„Spezielle Schmerzthe- rapie“ mit Fachgesellschaften diskutiert

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09.01.2013 Aufrufe

Migräne ist eine häufige, chronische und unterdiagnostizierte Erkrankung. „Allerdings definieren wir bei der Migräne die Chronizität etwas anders als bei anderen Schmerzsyndromen“, betonte Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber von der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien in seinem Vortrag auf dem 13. Wiener Internationalen Schmerzsymposium. „Wir sprechen von chronischer Migräne, wenn sie an 15 Tagen im Monat vorhanden ist. Es muss also kein tägliches Auftreten gegeben sein.“ Die Prävalenz der Migräne liegt in Europa zwischen 10 und 14 Prozent, wobei Frauen wesentlich häufiger betroffen sind als Männer. Die Erkrankung ist so belastend, dass die WHO die Migräne vor kurzem mit einer Tetraplegie verglichen hat. Prof. Wöber: „Das klingt zunächst etwas hoch gegriffen, man sollte jedoch bedenken, dass Patienten mit einer schweren Migräne tatsächlich immobilisiert sind.“ Was die Kosten angeht, wird Migräne heute nach der Demenz als zweitteuerste neurologische Erkrankung eingestuft, wobei hauptsächlich sekundäre Kosten, etwa durch Krankenstandstage, ins Gewicht fallen. Dabei wäre eine Migräne heute eigentlich gut behandelbar. Allerdings sind die modernen Medikamente zum Teil sehr teuer. Prof. Wöber: „Das Problem ist, dass Krankenkassen nur die Medikamentenkosten sehen und daher kostengünstigere Medikamente bevorzugen. Dabei werden die indirekten Kosten nicht berücksichtig. Wäre das der Fall, würde man einen wesentlichen Kosten-Nutzen- Vorteil für die neuen, teureren Medikamente erkennen.“ ZMM 18 SCHMERZ nachrichten THERAPEUTISCHER PROBLEMFALL MIGRÄNE Mit einer Prävalenz von bis zu 14 Prozent der Bevölkerung ist Migräne eine extrem häufige Erkrankung. Dennoch steht es mit Diagnostik und Therapie nicht zum Besten. Nur eine Minderheit der Betroffenen erhält eine adäquate Therapie, eine Prophylaxe erfolgt nur in Einzelfällen. Die Erstattungspraxis der Krankenkassen trägt weiter zur Komplizierung der Situation bei. NUR EINE MINDERHEIT WIRD RICHTIG THERA- PIERT. Die Probleme mit der Migräne beginnen allerdings schon bei der Diagnose. Von 100 Patienten mit schwerer Migräne waren 26 noch nie wegen ihrer Kopfschmerzen beim Allgemeinmediziner und 33 noch nie beim Neurologen. Insofern verwundert es nicht, dass von diesen 100 Patienten 77 eine unzureichende Akutmedikation und 86 keine prophylaktischen Medikamente bekommen. „Migränetherapie ist immer individuell zu gestalten, es gibt kein starres Schema und keine klare Richtlinie, was wann gemacht werden soll.“ Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber BilderBoxCom/Montage Prinzipiell stehen als Optionen Akuttherapie und Prophylaxe zur Verfügung, wobei es medikamentöse und nicht medikamentöse Möglichkeiten gibt. Prof. Wöber: „Migränetherapie ist immer individuell zu gestalten, es gibt kein starres Schema und keine klare Richtlinie, was wann gemacht werden soll.“ Erforderlich sind eine gesicherte Diagnose, ein Kopfschmerzkalender und schließlich eine ausführliche Anamnese, die für die Planung der Therapie entscheidend ist. Das Therapieziel ist die Rückkehr zur üblichen Tätigkeit innerhalb von zwei Stunden. Prof. Wöber: „Oft zeigt die Anamnese, dass die Patienten ihre Medikamente in zu niedriger Dosierung und zum falschen Zeitpunkt einnehmen. Da braucht man dann nicht gleich ein Triptan, sondern sollte zunächst einmal versuchen, die Einnahme der konventionellen Analgetika zu optimieren.“ Wichtiger Bestandteil der Attackentherapie sind Allgemeinmaßnahmen wie Ruhe und Reizabschirmung, die in der Realität allerdings oft schwer durchführbar sind. Prof. Wöber: „Da gibt es sehr eindrucksvolle Patientenberichte. Manche erzählen, dass sie irgendwie über die Runden kommen, wenn sie ihr Medikament am Arbeitsplatz einnehmen, wenn sie zu Hause sind und sich nach der Einnahme des selben Medikaments zwei Stunden hinlegen können, erholen sie sich aber viel besser.“ Fallweise können auch Antiemetika zum Einsatz kommen. Zur Wahl stehen Metoclopramid, Domperidon und Ondansetron. In der Therapie sind die NSAR Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac erste Wahl, als zweite Wahl werden Paracetamol, Ketoprofen und Metamizol eingestuft, zu denen weniger eindeutige Studienergebnisse vorliegen. Reichen diese Medikamente nicht aus, so ist der Einsatz von Triptanen indiziert. Prof. Wöber: „Wenn ein Patient zwei NSAR in ausreichend hoher Dosis zum optimalen Zeitpunkt versucht hat, so hat es keinen Sinn, weiter NSAR oder Analgetika zu versuchen.“ GALENIK NACH BEDARF. Bei den Triptanen besteht eine große Auswahl, nicht zuletzt auch hinsichtlich der Galenik, so dass die Mög-

