Mischehen in der Schweiz -; einst missbilligt, zunehmend normal
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Mischehen in der Schweiz -; einst missbilligt, zunehmend normal
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Thema<br />
<strong>Mischehen</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> –<br />
e<strong>in</strong>st <strong>missbilligt</strong>, <strong>zunehmend</strong> <strong>normal</strong><br />
Der Säkularisierungsprozess wird am Beispiel <strong>der</strong> <strong>Mischehen</strong> beson<strong>der</strong>s deutlich<br />
Heute gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> mehr<br />
Ehen von konfessionell unterschiedlichen<br />
als von konfessionsgleichen<br />
Paaren. Bis vor wenigen Jahrzehnten<br />
wurden <strong>Mischehen</strong> von Elternhaus,<br />
Gesellschaft und Kirche oft nicht<br />
gern gesehen. Dies zeigt unter an<strong>der</strong>em<br />
e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong>s Entlebuch des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />
Cor<strong>in</strong>a Fistarol – «<strong>Mischehen</strong>, das<br />
hätte es nie gegeben früher. Ne<strong>in</strong>,<br />
die hätten sich nicht getraut, so zu<br />
heiraten. O<strong>der</strong> nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en<br />
Freund zu haben, <strong>der</strong> reformiert<br />
wäre.» Diese Aussage e<strong>in</strong>er Frau<br />
aus dem katholisch dom<strong>in</strong>ierten<br />
Entlebuch bezieht sich auf die<br />
erste Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
und stimmt zwar <strong>in</strong> ihrer Absolutheit<br />
nicht. Es existierten damals<br />
durchaus konfessionsverschiede-<br />
ne Ehepaare. Aber es waren wenige.<br />
Der französische Historiker<br />
René Rémond hat im Jahr 2000 <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Analyse <strong>der</strong> religiösen Bef<strong>in</strong>dlichkeit<br />
<strong>in</strong> Europa festgestellt:<br />
«Der Säkularisationsprozess, <strong>der</strong><br />
zunächst die Kirche vom Staat<br />
trennte und danach die Religion<br />
von <strong>der</strong> Gesellschaft, dauerte je<br />
nach Land unterschiedlich lange –<br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall aber kürzer als e<strong>in</strong><br />
Jahrhun<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n eher länger,<br />
und er ist bis heute nicht überall<br />
abgeschlossen.» Das gilt auch für<br />
das katholisch dom<strong>in</strong>ierte Entlebuch,<br />
kommt Christof Kaufmann<br />
zum Schluss, <strong>der</strong> im Fach Zeitgeschichte<br />
an <strong>der</strong> Universität Freiburg<br />
i. Ü. e<strong>in</strong>e Lizentiatsarbeit<br />
unter dem Titel «Konfessionsverschiedene<br />
Ehen im Entlebuch im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t» geschrieben hat.<br />
Er me<strong>in</strong>t, <strong>der</strong> Wandel <strong>der</strong> Institution<br />
<strong>der</strong> Ehe, die wie kaum e<strong>in</strong><br />
an<strong>der</strong>er Aspekt im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
Religion und Gesellschaft<br />
verknüpfe, sei dafür e<strong>in</strong> sehr geeignetes<br />
Anschauungsbeispiel.<br />
Nur vere<strong>in</strong>zelte <strong>Mischehen</strong><br />
Durch Interviews mit meist<br />
älteren Menschen aus dem Entlebuch,<br />
viele von ihnen leben o<strong>der</strong><br />
lebten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkonfessionellen<br />
Ehe, erkannte Kaufmann,<br />
dass <strong>in</strong> den meisten Fällen die<br />
Familie sich gegen e<strong>in</strong>e Mischehe<br />
auflehnte. Frau D. etwa kann von<br />
zwei konfessionsverschiedenen<br />
Beziehungen aus ihrem nächsten<br />
Umfeld erzählen, die aufgrund<br />
des E<strong>in</strong>flusses <strong>der</strong> Eltern aufge-<br />
