> vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung anzusehen, son<strong>der</strong>n auch das Bereithalten<br />

an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Erbringung dieser Arbeitsleistung, unabhängig<br />

davon, ob diese in Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Haupt- o<strong>der</strong> Nebenleistungspflicht<br />

erfolgt.<br />

Angesichts <strong>des</strong> vom EuGH akzentuierten „sozialen“ Ruhezeitbegriffs, <strong>der</strong> auf die freie Verfügbarkeit<br />

<strong>der</strong> Ruhezeit für den Arbeitnehmer abstellt, stellt sich die Frage, ob nunmehr auch<br />

sonstige Zeiten, in denen <strong>der</strong> Arbeitnehmer zwar nicht aktiv tätig, jedoch gleichzeitig örtlich<br />

und zeitlich gebunden ist, nicht mehr als Ruhezeit angesehen werden können. Dies wäre insbeson<strong>der</strong>e<br />

für Reisezeiten und Zeiten <strong>des</strong> Aufenthalts an einem auswärtigen Dienstort zu überlegen,<br />

in denen eine dem Bereitschaftsdienst durchaus vergleichbare Beeinträchtigung <strong>der</strong><br />

Qualität <strong>der</strong> Ruhezeit (Entfernung vom familiären und sozialen Umfeld) vorliegt. Angesichts<br />

<strong>der</strong> Begrenzung <strong>des</strong> höchstzulässigen Arbeitszeitvolumens durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie<br />

hätte dies in einer zunehmend global verflochtenen Wirtschaft gravierende Auswirkungen<br />

auf fast alle Unternehmen. Aus den Gesetzesmaterialien <strong>des</strong> neuen Arbeitszeitbegriffs<br />

ist ein <strong>der</strong>art weiter Arbeitszeitbegriff (bzw. enger Ruhezeitbegriff) nicht zu entnehmen, so<br />

dass die Klärung dieser Frage voraussichtlich <strong>der</strong> Rechtsprechung überlassen bleiben wird.<br />

Gegen die Bewertung insbeson<strong>der</strong>e von Reisezeiten als Arbeitszeit spricht meines Erachtens,<br />

dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer zwar in seinem Aufenthalt beschränkt ist, sich während solcher Zeiten<br />

jedoch nicht zur Arbeitsleistung zur Verfügung halten muss und in stärkerem Maße als beim<br />

Bereitschaftsdienst persönliche Interessen verfolgen kann, etwa beim Genuss von Alkohol<br />

und Tabak.<br />

2. Verlängerung <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit durch Bereitschaftsdienst<br />

2.1 Die Vorgaben <strong>des</strong> EuGH<br />

Gegenstand <strong>des</strong> <strong>Jaeger</strong>-Verfahrens war nicht nur die Frage <strong>der</strong> Zuordnung reiner Bereitschaftszeiten<br />

zur Arbeitszeit o<strong>der</strong> Ruhezeit, son<strong>der</strong>n auch die im Ausgangsfall gegebene Form<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeitgestaltung <strong>der</strong> Koppelung von (Voll-)Arbeitszeit („Regeldienst“) und Bereitschaftsdienst<br />

bis zu einer Gesamtdauer von 24 Stunden o<strong>der</strong> länger.<br />

Hierzu stellte <strong>der</strong> EuGH klar, dass die Bewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im<br />

Sinne <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Gesamtdauer <strong>der</strong> täglichen<br />

Arbeitszeit (einschließlich Bereitschaftsdienst) auf 13 Stunden (24 Stunden ./. 11 Stunden<br />

Ruhezeit) begrenzt ist. 15 Denn in den von Art. 17 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie genannten Arbeitsbereichen<br />

und Tätigkeiten können die Mitgliedstaaten Ausnahmen auch vom Gebot <strong>der</strong><br />

Grundnorm <strong>der</strong> 11-stündigen Ruhezeit vorsehen. Zu diesen Ausnahmebereichen gehören unter<br />

an<strong>der</strong>em auch Krankenhäuser. 16 Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung folgt we<strong>der</strong><br />

aus „SIMAP“ noch aus „<strong>Jaeger</strong>“ eine europarechtliche Beschränkung <strong>der</strong> maximalen täglichen<br />

Dienstzeit (einschließlich Bereitschaftsdienst) auf 13 Stunden!<br />

Allerdings hat <strong>der</strong> EuGH insoweit Vorgaben für die Obergrenze <strong>der</strong> Arbeitszeitverlängerung<br />

gemacht, als er Grenzen für eine Verkürzung <strong>der</strong> täglichen Ruhezeit von 11 Stunden (die sich<br />

zwangsläufig bei Verlängerung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit über 13 Stunden - einschließlich <strong>der</strong><br />

Pausen - ergibt) aufgestellt hat. Der EuGH hält eine Kürzung <strong>der</strong> täglichen Ruhezeit von elf<br />

15 EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 72ff. (ebd., S. 46 ff.).<br />

16 Gemäß Art. 17 Abs. 3 lit i) sind Abweichungen von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 <strong>der</strong> Richtlinie zulässig in<br />

Aufnahme-, Behandlungs- und/o<strong>der</strong> Pflegediensten von Krankenhäusern o<strong>der</strong> ähnlichen Einrichtungen, einschließlich<br />

<strong>der</strong> Tätigkeiten von Ärzten in <strong>der</strong> Ausbildung, Heimen sowie Gefängnissen.<br />

3


zusammenhängenden Stunden durch Ableistung eines Bereitschaftsdienstes nur dann für<br />

richtlinienkonform,<br />

„wenn die Verlängerung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit, die die Mitgliedstaaten ... vornehmen<br />

können, indem sie die Dauer <strong>der</strong> dem Arbeitnehmer während eines gegebenen Arbeitstages<br />

gewährten Ruhepause, namentlich in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen,<br />

verkürzen, grundsätzlich durch die Gewährung gleichwertiger Ausgleichsruhezeiten<br />

ausgeglichen [wird], ... .“ 17<br />

Die Verkürzung <strong>der</strong> werktäglichen Ruhezeit 18 ist also nur innerhalb eines „gegebenen Arbeitstages“<br />

zulässig; die Dauer <strong>des</strong> Arbeitstages ist <strong>nach</strong> Art. 3 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie 19 mit<br />

24 Stunden anzusetzen. Daraus ergibt sich eine europarechtliche zulässige maximale tägliche<br />

Gesamtarbeitszeit (einschließlich Bereitschaftsdienst) von 24 Stunden. Die tägliche Ruhezeit<br />

von 11 Stunden kann also maximal bis auf „0“ Stunden verkürzt werden - bei längeren Arbeitszeiten<br />

könnte man auch begrifflich nicht mehr von einer „Verkürzung“ (!) <strong>der</strong> täglichen<br />

Ruhezeit sprechen.<br />

2.2 Tarifvertragliche Option <strong>der</strong> Arbeitszeitverlängerung im neuen ArbZG<br />

Auch im neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> sind Verlängerung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit über die (im<br />

deutschen Recht maßgebliche Grundnorm von höchstens 10 Stunden 20 hinaus möglich. Gemäß<br />

§ 7 Abs. 1 Nr. 1a) ArbZG kann<br />

„in einem Tarifvertrag o<strong>der</strong> auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- o<strong>der</strong><br />

Dienstvereinbarung ... zugelassen werden, ... die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich<br />

... zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang<br />

Arbeitsbereitschaft o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst fällt, ...“<br />

Eine entsprechende Option enthielt bereits das alte <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> für die Verlängerung <strong>der</strong><br />

Arbeitszeit bei Arbeitsbereitschaft. Dabei waren sogar ohne weiteres Verlängerung <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

ohne Ausgleich möglich. Diese Möglichkeit ist vom Gesetzgeber wohlweislich kassiert<br />

worden, da bei Bewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit die Arbeitsbereitschaft,<br />

die den Arbeitnehmer in <strong>der</strong> Regel stärker beansprucht, erst recht als Arbeitszeit angesehen<br />

werden muss. Von den insoweit ausstehenden Verfahren vor dem EuGH ist insoweit<br />

keine grundlegende Weiterentwicklung <strong>der</strong> europäischen Rechtsprechung zum Arbeitszeitbegriff<br />

zu erwarten.<br />

Die Option <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeitverlängerung bei Arbeitsbereitschaft ist infolge <strong>der</strong><br />

Zuordnung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes zur Arbeitszeit auf diese Arbeitsform ausgeweitet worden.<br />

In diesem Zusammenhang spielt es also auch im neuen Arbeitszeitrecht noch eine Rolle,<br />

ob ein Arbeitnehmer Voll-Arbeitszeit (volle Beanspruchung <strong>des</strong> Arbeitnehmers), Arbeitsbereitschaft<br />

(„wache Aufmerksamkeit im Zustand <strong>der</strong> Entspannung“) 21 o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst<br />

17<br />

EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 97 (ebd., S. 46/47).<br />

18<br />

Der vom EuGH verwendete Begriff <strong>der</strong> „Ruhepause“ ist an dieser Stelle irreführend; gemeint ist die Ruhezeit<br />

gemäß Art. 3 <strong>der</strong> Richtlinie.<br />

19<br />

Art. 3 EU-Arbeitszeitrichtlinie - Tägliche Ruhezeit: „Die Mitgliedstaaten treffen die erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen,<br />

damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Min<strong>des</strong>truhezeit von elf zusammenhängenden<br />

