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HOCHBEGABUNG UND SCHULE 59<br />

mindestens durchschnittlicher Intelligenz außergewöhnliche, nicht durch normalpädagogische<br />

Maßahmen zu behebende Schwierigkeiten im Rechtschreiben bzw. Lesen hat – und<br />

diese Probleme dürfen nicht mit organischen Defiziten bzw. unzulänglicher Beschulung einhergehen.<br />

„Legasthenie“ ist nämlich ein Spezialfall von „Underachievement“ – und zwar im<br />

Lesen und/oder Rechtschreiben. Auch bei Legasthenie ist also die Vorkommenshäufigkeit<br />

durch die zur Definition verwendeten Kriterien bestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt sind<br />

deshalb Untersuchungen zur „Prävalenz von Legasthenie“, wie sie üblich waren und teilweise<br />

noch sind, wenig sinnvoll.<br />

Ist „Underachievement“ ein Artefakt?<br />

Hauptsächlich von Psychologinnen und Psychologen wird aus statistisch-methodischen<br />

Überlegungen heraus die Ansicht vertreten, es gäbe überhaupt keine „Underachiever“, man<br />

beforsche somit eine Chimäre: Die – wie auch immer definierte – Diskrepanz zwischen Fähigkeit<br />

und Leistung sei schlicht ein Messfehlerartefakt, da in jede Diskrepanzdefinition schließlich<br />

immer zwei Messfehler eingingen: zum einen der Messfehler bei der Intelligenzdiagnose<br />

und zum anderen der Messfehler bei der Schulleistungsfeststellung. (Jede Messung<br />

ist ungenau. Diese Ungenauigkeit wird als „Messfehler“ bezeichnet, und ihre Größe ist bei<br />

Intelligenztests bekannt.) Je höher die Korrelation zwischen zwei Variablen ist, desto fehlerbehafteter<br />

ist ein Differenzwert. Dieser Sachverhalt gilt prinzipiell für alle Phänomene, die<br />

auf einer Diskrepanzdefinition beruhen (also auch „Legasthenie“ oder für eine analog definierte<br />

„Dyskalkulie“). Schon in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist untersucht<br />

worden, was passiert, wenn man Hunderte von Messwiederholungen mit zwei zur Diskrepanzdefinition<br />

benutzten Variablen simuliert. Unter Zugrundelegung der Messgenauigkeiten<br />

heutiger Leistungstests findet man zwar bei jeder Messwiederholung einen vergleichbaren<br />

Anteil an „Underachievern“ in der untersuchten Stichprobe, doch wird von den<br />

in der ersten Messung gefundenen nach sehr, sehr vielen Wiederholungen zum Schluß keiner<br />

mehr als „Legastheniker“ klassifiziert.<br />

Gibt es dennoch „Underachiever“, trotz der eben erwähnten Messfehlerproblematik? Die<br />

Antwort ist eindeutig „ja“. Eine vielfache Messung führt nicht dazu, dass die manchmal jahrelangen<br />

schlechten Schulleistungen eines „Underachievers“ automatisch verschwinden,<br />

genau so, wie ständige Testungen in der Schule nicht automatisch die Qualität des Unterrichts<br />

verbessern. Für die „reale“ Existenz von „Underachievern“ (also nicht nur für die Existenz<br />

in den Köpfen von Forschern) sprechen auch mindestens folgende zwei Argumente,<br />

die aus vorliegenden empirischen Studien ableitbar sind:<br />

� In der nationalen wie internatonalen Literatur wird immer wieder ein vergleichbares, also<br />

typisches „Underachievementsyndrom“ beschrieben (z. B. Motivationsdefizite, fehlende<br />

oder aufgabenunspezifische Lernstrategien und Arbeitstechniken, beschädigte Selbstkonzepte,<br />

psycho-soziale Probleme, s. u.). Das kann bei einem Konzept, das ein reines<br />

Messfehlerartefakt darstellt, nicht vorkommen, weil der Messfehler völlig unsystematisch<br />

ist. Auf einer solchen Grundlage dürfte das „Underachievementsyndrom“ nicht wieder<br />

und wieder replizierbar sein, wie es jedoch der Fall ist.<br />

� Dieses „Underachievementsyndrom“ scheint auch relativ zeitstabil zu sein. Auch das ist<br />

mit einem messfehlerbedingten Phänomen nicht in Einklang zu bringen. Zufällige Zuweisungen<br />

zu einer Gruppe können nämlich keine nennenswerte Zeitstabilität aufweisen.

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