lichkeit einer individuellen Therapiegestaltung besteht. Prof. Wöber: „Wenn ein Patient unter plötzlich auftretenden Attacken leidet, wird man eher zu einem Nasenspray greifen, entwickeln sich die Anfälle langsam, so findet man meist mit oraler Einnahme das Auslangen.“ Zur Verfügung stehen Sumatriptan (Tablette, Nasenspray, Suppositorium, Ampulle), Zolmitriptan (Tablette, Schmelztablette, Nasenspray), Naratriptan (Tablette), Rizatriptan (Tablette, Schmelztablette), Eletriptan (Tablette) und Frovatriptan (Tablette). Ergotamine als die „klassischen“ Migränemedikamente sind heute, angesichts der Überlegenheit der Triptane, nicht mehr indiziert. In Diskussion ist die Frage nach dem optimalen Timing der Attackentherapie. Eine möglichst frühe Therapie soll eine geringere maximale Schmerzintensität, weniger Begleitsymptome, bessere Resorption oraler Medikamente, rascheres Abklingen der Attacke sowie einen geringeren Medikamentenbedarf bringen. Dagegen wird ins Treffen geführt, dass eine sehr frühe Einnahme der Medikamente zum unnötigen Gebrauch von Migränemedikamenten bei banalen Kopfschmerzen, die sich nicht zur Attacke entwickeln, führen könne. Anhand der aktuellen Studienlage könne diese Frage, so Prof. Wöber, nicht beantwortet werden: „Es gibt keine adäquate Studie, die zweifelsfrei die Überlegenheit einer frühen Therapie zeigt.“ Die Attackentherapie sollte also erfolgen, sobald das Auftreten einer Attacke als sehr wahrscheinlich eingestuft wird. Triptane sollten niemals während der Aura eingenommen werden, da sie zu diesem Zeitpunkt wirkungslos sind. Das Kriterium für die Wirksamkeit der Medikation ist heute das Abklingen der Attacke innerhalb von zwei Stunden nach Medikamenteneinnahme, wobei die Attacke innerhalb von 24 Stunden nicht mehr auftritt. Das kann auch mit Triptanen durchaus nicht immer erreicht werden. Als Alternative ist die Kombination von Triptanen und NSAR möglich. Für Sumatriptan und Naproxen konnte in zwei Studien die Überlegenheit gegenüber Sumatriptan Monotherapie, Naproxen Monotherapie und Placebo nachgewiesen werden. PROPHYLAXE REDUZIERT ANFÄLLE. Bei sehr häufigen Attacken kann eine medikamentöse Prophylaxe indiziert sein. Empfehlung zur Prophylaxe besteht bei mehr als drei bis vier Attacken pro Monat. Erforderlich ist eine ausführliche Anamnese zur bisherigen Therapie. Das Therapieziel ist eine Reduktion der Anfallshäufigkeit um mindestens 50 Prozent. Auch hier ist eine individuelle Therapieplanung erforderlich. Neben der medikamentösen Prophylaxe sind immer allgemeine Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören regelmäßiges Essen, Trinken und Schlafen ebenso wie das Vermeiden von Triggerfaktoren und Ausdauersport. In der medikamentösen Prophylaxe sind Be- ta-Blocker, Kalziumkanalblocker oder Antiepileptika erste Wahl, als Mittel der zweiten Wahl kommt Amitriptylin in Frage. Auch Entspannungstraining, Biofeedback, Verhaltenstherapie und Akupunktur dürften einen Einfluss haben. Unter den pflanzlichen Wirkstoffen gibt es Studien für Pestwurz und Mutterkraut, deren Nebenwirkungen allerdings nicht unterschätzt werden dürfen. Reno Barth SCHMERZ nachrichten 19

