Vortrag, pdf - Marienkrankenhaus Hamburg
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Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 1 von 35<br />
Interdisziplinäre Rahmenleitlinie zur Diagnostik und Behandlung<br />
von nosokomialen Harnwegsinfektionen geriatrischer Patienten<br />
im Kath. <strong>Marienkrankenhaus</strong> <strong>Hamburg</strong><br />
Kennwort: Nosokomiale Harnwegsinfektion im Alter
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 2 von 35<br />
Inhaltsverzeichnis:<br />
INTERDISZIPLINÄRE RAHMENLEITLINIE ZUR DIAGNOSTIK UND BEHANDLUNG ........................... 1<br />
VON NOSOKOMIALEN HARNWEGSINFEKTIONEN GERIATRISCHER PATIENTEN .......................... 1<br />
IM KATH. MARIENKRANKENHAUS HAMBURG ..................................................................................... 1<br />
INHALTSVERZEICHNIS: ............................................................................................................................... 2<br />
Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................................3<br />
Tabellenverzeichnis .........................................................................................................................3<br />
EINLEITUNG............................................................................................................................................... 4<br />
Problemstellung ................................................................................................................................... 4<br />
ZIELSTELLUNG:.......................................................................................................................................... 4<br />
METHODEN ............................................................................................................................................... 4<br />
Recherche geriatrischen Spezialwissens zum Thema Harnwegsinfektionen...................................... 5<br />
Geriatrische und infektiologische Lehrbuchinhalte ..........................................................................................5<br />
Literaturdatenbank-Recherche ........................................................................................................................5<br />
Leitlinien-Recherche ............................................................................................................................ 5<br />
Methodische Aspekte klinikinterner Leitlinien ...................................................................................... 5<br />
Methoden des Projektmanagements (PM) .......................................................................................... 6<br />
Projektgruppe ..................................................................................................................................................7<br />
Plan des klinischen Projektes..........................................................................................................................7<br />
ERGEBNISSE ............................................................................................................................................. 7<br />
Übersicht.............................................................................................................................................. 7<br />
Ergebnisse der Recherchen ................................................................................................................ 8<br />
Geriatrische und infektiologische Lehrbuchinhalte ..........................................................................................8<br />
Tabelle 1 Therapieempfehlungen nach Füsgen ..............................................................................8<br />
Literaturdatenbank-Recherche ........................................................................................................................9<br />
Leitlinien-Recherche ........................................................................................................................................9<br />
Leitlinien im Intranet des MKH.........................................................................................................................9<br />
Leitlinien der AWMF ........................................................................................................................................9<br />
Leitlinien der Infektiologischen Fachgesellschaften.........................................................................................9<br />
Leitlinien der Urologischen Fachgesellschaften ..............................................................................................9<br />
Leitlinien der Geriatrischen Fachgesellschaften..............................................................................................9<br />
Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft........................................................10<br />
Medizinische-inhaltliche Ergebnisse.................................................................................................. 10<br />
Diagnostik von HWI im Alter.............................................................................................................. 10<br />
Epidemiologie der Bakteriurie........................................................................................................................10<br />
Tabelle 2 Prävalenz und Kumulierte Fünfjahres-Inzidenz der Bakteriurie bei Frauen im Alter......10<br />
Entnahme von Katheterurinproben............................................................................................................11<br />
Tabelle 3 Resistenzen von E.coli: Vergleich Mittelstrahl-/Katheterurin..........................................12<br />
Immunologie im Alter .....................................................................................................................................12<br />
Anamnese......................................................................................................................................................12<br />
Besonderheiten der Anamnese von Infektionen im Alter...........................................................................12<br />
Tabelle 4 Atypische Symptome älter Patienten .............................................................................13<br />
Patientencompliance .....................................................................................................................................13<br />
Pathogenese und Risikofaktoren...................................................................................................................13<br />
Risikofaktoren für rezidivierende HWI .......................................................................................................14<br />
Tabelle 5 Risikofaktoren für rezidivierende HWI............................................................................14<br />
Bedeutung der Blasenkapazität.................................................................................................................14<br />
Urinentnahme ................................................................................................................................................14<br />
Manuelle Fähigkeiten zur Abgabe des Mittelstrahl-Urins...........................................................................14<br />
Kriterien für die Diagnose von HWI ...............................................................................................................15<br />
Tabelle 6 Kriterien für die Diagnose von HWI................................................................................15<br />
Urindiagnostik im Routinelabor......................................................................................................................16<br />
Verbesserungspotential bei Partikelzählung..............................................................................................16<br />
Teststreifenanalytik ().............................................................................................................................16<br />
Präzise Kammerzählung und semiquantitative Mikroskopie zentrifugierten Urinsediments..................17<br />
Restharnsonografie....................................................................................................................................18<br />
Mikrobiologie..................................................................................................................................................18<br />
Tabelle 7 Keimspektren in stationären Senioreneinrichtungen vs. Eigene Häuslichkeit ...............19<br />
Mikrobiologischer Ist-Zustand im MK.........................................................................................................19<br />
Keimspektrum <strong>Marienkrankenhaus</strong> 2001 ..........................................................................................19<br />
Tabelle 8 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2001..................................................21
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 3 von 35<br />
Tabelle 9 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2002..................................................21<br />
Therapie der Harnwegsinfektion im Alter........................................................................................... 22<br />
Multimodale Behandlung im MK ....................................................................................................................22<br />
Präexistente Behandlungsempfehlungen ......................................................................................................22<br />
Tabelle 10 Therapie-Empfehlungen nach Albert et al. (15) ...........................................................22<br />
Tabelle 11a Therapie-Empfehlungen allgemein nach Wagenlehner und Naber KG ()..................22<br />
Tabelle 11b Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber/Komplizierte und nosokomiale<br />
Harnwegsinfektion .........................................................................................................................23<br />
Tabelle 11c Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber , Harnwegsmykosen ..........24<br />
Therapie-Empfehlungen der Arbeitsgruppe für Harnwegsinfektionen älterer Patienten während der<br />
stationären Behandlung im <strong>Marienkrankenhaus</strong>............................................................................................24<br />
DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN................................................................................................ 25<br />
Zur Signifikanz der Keimzahlgrenzen in Urinproben......................................................................................26<br />
Zu den präexistenten Therapieempfehlungen ...............................................................................................27<br />
Resistenzdaten im <strong>Marienkrankenhaus</strong>.........................................................................................................27<br />
ANHANG.................................................................................................................................................. 29<br />
Kosten der Laboranalyse von Urinproben .....................................................................................................29<br />
Kosten und Ressourcenverbrauch des Projektes..........................................................................................29<br />
Ertrag des Projektes ......................................................................................................................................29<br />
Danksagungen...........................................................................................................................................29<br />
Erratum Nachtrag 2005..................................................................................................................................31<br />
Literatur..........................................................................................................................................................31<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1 Effekte von Projektmanagementmethoden............................................................................. 6<br />
Abbildung 2 Kumulierte Inzidenz der Bakteriurie in 18 Monaten .............................................................. 11<br />
Abbildung 3 Mittelstrahlurin Sensitivität und Spezifität.............................................................................. 14<br />
Abbildung 4 Anteil kontaminerter Urinproben am Gesamtaufkommen .................................................... 15<br />
Abbildung 5a/b Intimhygiene und Urinanalyse.......................................................................................... 17<br />
Abbildung 6 Keimspektrum <strong>Marienkrankenhaus</strong> 2001 ............................................................................. 19<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1 Therapie-Empfehlungen nach Füsgen 8<br />
Tabelle 2 Prävalenz und Kumulierte Fünfjahres-Inzidenz der Bakteriurie bei Frauen im Alter..................10<br />
Tabelle 3 Resistenzen von E.coli: Vergleich Mittelstrahl-/Katheterurin......................................................12<br />
Tabelle 4 Atypische Symptome älter Patienten .........................................................................................13<br />
Tabelle 5 Risikofaktoren für rezidivierende HWI........................................................................................14<br />
Tabelle 6 Kriterien für die Diagnose von HWI............................................................................................15<br />
Tabelle 7 Keimspektren in stationären Senioreneinrichtungen vs. Eigene Häuslichkeit ...........................19<br />
Tabelle 8 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2001 .............................................................21<br />
Tabelle 9 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2002 .............................................................21<br />
Tabelle 10 Therapie-Empfehlungen nach Albert et al................................................................................22<br />
Tabelle 11a Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber/ allgemein......................................22<br />
Tabelle 11b Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber/ Komplizierte/Nosokomiale HWI ...23<br />
Tabelle 11c Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber / Harnwegsmykosen......................24
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 4 von 35<br />
Einleitung<br />
Eine Harnwegsinfektion (HWI) eines älteren Patienten während der stationären Behandlung im<br />
Krankenhaus ist die häufigste nosokomiale Infektionsart, die bei Bakteriämie in bis zu 5% der Betroffenen<br />
zum Tode führt (1). Infektionserkrankungen im Alter gehören zu den häufigsten zur Krankenhaus-<br />
Aufnahme führenden Erkrankungen und verursachen bis zu dreißig Prozent der Todesfälle geriatrischer<br />
Patienten (2). Dreißig bis fünfzig Prozent aller nosokomialen Infektionen sind HWI, die – nach<br />
amerikanischen Daten - die Liegedauer um 1-4 Tage verlängern und zusätzliche Kosten von ca.500-600<br />
US-Dollar verursachen (3).<br />
HWI im Alter sind schwieriger zu diagnostizieren und zu behandeln, die antibiotische Behandlung von<br />
Harnwegsinfektionen älterer Patienten im KH ist häufig und bindet erhebliche Ressourcen. Zudem ist die<br />
medikamentöse Therapie im Alter mit einem 4fachen Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
verbunden.<br />
Aus 9000 Urinproben des Kath. <strong>Marienkrankenhaus</strong>es in <strong>Hamburg</strong> (MK) im Jahre 2001 wurden im<br />
eigenen Institut für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie & Transfusionsmedizin (ILMT) 2272 Urin-<br />
Kulturen mit signifikantem positiven Keimnachweis analysiert. Davon betrafen mehr als drei Viertel der<br />
Antibiogramme des Jahres 2001 im MK betrafen Patienten über 60 Lebensjahren (77,7%) aller<br />
Abteilungen. Die Kosten für alle eindeutig positiv getesten Urinproben, d.h. für<br />
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die<br />
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2272<br />
Urinuntersuchungen mit Sediment plus Antibiogramm betrugen überschlägig ca. 23000<br />
Das MK ist ein 550- Betten-Schwerpunktkrankenhaus im Zentrum <strong>Hamburg</strong>s, in dem o.g. Jahr 19282<br />
Patienten behandelt wurden (Fallzahl). Am MK, dem größten konfessionellen Krankenhaus <strong>Hamburg</strong>s,<br />
besteht eine eigene vollintegrierte Geriatrische Klinik (54 Betten, bis zum 30.6.03 unter dem Dach der<br />
2.Medizinischen Klinik) sowie eine Infektionsstation unter fachlicher Leitung eine anerkannten<br />
internistischen Infektiologen (16 Betten) sowie eine eigenständige Urologische Klinik (40 Betten) und o.g.<br />
Institut für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie & Transfusionsmedizin (ILMT), das alle wesentlichen<br />
Laboruntersuchungen selbst durchführt.<br />
Problemstellung<br />
Nach unsystematischen klinischen Beobachtungen in der Geriatrischen Klinik kam es im Rahmen des<br />
Gesamtaufenthaltes im MK gehäuft zu antibiotischen Mehrfach-Kurz-Behandlungen von<br />
Harnwegsinfekten in den vorbehandelnden Abteilungen. Hierbei wurden zunehmend Multiresistenzen<br />
registriert, die erst in der Geriatrischen Klinik auffielen. Aus der Geriatrischen Klinik erfolgte der Impuls zur<br />
vorliegenden Arbeit.<br />
Bei unbekannter lokaler Resistenzlage fehlten a) ein Ganz-Jahres-Keimspektrum und b) Leitlinien zur<br />
Diagnostik und antibiotischen Behandlung von nosokomialen HWI im Alter für den innerklinischen<br />
Gebrauch.<br />
Zielstellung:<br />
Als Ziel wurden formuliert: Erstellung eines Ganz-Jahres-Keimspektrum für Urinproben und die<br />
Entwicklung von internen Empfehlungen zur Diagnostik und antibiotischen Behandlung von<br />
Harnwegsinfektionen (HWI) älterer Patienten während der stationären Behandlung im MK.<br />
Geplant waren<br />
1. eine Recherche externen Wissens insbesondere bestehender Lehrbücher, Datenbanken,<br />
Leitlinien<br />
2. eine Identifikation des Keimspektrums im MK und<br />
3. eine altersgeschichtete und abteilungsspezifische Keimspektrumanalyse sowie<br />
4. die Bestimmung von statistischen Unterschieden zwischen verschiedenen Altersgruppen und<br />
5. die Formulierung von Empfehlungen für den innerklinischen Gebrauch.<br />
Methoden<br />
Vorbemerkung<br />
Das Thema Inkontinenz, wird hier nicht behandelt, es wird verwiesen auf die Stellungnahme der First<br />
International Consultation on Incontinence (4).