Stunden gewährt wird.“<br />

20<br />

§ 3 ArbZG: „Die werktägliche Arbeitszeit <strong>der</strong> Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann<br />

auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalen<strong>der</strong>monaten o<strong>der</strong> innerhalb von<br />

24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“<br />

21<br />

BAG DB 1986, 232.<br />

4


(Bereithalten an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen)<br />

22 leistet.<br />

Eine bestimmte Obergrenze <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit bei regelmäßigem<br />

Vorliegen erheblicher Anteile von Bereitschaftszeiten (Arbeitsbereitschaft o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst)<br />

wird vom Gesetz nicht bestimmt, so dass auch Arbeitszeitdauern von deutlich<br />

über 10 o<strong>der</strong> 13 Stunden/Tag möglich sind. Schon aus dem Begriff <strong>der</strong> „werktäglichen“<br />

Arbeitszeit ergibt sich aber, dass eine Verlängerung über den 24-stündigen Werktag hinaus,<br />

<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Arbeitsaufnahme <strong>des</strong> Arbeitnehmers beginnt („individueller Werktag“), nicht<br />

möglich ist. Die Begrenzung auf maximal 24 Stunden folgt zudem aus einer europarechtskonformen<br />

Auslegung <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es. 23 Eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber<br />

wäre hier hilfreich gewesen.<br />

Die Begrenzung <strong>der</strong> höchstzulässigen Dienstdauer auf 24 Stunden wird insbeson<strong>der</strong>e eine<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> für Krankenhäuser geltenden Tarifregelungen erfor<strong>der</strong>lich machen. Diese Regelungen<br />

sehen <strong>der</strong>zeit noch vor, dass <strong>nach</strong> Bereitschaftszeiten mit geringer Inanspruchnahme<br />

o<strong>der</strong> zur Sicherstellung <strong>der</strong> Patientenversorgung ein Weiterarbeiten im unmittelbaren Anschluss<br />

an den Bereitschaftsdienst zulässig ist. 24 Dies führt dazu, dass Bereitschaftsdienst leistende<br />

Arbeitnehmer in Krankenhäusern heutzutage in vielen Fällen bis zu 32 Stunden ununterbrochen<br />

im Dienst sind. Dies ist <strong>nach</strong> neuem Recht nicht mehr zulässig; entsprechende<br />

(Tarif-)Regelungen können allenfalls noch übergangsweise genutzt werden. 25<br />

Die Überschreitung einer werktäglichen Arbeitszeit von 10 Stunden/Tag ist im übrigen nur<br />

zulässig, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft<br />

o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst fällt. Eine Verlängerung <strong>der</strong> Voll-Arbeitszeit über 10 Stunden/Tag ist<br />

durch diese Ausnahmeklausel nicht gedeckt. 26 <strong>Das</strong> regelmäßige Vorliegen von Bereitschaftsdienst<br />

o<strong>der</strong> Arbeitsbereitschaft ist gegeben, wenn es für die Tätigkeit typisch ist und nicht nur<br />

in Ausnahmefällen vorliegt. Als erheblich gilt ein Anteil von min<strong>des</strong>tens 25% <strong>der</strong> Gesamtarbeitszeit.<br />

27 Daraus ergibt sich, dass zum Beispiel bei einer Verlängerung <strong>der</strong> Arbeitszeit einer<br />

Arbeitnehmers auf 12 Stunden/Tag regelmäßig min<strong>des</strong>tens 3 Stunden Arbeitsbereitschaft o<strong>der</strong><br />

Bereitschaftsdienst innerhalb einer solchen Arbeitsschicht vorliegen müssen; in den restlichen<br />

9 Stunden ist (mit Ausnahme <strong>der</strong> Ruhepausen) eine volle Inanspruchnahme <strong>des</strong> Arbeitnehmers<br />

zulässig.<br />

Die Phase <strong>der</strong> verringerten Beanspruchung während <strong>der</strong> Bereitschaftszeiten kann dabei in<br />

beliebiger Form in die (Gesamt-)Arbeitszeit integriert werden, also sowohl zu Beginn<br />

und/o<strong>der</strong> zu Ende als auch innerhalb <strong>der</strong> Arbeitsschicht. Es ist auch zulässig, dass sich Phasen<br />

<strong>der</strong> Voll-Arbeitszeit und Bereitschaft mehrfach innerhalb <strong>der</strong> Arbeitsschicht abwechseln solange<br />

insgesamt ein erheblicher Anteil an Bereitschaftszeit erreicht wird; dabei sollten die<br />

Bereitschaftsintervalle aber nicht kürzer als 10-15 Minuten sein.<br />

Innerhalb einer auf maximal 24 Stunden verlängerten (Gesamt-)Arbeitszeit dürfen jedoch<br />

höchstens 10 Stunden Voll-Arbeitszeit geplant sein, so dass im Umkehrschluss 24-Stunden-<br />

Dienste nur dann zulässig sind, wenn sie insgesamt min<strong>des</strong>tens 14 Stunden Bereitschaft ent-<br />

22<br />

Vgl. BAG NZA 1996, 1164.<br />

23<br />

Für eine Begrenzung <strong>der</strong> maximalen Dienstzeit auf 24 Stunden plädieren auch Boehmer/Boehmer, ebd., S. 50.<br />

24<br />

Vgl. dazu etwa die Regelungen <strong>der</strong> Nr. 8 <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>regelung 2c zu § 15 <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>-Angestellten-<br />

Tarifvertrages (BAT).<br />

25<br />

Zur Übergangsregelung <strong>des</strong> § 25 ArbZG vgl. <strong>nach</strong>stehend Ziff. 7.<br />

26<br />

Allerdings kann eine <strong>der</strong>artige Ausnahmebewilligung von <strong>der</strong> zuständigen Aufsichtsbehörde erteilt gemäß §<br />

15 ArbZG insbeson<strong>der</strong>e dann erteilt werden wenn dadurch zusätzliche Freischichten erreicht werden können.<br />

27<br />

Roggendorff, <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>, 1994, § 7, Rz. 36.<br />

5


halten. An<strong>der</strong>nfalls wäre es möglich, durch die Anordnung fiktiver Bereitschaftsdienste eine<br />

regelmäßige Verlängerung <strong>der</strong> Voll-Arbeitszeit auf über 10 Stunden/Tag zu ermöglichen.<br />

Dies kollidiert jedoch mit <strong>der</strong> Grundnorm <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeitgestaltung <strong>des</strong> § 3<br />

Satz 2 ArbZG.<br />

Voraussetzung <strong>der</strong> Überschreitung <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit von 10 Stunden/Tag ist stets<br />

eine entsprechende Regelung innerhalb eines wirksamen Tarifvertrages. Dies kann sowohl ein<br />

Flächentarifvertrag als auch ein Haustarifvertrag sein. Auch nicht-tarifgebundene Unternehmen<br />

können dabei Arbeitszeitregelungen in Tarifverträgen für sich nutzen. 28 Beson<strong>der</strong>e Vorkehrungen<br />

zum Gesundheitsschutz <strong>der</strong> Arbeitnehmer muss die Tarifregelung zur Verlängerung<br />

<strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit nicht enthalten. Es ist insoweit lediglich sicherzustellen,<br />

dass die gesetzlichen Vorgaben für Ruhepausen und Ruhezeiten eingehalten werden.<br />

3. Gewährung von (Ausgleichs-)Ruhezeiten <strong>nach</strong> verlängerter Arbeitszeit<br />

3.1. Vorgaben <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> EuGH<br />

Gemäß Art. 17 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie ist die Verkürzung <strong>der</strong> <strong>nach</strong> Art. 3 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie<br />

zu gewährenden Ruhezeit von 11 Stunden innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraumes in<br />

bestimmten Arbeitsbereichen nur dann möglich, wenn sichergestellt ist, dass den Arbeitnehmern<br />

gleichwertige Ausgleichsruhezeiten gewährt werden. Dabei macht die Arbeitszeitrichtlinie<br />

keine Angaben über die Lage dieser Ruhezeiten. In <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> hat <strong>der</strong><br />

EuGH nunmehr auch diesbezüglich entsprechende Vorgaben formuliert. Die Verkürzung <strong>der</strong><br />

täglichen Ruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden durch Ableistung eines Bereitschaftsdienstes<br />

erfülle nur dann die Voraussetzungen <strong>des</strong> Art. 17 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie,<br />

„ ... wenn den betroffenen Arbeitnehmern gleichwertige Ausgleichsruhezeiten im unmittelbaren<br />

Anschluss an die entsprechenden Arbeitsperioden gewährt werden; ... .“<br />

Dabei müsse sich <strong>der</strong> Arbeitnehmer, um sich tatsächlich ausruhen zu können, aus seiner Arbeitsumgebung<br />

zurückziehen können, um sich zu entspannen und sich von <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

seiner Aufgaben verbundenen Ermüdung zu erholen. An<strong>der</strong>nfalls (ohne unmittelbar<br />

anschließende Ruhezeit) drohe den betroffenen Arbeitnehmern eine Gefährdung ihrer Gesundheit<br />

und Sicherheit, da die Gefahr bestünde, dass unmittelbar folgenden Arbeitsschichten<br />

die körperlichen Fähigkeiten <strong>des</strong> Arbeitnehmers überstiegen. 29 Dabei kommt es <strong>nach</strong> Auffassung<br />

<strong>des</strong> EuGH auch an dieser Stelle nicht darauf an, ob eine tatsächliche (physische) Ermüdung<br />

