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10 HOCHBEGABUNG UND SCHULE Unterschiedliche Hochbegabungstypen zu definieren, stand im Zentrum der von 1985 bis 1989 gelaufenen Studie an der Universität München („Münchner Hochbegabungsstudie“). Jedoch wurden dort die hochbegabten Kinder von ihren Lehrkräften vorausgelesen, so dass eine nicht kontrollierte und bei dem damaligen Versuchsplan auch nicht kontrollierbare „Stichprobenverzerrung“ vorliegen kann. Zudem fehlte eine Kontrollgruppe. Deswegen ist nicht immer ersichtlich, ob die berichteten Befunde „hochbegabungstypisch“ sind oder nicht. Die ursprüngliche Fragestellung nach „Typen von Hochbegabung“ konnte wegen des Fehlens einer Vergleichsgruppe „Nicht-Hochbegabter“ kaum beantwortet werden. Schließlich zeigte sich, dass sich die ursprünglich als besonders wichtig angesehene Typensuche auch empirisch als wenig fruchtbar erwies. Die Münchner Autoren haben deshalb diesen Ansatz nicht weiter verfolgt. Im Übrigen bestätigte sich in der Münchner Untersuchung der Befund der berühmten US-Längsschnittuntersuchung von L. M. Terman (diese wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen und bis in die 80er Jahre weitergeführt): Bei Hochbegabten handelt es sich um eine in vielerlei Hinsicht positiv ausgelesene Gruppe. An der Philipps-Universität Marburg wurde 1987 eine Lebensumweltanalyse Hochbegabter gestartet, die noch immer läuft („Marburger Hochbegabtenprojekt“). Aus einer unausgelesenen Stichprobe von über 7.000 Grundschulkindern der dritten Jahrgangsstufe wurden die hinsichtlich ihrer allgemeinen Intelligenz „g“ besten zwei Prozent ausgewählt und mit einer Kontrollgruppe durchschnittlich intelligenter Kinder verglichen. Nicht nur die Kinder, sondern auch ihre signifikanten Bezugspersonen (Eltern, Lehrkräfte) nahmen an den Erhebungen teil. Die Versuchs- und Kontrollgruppenkinder sowie ihre Eltern und Lehrkräfte wurden 1994 erneut intensiv befragt, und 1995 wurde eine zusätzliche Kohorte hochleistender und durchschnittlich leistender Jugendlicher dem gleichen Untersuchungsprogramm unterzogen. Das „Marburger Hochbegabtenprojekt“ konnte ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit, der sozialen Situation, den Interessen und der Lebensumwelt von hochbegabten Kindern sowie von hochbegabten und hochleistenden Jugendlichen zeichnen. Als wichtigstes Resultat hat sich gezeigt, dass Hochbegabte – abgesehen von ihrer herausragenden intellektuellen Leistungsfähigkeit – keine besonderen „Problemkinder“ und „Problemjugendlichen“ darstellen. Sie sind im Großen und Ganzen nicht anders als ihre Alterskameraden auch, mit ähnlichen Wünschen und Befürchtungen, mit ähnlichen Problemen und Vorzügen. Auch dieses Projekt bestätigt eindrucksvoll die Ergebnisse der Längsschnittstudie von Terman. Außerdem wurde anhand des Datensatzes des Marburger Projekts die Kompetenz von Grundschullehrkräften, Hochbegabte zu identifizieren, differenziert untersucht. Weitere Untersuchungsaspekte betreffen familiäre Bedingungen, die Einschätzungen von Fördermaßnahmen für Hochbegabte durch Lehrkräfte, Eltern und Jugendliche sowie die Frage, was „stabil Hochbegabte“ von „instabil Hochbegabten“ unterscheidet. Warum ist es sinnvoll, „Hochbegabung“ als hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz „g“ zu definieren? Seit dem Aufkommen psychometrischer Tests zu Anfang des 20. Jahrhunderts steht ein unidimensionaler Hochbegabungsbegriff mit einer Schwerpunktsetzung auf der allgemeinen Intelligenz „g“ im Vordergrund. Er hat sich hervorragend bewährt, zu einem vergleichsweise homogenen Begriffsverständnis geführt und ist solide zu operationalisieren. Für die vorherrschende Orientierung an „g“ gibt es darüber hinaus sehr gute psychologische, methodische und erfassungspraktische Gründe, zumal überzeugend gezeigt werden konnte, dass „kognitionspsychologische“ Indikatoren lediglich alternative Operationalisierungen der all-