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 5 von 35<br />
Recherche geriatrischen Spezialwissens zum Thema Harnwegsinfektionen<br />
Geriatrische und infektiologische Lehrbuchinhalte<br />
1. Standard-Lehrbücher der gesamten Geriatrie sowie das Lehrbuch der klinischen Infektiologie<br />
wurden hinsichtlich der Frage analysiert, ob a) ein eigenes Kapitel zum Thema und b) ob Leitlinien<br />
dokumentiert sind.<br />
Literaturdatenbank-Recherche<br />
Es wurde eine Vor-Recherche in der internationalen PUBMED ® -Datenbank des amerikanischen National<br />
Institute of Health zur Auswahl einer geeigneten Suchsyntax durchgeführt. Ziel war es unter klinischen<br />
Alltagsbedingungen eine orientierende Zitatensammlung von ca 50. Arbeiten zu finden, die hinsichtlich<br />
des Vorhandenseins einer Leitlinie durchgesehen werden sollten. Ausgewählt wurde die Suchsyntax:<br />
Urinary tract infection [Title]:<br />
Urinary tract infection [Title] AND geriatric [Title]<br />
Urinary tract infection [Title] AND elderly [Title]<br />
Ein umfassende Literaturreview war nicht Gegenstand der Recherche.<br />
Leitlinien-Recherche<br />
Nach Leitlinien zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter sollte lokal und überregional im<br />
deutschen Sprachraum gesucht werden.<br />
Hierzu wurden angefragt:<br />
- Intranet des MK<br />
- Der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)<br />
o Leitlinien der Infektiologischen Fachgesellschaften<br />
o Leitlinien der Urologischen Fachgesellschaften<br />
o Leitlinien der Geriatrischen Fachgesellschaften<br />
o Leitlinien der Allgemeinmedizin<br />
- Der Themenbeauftragte der „Bundesarbeitsgemeinschaft für klinisch-geriatrische Einrichtungen“<br />
- Der Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie<br />
- Schriftgut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft<br />
Bei sehr knappen Ressourcen an einem Allgemeinkrankenhaus wurde ein innerklinischer<br />
Leitlinienprozess als Methode der Wahl vom geriatrischen Projektkoordinator initiiert. Zu den Methoden<br />
des Leitlinienprozesses und Projektmanagements wird unten Stellung genommen. Das Vorgehen führte<br />
zum ersten abteilungsübergreifenden Projekt zwischen Urologen, Internisten/Infektiologen und Geriatern<br />
zu einem Spezialthema an diesem Krankenhaus.<br />
Methodische Aspekte klinikinterner Leitlinien<br />
Die Umsetzung nationaler oder überinstitutioneller Leitlinien zur Behandlung und Diagnostik bestimmter<br />
Erkrankungen in die Behandlungsrealität der Klinik ist ein zentrales Ziel klinikinterner Leitlinien. Die<br />
Anpassung nationaler Leitlinien „durch die Einbeziehung der lokalen Strukturen“ verleihe nationalen<br />
Leitlinen konkrete Anwendbarkeit (5):<br />
Klinikinterne Leitlinien widmen sich solchen Themen, die<br />
- Bezug nehmen auf häufige Probleme<br />
- Interdisziplinären Charakter haben<br />
- Abstimmungsbedarf zwischen Abteilungen nahe legen<br />
Harnwegsinfektionen im Krankenhaus sind häufig, berühren die meisten Krankenhausabteilungen und<br />
werden in jedem Krankenhaus in mehrererlei Weise behandelt, so dass es sich um ein klassisches<br />
Themenfeld für eine innerklinische Leitlinie handelt.<br />
Für die Methodik verweisen wir auf die Arbeit von Halber, Palm, Pritzbuer und Schrappe (Universität Köln)<br />
aus dem Jahr 2002. Zusammenfassend handelt es sich um eine rational begründete Anpassung externer<br />
Leitlinien und internen Wissens durch Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen mit konkreter<br />
Umsetzung in einer Klinik für ein bestimmtes Problem und Zeitraum.
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 6 von 35<br />
Im Unterschied zur Kölner Systematik von Halber et al. wurde die Leitlinie im MK nicht „von oben“ („topdown“)<br />
per Geschäftsführungsbeschluss, sondern als Projekt von der Basis („bottom up“; Beobachtungen<br />
auf Assistenzarztebene) durchgeführt. Nachteilig bei solchen Projekten ist, dass erst Akzeptanz der<br />
Leitungsebenen herbeigeführt werden muß, was in der Regel bei klinisch relevanten<br />
Verbesserungspotenzialen nicht problematisch ist. Jedoch stößt die Bereitstellung von Ressourcen<br />
(Personal, Material etc.) oft an Grenzen. Eine Softwareunterstützung (voll funktionsfähiges Intranet mit MS<br />
Office, MS Project im Netz frei verfügbar sowie firewall-geschützter Zugriff auf Datenbanken im Internet)<br />
wurde bereitgestellt. Für das Projekt wurde ein ärztlicher Mitarbeiter als Projektmanager einjährig<br />
berufsbegleitend wissenschaftlich ausgebildet (6).Weitere Ressourcen (Freistellungen, Personal) wurden<br />
nicht bereitstellt, so dass die Arbeit aller Beteiligten im wesentlichen zusätzlich zum klinischen Dienst auf<br />
freiwilliger Basis erfolgte.<br />
Methoden des Projektmanagements (PM)<br />
Die Methoden des PM (7) stammen ursprünglich aus den technischen Wissenschaften und umfassen<br />
neben einem klaren schriftlichen Projektauftrag, eindeutige Zuweisungen von Ressourcen und Aufgaben<br />
sowie Zuständigkeiten einerseits und andererseits ein a priori geplantes Vorgehen zur Lösung von<br />
fachlichen Aufgaben und Problemen. Es unterscheidet sich damit von der pragmatischen Problemlösung<br />
herkömmlicher Art. PM-Methoden finden zur Zeit vermehrt im Gesundheitswesen Anwendung.<br />
Hintergrund für die Anwendung dieser Methoden sind vor allem Vorteile aus der Perspektive von<br />
Unternehmensleitungen und Mitarbeitern. Nachgewiesen wurden Einsparungen von Ressourcen bei<br />
verbesserter Zielerreichung:<br />
- Reduktion von 60% von ungeplanten Terminverzögerungen,<br />
- Reduktion der Kosten im technischen Qualitätsbereich von 30% und<br />
- Reduktion der Kosten von 11% im Herstellungsbereich.<br />
Der Nutzen wird aus der Sicht von Mitarbeitern von 170 nicht medizinischer Projektgruppen auf folgender<br />
Grafik verdeutlicht:<br />
Abbildung 1 Effekte von Projektmanagementmethoden<br />
Abbildung entnommen aus Schelle H, Beck-Wirtschaftberater im DTV, 3.Auflage 2001
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 7 von 35<br />
Projektgruppe<br />
Die Beteiligten im MK waren die 4 Leitenden Ärzte und 2 Schwerpunktoberärzte der folgenden<br />
Abteilungen sowie der Verfasser als Impulsgeber und Projektkoordinator:<br />
2. Medizinische Klinik<br />
Abt. für Infektiologie<br />
Geriatrische Klinik<br />
Vormals Abt.f<br />
Geriatrie/2.Med.<br />
Institut für<br />
Laboratoriumsmedizin,<br />
Mikrobiologie &<br />
Transfusionsmedizin<br />
Urologische Klinik<br />
Mittelbar wurden die Geschäftsführung, die EDV, das Controlling, die Qualitätsbeauftragten und die<br />
Pflegedirektion informiert und einbezogen.<br />
Plan des klinischen Projektes<br />
Der konkrete Projektplan unserer klinischen Arbeit umfasste folgende Schritte:<br />
1. Projektaufttrag vom Leitenden Oberarzt<br />
2. Literaturrecherche<br />
3. Kontaktgespräche zu den Nachbarabteilungen<br />
4. Gespräche mit den Leitenden Ärzten der Abteilungen<br />
5. Gespräche mit dem Direktorium<br />
6. Interdisziplinäre Gruppen-Arbeit mit den Ärzten<br />
- Geriatrie<br />
- Infektiologie<br />
- Urologie<br />
- Labormedizin<br />
- Mikrobiologie<br />
- EDV<br />
7. Sichtung der präexistenten Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie<br />
8. Festlegungen zu eigenen klinikinternen Empfehlungen<br />
9. Abstimmung und Weiterentwicklung jedes Leitlinien-Entwurfes im Dialog und/oder<br />
Gruppengespräch<br />
10. Anpassung der Entwürfe<br />
11. Erstellung der Leitlinie mit Text und Grafik<br />
12. Mehrfache Endabstimmung<br />
13. Implementation der Leitlinie im Intranet des Krankenhauses<br />
14. Autorisierung durch die Arbeitsgruppe und die Geschäftsführung<br />
15. Aushändigung einer gebundenen Fassung an die Leitenden Ärzte<br />
16. Leitlinienempfehlung für die ärztlichen Mitarbeiter des MK<br />
Ergebnisse<br />
Übersicht<br />
- Vorbemerkung<br />
- Ergebnisse der Recherchen<br />
- Medizinische-inhaltliche Ergebnisse<br />
Vorbemerkung<br />
Die Ziele 1, 2 und 5 wurden erreicht. Die Ziele 3 und 4 a wurden frühzeitig (nach 10 Arbeitsstunden) als<br />
zum gegebenen Zeitpunkt nicht erreichbar eingestuft. Aufgrund der Einschränkung der Laborsoftware<br />
war es nicht möglich ein Datenexport / Auslesen von Individual-Daten in einem –ausreichend validen -<br />
rechenbaren Datenformat zu erreichen (Herstellerangaben). Eine „Handkorrelation“ von 9000<br />
Urinproben war bei laufendem Betrieb nicht möglich.<br />
a altersgeschichtete und abteilungsspezifische Keimspektrumanalyse sowie<br />
die Bestimmung von statistischen Unterschieden zwischen verschiedenen Altersgruppen
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 8 von 35<br />
Ergebnisse der Recherchen<br />
Geriatrische und infektiologische Lehrbuchinhalte<br />
Eine Analyse der deutschsprachigen Lehrbuchinhalte ergibt ein eher spärlich dokumentiertes<br />
Spezialwissen über Harnwegsinfektionen im Alter:<br />
1. In einem 922 Seiten umfassenden Lehrbuch der Klinischen Geriatrie (8) sind die<br />
Harnwegsinfektion im Alter ohne eigenes Kapitel lediglich zeilenweise im Kapitel „Nosokomiale<br />
Infektionen“ bzw. Nierenerkrankung abgehandelt. Der Verweis auf das urologische Kapitel im<br />