lichkeit einer individuellen Therapiegestaltung<br />

besteht. Prof.<br />

Wöber: „Wenn ein Patient unter<br />

plötzlich auftretenden Attacken<br />

leidet, wird man eher zu einem<br />

Nasenspray greifen, entwickeln<br />

sich die Anfälle langsam, so findet<br />

man meist <strong>mit</strong> oraler Einnahme<br />

das Auslangen.“ Zur Verfügung<br />

stehen Sumatriptan (Tablette,<br />

Nasenspray, Suppositorium,<br />

Ampulle), Zol<strong>mit</strong>riptan (Tablette,<br />

Schmelztablette, Nasenspray),<br />

Naratriptan (Tablette), Rizatriptan<br />

(Tablette, Schmelztablette),<br />

Eletriptan (Tablette) und<br />

Frovatriptan (Tablette). Ergotamine<br />

als die „klassischen“ Migränemedikamente<br />

sind heute,<br />

angesichts der Überlegenheit<br />

der Triptane, nicht mehr indiziert.<br />

In Diskussion ist die Frage nach<br />

dem optimalen Timing der Attackentherapie.<br />

Eine möglichst<br />

frühe Therapie soll eine geringere<br />

maximale Schmerzintensität,<br />

weniger Begleitsymptome,<br />

bessere Resorption oraler Medikamente,<br />

rascheres Abklingen<br />

der Attacke sowie einen geringeren<br />

Medikamentenbedarf<br />

bringen. Dagegen wird ins Treffen<br />

geführt, dass eine sehr frühe<br />

Einnahme der Medikamente<br />

zum unnötigen Gebrauch von<br />

Migränemedikamenten bei banalen<br />

Kopfschmerzen, die sich<br />

nicht zur Attacke entwickeln,<br />

führen könne. Anhand der aktuellen<br />

Studienlage könne diese<br />

Frage, so Prof. Wöber, nicht beantwortet<br />

werden: „Es gibt keine<br />

adäquate Studie, die zweifelsfrei<br />

die Überlegenheit einer frühen<br />

Therapie zeigt.“ Die Attackentherapie<br />

sollte also erfolgen,<br />

sobald das Auftreten einer Attacke<br />

als sehr wahrscheinlich eingestuft<br />

wird. Triptane sollten<br />

niemals während der Aura eingenommen<br />

werden, da sie zu<br />

diesem Zeitpunkt wirkungslos<br />

sind. Das Kriterium für die<br />

Wirksamkeit der Medikation ist<br />

heute das Abklingen der Attacke<br />

innerhalb von zwei Stunden<br />

nach Medikamenteneinnahme,<br />

wobei die Attacke innerhalb von<br />

24 Stunden nicht mehr auftritt.<br />

Das kann auch <strong>mit</strong> Triptanen<br />

durchaus nicht immer erreicht<br />

werden. Als Alternative ist die<br />

Kombination von Triptanen und<br />

NSAR möglich. Für Sumatriptan<br />

und Naproxen konnte in zwei<br />

Studien die Überlegenheit gegenüber<br />

Sumatriptan Monotherapie,<br />

Naproxen Monotherapie und Placebo<br />

nachgewiesen werden.<br />

PROPHYLAXE REDUZIERT ANFÄLLE.<br />

Bei sehr häufigen Attacken kann<br />

eine medikamentöse Prophylaxe<br />

indiziert sein. Empfehlung zur<br />

Prophylaxe besteht bei mehr als<br />

drei bis vier Attacken pro Monat.<br />

Erforderlich ist eine ausführliche<br />

Anamnese zur bisherigen Therapie.<br />

Das Therapieziel ist eine<br />

Reduktion der Anfallshäufigkeit<br />

um mindestens 50 Prozent. Auch<br />

hier ist eine individuelle Therapieplanung<br />

erforderlich. Neben<br />

der medikamentösen Prophylaxe<br />

sind immer allgemeine Maßnahmen<br />

erforderlich. Dazu gehören<br />

regelmäßiges Essen, Trinken<br />

und Schlafen ebenso wie das<br />

Vermeiden von Triggerfaktoren<br />

und Ausdauersport. In der medikamentösen<br />

Prophylaxe sind Be-<br />

ta-Blocker, Kalziumkanalblocker<br />

oder Antiepileptika erste Wahl,<br />

als Mittel der zweiten Wahl<br />

kommt A<strong>mit</strong>riptylin in Frage.<br />

Auch Entspannungstraining,<br />

Biofeedback, Verhaltenstherapie<br />

und Akupunktur dürften einen<br />

Einfluss haben. Unter den<br />

pflanzlichen Wirkstoffen gibt es<br />

Studien für Pestwurz und Mutterkraut,<br />

deren Nebenwirkungen<br />

allerdings nicht unterschätzt<br />

werden dürfen.<br />

Reno Barth<br />

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