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Heft 7 - Die GmbH-Rundschau

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Aufsätze<br />

<strong>Heft</strong> 7<br />

1. April 2012<br />

S. 365–420<br />

PVSt 6012<br />

Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.<br />

Schneider, LL.M. – <strong>Die</strong> persönliche Haftung der<br />

<strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der<br />

Geschäftsführung an Personen, die nicht<br />

Geschäftsführer sein können 365<br />

Markus Geißler – Statuarische Vorsorge bei der<br />

Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und der Insolvenz<br />

eines Gesellschafters 370<br />

Dr. Götz Tobias Wiese – Entlastung ausländischer<br />

Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

376<br />

<strong>GmbH</strong>-International<br />

Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel –<strong>Die</strong><br />

Organe der Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />

im chinesischen Recht 384<br />

<strong>GmbH</strong>Report<br />

Dr. Ansas Wittkowski – DBA-Schachtelprivileg<br />

bei hybriden Gesellschaftsformen R 85<br />

Rechtsprechung<br />

Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines<br />

nicht nichtigen Einziehungsbeschlusses und<br />

Haftung für Abfindung (BGH v. 24.1.2012 mit<br />

Komm. Dr. Lutz Münnich) 387<br />

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung<br />

des Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem<br />

Mitbestimmungsgesetz (BGH v. 30.1.2012 mit<br />

Komm. Dr. Martin Pröpper) 391<br />

Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />

Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />

(BFH v. 14.12.2011 mit Komm. Dr. Alexander<br />

Höhn / Georg Geberth) 402<br />

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />

Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />

(BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Dr. Hans-<br />

GeorgBerg/Dr.RolfSchmich) 406<br />

Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei<br />

unterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb<br />

(BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Markus Suchanek)<br />

410<br />

Verwaltungsanweisungen<br />

Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />

ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3<br />

EStG) (BMF v. 24.1.2012) 415


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<strong>Die</strong> Frage der Besteuerung von Dividenden im grenzüberschreitenden<br />

Kontext hat in jüngster Zeit zu einigen wesentlichen<br />

gesetzlichen Änderungen bzw. Urteilen geführt.<br />

Hinsichtlich des sog. Inbound-Falls, d.h. der Ausschüttungen<br />

einer inländischen Kapitalgesellschaft an ausländische<br />

Gesellschafter, sei insbesondere auf die Änderung des §50d<br />

Abs.3 EStG (dazu s. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/<br />

10016 – DOK 2011/1032913, <strong>GmbH</strong>R 2012, 415 sowie den<br />

Beitrag von Wiese, <strong>GmbH</strong>R 2012, 376ff. – beides in dieser<br />

Ausgabe) und das Urt. des EuGH v. 20.10.2011 – Rs.C-284/<br />

09, <strong>GmbH</strong>R 2011, 1211 zu Streubesitzdividenden verwiesen.<br />

Aber auch der sog. Outbound-Fall, d.h. ein im Inland<br />

unbeschränkt Steuerpflichtiger empfängt Dividenden einer<br />

im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft, ist aktuell<br />

Gegenstand steuerlicher Diskussionen. Dabei geht es<br />

insbesondere um die Frage der Anwendung des<br />

abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs bei Ausschüttungen<br />

zwischen Kapitalgesellschaften.<br />

Zwar hat das in Doppelbesteuerungsabkommen festgeschriebene<br />

Schachtelprivileg zwischen Kapitalgesellschaften<br />

nach dem Systemwechsel vom Anrechnungs- zum<br />

Freistellungsverfahren an Bedeutung verloren, da ausländische<br />

Dividenden bei einer empfangenden inländischen<br />

Kapitalgesellschaft bereits aufgrund von §8b Abs.1 KStG bei<br />

der Ermittlung des steuerlichen Einkommens außer Ansatz<br />

bleiben. Ungeklärt ist bzw. war indes die Anwendung des<br />

Schachtelprivilegs bei einer empfangenden inländischen<br />

sog. hybriden Gesellschaft.<br />

Bei diesen hybriden Gesellschaftsformen war ungeklärt, wie<br />

das abkommensrechtliche Schachtelprivileg greift, wenn es<br />

sich bei der empfangenden inländischen Gesellschaft zwar<br />

um eine Kapitalgesellschaft handelt, sich an dieser aber<br />

natürliche Personen mitunternehmerisch oder mitunternehmerähnlich<br />

beteiligen. Zu denken wäre z.B. an den<br />

persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA oder den<br />

stillen Gesellschafter einer <strong>GmbH</strong> & atypisch Still.<br />

Stein des Anstoßes: BFH zum DBA-Schachtelprivileg<br />

Der BFH hat sich in seinem Urt. v. 19.5.2010 – I R 62/09,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2010, 1004 mit der Frage der Anwendung des abkommensrechtlichen<br />

Schachtelprivilegs bei einer inländischen<br />

KGaA auseinandergesetzt. In dem von den Richtern<br />

zu entscheidenden Fall ging esumeineinDeutschlandansässige<br />

KGaA, die Dividenden von zwei in Frankreich ansässigen<br />

Kapitalgesellschaften empfing. Als persönlich haftender<br />

Gesellschafter der KGaA fungierte eine Personengesell-<br />

* Deloitte & Touche <strong>GmbH</strong>.<br />

Dr. Ansas Wittkowski, Steuerberater, München*<br />

DBA-Schachtelprivileg bei<br />

hybriden Gesellschaftsformen<br />

schaft, an der wiederum (ausländische) natürliche Personen<br />

beteiligt waren. <strong>Die</strong> Richter hatten zu entscheiden, ob sich<br />

das Schachtelprivileg mittelbar auch auf die natürlichen Personenerstreckt,die,wärensie<br />

unmittelbar an der ausländischen<br />

Gesellschaft beteiligt, nicht in den Genuss der Befreiung<br />

gekommen wären.<br />

Unstreitig war, dass es sich bei der betreffenden KGaA um<br />

eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft handelte,<br />

die im erforderlichen Mindestumfang Beteiligungen an den<br />

französischen Tochterkapitalgesellschaften hielt. Ebenfalls<br />

unstreitig war die Tatsache, dass die Dividenden von den<br />

ausländischen Gesellschaften direkt an die KGaA gezahlt<br />

wurden.<br />

Der BFH prüfte in seinem Urteil die Inanspruchnahme des<br />

Schachtelprivilegs an den Voraussetzungen des Art.20<br />

Abs.1. Buchst.a) S.1 u. Buchst.b) S.1 DBA-Frankreich (n.F.).<br />

Danach seien sämtliche Voraussetzungen erfüllt gewesen,<br />

da das Schachtelprivileg im DBA-Frankreich explizit auf den<br />

Empfänger der Zahlungen und nicht auf den Empfänger der<br />

Einkünfte abstellt. Da in dem zu entscheidenden Fall die<br />

KGaA und nicht der persönlich haftende Gesellschafter bzw.<br />

– aufgrund des Transparenzprinzips von Personengesellschaften–<br />

deren Mitunternehmer, Empfängerin sämtlicher<br />

Dividenden war, konnte der BFH nicht umhin, auf Ebene der<br />

KGaA die Freistellung zuzulassen.<br />

Damit vermied der I.Senat eine Diskussion der sicherlich<br />

nicht minder kontroversen Aspekte der Besteuerung einer<br />

KGaA. Das wären z.B., wie die KGaA bzw. der persönlich haftende<br />

Gesellschafter als „Personen“ abkommensrechtlich zu<br />

behandeln und zudem die Einkünfte insbesondere dem persönlich<br />

haftenden Gesellschafter zuzurechnen sind. Das<br />

Schachtelprivileg im DBA-Frankreich setze sich über all diese<br />

Themen hinweg und begünstige die KGaA als solche, und<br />

zwar unabhängig davon, wem die Einkünfte am Ende tatsächlich<br />

zuzurechnen sind.<br />

Reaktion des Gesetzgebers<br />

7/2012 R85<br />

Dem Gesetzgeber war und ist es wichtig, auf die Rechtsprechung<br />

des BFH kurzfristig zu reagieren. Das obenstehend<br />

aufgeführte Urteil hätte zur Folge, dass in bestimmten Fällen<br />

natürliche Personen unter das Schachtelprivileg fallen, auch<br />

wenn sie selbst nicht dem begünstigten Kreis der Dividendenempfänger<br />

angehören. Genau dies kann aber bei hybriden<br />

Gesellschaftsformen eintreten, wenn der persönlich haftende<br />

Gesellschafter einer KGaA oder der atypisch stille Gesellschafter<br />

einer <strong>GmbH</strong> & atypisch Still eine natürliche Person<br />

ist.


Insbesondere im Hinblick auf die <strong>GmbH</strong> & atypisch Still sieht<br />

die Finanzverwaltung größere Gestaltungsräume. So verwundert<br />

es nicht weiter, wenn die Finanzverwaltung vor dem Hintergrund<br />

des BFH-Urteils Steuerausfälle im unteren dreistelligen<br />

Mio.Euro-Bereich veranschlagt.<br />

Nun beabsichtigten die Fraktionen von CDU/CSU und FDP<br />

das „Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes“<br />

um steuerliche Komponenten zu erweitern und in<br />

„Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes<br />

und von steuerlichen Vorschriften“ umzubenennen (BT-<br />

Drucks. 17/8867).<br />

Inhaltlich enthält das am 8.3.2012 vom Deutschen Bundestag<br />

beschlossene Gesetz einen neuen §50d Abs.11 EStG,<br />

der rückwirkend zum 1.1.2012 anzuwenden ist. Konkret soll<br />

§50d Abs.11 EStG Fälle aufgreifen, wie sie sich beispielhaft<br />

beim DBA-Frankreich ergeben. Betroffen sind demnach solche<br />

Konstellationen, bei denen das Schachtelprivileg ausschließlich<br />

an den Zahlungsempfänger knüpft und eine etwaige<br />

Teiltransparenz, etwa der KGaA, unbeachtet lässt.<br />

Dividenden sollen nach dem Wortlaut des §50d Abs.11 S.1<br />

EStG bei der empfangenden hybriden Gesellschaft nur insoweit<br />

unter das abkommensrechtliche Schachtelprivileg fallen,<br />

als die Dividenden nach deutschem Steuerrecht nicht<br />

einer anderen Person zuzurechnen sind. Soweit die Dividenden<br />

nach deutschem Steuerrecht (aufgrund einer teiltransparenten<br />

Besteuerung) einer anderen Person zuzurechnen<br />

sind, werden sie bei dieser anderen Person, etwa dem persönlich<br />

haftenden Gesellschafter, nach S.2 nur freigestellt,<br />

wenn die Dividenden bei der anderen Person als Zahlungsempfänger<br />

nach Maßgabe des Abkommens ebenfalls freigestellt<br />

werden würden.<br />

Der neue §50d Abs.11 EStG prüft somit eigenständig, ob bei<br />

hybriden Gesellschaften auch der Mitunternehmer, bzw. der<br />

wie ein solcher zu behandelnde, zu dem Kreis der Begünstigten<br />

zählt. Gleichwohl sei darauf verwiesen, dass §50d<br />

Abs.11 EStG nur in den Fällen Anwendung findet, in denen<br />

das DBA auf den Zahlungsempfänger und nicht auf den<br />

Empfänger der Einkünfte abstellt. Eine Sichtweise im Sinne<br />

der sog. „Wurzeltheorie“ wird somit auf die Abkommensebene<br />

übertragen, auch wenn sich aus dem nationalen Steuerrecht<br />

die „Wurzeltheorie“ nicht zwangsläufig herauslesen<br />

lässt.<br />

Ist der eingeschlagene Weg zielführend?<br />

Während des Gesetzgebungsprozesses war die Einführung<br />

eines §50d Abs.11 EStG nicht unumstritten. Dabei wurde weniger<br />

die Frage diskutiert, ob es zu einer Einschränkung des<br />

Schachtelprivilegs bei hybriden Gesellschaften kommen soll<br />

als vielmehr welcher Weg sinnvollerweise einzuschlagen ist.<br />

<strong>Die</strong>s war zumindest die zusammengefasste Erkenntnis aus<br />

der öffentlichen Anhörung im Bundestags-Finanzausschuss<br />

v. 8.2.2012. Für die Parlamentarier zeigten sich grundsätzlich<br />

zwei Möglichkeiten:<br />

– Entweder wird §50d Abs.11 EStG als eine nationalrechtliche<br />

Norm eingeführt, was einmal mehr zu einem Treaty Override<br />

führen dürfte. Gegen eine solche gesetzliche (und für eine<br />

abkommensrechtliche Lösung) spricht, dass wohl nur etwa<br />

sieben von Deutschland geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen<br />

auf den Zahlungsempfänger und nicht<br />

auf den Nutzungsempfänger abstellen. <strong>Die</strong>s geht zumindest<br />

auf eine Stellungnahme des Deutschen Industrie- und<br />

Handelskammertags im Rahmen des öffentlichen Fachgesprächs<br />

im Bundestags-Finanzausschuss zurück.<br />

– Alternativ könnten die betreffenden (etwa sieben) Abkommen<br />

in Bezug auf das Schachtelprivileg geändert und auf<br />

den Nutzungsempfänger als Begünstigen umgestellt werden.<br />

Ein solches Vorhaben wäre aber zeitintensiv und ließe<br />

sich nur mittelfristig realisieren. Da eine <strong>GmbH</strong> & atypisch<br />

Still als Gestaltungsoption schnell gegründet werden<br />

kann, wäre das von der Finanzverwaltung erkannte<br />

„Schlupfloch“ länger als gewünscht geöffnet, was zu<br />

Steuerausfällen führen kann.<br />

Der Deutsche Bundestag hat sich mit Beschluss v. 8.3.2012<br />

interfraktionell für die erste Alternative, also die Einführung des<br />

§50d Abs.11 EStG entschieden. Zudem haben die Abgeordneten<br />

dem Bundesfinanzministerium aufgetragen, das DBA-<br />

Schachtelprivileg bei künftigen Verhandlungen, sofern erforderlich,<br />

auf den Empfänger der Einkünfte umzustellen.<br />

Wie geht es weiter?<br />

7/2012 R86<br />

<strong>Die</strong> Besteuerung einer KGaA ist nicht nur aus abkommensrechtlicher<br />

Sicht, sondern auch aus dem Blickwinkel des<br />

deutschen nationalen Steuerrechts mit großen Unklarheiten<br />

behaftet. In der Vergangenheit blieb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe,<br />

die sich der Besteuerung einer KGaA annehmen<br />

sollte, ohne Ergebnis. Zwar hat sich der BFH in seiner<br />

vielbeachteten Herstatt-Entscheidung aus dem Jahr 1989 zu<br />

der Anwendung der sog. „Wurzeltheorie“ geäußert, gleichwohl<br />

ist diese nach wie vor nicht unumstritten. Insbesondere<br />

ist fraglich, ob die „Wurzeltheorie“ mit den nationalen Vorschriftender§9Abs.1Nr.1KStGund§15Abs.1Nr.3EStG<br />

vereinbar ist.<br />

Festzuhalten bleibt, dass sich der BFH in seiner rein abkommensrechtlichen<br />

Argumentation auf keine Diskussionen hinsichtlich<br />

der nationalen Besteuerung einließ. <strong>Die</strong> Unsicherheiten<br />

bei der Besteuerung einer KGaA und ihrer persönlich<br />

haftenden Gesellschafter bestehen damit weiter fort. So ist<br />

auch die „Wurzeltheorie“ nicht gesetzlich verankert, sondern<br />

basiert lediglich auf der Rechtsprechung des BFH.<br />

Im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses<br />

wurde das Bundesfinanzministerium schließlich aufgefordert,<br />

die Gespräche auf Bund-Länder-Ebene fortzuführen<br />

und dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten,<br />

welches Besteuerungskonzept der KGaA künftig gesetzgeberisch<br />

verankert werden solle. In Zukunft werden somit<br />

die Diskussionen zur Besteuerung der KGaA genauso<br />

wenig enden wie die zur Zulässigkeit eines Treaty Override.