überhaupt vorliegt - an <strong>der</strong> kann es fehlen, wenn im Bereitschaftsdienst infolge marginaler<br />

Inanspruchnahme faktisch durchgehend geruht werden kann. Der vom EuGH betonte Aspekt<br />

<strong>des</strong> Gesundheitsschutzes, <strong>der</strong> durch die unmittelbar anschließende Ruhezeit sichergestellt<br />

werden soll, kollidiert insoweit mit <strong>der</strong> im übrigen vom EuGH verfochtenen Lehre von <strong>der</strong><br />

„sozialen Ruhezeit“.<br />

3.2 Neue Ruhezeit-Regeln im ArbZG<br />

Der <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>geber hat die oben genannten Vorgaben <strong>des</strong> EuGH aufgegriffen und in §<br />

7 Abs. 9 ArbZG bestimmt, dass im unmittelbaren Anschluss an eine über 12 Stunden verlängerte<br />

Arbeitszeit eine Ruhezeit von min<strong>des</strong>tens elf Stunden zu gewähren ist. Damit wird klar-<br />

28 Voraussetzung dafür ist, dass solche Unternehmen sich im Geltungsbereich eines Tarifvertrages befinden, <strong>der</strong><br />

entsprechende Regelungen enthält und diese Regelungen durch Betriebs- o<strong>der</strong> Dienstvereinbarung übernehmen.<br />

Besteht kein Betriebsrat, so können solche Regelungen auch durch schriftliche Einzelvereinbarung zwischen<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer übernommen werden (§ 7 Abs. 3 ArbZG).<br />

29 EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 95/96 (ebd., S. 47).<br />

6


gestellt, dass die gesetzlichen und tariflichen Möglichkeiten <strong>der</strong> Ruhezeitverkürzung 30 insoweit<br />

nicht anwendbar sind. Faktisch entspricht <strong>der</strong> 12-Stunden-Wert <strong>der</strong> europarechtlich gebotenen<br />

Grenze <strong>der</strong> Überschreitung einer Gesamt-Arbeitszeit (einschließlich Pausen) von<br />

über 13 Stunden, da <strong>nach</strong> deutschem Arbeitszeitrecht bei einer werktäglichen Arbeitszeit von<br />

über 9 Stunden eine Pause von 45 Minuten zu gewähren ist, so dass bei einer Überschreitung<br />

<strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit von 12 Stunden (z. B. 12,5 Stunden) infolge <strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong><br />

Arbeitszeit zu gewährenden Pause die 11-stündige Ruhezeit verkürzt wird.<br />

Fraglich ist allerdings, ob die Ruhezeitvorschrift <strong>des</strong> § 7 Abs. 9 ArbZG <strong>der</strong> europarechtlichen<br />

Vorgabe <strong>des</strong> Art. 17 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie, <strong>nach</strong> <strong>der</strong> den von Ruhezeitverkürzungen Arbeitnehmern<br />

„gleichwertige Ausgleichsruhezeiten“ zu gewähren sind, gerecht wird. Der<br />

EuGH hatte insoweit bestimmt, dass die <strong>nach</strong> Verkürzung <strong>der</strong> Ruhezeit zu gewährenden Ausgleichsruhezeiten<br />

„... grundsätzlich durch die Gewährung gleichwertiger Ausgleichsruhezeiten ausgeglichen<br />

werden, die aus einer Anzahl zusammenhängen<strong>der</strong> Stunden entsprechend <strong>der</strong><br />

vorgenommenen Kürzung bestehen und die dem Arbeitnehmer gewährt werden müssen,<br />

bevor die folgende Arbeitsperiode beginnt.“ 31<br />

Dabei ging <strong>der</strong> EuGH nicht darauf ein, wie sich diese Ausgleichsruhezeit zu <strong>der</strong> zusätzlich zu<br />

gewährenden Ruhezeit <strong>des</strong> Folgetages verhält. Denn wenn <strong>nach</strong> einem 24-Stunden-Dienst<br />

zunächst 11 Stunden Ausgleichsruhezeit zu gewähren sind, so verbleiben innerhalb <strong>der</strong> 24-<br />

Stunden-Periode, die sich an das Ende <strong>des</strong> 24-Stunden-Dienstes anschließt, noch 13 Stunden,<br />

um die „neue“ Ruhezeit zu gewähren. Denn Arbeitnehmer haben für jeden 24-Stunden-<br />

Zeitraum Anspruch auf eine min<strong>des</strong>tens 11-stündige Ruhezeit. Beginnt <strong>nach</strong> 11 Stunden Ausgleichsruhezeit<br />

die nächste Arbeitsschicht, so führt dies zu einer Verkürzung <strong>der</strong> „neuen“ Ruhezeit,<br />

die unmittelbar im Anschluss an die neue Arbeitsschicht auszugleichen wäre. Müssten<br />

lediglich die Ruhezeitverkürzungen unmittelbar <strong>nach</strong> Ende <strong>der</strong> Arbeitszeit ausgeglichen werden,<br />

so wären auch Fallgestaltungen denkbar, bei denen infolge wie<strong>der</strong>holter verlängerter<br />

Arbeitszeiten „unter dem Strich“ weniger Ruhezeiten gewährt würden als bei (europarechtlich)<br />

„normalen“ Arbeitszeitlängen von bis zu 13 Stunden: Vorstellbar wäre ein Arbeitszeitmodell,<br />

das auf einen 24-Stunden-Dienst 11 Stunden Ruhezeit vorsieht, anschließend wie<strong>der</strong><br />

24 Stunden Dienst, 11 Stunden Ruhezeit, dann 24 Stunden Dienst usw.<br />

Die neue Ruhezeitvorschrift <strong>des</strong> § 7 Abs. 9 ArbZG ist daher den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> europäischen<br />

Arbeitszeitschutzes so auszulegen, dass verlängerte Arbeitszeiten keinesfalls zur Verkürzung<br />

<strong>der</strong> insgesamt zu gewährleistenden Ruhezeiten führen dürfen. Dabei darf das <strong>nach</strong><br />

Art. 3 und 5 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie zu gewährende Volumen <strong>der</strong> Ruhezeiten (11 Stunden<br />

pro 24-Stunden-Zeitraum und 24 Stunden innerhalb eines 7-Tage-Zeitraums) auch nicht durch<br />

(ggf. wie<strong>der</strong>holte) Verlängerungen <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit verkürzt werden. 32 Ferner darf<br />

wegen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Funktion <strong>der</strong> Ausgleichsruhezeit für den Gesundheitsschutz <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

33 während <strong>der</strong> Ausgleichsruhezeit in keiner Form beansprucht werden, so dass in<br />

dieser Phase auch keine Rufbereitschaft angeordnet darf, die potenziell zu einer Unterbrechung<br />

<strong>der</strong> Ruhezeit führen kann. 34<br />

30<br />

§§ 5 Abs. 1, 2 ArbZG bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG.<br />

31<br />

EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 97 (ebd., S. 47/48.)<br />

32<br />

Bei 16 Stunden Arbeitszeit also 3 Stunden Ausgleichsruhezeit plus 11 Stunden Ruhezeit = 14 Stunden Gesamtruhezeit.<br />

33<br />

EuGH - Rs. C 151/02 (<strong>Jaeger</strong>), Ziff. 94 ff. (ebd., S. 47).<br />

34<br />

Zutreffend Boehmer/Boehmer, ebd. (S. 50).<br />

7


4. Ausgleichszeitraum für die durchschnittlich einzuhaltende Wochenarbeitszeit<br />

und tarifvertragliche Verlängerungsoption<br />

4.1 Bezugszeiträume <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie<br />

Gemäß Artikel 17, 18 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie kann für die gemäß Art. 6 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie<br />

vorgeschriebene Einhaltung <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von<br />

48 Stunden/Woche im Rahmen nationaler Regelungen ein Bezugszeitraum vorgesehen werden,<br />

<strong>der</strong> von dem in Art. 16 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Bezugszeitraum (vier Monate)<br />

abweicht. Dabei dürfen gemäß Art. 19 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie Bezugszeiträume von<br />

höchstens zwölf Monaten Dauer vorgesehen werden.<br />

4.2 Tarifvertragliche Gestaltungsoptionen im neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong><br />

Der generelle Bezugszeitraum <strong>der</strong> im <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> festgelegten werktäglichen Höchstarbeitszeit<br />

von 8 Stunden/Tag beträgt <strong>nach</strong> wie vor grundsätzlich 24 Wochen o<strong>der</strong> sechs Kalen<strong>der</strong>monate<br />

35 ; er kann durch Tarifverträge verlängert werden. Bislang war insoweit keine Obergrenze<br />

vorgesehen. Nunmehr hat <strong>der</strong> Gesetzgeber in § 7 Abs. 8 ArbZG klargestellt, dass<br />

tarifvertragliche Verlängerungen von Ausgleichszeiträumen nicht dazu führen dürfen, dass<br />

eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden innerhalb von zwölf Monaten überschritten<br />

wird.<br />

Durch die Bezugnahme <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es auf eine - dem deutschen Arbeitszeitrecht<br />

bislang unbekannte - wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden ergibt sich „stillschweigend“<br />

die Möglichkeit <strong>der</strong> Erhöhung <strong>des</strong> innerhalb eines Jahres insgesamt zu leistenden Arbeitszeitvolumens.<br />