löst wurden. Ihr Bru<strong>der</strong> habe sich<br />
um 1950 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e evangelisch-<br />
In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren <strong>in</strong> katholisch dom<strong>in</strong>ierten Gebieten Ehen mit Protestanten o<strong>der</strong> Protestant<strong>in</strong>nen äusserst selten.<br />
reformierte presse Nr. 4 I 25. Januar 2008<br />
reformierte Frau verliebt. «Da war<br />
er noch ledig und zu Hause, und<br />
das Stockkatholische hatte damals<br />
noch ziemlich Gestalt <strong>in</strong> unserer<br />
Familie.»<br />
Der Vater sei engstirnig und stur<br />
gewesen und habe die Freund<strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>es Sohnes schlechtgemacht.<br />
«Also, das sei, er hat nicht gerade<br />
gesagt e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Hure, aber ähnlich,<br />
und liess ke<strong>in</strong>en guten Faden<br />
an ihr. Er hat e<strong>in</strong>fach gesagt: Das<br />
ist nichts für dich, und das ist e<strong>in</strong><br />
leichtlebiges Geschöpf.» Diese<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung sei «bis aufs<br />
Blut» gegangen, sagte Frau D., und<br />
weil <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> noch jung und<br />
bee<strong>in</strong>flussbar gewesen sei damals,<br />
habe er die Beziehung aufgelöst<br />
und später e<strong>in</strong>e katholische Frau<br />
geheiratet. Selbst ihr eigener<br />
Mann habe vor ihr e<strong>in</strong>e Affäre mit<br />
06_08_Thema 6 23.01.2008 14:41:43<br />
Fotos: zvg
Fotos: zvg<br />
reformierte presse Nr. 4 I 25. Januar 2008 Thema<br />
e<strong>in</strong>er Reformierten gehabt. Zuhause<br />
sei aber stark <strong>in</strong>terveniert<br />
worden. Se<strong>in</strong>e Eltern hätten ihm<br />
gesagt, das käme nicht <strong>in</strong> Frage,<br />
worauf er später die katholische<br />
Frau D. geheiratet hat.<br />
Christof Kaufmann erkennt<br />
zwei Ursachen für den ausgeprägten<br />
Willen von Eltern im Entlebuch,<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkonfessionelle<br />
Ehe zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n: «Zum e<strong>in</strong>en ist<br />
es <strong>der</strong> Konformitätsdruck, den die<br />
Dorfgesellschaft eben nicht nur<br />
auf konfessionsverschiedene Partner,<br />
son<strong>der</strong>n auch auf <strong>der</strong>en Familie<br />
ausübte. Der zweite Grund ist,<br />
dass Eltern die Konfessionalität als<br />
wichtigen Bestandteil <strong>der</strong> Familientradition<br />
sahen, die es zu verteidigen<br />
galt und welche die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
an die nächste Generation weitergeben<br />
sollten.»<br />
Bis vor kurzem verhärtete Fronten<br />
Ausnahmslos alle <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkonfessioneller<br />
Ehe lebenden Interviewpartner<br />
erzählten vom Druck, den<br />
ihre eigenen Eltern ausübten, als<br />
sie von <strong>der</strong> Beziehung zum konfessionsverschiedenen<br />
Partner er-<br />
fuhren. E<strong>in</strong> konfessionsgemischtes<br />
Brautpaar stiess noch 1980 auf<br />
beiden Seiten auf verhärtete<br />
Fronten. Kaufmann sprach mit<br />
Herrn Z., <strong>der</strong> 2005 verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
wollte, dass se<strong>in</strong> Sohn se<strong>in</strong>e re-<br />
formierte Freund<strong>in</strong> heirate. Den<br />
Konformitätsdruck durch die<br />
Gesellschaft erkennt Christof<br />
Kaufmann hier nicht mehr, wohl<br />
aber die Angst, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
im «falschen» Glauben aufgezogen<br />
würden.<br />
«Die religiöse Erziehung <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkonfessionellen<br />
Ehe war aber nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
ersten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
