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HOCHBEGABUNG UND SCHULE 5<br />
Der Grund für „Berührungsängste“ gegenüber „Hochbegabung“ mag auch in einer sachlich<br />
nicht zu rechtfertigenden Befürchtung liegen, der Begriff „Hochbegabung“ könnte in eine<br />
unerwünschte Nähe zu einem konservativ geprägten Elite-Begriff gerückt werden. (Dabei<br />
ist „Elite“ im wahrsten Sinn des Wortes etwas sehr Positives: die Auslese der Besten.) So versuchen<br />
manche der von Kultusverwaltungen in der Bundesrepublik Deutschland herausgegebenen<br />
Ratgeberbroschüren, krampfhaft (und ohne Begründung) den Begriff „Hochbegabung“<br />
zu umgehen. Lediglich die zum Jahresbeginn 2000 erschienene Broschüre des<br />
Hessischen Kultusministeriums bekennt sich bereits im Titel ausdrücklich zu dem Begriff<br />
„hochbegabt“. Dabei ist „Hochbegabung“ nicht nur der ältere und der weiter verbreitete<br />
Begriff; er ist auch wegen der Betonung des Quantitäts- und Messbarkeitsaspekts, der sich<br />
in „hoch“ widerspiegelt, treffender als die Bezeichnung „besondere Begabung“, die eine<br />
bislang forschungsmäßig nicht belegte Qualitätsdimension suggeriert. Und „besonders“<br />
ist, wenn man in diesem Zusammenhang ein negativ getöntes „Elite“-Argument anführen<br />
will, nicht weniger problematisch als „hoch“; ganz im Gegenteil: Es ist durchaus etwas<br />
Besonderes, nicht zu den „Normalen“ zu gehören, sondern „besonders begabt“ zu sein…<br />
Welche Facetten des Begabungsbegriffs werden diskutiert?<br />
In der Begabungsliteratur herrscht fast eine babylonische Sprachverwirrung vor. Die von<br />
manchen beklagte Unschärfe des Hochbegabungsbegriffs liegt nämlich in der Unschärfe<br />
des Begriffs „Begabung“ begründet. „Begabung“ wird in der Persönlichkeitspsychologie<br />
nur noch selten verwendet. Ich möchte hier nur einige Facetten dieses bedeutungsschillernden<br />
Konzepts erwähnen:<br />
Einige Autoren unterscheiden im Anschluss an den Pädagogen Heinrich Roth einen „statischen“<br />
Begabungsbegriff von einem „modernen“, „dynamischen“ Begabungsbegriff. Mit<br />
dem „alten“, „statischen“ Begabungsbegriff wollen sie – argumentsarm – ein Konzept von<br />
„Begabung“ abwerten, das von einer stärker genetisch verankerten (und durch pädagogische<br />
Maßnahmen wenig förderbaren) kognitiven Leistungsfähigkeit ausgeht. Damit be -<br />
zeichnen sie eine angeborene Leistungsdisposition. Mit dem „modernen“, „dynamischen“<br />
Begabungsbegriff akzeptieren sie eine schlichte behaviouristische Auffassung von der fast<br />
beliebigen Entfaltung der „Begabung“ durch Unterrichtung und Erziehung – wenden sich<br />
aber in anderen Belangen strikt gegen behaviourale Auffassungen. Sie verstecken diese<br />
naive Sichtweise beschönigend hinter hochtrabenden Vokabeln wie „pädagogische Begabungsentfaltung“.<br />
Insbesondere Pädagogen, aber auch Erzieher und andere psychologische<br />
Laien reden gerne vom „Wandel“ des Begabungsbegriffs im Sinne eines (pä da -<br />
gogischen) „Begabens“. Sie kombinieren dies nicht selten mit einer uferlosen Ausweitung<br />
des Begabungsbegriffs. Eine krampfhafte Absetzung von (vererbter) „Begabung“ stellt aber<br />
einen Rückfall in ein Frageniveau dar, das in der Wissenschaft schon über viele Jahrzehnte<br />
hinweg überwunden werden konnte. Eine solche Position ist alles andere als „modern“: Es<br />
handelt sich bei der überstarken Betonung eines „dynamischen“ Begabungsbegriffs um<br />
eine ebenso antiquierte naiv-empiristische Sichtweise, wie es sich bei der überstarken Betonung<br />
der nativistischen Position, die fast ausschließlich genetische Ursachen akzeptiert, um<br />
einen hoffnungslos veralteten Ansatz handelt. Pädagogisch-psychologisch ist der Streit um<br />
Prozentanteile (Wie viel der Variabilität der Begabung in einer Kindergartengruppe oder<br />
Schulklasse ist auf Erbeinflüsse zurückzuführen? Wie viel der Variabilität der Begabung in<br />
einer Kindergartengruppe oder Schulklasse geht auf Umwelteinflüsse zurück?) fruchtlos.<br />
Psychologinnen bzw. Psychologen, Ärztinnen bzw. Ärzte, Pädagoginnen bzw. Pädagogen,