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HOCHBEGABUNG UND SCHULE 57<br />
Leistungsfähigkeit vorhersagen – so, wie man die Intelligenz nicht perfekt durch die Schulleistung<br />
vorhersagen kann. Leistung und Intelligenz (oder Intelligenz und Leistung, je nachdem,<br />
von welcher Seite man schaut) korrespondieren eben nicht Eins-zu-Eins.<br />
Bei kaum einem Konzept im Bereich der Hochbegabungsforschung und Hochbegabtenförderung<br />
gibt es so viele Unsicherheiten, Mutmaßungen und Meinungen wie bei „Underachievement“.<br />
Und bei kaum einem anderen psychologischen Konzept finden sich in der<br />
Beratungsliteratur für Eltern und Lehrkräfte derart viele problematische Aussagen – insbesondere<br />
auch, was die Definition und die Auftretenshäufigkeit von „Underachievern“ betrifft.<br />
Deshalb muss an dieser Stelle etwas genauer auf einige methodische Grundlagen und<br />
Befunde eingegangen werden.<br />
Verwendet man im pädagogischen Zusammenhang den Begriff „Underachievement“ korrekt,<br />
meint man eigentlich eine „in Relation zur Intelligenz erwartungswidrig schlechte<br />
(Schul-)Leistung“. Von „Underachievement“ sollte man sinnvollerweise nur dann sprechen,<br />
wenn bei einer Schülerin bzw. einem Schüler eine pädagogisch-psychologisch relevante<br />
Diskrepanz vorliegt: Die Leistung (z. B. der Zensurendurchschnitt oder die mittels eines standardisierten<br />
Tests gemessene Schulleistung) ist deutlich schlechter als die aufgrund der<br />
intellektuellen Kompetenz (z. B. der mittels eines aktuell normierten Intelligenztests ermittelte<br />
Intelligenzquotient, der IQ) erwartbare Leistung. Was „deutlich schlechter“ meint, ist<br />
letztlich Konsenssache. Weit verbreitet ist der Ansatz, aufgrund der Korrelation zwischen<br />
dem Prädiktor (Intelligenz) und dem Kriterium (Schulleistung) statistisch vorherzusagen, welche<br />
Leistung man bei einer bestimmten Intelligenzhöhe zu erwarten hätte. Ist der Abstand<br />
der beobachteten von der erwarteten Leistung so groß, dass man ihn nicht mehr auf Zufälligkeiten<br />
zurückführen kann (dafür gibt es in der Psychologie entsprechende statistische<br />
Verfahren), dann wird im Hinblick auf die betreffende Person von einem „Underachiever“<br />
gesprochen.<br />
Man sieht also, dass die diskrepanzbasierte Definition nur eine relative ist: Je nach Intelligenzhöhe<br />
führt das dazu, dass Kinder mit merklich verschiedenen Schulleistungen allesamt<br />
als „Underachiever“ tituliert werden, was z. B. bei Höchstbegabten zu absurden Schlussfolgerungen<br />
führen kann. Hierfür ein Beispiel: Ein Schüler habe einen IQ von 160, also eine<br />
exzeptionelle intellektuelle Leistungsfähigkeit, wie sie nur extrem selten vorkommt (nämlich<br />
eine Person unter rund 30.000). Wenn er einen – bereits deutlich von dem erwarteten<br />
Leistungswert abweichenden – Leistungsprozentrang von „nur“ 97 erreicht (also lediglich 3 %<br />
seiner Mitschülerinnen bzw. Mitschüler besser wären als er), er also „immer noch“ extrem<br />
gute Leistungen erbrächte, dann wäre er nach dieser rein relativen Diskrepanzdefinition<br />
schon ein „Underachiever“. Hier noch von einem „Underachiever“ zu sprechen, wäre jedoch<br />
alles andere als überzeugend. Also sollte bei Hochbegabten diese rein statistische Definition<br />
noch durch ein inhaltliches Kriterium ergänzt werden, welches die pädagogisch-psychologische<br />
Bedeutsamkeit bestimmt (z. B. die Notwendigkeit einer weit über das übliche<br />
Maß hinaus reichenden pädagogisch-psychologischen Betreuung). Ein solches inhaltliches<br />
Kriterium kann z. B. sein, dass die Schulleistung höchstens durchschnittlich ist (verglichen<br />
mit der Grundgesamtheit aller Schülerinnen und Schüler, welche die gleiche Klassenstufe<br />
besuchen oder gleichaltrig sind).<br />
Ebenfalls „erwartungswidrig“ sind diejenigen Schülerinnen und Schüler, die deutlich bessere<br />
(Schul-)Leistungen erbringen, als man ihnen aufgrund ihrer intellektuellen Ausstattung<br />
zutraut. Diese Kinder und Jugendlichen werden in der Fachliteratur als „Overachiever“