wirklich mit Schwierigkeiten verbunden.»<br />
Kaufmann kommt zum<br />
Schluss: «War e<strong>in</strong> im Entlebuch<br />
lebendes konfessionsverschiedenes<br />
Ehepaar bereit, sich völlig <strong>der</strong><br />
Dorfsitte unterzuordnen, hatte<br />
die Konfessionsverschiedenheit im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ke<strong>in</strong>e<br />
negativen Auswirkungen auf die<br />
Lebensqualität. Seit den 1980er-<br />
Jahren ist diese völlige Anpassung<br />
nicht mehr nötig.» E<strong>in</strong> Thema sei<br />
es aber oft auch heute noch.<br />
Kirche als moralische Instanz<br />
Gestützt wurde die negative<br />
Haltung gegenüber <strong>in</strong>terkonfessionellen<br />
Ehen nicht zuletzt von den<br />
Pfarrern. Der 1930 geborene reformierte<br />
Herr J. er<strong>in</strong>nert sich an e<strong>in</strong>e<br />
klare Weisung des evangelischreformierten<br />
Pfarrers <strong>in</strong> den 50er<br />
Jahren: «<strong>Mischehen</strong>, das ist nicht<br />
gut.» Herr J. erzählt: «Wenn e<strong>in</strong><br />
Katholik zu uns arbeiten kam, die<br />
kamen nicht mit uns zu Mittag<br />
essen. Die Pfarrer haben das denen<br />
verboten. Der Teufel nehme sie<br />
dann, wenn sie bei e<strong>in</strong>em Protestanten<br />
essen g<strong>in</strong>gen.» Neben persönlichen<br />
Gesprächen nutzten die<br />
Dorfpfarrer vor allem den Gottesdienst,<br />
um E<strong>in</strong>fluss zu nehmen<br />
auf die Dorfgesellschaft, schreibt<br />
Kaufmann.<br />
«Von <strong>der</strong> Kanzel runter wurde<br />
auf die Pauke gehauen, ganz klar»,<br />
sagt Herr Y. Zum<strong>in</strong>dest was die<br />
Ehemoral betrifft, wurde dies von<br />
<strong>der</strong> Diözese auch verlangt. E<strong>in</strong>en<br />
H<strong>in</strong>weis dafür, dass dies auch tatsächlich<br />
geschah, liefert <strong>der</strong> Pfarrer<br />
von Doppleschwand im Visitationsbericht<br />
von 1955. Und Frau<br />
D. erzählt, dass sie noch <strong>in</strong> den<br />
1990er Jahren e<strong>in</strong>e «abschätzige»<br />
Predigt gegen Evangelisch-Reformierte<br />
erlebt habe. Diese Erfahrung<br />
dürfte aber e<strong>in</strong>e grosse Ausnahme<br />
gewesen se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>t Christof<br />
Kaufmann. «Alle <strong>in</strong>terviewten<br />
Personen lobten jedenfalls den<br />
Umgang sämtlicher Dorfpfarrer<br />
mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Konfession im<br />
ausgehenden 20. Jahrhun<strong>der</strong>t.»<br />
Pfarrer massgeblich beteiligt<br />
Die Geistlichen hatten zwar, wie<br />
erwähnt, grossen E<strong>in</strong>fluss auf das<br />
allgeme<strong>in</strong>e konfessionelle Klima<br />
im Dorf. Was aber die <strong>in</strong>terperso-<br />
nalen Beziehungen zwischen Dorfbewohnern<br />
verschiedener Konfes-<br />
Bekenntnis, Klandest<strong>in</strong>en und Zivilstandsämter<br />
Kirchliche Trauungen s<strong>in</strong>d bereits seit<br />
dem Mittelalter bezeugt, allerd<strong>in</strong>gs zunächst<br />
nur für die Herrscherhäuser, später<br />
für den Adel und schliesslich auch<br />
für die vornehmeren Bürger <strong>der</strong> Städte.<br />
«Das e<strong>in</strong>fache Volk (vor allem auf dem<br />
kirchlich vielerorts deutlich unterversorgten<br />
Lande) dürfte wenig o<strong>der</strong> gar<br />
nicht mit kirchlicher Eheschliessung <strong>in</strong><br />
Kontakt gekommen se<strong>in</strong>», sagt Philipp<br />
Wälchli vom Institut für <strong>Schweiz</strong>erische<br />
Reformationsgeschichte <strong>der</strong> Theologischen<br />
Fakultät <strong>der</strong> Universität Zürich.<br />
Bis <strong>in</strong>s 1 . Jahrhun<strong>der</strong>t gab es bezüglich<br />
<strong>der</strong> Eheschliessung ke<strong>in</strong>e weiteren verb<strong>in</strong>dlichen<br />
Vorschriften als die «freie und<br />
wohlüberlegte Willensäusserung <strong>der</strong><br />