Denn bei einer lediglich auf die Wochenarbeitszeit abstellenden Betrachtung fallen<br />

die im Rahmen <strong>der</strong> auf Werktage ausgerichteten Berechnung <strong>des</strong> § 3 ArbZG zu berücksichtigenden<br />

Feiertage „unter den Tisch“. Bei einer Zahl von angenommen 10 Feiertagen, die innerhalb<br />

eines Jahres auf die Tage Montag bis Samstag fallen, macht dies immerhin ein Arbeitszeitvolumen<br />

von 80 Stunden pro Jahr aus, das allein infolge <strong>der</strong> tarifvertraglichen Vereinbarung<br />

eines von § 3 ArbZG abweichenden Ausgleichszeitraums genutzt werden kann;<br />

dies entspricht einer Erhöhung <strong>des</strong> arbeitszeitrechtlich zulässigen Jahresarbeitszeitvolumens<br />

um 3,6%. 36<br />

Der verfassungsrechtlich verankerte Sonn- und Feiertagsschutz wird durch die neue Berechnungsvariante<br />

nicht berührt, da Sonn- und Feiertage unabhängig vom zulässigen Gesamtvolumen<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeit grundsätzlich beschäftigungsfrei bleiben müssen. Allerdings begegnet<br />

die Vorschrift insofern verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie Unternehmen, die von tarifvertraglichen<br />

Regelungen Gebrauch machen können, ohne erkennbaren Sachgrund gegenüber<br />

an<strong>der</strong>en Unternehmen privilegiert, so dass sich insoweit ein Verstoß gegen <strong>der</strong> Gleichheitsgrundsatz<br />

(Art. 3 GG) ergibt.<br />

Der Ausgleichszeitraum für das maximale wöchentliche Arbeiszeitvolumen von 48 Stunden/Woche<br />

kann im übrigen auch für Nachtarbeitnehmer verlängert werden. Da Arbeitnehmer,<br />

die häufig Bereitschaftsdienst leisten, regelmäßig Nachtarbeitnehmer sind 37 , dürfte dieser<br />

Option in <strong>der</strong> Praxis beson<strong>der</strong>e Bedeutung zukommen.<br />

35<br />

Für Nachtarbeitnehmer gilt gemäß § 6 Abs. 2 ArbZG ein Ausgleichszeitraum von 4 Wochen o<strong>der</strong> 1 Kalen<strong>der</strong>monat.<br />

36<br />

Stellt man auf die 48-Stunden-Woche (ohne Feiertage) ab, so ergibt sich <strong>nach</strong> Abzug von 4 Wochen Min<strong>des</strong>turlaub<br />

ein jährliches Arbeitszeitvolumen von 48 1 /6 Wochen x 48h = 2312h; bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>nach</strong> § 3<br />

ArbZG sind es bei angenommen 10 Feiertagen MO-SA nur 2232h.<br />

37<br />

Vgl. dazu auch <strong>nach</strong>stehend Ziff. 3.8.<br />

8


[TEIL 2]<br />

5. Verlängerung <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden/Woche<br />

Im <strong>Jaeger</strong>-Urteil stellte <strong>der</strong> EuGH klar, dass die Verlängerung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit durch<br />

Bereitschaftsdienst nicht zur Überschreitung <strong>der</strong> in Artikel 6 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie festgesetzten<br />

Höchstdauer <strong>der</strong> wöchentlichen Arbeitszeit führen darf. 38 Die Umsetzung <strong>der</strong> 48-<br />

Stunden-Grenze hat dabei weitreichende Konsequenzen für die Arbeitszeitgestaltung aller<br />

Unternehmen bzw. Unternehmensbereiche, in denen die Arbeits(zeit)organisation wesentlich<br />

auf Arbeitsbereitschaft o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst aufbaut, wie dies insbeson<strong>der</strong>e in Krankenhäusern<br />

und bei Betriebsfeuerwehren und ähnlichen rund um die Uhr aufrecht zu erhaltenden<br />

Not(bereitschafts-)diensten <strong>der</strong> Fall ist.<br />

Die Brisanz <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> 48-Stunden-Grenze ist vielfach dargestellt worden. Zur Erläuterung<br />

sei hier daher nur kurz darauf verwiesen, dass in <strong>der</strong> betrieblichen Praxis <strong>der</strong> Krankenhäuser<br />

und Feuerwehren nicht selten Dienstzeiten <strong>der</strong> Arbeitnehmer von durchschnittlich 60-<br />

80 Stunden/Woche (einschließlich Bereitschaftszeiten) erreicht werden. Die Umsetzung <strong>der</strong><br />

48-Stunden-Grenze führt insoweit zu <strong>nach</strong>haltigen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeits(zeit)organisation<br />

(Einführung versetzter Dienste o<strong>der</strong> Schichtdienste im ärztlichen Bereich) und/o<strong>der</strong><br />

erheblicher Personalaufstockung, sofern ein Ausweichen auf an<strong>der</strong>e gesetzeskonforme Alternativen<br />

39 nicht möglich ist. Eine Überschreitung <strong>der</strong> 48-Stunden-Grenze kommt auch nicht<br />

auf Grundlage von Ausnahmebestimmungen für beson<strong>der</strong>e Fälle o<strong>der</strong> auf durch behördliche<br />

Bewilligung in Frage. 40<br />

5.1 Europarechtliche „opt-out“-Regelung<br />

Eine dauerhafte Überschreitung <strong>der</strong> Grenze <strong>der</strong> wöchentlichen Höchstarbeitszeit ist europarechtlich<br />

nur auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> sogenannten „opt-out“-Regelung möglich, die in Art. 22 41<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie verankert ist. Da<strong>nach</strong> ist einem Mitgliedstaat freigestellt, Artikel 6<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie (48-Stunden-Grenze) nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen<br />

Grundsätze <strong>der</strong> Sicherheit und <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes <strong>der</strong> Arbeitnehmer einhält und mit den<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen dafür sorgt, dass<br />

- kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, innerhalb <strong>des</strong> jeweils maßgeblichen<br />

Bezugszeitraumes mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu<br />

arbeiten, es sei denn <strong>der</strong> Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt;<br />

- keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit ist, eine solche<br />

Arbeit zu leisten;<br />

- <strong>der</strong> Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit<br />

leisten;<br />

- die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen<br />

<strong>der</strong> Sicherheit und/o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Schutzes <strong>der</strong> Gesundheit <strong>der</strong> Arbeitnehmer die Möglich-<br />

38<br />

EuGH, Urt. v. 09.09.2003 (<strong>Jaeger</strong>) - Rs. C 151/02, 2. Leits., 3. Spiegelstrich bzw. Ziff. 100 (ebd., S. 38 bzw. S.<br />

48).<br />

39<br />

Dies bezüglich kommt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> stärkere Einsatz von Rufbereitschaft o<strong>der</strong> das „outsourcen“ von Bereitschaftsdiensten<br />

(z. B. Übernahme durch Selbständige und Freiberufler) in Frage.<br />

40<br />

Dies ist nunmehr auch im <strong>novellierte</strong>n <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> klargestellt worden, vgl. §§ 14 Abs. 3, 15 Abs. 4<br />

ArbZG.<br />

41<br />

Die entsprechenden Bestimmungen finden sich in Art. 18 <strong>der</strong> Richtlinie 93/104/EG.<br />

9


keit zur Überschreitung <strong>der</strong> wöchentlichen Höchstarbeitszeit unterbinden o<strong>der</strong> einschränken<br />

können;<br />

- <strong>der</strong> Arbeitgeber die zuständigen Behörden auf Ersuchen darüber unterrichtet, welche<br />

Arbeitnehmer sich dazu bereit erklärt haben, im Durchschnitt <strong>des</strong> in Artikel 16 Buchstabe<br />

b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums<br />

zu arbeiten.<br />

5.2 Übernahme <strong>der</strong> opt-out-Regelung im neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong><br />

Mit <strong>der</strong> Novellierung <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es hat <strong>der</strong> deutsche Gesetzgeber nunmehr die Möglichkeit<br />

geschaffen, die „opt-out“-Regelung im Rahmen tarifvertraglicher Vereinbarungen<br />

anzuwenden. 42 Gemäß § 7 Abs. 2a bzw. Abs. 7 ArbZG kann<br />

„in einem Tarifvertrag o<strong>der</strong> auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- o<strong>der</strong><br />

Dienstvereinbarung ... abweichend von den §§ 3, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 zugelassen<br />

werden, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern,<br />

wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft<br />

o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst fällt und durch beson<strong>der</strong>e Regelungen sichergestellt<br />

wird, dass die Gesundheit <strong>der</strong> Arbeitnehmer nicht gefährdet wird.“<br />

(...)<br />

„Auf Grund einer Regelung <strong>nach</strong> Absatz 2a ... darf die Arbeitszeit nur verlängert werden,<br />

wenn <strong>der</strong> Arbeitnehmer schriftlich eingewilligt hat. Der Arbeitnehmer kann die<br />

Einwilligung mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich wi<strong>der</strong>rufen. Der Arbeitgeber<br />

darf einen Arbeitnehmer nicht be<strong>nach</strong>teiligen, weil dieser die Einwilligung zur Verlängerung<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeit nicht erklärt o<strong>der</strong> die Einwilligung wi<strong>der</strong>rufen hat.“<br />