gleichen Werk bleibt dort unbeantwortet. Hervorzuheben ist, dass sich jedoch eine –<br />
amerikanische – Kostenaufstellung nosokomialer Harnwegsinfektionen findet (zusätzliche Kosten<br />
von ca.500-600 US-Dollar pro Infektion).<br />
2. In einem 956 Seiten umfassenden Lehrbuch der Klinischen Infektiologie (9) sind die<br />
zwanzigseitigen Angaben zu Harnwegsinfektion ohne wesentlichen Hinweis auf die<br />
Besonderheiten im Alter. Die Termini Geriatrie oder Pflegeheim werden nicht erwähnt.<br />
3. In der zweiten Auflage (745 Seiten) des Lehrbuch „Der ältere Patient“ (10) sind die<br />
Harnwegsinfektion im Alter ohne eigenes Kapitel lediglich zeilenweise im Kapitel „Inkontinenz“<br />
bzw Fieber im Alter abgehandelt.<br />
4. In der Dritten Auflage (753 Seiten) wurden die Angaben umfassend erweitert zu einem eigenem<br />
Kapitel mit sieben Seiten Umfang (11). In den Inhalten finden sich eine knappe Einleitung (16<br />
Halbzeilen), eine gut strukturierte Einteilung in<br />
a) Symptomatik<br />
b) Asymptomatische Bakteriurie<br />
c) Pathogenese<br />
d) Physiologische Veränderungen<br />
e) Alterstypische Erkrankungen<br />
f) Harnwegsinfekt und<br />
Harninkontinenz<br />
g) Dauerkatheter und Harnwegsinfekt<br />
h) Therapie<br />
i) Literaturverzeichnis mit 39<br />
Literaturstellen<br />
Hervorzuheben sind aus dem Text die Abschnitte b) bis h), die deutlich mehr und konkretere<br />
Informationen als andere Lehrbücher vermitteln und insbesondere Therapiehilfen auch für den<br />
Pflegeheimbereich und durch adjuvante Maßnahmen umfassen. Die Therapieempfehlungen für ältere<br />
Patienten in diesem Werk ist relativ allgemein gehalten. Wünschenswert wären im Therapieteil<br />
Angaben zu nosokomialen Infektion, die nicht gesondert erwähnt werden. Die Inhalte der Abschnitte<br />
a) bis g) werden hier nicht explizit wiedergegeben, da sie in einer „Tabelle 17.1“ (S.177) übersichtlich<br />
wiedergegeben werden:<br />
Tabelle 1 Therapieempfehlungen nach Füsgen<br />
Asymptomatische Bakteriurie Therapie nur in Ausnahmefällen<br />
Asymptomatischer, unkomplizierter HWI Frauen und Katheterträger: Therapie nur in<br />
Ausnahmefällen<br />
Männer: Therapie 3-7 Tage<br />
Symptomatischer, unkomplizierter HWI Frauen: Stoßtherapie bei Erstinfekt<br />
Männer: Therapie 7 Tage<br />
Symptomatischer, komplizierter HWI Alle: Therapie 7-10 Tage<br />
Ev. Resistenzgerechte i.v.-Therapie<br />
Rezidivierender HWI Frauen und Katheterträger:<br />
Therapie nur bei symptomatischen HWI (2-6 Wochen)<br />
Chronisch &chronisch rezidivierender HWI Frauen und Katheterträger:<br />
Therapie nur bei symptomatischen HWI<br />
(individ. Therapiedauer, ev. Dauertherapie)<br />
Atypischer HWI Therapie gemäß Erreger und Lokalisation
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 9 von 35<br />
Literaturdatenbank-Recherche<br />
Eine hocheingegrenzte Recherche in der internationalen PUBMED ® -Datenbank des amerikanischen<br />
National Institute of Health im November 2002 ergab für die Suchsyntax<br />
1. Urinary tract infection [Title]: 2950 Artikel<br />
2. Urinary tract infection [Title] AND geriatric [Title] : 6 Artikel<br />
3. Urinary tract infection [Title] AND elderly [Title] : 35 Artikel<br />
In den Suchergebnissen der Recherchen 2 und 3 wurden mehrere Artikel doppelt erfasst, die Mehrzahl<br />
der Artikel waren nicht nicht-randomisierte Studien. Ein Review der Literatur würde den Rahmen dieser<br />
Arbeit sprengen. Es kann jedoch festgehallten werden, dass das o..g. Suchergebnis eine überraschend<br />
kleine Anzahl von Arbeiten zum Thema hervorgebracht hat, die meist aus den achtziger und neunziger<br />
Jahren des letzten Jahrhunderts stammten und zumeist im folgenden Text zitiert werden. Leitlinien zum<br />
Thema wurden nicht gefunden.<br />
Auch jüngere deutsche Literatur im Rahmen der Inneren Medizin und der Infektiologie berücksichtigen die<br />
Besonderheiten im Alter nicht (12,13).<br />
Leitlinien-Recherche<br />
Leitlinien im Intranet des MKH<br />
Im Intranet des MK finden sich bisher keine Leitlinien zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter.<br />
Leitlinien der AWMF<br />
Die Leitlinienentwicklung der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen<br />
Fachgesellschaften (AWMF) koordiniert die Leitlinien der einzelnen Fachgesellschaften. Mit dem Stand<br />
vom 01.12.2001 werden auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Urologie 35 Leitlinien der<br />
Entwicklungsstufe 1 aufgeführt, die sich verschiedenen klinischen Problemen (z.B. HWI bei<br />
Querschnittslähmung, HWI bei Kindern) widmen. Die Besonderheiten älterer Patienten wird nicht<br />
berücksichtigt. Infektiologische oder Geriatrische Leitlinien finden sich nicht. Es besteht weiterhin eine<br />
Leitlinie der Entwicklungsstufe 3 der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (AWMF-Leitlinien-<br />
Register Nr. 053/001) zum Thema „Brennen beim Wasserlassen“.<br />
Dem allgemeinmedizinischen Charakter entsprechend werden Krankenhaus-Situationen nur wenig beleuchtet („Bei<br />
im Krankenhaus erworbenen HWI sind resistente Keime häufiger“). Infektiologische oder urologische<br />
Besonderheiten im Alter werden in 2 Sätzen behandelt:<br />
1.„Ältere Frauen, die in Heimen o.ä. leben und eingeschränkt mobil sind, (u.U. auch alle postmenopausalen<br />
Frauen) sollten für 7 Tage behandelt werden, da Kurzzeittherapien hier oft weniger wirksam sind (level of<br />
evidence IV)“.<br />
2. „Rezidive, bei älteren Männern auch Erstinfekte, sollten immer urologisch abgeklärt werden. (level of<br />
evidence IV).” Genannt wird folgende Literaturstelle: Lipsky B: Prostatitis and urinary tract infection in men:<br />
what's new; what's true? Am J Med 1999; 106: 327-334<br />
Weitere Inhalte zum Thema werden nicht gefunden.<br />
Leitlinien der Infektiologischen Fachgesellschaften<br />
Es finden sich keine Leitlinien zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter bei der AWMF.<br />
Leitlinien der Urologischen Fachgesellschaften<br />
Es finden sich keine Leitlinien zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter bei der AWMF.<br />
Leitlinien der Geriatrischen Fachgesellschaften<br />
Es finden sich keine Leitlinien zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter bei der AWMF. Eine<br />
Anfrage bei der „Bundesarbeitsgemeinschaft für klinisch-geriatrische Einrichtungen“ (Berlin,<br />
Arbeitsgruppe „Clinical pathways“, pers. Mitteilung Dr. Siegel) und beim Präsidenten der Deutschen<br />
Gesellschaft für Geriatrie (Prof. Dr. Füsgen, Lehrstuhl für Geriatrie, Universität Witten-Herdecke) ergab,<br />
dass bisher keine standardisierten Behandlungspfade bzw. -empfehlungen zum Thema bestehen.
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 10 von 35<br />
Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft<br />
Die Empfehlungen beziehen sich auf drei Gruppen (Unkomplizierte HWI, HWI mit Beteiligung des<br />
Nierenparenchyms, HWI ohne Aussicht auf Keimbeseitigung). Es finden sich keine gesonderten<br />
Empfehlungen zur Behandlung von Harnwegsinfektionen im Alter (14).<br />
Medizinische-inhaltliche Ergebnisse<br />
Diagnostik von HWI im Alter<br />
Im Vergleich zu jüngeren Patienten bestehen bei älteren Patienten signifikante Besonderheiten in<br />
folgenden Bereichen ( 15,20 ):<br />
1. Epidemiologie zur asymptomatischen Bakteriurie<br />
2. Immunologie<br />
3. Anamnese<br />
4. Pathogenese<br />
5. Mikrobiologie<br />
Epidemiologie der Bakteriurie<br />
Die Angaben zur Prävalenz einer Bakteriurie unterscheiden sich nach Alter, Geschlecht und Wohnort. Zu<br />
unterscheiden sind die „asymptomatische Bakteriurie“ von der „symptomatischen Bakteriurie“. Letzere<br />
wird definiert als das Auftreten von mehr als 10 Leukozyten /mm 3 bzw mehr als 10 4 KBE/ml Urin in 2<br />
aufeinanderfolgenden Urinkulturen (Mittelstrahl), wobei die Proben in einem Abstand von mehr als 24<br />
Stunden gewonnen werden sollen (13)<br />
Im Alter von 50-60 Lebensjahren finden sich bei 5% der Frauen und 1% der Männer Bakterien im Urin.<br />
Bei den 70jährigen Frauen finden sich höhere Werte (ca.10% der Frauen; 5-10% der Männer, die in der<br />
Gemeinde und nicht in stationären Alteneinrichtungen leben).<br />
Bei den zu Hause wohnenden 80jährigen finden sich bei ca. 20% der Frauen und ca. 10% der Männer<br />
Bakterien im Urin. In stationären Alteneinrichtungen werden sehr viel höhere Prävalenzen berichtet.<br />
Beispielsweise werden bei Patienten mit dementiellen Erkrankungen und Inkontinenz bei mehr als jedem<br />
zweiten Patienten Bakterien im Urin gefunden (16).<br />
Das Vorhandensein von Bakterien im Urin ist ein dynamisches Phänomen. So konnten in einer<br />
Sechsjahresstudie mit 865 Frauen folgende Ergebnisse ermittelt werden (17):<br />
Tabelle 2 Prävalenz und Kumulierte Fünfjahres-Inzidenz der Bakteriurie bei Frauen im Alter<br />
Prävalenz Kumulierte Fünfjahres-Inzidenz<br />
Frauen zu Haus 11% 33%<br />
Frauen in Wohnanlage 18% 52%<br />
Frauen im Pflegeheim 25% 57%<br />
Auch bei männlichen Patienten sind wechselnde Inzidenzen zu beobachten, wie in einer Studie mit 184<br />
Frauen und 76 Männern im Alter von mehr als 68 Jahren (zu Hause wohnend) in einem<br />
Nachuntersuchungsintervall von dreimal 6 Monaten nachgewiesen werden konnte (18).