Partner», schreiben Pfarrer Paul Frehner<br />
(Bol<strong>der</strong>n) und Professor Johannes Fe<strong>in</strong>er<br />
(Paulus-Akademie) 19 0. Beide waren<br />
Vorsitzende <strong>der</strong> «Ökumenischen<br />
Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für <strong>Mischehen</strong>pastoration»<br />
<strong>in</strong> Zürich. Die so nach den<br />
ortsüblichen Bräuchen öffentlich und<br />
rechtmässig geschlossene Ehe wurde<br />
oft <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche gesegnet. Doch dieser<br />
kirchliche Akt war ke<strong>in</strong>eswegs zur Gültigkeit<br />
<strong>der</strong> Ehe notwendig.<br />
Im Spätmittelalter trat e<strong>in</strong>e neue Situation<br />
e<strong>in</strong>: Die völkischen Eheschliessungsbräuche,<br />
die bislang den Öffentlichkeitscharakter<br />
<strong>der</strong> Ehe garantierten, verfielen<br />
immer mehr. So entstand das Problem<br />
<strong>der</strong> «Klandest<strong>in</strong>en», <strong>der</strong> formlosen, unter<br />
Ausschluss <strong>der</strong> Öffentlichkeit geschlossenen<br />
Ehen. Weil diese Ehen ke<strong>in</strong>en Öffentlichkeitscharakter<br />
aufwiesen, konnten<br />
sie nachträglich vor <strong>der</strong> Öffentlich-<br />
keit auch wie<strong>der</strong> verleugnet werden –<br />
sion ang<strong>in</strong>g, dürfte <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss<br />
des Elternhauses von grösserer<br />
Bedeutung gewesen se<strong>in</strong>. Herr W.<br />
sagt, dass sich katholische Escholzmatter<br />
bereits <strong>in</strong> den 1920er und<br />
1930er Jahren über das moralische<br />
Verbot, mit Evangelisch-<br />
Reformierten Handel zu treiben,<br />
h<strong>in</strong>weggesetzt hätten und nach<br />
Langnau auf den Markt gegangen<br />
seien. «Man respektierte den Pfarrer<br />
zwar bis zu e<strong>in</strong>em gewissen<br />
Grad, aber Sachen, bei denen die<br />
Leute das Gefühl hatten, das<br />
betrifft den Glauben nicht, da<br />
machten sie, wie sie wollten.»<br />
Es drängt sich auf, den Pfarrer<br />
als verstärkenden Faktor gesellschaftlicher<br />
Entwicklungen zu<br />
sehen. We<strong>der</strong> waren die Dorf-<br />
pfarrer alle<strong>in</strong>e verantwortlich für<br />
die Ablehnung von evangelischreformierten<br />
Dorfbewohnern und<br />
konfessionsverschiedenen Ehen<br />
bis <strong>in</strong> die 1960er Jahre, noch ist<br />
den Pfarrern die Entspannung <strong>der</strong><br />
konfessionellen Beziehungen alle<strong>in</strong><br />
zuzuschreiben. An beidem waren<br />
sie aber massgeblich beteiligt.<br />
e<strong>in</strong>e Gefahr, auf die bereits Mart<strong>in</strong><br />
Luther h<strong>in</strong>gewiesen hatte («Von Ehe-<br />
sachen» 1530).<br />
Um das Chaos <strong>der</strong> klandest<strong>in</strong>en Ehen<br />
aus <strong>der</strong> Welt zu schaffen, beschloss das<br />
Konzil von Trient 15 3, dass Katholiken<br />
e<strong>in</strong>e gültige Ehe nur dann e<strong>in</strong>gehen,<br />
wenn sie sich das Eheversprechen vor<br />
ihrem Pfarrer (o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em von ihm delegierten<br />
Priester) und zwei Zeugen geben.<br />
In den reformierten und den mit ihnen<br />
verbündeten zugewandten Orten<br />
<strong>der</strong> Alten Eidgenossenschaft wurde die<br />
Führung von Pfarrbüchern über kirchlich<br />
bedeutsame Ereignisse wie Taufe und<br />
Trauung zur Zeit <strong>der</strong> Reformation o<strong>der</strong><br />
wenig später obligatorisch. Nach dem<br />
Konzil von Trient führten <strong>zunehmend</strong><br />
auch katholische Orte Tauf- und Eheregister.<br />
Bis zur Helvetik um 1800 betreuten <strong>normal</strong>erweise<br />
Geistliche die Register.<br />
Nach <strong>der</strong> Französischen Revolution wurde<br />
das Zivilstandswesen verweltlicht<br />