5.2.1 Wahrung <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

Tarifvertragliche Regelungen zur Verlängerung <strong>der</strong> wöchentlichen Arbeitszeit müssen <strong>nach</strong><br />

den Vorgaben <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es Vorkehrungen zur Wahrung <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes<br />

beinhalten. Der Gesetzgeber hat insoweit keine bestimmten Vorkehrungen vorgeschrieben<br />

und lässt den Tarifparteien diesbezüglich weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sofern sich <strong>der</strong><br />

Tarifvertrag die Betriebsparteien ermächtigt, die Arbeitszeitverlängerung im Wege <strong>der</strong> Betriebs-<br />

o<strong>der</strong> Dienstvereinbarung zuzulassen, sind entsprechende Vorkehrungen auf betrieblicher<br />

Ebene zu treffen. Mit Blick auf die an an<strong>der</strong>er Stelle - <strong>der</strong> Nacht- und Schichtarbeit - im<br />

<strong>Arbeitszeitgesetz</strong> enthaltenen beson<strong>der</strong>en Vorkehrungen zum Gesundheitsschutz kommen<br />

hier insbeson<strong>der</strong>e folgende Maßnahmen in Betracht:<br />

- Die Vereinbarung <strong>des</strong> Rechts <strong>des</strong> Arbeitnehmers, sich in regelmäßigen Zeitabständen<br />

(z. B. jährlich) arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen;<br />

- Die Übernahme <strong>der</strong> Kosten <strong>der</strong> Untersuchungen durch den Arbeitgeber, sofern er die<br />

Untersuchungen nicht kostenlos durch einen Betriebsarzt o<strong>der</strong> einen überbetrieblichen<br />

Dienst von Betriebsärzten anbietet;<br />

42 Im Geltungsbereich eines Tarifvertrags können gemäß § 7 Abs. 3 ArbZG auch solche tarifvertraglichen Regelungen<br />

im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers durch Betriebs- o<strong>der</strong> Dienstvereinbarung o<strong>der</strong>, wenn<br />

ein Betriebs- o<strong>der</strong> Personalrat nicht besteht, durch schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem<br />

Arbeitnehmer übernommen werden.<br />

10


- Die Gewährung zusätzlicher bezahlter freier Tage o<strong>der</strong> von Zuschlägen für die oberhalb<br />

von durchschnittlich 48 Stunden/Woche geleisteten Arbeitsstunden.<br />

Im Interesse <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung einer effektiven Regeneration <strong>der</strong> Arbeitnehmer mit verlängerter<br />

Arbeitszeit könnten als Maßnahmen <strong>des</strong> Gesundheitsschutzes ferner vereinbart werden:<br />

- Die Gewährleistung mehrerer zusammenhängen<strong>der</strong> freier Tage in regelmäßigen Abständen;<br />

- Die Festlegung einer Obergrenze für die Verlängerung <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen<br />

Arbeitszeit; 43<br />

- Die Festlegung einer Obergrenze <strong>der</strong> zu leistenden Voll-Arbeitszeit innerhalb <strong>der</strong> Gesamt-Arbeitszeit;<br />

- Die Gewährung zusätzlicher Pausen innerhalb <strong>der</strong> (verlängerten) Arbeitszeit.<br />

5.2.2 Obergrenze <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit<br />

Eine bestimmte Obergrenze für die Verlängerung <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit<br />

hat das <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> nicht vorgesehen. Allerdings darf die Verlängerung <strong>der</strong><br />

wöchentlichen Arbeitszeit nicht zur Unterschreitung <strong>der</strong> gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten<br />

führen. Bei einer arbeitszeitrechtlich zulässigen 6-Tage-Woche und einer werktäglichen<br />

Ruhezeit von 11 Stunden ergibt sich eine maximale Arbeitszeit von 13 Stunden täglich<br />

bzw. 78 Stunden wöchentlich. Davon sind jedoch noch die gesetzlichen Ruhepausen abzuziehen.<br />

Infolge <strong>der</strong> zulässigen Verlängerung <strong>der</strong> werktäglichen Arbeitszeit auf über 13 Stunden 44<br />

kann es zu einer Verkürzung <strong>der</strong> Ruhezeiten kommen. Diese Verkürzungen sind <strong>nach</strong> den in<br />

<strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<strong>Entscheidung</strong> aufgestellten Grundsätzen auszugleichen. 45 Eine generelle Verkürzung<br />

<strong>der</strong> Ruhezeiten ohne Ausgleich wird durch die opt-out-Regelung nicht gedeckt, da diese<br />

nur Abweichungen von Art. 6 <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie, die den Umfang <strong>der</strong> durchschnittlichen<br />

wöchentlichen Höchstarbeitszeit regelt, zulässt.<br />

5.2.3 Individuelle Zustimmungserklärung <strong>des</strong> Arbeitnehmers<br />

Die Verlängerung <strong>der</strong> wöchentlichen Arbeitszeit kann nicht allein aufgrund einer tarifvertraglichen<br />

Regelung erreicht werden. Sie ist vielmehr nur dann arbeitzeitgesetzlich wirksam,<br />

wenn <strong>der</strong> Arbeitnehmer <strong>der</strong> Verlängerung individuell zugestimmt hat. Die Zustimmung<br />

muss wi<strong>der</strong>ruflich sein; die Wi<strong>der</strong>rufsfrist darf höchstens sechs Monate betragen; sie kann<br />

einvernehmlich verkürzt werden.<br />

Die Voraussetzung <strong>der</strong> individuellen Zustimmung bedeutet, dass diese nicht durch eine kollektivrechtliche<br />

Regelung (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung o<strong>der</strong> Regelungsabrede) ersetzt<br />

werden kann. In <strong>der</strong> Praxis sollte daher eine entsprechende Anlage zum Arbeitsvertrag genommen<br />

werden. Der Umfang <strong>der</strong> verlängerten Arbeitszeit gehört zu den <strong>nach</strong> § 2 Abs. 1 Nr.<br />

7 NachwG <strong>nach</strong>weispflichtigen Arbeitsbedingungen.<br />

5.2.4 Be<strong>nach</strong>teiligungsverbot bei verweigerter o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>rufener Zustimmung<br />

43<br />

Vgl. dazu <strong>nach</strong>stehend Ziff. 3.3.5.<br />

44<br />

Die werktägliche Arbeitszeit darf dabei höchstens auf 24 Stunden verlängert werden, vgl. dazu Ziff. 2.2.<br />

45<br />

Vgl. dazu Ziff. 3.2.<br />

11


Verweigert o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>ruft <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Arbeitszeitverlängerung betroffene Arbeitnehmer<br />

schriftlich die Zustimmung zur Verlängerung, darf er <strong>des</strong>halb nicht be<strong>nach</strong>teiligt werden. Als<br />

Be<strong>nach</strong>teiligung ist jede den Arbeitnehmer rechtlich o<strong>der</strong> faktisch zurücksetzende Maßnahme<br />

zu werten, die sich auf die Verweigerung o<strong>der</strong> den Wi<strong>der</strong>ruf zurückführen lässt. Als be<strong>nach</strong>teiligende<br />

Maßnahmen wären beispielsweise anzusehen:<br />

- Alle disziplinarischen arbeitsrechtlichen Maßnahmen (z. B. Abmahnung);<br />

- Jede Be<strong>nach</strong>teiligung bei beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten (Beför<strong>der</strong>ungen,<br />

Fortbildungen, Verlängerung befristeter Arbeitsverträge);<br />

- Der Ausschluss von Tantiemen o<strong>der</strong> Prämien, wenn diese zum Beispiel an Leistungsziele<br />

gekoppelt sind, die faktisch nur bei Verlängerung <strong>der</strong> wöchentlichen Arbeitszeit<br />

zu erreichen sind.<br />

5.2.5 Führung eines Verzeichnisses <strong>der</strong> betroffenen Arbeitnehmer<br />

Gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG ist <strong>der</strong> Arbeitgeber verpflichtet, ein Verzeichnis <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

zu führen, die in eine Verlängerung <strong>der</strong> Arbeitszeit eingewilligt haben. <strong>Das</strong> Verzeichnis muss<br />

nicht nur die aktuell von <strong>der</strong> Arbeitszeitverlängerung betroffenen Arbeitnehmer ausweisen.<br />

Da sämtliche Arbeitszeit<strong>nach</strong>weise zwei Jahre lang aufzubewahren sind, muss sich <strong>der</strong> arbeitszeitrechtliche<br />

Status <strong>der</strong> Arbeitnehmer gegebenenfalls auch noch zwei Jahre <strong>nach</strong> Beendigung<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeitverlängerung <strong>nach</strong>vollziehen lassen.<br />

6. Weitere Arbeitszeitrechtliche „Nebenwirkungen“ <strong>des</strong> neuen Arbeitszeitbegriffs<br />

Der vom EuGH vorgegebene Begriff <strong>der</strong> Arbeitszeit führt nicht nur dazu, dass die Bereitschaftszeiten<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Grenzen <strong>der</strong> Arbeitszeit nunmehr voll zu berücksichtigen sind.<br />

Darüber hinaus lassen sich noch weitere Konsequenzen erkennen:<br />

6.1 Nachtarbeitnehmer-Status <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst leistenden Arbeitnehmer<br />

Der vom deutschen Gesetzgeber übernommene „europäische“ Arbeitszeitbegriff hat Konsequenzen<br />

für den arbeitszeitrechtlichen Status <strong>der</strong> bereitschaftsdienstleistenden Ärzte und Mitarbeiter<br />

von Funktionsdiensten. Denn die Einordnung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit<br />

im Sinne <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es führt dazu, dass Bereitschaftszeiten zwischen 23 und 7 Uhr<br />

als Nachtarbeit gemäß § 2 Abs. 5 ArbZG anzusehen sind. Arbeitnehmer, die an min<strong>des</strong>tens 48<br />