Aufsätze und Beiträge<br />

Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.<br />

Schneider, LL.M.<br />

<strong>Die</strong> persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter<br />

bei Überlassung der Geschäftsführung an<br />

Personen, die nicht Geschäftsführer sein können.<br />

Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G 365<br />

Markus Geißler<br />

Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines<br />

<strong>GmbH</strong>-Anteils und der Insolvenz eines Gesellschafters<br />

370<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher<br />

Quellensteuer. Anmerkungen zur Änderung<br />

des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und zum BMF-Schreiben<br />

vom 24.1.2012 376<br />

<strong>GmbH</strong>-International<br />

Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel<br />

<strong>Die</strong> Organe der Gesellschaft mit beschränkter<br />

Haftung im chinesischen Recht. Eine rechtsvergleichende<br />

Analyse 384<br />

Rechtsprechung Gesellschaftsrecht<br />

Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nicht<br />

nichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung für<br />

Abfindung (BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11) 387<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

von Dr. Lutz Münnich 390<br />

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung des<br />

Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem Mitbestimmungsgesetz<br />

(BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11) 391<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

von Dr. Martin Pröpper 393<br />

Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz der<br />

<strong>GmbH</strong> gegen ihren Geschäftsführer wegen vermeintlicher<br />

Obliegenheitsverletzungen (OLG Frankfurt a. M.<br />

v.25.10.2011–5U27/10[LS]) 394<br />

Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vom<br />

Selbstkontrahierungsverbot (OLG Frankfurt a. M. v.<br />

13.10.2011 – 20 W 95/11) 394<br />

Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vor<br />

Inkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschafterliste<br />

(OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11) 398<br />

Inhalt<br />

103. Jahrgang<br />

<strong>Heft</strong> 7/2012<br />

Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellste<br />

im Registerordner aufgenommene Liste bei Neueinreichung<br />

(OLG München v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12) 399<br />

Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichts<br />

bei Anmeldung einer Geschäftsführerin zur Eintragung<br />

in das Handelsregister (KG Berlin v. 22.8.2011 –<br />

25 W 17/11) 400<br />

Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweigniederlassung<br />

einer Limited bei Löschung der ausländischen<br />

Hauptniederlassung (KG Berlin v. 24.10.2011 –<br />

25 W 37/11) 401<br />

Rechtsprechung Steuerrecht<br />

Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />

Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />

(BFH v. 14.12.2011 – I R 72/10) 402<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

von Dr. Alexander Höhn/ Georg Geberth 405<br />

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />

Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />

(BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10) 406<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

von Dr. Hans-Georg Berg/Dr. Rolf Schmich 408<br />

Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei unterjährigem<br />

schädlichen Beteiligungserwerb (BFH v.<br />

30.11.2011 – I R 14/11) 410<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

von Markus Suchanek 412<br />

Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaft kein<br />

wichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebung des<br />

Gewinnabführungsvertrags (FG Brandenburg v.<br />

19.10.2011 – 12 K 12078/08) 413<br />

Verwaltungsanweisungen<br />

7/2012 R87<br />

Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />

ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)<br />

(BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK<br />

2011/1032913) 415<br />

Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finale<br />

Betriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R 77/<br />

06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08 (BMF v. 18.11.2011<br />

– IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578) 420


Inhalt<br />

IM BLICKPUNKT<br />

Dr. Ansas Wittkowski, München<br />

DBA-Schachtelprivileg bei hybriden Gesellschaftsformen<br />

R 85<br />

Unternehmensrecht<br />

Haftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicher<br />

Neugründung R 89<br />

Haftung als Scheingesellschafter und nach Austritt<br />

aus einer Gesellschaft – worauf müssen (ehemalige)<br />

Gesellschafter achten? R 89<br />

„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln in Gesellschaftsverträgen<br />

R 90<br />

„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen – durch<br />

Auslegung zurück zum alten Recht? R 90<br />

Treu und Glauben steht Kündigung wegen Formunwirksamkeit<br />

nicht entgegen R 91<br />

Schadensersatz bei Wegfall von Steuervorteilen R 91<br />

Beteiligung von Private Equity-Investoren an Familienunternehmen<br />

und Corporate Governance R 91<br />

Steuer- & Bilanzrecht<br />

Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 R 92<br />

Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei der Körperschaftsteuer<br />

R 92<br />

Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung im Ganzen<br />

nach dem EuGH-Urteil „Schriever“ R 92<br />

Aktuelle Entwicklungen beim Vorsteuerabzug R 93<br />

Arbeits- & Sozialrecht<br />

Schadenersatz wegen Gehaltseinbußen R 93<br />

Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden<br />

Arbeitsverhältnis R 94<br />

Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des bei<br />

Mutterschutz weitergezahlten Arbeitsentgelts R 94<br />

Europa-Praxis<br />

Doppelte Nichtbesteuerung – Konsultation eingeleitet R95<br />

Europäische Stiftung: Kommission veröffentlicht<br />

Verordnungsvorschlag R 95<br />

Europäische Kommission lässt ACTA-Abkommen<br />

überprüfen R 95<br />

Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei den europäischen<br />

Gerichten nimmt zu R 96<br />

Wirtschafts-Praxis<br />

Rückläufige Entwicklung von Innovationen im Mittelstand<br />

R 96<br />

Zeitschriftenspiegel R97<br />

Buchbesprechung R98<br />

Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen<br />

<strong>GmbH</strong>-Rechts, 2. Auflage (Dr. Roman Jordans) R 98<br />

Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften<br />

mit beschränkter Haftung: <strong>GmbH</strong>G, 7. Auflage R 99<br />

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Update Unternehmensrecht<br />

� die wichtigsten Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung<br />

� die Vorschau auf die nächste Ausgabe<br />

� kompakte Informationen zum gesamten Unternehmensrecht<br />

7/2012 R88<br />

Tagungshinweise<br />

Zertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensivfortbildung<br />

zur Konzernrechnungslegung R 99<br />

Impressum R 100<br />

<strong>Die</strong>ser Ausgabe liegen folgende Prospekte bei: „Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung“; „Roth, Insolvenzsteuerrecht“ und „Obermüller,<br />

Insolvenzrecht in der Bankpraxis“, Verlag Dr. Otto Schmidt.<br />

Wir bitten unsere Leser um freundliche Beachtung.<br />

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Unternehmensrecht<br />

Dr. Stephan Ulrich, Rechtsanwalt,<br />

Simmons & Simmons, Düsseldorf<br />

Haftung bei nicht offengelegter<br />

wirtschaftlicher Neugründung<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftliche Neugründung von „schlafenden“ oder Vorrats-Gesellschaften<br />

ist für die Unternehmenspraxis ein gern<br />

genutzter Weg –weil kosten- und zeiteffizient–, um neue Unternehmungen<br />

gesellschaftsrechtlich in die Tat umzusetzen.<br />

Da die „Wiederbelebung“ des zuvor ungenutzten <strong>GmbH</strong>-<br />

Mantels oder der eingekauften Vorrats-<strong>GmbH</strong> (so bereits<br />

BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = <strong>GmbH</strong>R<br />

2003, 227 m. Komm. Peetz) wirtschaftlich einer Neugründung<br />

gleichkommt, gelten für die Anmeldung zum Handelsregister<br />

besondere Erfordernisse: <strong>Die</strong> wirtschaftliche Neugründung<br />

muss gegenüber dem Register offengelegt werden, der Geschäftsführer<br />

muss versichern, dass das Stammkapital voll<br />

eingezahlt und zu seiner freien Verfügung vorhanden ist, und<br />

die Gesellschafter haften dafür, dass das satzungsmäßige<br />

Stammkapital der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung<br />

„aufgefüllt“ ist.<br />

<strong>Die</strong> Haftung für die „Auffüllung“ des Stammkapitals ist eine<br />

Unterbilanzhaftung der Gesellschafter, vergleichbar zum Szenario<br />

während der Neugründung. Aber in welcher Höhe wird<br />

im Falle der unterbliebenen Offenlegung gehaftet?<br />

<strong>Die</strong>se Frage war bisher umstritten, aber nun scheint Klärung<br />

in Sicht zu sein: Denn mit Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10 (BGH-<br />

Pressemitteilung Nr.30/2012) hat der BGH entschieden, dass<br />

die unterlassene Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung<br />

ebenfalls zu einer Unterbilanzhaftung der Gesellschafter<br />

führen kann – nämlich dann, wenn im Zeitpunkt der wirtschaftlichen<br />

Neugründung eine Deckungslücke zwischen<br />

dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen<br />

Stammkapital bestanden hat, was durch die unterbliebene<br />

Offenlegung dem Registergericht nicht bekannt geworden<br />

ist. Vorher war vertreten worden, dass die unterlassene Offenlegung<br />

eine unbegrenzte Verlustdeckungshaftung auslöst.<br />

<strong>Die</strong>se Ansicht ist jetzt durch das BGH-Urteil entkräftet worden.<br />

Derzeit ist nur die Pressemitteilung des Urteils verfügbar. <strong>Die</strong><br />

genaue Kommentierung bleibt der Veröffentlichung des gesamten<br />

Urteilstexts vorbehalten, was unmittelbar nach seinem<br />

Vorliegen in dieser Zeitschrift erfolgen wird.<br />

Haftung als Scheingesellschafter und nach<br />

Austritt aus einer Gesellschaft – worauf<br />

müssen (ehemalige) Gesellschafter achten?<br />

<strong>Die</strong> unbeschränkte persönliche Haftung im Personengesellschaftsrecht<br />

ist nicht mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters<br />

zu Ende. Sie kann vielmehr über den Austrittszeitpunkt<br />

hinauswirken – z.B. als Nachhaftung aus §736 Abs.2<br />

7/2012 R89<br />

BGB i.V.m. §160 HGB oder auch als Rechtsscheinhaftung. In<br />

jedem Fall ist für den austretenden Gesellschafter Vorsicht<br />

geboten.<br />

I. Nachhaftung<br />

Für die Haftung über das Ende der Gesellschafterstellung<br />

hinaus ist vor allem relevant, wann die Verbindlichkeit, wegen<br />

der die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters begehrt<br />

wird, entstanden ist. §160 Abs.1 S.1 HGB spricht von<br />

den „bis dahin begründeten Verbindlichkeiten“ der Gesellschaft.<br />

Aber wann genau gilt eine Verbindlichkeit als begründet?<br />

Besonders bei außervertraglichen Verbindlichkeiten ist ein<br />

„Anknüpfungszeitpunkt“ nicht leicht erkennbar. Besonders<br />

schwierig dürfte das etwa bei der Geltendmachung von bereicherungsrechtlichen<br />

Ansprüchen sein (insbesondere gemäß<br />

§812 Abs.1 S.1 Var.1 BGB – hier hat von Anfang an gar<br />

kein Rechtsgrund bestanden). Der BGH hat für die Haftung<br />

des ausgeschiedenen GbR-Gesellschafters für eine irrtümlich<br />

doppelt geleisteten Zahlung nicht auf den Zeitpunkt des<br />

Vertragsabschlusses abgestellt (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/<br />

10). Der Vertrag sei nämlich nicht die Grundlage dafür, dass<br />

irrtümlicherweise mehrfach auf die in ihm begründeten Verbindlichkeiten<br />

geleistet würde.<br />

II. „Altverbindlichkeit“ ja oder nein?<br />

Damit war in dem vorliegenden Fall die geforderte Zahlung<br />

im Wege der Leistungskondiktion keine „Altverbindlichkeit“,<br />

für die der ausgeschiedene Gesellschafter über §736 Abs.2<br />

BGB i.V.m. §160 HGB hätte haften müssen. Das sind, wie der<br />

II.Senat ausdrücklich erwähnt, nämlich nur „Schuldverpflichtungen,<br />

deren Rechtsgrundlage bis zum Ausscheiden gelegt<br />

worden ist, auch wenn die einzelnen Verpflichtungen erst<br />

später fällig werden“ (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, Rz.14,<br />

mit Verweis auf frühere Entscheidungen).<br />

III. Ausgeschiedener muss Rechtsschein seiner<br />

eigenen Haftung aktiv zerstören<br />

Neben der gesetzlichen Nachhaftung besteht für ehemalige<br />

Gesellschafter noch eine weitere mögliche Haftungsfalle: die<br />

Rechtsscheinhaftung. Der Rechtsverkehr –also alle Außenstehenden,<br />

die potentiell mit der Gesellschaft in Kontakt kommen<br />

könnten– muss erkennen und erkennen können, dass<br />

einer der Gesellschafter ausgeschieden ist. Anderenfalls haftet<br />

der Ausgeschiedene im schlimmsten Fall als sog.<br />

„Scheingesellschafter“ für die von der Gesellschaft begründeten<br />

Verbindlichkeiten weiter mit (und zwar weiter persönlich<br />

und unbeschränkt). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der<br />

Ausgeschiedene diesen Rechtsschein selbst setzt. Wird der<br />

Schein beispielsweise durch die Gesellschaft selbst gesetzt<br />

– etwa durch Verwendung von „altem“ Briefpapier, auf dem<br />

der Ausgeschiedene immer noch als Gesellschafter vermerkt<br />

ist– entsteht die Haftung gleichermaßen, wenn der Betroffene<br />

nicht gegen diese Umstände vorgeht. In dem oben<br />

erwähnten Urteil hat der II.Senat des BGH hierfür Anforderungen<br />

vorgegeben, die in der Praxis recht aufwändig sind: Es<br />

genügt nicht, dass der Ausgeschiedene die haftungsbegründenden<br />

Umstände nur ausdrücklich untersagt. Er muss stattdessen<br />

–im Rahmen des ihm Zumutbaren und natürlich


des ihm Erkennbaren– selbst aktiv werden und den Rechtsschein<br />

zerstören. Im Fall des oben erwähnten Briefpapiers<br />

könnte dies dann z.B. dadurch erreicht werden, dass der Ausgeschiedene<br />

selbst die Empfänger des Briefs darüber informiert,<br />

dass er gar nicht mehr Gesellschafter ist.<br />

IV. Fazit<br />

Auch nach dem Austritt aus einer Personengesellschaft ist also<br />

Vorsicht geboten. Wendet der ehemalige Gesellschafter<br />

der Gesellschaft einfach komplett den Rücken zu und verfolgt<br />

ihr Handeln nicht weiter, kann das zu teuren Überraschungen<br />

führen.<br />

„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln in<br />

Gesellschaftsverträgen<br />

Bei Gesellschaften mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis<br />