und zum Teil die Zivilehe e<strong>in</strong>geführt.<br />
Doch noch bis nach <strong>der</strong> Verfassungsrevision<br />
von 18 4 waren Personenstandsbeurkundung<br />
und Eheschliessung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schweiz</strong> völlig une<strong>in</strong>heitlich geregelt.<br />
E<strong>in</strong> neues Bundesgesetz schloss dann<br />
die Geistlichen von <strong>der</strong> Registerführung<br />
aus und enthob die kirchliche Trauung<br />
je<strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dlichkeit für das staatliche<br />
Recht: Die Beurkundung des Zivilstandes<br />
und die Trauung wurden obligatorisch<br />
den weltlichen, zivilen Behörden<br />
übertragen. Das Zivilgesetzbuch, das im<br />
Wesentlichen bis heute gilt, wurde 18 8<br />
beschlossen und trat 1912 <strong>in</strong> Kraft.<br />
So die Schlussfolgerung von Christof<br />
Kaufmann.<br />
Protestantische «Eheanbahnung»<br />
E<strong>in</strong>facher und wünschenswerter<br />
war wohl beson<strong>der</strong>s bis Mitte des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts die konfessionsgleiche<br />
Ehe. Nicht nur im Entlebuch<br />
hatten Reformierte Mühe,<br />
e<strong>in</strong>en entsprechenden Ehepartner<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e entsprechende Ehepartner<strong>in</strong><br />
zu f<strong>in</strong>den. An <strong>der</strong> Abgeordnetenversammlung<br />
des <strong>Schweiz</strong>erischen<br />
Protestantischen Volksbunds<br />
(SPV) von 1934 regte <strong>der</strong><br />
Diasporapfarrer von Bremgarten<br />
AG an, es sei durch den SPV e<strong>in</strong>e<br />
Eheanbahnungsstelle zu schaffen.<br />
In <strong>der</strong> Diaspora wisse man um<br />
die Not vieler protestantischer<br />
Söhne und Töchter, e<strong>in</strong>en konfessionsgleichen<br />
Ehepartner zu f<strong>in</strong>den,<br />
da katholische und protestantische<br />
Eltern e<strong>in</strong>e Mischehe ihrer<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> direkt als Unglück betrachteten,<br />
heisst es im Jubiläumsbuch<br />
des 1975 50-jährigen SPV. «Viele<br />
Evangelische <strong>in</strong> <strong>der</strong> Diaspora verzichteten<br />
oft lieber auf e<strong>in</strong>e Ehe,<br />
06_08_Thema 7 23.01.2008 14:41:43
8<br />
Thema<br />
17 000<br />
15 000<br />
10 000<br />
5 000<br />
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als sich dem diskrim<strong>in</strong>ierenden<br />
Mischeherecht <strong>der</strong> katholischen<br />
Kirche zu unterstellen.» Zudem<br />
unterhalte die katholische Kirche<br />
unter <strong>der</strong> Oberaufsicht des Bi-<br />
schofs von Basel schon seit vielen<br />
Jahren solche Ehevermittlungsstellen.<br />
1938 wurde die Evangelische<br />
Eheanbahnung (heute «Unterwegs<br />
zum Du») gegründet. Angemeldete<br />
mussten e<strong>in</strong>e Anmeldegebühr<br />
von zehn Franken entrichten<br />
und e<strong>in</strong>en Fragebogen ausfüllen,<br />
<strong>der</strong> sich auf das Aussehen, die<br />
Schulbildung, das E<strong>in</strong>kommen,<br />
das Engagement <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche und<br />
den Charakter bezog. Frauen<br />
hatten noch Auskunft über ihre<br />
Haartracht zu geben. Anfangs<br />
wurden Geschiedene von vornhere<strong>in</strong><br />
abgewiesen, ebenso über 40-<br />
Jährige und «Töchter mit unehelichen<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n». Später s<strong>in</strong>d die<br />
Dienste <strong>der</strong> Stelle auch Geschiedenen<br />
und Älteren angeboten<br />
worden. In den 50er Jahren fanden<br />
zudem Eheschulungskurse<br />
statt und ab 1973 Kontakttagungen,<br />
«um E<strong>in</strong>same und eher<br />
zurückgezogen Lebende aus ihrer<br />
Isoliertheit herauszuholen».<br />
Trend zur Mischehe<br />
Heute verzeichnen die bei-<br />