Tagen im Kalen<strong>der</strong>jahr (Faustregel: „durchschnittlich einmal pro Woche Nachtarbeit“)<br />

Nachtdienst leisten, gelten demzufolge als Nacht-Arbeitnehmer mit den entsprechenden arbeitszeitrechtlichen<br />

Konsequenzen. Dazu gehört insbeson<strong>der</strong>e die Verpflichtung <strong>des</strong> Arbeitgebers,<br />

angemessene Zusatzfreizeit o<strong>der</strong> Nachtzuschläge zu gewähren 46 , sofern diesbezüglich<br />

keine tarifvertraglichen Regelungen bestehen. Für die Erfüllung dieser Ansprüche gelten keine<br />

Übergangsfristen, so dass Arbeitnehmer diese Rechte mit sofortiger Wirkung geltend machen<br />

können. <strong>Das</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgericht hat dabei in einer neueren <strong>Entscheidung</strong> einen Anspruch<br />

auf Nachtzuschlag in Höhe von ca. 25% pro Nachtarbeitsstunde für angemessen gehalten.<br />

47 Dieser Zuschlag kann, sofern keine entsprechende (tarif-)vertragliche o<strong>der</strong> betriebliche<br />

Regelung besteht, seit 01. Januar 2004 beansprucht werden.<br />

6.2 Aufsichts- und Kontrollermöglichungspflichten <strong>des</strong> Arbeitgebers<br />

Die Pflichten <strong>des</strong> Arbeitgebers, im Rahmen seiner Aufsichtspflicht für die Einhaltung <strong>des</strong><br />

Arbeitszeitschutzes zu sorgen und die Kontrolle <strong>des</strong> Arbeitszeitschutzes durch die Aufsichts-<br />

46 § 6 Abs. 5 ArbZG.<br />

47 BAG, Urt. v. 27.5.2003 - Az 9 AZR 180/02.<br />

12


ehörden zu ermöglichen (Kontrollermöglichungspflichten) - insbeson<strong>der</strong>e Aushang- und<br />

Aufzeichnungspflichten - sind durch das neue <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> im wesentlichen unverän<strong>der</strong>t<br />

geblieben.<br />

Durch den verän<strong>der</strong>ten Arbeitszeitbegriff (Bereitschaftsdienst = Arbeitszeit) ergeben sich jedoch<br />

auch Konsequenzen für die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten aufzuzeichnen.<br />

Durch die verän<strong>der</strong>te Bewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes müssen Arbeitszeiten (einschließlich<br />

Bereitschaftsdienst) oberhalb von 8 Stunden (Montag-Samstag) bzw. 0 Stunden (Sonntag<br />

und Feiertag) <strong>der</strong> Menge <strong>nach</strong> aufgezeichnet werden. Diese Aufzeichnungspflicht kann durch<br />

die Aufzeichnung <strong>der</strong> Arbeitszeit in Dienstplänen erfüllt werden, wobei Abweichungen von<br />

den dienstplanmäßigen Dienstzeiten ebenfalls aufzuzeichnen sind.<br />

Die Aufsichtsbehörde kann vom Arbeitgeber jedoch zusätzlich verlangen, dass die Voraussetzungen<br />

für tarifvertragliche Abweichungen vom <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> dargelegt werden. Dies<br />

betrifft insbeson<strong>der</strong>e den Grad <strong>der</strong> tatsächlichen Inanspruchnahme in Zeiten <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes,<br />

<strong>der</strong> <strong>nach</strong> den bisher üblichen tarifvertraglichen Regelungen durchschnittlich<br />

maximal 49% betragen darf.<br />

Zusätzliche Aufzeichnungspflichten (gegenüber dem früheren <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>) enthält das<br />

<strong>Arbeitszeitgesetz</strong> für den Fall, dass auf <strong>der</strong> Grundlage einer entsprechenden tarifvertraglichen<br />

Ermächtigung und individueller wi<strong>der</strong>ruflicher Erklärungen <strong>der</strong> betroffenen Arbeitnehmer die<br />

Grenze <strong>der</strong> wöchentlichen Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden/Woche überschritten<br />

wird. In diesem Fall ist ein Verzeichnis <strong>der</strong> betroffenen Arbeitnehmer zu führen. 48<br />

6.3 Einhaltung von Ruhepausen auch im Bereitschaftsdienst<br />

Da die für die tägliche Arbeitszeitgestaltung anwendbaren Vorschriften <strong>des</strong> Arbeitszeitschutzes<br />

in vollem Umfang auf den Bereitschaftsdienst anwendbar sind, muss die betriebliche Arbeitszeitgestaltung<br />

künftig Ruhepausen für die Bereitschaftsdienst leistenden Arbeitnehmer<br />

vorsehen. Dies führt insbeson<strong>der</strong>e dann zu Schwierigkeiten, wenn eine Ablösung <strong>des</strong> Bereitschaftshabenden<br />

durch an<strong>der</strong>e Arbeitnehmer nicht möglich ist. Kann sichergestellt werden,<br />

dass <strong>der</strong> bereitschaftshabende Arbeitnehmer über ausreichend lange Erholungsphasen innerhalb<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeit verfügt, so ist im Bereich <strong>der</strong> Behandlung. Pflege und Betreuung von<br />

Personen eine von <strong>der</strong> Grundnorm <strong>des</strong> § 4 ArbZG abweichende Pausengestaltung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

eine Aufenthaltsbeschränkung <strong>des</strong> Arbeitnehmers, auf <strong>der</strong> Grundlage von § 14 Abs. 2<br />

Nr. 2 ArbZG zulässig, wenn an<strong>der</strong>e Vorkehrungen (z. B. Einsetzung eines „Pausenspringers“)<br />

nicht zumutbar sind.<br />

7. Übergangsfrist für bestehende und <strong>nach</strong>wirkende Tarifverträge<br />

Gemäß § 25 ArbZG kann bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>des</strong> <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es von Übergangsregelungen<br />

für am 1. Januar 2004 bestehende o<strong>der</strong> <strong>nach</strong>wirkend Tarifverträge Gebrauch<br />

gemacht werden. Dies betrifft zum Beispiel die einschlägigen Regelungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>-<br />

Angestellten-Tarifvertrages (§ 15 BAT mit arbeitszeitbezogenen Son<strong>der</strong>regelungen), <strong>des</strong> Tarifvertrages<br />

für private Krankenanstalten und <strong>der</strong> vergleichbaren Regelungen <strong>der</strong> kirchlichen<br />

Einrichtungen. Diese Bestimmungen bleiben bis zur Ablösung durch eine tarifvertragliche<br />

Neuregelung in Kraft; längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2005.<br />

7.1 Vereinbarkeit <strong>der</strong> Übergangsregelung mit europäischem Recht<br />

Die Frage <strong>der</strong> Zulässigkeit einer solchen Übergangsfrist ist umstritten. <strong>Das</strong> europäische Recht<br />

sieht Übergangsfristen zur Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht nur <strong>nach</strong> dem In-<br />

48 Vgl. dazu oben Ziff. 5.2.5.<br />

13


krafttreten von Richtlinien vor; nicht aber zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften, <strong>der</strong>en<br />

Europarechtswidrigkeit erst infolge einer <strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> EuGH erkannt wurde. Selbst<br />

wenn man unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten Übergangsfristen auch in solchen Fällen<br />

für zulässig halten mag, so können diese nur dann einem Mitgliedstaat zu Gute kommen,<br />

wenn die Unvereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit europäischem Recht nicht<br />

von vornherein erkennbar war. Spätestens seit <strong>der</strong> SIMAP-<strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> EuGH bestand<br />

jedoch für den deutschen Gesetzgeber Anlass, die insoweit vergleichbaren Sachverhalte entsprechend<br />

den Vorgaben <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie in <strong>der</strong> Auslegung durch den Europäischen<br />

Gerichtshof neu zu regeln. Vor diesem Hintergrund ist die Übergangsregelung in § 25<br />

ArbZG selbst dann europarechtswidrig, wenn man an sich begrenzte Übergangsfristen zur<br />

Anpassung <strong>der</strong> nationalen Rechtslage an die Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH für unbedenklich<br />

hält. Die Europarechtswidrigkeit <strong>der</strong> Vorschrift än<strong>der</strong>t jedoch nichts an ihrer innerstaatlichen<br />

Wirksamkeit. Allerdings sind die für staatliche Unternehmen geltenden beson<strong>der</strong>en Regeln zu<br />

beachten.<br />

7.2 Reichweite <strong>der</strong> Übergangsregelung<br />

Von <strong>der</strong> Übergangsregelung erfasst sind die tarifvertragliche Regelungen, die den in § 7 Abs.<br />

1 o<strong>der</strong> 2 o<strong>der</strong> § 12 Satz 1 ArbZG festgelegten Höchstrahmen überschreiten. § 7 Abs. 1 und 2<br />

ArbZG lassen insbeson<strong>der</strong>e Abweichungen von den Vorschriften über die tägliche Höchstarbeitszeit,<br />

die Höchstarbeitszeit innerhalb von Ausgleichszeiträumen („48-Stunden-Grenze“),<br />