wie <strong>GmbH</strong>s oder Personengesellschaften finden<br />

sich in Gesellschaftsverträgen oft sog. „Change of Control-<br />

Klauseln“. Sie sollen verhindern, dass die Gesellschaft durch<br />

einen Kontrollwechsel bei einem ihrer Gesellschafter „überfremdet“.<br />

<strong>Die</strong> Formulierung sollte dabei so ausdrücklich und exakt wie<br />

möglich gewählt werden. Kommt es auf die Stimmenmehrheit<br />

oder die Kapitalmehrheit an? Ist ein Übergang der Kontrolle<br />

von einem Gesellschafter auf einen anderen erforderlich<br />

oder reicht ein Kontrollverlust? Sind auch Mehrheitsbeteiligungen<br />

an Gesellschaften auf einer höheren Stufe im Konzern<br />

einer Partei umfasst? Welcher Zeitpunkt ist relevant und<br />

was für Rechtsfolgen sollen eintreten? Alle diese Punkte sollten<br />

in der Klausel geregelt werden, um Zweifelsfragen bei der<br />

Auslegung zu vermeiden.<br />

Das OLG Koblenz hat mit Urt. v. 3.11.2011 – 6 U 49/11 (abzurufen<br />

unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“) in diesem Zusammenhang<br />

darauf hingewiesen, dass die Klausel im Zweifel<br />

nach den gängigen Maßstäben auszulegen ist: so nah am<br />

Wille des Erklärenden wie möglich, anhand von Zweck, Interessenlage<br />

und Begleitumständen der Parteien im Zeitpunkt<br />

des Abschlusses der Klausel.<br />

Für die Auslegung von Gesellschaftsverträgen gilt generell:<br />

Je weiter die Gesellschaft von dem Bestand ihrer Mitglieder<br />

verselbständigt ist, desto objektiver muss auch der Maßstab<br />

für die Auslegung sein. Bei Personengesellschaften kann<br />

maninallerRegelaufdenWillenderBeteiligtenundihrindividuelles<br />

Verständnis abstellen. Publikums-Personengesellschaften<br />

und Kapitalgesellschaften sind von ihrem Gesellschafterbestand<br />

hingegen so unabhängig, dass bei ihnen<br />

der Auslegungsmaßstab objektiv sein muss. Ausnahmen<br />

können nur dann gelten, wenn der Gesellschafterbestand<br />

seit der Gründung unverändert geblieben ist und die Gesellschaft<br />

daher noch als „verfestigter und verselbständigter“ Wille<br />

der Gründer angesehen werden kann (zu all dem Busche<br />

in Münch.Komm.BGB, 6.Aufl. 2012, §133 Rz.39).<br />

Dabei besteht immer das Risiko, dass einzelne Aspekte im<br />

Ernstfall nicht hinreichend erforscht und aufgeklärt werden<br />

können. Dann wird der entscheidende Richter regelmäßig<br />

7/2012 R90<br />

eine objektive Auslegung des Wortlauts vornehmen, die vielleicht<br />

nicht immer dem entspricht, was die Parteien sich eigentlich<br />

darunter vorgestellt, aber nicht hinreichend zum Ausdruck<br />

gebracht haben.<br />

„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen –<br />

durch Auslegung zurück zum alten Recht?<br />

Im Gegensatz zu Gesellschaftsverträgen von Kapitalgesellschaften<br />

(näheres hierzu in „Auslegung I“, vorstehend abgedruckt)<br />

orientiert sich die Auslegung von Rangrücktrittserklärungen<br />

immer in erster Linie am Willen der Beteiligten.<br />

Der Rangrücktritt ist eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft<br />

und ihrem Gesellschafter: Der forderungsinhabende<br />

Gesellschafter erklärt sich bereit, im Insolvenzfall mit seinem<br />

Anspruch im Rang hinter die Ansprüche anderer Gläubiger<br />

zurückzutreten (Selzner/Leuering in Römermann,<br />

Münch.Hdb. zum <strong>GmbH</strong>-Recht, 2.Aufl. 2009, §7 Rz.120 ff.,<br />

m.w.N.). <strong>Die</strong>sen Willen bringt der Gesellschafter in seiner Erklärung<br />

gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck, auch<br />

wenn sie wirtschaftlich natürlich in erster Linie den Drittgläubigern<br />

zugute kommt, deren Forderungen dadurch im Krisenfall<br />

(möglicherweise) etwas sicherer werden.<br />

Was hat der Gesellschafter mit einer bestimmten Formulierung<br />

zum Ausdruck bringen wollen? Warum wurden gewisse<br />

Aspekte nicht ausdrücklich geregelt und was würde man<br />

wollen, wenn man gewisse andere Aspekte auch bedacht<br />

hätte? Solche Fragen stellen sich bei Rangrücktrittserklärungen<br />

dann, wenn tatsächlich eine Inanspruchnahme droht.<br />

Ausgangspunkt der Auslegung von Rangrücktrittserklärungen<br />

ist –wie bei den Gesellschaftsverträgen im Personengesellschaftsrecht–<br />

der Wille des/der Erklärenden (§133 BGB),<br />

mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte<br />

(§157 BGB): Was hätten die Parteien vereinbart, wenn sie die<br />

Regelungslücke hätten schließen wollen? Dafür muss der<br />

Wille bzw. mutmaßliche Wille der Erklärenden so gut wie<br />

möglich ermittelt werden (instruktiv hierzu BGH v. 25.11.2004<br />

– I ZR 49/02, NJW-RR 2005, 687, m.w.N.). Das kann bedeuten,<br />

dass Begleitumstände der Erklärung herangezogen und<br />

analysiert werden, aber auch, dass auf den Willen oder das<br />

Verhalten eines „objektiven Dritten“ abgestellt wird, sofern<br />

überhaupt keine Anknüpfungspunkte für den individuellen<br />

Willen des Erklärenden vorhanden (und beweisbar) sind.<br />

Bei Rangrücktritten, die vor 2008 erklärt wurden, besteht die<br />

Besonderheit, dass sie wegen der seit Einführung des Mo-<br />

MiG klaren Rechtslage zum Passivierungsverbot je nach Formulierung<br />

andere Rechtsfolgen vorsehen können, so dass<br />

ihre Bedeutung unter der neuen Rechtslage zu ermitteln ist.<br />

Das OLG Koblenz hat klargestellt, dass generell die vor dem<br />

MoMiG geltende Rechtslage auch nicht „auf dem Umweg<br />

über §242 BGB“ durch eine entsprechende Auslegung wieder<br />

hergestellt werden darf (OLG Koblenz v. 15.12.2011 – 309/<br />

11, abzurufen unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“). Im Einzelfall<br />

muss stattdessen geklärt werden, was die Parteien erklärt<br />

hätten, wenn sie von den Änderungen durch das MoMiG gewusst<br />

hätten. Wenn Sonderregelungen für Altfälle im Gesetz


stehen, gelten natürlich diese. Ansonsten kann auch die Auslegung<br />

nicht zwingendes geltendes Recht aushebeln.<br />

Im Streitfall werden die Gerichte entscheiden. Wie nah die Erklärung<br />

an dem ist, was der Erklärende tatsächlich gewollt<br />

hätte, hängt vom ihrem Wortlaut und der Beweislage im Einzelfall<br />

ab.<br />

Treu und Glauben steht Kündigung wegen<br />

Formunwirksamkeit nicht entgegen<br />

Jeder Berater kennt die Mühen, die die Wahrung des gesetzlichen<br />

Schriftformerfordernisses für Miet- oder Nutzungsverträge<br />

mit sich bringt. Wird ein Mietvertrag für längere Zeit als<br />

ein Jahr nicht entsprechend dem Schriftformerfordernis abgeschlossen,<br />

gilt er nach §550 S.1 BGB als auf unbestimmte<br />

Zeit geschlossen. Gekündigt werden kann der Vertrag dann<br />

grundsätzlich jederzeit zum Ablauf des jeweils nächsten<br />

Quartals gemäß §580a Abs.2 BGB.<br />

Auf die Frage, welche praktischen Anforderungen sich aus<br />

dem Schriftformerfordernis im Einzelnen ergeben, soll hier<br />

nicht näher eingegangen werden (dazu statt vieler Disput,<br />

ZMR 2010, 827, m.w.N.). In der Praxis ist bekannt, dass einige<br />

formale Hürden zu überwinden sind, um z.B. einen bestehenden<br />

langfristigen Mietvertrag zu ändern oder zu übertragen.<br />

Nur wenn sich die Einigung der Parteien über alle wesentlichen<br />

Teile der Vereinbarung aus einer von beiden unterzeichneten<br />

Urkunde ergibt, gelten diese Anforderungen als<br />

gewahrt (hierzu z.B. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW<br />

2008, 2181).<br />

Ist klar, dass ein Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform<br />

vorliegt, hilft kaum etwas. Das OLG Düsseldorf hat in seinem<br />

Urt.v.23.1.2012–I-10U66/11festgestellt,dasssichdieParteien<br />

eines formunwirksamen Mietvertrags nicht dadurch ihrer<br />

Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung begeben,<br />

weil sie den pflichtwidrigen Zustand vorher über längere Zeit<br />

hingenommen haben. <strong>Die</strong> Kündigungsmöglichkeit bleibt<br />

bestehen, und sie ist auch nach langer Zeit nicht etwa als venire<br />

contra factum proprium anzusehen. Kommt es zu einer<br />

Kündigung wegen Verletzung der Formerfordernisse, bleibt<br />

der anderen Partei also die Berufung auf einen Verstoß gegen<br />

§242 BGB (Treu und Glauben)verwehrt.<br />

Allerdings stellt das OLG unter Verweis auf einige BGH-Entscheidungen<br />

(u.a. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW 2008,<br />

2181; v. 25.7.2007 – XII ZR 143/05, NJW 2007, 3202) klar, dass<br />

dieser Einwand in Ausnahmefällen, etwa bei der schuldhaften<br />

Vereitelung der Einhaltung der Schriftform oder sonst<br />

einem besonders schweren Treuepflichtverstoß, ausnahmsweise<br />

doch greifen kann. Darüber hinaus ist es auch treuwidrig,<br />

nach Vertragsschluss eine ergänzende Abrede zu treffen,<br />

die nicht die schriftliche Form wahrt, nur um diese dann zum<br />

Anlass nehmen zu können, sich von einem lästig gewordenen<br />

Mietvertrag zu lösen (BGH v. 19.9.2007 – XII ZR 198/05,<br />

NJW 2008, 365). Dass auch eine salvatorische Klausel in diesem<br />

Fall einer ordentlichen Kündigung aufgrund der gesetzlich<br />

vorgesehenen Möglichkeit des §550 S.1 BGB nicht weiterhilft,<br />

ist verständlich.<br />

7/2012 R91<br />

Schadensersatz bei Wegfall von Steuervorteilen<br />

<strong>Die</strong> höchstrichterliche Rechtsprechung geht eher restriktiv<br />

mit der Anerkennung von steuerlichen Vorteilen um, die<br />

einem Geschädigten entgangen sind (vgl. BGH v. 16.6.2008<br />

– VII ZR 215/06, NJW 2008, 2773; dazu auch Langheim/Stänzel,<br />

BB 2008, 2373). <strong>Die</strong> BGH-Rechtsprechung beruht auf der<br />

Vermutung, dass sich in solchen Fällen die Verlustzuweisungen,<br />

die das zu versteuernde Einkommen senken, und die<br />

Schadensersatzleistung, die das zu versteuernde Einkommen<br />

erhöhen, ungefähr entsprechen und man daher unter<br />

Billigkeitsgesichtspunkten eine konkrete Berechnung nicht<br />

vornehmen muss. Mit Urt. v. 23.1.2012 – 23 U 114/10 hat nun<br />

das OLG Frankfurt a.M. in Kenntnis der bisherigen BGH-<br />

Rechtsprechung zu dieser Thematik einen Ausnahmefall<br />

entschieden: Hier stand der seinerzeit in eine <strong>GmbH</strong>& Co.<br />

KG geleisteten Einlage eine erheblich darüber liegende anfängliche<br />

Verlustzuweisung gegenüber.<br />

<strong>Die</strong>se Konstellation war nach Ansicht des OLG dem Fall vergleichbar,<br />

den auch die BGH-Rechtsprechung als außergewöhnlichen<br />

Vorteil anerkennt: <strong>Die</strong> Vermutung des BGH, dass<br />

sich Steuerschaden und Schadensersatz entsprechen, soll<br />

dann nicht mehr gelten, wenn dieVerlustzuweisungenbezogen<br />

auf den Anlagenbetrag die 100%-Grenze überschreiten.<br />

Dann soll nach Ansicht des BGH stattdessen doch wieder<br />

eine konkrete Berechnung möglich sein.<br />

Geschädigte sind vor dem Hintergrund dieses Urteils gut beraten,<br />

„ihren“ Fall noch einmal genau schadensrechtlich zu<br />

prüfen.<br />

Beteiligung von Private Equity-Investoren an<br />

Familienunternehmen und Corporate<br />

Governance<br />

In der Reihe Family Business ist, hrsg. von Prof. Dr. Sabine B.<br />

Klein u.a., ein interessantes Buch erschienen, das für im Midcap-Bereich<br />

tätige Finanzinvestoren aber auch gerade für Familienunternehmer,<br />

die mit dem Gedanken an die Veräußerung<br />

ihres Unternehmens oder der Beteiligung eines Finanzinvestors<br />

spielen, sehr zu Lektüre empfohlen sei (Dr. Markus<br />

Hehn, Auswirkungen der Beteiligung von Private Equity Gesellschaften<br />

auf die Governance von Familienunternehmen<br />

in Deutschland, EUL Verlag, 2011).<br />

Dr. Markus Hehn analysiert die Auswirkungen, die die Beteiligung<br />

eines Finanzinvestors auf das Kontroll- oder Aufsichtsgremium<br />

des Unternehmens nach sich ziehen kann. Funktion<br />

und Zusammensetzung des Beirats ändern sich durch<br />

den Beitritt eines Finanzinvestors erheblich; grundsätzlich<br />

konnte ein Übergang von der Stewardship Theory zur Principal-Agency-Theorie<br />

festgestellt werden. Es erfolgt ein Wechsel<br />

von einem eher vertrauensbasierten Beratungsgremium<br />

zu einem auch Konflikte nicht scheuendem Kontrollorgan.<br />

<strong>Die</strong> Hintergründe dieser Veränderung und deren Konsequenzen<br />

werden in dem Buch anschaulich dargestellt und<br />

analysiert.


