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HOCHBEGABUNG UND SCHULE<br />
Sind „multiple Intelligenzen“ eine vernünftige Alternative zur allgemeinen<br />
Intelligenz „g“?<br />
Die Antwort auf diese Frage lautet „Nein“. Zu Beginn der 80er Jahre postulierte Howard<br />
Gardner, Professor an der „School of Education“ der Harvard University, sieben „Intelligenzen“,<br />
nämlich „sprachliche“, „logisch-mathematische“, „räumliche“, „musikalische“, „körperlich-kinästhetische“,<br />
„interpersonale“ und „intrapersonale“ „Intelligenz“, die alle völlig unabhängig<br />
voneinander vorkommen sollen. Inzwischen ist die „naturalistische“ als achte “Intelligenz“<br />
hinzugekommen, und die achteinhalbte soll die „existentielle“ „Intelligenz“ darstellen.<br />
Ein Ende der „Entdeckung“ neuer „Intelligenzen“ (z. B. „spirituelle Intelligenz“) ist nicht<br />
abzusehen.<br />
Die ersten drei „Intelligenzen“ dieser Art sind unschwer als drei der bekannten engeren<br />
Gruppenfaktoren der klassischen Intelligenzforschung zu identifizieren. Sie sind jedoch nicht<br />
unabhängig von der allgemeinen Intelligenz „g“, und auch die Musikalität ist nicht völlig<br />
unabhängig von der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit. Bei den anderen „Intelligenzen“<br />
handelt es sich schlichtweg um Mutmaßungen, nicht aber um Ergebnisse empirischer<br />
Forschung. Akzeptable – d.h. den üblichen psychometrischen Ansprüchen an Testverfahren<br />
genügende – Instrumente zu ihrer Messung liegen bislang nicht vor. Die bislang<br />
von Gardner angeführten „empirischen Studien“ verdienen nicht das Wort „empirisch“; sie<br />
sind von bescheidener Qualität – in der universitären Psychologie wären sie kaum als<br />
Diplomarbeit akzeptiert worden.<br />
Existieren noch weitere „Intelligenzen“?<br />
Die Willkürlichkeit, mit der einzelne Fähigkeiten im Sinne der längst überwundenen<br />
„Vermögenspsychologie“ früherer Jahrhunderte zu neuen „Intelligenzen“ deklariert werden,<br />
lässt sich an neueren Buchtiteln aufzeigen: „Körperintelligenz“, „emotionale Intelligenz“,<br />
„soziale Intelligenz“, „moralische Intelligenz“, „visuelle Intelligenz“, „Beziehungsintelligenz“,<br />
„Karriereintelligenz“, „Wettbewerbsintelligenz“, „praktische Intelligenz“,<br />
„spirituelle Intelligenz“, „kulinarische Intelligenz“ und was sonst noch alles als<br />
„modern“ verkauft wird. Die „sexuelle Intelligenz“, „kriminelle Intelligenz“, „Machtintelligenz“<br />
oder „Finanzintelligenz“ werden sicherlich nicht lange auf sich warten lassen. Die<br />
immer stärker spekulative Ausweitung des Intelligenz- bzw. Hochbegabungskonzepts<br />
hat mit wissenschaftlichem Fortschritt in der Sache nichts zu tun. Die Botschaft von „multiplen<br />
Intelligenzen“ ist schlicht und vielleicht deswegen populär: Je mehr voneinander<br />
unabhängige „Intelligenzen“ postuliert werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass sich eine beliebig herausgegriffene Person in zumindest einer dieser „Intelligenzen“<br />
zur prestigeanfälligen Gruppe der „Hochbegabten“ zählen kann. Es ist weder<br />
sinnvoll noch nützlich, für jedwede Hochleistung in irgendeinem Inhaltsbereich eine<br />
eigene „Intelligenz“ zu erfinden. Bei Gardners „multiplen Intelligenzen“ handelt es sich<br />
mehrheitlich um reine Spekulationen. Dies gilt auch für andere Ansätze mit mehreren<br />
„Intelligenzen“.