den Hauptkonfessionen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Schweiz</strong> mehr bekenntnisverschiedene<br />
als bekenntnisgleiche<br />
Eheschliessungen, die Protestanten<br />
mehr noch als die Katholiken<br />
(siehe Grafik). Dieser Trend zur<br />
Mischehe wird sich bei <strong>der</strong> zuneh-<br />
1960 1980 2000 2006<br />
Protestantisch-Protestantisch Protestantisch-<strong>Mischehen</strong><br />
Katholisch-Katholisch Katholisch-<strong>Mischehen</strong><br />
Die Zahl <strong>der</strong> Ehen zwischen bekenntnisgleichen Partnern nimmt ab, beson<strong>der</strong>s bei den Reformierten; <strong>Mischehen</strong> nehmen zu.<br />
menden konfessionellen Durchmischung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung <strong>in</strong><br />
Zukunft noch verstärken. Mehrere<br />
Landeskirchen haben Empfehlungen<br />
zur ökumenischen Trauung<br />
und zur <strong>Mischehen</strong>seelsorge<br />
herausgegeben, etwa <strong>der</strong> Bündner<br />
Kirchenrat im Januar 1989.<br />
Denn e<strong>in</strong> Thema s<strong>in</strong>d die verschiedenen<br />
Konfessionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ehe<br />
noch immer. Das beg<strong>in</strong>nt bei <strong>der</strong><br />
Partnerwahl.<br />
Margrit Holste<strong>in</strong> von <strong>der</strong> evangelischen<br />
Beratungs- und Vermittlungsstelle<br />
für Partnersuchende<br />
«Unterwegs zum Du» sagt: «Je<br />
wichtiger e<strong>in</strong>em Menschen die<br />
Verwurzelung im Glauben ist,<br />
desto grösser ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel das<br />
Bedürfnis, den Glauben mit dem<br />
Partner o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Partner<strong>in</strong> teilen<br />
zu können.» E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Konfession<br />
sei heute selten e<strong>in</strong> Grund,<br />
e<strong>in</strong>en Menschen nicht kennen-<br />
lernen zu wollen. «Wichtiger ist es<br />
zu erfahren und zu erleben, wie<br />
e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>en Glauben lebt,<br />
ob man sich im gelebten Glauben<br />
f<strong>in</strong>det und sich gegenseitig achtet<br />
im unterschiedlichen Verständnis<br />
von Lehre und Aktivitäten gerade<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de.»<br />
Bei «Unterwegs zum Du»<br />
melden sich zwar vorwiegend<br />
Protestanten o<strong>der</strong> Menschen mit<br />
e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Konfession, die<br />
dem Protestantismus gegenüber<br />
sehr offen s<strong>in</strong>d. Margrit Holste<strong>in</strong><br />
me<strong>in</strong>t: «Die aktiv gelebte Zugehörigkeit<br />
zu e<strong>in</strong>er Freikirche kann<br />
für e<strong>in</strong>e zukünftige Partnerschaft<br />
e<strong>in</strong>e grössere Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
se<strong>in</strong> als <strong>der</strong> konfessionelle Unterschied<br />
katholisch - reformiert.»<br />
In den letzten Jahrzehnten wurden<br />
<strong>Mischehen</strong> <strong>in</strong> den Kirchen<br />
vorwiegend <strong>in</strong> Zusammenhang mit<br />
<strong>der</strong> Seelsorge besprochen. Stefan<br />
Ecker, Paar- und Familientherapeut<br />
bei <strong>der</strong> öffentlich-ökumenischen<br />
Ehe- und Familienberatung<br />
<strong>der</strong> Reformierten Zürcher<br />
Kirche <strong>in</strong> Uster, me<strong>in</strong>t, dass <strong>in</strong>terreligiöse<br />
Probleme <strong>in</strong> Paarbeziegungen<br />
zu wenig Beachtung f<strong>in</strong>den.<br />
«Ich erlebe aber selten<br />
Schwierigkeiten zwischen katholischen<br />
und reformierten Ehepartnern,<br />
son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>in</strong> Beziehungen<br />
mit e<strong>in</strong>er muslimischen<br />
Person.» Die grossen Religionslandschaften<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong><br />