HOCHBEGABUNG UND SCHULE 11 gemeinen Intelligenz „g“ darstellen. (Nachfolgend begründe ich näher, warum es ausgesprochen sinnvoll ist, an der allgemeinen Intelligenz „g“ als Kern des Hochbe ga bungs - konstrukts festzuhalten und warum „alternative“ „Modelle“ keine ernsthafte Alternative darstellen.) Intelligenztests, die „g“ ziemlich rein messen, korrelieren hoch bis sehr hoch mit einer Vielzahl externer Kriterien (Erfolg in Schule, Universität, Industrie und Training; Berufserfolg; Monatseinkommen; sozial bedeutsame schöpferische Leistung usw.) und binden bis zu 80 % der durch Tests überhaupt aufklärbaren Kriteriumsvarianz. Dies ist durch eine nicht mehr zu überschauende Fülle von empirischen Studien und durch zahlreiche Metaanalysen belegt worden. Anders lautende Aussagen, die leider immer noch zu finden sind, sind schlichtweg unhaltbar und zeugen von mangelnder Literaturkenntnis der Autoren. Hinzu kommt, dass Talentierte (d.h. in einem spezifischen Bereich wie Kunst oder Musik Herausragende) auch in ihrer allgemeinen Intelligenz deutlich über dem Durchschnitt liegen. Für bestimmte Fragestellungen werden fachspezifische Fähigkeits- und Leistungstests eingesetzt, wie z. B. in Mathematik. Eine hervorragende mathematische Leistung setzt eine sehr gute Ausstattung mit „g“ voraus, erfordert zusätzlich aber auch mathematische Expertise, d.h. ein durch intensive Beschäftigung mit der Mathematik und ihren Grundlagen erworbenes solides mathematisches Wissen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kriteriumsvaliditäten psychologischer Intelligenztests nach wie vor zu den besten gehören, die die psychologische Forschung bislang beigebracht hat. Wie nützlich sind „mehrdimensionale“ „Konzepte“ von „Hochbegabung“? Bei den mehrdimensionalen Konstrukten sind die auf den kognitiven Leistungsbereich im weitesten Sinne zentrierten Modelle von bereichsübergreifenden Konzeptionen zu trennen, die neben kognitiven auch nicht-intellektuelle Faktoren mit einbeziehen. Ein die angloamerikanische Diskussion stark beeinflussendes Konzept wurde im Auftrag des amerikanischen Kongresses vorgeschlagen (sog. Marland-Definition). Es umfasst neben Intelligenz und Schulleistungen auch Kreativität und produktives Denkvermögen, soziale Führungsfähigkeiten, künstlerische Leistungen und psychomotorische Fähigkeiten. Später hat man dann den psychomotorischen Aspekt wieder herausgenommen. Wichtig ist: Bei der Marland- Definition handelte es sich lediglich um eine administrative Festlegung. Sie kann deshalb keineswegs als Beleg für eine angeblich voneinander unabhängige Existenz der genannten Begabungsfacetten herangezogen werden – und sie war auch nicht dafür gedacht gewesen. Ein amerikanischer Pädagoge, Joseph S. Renzulli, sieht in seinem „Modell“ der „Hochbegabung“ neben Intelligenz auch „Kreativität“ und „leistungsorientierte Arbeitshaltung“ als zentrale Definitionsmerkmale vor. Die Schnittmenge dieser drei Konzepte, von Renzulli als Venn-Diagramm veranschaulicht (drei sich überschneidende Ringe, deshalb oft auch als „Drei-Ringe- Modell“ bezeichnet) macht nach Renzulli die eigentliche „Hochbegabung“ aus. Das „Drei- Ringe-,Modell’ “ stellt jedoch kein (auf das Potential zielendes) Begabungsmodell, sondern – wenn man es überhaupt als „Modell“ bezeichnen will – ein Leistungsmodell dar. Warum? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Einbeziehung der „leistungsorientierten Arbeitshaltung“ ist entscheidend. Wer sehr intelligent ist, dazu noch „Kreativität“ mitbringt und sehr effektiv arbeitet, der kann es nämlich kaum noch bzw. gar nicht vermeiden, im Ergebnis leistungsstark zu sein.

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HOCHBEGABUNG UND SCHULE<br />

Unterschiedliche Hochbegabungstypen zu definieren, stand im Zentrum der von 1985 bis<br />

1989 gelaufenen Studie an der Universität München („Münchner Hochbegabungsstudie“).<br />

Jedoch wurden dort die hochbegabten Kinder von ihren Lehrkräften vorausgelesen, so dass<br />

eine nicht kontrollierte und bei dem damaligen Versuchsplan auch nicht kontrollierbare<br />

„Stichprobenverzerrung“ vorliegen kann. Zudem fehlte eine Kontrollgruppe. Deswegen ist<br />

nicht immer ersichtlich, ob die berichteten Befunde „hochbegabungstypisch“ sind oder<br />

nicht. Die ursprüngliche Fragestellung nach „Typen von Hochbegabung“ konnte wegen des<br />

Fehlens einer Vergleichsgruppe „Nicht-Hochbegabter“ kaum beantwortet werden. Schließlich<br />

zeigte sich, dass sich die ursprünglich als besonders wichtig angesehene Typensuche<br />

auch empirisch als wenig fruchtbar erwies. Die Münchner Autoren haben deshalb diesen<br />

Ansatz nicht weiter verfolgt. Im Übrigen bestätigte sich in der Münchner Untersuchung der<br />

Befund der berühmten US-Längsschnittuntersuchung von L. M. Terman (diese wurde in den<br />

20er Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen und bis in die 80er Jahre weitergeführt):<br />

Bei Hochbegabten handelt es sich um eine in vielerlei Hinsicht positiv ausgelesene Gruppe.<br />

An der Philipps-Universität Marburg wurde 1987 eine Lebensumweltanalyse Hochbegabter<br />

gestartet, die noch immer läuft („Marburger Hochbegabtenprojekt“). Aus einer unausgelesenen<br />

Stichprobe von über 7.000 Grundschulkindern der dritten Jahrgangsstufe wurden<br />

die hinsichtlich ihrer allgemeinen Intelligenz „g“ besten zwei Prozent ausgewählt und mit<br />

einer Kontrollgruppe durchschnittlich intelligenter Kinder verglichen. Nicht nur die Kinder,<br />

sondern auch ihre signifikanten Bezugspersonen (Eltern, Lehrkräfte) nahmen an den Erhebungen<br />

teil. Die Versuchs- und Kontrollgruppenkinder sowie ihre Eltern und Lehrkräfte wurden<br />

1994 erneut intensiv befragt, und 1995 wurde eine zusätzliche Kohorte hochleistender<br />

und durchschnittlich leistender Jugendlicher dem gleichen Untersuchungsprogramm unterzogen.<br />

Das „Marburger Hochbegabtenprojekt“ konnte ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit,<br />

der sozialen Situation, den Interessen und der Lebensumwelt von hochbegabten Kindern<br />

sowie von hochbegabten und hochleistenden Jugendlichen zeichnen. Als wichtigstes<br />

Resultat hat sich gezeigt, dass Hochbegabte – abgesehen von ihrer herausragenden intellektuellen<br />

Leistungsfähigkeit – keine besonderen „Problemkinder“ und „Problemjugendlichen“<br />

darstellen. Sie sind im Großen und Ganzen nicht anders als ihre Alterskameraden<br />

auch, mit ähnlichen Wünschen und Befürchtungen, mit ähnlichen Problemen und Vorzügen.<br />

Auch dieses Projekt bestätigt eindrucksvoll die Ergebnisse der Längsschnittstudie von<br />

Terman. Außerdem wurde anhand des Datensatzes des Marburger Projekts die Kompetenz<br />

von Grundschullehrkräften, Hochbegabte zu identifizieren, differenziert untersucht. Weitere<br />

Untersuchungsaspekte betreffen familiäre Bedingungen, die Einschätzungen von Fördermaßnahmen<br />

für Hochbegabte durch Lehrkräfte, Eltern und Jugendliche sowie die Frage,<br />

was „stabil Hochbegabte“ von „instabil Hochbegabten“ unterscheidet.<br />

Warum ist es sinnvoll, „Hochbegabung“ als hohe Ausprägung der allgemeinen<br />

Intelligenz „g“ zu definieren?<br />

Seit dem Aufkommen psychometrischer Tests zu Anfang des 20. Jahrhunderts steht ein unidimensionaler<br />

Hochbegabungsbegriff mit einer Schwerpunktsetzung auf der allgemeinen<br />

Intelligenz „g“ im Vordergrund. Er hat sich hervorragend bewährt, zu einem vergleichsweise<br />

homogenen Begriffsverständnis geführt und ist solide zu operationalisieren. Für die vorherrschende<br />

Orientierung an „g“ gibt es darüber hinaus sehr gute psychologische, methodische<br />

und erfassungspraktische Gründe, zumal überzeugend gezeigt werden konnte, dass<br />

„kognitionspsychologische“ Indikatoren lediglich alternative Operationalisierungen der all-

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