Ruhepausen und Ruhezeiten zu.<br />

Allerdings enthalten diese Vorschriften (§ 7 Abs. 1 und 2 ArbZG) keinen konkreten Höchstrahmen<br />

für tarifvertragliche Abweichungen, son<strong>der</strong>n nennen nur die Vorschriften, von denen<br />

bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z. B. Vorliegen eines erheblichen Anteils von<br />

Arbeitsbereitschaft o<strong>der</strong> Bereitschaftsdienst bei Verlängerung <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit über<br />

10 Stunden hinaus) auf <strong>der</strong> Grundlage tariflicher Regelungen abgewichen werden kann. Einen<br />

konkreten Höchstrahmen für einzelne tarifvertragliche Abweichungen enthält lediglich <strong>der</strong><br />

ebenfalls in § 25 ArbZG erwähnte § 12 Satz 1 ArbZG, <strong>der</strong> sich jedoch nicht mit <strong>der</strong> Höchstarbeitszeit,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Sonn- und Feiertagsbeschäftigung.<br />

Die in § 25 ArbZG formulierte Bezugnahme auf einen in § 7 Abs. 1, 2 ArbZG genannten<br />

„Höchstrahmen“ läuft also hinsichtlich <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Höchstarbeitszeit her leer - die Vorschrift<br />

ist sprachlich verunglückt. Gemeint ist offenbar, dass diejenigen tarifvertraglichen Regelungen,<br />

die von den in § 7 Abs. 1 u. 2 ArbZG genannten einschlägigen arbeitszeitgesetzlichen<br />

Bestimmungen (insb. §§ 3, 4, 5 ArbZG) abweichen, auch dann vorläufig in Kraft bleiben,<br />

wenn die in § 7 Abs. 1 u. 2 ArbZG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen (weil z.<br />

B. <strong>der</strong> von § 7 Abs. 2 ArbZG gefor<strong>der</strong>te Gesundheitsschutz durch einen entsprechenden Zeitausgleich<br />

bei Bewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit nicht gewährleistet ist).<br />

Damit profitieren grundsätzlich alle bisher zulässigen tarifvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeitverlängerung<br />

von dieser Übergangsregelung.<br />

Die - etwa vom Marburger Bund vertretene - abweichende Auffassung, wo<strong>nach</strong> unabhängig<br />

von bestehenden o<strong>der</strong> <strong>nach</strong>wirkenden Tarifverträgen bereits mit Inkrafttreten <strong>des</strong> neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong>es<br />

(1. Januar 2004) in jedem Fall die Höchstgrenze <strong>der</strong> durchschnittlichen wöchentlichen<br />

Arbeitszeit von 48 Stunden/Woche einzuhalten ist, entspricht dagegen nicht <strong>der</strong><br />

Rechtslage. Denn die in § 25 ArbZG normierte Übergangsvorschrift nimmt über den Verweis<br />

auf § 7 Abs. 1 u. 2 ArbZG auf sämtliche Vorschriften <strong>des</strong> § 3 ArbZG Bezug - und nicht etwa<br />

nur auf die Grenze <strong>der</strong> täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden. Damit werden auch die Tarifvorschriften<br />

in die Übergangsregelung einbezogen, die bei Bewertung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes<br />

als Arbeitszeit Überschreitungen <strong>der</strong> durchschnittlich einzuhaltenden werktäglichen Ar-<br />

14


eitszeit von 8 Stunden (bzw. 48 Stunden/Woche) zulassen. Dafür spricht auch <strong>der</strong> Wille <strong>des</strong><br />

Gesetzgebers, den betroffenen Einrichtungen eine ausreichende Zeit für die Umstellung <strong>der</strong><br />

Arbeits(zeit)organisation zu gewähren. Wäre aber die 48-Stunden-Grenze sofort anwendbar,<br />

würde dies den Zweck <strong>der</strong> Übergangsvorschrift in Frage stellen, da bei Beibehaltung <strong>der</strong> traditionellen<br />

Arbeitszeitmodelle mit sofortiger Wirkung erhebliche Personalaufstockungen o<strong>der</strong><br />

tiefgreifende Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeits(zeit)organisation erfor<strong>der</strong>lich wären. Systematik und<br />

Zweck <strong>der</strong> Übergangsregelung sprechen daher für eine Auslegung, die innerhalb <strong>der</strong> Übergangsfrist<br />

auch die Tarifregelungen weitergelten lässt, <strong>der</strong>en Anwendung bei voller Bewertung<br />

<strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit zur Überschreitung einer durchschnittlichen wöchentlichen<br />

Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche führt.<br />

Im Ergebnis bleiben daher - unbeschadet <strong>der</strong> Europarechtswidrigkeit <strong>der</strong> gesamten Übergangsregelung<br />

- alle Arbeitszeitgestaltungen zulässig, die zumin<strong>des</strong>t die Voraussetzungen <strong>der</strong><br />

jeweiligen bisherigen tarifvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung erfüllen. Dies<br />

gilt auch für die Tarifregelungen <strong>des</strong> Fahrpersonals, für die die Fahrpersonalrichtlinie <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union erst 2005 umzusetzen ist. 49<br />

8. Individualrechtlicher Anspruch auf Einhaltung <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie von<br />

Arbeitnehmern in staatlichen Unternehmen<br />

Für staatliche Unternehmen gelten die vom <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> vorgesehenen Übergangsfristen<br />

nur bedingt. Denn <strong>nach</strong> ständiger Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofes kann sich<br />

ein Mitgliedstaat <strong>der</strong> EU gegenüber seinen Bürgern nicht darauf berufen, dass er eine Richtlinie<br />

nicht fristgerecht in das nationale umgesetzt hat; in dieser Hinsicht ist also ein unmittelbare<br />

Wirkung jedenfalls <strong>der</strong> Vorschriften einer Richtlinie anzunehmen, die hinreichend bestimmt<br />

sind. 50 Dies ist in Bezug auf die Arbeitszeitrichtlinie auch bereits vor <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<br />

<strong>Entscheidung</strong> vom Bun<strong>des</strong>arbeitsgericht bestätigt worden. Gemäß einem Urteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgerichts<br />

vom 5. Juni 2003 51 haben Arbeitnehmer in staatlichen Unternehmen gegenüber<br />

ihrem Arbeitgeber einen individualrechtlichen Anspruch auf Einhaltung <strong>der</strong> EU-<br />

Arbeitszeitrichtlinie, da <strong>der</strong> staatliche Arbeitgeber sich gegenüber seinen Arbeitnehmern nicht<br />

darauf berufen kann, dass <strong>der</strong> nationale Gesetzgeber europäisches Recht nicht in nationales<br />

Recht umgesetzt hat - wie es hinsichtlich <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie <strong>der</strong> Fall war und für<br />

bestehende und <strong>nach</strong>wirkende Tarifverträge immer noch <strong>der</strong> Fall ist.<br />

Dabei mag man staatliche Unternehmen wegen <strong>der</strong> umfassenden Bindung aller staatlichen<br />

Gewalt an Recht und Gesetz (Art. 20 GG) auch unabhängig von <strong>der</strong> Durchsetzung individualarbeitsrechtlicher<br />

Ansprüche für verpflichtet halten, eine den europarechtlichen Vorgaben<br />

entsprechende Arbeitszeitgestaltung umzusetzen. 52 Faktisch kann dies jedoch nur über die<br />

Durchsetzung individueller Ansprüche o<strong>der</strong> im Wege <strong>der</strong> erzwingbaren Mitbestimmung von<br />

Betriebs- und Personalräten in Arbeitszeitfragen erfolgen, da die Aufsichtsbehörden lediglich<br />

Abweichungen vom innerstaatlichen Recht (dem <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> in seiner jeweils geltenden<br />

Fassung), nicht aber von Richtlinien <strong>der</strong> Europäischen Union sanktionieren können.<br />

Sofern ein Arbeitnehmer einen solchen Anspruch geltend macht, ist zunächst im Einzelfall zu<br />

prüfen, inwieweit die Bestimmungen <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie für diesen Arbeitnehmer<br />

überhaupt anwendbar sind. Voraussetzung <strong>des</strong> Anspruchs ist nämlich, dass <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

in den Geltungsbereich <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie einbezogen ist. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie<br />

gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer; ausgenommen sind in <strong>der</strong> Ursprungsrichtlinie<br />

49 Näher dazu Bermig, BB 2004, 105.<br />

50 Vgl. nur EuGH, Rs. 152/84 - Marshall, Slg. 1986, 723 (749).<br />

51 BAG, Urt. v. 5. Juni 2003 - Az.: 1 ABR 2/03.<br />

52 So Bermig, BB 2004, 102.<br />

15


(93/104/EG) jedoch die Arbeitnehmer, die „Ärzte in Ausbildung“ sind. Diese werden erst<br />

durch die Richtlinie 2000/34/EG ab August 2004 in den Geltungsbereich <strong>des</strong> europäischen<br />

Arbeitszeitschutzes einbezogen. Bis dahin gilt <strong>der</strong> europäische Arbeitszeitschutz für Ärzte in<br />

Ausbildung also (noch) nicht.<br />

Als „Ärzte in Ausbildung“ werden gemäß einer Stellungnahme <strong>des</strong> Wirtschafts- und Sozialausschusses<br />

zur EU-Arbeitszeitrichtlinie die Ärzte bezeichnet, die<br />

„... sich <strong>nach</strong> ihrer Erstausbildung einer spezialisierten o<strong>der</strong> spezifischen (beruflichen)<br />

Ausbildung unterziehen und gleichzeitig als Teil dieser Ausbildung Aufgaben in einer<br />

Abteilung übernehmen, in <strong>der</strong> dies <strong>nach</strong> <strong>der</strong> nationalen Gesetzgebung erfor<strong>der</strong>lich ist,<br />

um die Anerkennung o<strong>der</strong> Zulassung als Facharzt o<strong>der</strong> in einer sonstigen Berufsgruppe<br />

zu erhalten.“ 53<br />

Für die Einbeziehung <strong>der</strong> Ärzte in Ausbildung in den europäischen Arbeitszeitschutz gelten<br />

Übergangsfristen. 54 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass <strong>nach</strong> Ablauf <strong>der</strong> im neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong><br />

vorgesehenen Übergangsfristen die arbeitszeitschutzrechtlichen Grenzen für<br />

alle Arbeitnehmer einzuhalten sind; <strong>der</strong> Status eines Arztes spielt dann keine Rolle mehr.<br />

Sofern ein Mitarbeiter als nicht (mehr) in Ausbildung befindlicher Arzt o<strong>der</strong> als Mitarbeiter<br />

<strong>des</strong> medizinischen Pflege- und Funktionspersonals in den Geltungsbereich <strong>der</strong> EU-<br />

Arbeitszeitrichtlinie einbezogen ist, kann er von seinem (staatlichen) Arbeitgeber ab sofort<br />

eine europarechtskonforme Arbeitszeitgestaltung entsprechend den Grundsätzen <strong>der</strong> <strong>Jaeger</strong>-<br />

<strong>Entscheidung</strong> <strong>des</strong> EuGH (volle Anrechnung von Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit; Einhaltung<br />

<strong>der</strong> 48-Stunden-Grenze) verlangen.<br />

9. Ausblick: Mögliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rechtslage auf europäischer Ebene<br />

Zwischenzeitlich ist vor dem Hintergrund <strong>der</strong> oben genannten Urteile <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofes<br />

zur arbeitszeitschutzrechtlichen Einordnung <strong>des</strong> Bereitschaftsdienstes seitens <strong>der</strong><br />

EU-Kommission ein Verfahren zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie eingeleitet worden.<br />

55 Im Rahmen eines sogenannten Konsultationsverfahrens haben die Mitgliedstaaten, europäischen<br />

Institutionen und betroffenen Organisationen Gelegenheit, bis Ende März 2004<br />

ihre Auffassungen zu einer Novellierung <strong>der</strong> Richtlinie darzulegen. <strong>Das</strong> Konsultationsverfahren<br />

verfolgt folgende Ziele:<br />

- Analyse <strong>der</strong> Umsetzung nationaler opt-out-Regelungen und Abweichungen von Bezugszeiträumen<br />

<strong>der</strong> höchstzulässigen Arbeitszeit;<br />

- Analyse <strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> neuesten Rechtsprechung zu arbeitszeitrechtlichen<br />

Bewertung von Bereitschaftsdiensten;<br />

53 Stellungnahme <strong>des</strong> Wirtschafts- und Sozialausschusses u. a. zu dem „Vorschlag für Richtlinien <strong>des</strong> Rates zur<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte <strong>der</strong> Arbeitszeitgestaltung<br />

in den Sektoren und Tätigkeitsbereichen, die von dieser Richtlinie ausgeschlossen sind“, in: Amtsbl. <strong>der</strong> Europ.<br />

Gemeinschaften v. 18.05.1999, C 138/39, Ziff. 3.8.1.<br />

54 So können Ärzte in Ausbildung bis zum 31.07.2007 mit durchschnittlich bis zu 58h/Woche; bis zum<br />

31.07.2009 mit durchschnittlich bis zu 56h/Woche und längstens bis zum 31.07.2011 mit durchschnittlich bis zu<br />

52h/Woche beschäftigt werden. Diese Werte sind zunächst nur im Durchschnitt von bis zu 12 Monaten zu erreichen<br />

(ab 1.08.2007 im Durchschnitt von 6 Monaten). Erst <strong>nach</strong> Ablauf <strong>der</strong> oben genannten Übergangsfristen gilt<br />

auch für die Ärzte in Ausbildung die allgemeine 48h-Woche gemäß Art. 6 <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie.<br />

55 Informationen zum Stand <strong>des</strong> Verfahrens können unter folgen<strong>der</strong> Internet-Adresse abgerufen werden:<br />

http://europa.eu.int/comm/employment_social/labour_law/documentation_de.htm#22.%20%20ARBEITSZEIT .<br />

16


- Konsultation interessierter Parteien zu möglichen zukünftigen Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Richtlinie.<br />

56<br />

Wann und inwieweit es zu Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Richtlinie kommen wird, ist <strong>der</strong>zeit nicht absehbar.<br />

Welche begrifflichen Voraussetzungen und arbeitszeitschutzrechtlichen Grenzen künftig<br />

geschaffen werden, ist zur Zeit ebenso ungewiss wie die Frage, ob etwa auch die Rufbereitschaft<br />

darin einbezogen würde. 57 Eventuelle Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> EU-Arbeitszeitrichtlinie, die zu<br />

einer Abweichung von dem vom EuGH vertretenen Arbeitszeitbegriff führen würden, hätten<br />

jedoch zunächst keine Auswirkungen auf die deutsche Rechtslage. Denn <strong>der</strong> deutsche Gesetzgeber<br />

hat mit dem neuen <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> den Bereitschaftsdienst nunmehr klar <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

zugeordnet. Auch wenn dies <strong>nach</strong> einer möglichen Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Arbeitszeitrichtlinie<br />

nicht mehr zwingend geboten sein sollte, so bliebe die das deutsche <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> als<br />

eine für den Schutz <strong>der</strong> Arbeitnehmer günstigere Regelung mit EU-Recht vereinbar. Der deutsche<br />

Gesetzgeber müsste für die Übernahme einer solchen eventuellen Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> EU-<br />

Arbeitszeitrichtlinie wie<strong>der</strong>um das <strong>Arbeitszeitgesetz</strong> än<strong>der</strong>n. An<strong>der</strong>nfalls wird das zum 1.<br />

Januar 2004 in Kraft getretene Recht spätestens mit Ablauf <strong>des</strong> 31. Dezember 2005 auch für<br />

die Betriebe wirksam, die sich bis dahin noch auf die Übergangsregelung für bestehende o<strong>der</strong><br />

<strong>nach</strong>wirkende Tarifverträge berufen können.<br />

Aus heutiger Sicht erscheinen folgende Eckpunkte eines <strong>novellierte</strong>n europäischen Arbeitszeitschutzes<br />

sinnvoll:<br />

- Der Arbeitszeitbegriff <strong>der</strong> Richtlinie sollte stärker differenziert werden. Dabei sollte<br />

einerseits zwischen Phasen unterschiedlicher Belastungsintensität innerhalb <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

(Voll-Arbeitszeit vs. Bereitschaft) und an<strong>der</strong>erseits zwischen Phasen bedingter<br />

und gänzlich fehlen<strong>der</strong> Inanspruchnahme innerhalb <strong>der</strong> Ruhezeit (Rufbereitschaft<br />

vs. „echte“ Freizeit) unterschieden werden. Im Hinblick auf <strong>der</strong>art abgestufte Intensitäten<br />

<strong>der</strong> Belastung <strong>des</strong> Arbeitnehmers könnten differenzierte Normen für Arbeitszeiten,<br />

Pausen und Ruhezeiten entwickelt werden.<br />

- Eine Anhebung <strong>der</strong> Grenze <strong>der</strong> wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden/Woche für<br />

ausschließlich o<strong>der</strong> in hohem Maße „nur“ Bereitschaftsdienst leistende Arbeitnehmer<br />

wäre wegen <strong>der</strong> insgesamt geringeren Belastung, die <strong>der</strong> Bereitschaftsdienst bedeutet,<br />

geboten. Im Gegenzug sollte die „opt-out“-Regelung entfallen, da sie ein Einfallstor<br />

für die Aushöhlung <strong>des</strong> europäischen Arbeitszeitschutzes darstellt. 58<br />

- Der vom EuGH immer wie<strong>der</strong> betonte Gesichtspunkt ausreichen<strong>der</strong> „sozialer Ruhezeiten“<br />

könnte dadurch umgesetzt werden, dass ein Min<strong>des</strong>tmaß an Zeiten bestimmt<br />

wird, in denen <strong>der</strong> Arbeitnehmer in keiner denkbaren Form - also etwa auch nicht<br />

durch Reisezeiten o<strong>der</strong> Rufbereitschaft - vom Arbeitgeber beansprucht werden darf.<br />

56 Mitteilung IP/04/1 <strong>der</strong> Europäischen Kommission v. 5. Januar 2004.<br />

57 Entsprechende Überlegungen sind auf europäischer Ebene bereits im Zuge <strong>des</strong> SIMAP-Urteils vom Generalanwalt<br />

<strong>des</strong> EuGH, Saggio, angestellt worden, vgl. Slg. I, Bd. 2000 – 10 (A), Rechtssache C-303/98 (SIMAP), I-<br />

7984. Ausführlich dazu Schlottfeldt, ZESAR 2003, 144 (146 f.)<br />

58 Auf diese Gefahr macht auch Reim, DB 2004, 186 (190), aufmerksam.<br />

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