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 11 von 35<br />
Abbildung 2 Kumulierte Inzidenz der Bakteriurie in 18 Monaten<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
16 %<br />
Dabei konnten bei 40 % der Frauen und 75% der Männer mit initial positiven Bakterien-Befund sechs<br />
Monate später keine Bakteriurie mehr nachgewiesen werden. Eine persistierende Bakteriurie in den<br />
Harnwegen mit dem gleichen Erreger über alle drei Nachuntersuchungszeitpunkte konnte lediglich bei<br />
sechs Prozent der Frauen und 1 Prozent der Männer nachgewiesen werden.<br />
In Pflegeheimen muss mit einem anderem Keimspektrum gerechnet werden; es kommt zu einem<br />
vermehrten Auftreten von Klebsiellen und Proteus spp. statt E.coli (siehe Kapitel Mikrobiologie;Tabelle 7)<br />
Systematische Untersuchungen an Urinproben aus <strong>Hamburg</strong>er Pflegeeinrichtungen sind nicht bekannt<br />
(19).<br />
Die Differenzierung der „symptomatischen“ von der „asymptomatischen Bakteriurie“ ist in der Theorie<br />
einfach. Systematische Untersuchungen bei hochaltrigen Patienten sind selten.<br />
Zwei Untersuchungen mit kleinen Patientenzahlen wurden von Nicolle (20) und Sunthraralingam et al.<br />
(21) durchgeführt. Sie widmeten sich die Frage, ob bei Patienten mit einer „asymptomatischen<br />
Bakteriurie“ die Ursache der Bakterienbesiedelung im unteren (Blase und Harnröhre) oder im oberen<br />
Harnwegssystem (Nieren und Ureter) zu finden waren.<br />
Nicolle und Mitarbeiter untersuchten fünfunddreißig Frauen, die vorwiegend in Pflegeheimen lebten und<br />
Zeichen der rezidivierenden asymptomat. Bakterurie aufwiesen. Der Urin der oberen Harnwege wurde<br />
separat mikrobiologisch untersucht nachdem eine Auswaschmethode („Fairley-Bladder-Wash-Out“) der<br />
Blase vorgenommen wurde.<br />
Nach Katheterisierung der Blase mit einem 3-Lumen-Katheter wurde eine erste Urinprobe aus der Blase<br />
entnommen.Danach wurde die Blase 30 Minuten chemotherapeutisch durch Instillation von Gentamicin<br />
und/oder Vancomycin behandelt. Nach einer Auswasch-Phase mit 2000ml physiologischer<br />
Kochsalzlösung wurden 3-5 Proben in 10-Minuten-Intervallen entnommen und kulturiert. Eine obere HWI<br />
lag vor wenn zweimal mehr als 10 3 Keime/ml in 2 Proben des Ureteren-Urins gefunden wurde.<br />
Nicolle fand, dass 55% (17/35) der Frauen mit einer asymptomatischen. Bakterurie eine obere HWI<br />
aufwiesen.<br />
In der Untersuchung von Sunthraralingam und Mitarbeitern betrug dieser Anteil 67% (34/51); die betroffen<br />
Frauen mit uneindeutiger Bakterurie hatten eine Nephritis. Auch diese Arbeitsgruppe bediente sich der<br />
o.g. Methode der Blasen-Auswaschung und untersuchten 50 Frauen im mittleren Alter von 80 Jahren.<br />
Entnahme von Katheterurinproben<br />
30 %<br />
Das Ergebnis der Urinkulturen von Proben aus Harnblasenkathetern ist von der Liegezeit des Katheters<br />
beeinflusst. Proben, die vor und nach einem Katheterwechsel entnommen werden, weisen signifikant<br />
unterschiedliches Keimwachstum auf. Zwanzig katheterversorgte Patienten aus dem Pflegeheimsektor<br />
mit einer durchschnittlichen Keimzahl von 2,5 Keimen pro Patient wurden von Grahn et al untersucht (22).<br />
Sie ermittelten, dass vor Katheterwechsel (Liegezeit ca. 30 Tage) in 38/45 Isolaten (84%) ein signifikantes<br />
Keimwachstum vorlag. Nach Katheterwechsel wurde nur noch in 16/45 Isolaten ein signifikantes<br />
Keimwachstum registriert (35%; P < 0,05 Chiquadrat 4,8 df=1). Auch das Phänomen des Keimwechsels<br />
wird in diesem Zusammenhang beschrieben.<br />
5 %<br />
11%<br />
Fra uen M än ne r<br />
B akterurie nachw eis zu Beginn K umulierte Inzidenz über 18-Monat
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 12 von 35<br />
Im Rahmen unserer eigenen Untersuchungen zu dieser Leitlinie haben wir Resistenzen von über<br />
60jährigen Patienten deskriptiv untersucht. Wir konnten keine unterschiedlichen Resistenzen von E.coli<br />
nach Entnahmeort in der Gesamtanalyse feststellen.<br />
Tabelle 3 Resistenzen von E.coli: Vergleich Mittelstrahl-/Katheterurin<br />
Immunologie im Alter<br />
Peter und Pichler interpretieren „gehäufte Infektionen, Tumorentstehung und Autoimmunphänomene<br />
(ohne Autoimmunerkrankungen!)“ als Hinweis auf „eine gestörte Immunreaktivität im Alter. Wahrscheinlich<br />
liegen den immunologischen Veränderungen, die mit dem Alterungsprozeß assoziiert sind, verschiedene<br />
Ursachen zugrunde.“ (23)<br />
Die von Ihnen genannten Parameter der immunologischen Funktionen im Alter seien vielfältig verändert<br />
im Vergleich zu jüngeren Menschen:<br />
- Abnahme pluripotenter Stammzellen zur Besiedelung peripherer lymphatischer Organe<br />
- Abnahme zirkulierender CD4+-T-Zellen<br />
- Abnahme der Produktion von Zytokinen (IL-2, IL-3, GM-CSF, MIF)<br />
- Abnahme Zytokinrezeptoren<br />
- Verminderte natürliche Killerzellenaktivität<br />
- Hauteaktion vom verzögerten Typ in Frequenz und Stärke reduziert<br />
- Abnahme der Menge und Qualität der Antikörperbildung<br />
- IgM und IgE ⇓ aber IgG und IgA ⇑<br />
- Polymorphkernige Granulozyten: chemotaktisch eduziertes Migrationsverhalten<br />
Auch im älter werdenden Organismus sind physiologische Abwehrpotenziale im Urogenitaltrakt aktiv (15):<br />
- Vollständige Blasenentleerung<br />
- Niedriger vaginaler pH<br />
- Hohe Urin-Osmolalität<br />
- Hoher Harnstoffgehalt im Urin<br />
- Hoher Gehalt an org. Säuren im Urin<br />
- Bakterizides Prostatasekret<br />
Baldasarre und Kaye betonen, dass weitere Untersuchungen zur Immunologie erforderlich seien, z.B.<br />
Bedeutung der Östrogenwirkungen für die Adhäsion von Erregern am Urothel.<br />
Anamnese<br />
Besonderheiten der Anamnese von Infektionen im Alter<br />
Anamnese und Befund von HWI im Alter ist gekennzeichnet durch mehrere Besonderheiten:<br />
A-/Oligosymptomatik bei Infektionen (24)<br />
- fehlender Flankenschmerz, fehlende Dysurie (25)<br />
- fehlendes Fieber in bis zu 47% der älteren Patienten (26)<br />
- keine Erhöhung der Entzündungszeichen, insbesondere fehlende Leukozytose (27)<br />
- allotopische Erstmanifestation (z.B. Leitsymptom nicht Dysurie, sondern Verwirrtheit oder Inappetenz)
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 13 von 35<br />
In einer mikrobiologischen Kohortenstudie wurden Daten von Übersiebzigjähriger mit Patienten im Alter<br />
von 50-70 Jahren verglichen. In diesem britischem Krankenhaus wurden alle Blutkultur gesicherten<br />
Harnwegsinfektionen aus den Jahren 1990-93 analysiert. Nach einer klinischen Fallkonferenz durch Arzt&<br />
Mikrobiologen wurden nach Durchsicht der Krankenakten unter anderem diejenigen Symptome ermitttelt,<br />
die von den behandelnden Ärzten dokumentiert wurden (28). Zuvor katheterisierte Patienten wurden<br />
ausgeschlossen. Methodische Einschränkungen waren jedoch, dass lediglich 47% der Patientenakten zur<br />
Auswertung gelangten, dass kaum Signifikanzanalysen vorgenommen wurden und konfundierende<br />
Variablen (z.b.koinzidente Atemwegserkrankungen) nicht ausreichend analysiert wurden..<br />
Interessant ist jedoch, dass ältere Patienten mit Infektionen auch in dieser tendenziell häufiger stürzten<br />
(6/26 vs.0/23; keine Signifikanzangaben) und das Verwirrtheit häufiger auftrat (11/26 vs 4/23; p=0,05).<br />
Tabelle 4 Atypische Symptome älter Patienten<br />
Anzahl<br />
gesamt<br />
Anzahl im Alter von<br />
Anzahl im Alter von<br />
50-70 Lebensjahren > 70 Lebensjahren<br />
Männer 16 11 5<br />
Frauen 33 12 21<br />
Urolog.Symptomatik<br />
Dysurie 10 7 3<br />
Miktionsfrequenz verändert 10 6 4<br />
Nykturie 2 2 0<br />
Harnretention 7 4 3<br />
Inkontinenz 10 5 5<br />
Allotope Symptomatik<br />
Verwirrtheit 15 4 11<br />
Stürze 6 0 6<br />
Patientencompliance<br />
Weitere Herausforderungen, die die Urinuntersuchungen betreffen, sind im Bereich der<br />
Patientencompliance bei der Urinabnahme zu berücksichtigen. Die Fähigkeiten, die zur Durchführung von<br />
diagnostischen Maßnahmen erforderlich sind, sind nicht immer in der nötigen Ausprägung vorhanden.<br />
Strukturierte Untersuchungen zu den ATL-Fähigkeiten hierzu sind dem Verfasser nicht bekannt.<br />
Bedacht werden müssen:<br />
• Herabgesetzte Bereitschaft zum Sprechen über das Tabu-Thema „Ausscheidungen und<br />
Intimhygiene“,<br />
• Teilweise herabgesetzte Fähigkeiten des Hörens und Sehens<br />
• Teilweise herabgesetzte Fähigkeiten der sprachlichen Behaltensleistung (bei kognitiven<br />
Störungen)<br />
Diese Faktoren können bei Anweisungen des Personals (zur Urinabgabe) zu Verständnisproblemen<br />
führen. Weitere Ausführungen siehe Kapitel Urinentnahme.<br />
Pathogenese und Risikofaktoren<br />
Einer der bedeutendsten Risikofaktoren für Zystitis, Pyelonnephritis, Bakteriämie und Urosepsis ist das<br />
Vorhandensein eines transurethralen Dauerkatheters (29) oder ambulante instrumentelle Maßnahmen am<br />
Urogenitaltrakt, die bei 1% der Patienten eine Infektion hervorrufen (15). Ein unvollständige<br />
Blasenentleerung ist ein weiterer Hauptgrund für eine zunehmende Bakteriurie.<br />
Erkrankungen, die zu einer neurogenen Blasenentleerungsstörung führen, können eine Bakteriurie<br />
verursachen und einen HWI unterhalten z.B. Schlaganfall, Demenzerkrankungen, Parkinsonsyndrom,<br />
Diabetes. Diabetiker haben ein 3fach erhöhtes Risiko eine Bakteriurie zu erleben. Ein Wandel der<br />
vaginalen Lactobacilli-Flora zu koliformen Keimen unter Östrogenmangel sowie Schmierinfektionen bei<br />
Frauen, eine veränderte Adhärenz von E.coli an Urothelien bei Männern sind weitere Faktoren. Es
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 14 von 35<br />
erscheint wahrscheinlich, dass „das gleichzeitige Vorkommen mehrerer Erkrankungen“ das Entstehen<br />
von Harnwegsinfektion als eigenständiger Faktor begünstigt (16). Auch sexuelle Aktivität oder<br />
nachlassende Körperhygiene können weitere Gründe für HWI im Alter sein.<br />
Risikofaktoren für rezidivierende HWI<br />
Nach Yoshikawa et al. (30) begünstigen folgende Faktoren wiederkehrende oder erneute HWI:<br />
Tabelle 5 Risikofaktoren für rezidivierende HWI<br />
Rekurrierende HWI Re-Infektionen<br />
Urogenitale Abnormitäten (z.b. Fisteln) Geschlechtsverkehr<br />
Nierensteine Unvollständige Blasenentleerung<br />
Pyelonnephritis Mangelnde Körperhygiene<br />
Nierenabszesse Diabetes Mellitus<br />
Perirenale Abszesse<br />
Medizinische Prozeduren am Urogenitaltrakt<br />
z.b.Conduitblasen etc<br />
Chronisch bakterielle Prostatitis<br />
Bedeutung der Blasenkapazität<br />
Für die Interpretation einer Bakteriurie bzw. des Bakteriengehaltes in der Harnblase zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt sind mehrere Faktoren zu bedenken (31):<br />
Keimzahl, Keimmultiplikationsrate/Zeit, Restharnvolumen und die Menge des neu produzierten Urins pro<br />
Zeit. Eine bakterielle Blasenbesiedelung von mehr als 10 5 Keimen pro Milliliter ist bei einem<br />
pathologischem Restharnvolumen (>30-50 ml) nicht durch zusätzliche Flüssigkeitsaufnahme und<br />
vermehrte Diurese zu entfernen. Eine Restharnsonografie ist bei allen Patienten mit verändertem<br />
Blasenvolumen unerlässlich (z.B. auch bei rektaler Koprostase).<br />
Urinentnahme<br />
Manuelle Fähigkeiten zur Abgabe des Mittelstrahl-Urins<br />
Zur einwandfreien Abgabe eines selbst durchgeführten Mittelstrahlurins bedarf es erhaltener<br />
feinmotorischer Fähigkeiten. Auch kleinere feinmotorische Aufgaben, wie z.B. das Öffnen einer<br />
Medikamentenverpackung sind für erkrankte Ältere zum Teil mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden<br />
(32). Auch bei der Abnahme eines selbst durchgeführten Mittelstrahlurins oder Uri-Kultes muss daher mit<br />
erheblichen Schwierigkeiten gerechnet werden, die zu Verunreinigungen und ggf. falsch-positiven<br />
Resultaten führen können.<br />
Moore-Smith (33) und kamen bei einem Vergleich von Mittelstrahluntersuchungen mit einer sterilen<br />
Blasenpunktion zu folgendem Ergebnis:<br />
Abbildung 3 Mittelstrahlurin Sensitivität und Spezifität<br />
43%<br />
0 20 40 60 80 100<br />
korrekt positiv<br />
57%<br />
falsch positiv
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 15 von 35<br />
Aus eigenen Beobachtungen ist zu berichten, dass die Patienten zur Mittelstrahlurinabgabe beide Hände<br />
und ausreichend Rumpf-Stabilität im Sitzen oder Stehen benötigen. Eine reduzierte Kraftentwicklung in<br />
Arm- und Handmuskulatur führt zu verminderter Selbsthilfefähigkeit (34). Bei Schmerzen, muskulärer,<br />
neurologischer oder postoperativer Schwäche, Gips-/Castverbänden an Hand und Arm kann nicht<br />
angenommen werden, dass ältere Patienten ohne Hilfe einen sauberen Mittelstrahlurin abgeben können.<br />
In diesem Zusammenhang ist für die Arbeitsgruppe im MK von besonderem Interesse, dass im Jahr 2001<br />
ca. ein Drittel der Urinproben verunreinigt waren.<br />
Mikrobiologische Kriterien für Verunreinigung waren:<br />