Besonders hervorgehoben seien die Fallstudien, die insbesondere<br />

jedem Familienunternehmer, der sich mit Überlegungen<br />

zur Veräußerung trägt, zu Lektüre empfohlen sind.<br />

Das Buch schließt mit einer Liste von Handlungsempfehlungen<br />

an Familienunternehmer, Beiratsmitglieder und Finanzinvestoren.<br />

<strong>Die</strong> dort genannten Punkte sollten zum Handwerkszeug<br />

eines jeden gehören, der mit so einem Projekt befasst<br />

ist. Würden diese Punkte in der Praxis stets genügend beachtet,<br />

könnten viele Missverständnisse und Unterbrechungen<br />

in den Veräußerungsprozessen verhindert werden.<br />

Steuer- & Bilanzrecht<br />

Redaktion <strong>GmbH</strong>-<strong>Rundschau</strong>, Köln<br />

Referentenentwurf eines<br />

Jahressteuergesetzes 2013<br />

Das BMF hat den Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes<br />

2013 (JStG 2013) v. 5.3.2012 veröffentlicht. Wie üblich<br />

handelt es sich um ein „Omnibusgesetz“ mit einer Vielzahl<br />

nicht oder nur sehr lose zusammenhängender Regelungen.<br />

Der Kabinettsbeschluss zum JStG 2013 ist für den 25.4.2012<br />

vorgesehen. Aus der Fülle der Themen sind im Folgenden<br />

diese herauszustellen:<br />

1. Schaffung eines EU-Amtshilfegesetzes (EUAHiG) und damit<br />

Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie zum Austausch<br />

von „voraussichtlich erheblichen“ Informationen in Steuersachen<br />

zwischen den Mitgliedstaaten.<br />

2. Anpassung steuergesetzlicher Regelungen an die neu gefasste<br />

sog. Mutter-Tochter-Richtlinie v. 30.11.2011 durch Änderung<br />

von §43b EStG, Anlage 2 zum EStG, §8b Abs.9<br />

und §34 Abs.7 KStG sowie §9 Nr.4 GewStG.<br />

3. Änderung des Umsatzsteuergesetzes in §3a Abs.2 u. 3<br />

UStG (Ort der sonstigen Leistung), §4 UStG (Schul- und Bildungsleistungen/Veranstaltungen),<br />

§13b UStG ausländischer<br />

Unternehmer) sowie §§14, 14a UStG (Rechnungsstellungsvorschriften),<br />

§15 UStG (Vorsteuer aus innergemeinschaftlichem<br />

Erwerb), mitunter zur fristgerechten Umsetzung<br />

diesbezüglicher Änderungen der MWStSystRL.<br />

4. Änderung des Außensteuergesetzes zur Aufnahme des<br />

„Authorized OECD Approach“ in §1 Abs.5 AStG n.F. sowie<br />

zur klarstellenden Einbeziehung auch von Sachverhalten<br />

unter Beteiligung von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften<br />

(§1 Abs.1 S. 2 AStG n.F.).<br />

5. Nachteilsausgleich bei privater Nutzung betrieblicher<br />

Elektrofahrzeuge im EStG („Regierungsprogramm Elektromobilität“).<br />

6. Verfahrensvereinfachung für Arbeitnehmer und Verwaltung<br />

durch Einführung einer Antragsmöglichkeit, im Lohnsteuerabzugsverfahren<br />

zu berücksichtigende Freibeträge auf<br />

zwei Jahre zu verlängern.<br />

7/2012 R92<br />

Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei der<br />

Körperschaftsteuer<br />

Der BFH hat in seinem Beschl. v. 15.2.2012 – I B 97/11 über<br />

eine Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Steuerpflicht<br />

von Erstattungszinsen gemäß §233a AO im Rahmen<br />

der Körperschaftsteuer entschieden. Das Finanzamt setzte<br />

gegenüber der Klägerin, einer <strong>GmbH</strong>, für die Streitjahre (2002<br />

und 2004) Nachforderungs- und Aussetzungszinsen gemäß<br />

§§233a, 237 AO i.H.v. 72.098 a (2002) und 70.612,44a (2004)<br />

fest und rechnete die Zinsen als nicht abziehbare Aufwendungen<br />

gemäß §10 Nr.2 KStG 2002 dem Einkommen der<br />

Klägerin wieder hinzu. Nach den Erläuterungen der Klägerin<br />

im Klageverfahren betreffen die Zinsen im Wesentlichen die<br />

Körperschaftsteueransprüche 1981 bis 1986. Für das Streitjahr<br />

2002 ergaben sich zudem Erstattungszinsen i.H.v.<br />

3.590,49 a, die nach Ansicht des Finanzamts gleichfalls das<br />

Einkommen der Klägerin erhöhen. Einspruch, Klage und<br />

Nichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Der BFH<br />

ließ die Revision nicht zu. Nachzahlungs- und Aussetzungszinsengehörtennach§10Nr.2KStG2002zudennichtabziehbaren<br />

Aufwendungen und minderten deshalb auch<br />

nicht die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Zinsen<br />

auf erstattete Körperschaftsteuerzahlungen (sog. Erstattungszinsen)<br />

erhöhten das Einkommen der Kapitalgesellschaften.<br />

<strong>Die</strong> geänderte Rechtsprechung des BFH (BFH v.<br />

15.6.2010 – VIII R 33/07, BStBl. II 2011, 503), nach der –für die<br />

Rechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2010 v. 8.12.2010 (BGBl.<br />

I 2010, 1768)– auf die Festsetzung von Einkommensteuer<br />

entfallende Erstattungszinsen nicht der Einkommensteuer<br />

unterlägen, sei auf die Einkommensermittlung von Kapitalgesellschaften,<br />

die über keine außerbetriebliche Sphäre verfügten,<br />

nicht übertragbar.<br />

Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung im<br />

Ganzen nach dem EuGH-Urteil „Schriever“<br />

Nach §1 Abs.1a S.1 UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen<br />

einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer<br />

für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer.<br />

Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen<br />

oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert<br />

geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich<br />

übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§1<br />

Abs.1a S.2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an die<br />

Stelle des Veräußerers (§1 Abs.1a S.3 UStG). Der EuGH hat<br />

im Urt. v. 10.11.2011 – Rs.C-444/10 – Schriever entschieden,<br />

die unionsrechtliche Regelung, die §1 Abs.1a UStG zugrunde<br />

liege, enthalte folgende Vorgaben: Art.5 Abs.8 der Sechsten<br />

Richtlinie sei dahin auszulegen, dass die Übereignung<br />

des Warenbestands und der Geschäftsausstattung eines<br />

Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des<br />

Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, allerdings<br />

aufgrund eines von beidenParteienkurzfristigkündbaren<br />

Vertrags, eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens<br />

im Sinne dieser Bestimmung darstelle, sofern die<br />

übertragenen Sachen hinreichten, damit der Erwerber eine<br />

Fortsetzung auf Seite R93<br />


103. Jahrgang<br />

<strong>Heft</strong> 7/2012<br />

Seite 365<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M. *<br />

<strong>Die</strong>persönlicheHaftungder<strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der<br />

Geschäftsführung an Personen, die nicht Geschäftsführer sein können<br />

– Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G –<br />

§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G, eingeführt durch das MoMiG, begründet<br />

einen Fall der persönlichen Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter.<br />

<strong>Die</strong> Gesellschafter haften gegenüber der Gesellschaft,<br />

wenn sie einer Person, die nicht Geschäftsführer<br />

sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen. <strong>Die</strong>ser<br />

Beitrag geht Sinn und Zweck dieser Haftung nach, untersucht<br />

die Voraussetzungen der Haftung und bestimmt<br />

denderGesellschaftzuersetzendenSchaden.<br />

I. <strong>Die</strong> Ausgangslage<br />

§ 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G enthält eine Liste von gesetzlichen<br />

Ausschlussgründen, die dazu führen, dass derjenige, in<br />

dessen Person die Voraussetzungen gegeben sind, nicht<br />

zum Geschäftsführer bestellt werdenkann.ZudiesenAusschlussgründen<br />

gehört etwa, dass die Person wegen Insolvenzverschleppung<br />

oder wegen einer in den §§ 283 – 283d<br />

StGB geregelten Insolvenzstraftaten verurteilt worden ist.<br />

Liegt ein solcher Ausschlussgrund vor, ist die Person „inhabil“,<br />

so ist die Bestellung unwirksam.<br />

* Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.SchneideristDirektor des Instituts für<br />

deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens<br />

an der Universität Mainz; Dr. Sven H. Schneider, LL.M.<br />

ist Rechtsanwalt und Partner von HengelerMueller, Rechtsanwälte,<br />

Frankfurt a. M.<br />

1 Tritt der Ausschlussgrund<br />

erst nachträglich ein, so verliert der Geschäftsführer<br />

zu diesem Zeitpunkt automatisch sein Amt.<br />

1 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR<br />

292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R 1991, 358; OLG Düsseldorf<br />

v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 114; KG Berlin v.<br />

19.10.2011 – 25 W 35/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 91; Altmeppen in Roth/<br />

Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben in<br />

Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Goette,DStR<br />

1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).<br />

2<br />

son, die inhabil ist; soll heißen, bei der ein gesetzlicher<br />

Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G besteht. Ihr ist<br />

die Führung der Geschäfte überlassen. Im Blick hierauf<br />

war bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von<br />

Werkunternehmenansprüchen und zur verbesserten<br />

Durchsetzung von Forderungen (FoSiG) v. 2.2.2006<br />

In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Verbot in unterschiedlicher<br />

Weise umgangen wird. So werden Geschäftsführer<br />

bestellt, bei denen zwar ein solcher Ausschlussgrund<br />

nicht besteht. Sie treten im Außenverhältnis aber nur<br />

als Strohmann auf. Im Hintergrund aber handelt eine Per-<br />

2 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R<br />

1991, 358; OLG Düsseldorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R<br />

1994, 114; OLG München v. 3.3.2011 – 31 Wx 51/11, <strong>GmbH</strong>R<br />

2011, 430; Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />

2012, § 6 Rz. 23.<br />

3 eine<br />

Binnenhaftung der Gesellschafter vorgesehen. Vorgesehen<br />

war eine persönliche Haftung der Gesellschafter, die eine<br />

inhabile Person zum Geschäftsführer bestellen oder sie<br />

nicht abberufen oder ihr tatsächlich die Führung der Geschäfte<br />

überlassen. Der Vorschlag wurde zunächst nicht<br />

Gesetz.<br />

Im Regierungsentwurf des MoMiG v. 25.7.2007<br />

3 BT-Drucks. 16/511.<br />

4 wurde<br />

der Vorschlag wieder aufgenommen, aber mit der Begründung,<br />

hierdurch würde die Gesetzessystematik durchbrochen,<br />

verworfen. <strong>Die</strong> Gesellschafter seien grundsätzlich<br />

nicht für einen Schaden verantwortlich, den sie innerhalb<br />

der Grenzen der Kapitalerhaltungsregeln und nach § 826<br />

BGB der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zufügen.<br />

Eine weitergehende Haftung der Gesellschafter sei nicht<br />

effektiv. Der Bundesrat betonte dagegen in seiner Stellungnahme<br />

zum Regierungsentwurf<br />

4 BT-Drucks. 16/6140.<br />

5 die Notwendigkeit dieser<br />

Haftungsnorm; denn es gelte eine Umgehung der Ausschlusstatbestände<br />

durch die Einschaltung eines Strohmannes<br />

zu verhindern.<br />

Auf diese Weise wurde § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G und damit die<br />

persönliche Haftung der Gesellschafter zum Gesetz. Allerdings<br />

wurde der Wortlaut der Vorschrift im Vergleich zu<br />

dem ursprünglichen Vorschlag im FoSiG gestrafft. Und als<br />

Ziel der Vorschrift wird erläutert, es gelte missbräuchliche<br />

<strong>GmbH</strong>-Bestattungen zu verhindern bzw. zu sanktionieren.<br />

II. <strong>Die</strong> Regel<br />

<strong>Die</strong> allgemeine Regel lautet: <strong>Die</strong> Gesellschafter haften gegenüber<br />

den Gläubigern der Gesellschaft nicht für die Verbindlichkeiten<br />

der Gesellschaft. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften<br />

auch nicht gegenüber der Gesellschaft für Weisungen an<br />

die Geschäftsführer, die sich als fehlerhaft erweisen und<br />

5 BT-Drucks. 16/6140, S. 61.


ei der Gesellschaft zu Schaden führen. 6 Den Gesellschaftern<br />

obliegt ferner weder gegenüber der Gesellschaft noch<br />

gegenüber Dritten die Pflicht, Geschäftsführer zu bestellen.<br />

Wenn sie aber Geschäftsführer bestellen, so obliegt ihnen<br />

keine Pflicht zuverlässige und geeignete Geschäftsführer<br />

zu bestellen. Sie sind endlich nicht verpflichtet, ungeeignete<br />

Geschäftsführer abzuberufen.<br />

<strong>Die</strong>s hat auch Folgen für die Haftung: <strong>Die</strong> Gesellschafter<br />

haften nicht, wenn sie einen unzuverlässigen und / oder<br />

fachlich nicht geeigneten Geschäftsführer bestellen, dieser<br />

seine Leitungspflichten verletzt und hierdurch der Gesellschaft<br />

oder Dritten Schaden entsteht. Sie haften ferner<br />

nicht, wenn sie einen unzuverlässigen oder ungeeigneten<br />

Geschäftsführer nicht abberufen und der betreffende Geschäftsführer<br />

Schaden verursacht. <strong>Die</strong> Grenze bildet § 826<br />

BGB. So lautet jedenfalls die allgemeine Regel.<br />

III. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G – ein eigenständiger<br />

Haftungstatbestand<br />

<strong>Die</strong>ser allgemeine Grundsatz wird sowohl in der Außenhaftung<br />

etwa durch die Durchgriffshaftung7 undinderInnenhaftung<br />

etwa durch die Haftung aus Existenzvernich-<br />

tung 8<br />

durchbrochen. Der Grundsatz der Haftungstrennung<br />

im Innenverhältnis wird auch durch § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G<br />

eingeschränkt. <strong>Die</strong> Vorschrift begründet einen eigenen<br />

Haftungstatbestand allerdings nur im Verhältnis zur Ge-<br />

sellschaft. 9<br />

6 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278 = <strong>GmbH</strong>R<br />

1960, 43 u. 63 m. Anm. Pleyer; v. 15.10.1973 – II ZR 149/71,<br />

BGHZ 61, 338 = <strong>GmbH</strong>R 1974, 132 (LS); Uwe H. Schneider in<br />

Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 119, m.w.N.<br />

7 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 13<br />

Rz. 11, m.w.N.<br />

Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />

366 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />

Vorgesehen ist somit ein Fall der Innenhaf-<br />

tung der Gesellschafter. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G ergänzt damit<br />

§ 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G, nämlich einen Fall der Innenhaftung<br />

der Geschäftsführer. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet aber<br />

keine Außenhaftung, also keine Haftung im Verhältnis zu<br />

Dritten. <strong>Die</strong> Innenhaftung dient jedoch nicht zuvörderst<br />

dem allgemeinen Schutz des Vermögens der <strong>GmbH</strong>. 10 Es<br />

geht nicht um eine Haftung für „geschäftliche Fehlentscheidungen“.<br />

Sie hat vielmehr vor allem gläubigerschützende<br />

Wirkung. 11 Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinteressen<br />

stärkende Haftung der Gesellschafter“<br />

12 aufgrund eines Auswahlverschuldens.<br />

<strong>Die</strong>se Zweckrichtung hat höchst praktische Bedeutung,<br />

nämlich, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, bei<br />

rechtmäßigen Weisungen der Gesellschafter und bei Verletzung<br />

von Loyalitätspflichten durch den inhabilen Geschäftsführer.<br />

<strong>Die</strong> Haftung ist nicht subsidiär. Haftet zugleich der inhabile<br />

faktische Geschäftsführer, sotrittdieHaftungderGesellschafter<br />

nicht hinter der Haftung der Geschäftsführer<br />

zurück.<br />

8 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, BGHZ 173, 246 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 927 m. Komm. Schröder; Lutter in Lutter/Hom-<br />

melhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 13 Rz. 28, 32, m.w.N.<br />

9 Dafür schon Hirte, ZInsO 2003, 833 (838); Haas, <strong>GmbH</strong>R 2006,<br />

729 (734); Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />

2012, § 6 Rz. 28; Pfisterer in Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011,<br />

§ 6 Rz. 29; dagegen Drygala, ZIP 2005, 423 (430).<br />

10 So aber wohl Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />

2012, § 6 Rz. 30.<br />

11 BR-Drucks. 354/07, S. 10.<br />

12 BR-Drucks. 354/07, S. 10.<br />

IV. Haftende Gesellschafter<br />

1. Haftung der Gesellschafter<br />

Voraussetzung für eine Haftung ist, dass die Gesellschafter<br />

einer inhabilen Person die Führung der Geschäfte überlassen.<br />

Haftende Gesellschafter können natürliche Personen sein,<br />

Mehrheitsgesellschafter, Minderheitsgesellschafter13 unabhängig<br />

von der Höhe der Beteiligung, konzernfreie Gesellschafter<br />

oder Konzernunternehmen. Jeder Gesellschafter<br />

kann somit in die Haftung geraten. Voraussetzung ist<br />

nur, dass der Gesellschafter an der Überlassung der Geschäftsführung<br />

aktiv mitwirkt oder ein Einschreiten in<br />

Kenntnis der Amtsunfähigkeit und der Geschäftsführung<br />

unterlassen hat.<br />

Schadensersatzpflichtig können auch Mitglieder des Aufsichtsrats<br />

sein. 14 Sie haften nach § 52 <strong>GmbH</strong>G i.V.m. § 116<br />

AktG. <strong>Die</strong>se Haftung kann jedoch bei der <strong>GmbH</strong> durch die<br />

Satzung begrenzt werden. Dann gewinnt die Analogie zu<br />

§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G praktische Bedeutung; denn vom<br />

Wortlaut des § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G ist eine Haftung der Mitglieder<br />

eines Aufsichtsrats nicht gedeckt. Eine analoge<br />

Anwendung ist jedoch gerechtfertigt, wenn der Aufsichtsrat<br />

für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist und<br />

er seinerseits die Führung der Geschäfte dem inhabilen Geschäftsführer<br />

überlässt. Davon geht auch die Regierungsbegründung<br />

zum MoMiG15 aus. Dort heißt es, die Aufsichtsratsmitglieder<br />

verletzten bei der Bestellung oder<br />

durch Gewährenlassen der Geschäftsführung einer amtsunfähigen<br />

Person ihre Pflichten und haften auf Schadenersatz.<br />

<strong>Die</strong>s gelte gemäß § 52 <strong>GmbH</strong>G auch für die <strong>GmbH</strong>.<br />

2. Haftung des herrschenden Unternehmens<br />

Zweifelhaft ist die Haftung des „Gesellschafters des Gesellschafters“,<br />

also die Haftung des nur mittelbar beteiligten<br />

Gesellschafters, zumal des herrschenden Unternehmens<br />

bei Abhängigkeit und im Konzern. An der Bestellung<br />

eines inhabilen Geschäftsführers wirkt der mittelbar<br />

beteiligte Geschäftsführer nicht mit; denn er hat in der Gesellschafterversammlung<br />

kein Stimmrecht. Liegt aber der<br />

Haftungsgrund nicht in der Mitwirkung der Bestellung<br />

sondern in der Überlassung der Geschäftsführung, so<br />

spricht dies für eine Haftung auch des mittelbar beteiligten<br />

Gesellschafters. Das ist auch die herrschende Meinung. 16<br />

Offen beleibt dabei, ob für eine solche Haftung eine<br />

Zwergbeteiligung ausreicht.<br />

Führt man sich nochmals vor Augen, dass ein Gesellschafter<br />

nur haftet, wenn er auf die Überlassung der Geschäfte<br />

13 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />

Rz. 30; Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 21; a.A.<br />

Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band<br />

MoMiG, 2010, § 6 Rz. 19.<br />

14 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />

Rz. 34; Wicke, <strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.2011,§6Rz.22;Oetker in<br />

Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 64;<br />

Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 54; a.A. Paefgen<br />

in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band MoMiG,<br />

2010, § 6 Rz. 22; Tebben in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010,<br />

§6Rz.99.<br />

15 Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33.<br />

16 Ebenso Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 53;<br />

Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band Mo-<br />

MiG, 2010, § 6 Rz. 21; Wicke, <strong>GmbH</strong>G, 2.Aufl. 2011, § 6<br />

Rz. 22.


Einfluss nehmen kann, so spricht dies dafür, dass auch der<br />

mittelbar beteiligte Gesellschafter nur haftet, wenn er über<br />

eine entsprechende Beteiligung und den damit begründeten<br />

Einfluss verfügt. Das gilt jedenfalls bei bestehender<br />

Abhängigkeit und im Konzern. Im Konzern bedeutet dies,<br />

dass nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G eine fehlerhafte konzernweite<br />

Personalpolitik zur Haftung des mittelbar beteiligten<br />

herrschenden Unternehmens führen kann.<br />

V. Führung der Geschäfte<br />

1. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G knüpft den Anspruch auf Schadensersatz<br />

nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäftsführers.<br />

Sie ist ohnehin unwirksam. 17 Das allein genügt<br />

nicht. Ein Anspruch auf Schadensersatz der Gesellschaft<br />

entsteht vielmehr, wenn die Gesellschafter dem inhabilen<br />

Geschäftsführer die Führung der Geschäfte überlassen.<br />

Der Begriff „Überlassung der Führung der Geschäfte“ ist<br />

dabei weit auszulegen. <strong>Die</strong> Überlassung kann durch positives<br />

Tun oder durch Unterlassen erfolgen. In Betracht<br />

kommt die Mitwirkung des Gesellschafters an dem Beschluss<br />

zur Bestellung des inhabilen Geschäftsführers. Allerdings<br />

haftet in diesem Fall nur der Gesellschafter, der<br />

der Bestellung zugestimmt hat. Er haftet nicht, wenn er an<br />

dem Beschluss nicht mitgewirkt, nicht zugestimmt oder<br />

widersprochen hat. 18<br />

An der Überlassung mitgewirkt hat aber auch ein Gesellschafter,<br />

der zwar der Bestellung widersprochen hat, der<br />

aber in der Folge unter Vernachlässigung seiner Minderheitenrechte<br />

und seines tatsächlichen Einflusses nicht alles<br />

unternommen hat, z.B. durch Einberufung der Gesellschafterversammlung,<br />

um die Unternehmensleitung durch<br />

den inhabilen Geschäftsführer zu verhindern. Auch der<br />

gleichgültige Gesellschafter verletzt somit seine Pflichten<br />

durch Unterlassen, wenn die anderen Gesellschafter einen<br />

inhabilen Geschäftsführer einsetzen, 19 er aber nicht alles<br />

Notwendige unternimmt, um ein Tätigwerden des inhabilen<br />

Geschäftsführers zu verhindern. Es fehlt nicht nur am<br />

Verschulden. 20 Dem erfolglosen Minderheitsgesellschafter,<br />

der alles unternommen hat, um die Geschäftsführung<br />

durch den inhabilen Dritten zu verhindern, werden aber die<br />

schadensstiftenden Maßnahmen nicht zugerechnet. Er haftet<br />

nicht.<br />

2. <strong>Die</strong> Überlassung der Geschäftsführung verlangt keinen<br />

formalen Bestellungsakt. 21 Daher ist auch nicht erforder-<br />

17 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR<br />

292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R 1991, 358; OLG Düsseldorf<br />

v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 114; KG Berlin v.<br />

19.10.2011 – 25 W 35/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 91; Altmeppen in Roth/<br />

Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben in Michalski,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Pfisterer in<br />

Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 17; Goette, DStR<br />

1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).<br />

Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 367<br />

Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />

18 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />

Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 20; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />

7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 30; Römermann in Römermann/<br />

Wachter, <strong>GmbH</strong>-Beratung nach dem MoMiG, Sonderheft der<br />

<strong>GmbH</strong>R 2008, S. 62 (69).<br />

19 Ähnlich Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 53.<br />

20 So Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 21.<br />

21 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§6Rz.19;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />

Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 28; Kleindiek in Lutter/Hommelhof,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 48; Oetker in Henssler/<br />

Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 61; Goette in<br />

lich, dass die inhabile Person als Geschäftsführer eingetragen<br />

ist oder als Geschäftsführer bezeichnet wird. Entscheidend<br />

ist vielmehr, dass der inhabilen Person tatsächlich<br />

Leitungsaufgaben übertragen, überlassen sind oder deren<br />

Wahrnehmung geduldet wird. 22<br />

– Möglich ist daher, dass die Gesellschafter eine inhabile<br />

Person mit der Leitung beauftragen und dass diese Person<br />

über die Maßnahmen entscheidet, sie umsetzt und<br />

im Außenverhältnis auftritt (1. Fallgruppe).<br />

– Es genügt auch, dass die Gesellschafter die inhabile Person<br />

als Strohmann-Geschäftsführer bestellen und zur<br />

Ausführung von Maßnahmen benutzen und sie ihrerseits<br />

aber die Unternehmensleitung aus dem Hintergrund<br />

steuern (2. Fallgruppe).<br />

– Möglich ist, dass die amtsunfähige Person, z.B. der<br />

Mehrheitsgesellschafter, mit Billigung der Mitgesellschafter<br />

über die Maßnahmen der Geschäftsführung entscheidet,<br />

diese aber durch einen amtsfähigen Geschäftsführer<br />

umgesetzt werden (3. Fallgruppe). 23<br />

– Und es haften die Gesellschafter, die einen Geschäftsführer,<br />

der inhabil geworden ist, und der deshalb sein<br />

Amt verloren hat, nicht an der weiteren Ausübung der<br />

Geschäftstätigkeit hindern (4. Fallgruppe).<br />

<strong>Die</strong> Person, der die Geschäfte überlassen werden, muss<br />

demnach nicht im Außenverhältnis auftreten. Ihr muss keine<br />

rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt sein. Organschaftliche<br />

Vertretungsmacht hat der inhabile Dritte ohnehin<br />

nicht; denn eine Bestellung wäre unwirksam. Ist die inhabile<br />

Person weisungsabhängiger leitender Angestellter, so<br />

sind ihr aber keine Geschäfte übertragen; denn verlangt ist<br />

eine gewisse Selbständigkeit in der Entscheidungsbefugnis.<br />

Tritt die Amtsunfähigkeit erst nach der Übertragung der<br />

Geschäfte ein, so verliert ein bestellter Geschäftsführer automatisch<br />

seine Organstellung. Unabhängig davon müssen<br />

die Gesellschafter nach Eintritt der Amtsunfähigkeit einschreiten,<br />

um eine weitere tatsächliche Geschäftsführung<br />

zu verhindern. 24<br />

3. Kein Überlassen der Geschäftsführung liegt vor, wenn<br />

die Gesellschafter keinen Geschäftsführer bestellen und<br />

sie auch sonst niemandem die Führung der Geschäfte übertragen,<br />

also die Dinge hängen lassen. Entsprechend liegt<br />

kein Überlassen der Geschäftsführung vor, wenn die Gesellschafter<br />

einen Geschäftsführer abberufen, ohne einen<br />

neuen Geschäftsführer zu bestellen, und sie auch sonst die<br />

Geschäftsführung keinem Dritten überlassen. Das Fehlen<br />

von Bestellungspflichten mit der Folge einer führungslosen<br />

Gesellschaft mag zwar der gesetzlichen Intention widersprechen.<br />

Das begründet aber keinen Haftungstatbestand.<br />

Kein Überlassen liegt ferner vor, wenn ein krimineller<br />

Gesellschafter selbst die Geschäfte der Gesellschaft<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 51; Tebben in Michalski,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 100; Pfisterer in Saenger/Inhester,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 30.<br />

22 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />

Rz. 28.<br />

23 Ebenso Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 19; Altmeppen<br />

in Roth/Altmeppen, 7. Aufl 2012, § 6 Rz. 28; Pfisterer<br />

in Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 30; a.A. Tebben in<br />

Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 101.<br />

24 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />

Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 18.


Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />

368 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />

führt oder steuert, die Geschäftsführung ihm aber nicht von<br />

den Gesellschaftern in ihrer Gesamtheit überlassen ist. 25<br />

Zweifelhaft ist nur der Fall, in dem ein inhabiler Alleingesellschafter<br />

die Geschäfte führt und er zu diesem Zweck<br />

einen amtsfähigen Geschäftsführer für die Vertretung im<br />

Außenverhältnis bestellt hat. Der Gesetzeszweck spricht<br />

für seine Haftung.<br />

VI. Überlassung an inhabile Personen<br />

1. Inhabile Personen<br />

a) Überlassen sein muss die Geschäftsführung Personen,<br />

die aus gesetzlichen Gründen, die in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G<br />

aufgelistet sind, nicht Geschäftsführer sein können. Fehlen<br />

dem Geschäftsführer die statutarischen oder die aufsichtsrechtlichen<br />

Eignungsvoraussetzungen, z.B. nach § 33<br />

KWG oder § 7a VAG, greift § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G nicht. 26<br />

Nach dem Wortlaut ist dies zwar zweifelhaft; denn eine<br />

solche Begrenzung fehlt im Text. Sie ergibt sich aber durch<br />

einschränkende Auslegung nach dem Sinn und Zweck der<br />

Vorschrift. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G soll nur greifen, um die organisationsrechtlichen<br />

Ausschlussgründe durchzusetzen.<br />

Sinn und Zweck der Haftung nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G besteht<br />

nicht darin, die satzungsmäßigen Bestellungsvoraussetzungen<br />

zu verwirklichen.<br />

b) Streitig ist, ob die gesetzlichen Ausschlussgründe in § 6<br />

Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G abschließend sind und § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G<br />

auf die in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G genannten Gründe abstellt.<br />

Allenfalls der systematische Zusammenhang spricht für<br />

eine abschließende Regelung in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G und<br />

entsprechend in Abs. 5. Weder der Wortlaut von § 6 Abs. 5<br />

<strong>GmbH</strong>G, noch deren Sinn und Zweck, lassen sich aber dafür<br />

anführen. Im Blick hierauf ist auch ein Ausländer, der<br />

keine Aufenthaltsgenehmigung hat, inhabil, vorausgesetzt<br />

man folgt der Ansicht, dass Ausländer, denen eine Aufenthaltsgenehmigung<br />

fehlt, nicht zum Geschäftsführer bestellt<br />

werden können. 27 Wird ihnen gleichwohl die Geschäftstätigkeit<br />

überlassen, so haften die Gesellschafter.<br />

c) Keine Überlassung an eine inhabile Person liegt vor,<br />

wenn der faktische Geschäftsführer aus sonstigen Gründen<br />

ungeeignet ist. Dazu gehören statutarische Gründe, Gründe<br />

aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nstrecht, ein Wettbewerbsverbot<br />

aus einem <strong>Die</strong>nstvertrag mit einem Dritten, usw.<br />

2. Auswahlverschulden<br />

§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet für die Gesellschafter eine<br />

Verschuldenshaftung. Sie findet ihren Grund in einer<br />

schuldhaft fehlerhaften Auswahl der Geschäftsführer<br />

(Auswahlverschulden). <strong>Die</strong> Gesellschafter haften gesamtschuldnerisch.<br />

28<br />

Der Gesellschafter haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.<br />

Das bedeutet, dass der Gesellschafter seine<br />

Pflichten bei der Überlassung der Führung der Geschäfte<br />

vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Grob fahrläs-<br />

25 So zutr. Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 633.<br />

26 A.A. wohl Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011,<br />

§ 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 60.<br />

27 Zum Stand der Diskussion Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 39 einerseits und Uwe H.<br />

Schneider in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 6 Rz. 19 andererseits.<br />

28 BR-Drucks. 354/07, S. 8: Gesprochen wird dort von „gesamthänderischer<br />

Haftung“. Gemeint ist aber wohl „gesamtschuldnerische<br />

Haftung“.<br />

sig handelt, wer in besonders schwerem Maße gegen die<br />

objektiv erforderliche Sorgfalt verstößt. 29<br />

Damit unterscheidet sich die Haftung nach § 6 Abs. 5<br />

<strong>GmbH</strong>G, die grobe Fahrlässigkeit genügen lässt, von der<br />

Haftung aus Existenzvernichtung, die mindestens bedingten<br />

Vorsatz verlangt.<br />

Das lässt sich an Fallgruppen konkretisieren. Der Gesellschafter<br />

handelt nicht grob fahrlässig, wenn er nicht bei jeder<br />

Bestellung oder Wiederbestellung nachprüft, ob die<br />

Voraussetzungen für einen Ausschlussgrund vorliegen. Er<br />

handelt nur dann grob fahrlässig, wenn Anhaltspunkte bestehen,<br />

die die Vermutung aufkommen lassen, es gäbe ein<br />

Ermittlungsverfahren oder es liege eine Vorstraftat vor. In<br />

diesem Fall muss der Gesellschafter nachprüfen, ob die betreffende<br />

Person inhabil ist. 30<br />

VII. Zu ersetzender Schaden<br />

1. Verletzung der Leitungspflichten<br />

<strong>Die</strong> pflichtvergessenen Gesellschafter haften der Gesellschaft<br />

als Gesamtschuldner auf Ersatz des entstandenen<br />

Schadens. Dabei ist aber nicht jeder durch den faktischen<br />

Geschäftsführer verursachte Schaden zu ersetzen, sondern<br />

nur der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass diese<br />

Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten<br />

verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person<br />

hierbei nicht gehandelt haben. 31<br />

Mit der Formulierung „Obliegenheit“ knüpft § 6 Abs. 5<br />

<strong>GmbH</strong>G an die Formulierung in § 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G an.<br />

§ 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G meint dabei die Pflichten, die dem<br />

Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft auferlegt<br />

sind. Nun obliegen zwar auch dem faktischen Geschäftsführer<br />

gegenüber der Gesellschaft Pflichten, deren schuldhafte<br />

Verletzung zur Haftung führt. Teilweise wird allerdings<br />

eine Haftung des faktischen Geschäftsführers nur angenommen,<br />

wenn die Person auch im Außenverhältnis<br />

auftritt. Das ist im Rahmen von § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G jedoch<br />

nicht erforderlich. 32 Zu fragen ist vielmehr, ob ein wirksam<br />

bestellter Geschäftsführer seine Pflichten verletzt hätte,<br />

wenn er an Stelle der inhabilen Person die Aufgaben wahrgenommen<br />

hätte. Zu denken ist an das Eingehen hoher Verbindlichkeiten,<br />

die Aufnahme unverhältnismäßig hoher<br />

Kredite, das Eingehen unverantwortbarer Risiken, die sich<br />

später verwirklichen.<br />

2. Kein Ersatz bei Weisungen der Gesellschafter<br />

Mit dem Verweis auf die Pflichtverletzung des Geschäftsführers<br />

verknüpft § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G die Haftung der Gesellschafter<br />

zugleich auch mit den allgemeinen Regeln zur<br />

Haftungsfreistellung des Geschäftsführers. 33 Dazu gehören<br />

insbesondere die Haftungsfreistellung bei rechtmäßi-<br />

29 Grundmann in Münch.Komm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 276<br />

Rz. 94.<br />

30 Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 22.<br />

31 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6<br />

Rz. 61; anders aber in Rz. 54: Haftung nur, wenn auch „entsprechende<br />

Verantwortlichkeit eines (amtsunfähigen) faktischen Geschäftsführers“<br />

besteht; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter,<br />

<strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 25; Altmeppen in<br />

Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, Rz. 33.<br />

32 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />

§6Rz.54.<br />

33 Allgemein dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider,<strong>GmbH</strong>R<br />

2005, 1229 ff.


36 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />

§6Rz.56;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006,<br />

§ 43 Rz. 115.<br />

37 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, BGHZ 149,<br />

10 (16) = <strong>GmbH</strong>R 2001, 1036; v. 25.2.2002 – II ZR 196/00,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2002, 549 m. Komm. Bender.<br />

38 Ebenso zum letzteren Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G,<br />

7. Aufl 2012, § 6 Rz. 33.<br />

Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 369<br />

Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />

gen Weisungen oder einem offenen oder stillschweigenden<br />

Einverständnis der Gesellschafter. Sie führen auch zur<br />

Freistellung des faktischen Geschäftsführers. An den Voraussetzungen<br />

einer Haftung fehlt es, wenn die Gesellschafter<br />

selbst in die Verantwortung gehen. Erteilen die<br />

Gesellschafter dem inhabilen faktischen Geschäftsführer<br />

eine Weisung, so mag zwar zweifelhaft sein, ob eine Folgepflicht<br />

besteht; denn ein solcher Geschäftsführer ist nicht<br />

wirksam bestellt. Führt er aber die Weisung aus, so entfällt<br />

seine Haftung, weil er keine Pflicht verletzt hat. 34 Entsprechend<br />

entfällt die Haftung der Gesellschafter nach § 6<br />

Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G. <strong>Die</strong>s gilt jedoch nicht für Weisungen, die<br />

gläubigerschützende Vorschriften verletzen. Und die Gesellschafter<br />

können nachträglich auch auf Ansprüche der<br />

Gesellschaft wegen schuldhafter Verletzung der Leitungspflichten<br />

verzichten. Das führt dann auch zum Wegfall der<br />

Haftung der Gesellschafter. Das gilt aber nur, wenn dem<br />

nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.<br />

34 Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 55; Kleindiek in<br />

Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 56; a.A.<br />

Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band<br />

MoMiG, 2010, § 6 Rz. 25.<br />

35<br />

Dabei genügt für den Weisungsbeschluss eine einfache<br />

Mehrheit der Gesellschafter.<br />

35 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl.<br />

2009, § 6 Rz. 56; Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010,<br />

Rz. 23.<br />

36 Eine Haftungsfreistellung<br />

erfolgt zudem nur, wenn die Weisung rechtmäßig ist. <strong>Die</strong>s<br />

ist nicht der Fall, wenn die angewiesene Maßnahme gegen<br />

Vorschriften zur Kapitalerhaltung oder gegen das Verbot<br />

des existenzvernichtenden Eingriffs37 oder sonstiges zwingendes<br />

Recht verstößt. Und eine Haftungsfreistellung ergibt<br />

sich nicht bei fehlerhafter Ausführung.<br />

3. Verletzung der Loyalitätspflichten<br />

Zu ersetzen sind auch Schäden im weiteren Sinne, d.h.<br />

selbst wenn sie bilanziell nicht abgebildet werden, die auf<br />

einer Verletzung von Loyalitätspflichten beruhen, sofern<br />

sie nur im Zusammenhang mit der Überlassung der Geschäftstätigkeit<br />

stehen. Der Gesellschafter haftet daher<br />

auch für Schäden verursacht durch die Nichtbeachtung des<br />

Wettbewerbsverbots, durch Ansichziehen von Geschäftschancen<br />

und – grob formuliert – durch den Griff des faktischen<br />

Geschäftsführers in die Kasse der Gesellschaft. Er<br />

haftet nur ausnahmsweise nicht für Schäden, die auf der<br />

Verletzung von allgemeinen Sorgfaltspflichten beruhen,<br />

wie etwa die Beschädigung eines PKW bei einem Unfall,<br />

den der faktische Geschäftsführer schuldhaft verursacht<br />

hat. 38<br />

Zum Ersatz des Schadens Dritter sind die Gesellschafter<br />

nur verpflichtet, wenn der Dritte seinerseits gegen die Gesellschaft<br />

Anspruch auf Schadensersatz hat. Bejaht man<br />

ein eigenes Verfolgungsrecht Dritter gegen die Gesellschafter<br />

in entsprechender Anwendung von § 93 Abs. 5<br />

AktG, 39<br />

VIII. Darlegungs- und Beweislast<br />

Wie § 43 <strong>GmbH</strong>G steht § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G für einen besonderen<br />

Fall der Organhaftung. Daraus lässt sich ableiten,<br />

dass die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast, die<br />

für § 43 <strong>GmbH</strong>G gelten, hier entsprechend anzuwenden<br />

sind. Das bedeutet, dass die Gesellschafter die Darlegungsund<br />

Beweislast dafür tragen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten<br />

nachgekommen sind oder sie kein Verschulden trifft<br />

oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten,<br />

also bei pflichtgemäßer Bestellung der Geschäftsführer,<br />

eingetreten wäre.<br />

so kann der Dritte Zahlung an sich verlangen.<br />

40 Dem steht nicht entgegen,<br />

dass zwar der Geschäftsführer über alle Informationen<br />

verfügt, um einen Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens<br />

bei der Unternehmensleitung abzuwehren. Für den Gesellschafter<br />

trifft dies in dieser Weise nicht zu. Er kann sich die<br />

Informationen aber besorgen.<br />

IX. Verjährung<br />

Nicht gesetzlich geregelt ist, zu welchem Zeitpunkt der<br />

Anspruch aus § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G verjährt. Eine Analogie<br />

zu § 43 Abs. 4 <strong>GmbH</strong>G spricht für eine Verjährung des<br />

entsprechenden Anspruchs in fünf Jahren. 41 <strong>Die</strong> Verjährungsfrist<br />

beginnt nicht mit dem Zeitpunkt, zu dem die Geschäftführung<br />

überlassen wurde, sondern zu dem Zeitpunkt,<br />

zudem die Überlassung endet.<br />

X. Erlass<br />

Wegen der gläubigerschützenden Wirkung von § 6 Abs. 5<br />

<strong>GmbH</strong>G können die Gesellschafter nicht von Anfang an<br />

durch die Satzung auf die Haftung der Gesellschafter verzichten.<br />

Sie können aber nachträglich auf den Anspruch<br />

verzichten, soweit dem nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.<br />

XI. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

1. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften weder gegenüber der Gesellschaft<br />

noch gegenüber Dritten, wenn sie keinen oder wenn<br />

sie einen unzuverlässigen und / oder fachlich nicht geeigneten<br />

Geschäftsführer bestellen.<br />

2. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften aber gegenüber der Gesellschaft<br />

nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G persönlich, wenn sie einer<br />

Person, die nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung<br />

der Geschäfte überlassen.<br />

3. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet einen Fall der Innenhaftung.<br />

Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinteressen<br />

stärkende Haftung der Gesellschafter“ aufgrund<br />

eines Auswahlverschuldens.<br />

4. In Betracht kommt neben einer Haftung der Gesellschafter<br />

eine Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats<br />

und mittelbar beteiligter Gesellschafter, zumal des herrschenden<br />

Unternehmens bei Abhängigkeit und im Konzern.<br />

5. Inhabil sind Personen, die aus gesetzlichen Gründen, die<br />

in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G aufgelistet sind, nicht Geschäftsfüh-<br />

39 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />

§6,Rz.59;Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 24.<br />

40 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6<br />

Rz. 60; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />

Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 28; allgemein Kurzwelly in Krieger/Uwe<br />

H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, S.<br />

337, 340.<br />

41 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§6Rz.24;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />

Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 29; Wicke,<strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.2011,<br />

§6Rz.23.


er sein können. § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G enthält aber keine abschließende<br />

Liste der gesetzlichen Ausschlussgründe. So<br />

sind inhabil auch Ausländer, die nicht zur Einreise in die<br />

Bundesrepublik Deutschland befugt sind (str.).<br />

6. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G knüpft den Anspruch auf Schadensersatz<br />

nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäftsführers.<br />

Entscheidend ist vielmehr, dass dem inhabilen Geschäftsführer<br />

die Führung der Geschäfte überlassen ist.<br />

7. Zu ersetzen ist der Schaden der Gesellschaft, der dadurch<br />

entstanden ist, dass der faktische Geschäftsführer<br />

die ihm gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten<br />

Markus Geißler *<br />

verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person nicht gehandelt<br />

haben.<br />

8. Bei den verletzten Pflichten kann es sich um Leitungspflichten<br />

oder um Loyalitätspflichten handeln.<br />

9. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften nicht, wenn sie dem faktischen<br />

Geschäftsführer Weisungen erteilt haben, es sei denn<br />

die Weisungen waren rechtswidrig oder der Schaden ist bei<br />

der Ausführung der Weisungen entstanden.<br />

10. Der Anspruch der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern<br />

verjährt in fünf Jahren.<br />

Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils<br />

und der Insolvenz eines Gesellschafters<br />

<strong>Die</strong> Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil eines<br />

Mitgesellschafters kann für die <strong>GmbH</strong> zu einer ernsthaften<br />

Belastung werden. <strong>Die</strong> hierfür maßgeblichen Gründe sind<br />

daher zunächst zu erläutern, ehe die rechtlichen Stationen<br />

einer zwangsweisen Einziehung des Geschäftsanteils skizziert<br />

werden (III. und IV.). Sodann zeigt der Beitrag die typischen<br />

Rechtsfehler (insbesondere unter dem Aspekt der<br />

Gläubigerbenachteiligung) auf, welche die Nichtigkeit<br />

einer Abfindungsklausel im Gefolge haben. Den Abschluss<br />

bildet der Formulierungsvorschlag einer Einziehungsund<br />

Abfindungsklausel (V.), die dann in ihren wesentlichen<br />

Bausteinen näher erläutert wird (VI.).<br />

I. Einleitung<br />

Der Vollstreckungszugriff auf einen <strong>GmbH</strong>-Anteil, sei es<br />

im Wege der Pfändung oder anlässlich eines Insolvenzverfahrens,<br />

hat in aller Regel auch dessen Verwertung zur Folge.<br />

<strong>Die</strong> verbleibenden Gesellschafter müssen dann gewärtigen,<br />

dass ein außenstehender Dritter in ihr Unternehmen<br />

eindringt. Nicht immer wird ihnen dies willkommen sein.<br />

Denn die Motive, die den neuen Gesellschafter zum Anteilserwerb<br />

veranlassten, müssen keineswegs mit dem unternehmerischen<br />

Konzept der ursprünglichen Gründer korrespondieren.<br />

Und auch rein persönliche Ressentiments<br />

sind hierbei nicht auszuschließen. Insoweit besteht für die<br />

Mitglieder einer <strong>GmbH</strong> sicherlich begründeter Anlass,<br />

sich über die Folgen des unerwarteten Ausscheidens eines<br />

Mitgesellschafters rechtzeitig Gedanken zu machen und<br />

ggf. satzungsmäßige Vorsoge zu treffen.<br />

<strong>Die</strong>s sollte aber nicht dazu führen, nun jeden Gesellschaftsvertrag<br />

routinemäßig mit reproduzierten Formularklauseln<br />

zu befrachten in der irrigen Meinung, so gegen alle<br />

Fährnisse gewappnet zu sein. Vielmehr ist zunächst zu<br />

prüfen, ob und inwieweit ein neu eintretender Gesellschafter<br />

überhaupt zu einer unerwünschten Belastung für das<br />

Unternehmen werden kann. Dabei von Bedeutung ist sicherlich<br />

die Höhe der zur Verwertung anstehenden Beteiligung,<br />

sodann aber auch das strukturelle Gefüge der <strong>GmbH</strong>.<br />

Kaum Handlungsbedarf wird insoweit etwa bestehen bei<br />

einem (in zweiter / dritter Generation) von mehreren Fa-<br />

* Markus Geißler ist Stadtrechtsdirektor a.D. in Freiburg i. Br.<br />

Markus Geißler<br />

370 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

milienstämmen gehaltenen Unternehmen mit jeweils geringen<br />

Beteiligungen. Üblicherweise finden sich hier die<br />

(weit verstreut wohnenden) Gesellschafter vielleicht einmal<br />

jährlich zur Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46<br />

Nr. 1 <strong>GmbH</strong>G) zusammen, überlassen ansonsten jedoch<br />

die Leitung des Unternehmens weitgehend dem mit entsprechenden<br />

Befugnissen ausgestatteten Geschäftsführer,<br />

der die ansonsten erforderlichen Beschlüsse dann im Wege<br />

der schriftlichen Abstimmung (§ 48 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G) her-<br />

beiführt. 1<br />

Bei dieser – überwiegend kapitalistischen – Prä-<br />

gung eines Verbands dürfte dem Hinzutreten eines neuen<br />

Gesellschafters, dessen Stimmkraft darüber hinaus marginal<br />

ist, relevante Bedeutung kaum beikommen. Anders<br />

verhält sich dies bei einer personalistisch strukturierten<br />

<strong>GmbH</strong>, in welcher die (wenigen) Anteilseigner die Unternehmensführung<br />

überwiegend selbst organisieren. Hier<br />

kann das bisher konsensuale Zusammenwirken, welches<br />

letztlich auch unternehmerisches Reüssement gewährleistete,<br />

durch das Eindringen eines Externen durchaus beträchtlich<br />

gestört werden.<br />

II. Der Vermögensverfall als Ausschlussgrund<br />

Dass eine zur Pfändung seines Geschäftsanteils führende<br />

Vermögensbedrängnis eines Gesellschafters dessen Ausschließung<br />

aus dem Verband rechtfertigt, ist inzwischen<br />

allgemein anerkannt. <strong>Die</strong> Gründe hierfür sind – wie teilweise<br />

schon angedeutet – überzeugend nachzuvollziehen:<br />

Zunächst gilt generell, dass die Trennung von einem Anteilseigner<br />

möglich sein muss, wenn dessen Verbleib für<br />

die übrigen Gesellschafter und die <strong>GmbH</strong> eine unzumutbare<br />

Belastung bedeutete. 2 Von einer solchen kann regelmäßig<br />

ausgegangen werden bei einer Anteilspfändung; denn<br />

die ungeordneten Vermögensverhältnisse eines Gesellschafters<br />

befördern im Geschäftsverkehr ebenso Zweifel<br />

an der Solidität und Reputation des Unternehmens insge-<br />

1 Hierzu OLG Stuttgart v. 8.7.1998 – 20 U 112/97, <strong>GmbH</strong>R 1998,<br />

1034 (1035); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2010, 457 (458).<br />

2 OLG Hamm v. 8.7.1992 – 8 U 268/91, <strong>GmbH</strong>R 1993, 660 (662);<br />

Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 53; T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,<br />

2011, § 34 <strong>GmbH</strong>G Rz. 25; Wanner-Laufer, NJW 2010, 1499<br />

(1500).


Markus Geißler<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 371<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

samt. 3 Es kommt hinzu, dass ein Gesellschafterwechsel<br />

nicht selten zu einer Überfremdung der Gesellschaft führt<br />

und dadurch eine Verschiebung in den (bisher ausgewogenen)<br />

Mehrheitsverhältnissen eintritt.<br />

3ÄhnlichNiemeier, <strong>GmbH</strong>R 1983, 161 (163); Michalski, ZIP<br />

1991, 147 (149).<br />

4 <strong>Die</strong>s aber kann auf<br />

längere Sicht der bisher bewährten Geschäftspolitik abträglich<br />

sein und damit letztlich auch unternehmerische Erfolge<br />

gefährden.<br />

Unter diesen Prämissen legt es sich nahe, den Ausschluss<br />

des betreffenden Gesellschafters durch die Einziehung seines<br />

Geschäftsanteils bzw. seiner Geschäftsanteile herbeizuführen.<br />

In manchen Gesellschaftsverträgen finden sich<br />

demgegenüber Bestimmungen, die (auch) für den Fall der<br />

Anteilspfändung ein Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesellschaft<br />

bzw. eines Gesellschafters begründen. <strong>Die</strong> damit beabsichtigte<br />

Verhinderung eines unerwünschten Anteilsübergangs<br />

ist mit einer solchen Regelung jedoch nicht zu<br />

erreichen. Denn nach § 471 BGB ist ein Vorkaufsrecht ausgeschlossen,<br />

wenn der Verkauf des Geschäftsanteils im<br />

Wege der Zwangsvollstreckung oder durch den Insolvenzverwalter<br />

erfolgt.<br />

4 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 387 m. Komm.<br />

Münnich, Rz.15–indieserAusgabe;Schacht in Beck’sches<br />

Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 12 Rz. 271; Niemeier,<br />

<strong>GmbH</strong>R 1983, 161 (163).<br />

5 Unbedenklich ist hingegen, für den Fall<br />

der Pfändung / Insolvenz eine Pflicht des Gesellschafters<br />

zur Abtretung des betreffenden Geschäftsanteils an die<br />

<strong>GmbH</strong> oder andere Rechtsträger zu begründen. Letzterer<br />

ist dann gleichsam dinglich mit der Abtretungspflicht belastet,<br />

und das Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers<br />

geht mit dem ordnungsgemäßen Vollzug der<br />

Abtretung und der Entgeltzahlung unter.<br />

5 Winter/Seibt in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 15 Rz. 203.<br />

6 Zuweilen wird<br />

die Abtretung auch so gestaltet, dass die Gesellschafterversammlung<br />

alternativ zur Einziehung die Übertragung des<br />

Anteils auf einen verbleibenden Gesellschafter beschließen<br />

kann.<br />

6 Reichert/Weller in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 15 Rz. 547;<br />

Ulmer, ZHR 149 (1985), 28 (37); teilweise a.A. Stöber, Forderungspfändung,<br />

15. Aufl. 2010, Rz. 1619a.<br />

7<br />

Der Vorteil derartiger Rechtskonstruktionen besteht sicherlich<br />

darin, dass sie eine Vernichtung des betreffenden<br />

Geschäftsanteils vermeiden. Insbesondere die letztgenannte<br />

Gestaltungsvariante wirft aber auch Fragen in ihrer<br />

Abwicklung auf. So ist etwa nicht eindeutig geklärt, ob der<br />

Gesellschafterbeschluss, der die Offerte zur Anteilsabtretung<br />

verkörpern soll, mit einfacher Stimmenmehrheit und<br />

unter Beteiligung des als Zessionar begünstigten Gesellschafters<br />

gefasst werden kann. Denkbar wäre hier ebenso<br />

ein auf § 47 Abs. 4 S. 2 <strong>GmbH</strong>G gestütztes Stimmverbot<br />

des Erwerbers.<br />

7 BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, <strong>GmbH</strong>R 1984, 74; Michalski,<br />

ZIP 1991, 147 (148); Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (962).<br />

8 <strong>Die</strong>se rechtlichen Imponderabilien und<br />

ebenso die zweifellos höheren Fehlerrisiken, die der<br />

Durchführung einer Abtretung mit ihren jeweils beurkundungsbedürftigen<br />

Erklärungen anhaften,<br />

8 Ablehnend insoweit Michalski, ZIP 1991, 147 (148).<br />

9 sind indessen<br />

vermieden, wenn der Ausschluss des in Vermögensverfall<br />

geratenen Gesellschafters über die in § 34 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G<br />

vorgesehene Einziehung seines Geschäftsanteils geregelt<br />

wird. <strong>Die</strong>ser Gestaltungsmodus wird auch in der Praxis<br />

präferiert.<br />

9 Dazu Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (962).<br />

10<br />

ren: Mit seinem Vollstreckungszugriff erlangt er ja zunächst<br />

ein Pfändungspfandrecht an dem betreffenden Geschäftsanteil,<br />

welches sich dann an dem vorgesehenen Abfindungsanspruch<br />

fortsetzt.<br />

<strong>Die</strong> den Vollstreckungsgläubiger damit treffenden<br />

Rechtswirkungen lassen sich dann bündig skizzie- 10 Vgl. insoweit BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, <strong>GmbH</strong>R 1984,<br />

74.<br />

11<br />

Zu beachten ist sodann, dass die Zwangseinziehung und<br />

deren Voraussetzungen vor dem Beitritt des betroffenen<br />

Gesellschafters in der Satzung niedergelegt sein müssen.<br />

Mangelt es an einer solchen Regelung, kann diese aber<br />

über eine Satzungsänderung ebenso nachgeschoben werden<br />

wie eine Verschärfung der bisherigen Einziehungsmodalitäten.<br />

Hierfür ist dann aber nach gefestigter Meinung<br />

jeweils die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich(§53Abs.3<strong>GmbH</strong>G).<br />

11 Schacht in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 12<br />

Rz. 271; Roth, ZGR 2000, 187 (214).<br />

12 In Ansehung dessen sind<br />

jene gut beraten, sich diesem Problem beizeiten zu widmen.<br />

Denn ist ein Gesellschafter erst einmal in eine finanzielle<br />

Schieflage geraten, wird er sich kaum mehr zur Mitwirkung<br />

an einer seinen Abfindungsanspruch mindernden<br />

Satzungsregelung bereit finden.<br />

III. Wesentliche Eckpunkte einer statuarischen<br />

Einziehungsklausel<br />

<strong>Die</strong> Formulierung einer Einziehungsklausel erfordert – gerade<br />

auch im Hinblick auf die damit verknüpfte Abfindungsregelung<br />

– besondere Sorgfalt. Im hiesigen Kontext<br />

präziser erörterungsbedürftig ist die Interessenlage der<br />

Pfändungs- und Insolvenzgläubiger des betreffenden Gesellschafters.<br />

Missachtet nämlich eine Abfindungsregelung<br />

deren Schutz, führt dies in entsprechender Anwendung<br />

des § 241 Nr. 3 AktG zunächst einmal zur Nichtigkeit<br />

dieser Bestimmung<br />

12 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (258);<br />

Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;<br />

Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 23; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011,<br />

§34Rz.10.<br />

13 mit der Konsequenz, dass der gepfändete<br />

Geschäftsanteil dann zu seinem vollen Wert (Verkehrswert)<br />

abzufinden ist.<br />

13 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV.2.c) aa);<br />

Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1178).<br />

14 Damit wäre auch die Chance<br />

vertan, die Fälligkeit des Abfindungsbetrags in mehreren<br />

Ratenzustrecken;verhindertwäre einzig, dass der Anteil<br />

nicht in fremde Hände gelangt. Mit diesem Makel behaftet<br />

sind vor allem jene – zuweilen auch heute noch verwendeten<br />

– Satzungsregelungen, welche im Falle der Pfändung<br />

/ Gesellschafterinsolvenz die Einziehung ohne jedwedes<br />

oder nur gegen ein sehr geringes Entgelt anordnen.<br />

14 Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34<br />

Rz. 110; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G,<br />

19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 32; Sigle, ZGR 1999, 659 (667).<br />

15 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die sich auf<br />

§ 241 Nr. 3 AktG gründende Nichtigkeit einer solchen Regelung<br />

nicht mehr geltend machen lässt, wenn nach ihrer<br />

Eintragung in das Handelsregister drei Jahre verstrichen<br />

sind (§ 242 Abs. 2 S. 1 AktG analog). Und dass dieses Diktum<br />

sowohl für initiale Satzungsbestandteile als auch für<br />

solche gilt, die zu späterer Zeit in den Gesellschaftsvertrag<br />

eingefügt wurden, hat der BGH mittlerweile ausdrücklich<br />

klargestellt.<br />

15 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, <strong>GmbH</strong>R 1975, 227 (228).<br />

16 Denn nur auf diese Weise lässt sich – wie-<br />

16 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; v.<br />

19.9.2005 – II ZR 342/03, <strong>GmbH</strong>R 2005, 1561 (1563) m.


Markus Geißler<br />

372 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

wohl der Wortlaut des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG infizierte<br />

Klauseln der Ursprungssatzung eigentlich nicht erfasst –<br />

ubiquitäre Rechtssicherheit herstellen.<br />

Im Schrifttum ist diese Auffassung jedoch auf verbreitete<br />

Kritik gestoßen. Es wird dort argumentiert, dass die in<br />

§ 242 Abs. 2 AktG normierten Rechtswirkungen generell<br />

nicht gegen außenstehende Gläubiger gewendet werden<br />

könnten, weil diese – im Gegensatz zu den Anteilsinhabern<br />

– keinerlei Rechtsmacht hätten, sie beschwerende Regelungen<br />

zum Gegenstand einer Anfechtungs- oder Feststellungsklage<br />

zu machen.<br />

Komm. Hinderer [1] u. Sinewe [2]; auch Geßler, ZGR 1980, 427<br />

(453).<br />

17 Andernfalls wäre der Gesellschafterversammlung<br />

– fast schon sophistisch – anzuraten,<br />

möglichst umgehend eine gläubigerfeindliche Entschädigungsregelung<br />

mit dem taktischen Kalkül zu erlassen,<br />

dass diese nach drei Jahren den „rettenden Hafen der<br />

Heilung“ erreiche.<br />

17 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§ 34 Rz. 32; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G,<br />

2011, § 34 Rz. 56; Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />

Rz. 239; Bacher/Spieth, <strong>GmbH</strong>R 2003, 973 (978).<br />

18 Freilich versagt dieser Ratschlag,<br />

wenn der Anteilsinhaber bereits vor diesem Zeitpunkt von<br />

einem Falliment ereilt wird.<br />

Unabhängig davon gerät die gegen die höchstrichterliche<br />

Judikatur gerichtete Kritik mit einem anderen – in der gegebenen<br />

Thematik relevanten – Rechtsprinzip in Widerstreit.<br />

So ist nachfolgend noch zu präzisieren, dass einer<br />

(isoliert unzulässigen) Abfindungsbeschränkung, die sich<br />

nur gegen die Gläubiger richtet, dadurch zur Rechtsgültigkeit<br />

aufgeholfen werden kann, dass sie gleichermaßen<br />

auch das (zwangsweise) Ausscheiden des Gesellschafters<br />

einbezieht. Zu begründen ist dies damit, dass dann vergleichbare<br />

Abfindungsvorgänge einheitlich behandelt<br />

werden.<br />

18 So Lange, NZG 2001, 635 (640).<br />

19 <strong>Die</strong>sen – rechtssystematisch stimmigen –<br />

Gleichlauf würde die Gegenmeinung des Schrifttums<br />

preisgeben. Stattdessen verbliebe der diskordante Befund,<br />

dass dieselbe Abfindungsklausel wohl Gültigkeit gegenüber<br />

dem primär betroffenen Gesellschafter hätte, in der<br />

Rechtsbeziehung zu seinen Gläubigern hingegen (wegen<br />

der Unanwendbarkeit des § 242 Abs. 2 AktG) der Nichtigkeit<br />

anheimfiele.<br />

19 Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 91; Wälzholz,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321).<br />

20 Auch aus diesem Grunde sollte sich die<br />

Kautelarpraxis an der Rechtsprechung des BGH orientieren.<br />

Es kommt hinzu, dass – entgegen der abweichenden<br />

Meinung – die Vollstreckungsgläubiger keineswegs jedes<br />

rechtlichen Schutzes verlustig gehen. Denn üblicherweise<br />

muss auch einem Gesellschafter daran gelegen sein, dass<br />

seine Verbindlichkeiten gegenüber Dritten durch eine angemessene<br />

Verwertung seines Geschäftsanteils möglichst<br />

weitgehend getilgt werden.<br />

20 Näher hierzu Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1179).<br />

21 Auch dies wird ihn ggf. veranlassen,<br />

sich gegen gläubigerbenachteiligende Abfindungen<br />

zur Wehr zu setzen.<br />

21 Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1179).<br />

22<br />

trag und Anteilswert hineinwachsen. Vorzugsweise ist dies<br />

bei – auch deswegen nicht zu empfehlenden – Buchwertklauseln<br />

der Fall, wenn das Unternehmen in einer ertragsstarken<br />

Entwicklung prosperiert. Insbesondere durch den<br />

Aufbau stiller Reserven und ein Anwachsen des Firmenund<br />

Geschäftswerts kann sich dann der tatsächliche Wert<br />

(Verkehrswert) des Geschäftsanteils beträchtlich steigern.<br />

Diffizile Wertungsprobleme bereiten sodann jene Bestimmungen,<br />

die – als ursprünglich angemessene – erst im<br />

Laufe der Zeit infolge einer Änderung der tatsächlichen<br />

Umstände in ein Missverhältnis zwischen Abfindungsbe-<br />

22 Vgl. etwa den Sachverhalt bei BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2000, 822; es hatte dort der Rechtsnachfolger des Gesellschafters<br />

Nichtigkeitsklage erhoben, (auch) um eine höhere<br />

Befriedigung der pfändenden Sparkasse zu erreichen.<br />

23 Dass eine solche Klausel dann nicht – mit der Heilungswirkung<br />

des § 242 Abs. 2 AktG – der Nichtigkeit<br />

verfällt, ist zwischenzeitlich geklärt. Denn sie kann ja nicht<br />

– je nach Verlauf der sich ändernden Unternehmensgeschicke<br />

– stetig zwischen Wirksamkeit und Unwirksamkeit<br />

hin- und herspediert werden.<br />

23 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 87; Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 240.<br />

24 Nach der Rechtsprechung<br />

des BGH ist deshalb bei einem nicht mehr hinnehmbaren<br />

Auseinanderfallen von vereinbartem und tatsächlichem<br />

Wert des Geschäftsanteils eine Lösung im Wege der ergänzenden<br />

Vertragsauslegung zu suchen. Hierbei sollen die<br />

Grundsätze des betreffenden Gesellschaftsvertrags möglichst<br />

zu Ende gedacht werden, wobei alle Umstände des<br />

Einzelfalles (z.B. Abfindungs- und Anteilswert, Dauer der<br />

Mitgliedschaft) zu gewichten seien.<br />

24 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, <strong>GmbH</strong>R 1993, 806; Rasner,<br />

ZHR 158 (1994), 292 (300); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173<br />

(1179).<br />

25 <strong>Die</strong> letztlich zu leistende<br />

Abfindung, die für alle Beteiligten einen zumutbaren<br />

Interessenausgleich abbilden müsse, würde sich dann zwischen<br />

dem vertraglich festgelegten und dem wirklichen<br />

Wert des Anteils zu bewegen haben.<br />

25 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 871 (874); OLG<br />

München v. 1.9.2004 – 7 U 6152/99, NZG 2004, 1055 (für KG);<br />

T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34<br />

<strong>GmbH</strong>G Rz. 21; Goette, DStR 2001, 533 (542).<br />

26<br />

<strong>Die</strong> hiergegen im Schrifttum erhobenen Bedenken bezweifeln<br />

indessen, ob eine im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung<br />

zu schließende Lücke überhaupt vorliege.<br />

26 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265 (266);<br />

Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 34<br />

Rz. 56; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34<br />

Rz. 111.<br />

27<br />

Stattdessen wird vorgeschlagen, durch eine an der Generalklausel<br />

des § 242 BGB orientierten Ausübungskontrolle<br />

die jeweils gerechte Abfindung zu ermitteln<br />

27 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 89; Dauner-Lieb, <strong>GmbH</strong>R 1994, 836 (839); Volmer,DB<br />

1998, 2507 (2510).<br />

28 oder aber die<br />

infizierte Vertragsbestimmung nach den Regeln des Wegfalls<br />

der Geschäftsgrundlage anzupassen (§ 313 BGB).<br />

28 Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 91;<br />

Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§ 34 Rz. 28; Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006,<br />

§34Rz.35; Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />

Rz. 90; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50<br />

IV.2.c) ee).<br />

29<br />

<strong>Die</strong> Einzelheiten dieser Lösungsansätze müssen hier nicht<br />

weiterverfolgt werden.<br />

29 Vgl. Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 242;<br />

Büttner, FS Nirk, 1992, S. 119 (124).<br />

30 Es kann bei der Feststellung bewenden,<br />

dass – zunächst gültige – Abfindungsvereinbarungen,<br />

die allzu detailliert an änderungsanfälligen Bezugspunkten<br />

festgemacht sind, im Laufe der Zeit oftmals<br />

korrekturbedürftig werden. Dann aber steht die <strong>GmbH</strong>, so<br />

sie die betreffende Regelung nicht (kontinuierlich) aktualisiert<br />

hat, vor dem Problem, dass sie im Falle der Einzie-<br />

30 Hierzu näher Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />

Rz. 242; Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1180).


hung unversehens eine (deutlich) höhere als die ursprünglich<br />

kalkulierte Abfindung leisten muss.<br />

IV. Aspekte des Gläubigerschutzes<br />

Es ist schon erwähnt, dass eine Reduzierung der Abfindung,<br />

welche allein zu Lasten der Pfändungs-/Insolvenzgläubiger<br />

ginge, wegen § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist; denn<br />

diese würden dann ausschließlich wegen ihrer Stellung als<br />

Gläubiger benachteiligt. 31 Es ist zwar denkbar, eine – isolierte<br />

– Einziehungsregelung nur für den Fall der Anteilspfändung<br />

und der Gesellschafterinsolvenz zu beschließen.<br />

Und ebenso dürfte eine daran gekoppelte Abfindungsklausel,<br />

die den Geschäftsanteil zu seinem vollen Buchwert<br />

entschädigt, jedenfalls anfänglich noch zulässig sein. 32 Mit<br />

einer solchen Regelung wäre aber – außer dem verhinderten<br />

Eintritt eines neuen Gesellschafters – nicht viel gewonnen.<br />

Denn der Geschäftsanteil müsste gleichwohl zum<br />

(oder nahe am) vollen Verkehrswert abgegolten werden.<br />

Ferner hätte sich die <strong>GmbH</strong> der Möglichkeit begeben, den<br />

Auszahlungszeitraum durch die Festlegung erst nach und<br />

nach fälliger Ratenbeträge zu erstrecken; für ihren Bestandsschutz<br />

ist es aber von elementarem Interesse, einen<br />

allzu einschneidenden Abfluss von Liquidität zu vermeiden.<br />

Jedoch lassen sich derartige Entgeltbeschränkungen<br />

durchaus so gestalten, dass sie Geltungswirkung auch gegenüber<br />

den Gläubigern erlangen. Erforderlich ist nur, die<br />

Regelung gleichermaßen auf entsprechende Abfindungstatbestände<br />

innerhalb der Gesellschaftersphäre (etwa das<br />

zwangsweise Ausscheiden eines Anteilseigners) zu erstrecken.<br />

Eine solchermaßen erweiterte Satzungsbestimmung<br />

ist dann nämlich nicht mehr darauf zentriert, das Pfandrecht<br />

des Vollstreckungsgläubigers auszuhöhlen, sondern<br />

statuiert für vergleichbare Abfindungsvorgänge dieselben<br />

Rechtsfolgen. 33 Belastet ist insoweit nämlich auch der<br />

(ausscheidende) Gesellschafter; und dessen Gläubiger haben<br />

damit, weil sie ja nur wie andere Rechtsträger und<br />

nicht in ihrem spezifischen Status tangiert sind, den Geschäftsanteil<br />

mit den Beschränkungen und Minderungen<br />

hinzunehmen, die bereits in der Hand des Gesellschafters<br />

auf ihm lasten. 34<br />

<strong>Die</strong>s kann nun aber nicht bedeuten, dass die Vollstreckungsgläubiger<br />

jedwede Abfindungsverkürzung gegen<br />

sich gelten lassen müssten, nur weil sie auch gegenüber<br />

den Gesellschaftern vorgesehen ist. Insoweit wirksam ist<br />

eine beschränkende Klausel nämlich nur dann, wenn ihr<br />

rechtlicher Bestand auch gegenüber dem ausscheidenden<br />

Gesellschafter gewährleistet ist. 35<br />

Klauseln zu bejahen, die dem Anteilseigner eine insgesamt<br />

noch angemessene Entschädigung belassen. Ihnen gleich<br />

stehen nach Auffassung des BGH solche Regelungen, denen<br />

– wiewohl initial nichtig – nach Ablauf der Dreijahresfrist<br />

durch die Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktG<br />

endgültige Rechtsbeständigkeit zuteil wurde; hierbei spielt<br />

keine Rolle, ob die betreffende Bestimmung bereits bei<br />

Gründung oder erst durch spätere Satzungsänderung Bestandteil<br />

des Gesellschaftsvertrags wurde.<br />

<strong>Die</strong>s ist fraglos für jene<br />

36 Außerhalb des<br />

(zeitlichen) Geltungsbereichs des § 242 Abs. 2 AktG verfällt<br />

eine Entschädigungsregelung gegenüber den Anteilsinhabern<br />

– und damit auch gegenüber den Gläubigern –<br />

dann dem Verdikt der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1<br />

BGB), wenn die gesetzlich vorgesehene (volle) Abfindung<br />

unangemessen verkürzt wird. Hiervon ist auszugehen,<br />

wenn zwischen dem Abfindungsbetrag und dem tatsächlichen<br />

Anteilswert ein grobes Missverhältnis besteht, wobei<br />

in diese Bewertung auch die Auszahlungsmodalitäten<br />

einzubeziehen sind. 37 Der diversifizierende Meinungsstand<br />

hierzu ist kaum mehr zu referieren. Ursächlich hierfür<br />

ist teilweise, dass bisher weitgehend vermieden wurde,<br />

insoweit schematische prozentuale Grenzen zu fixieren,<br />

weil auch die jeweilige Interessenlage des weichenden Gesellschafters<br />

zu würdigen sei. 38 Auf jedwede Orientierung<br />

an konkretisierenden Rechengrößen wird die Kautelarpraxis<br />

jedoch – trotz der vielgestaltig denkbaren Sachverhalte<br />

– kaum verzichten können. Und als insoweit hilfreich<br />

hat sich die Formel von Ulmer/Schäfer bewährt, welche<br />

von einer sittenwidrigen (und damit nichtigen) Satzungsregelung<br />

dann ausgeht, wenn die darin vorgesehene Amortisation<br />

um 50 % hinter dem tatsächlichen Verkehrswert des<br />

Geschäftsanteils zurückbleibt. 39 Bei exzeptionellen Sachverhaltsgestaltungen<br />

mag dann eine (maßvolle) Anhebung<br />

oder (seltener) eine Absenkung dieses Richtwerts in Erwägung<br />

zu ziehen sein. 40<br />

Schließlich ist – wie schon ausgeführt – zu beachten, dass<br />

aber solche Klauseln, die erst im Laufe der Zeit in ein grobes<br />

Missverhältnis hineinwachsen, auch gegenüber den<br />

Vollstreckungsgläubigern nicht der Unwirksamkeit anheimfallen.<br />

Vielmehr ist in solchen Fällen nach der Rechtsprechung<br />

des BGH eine Lösung im Wege der ergänzenden<br />

Vertragsauslegung zu suchen. In aller Regel wird dies<br />

dann zu einem Entschädigungsbetrag führen, der zwischen<br />

dem statuarisch festgelegten und dem wirklichen Wert des<br />

Anteils liegt. 41<br />

31 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; Verse in<br />

Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 15 <strong>GmbH</strong>G<br />

Rz. 129; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50<br />

IV.2.c) aa); Wälzholz, <strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321).<br />

32 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 85; Piltz, BB 1994, 1021 (1025); Ulmer, NJW 1979, 81 (85).<br />

33 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, <strong>GmbH</strong>R 1975, 227; Greitemann<br />

in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 53;<br />

Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 91; Wälzholz,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321); teilweise a.A. Engel, NJW<br />

1986, 345 (347).<br />

34 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§ 34 Rz. 30; Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006,<br />

§34Rz.30;Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in<br />

der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4<br />

Rz. 282; a.A. (Gläubigerabfindung stets zum vollen Wert) Roth,<br />

ZGR 2000, 187 (215).<br />

Markus Geißler<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 373<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

35 OLG Frankfurt a. M. v. 9.9.1977 – 20 W 702/76, <strong>GmbH</strong>R 1978,<br />

172; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl.<br />

2010, § 34 Rz. 30.<br />

36 Vgl. die Nachw. bei Fn. 16.<br />

37 BGH v. 16.10.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (259); Lutter<br />

in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 84;<br />

Maul in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13<br />

Rz. 119; Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1177).<br />

38 Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 227; Gregoritza<br />

in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und<br />

Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732; Hülsmann,NJW<br />

2002, 1673 (1674).<br />

39 Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153); auch Maul in Beck’sches<br />

Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119; Mecklenbrauck,<br />

BB 2000, 2001 (2005); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173<br />

(1178); Sigle, ZGR 1999, 659 (672).<br />

40 Ähnlich Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (155); Geißler,<strong>GmbH</strong>R<br />

2006, 1173 (1181).<br />

41 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265 (266);<br />

Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 34


V. Grundskizze einer Zwangseinziehungs- und<br />

Abfindungsklausel<br />

Vermöge ihrer Verbandsautonomie ist die <strong>GmbH</strong> grundsätzlich<br />

(innerhalb der bereits aufgezeigten Grenzen) berechtigt,<br />

den Abfindungsanspruch eines Gesellschafters<br />

bei Einziehung, Ausschließung oder Austritt durch eine<br />

statuarische Regelung zu konkretisieren und insbesondere<br />

einzuschränken. 42 Eine insoweit gebräuchliche Regelung<br />

ist etwa, die Entschädigung auf der Basis des Buchwerts<br />

oder des Substanzwerts zu begrenzen. 43 Häufiger zur Ermittlung<br />

des Anteilswerts verwendet wird jedoch die<br />

– auch in der Judikatur befürwortete – