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© Johann Kofler, Abt. Grosstierchirurgie und Orthopädie, Pferdeklinik, <strong>Vet</strong>meduni Wien<br />
26 | Pferdepraxis<br />
vet journal 04/12
Pferdepraxis | 27<br />
Caro luxurians: Die Behandlung von<br />
„wildem Fleisch“ beim Pferd<br />
Beim Wundheilungsprozess ist das Phänomen vor allem des Öfteren bei sekundär heilenden Defekten<br />
der distalen Gliedmaßen zu beobachten. Ein Überblick samt Case Reports.<br />
VON PD AlEx BRANDER, DR. mED. VEt SiEtSKE WiJNmAAlEN<br />
Einleitung Die Bildung von sogenanntem wildem Fleisch bei<br />
der Wundheilung des Pferdes ist häufig und wird von Pferdebesitzern<br />
und Tierärzten gleichermaßen gefürchtet (Barrelet,<br />
2010).<br />
Sie ist das Resultat einer überschießenden Bildung von Granulationsgewebe<br />
im Rahmen des Wundheilungsprozesses (Knottenbelt,<br />
2003) und ist häufig bei sekundär heilenden Defekten<br />
der distalen Gliedmaßen zu beobachten. Einer der Gründe dafür<br />
ist die im Vergleich zu anderen Regionen geringere Durchblutung<br />
der Haut in diesem Bereich. Auffällig ist, dass Ponies<br />
meist eine raschere und unkompliziertere Wundheilung zeigen<br />
als Pferde (Stashak, 2008). Der Grund dafür könnte in einer<br />
genetischen Prädisposition zur Bildung von „wildem Fleisch“<br />
bei Pferden liegen (Wilmink, 1999/2005). Ein weiterer Grund<br />
liegt für Stashak auch darin, dass Unterschiede im lokalen<br />
Entzündungsrespons bestehen, welche nachfolgend zu einer<br />
unterschiedlichen funktionellen Kapazität der Leukozyten<br />
führen.<br />
„Auffällig ist, das Ponies meist eine<br />
raschere und unkompliziertere Wund-<br />
heilung zeigen als Pferde.“<br />
Eine ausgeprägte initiale Entzündungsreaktion steigert die<br />
Fähigkeit der Leukozyten, fremdes Material wie Schmutzpartikel,<br />
Keime und Zelltrümmer zu entsorgen (Celeste, 2010).<br />
Verglichen mit Ponies, zeigen Pferde eine schwächere, dafür<br />
länger dauernde Entzündungreaktion im Rahmen des Wundheilungsprozesses,<br />
insbesonders im Bereich der Gliedmaßen.<br />
Eine prolongierte, low-grade Entzündungsphase bewirkt eine<br />
vermehrte Ausschüttung von verschiedenen Entzündungs- und<br />
profibrotischen Mediatoren, die schlussendlich zur Hypergranulation<br />
und Caro luxurians-Bildung führt (Celeste, 2010).<br />
Reduktion der Entzündung In unserer Pferde-Wundklinik<br />
verwenden wir honigbasierte Wundversorgungs-Salben/Hydrogele.<br />
Mit diesen Produkten zeigten sich derartige Probleme der<br />
Hypergranulation ausgesprochen selten. Dies ist möglicherweise<br />
auf eine Verkürzung der Inflammationsphase zurückzuführen.<br />
In einer experimentellen Studie an Yorkshire-Schweinen<br />
konnte bei Tieren unter einer Behandlung mit Honig eine<br />
geringere Entzündungsreaktion festgestellt werden, als bei sol-<br />
chen, welche mit Zucker oder Silber-Sulfadiazin behandelt<br />
wurden. Außerdem zeigte sich <strong>zum</strong> jeweiligen Untersuchungszeitpunkt<br />
unter Honig-Therapie eine Beschleunigung der<br />
Wundheilung (Postmes, 1997). In einer entsprechenden Studie<br />
an Kaninchen konnten eine Verminderung der Ödembildung<br />
und eine reduzierte Entzündung beobachtet werden (Oryan,<br />
1998). Ähnliche Ergebnisse lieferte auch eine Studie an 60 Ratten:<br />
His-tologisch zeigte sich mit Honig eine beschleunigte Heilung<br />
bei gleichzeitiger Verminderung von Entzündung, Exsudation<br />
und schwerwiegenden Nekrosen (Burlando, 1978). Gemäß<br />
einer Aussage von Molan (2006) kommt die antiinflammatorische<br />
Wirkung nicht nur sekundär infolge der Keimreduktion<br />
durch die antibakterielle Wirkung des Honigs zustande, sondern<br />
es ist vielmehr von einer direkten Entzündungshemmung<br />
auszugehen.<br />
Diagnose von Caro luxurians Die exakte und eindeutige Diagnose<br />
einer Hypergranulation infolge einer gestörten Wundheilung<br />
erfordert Sorgfalt und Erfahrung, insbesondere ist eine<br />