- Keimzahl kleiner als 10 4 KBE/ml Urin aus dem Mittelstrahl<br />
- Bakterurie ohne begleitende Leukozyturie<br />
- Mehr als drei Spezies in nichtsignifikanter Zahl in der Urinkultur<br />
Eigene klinische Beobachtungen bei Patienten mit falsch-positiven Resultaten zeigten, dass vereinzelt<br />
Urinproben aus dem Steckbecken oder der Urinflasche entnommen wurden!<br />
Abbildung 4 Anteil kontaminerter Urinproben am Gesamtaufkommen<br />
3150<br />
3150<br />
2272<br />
Zur Diskussion der Signifikanzgrenzen wird unten Stellung genommen.<br />
Kriterien für die Diagnose von HWI<br />
428<br />
Anzahl Kulturen steril<br />
Anzahl Kulturen<br />
verunreinigt<br />
Anzahl Kulturen mit<br />
Antibiogramm<br />
Anzahl Kulturen<br />
extern und Kinder<br />
Wagenlehner und Naber (13) beziehen sich mit ihrer Kategorisierung auf die Leitlinien der Infectious<br />
Diseases Society of America bzw. die European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases:<br />
Tabelle 6 Kriterien für die Diagnose von HWI<br />
Kategorie Klinisches Zeichen Labor<br />
Leukozyten im<br />
unzentrifugierten Urin<br />
1. Akut unkomplizierte<br />
HWI bei Frauen<br />
Dysurie, Drangsymptomatik, Pollakisurie,<br />
suprapubischer Schmerz, keine<br />
Harnwegssymptome in 4 Wochen zuvor<br />
≥ 10 Leukozyten /mm 3
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 16 von 35<br />
2. Akut unkomplizierte<br />
Pyelonnephritis<br />
3. HWI mit<br />
Komplikationen<br />
4. Asymptomatische<br />
Bakteriurie<br />
Harnwegssymptome in 4 Wochen zuvor ≥ 10 3 KBE*/ml Urin<br />
(Mittelstrahl)<br />
Fieber, Schüttelfrost, Flankenschmerz; ≥ 10 Leukozyten /mm<br />
andere Diagnosen ausgeschlossen; keine<br />
Hinweise auf komplizierende Faktoren:<br />
Sonographie; Röntgen<br />
3<br />
≥ 10 4 KBE/ml Urin<br />
(Mittelstrahl)<br />
Jegliche Kombination von Symptomen der ≥ 10 Leukozyten /mm<br />
Kategorie 1 und 2; einer oder mehr<br />
Faktoren assoziiert mit HWI<br />
3<br />
≥ 10 4 KBE/ml Urin<br />
(Mittelstrahl)<br />
Keine Harnwegssymptome ≥ 10 Leukozyten /mm 3<br />
5. Rezidivierende HWI Mindestens drei, durch Urinkulturen<br />
dokumentierte Episoden einer akuten<br />
unkomplizierten Infektion im<br />
vorangegangenen Jahr: nur Frauen; keine<br />
strukturellen oder funktionellen<br />
Abnormalitäten<br />
≥ 10 4 KBE/ml Urin in 2<br />
aufeinanderfolgenden<br />
Urinkulturen (Mittelstrahl)<br />
≥ 24 h Zwischenraum<br />
Definition siehe links<br />
Laborkriterien Siehe 1-4<br />
*KBE: koloniebildende Einheiten<br />
Die Signifikanz der Keimzahlgrenzen in Urinproben wird im Diskussionsteil weiter erörtert.<br />
Urindiagnostik im Routinelabor<br />
Eine vollständige Urindiagnostik im Routinelabor besteht sowohl aus der Analytik der im Urin gelösten<br />
Bestandteile – z.B. Glukose, Ketone, Bilirubin – als auch aus der Bestimmung der Konzentration der<br />
dispergierten, ungelösten Partikel. Hierzu zählen die verschiedenen zellulären Bestandteile,<br />
Mikroorganismen und Kristalle.<br />
Verbesserungspotential bei Partikelzählung<br />
Für die Analytik der im Urin gelösten Bestandteile sind schon lange quantitative Bestimmungen mit der<br />
jeweils notwendigen Präzision wirtschaftlich möglich und üblich. Die Partikelbestimmung mittels<br />
Teststreifen ist fragwürdig.<br />
Teststreifenanalytik (35)<br />
Nach anerkannten Laborchemie-Referenzen ist die Präzision von Teststreifen nur „mäßig bis gut und<br />
schlechter als allgemein angenommen“. Es lassen sich lediglich 71-92% richtige Ergebnisse im Sinne<br />
eines groben Screenings für „Krank vs. nicht krank“ erzielen.<br />
Hierfür geeignete Screeningparameter sind:<br />
- pH-Wert,<br />
- Erythrozytennachweis und<br />
- Leukozytennachweis<br />
Aufgrund mangelnder Spezifität sind folgende Parameter ungeeignet für ein Screening:<br />
- Protein (vorwiegend Albumin)<br />
- Nitrit,<br />
- Urobilinogen,<br />
- Bilirubin,<br />
- Glucose,<br />
- Ketonkörper<br />
Erhebliche Fehlerquellen weisen Teststreifen auf bei
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 17 von 35<br />
- weniger als 10 5 Koloniebildenden Einheiten in Urin-Kultur<br />
- bei sehr hoher Keimanzahl (keine Reduktion zu Nitrat sondern zu elementarem Stickstoff)<br />
- bei Besiedelung mit Staphylokokken und Enterokokken, die kein Nitrat bilden.<br />
Präzise Kammerzählung und semiquantitative Mikroskopie zentrifugierten Urinsediments<br />
Neben der fragwürdigen Partikelbestimmung mit dem Teststreifen stehen bisher nur die präzise<br />
Kammerzählung und die semiquantitative Mikroskopie des durch Zentrifugation gewonnenen Sediments<br />
als Methoden zur Verfügung. „Der Einsatz der Kammerzählung, z.B. zur Ermittlung der präzisen Zahl der<br />
pro 24 h mit dem Urin ausgeschiedenen Leukozyten (= ADDIS-Count), erfolgt aus wirtschaftlichen<br />
Gründen allerdings meistens nicht. Die statt dessen eingesetzte Mikroskopie des Urinsediments nach<br />
Zentrifugation der Urinprobe hat sicher ihren Wert als qualitative Methode. Sie ist jedoch in quantitativer<br />
Hinsicht besonders wegen des mit großen Fehlern behafteten Zentrifugationsschritts als unbefriedigend<br />
einzustufen“ (36), wie in einer laborchemischen Diplomarbeit gezeigt werden konnte.<br />
Im Umfeld letztgenannter Untersuchung hat sich bei Kontrolle von Urinbefunden im MK (37,38) gezeigt,<br />
dass bei weiblichen Patienten (bei männlichen steht der Nachweis noch aus) die Art und Weise des<br />
Urinsammelns von großer Bedeutung ist. Gerade die für die Diagnose eines Harnwegsinfektes so<br />
entscheidenden Parameter Leukozyten und Bakterien werden offensichtlich durch Waschen und<br />
Trocknen des Urogenitalbereichs entscheidend reduziert.<br />
µl -1<br />
8000<br />
6000<br />
4000<br />
2000<br />
0<br />
Bakterien pro Mikroliter (95-Perzentil)<br />
7628<br />
Abbildung 2 Signifikante Reduktion von Leukozyten und Bakterien gesunder Probanden nach<br />
Intimhygiene<br />
Mit Ausnahme der Zylinder und der Erythrozyten sind die Unterschiede statistisch signifikant b . Man<br />
beachte, dass hier die reine Bakterienanzahl und nicht die Anzahl von „koloniebildenden Einheiten“ (KBE)<br />
wie in Tabelle 6/Kriterien für die Diagnostik angegeben ist.<br />
Abbildung 5a/b Intimhygiene und Urinanalyse<br />
3088<br />
vorher nachher<br />
vorher nachher<br />
Junge Weibliche Probanden (n=48 / n=46), Mitarbeiterinnen eines Krankenhauses<br />
b signifikanter Unterschied p < 0,001, Kalmagoroff-Smirnov-Test und Mann-Whitney-Rangsummen-Test
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 18 von 35<br />
µl -1<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Die Autoren dieser Arbeit kommen zu folgenden Schlussfolgerung (39):<br />
- Bei Einführung von neuen laborchemischen Methoden, z.B. Durchflußzytometrie, könne die Zahl<br />
der Plattenepithelien der weiblichen Patienten bei derartigen Expertensystemen als Monitor für die<br />
„Sammelqualität“ eingesetzt werden.<br />
- Den Patientinnen sollten vor irgendwelchen ungezielten Therapien gegebenenfalls Urin unter<br />
adäquaten Bedingungen (zeitnahe Intimpflege mit klarem Wasser und geeigneter<br />
Seife/Detergentien) entnommen werden.<br />
- Diese Maßnahmen könnten dazu beitragen, überflüssige und teure mikrobiologische Diagnostik<br />
und belastende Antibiotikatherapie zu vermeiden.<br />
Ein weiterer Hinweis für besondere methodischen Probleme bei der Urinabnahme kann darin gesehen<br />
werden¸ dass in einer anderen Untersuchung nur 43% der Urinproben das Labor am Tag der Entnahme<br />
erreichten (40). Hierbei zeigte sich ein Trend, dass bei über 70jährigen Patienten im Vergleich zu den 50-<br />
69jährigen noch spätere Eingänge im Labor registriert wurden (Chiquadrat 2,57, P=0,1).<br />
Restharnsonografie<br />
Bei Patienten, bei denen veränderte Blasenvolumina vorliegen, und bei HWI mit Komplikationen bzw. HWI<br />
mit Rezidiven ist eine Restharnsonografie zwingend notwendig (7, 8). Das betrifft insbesondere<br />
Patienten mit:<br />
• Anatomischen Veränderungen im Blasenbereich,<br />
• Benigner Prostatahyperplasie,<br />
• Blasensteinen,<br />
• Descensus uteri,<br />
• Tumoren im kleinen Becken oder<br />
• Chronischer Obstipation mit rektalen Skybala.<br />
Mikrobiologie<br />
Urinanalyse ohne vs. mit Intimhygiene<br />
Leukozyten Plattenepithelien<br />
vorher nachher<br />
Ery´s & Zylinder<br />
nicht signifikant<br />
nicht dargestellt<br />
Es ist eine Steigerung der Zahl antibiotischer Behandlungen zu beobachten. Hierbei ist eine stetige<br />
Zunahme von resistenten Enterobakterien auch gegenüber Chinolonen zu verzeichnen (41). Die Zahl der<br />
pilzbedingten HWI hat sich in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Häufigster uropathogener Erreger ist<br />
Candida albicans (13). Dieser wurde im MK im Jahr 2001 bei 3% der eingesandten Urinproben<br />
festgestellt.<br />
Die Keiminzidenz bei älteren Pat. unterscheidet sich auch nach dem Wohnort. Während E.coli im<br />
ambulanten Bereich der häufigste nachgewiesene Keim darstellt, ist dieser bei Frauen in stationären
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 19 von 35<br />
Senioreneinrichtungen seltener. Das Spektrum verschiebt sich zu Gunsten von Proteus mirabilis. Die<br />
Datenlage ist allerdings in spärlich vorzufindender Literatur nicht repräsentativ.<br />
Tabelle 7 Keimspektren in stationären Senioreneinrichtungen vs. Eigene Häuslichkeit<br />
In stationären<br />
Senioreneinrichtungen<br />
In % * N=64<br />
In stationären<br />
Senioreneinrichtungen<br />
In % * N=84<br />
In eigener<br />
Häuslichkeit<br />
In % (* N=87)<br />
In eigener<br />
Häuslichkeit<br />
In % (* N=68)<br />
Frauen Männer Frauen Männer<br />
E.coli 47 12 58 68<br />
Proteus mirabilis 22 17 6 1,5<br />
Klebsialle pneumoniae 7,8 4,8 6 12<br />
Providencia spp- 1,6 3,6 ? ?<br />
Pseudomonas aerug. 3,1 9,5 2 ?<br />
Citrobacter spp. 4,7 3,6 ? ?<br />
And. Gramnegative 17 4,8 5 ?<br />
Grampositive Keime 3,1 13 23 2<br />
Mischflora 11 30 1 0<br />
Kumulierte Daten, zitiert nach Nicolle LE 1992; ( *: geringe absolute Fallzahlen; n
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 20 von 35<br />
E.coli<br />
E.faecalis<br />
E.faecium<br />
Pseudomonas<br />
Proteus mirabilis<br />
Proteus sp.<br />
Enterobacter<br />
S.aureus<br />
6%<br />
3%<br />
3%<br />
6%<br />
2%4%<br />
25%<br />
51%
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 21 von 35<br />
Tabelle 8 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2001<br />
Alle Urinprobenanzahl nach Auschluß verschmutzter Proben, inkl.Intensivstationen<br />
Resistenzen > 40% grau unterlegt<br />
Keim E.coli E.faecalis E.faecium Pseudo- Proteus Proteus Entero- S.aureus<br />
Wirkstoff<br />
monas mirabilis sp. bacter<br />
Anzahl Isolate 1160 568 60 130 137 75 52 90<br />
Resistenzen<br />
Amoxi./Clavulansäure 60%<br />
Sulfamethoxazol<br />
Trimethoprim<br />
Ciprofloxacin 10% Primär-<br />
Resistenz<br />
Cefuroxim 4% Primär-<br />
Resistenz<br />
* mäßig empfindlich oder resistent<br />
*<br />
0% 100% Primär-<br />
Resistenz<br />
28% 25% 57% Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
4% 40% 95% 25% d *<br />
11% 50% 4% 3%<br />
6% 4% 5% 0% 2%<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Tabelle 9 Keimspektrum und Resistenzen im MK im Jahre 2002<br />
0% 13% 45% 10%<br />
Alle Urinprobenanzahl nach Auschluß verschmutzter Proben, inkl.Intensivstationen<br />
Resistenzen > 40% grau unterlegt<br />
Keim E.coli E.faecalis E.faecium Pseudo- Proteus Proteus sp. Entero- S.aureus<br />
Wirkstoff<br />
monas mirabilis<br />
bacter<br />
Anzahl Isolate 2001 1160 568 60 130 137 75 52 90<br />
Anzahl Isolate 2002 1240<br />
Resistenzen<br />
533 39 129 66 90 52 94<br />
Amoxi./Clavulansre. 67%* 0 95% Primär-<br />
Resistenz<br />
8% 30% 98% 27% *<br />
Sulfamethoxazol-<br />
Trimethoprim<br />
27% 23% 55% Primär-<br />
Resistenz<br />
21% 44% 4% 2%<br />
Ciprofloxacin 11% Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
12% 8% 26% 2% 45%<br />
Cefuroxim 3% Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Cefotaxim 0 Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Resistenz<br />
0 9% 63% 18%<br />
Primär-<br />
Ceftazidim 0 Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Resistenz<br />
2<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
21%<br />
17%<br />
Nicht getestet<br />
Nicht getestet<br />
Cephadroxil 26% Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
Primär-<br />
Resistenz<br />
32% 77% 92% 18%<br />
Imipenem 0 2% 95% 13% 0 0 2% 18%<br />
Gentamicin<br />
Piperacillin<br />
7% 100% 100% **<br />
66%<br />
26%<br />
10%<br />
3%<br />
6%<br />
16%<br />
20%<br />
2%<br />
19%<br />
22%<br />
Nicht getestet<br />
Nicht getestet Nicht<br />
getestet<br />
* mäßig empfindlich oder resistent<br />
** nur in Kombination mit Aminopenicillin synergistisch wirksam<br />
Die auffallende Minderung der Isolate bei Proteus und E.faecium bedarf noch weiterer Untersuchungen.
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 22 von 35<br />
Therapie der Harnwegsinfektion im Alter<br />
Die Anwendungen von Pharmaka bei älteren Patienten setzt diese – im Vergleich zu jüngeren Patienten –<br />
einem höheren Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen aus (42), welche ihrerseits<br />
Kaskadeneffekte auslösen können, die weitere Behandlungen begründen können (Kolitis, Durchfall,<br />
Exsikkose=> Verwirrtheit=> Delir => Kardiovaskuläre/ Neurologische Erkrankungen, Sturz, Fraktur,<br />
Pflegebedürftigkeit und Tod). Die Verordnung eines Antibiotikums ist ein unabhängiger Risikofaktoren für<br />
das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei älteren Patienten (nach 43):<br />
Odds ratio:4,0; 95%-Konfidenzintervall = 2.5-6.2<br />
Die Ursachen hierfür sind u.a. in Verminderungen des intravasalen Volumens, herabgesetzter Clearance,<br />
erhöhter Wirksamkeit lipophiler Substanzen sowie der Interaktion mehrerer Pharmaka anzunehmen. Bei<br />
der Einnahme von fünf bis sechs Pharmaka hat sich das Risiko einer UAW verdoppelt, bei mehr als acht<br />
Präparaten sogar verdreifacht (44). Daher bedarf es im Alter einer besonders engen Indikationsstellung.<br />
Multimodale Behandlung im MK<br />
Auf die Frage: „Wie und wie lange behandeln Sie den unkomplizierten Harnwegsinfekt bei älteren<br />
Patienten?“ antworteten die diensthabenden Ärzte (AvD) aus drei Fachbereichen wie folgt:<br />
AvD: Chirurgie: 3 Tage Cotrim bei der Frau, häufig auch Ciprobay<br />
AvD: Innere: 3 Tage Cotrim bei der Frau, ggf. Ciprobay, bei DK 7 Tage<br />
AvD: Urologie: 7 Tage Augmentan bei Männern, Frauen 2-3 Tage<br />
Präexistente Behandlungsempfehlungen<br />
Albert et al. empfehlen „wegen nachlassender immunologischer Abwehrmechanismen immer mindestens<br />
die empfohlene Normaldosis“ als Grundlage der Therapie und sprechen sich eindeutig gegen (immer<br />
wieder) herstellerseits empfohlene Niedrigdosisempfehlungen aus. Ihre Empfehlungen lauten:<br />
Tabelle 10 Therapie-Empfehlungen nach Albert et al. (15)<br />
Diagnose Erreger Kalkulierte Initialtherapie<br />
1.bis 3. Wahl<br />
Zystitis,<br />
E.coli<br />
1.Trimethoprim/Sulfameth.<br />
unkompliziert Klebsiellen<br />
Proteus sp.<br />
2.Chinolon<br />
3.Fosfomycin-Trometamol<br />
Pyelonephritis, E.coli<br />
1.Chinolon oral oder i.v<br />
unkompliziert<br />
BLI= Beta-Lactamase-<br />
Inhibitor<br />
Klebsiellen<br />
Proteus sp.<br />
Enterobacter<br />
Staphylokokken<br />
2.oral: Cefalexin,Cefaclor,<br />
Cefuroximaxetil<br />
i.v.:Cefotaxim oder Ceftriaxon<br />
alternativ:Aminopenicillin/BLI<br />
HWI mit<br />
E.coli<br />
1. Flurochinolon oral od. i.v<br />
Komplikationen, Enterokokken<br />
Staphylokokken<br />
Pyelonephritis<br />
Klebsiellen<br />
akut &<br />
and.Enterobacter<br />
kompliziert, Pseudomonas sp.<br />
Nosokomiale HWI<br />
2. Aminopenicillin/BLI<br />
3. Oral: Cefalexin,Cefaclor,<br />
Cefuroximaxetil<br />
i.v. Cefotaxim/Ceftriaxon<br />
Bei Versagen der Initialtherapie<br />
innerhalb von 1-2 Tagen:<br />
1. Acylaminopenicillin/BLI oder<br />
Ceftazidim, Cefepim<br />
2. Imipenem, Meronem<br />
Urosepsis<br />
Candida sp.<br />
E.coli<br />
and.Enterobakterien,<br />
multiresistente<br />
Erreger<br />
nach urol. Eingrifffen<br />
Pseudomonas sp.<br />
Enterobakterien<br />
Candidose:<br />
1. Fluconazol<br />
2. Amphotericin B<br />
1. Cefotaxim, Ceftriaxon,<br />
Ceftazidim ± Aminoglykosid<br />
2. Ciprofloxacin, Levofloxacin<br />
3. Imipenem, Meronem<br />
Therapiedauer/Applikation<br />
sart<br />
1-3 Tage (nur f. Patienten ohne<br />
anat. Störungen: hier 5 Tage)<br />
7-10 Tage / i.v.<br />
Sequenztherapie<br />
Evtl. stationär<br />
3-5 Tage nach Entfieberung<br />
bzw. Beseitigung des<br />
komplizierenden Faktors<br />
3-5 Tage nach Beseitigung des<br />
komplizierenden Faktors bzw.<br />
Sepsisursache<br />
Tabelle 11a Therapie-Empfehlungen allgemein nach Wagenlehner und Naber KG (45)
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 23 von 35<br />
Diagnose Erreger Initialtherapie<br />
Zystitis,<br />
unkompliziert<br />
Rezidivierende<br />
unkomplizierte<br />
Harnwegsinfektion<br />
in der Menopause<br />
E.coli, S.<br />
saprophyticus<br />
Klebsiellen<br />
Proteus spp.<br />
Keine Angabe<br />
Trimethoprim/Sulfameth.<br />
Falls regionale Resistenz v.E.coli < 10-20%<br />
Chinolon<br />
Fosfomycin-Trometamol<br />
Pivmecillinam*<br />
Nitrofurantoin **<br />
Cephalosporin/Gruppe 2 od.3<br />
Intravaginal appliziertes Estriol senkt die<br />
Rezidivhäufigkeit (46)<br />
Therapiedauer/<br />
Applikationsart<br />
3 Tage<br />
3 Tage<br />
1Tag<br />
7 Tage<br />
7 Tage<br />
3 Tage<br />
***Ggf. niedrigdosierte<br />
Langzeitprophylaxe mit<br />
Trimethoprim/Sulfameth.<br />
½ Tablette abends<br />
Cotrim forte, 1x täglich<br />
(47).<br />
*,**,*** => Aus Sicht der Arbeitsgruppe bedarf diese Tabelle von Wagenlehner und Naber dringender<br />
Kommentare und Modifikationen, die im Diskussionsteil folgt.<br />
Tabelle 11b Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber/Komplizierte und nosokomiale<br />
Harnwegsinfektion<br />
Diagnose Erreger* Initialtherapie**<br />
Parenteral<br />
Nur nach<br />
Antibiogramm<br />
Cephalosporin/<br />
Gruppe 2/3<br />
Komplizierte und<br />
nosokomiale<br />
Harnwegsinfektion<br />
E.coli,<br />
Klebsiellen<br />
Proteus spp.,<br />
Enterobacter<br />
spp., andere<br />
Enterobakterien<br />
Pseudomonas<br />
spp.<br />
Enterokokken,<br />
Staphylokokken<br />
oder<br />
Fluorchinolone<br />
oder<br />
Aminopenicillin/BLI<br />
Bei<br />
Therapieversagen:<br />
Acylaminopenicillin/BLI<br />
Cephalosporin/ Gruppe<br />
3b, Carbapenem<br />
Initialtherapie<br />
per os<br />
Fluorchinolon<br />
oder<br />
Cephalosporin/<br />
Gruppe 2 od.3<br />
oder<br />
Aminopenicillin/<br />
BLI<br />
Therapiedauer/<br />
Applikationsart<br />
3-5 Tage nach<br />
Entfieberung<br />
(nicht bei fokaler<br />
Pyelonephritis,<br />
Prostatitis, dann<br />
mehrere Wochen)<br />
*,** => Aus Sicht der Arbeitsgruppe bedarf diese Tabelle von Wagenlehner und Naber dringender<br />
Kommentare und Modifikationen, die im Diskussionsteil folgt.<br />
Zu komplizierten Harnwegsinfektionen schreiben Wagenlehner und Naber: „Eine Antibiotikabehandlung<br />
ist bei komplizierten Harnwegsinfektionen nur dann kurativ, wenn die komplizierenden Faktoren behandelt<br />
werden können“ (13). Eine wirksame empirische Therapie gelänge nur mit einer regelmäßig<br />
durchgeführten Erregerstatistik. „Gleichzeitig muss die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie der<br />
komplizierenden Faktoren angestrebt werden: Wiederherstellung des Harnflusses bei<br />
Transportstörungen, möglichst komplette Sanierung der Harnwege und die Therapie internistischer<br />
Begleiterkrankungen und Faktoren (z.B. Diabetes mellitus). Kann dies nicht erfolgen, so hat die Therapie<br />
meist nur einen vorübergehenden Erfolg.“<br />
Abschließend folgen noch die Empfehlungen zur Mykosentherapie:
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 24 von 35<br />
Tabelle 11c Therapie-Empfehlungen nach Wagenlehner und Naber , Harnwegsmykosen<br />
Diagnose Erreger Initialtherapie<br />
Candidose Candida albicans,<br />
Candida tropicalis,<br />
Candida parapsilosis,<br />
Candida lusitaniae<br />
Fluconazol<br />
Therapiedauer/<br />
Applikationsart<br />
14-30 Tage<br />
Candidose Candida glabrata Fluconazol hochdosiert plus Flucytosin 14-30 Tage<br />
Candidose Candida krusei Itraconazol hochdosiert<br />
Amphotericin B<br />
14-30 Tage<br />
Therapie-Empfehlungen der Arbeitsgruppe für Harnwegsinfektionen älterer Patienten<br />
während der stationären Behandlung im <strong>Marienkrankenhaus</strong>.<br />
Es ist erstmalig eine klinikweite Erregerstatistik ermöglicht worden. Die Tatsache, dass 35% der<br />
Urinproben verunreinigt sind, muss als Verbesserungspotential bewertet werden. Zur Vermeidung von<br />
unnötigen antibiotischen Behandlungen von Harnwegsinfekten im Alter werden im Folgenden<br />
Empfehlungen abgegeben, die jedoch immer im Einzelfall nach den Regeln der Fachgesellschaften zu<br />
bewerten sind. Leitlinien können nur bei einem Teil der Patienten Hinweise zur Behandlung im Einzelfall<br />
geben (48). Für intensivpflichtige oder perioperative Patienten liegen meist kompliziertere Verläufe und<br />
Behandlungsbedürftigkeiten vor. Daher gilt bei diesen Patienten diese Leitlinie nur eingeschränkt.<br />
Empfehlungen zur Diagnostik<br />
1. Bei plötzlich oder subakut eintretender Verwirrtheit oder sog. „AZ-Verschlechterung“ vormals<br />
unauffälliger älterer Patienten ist an oligosymptomatische Harnwegsinfektion zu denken.<br />
2. Fehlendes Fieber, keine Erhöhung der Entzündungszeichen und fehlender Flankenschmerz schließen<br />
eine Harnwegsinfektion nicht aus.<br />
3. Für die saubere Urinentnahme („Mittelstrahlurin“) ist zumindest bei allen älteren Pat, deren<br />
Handfunktion und /oder Rumpfkontrolle im Liegen, Sitzen oder Stehen beeinträchtigt sind, eine<br />
Vorbereitung durch zeitnahes Waschen und Trocknen des Urogenitalbereichs mitentscheidend.<br />
Hierbei sind anleitende, teil- bzw. vollübernehmende pflegerische Hilfen notwendig.<br />
4. Der Urin sollte innerhalb von 2 Stunden ins Labor gebracht werden, ansonsten ist er bis zur<br />
Aufarbeitung kühl zu lagern.<br />
5. Teststreifen-Untersuchungen allein sind nicht ausreichend, um eine antibiotische Therapie zu<br />
begründen.<br />
6. Bei Patienten aus stationären Alteneinrichtungen oder bei wiederholten Krankenhausaufenthalten sind<br />
vor einer Therapie Urinkulturen anzulegen.<br />
7. Bei Patienten, bei denen Veränderungen des Blasenvolumens vorliegen oder die HWI mit<br />
Komplikationen oder Rezidive aufweisen, ist eine Restharnsonografie zwingend notwendig.<br />
8. Vor Urinentnahme bei Dauerkatheterträgern: vorherige Wischdesinfektion mit einem alkoholischen<br />
Präparat an der patientennahen Entnahmestelle.<br />
Empfehlungen zur Therapie
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 25 von 35<br />
1. Eine einmalige Bakterurie allein begründet keine antibiotische Therapie.<br />
2. Dauerkatheter sind schnellstmöglich wieder zu entfernen. Bakteriurie und Leukozyturie bei<br />
Dauerkatheter-Trägern ohne Erkrankungszeichen müssen nicht antibiotisch behandelt werden.<br />
3. Für die kalkulierte Therapie bei HWI im Alter sind unterschiedliche Keimspektren und Inzidenzen<br />
anzunehmen, die sich nach Alter, Geschlecht und Wohnort vor Aufnahme unterscheiden.<br />
4. Zeitgleich zur antibiotischen Therapie von HWI im Alter sind vorliegende Grundkrankheiten und<br />
komplizierende Faktoren zu behandeln bzw. zu beseitigen. Die Wiederherstellung des Harnflusses<br />
hat höchste Priorität. Eine möglichst komplette Sanierung der Harnwege (Wechsel/Entfernung von<br />
Kathetern, Schienen, Harnsteinen) ist vorzunehmen.<br />
5. Rezidivierende Infektionen bei Männern bedürfen immer einer urologischen fachärztlichen<br />
Untersuchung.<br />
6. 51% der Urinkulturen im <strong>Marienkrankenhaus</strong> weisen E.coli, weitere 25 % E.faecalis als Keim nach.<br />
7. Für E.coli ist Amoxi./Clavulansäure nicht Mittel der ersten Wahl (60% nicht voll empfindlich)<br />
8. Für E.faecalis sind Ciprofloxacin und Cefuroxim nicht geeignet wegen teilweiser Primärresistenz (98-<br />
100% Resistenzen).<br />
9. Empfohlen wird Sulfamethoxazol-Trimethoprim als Mittel der ersten Wahl. Dabei ist jedoch mit<br />
Resistenzen in 25-28% der Keimnachweise zu rechnen, so dass eine Sequenz-/Kombinationstherapie<br />
nach Antibiogramm erwogen werden sollte. Bei Urosepsis ohne Erregernachweis ist Ciprofloxacin<br />
Mittel der ersten Wahl.<br />
10. Die Behandlungsdauer sollte 5 Tage nach Entfieberung bzw. Beseitigung komplizierender Faktoren<br />
betragen. Bei Patienten aus stationären Einrichtungen sollte die Therapiedauer mindestens 7 Tage<br />
betragen.<br />
Diskussion und Schlussfolgerungen<br />
Der australische Arzt Cameron konstatierte 1988 in einer allgemeinmedizinischen Arbeit (49) es sei noch<br />
offen, was exakt eine Harnwegsinfektion im Alter sei e . Fünfzehn Jahre später kann dieses Statement<br />
bekräftigt werden.<br />
Trotz der methodischen Einschränkungen dieser klinikbasierten Arbeit, die den Kriterien einer streng<br />
wissenschaftlichen Forschung nicht ohne weiteres entspricht, haben die Arbeitsgruppenmitglieder aus vier<br />
Fachrichtungen übereinstimmend erheblichen fachlichen und organisatorischen Erkenntnisgewinn für ein<br />
bestimmtes Krankenhaus festgestellt. Die acht Empfehlungen zur Diagnostik und zehn Empfehlungen<br />
zum Therapie-Prozess sind ausgesprochen worden um den Kollegen anderer Disziplinen im eigenen<br />
Krankenhaus einen einfachen Handlungsrahmen für den Umgang mit Infektionserkrankungen im Alter zu<br />
ermöglichen. Es war gewünscht Empfehlungen zu generieren ohne zu enge Vorgaben zu setzen, die die<br />
Methoden der kalkulierten oder antibiogrammgerechten Therapie verletzen könnten. Dieses ist gelungen.<br />
Die Ärzteschaft des MK kann die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe im Intranet auf jeder Station als PDF-<br />
Datei im Internet einsehen, Besonderheiten zu einzelnen Themen im Wordformat ausdrucken. Hierzu<br />
wurde das Potenzial von der Arbeitsgruppe und der Geschäftsführung so hoch angesetzt, dass eine<br />
klinikweite Veröffentlichung im Intranet und mit gebundenen Publikationen an die ärztlichen Leiter für<br />
sinnvoll erachtet wurde. Zudem wurde bei konservativer Schätzung ein jährliches Einsparpotenzial von<br />
mindestens 15000���©����� �����©� ���<br />
Die präexistenten Empfehlungen berücksichtigen die Besonderheiten des Alters nicht in ausreichendem<br />
Maße. Cameron (49) fordert im Umgang mit symptomatischen HWI ein vorsichtiges Vorgehen. Die<br />
vorliegende Arbeit zeigt einen erheblichen Bedarf an weiteren Untersuchungen zum Thema auf:<br />
Es ist nicht bekannt, ob ältere Patienten im Krankenhaus ausreichende Fähigkeiten haben eine saubere<br />
Urinprobe abzugeben. Die Diagnostik mit ungeeigneten Methoden (Teststreifen) oder mehrheitlich falsch-<br />
e „Exactly what constitues a urinary tract infection in an elderly person is open to dispute.“
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 26 von 35<br />
positiven Tests (Mittelstrahltechnik) bedarf dringend weiterer Verbesserungen. Transportverzögerung in<br />
das Labor und unbefriedigende Zentrifugationsmaßnahmen müssen weiter analysiert werden. Die<br />
Verbesserung der Labortechnik muss angesichts der Kosten eine höhere Priorität eingeräumt werden.<br />
Hierbei müssen etablierte Verfahren (Addis-Count) und neuere (Durchflußmetrie) medizinisch und<br />
ökonomisch analysiert werden. Die Frage ob 46 Jahre alte Signifikanzgrenzen, die nur für Frauen mit<br />
asymptomatischer akuter Pyelonnephritis entwickelt wurden, für jeden Älteren Patienten gelten muss<br />
offen bleiben.<br />
Zur Signifikanz der Keimzahlgrenzen in Urinproben<br />
Die sog. „Signifikanzgrenzen“ werden zwischen Klinikern und Mikrobiologen nicht immer übereinstimmend<br />
festgelegt. So ist die von Wagenlehner und Naber genannte Akuteimzahlgrenze von ≥ 10 3 KBE*/ml Urin<br />
bei unkomplizierten HWI bei Frauen für klinische Mikrobiologen nicht unproblematisch. Der Unterschied<br />
von ≥ 10 3 KBE*/ml Urin zu ≥ 10 4 KBE*/ml Urin bedeutet für einen Mikrobiologen in der Klinik, dass viele<br />
Hundert weitere Proben mit Hemmstofftest und Keimdifferenzierung bearbeitet werden müssen – trotz<br />
eines zweifelhaften Erkenntnisgewinns. Zudem weisen die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für<br />
Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) einen anderen Wert aus als die in der o.g. Tabelle f .<br />
Weitere Autoren bezweifeln die Relevanz der Signifikanzgrenzen für den Einzelfall ohnehin an. Köhler<br />
(12) merkte 1999 in einem internistischen Lehrbuch methodenkritisch an:<br />
„Die von Kass 1957 vorgeschlagene Unterscheidung (50) in „signifikante“ Bakteriurie >10 5 Keime/ml,<br />
„kontrollbedürftige“Bakteriurie 10 4 -10 5 Keime/ml und „unverdächtige“ Bakteriurie
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 27 von 35<br />
Zu den präexistenten Therapieempfehlungen<br />
Leitlinien wurden nicht gefunden, so dass auf die Tabellen verschiedener o.g. Verfasser zurückgegriffen<br />
werden musste. Dabei zeigte sich eine unerwartete Übersichtlichkeit. Lediglich ein Lehrbuch hat ein<br />
Kapitel zu HWI im Alter, berücksichtigt jedoch nicht die Besonderheiten nosokomialer Infektionen (1).<br />
Die Therapieempfehlungen von Wagenlehnerund Naber bedürfen der Kommentare<br />
Tabelle 11a Therapieempfehlungen allgemein:<br />
1. Der in Tabelle 11a genannte Wirkstoff Pivmecillinam ist in Deutschland nicht verfügbar; die<br />
Empfehlung basiert auf: Bishop Curr Opin Urol.2001;11(1)67-73<br />
2. Nitrofurantoin ist aus internistischer Sicht als Initialpharmakon obsolet und nur bei guter<br />
Überwachung und Medikamentencompliance mit großer Zurückhaltung als Mittel der 3.Wahl zu<br />
betrachten<br />
3. Die Empfehlung zur Langzeitprophylaxe bei unkomplizierten HWI in der Postmenopause sind<br />
nicht belegt. Bei widersprüchlichen Literaturdaten zur Therapiedauer und –intervall wurde die<br />
Dosis durch Konsensus der Autoren am 08.10.02 pragmatisch festgelegt. Die MK-Empfehlungen<br />
wurden modifiziert aus (47) in diese Tabelle übernommen.<br />
Tabelle 11b Therapieempfehlungen nosokomialer HWI<br />
Nicht alle Erreger in Spalte 2 sind empfindlich auf jeden der in Spalte 3 genannten Wirkstoffe. Zur<br />
parenteralen Therapie ist aus unserer Sicht festzuhalten, dass Mittel der ersten Wahl sein sollten:<br />
für Klebsiellen und Proteus spp. ⇒ Cephalosporine der 3.Generation,<br />
für Enterobacter spp.: ⇒ Carbapeneme,<br />
für Pseudomonas spp.: ⇒ Ceftazidim und Cefepim (Cephalosporine der Gruppe 3b nicht 3a),<br />
für Enterococcus faecalis: ⇒ Acylaminopenicillin/BLI (z.b. Ampicillin),<br />
für Enterococcus faecium: ⇒ Vancomycin. (nach Rücksprache mit Mikrobiologie & Infektiologie).<br />
Resistenzdaten im <strong>Marienkrankenhaus</strong><br />
Überraschend für alle Mitglieder der Arbeitsgruppe waren die hohen Resistenzquoten bezüglich des<br />
Wirkstoffes Amoxycillin-Clavulansäure. Die Problematik der Resistenzzentwicklung wird deutlich wenn<br />
man nur die 4 häufigsten Erreger betrachtet, die über mehr als 86% aller Infektionen verursachen und<br />
deren Resistenzen bei den drei am häufigsten verwendeten Pharmaka (Amoxi./Clavulansäure,<br />
Sulfamethoxazol Trimethoprim , Ciprofloxacin). Von 12 Keim-Wirkstoff-Zuordnungen weisen lediglich drei<br />
Behandlungsmöglichkeiten eine Resistenzquote von unter 11 Prozent auf. Bei einem Viertel bis einem<br />
Drittel der Patienten, die mit Sulfamethoxazol Trimethoprim behandelt werden, muss eine<br />
Sequenztherapie oder Präparatewechsel kalkuliert werden. Diese Tatsache legt besonders drastisch<br />
nahe, dass eine antibiotische Therapie im Alter (4faches Risiko für UAW) ohne den Versuch einer<br />
maximalen Sauberkeit bei der Probengewinnung, Transport und Analyse kaum noch gerechtfertigt<br />
werden kann. Insbesondere die Resistenzentwicklung bei den preiswerten Pharmaka ist bedenklich, wird<br />
aber in anderen Untersuchungen in ähnlichen Quoten berichtet (51).<br />
In der Arbeitsgruppe wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass bei Urosepsis ohne Erregernachweis<br />
Ciprofloxacin Mittel der ersten Wahl sein sollte. Es sollte initial intravenös nach Abnahme mehrerer<br />
Blutkulturen begonnen werden. Unter Berücksichtigung der Kosten für die intravenöse Applikationsform<br />
dieses Wirkstoffes erscheint eine ein- bis zweimalige intravenöse Gabe vor einem Wechsel auf die<br />
perorale Darreichung ausreichend. Ein Indikation für die Erstgabe von Moxifloxacin bei unbekanntem<br />
Erreger besteht nicht.<br />
Wichtige Fragen bleiben im MK nach wie vor unbeantwortet: die Resistenzlage 2003 und sie<br />
Besonderheiten intensivmedizinischer und immunsupprimierter Patienten. Zur Weiterentwicklung der<br />
infektiologischen Diagnostik im Urin sind verbesserte statistische Möglichkeiten im Laborbereich und in<br />
der elektronischen Patientenakte erforderlich, da eine gezielte Therapie nur vor dem Hintergrund des
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 28 von 35<br />
Keimspektrums im MK und der Patientenspezifika durchgeführt werden kann. Technische<br />
Verbesserungen sind erforderlich: Automatisierte Partikel-Zählung mit Möglichkeiten der differenzierten<br />
Datenbankabfrage, Zufügen von weiteren Patientenmerkmalen zu Standarddatensätzen KIS-System .<br />
Ein Verbesserungspotential ist jedoch mit einfachen Mitteln zu erreichen. Durch zeitnahe<br />
Pflegemaßnahmen (Intimhygiene) und raschen Transport in das Labor kann die Anzahl verschmutzter<br />
Urinproben und falsch-positiver Bestimmungen vermutlich reduziert werden. Hierzu ist es erforderlich die<br />
Pflegenden im Krankenhaus an der Weiterentwicklung der Urinabnahmetechnik zu beteiligen, zu schulen<br />
und hinsichtlich der Arbeitsbelastung zu unterstützen. Ziel sollte eine rationale Diagnostik und ein<br />
individuelles Vorgehen sein. Wenn nicht mehr „routinemäßig bei Aufnahme ein U-Status“ abgenommen<br />
werden würde, ließen sich erhebliche Mittel einsparen. Dabei wurde bei konservativer Schätzung ein<br />
jährliches Einsparpotenzial von mindestens 15000���������¦���¦�������<br />
Darüber hinaus besteht eine ethische Verpflichtung in differenzierten Krankenhausprozessen eine<br />
unglückliche Verkettung von Einzelfehlern zu vermeiden damit folgendes (überspitztes) maximales<br />
Negativ-Szenario nicht eintritt:<br />
Ältere Patienten, von deren nicht bekannt ist ob sie ausreichende Fähigkeiten haben<br />
sauber eine Urinprobe abzugeben und andere Symptome haben als Jüngere werden mit<br />
ungeeigneten Methoden (Teststreifen) oder mehrheitlich falsch-positiven Tests<br />
(Mittelstrahltechnik) untersucht. Die mit Verzögerung in das Labor versandten Proben<br />
werden aus ökonomischen Gründen statt mit dem Goldstandard Addis-Count mit<br />
unbefriedigenden Zentrifugationsmaßnahmen analysiert. Die Ergebnisse werden mit 46<br />
Jahre alten Signifikanzgrenzen interpretiert, die nur für Frauen mit asymptomatischer<br />
akuter Pyelonnephritis entwickelt wurden und lediglich eine statistische Aussage ohne<br />
Relevanz für den Einzelfall darstellen. Die sogenannte „asymptomatische Bakterurie“ ist<br />
dabei ein außerordentlich dynamisches Phänomen, welches in der Regel nicht behandelt<br />
wird, aber in bis zu 67% Ausdruck einer Nephritis sein kann. Die Therapie der<br />
Harnwegsinfektionen im Alter wird durchgeführt ohne übergeordnete Leitlinien bei<br />
immunsupprimierten Patienten mit einem mehrfach erhöhten Risiko für unerwünschte<br />
Arzneimittelwirkungen. Dabei werden in erhebliche Mittel verbraucht.<br />
Es ist evident geworden, dass ein erheblicher Forschungsbedarf zum Themenfeld „Infektiologie in der<br />
Geriatrie – geriatrische Infektionen“ besteht. Dieser umfasst pathophysiologische Aspekte von Infektionen<br />
im Alter, Interaktionen in der Pharmakotherapie, veränderte Bedingungen der Probengewinnung, -<br />
aufbereitung, -transport im multilokulären Setting, in dem ältere Patienten behandelt werden. Letzteres<br />
umfasst auch den häuslichen und den Pflegeheimbereich, wofür in Deutschland Untersuchungen<br />
weitgehend fehlen.<br />
„Exactly what constitues a urinary tract infection in an elderly person is open to dispute.“ (Cameron 1988)
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 29 von 35<br />
Anhang<br />
Kosten der Laboranalyse von Urinproben<br />
Kosten nach (52):<br />
Kosten nur für Labor (Angaben durch OA Dr. H-P.) nicht berücksichtigt: Pflege-/Transport-/Arzt-<br />
Personalkosten und Folgekosten durch Doppelbestimmungen, Medikamentöse Therapie<br />
Angesetzt ⇓<br />
Kosten – Streifentest im Urin: Kosten Urinsediment<br />
Kapitel M, Ziffer 3652, 1facher Satz: 2,04� ⇔ Kapitel M, Ziffer 3531, 1facher Satz: 4,08�<br />
Kosten - Urinkultur:<br />
Keimzahlbestimmung:<br />
Kapitel M, Ziffer 4605, 1facher Satz: 3,50�<br />
Hemmstofftest<br />
Kapitel M, Ziffer 4607, 1facher Satz: 3,50�<br />
Antibiogramm<br />
Kapitel M, Ziffer 4610, 1facher Satz: 1,17�<br />
Summe pro Untersuchung 10,21�<br />
Kosten und Ressourcenverbrauch des Projektes<br />
Personalaufwand:<br />
Beginn: 07.11.2001<br />
Abschluß:<br />
08.10.2002 Autorisierung der Projektgruppe/Veröffentlichung im Intranet Version 1<br />
05.11.2002 Autorisierung der Geschäftsführung für die externe Veröffentlichung<br />
Anzahl Team-Gespräche: 17 Zweier-, Dreier- und Gruppenkonferenzen<br />
Gesamtgesprächsdauer: 450 Minuten<br />
Arbeitsstunden Projektführung und Koordination: 120 Std. Ärztlicher Dienst<br />
Arbeitsstunden Gruppenmitglieder: 18 Std. Ärztlicher Dienst<br />
Bearbeitete Änderungswünsche in Leitlinie: 187<br />
Materialkosten: 150 �<br />
Ertrag des Projektes<br />
1. Erstmalig Keimspektrum und Resistenzdaten für Erreger über ein Jahr im größten<br />
konfessionellen Krankenhaus <strong>Hamburg</strong>s<br />
2. Erstmalig Quantifizierung des Anteils verschmutzter Urinroben (ca. 30-35% von 9000 Proben)<br />
3. Acht Empfehlungen zum Diagnostik-Prozess<br />
4. Zehn Empfehlungen zum Therapie-Prozess<br />
5. Einsparpotenzial: 15180����� ���<br />
1500 verschmutzte Urinproben weniger x 10,12��������� �������©�����������������������©���©�����������©�����������������<br />
Unter der Annahme, dass eine sauberere Abnahmetechnik bei 50% der aktuell verschmutzten Urinproben<br />
erreicht werden könnte und dadurch eindeutigere und damit verwertbare Ergebnisse produziert werden.<br />
Nicht berücksichtigt wurden: Pflege-/Transport-/Arzt-Personalkosten und Folgekosten durch<br />
Doppelbestimmungen, Medikamentöse Therapie. Hierbei wurden nur fiktive Kosten für Urinstreifentest<br />
angesetzt, bei – wie in praxi durchgeführt – Sedimentbestimmungen wurde sich der Stückpreis noch um<br />
2,04���������������<br />
Danksagungen
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 30 von 35<br />
Der Verfasser dankt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Projektgruppe und des Institutes für<br />
Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie & Transfusionsmedizin für den erheblichen Aufwand bei der<br />
Ermittlung der Daten, die sich bisher nur teilweise automatisch erstellen lassen. Wir danken Herrn Dr.<br />
Wille, Hygiene-Institut <strong>Hamburg</strong>, für die Unterstützung bei der Suche nach <strong>Hamburg</strong>er Urinbefunden aus<br />
Pflegeeinrichtungen, Herrn Dr. R. Herrero-Schmidt und der Bibliothek des <strong>Marienkrankenhaus</strong>es sowie<br />
Herrn Dr.D. Schütz (Velbert) für die Bereitstellung von Literatur, der Geschäftsführung für die<br />
Unterstützung bei EDV und Projektmanagement dieser Arbeit sowie Dr. Renning, Urologische Klinik, für<br />
Stellungnahmen zur Restharndiagnostik.<br />
2. Medizinische Klinik<br />
Infektiologie<br />
Dr. Habel<br />
Chefarzt<br />
Dr. Gerigk<br />
Oberarzt<br />
2. Medizinische Klinik<br />
Geriatrie<br />
Dr. Bünemann<br />
Ltd. Oberarzt<br />
Dr.Thiesemann<br />
Projektkoordinator<br />
Institut für<br />
Laboratoriumsmedizin,<br />
Mikrobiologie &<br />
Transfusionsmedizin<br />
Dr. Hannemann-Pohl<br />
Oberarzt Labormedizin<br />
Fr. Dr. Ermer<br />
Oberärztin Mikrobiologie<br />
Urologische Klinik<br />
Prof. Dr. Becker<br />
Chefarzt
Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Nosokomialen Harnwegsinfektionen im Alter Seite 31 von 35<br />
Erratum Nachtrag 2005<br />
Für 2001 muss der Anteil der verschmutzten Proben wie folgt angegeben werden:<br />
MK<br />
GesamtAufträgeUrin/Jahr 8377<br />
Als verunreinigt anzunehmen 729<br />
Anteil Mischflora 8,7%<br />
Die Angaben in der ersten Fassung der Leitlinie beruhen auf einer Fehlbestimmung durch<br />
Handauszählung/Extrapolation nicht normalverteilter Daten. Die o.g. Werte wurden am 04.01.05 durch<br />
maschinelle Kontrolle mit Hilfe des Mikrobiologie-Datensystems MEDAT DAVID 2.8-Modul ermittelt und<br />
durch eine Handkontrolle von mehr als 4700 MEDAT-Printouts kontrolliert.<br />
Thiesemann am 04.01.05<br />
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