Mitteilungen DMG 01 / 2011 - Deutsche Meteorologische ...
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diskutabel<br />
Botschaft anzugreifen, um den menschlichen Einfluss<br />
auf den Klimawandel zu leugnen, wandten sich seine<br />
Kritiker nicht mehr unmittelbar gegen politische Maßnahmen<br />
selbst, sondern versuchten, deren wissenschaftliches<br />
Fundament zu untergraben und damit die wissenschaftliche<br />
Rückendeckung der Klimaschutzpolitik<br />
auszuhöhlen.<br />
Die Gegner des IPCC verfolgten damit das Ziel, die<br />
Diskussion von der Politik in die Wissenschaft zurückzuverlagern,<br />
um politische Entscheidungen mit gravierenden<br />
Folgen in den betroffenen Sektoren wie Verkehr<br />
und Energie zu verhindern. Indem der IPCC nun versuchte,<br />
den eindeutigen wissenschaftlichen Nachweis<br />
zu erbringen, dass der Klimawandel menschliche Ursachen<br />
hat und bereits stattfindet, ließ er sich auf die Logik<br />
seiner Gegner ein. Zumindest in den angelsächsischen<br />
Ländern und in der internationalen Politik führte dies zu<br />
einer Stellvertreterkontroverse, da die Diskussion um<br />
Klimapolitik nicht mehr in der Politik selbst, sondern<br />
an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik<br />
ausgetragen wurde.<br />
Allerdings führten die Angriffe der "Händler des<br />
Zweifels" nicht zu einem Autoritätsverlust von Wissenschaft.<br />
Stattdessen trugen sie dazu bei, die Aufmerksamkeit<br />
auf den IPCC zu lenken und diesem mehr<br />
Gewicht zu verleihen, als dieser ohne ihre Angriffe faktisch<br />
gewonnen hätte. Damit kristallisierte sich das Muster<br />
der ursprünglich politischen Kontroverse um den<br />
Klimawandel heraus: Die politische Diskussion, wie<br />
unter Bedingungen wissenschaftlicher Unsicherheit gehandelt<br />
werden soll, wurde als eine wissenschaftliche<br />
Kontroverse um die Evidenz des anthropogenen Klimawandels<br />
ausgetragen. Alle Parteien handelten so, als ob<br />
die Politik in der Wissenschaft entschieden werde.[13]<br />
Verteidigungsstrategie des IPCC: Wissenschaftliche<br />
Expertise im demokratischen Konsens<br />
Dass diese frühen Angriffe Anfang der 1990er Jahre<br />
nicht zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Klimaforschung<br />
geführt haben, ist maßgeblich auf die Anstrengungen<br />
des Weltklimarats zurückzuführen. Um<br />
einem möglichen Autoritätsverlust von Wissenschaft<br />
entgegenzuwirken, beschloss der IPCC, wissenschaftliche<br />
Expertisen im demokratischen Konsens vorzulegen.<br />
Das heißt, er versuchte, die Lehren aus früheren<br />
Kontroversen (wie etwa um die Kernenergie) zu ziehen,<br />
während der sich Experten permanent widersprochen<br />
hatten, und durch die Bildung eines Wissensmonopols<br />
die Zufuhr von Expertisen in den politischen Prozess<br />
zu verknappen. Auf diese Weise sollte die Definitionsmacht<br />
und Deutungshoheit von Forschung hergestellt<br />
und der IPCC in die Lage versetzt werden, weltweit mit<br />
einer Stimme im Namen der Wissenschaft zu sprechen.<br />
Diese vermeintlich paradoxe Strategie lässt sich als<br />
Versuch interpretieren, demokratische Prinzipien mit<br />
wissenschaftlichen Grundsätzen zu vereinbaren.<br />
Diese Strategie spiegelt auch die besondere Situierung<br />
des IPCC als Grenzorganisation an der Schnittstelle<br />
zwischen Wissenschaft und Politik wider. Der<br />
<strong>Mitteilungen</strong> <strong>DMG</strong> <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>1<br />
Weltklimarat muss sich sowohl gegenüber der wissenschaftlichen<br />
Gemeinschaft als auch seinen politischen<br />
und gesellschaftlichen Adressaten legitimieren und damit<br />
gleichzeitig Forderungen nach wissenschaftlicher<br />
Glaubwürdigkeit und politischer Relevanz Rechnung<br />
tragen. Um seine wissenschaftliche und politische<br />
Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten, versucht der Rat,<br />
seine Konsensbildungsprozesse möglichst breit anzulegen<br />
und möglichst viele Akteure (aus Wissenschaft,<br />
Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit) einzubeziehen.<br />
Die Fragen der universalen Repräsentation und die<br />
Teilnahme von Entwicklungsländern sind und bleiben<br />
dabei eine der größten Herausforderungen.<br />
Im zweiten IPCC-Sachstandsbericht, der 1995 erschien,<br />
wurde der Nachweis erbracht, dass der anthropogene<br />
Klimawandel mit Hilfe wissenschaftlicher<br />
Methoden belegbar ist. Der Bericht führte zu einer Wiederbelebung<br />
der nach dem Rio-Gipfel eingefahrenen<br />
politischen Verhandlungen, welche 1997 schließlich in<br />
die Verabschiedung des Kyoto-Protokolls mündeten.<br />
Der Veröffentlichung folgte ein massiver Gegenangriff<br />
amerikanischer Wissenschaftler und eine Medienkampagne<br />
im "Wall Street Journal" und in der "New York<br />
Times". Dem IPCC wurde von seinen Kritikern nun<br />
vorgeworfen, dass seine Autoren bewusst wissenschaftliche<br />
Begutachtungsverfahren unterlaufen und Berichte<br />
aus politischen Gründen "verfälscht" hätten.<br />
Die informelle wissenschaftliche Kultur bzw. das<br />
Fehlen formaler Regelungen machten den IPCC für Angriffe<br />
dieser Art verletzlich. Die Vorgänge verdeutlichten<br />
auch, wie wichtig die wissenschaftliche Integrität<br />
für die politische Glaubwürdigkeit des Weltklimarates<br />
als zwischenstaatliche Organisation ist: Die IPCC-Berichte<br />
zählen in der Politik nur dann, wenn sie mit dem<br />
Qualitätssiegel der Wissenschaftlichkeit ausgezeichnet<br />
werden können. Um seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit<br />
aufrechtzuerhalten, begann der IPCC nun, seine<br />
Verfahren der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle zu<br />
revidieren.<br />
Nicht zuletzt trug der vierte IPCC-Bericht von 2007<br />
maßgeblich dazu bei, den Umschwung der Kontroverse<br />
in den USA vorzubereiten. Wissenschaftler und<br />
Politiker (wie beispielsweise die Regierung unter US-<br />
Präsident George W. Bush) stellen die anthropogenen<br />
Einflüsse auf den Klimawandel und die Notwendigkeit<br />
politischer Maßnahmen inzwischen nicht mehr offen in<br />
Frage, was eine Voraussetzung für einen Durchbruch<br />
in der internationalen Klimapolitik ist. Doch nach dem<br />
enttäuschenden Klimagipfel in Kopenhagen 2009 mehren<br />
sich nun wieder die Versuche, die wissenschaftliche<br />
Kontroverse wieder aufzubrechen und die Diskussion<br />
zurück in den IPCC zu verlagern. Vielen Akteuren in<br />
Wirtschaft und Politik kommt diese Stellvertreterdebatte<br />
um das wissenschaftliche Fundament gelegen, um<br />
sich unbequemer Entscheidungen − wie beispielsweise<br />
derjenigen um die Energiewende in Deutschland − zu<br />
entledigen, indem sie Zweifel an ihrer Dringlichkeit erzeugen.