Abgrenzung zu Tumorwucherungen, speziell Sarkoiden, vorzunehmen<br />
(Stashak, 2008). Die einzige sichere Methode ist die<br />
Durchführung einer Biopsie mit histologischer Begutachtung.<br />
In unserer Praxis haben wir schon des Öfteren eine Gewebe-<br />
Neubildung im Wundbett beobachtet, die eine leichte Erhebung<br />
über den Wundrand hinaus zeigte, selten jedoch kam es zu einer<br />
Entwicklung von „wildem Fleisch“. Besonders in der Kontraktionsphase<br />
kann sich ein erhabener „wulstiger“ Wundrand<br />
ausbilden, welcher jedoch üblicherweise nach<br />
einiger Zeit verschwindet und meist einen regulären<br />
Wundverschluss nicht behindert.<br />
Bewegung oder Ruhigstellen? Manche<br />
Autoren empfehlen, während der<br />
Therapie die Bewegungsfähigkeit des<br />
Pferdes durch Haltung in der Box einzuschränken<br />
(Knottenbelt, 2003).<br />
Unserer Erfahrung nach ist es vorteilhaft,<br />
ein gewisses Maß an kontrollierten<br />
Bewegungen wie z.B. Longieren<br />
oder Schrittgehen am Führstrick zuzulassen,<br />
da dadurch die Durchblutung der Extremitäten<br />
verbessert und die Bildung von<br />
Ödemen verhindert werden kann. Das Anlegen<br />
eines Druckverbands stellt eine wesentliche Maß-<br />
vet journal 04/12<br />
®
© Alex Brander<br />
© Johann Kofler, Abt. Grosstierchirurgie und Orthopädie, Pferdeklinik, <strong>Vet</strong>meduni Wien(2)<br />
28 | Pferdepraxis<br />
Abb. 1 Abb. 2<br />
Abb. 1: Postoperative Wunde mit Hypergranulation; Abb. 2: Wunde nach Behandlung mit Silbernitrat und l-mesitran Salbe.<br />
nahme zur Förderung der Gewebeneubildung und Reduktion<br />
der Hypergranulation dar (Jolly, 2011). Auch in dieser<br />
Arbeit wird der Vorteil einer mäßigen, kontrollierten Bewegung<br />
des Pferds während der Heilungsphase betont und als Voraussetzung<br />
für eine Wiedererlangung der vollen Leistungsfähigkeit angesehen.<br />
Erfahrungen aus der täglichen Praxis zeigen, dass nicht<br />
alle Patientenbesitzer imstande sind, Bandagen und Wundverbände<br />
korrekt anzulegen. In diesen Fällen sollte der Pferdehalter<br />
<strong>zum</strong>indest dazu angehalten werden, die Wunde täglich zu<br />
reinigen und mit honigbasierter Salbe/Hydrogel zu versorgen,<br />
um die Wundheilung zu fördern und die Bildung von „wildem<br />
Fleisch“ möglichst hintanzuhalten.<br />
Abb. 3 Abb. 4<br />
vet journal 04/12<br />
Behandlungsmöglichkeiten von Caro luxurians<br />
Wenn sich „wildes Fleisch“ gebildet hat, gibt es verschiedene<br />
Optionen:<br />
• Chirurgische Entfernung mit nachfolgendem Druckverband<br />
und 10 Tagen Stallruhe (Knottenbelt, 2003)<br />
• Hauttransplantation (Stashak, 2008)<br />
• Topische Korticoide wurden manchmal erfolgreich eingesetzt<br />
(Stashak, 2008)<br />
• Das Anlegen von Siliconbandagen kann Hypergranulationsgewebe<br />
reduzieren, wenngleich diese Behandlung über einen<br />
langen Zeitraum erfolgen muss (Theoret, 2006).<br />
Abb. 3: Frisches Granulationsbett einer ca. 2 Wochen alten, länglichen Hautwunde unterhalb des Sprunggelenks Abb. 4: Hypergranulation
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Kennziffer: HR 02/12<br />
Silbernitrat In A. Branders auf Wundversorgung in der Pferdemedizin<br />
spezialisierten Praxis verwenden wir in solchen Fällen<br />
meist einen Sibernitrat-Stick begleitend zur Honigtherapie.<br />
Damit wird das „Wilde Fleisch“ geätzt und nach und nach reduziert.<br />
Die Wirkung entspricht derjenigen anderer kaustischer<br />
Subs-tanzen wie Kupfersulfat, Salpetersäure, Kaliumpermanganat,<br />
Natrium-/bzw. Kaliumlaugen, etc. Zu beachten ist dabei,<br />
dass diese Ätzmittel nicht nur nekrotisierend auf das Hypergranulationsgewebe<br />
wirken, sondern auch auf Epithelzellen und somit<br />
die Wundheilung stören können. Ein vorsichtiges und ge-<br />
duldiges Vorgehen step by step ist daher angezeigt, wobei darauf<br />
zu achten ist, dass das umgebende gesunde Gewebe entsprechend<br />
– am besten mit Vaseline – geschützt wird. Unter Beachtung<br />
der Anwendungshinweise und Vorsichtsmaßnahmen liefert<br />
diese Methode gute ästhetische Resultate, ist kostengünstig und<br />
auch gut vom Pferdebesitzer nach entsprechender Einweisung<br />
durchzuführen.<br />
Fallberichte Nach Entfernung eines malignen Tumors kam<br />
es im Rahmen der Wundheilung zur Bildung von „wildem<br />
Fleisch“ (Abb. 1). Die Anwendung von L-Mesitran® wurde temporär<br />
gestoppt und Silbernitrat eingesetzt. Die 4,5 cm x 10,5<br />
cm große abdominale Wunde wurde für 2–3 Wochen mit dem<br />
Sibernitrat-Stick behandelt und das Hypergranulationsgewebe<br />
damit größtenteils entfernt (G. Benedetti und A. Brander, 2009).<br />
Pferdepraxis | 29<br />
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„Zu beachten ist, dass Ätzmittel nicht nur nekrotisierend<br />
auf das Hypergranulationsgewebe<br />
wirken, sondern auch auf die Epithelzellen.“<br />
Danach wurde L-Mesitran und Silbernitrat für weitere 2 Monate<br />
in Kombination angewendet, ohne dass es zu weiterer Hypergranulation<br />
kam. Nach insgesamt 4 Monaten war die ursprünglich<br />
112 cm² große abdominale Wunde ohne Zeichen einer Infektion<br />
vollständig verheilt.<br />
Ein weiterer Fall betraf ein Pferd mit Vaskulitis infolge einer<br />
Autoimmunerkrankung. Der Patient wurde mit einer massiven<br />
Bildung von „wildem Fleisch“ in unserer Praxis vorgestellt.<br />
Die Wunde konnte innerhalb von 3 Monaten mit L-Mesitran®<br />
geschlossen werden, wobei sich das „wilde Fleisch“ wie ein riesiger<br />
Ball auf einen Bereich in der Nähe des Hufs konzentrierte. Dieses<br />
wurde letztendlich unproblematisch vom Tierarzt chirurgisch entfernt,<br />
die Wunde war zu diesem Zeitpunkt bereits fast vollständig<br />
geschlossen.<br />
Zusammenfassung Die Wundheilung verläuft in mehreren<br />
Phasen, wobei am Beginn dieses Prozesses sozusagen als „Initialzündung“<br />
die Entzündungsphase steht. Wenn diese Phase nicht<br />
ordnungsgemäß abläuft und verlängert ist, kann die Bildung<br />
neuen Gewebes außer Kontrolle geraten und zur Bildung von<br />
Hypergranulationsgewebe (sog. wildes Fleisch) führen. Wichtig<br />
für eine optimale Wundheilung ist es, dafür zu sorgen, dass<br />
diese Entzündungsphase rasch, effizient und so kurz wie möglich<br />
abläuft. Medizinischer Honig ist dafür bekannt, dass er die Inflammationsphase<br />
verkürzt. Diese Eigenschaft hat sicherlich zu<br />
den guten klinischen Resultaten bei der Anwendung der Honig-<br />
salbe bei der Behandlung von Wunden und Reduzierung des<br />
Hypergranulationsrisikos beigetragen. Wenn trotz allem die Bildung<br />
von „wildem Fleisch“ beobachtet wird, können mit einer<br />
frühzeitigen, sorgfältigen Applikation von Silbernitrat – unter<br />
der Voraussetzung einer histologisch gesicherten Diagnose –<br />
gute Resultate erzielt werden.<br />
vet journal 04/12
© Alex Brander(2)<br />
© Johann Kofler, Abt. Grosstierchirurgie und Orthopädie, Pferdeklinik, <strong>Vet</strong>meduni Wien(2)<br />
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Abb. 5 Abb. 6<br />
Abb. 5: Hypergranulationsgewebe; Abb. 6: Wunde nach einer Woche Behandlung mit l-mesitran-Salbe.<br />
Wir bedanken uns herzlich beim Team der <strong>Vet</strong>MedUni Vienna,<br />
Abteilung Großtierchirurgie und Orthopädie, Pferdeklinik,<br />
für die freundliche Erlaubnis, die gekennzeichneten Bilder in<br />
diesem <strong>Artikel</strong> zu verwenden!<br />
Abb. 7 Abb. 8<br />
vet journal 04/12<br />
© privat<br />
PD Alex Brander<br />
war in den Niederlanden als diplomierter Wundmanager<br />
im Krankenhaus- und Pflegebereich tätig. Seit 2010<br />
arbeitet er als selbstständiger Wundmanager in der<br />
Pferdemedizin.<br />
Dr. med. vet. Sietske Wijnmaalen<br />
ist niedergelassene Tierärztin in den Niederlanden.<br />
Abb. 7: Granulationsgewebe ca. 6 Wochen nach Rissquetschwunde mit Strecksehnenruptur Abb. 8: Risslappenwunde – Dehiszenz