schrumpfen, die kle<strong>in</strong>en, beson<strong>der</strong>s<br />
die muslimischen, wachsen.<br />
Präferierte Ehe ist endogam<br />
Sosehr die religiöse Pluralisierung<br />
zunimmt, heiraten tut man<br />
offenbar doch immer noch lieber<br />
se<strong>in</strong>esgleichen. In den ländlichen<br />
Regionen <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong> waren 1970<br />
8 Prozent <strong>der</strong> Paare konfessionell<br />
gemischt, 2000 waren es 15,7<br />
reformierte presse Nr. 4 I 25. Januar 2008<br />
Grafik: medienpark / Mock<br />
Prozent. In den städtischen Agglomerationen<br />
betrug <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong><br />
konfessionell gemischten Paare<br />
zwar schon 1970 15 Prozent; bis<br />
2000 steigerte er sich jedoch nur<br />
auf 17,4 Prozent.<br />
«K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Eltern, die <strong>der</strong> gleichen<br />
Konfession angehören, übernehmen<br />
praktisch immer die Religionszugehörigkeit<br />
ihrer Eltern»,<br />
schreibt Roland J. Campiche <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Buch «Die zwei Gesichter <strong>der</strong><br />
Religion» (2004). Bei gemischtkonfessionellen<br />
Elternpaaren gehören<br />
95 Prozent <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>er<br />
<strong>der</strong> beiden Religionen – überwiegend<br />
<strong>der</strong> protestantischen – an.<br />
Im Jahr 2000 gab jedoch jedes<br />
fünfte gemischt-religiöse Paar<br />
ke<strong>in</strong>e Religionszugehörigkeit se<strong>in</strong>er<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> an.<br />
«Der Trend zur Mischehe wird<br />
sich <strong>in</strong> den nächsten Jahren als<br />
Folge <strong>der</strong> Ent-Territorialisierung<br />
wohl verstärken», schreibt Campiche.<br />
Denn wenn Katholiken o<strong>der</strong><br />
Protestanten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em von <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Konfession dom<strong>in</strong>ierten<br />
Umfeld wohnen, leben sie laut<br />
Volkszählung von 2000 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
von zwei Fällen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konfessionell<br />
gemischten Paarbeziehung.<br />
Quellen<br />
• Mart<strong>in</strong> Jäger und Toni Siegenthaler: Das<br />
Zivilstandswesen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schweiz</strong>. Stämpfli-<br />
Verlag AG, Bern 1998.<br />
• Paul Frehner und Johannes Fe<strong>in</strong>er: Öku-<br />
menische <strong>Mischehen</strong>-Seelsorge.<br />
Reformation 19 0, S. 529 – 53 .<br />
• Christof Kaufmann: «<strong>Mischehen</strong>, das<br />
hätte es nie gegeben früher.» Konfessions-<br />
verschiedene Ehen im Entlebuch im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Lizentiatsarbeit,<br />
Universität Freiburg 2005.<br />
• Jubiläumsbuch: 50 Jahre <strong>Schweiz</strong>e-<br />
rischer Protestantischer Volksbund (SPV)<br />
von 19 5. S. 20 ff.<br />
• Heiraten nach Zivilstand, Staatsangehörigkeit<br />
und Konfession. Tabelle des<br />
Bundesamts für Statistik, BFS, Sektion<br />
Demografie und Migration.<br />
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MARKETING/ANZEIGENLEITUNG Erik Senz, Dipl. Betriebswirt GESTALTUNG/LAYOUT Medienpark INSERATE/<br />
SEKRETARIAT Marlene Nutt, Rosemarie Sulger, rp-<strong>in</strong>serate@ref.ch HERSTELLUNG Stämpfli Publikationen AG,<br />
Wölflistrasse 1, Postfach 832 , 3001 Bern, Telefon 031 300 , Fax 031 300 99 ABO-BESTELLUNGEN Stämpfli<br />
Publikationen AG, Postfach 832 , 3001 Bern, Telefon 031 300 3 40, Fax 031 300 3 90; E<strong>in</strong>zelnummer Fr. 3.20;<br />
Jahresabonnement Fr. 135.–; Halbjahresabonnement Fr. 2.–; Gruppenabonnement (ab 5 Exemplaren) Fr. 10 .–;<br />
Studentenabonnement Fr. 10 .–<br />
06_08_Thema 8 23.01.2008 14:41:43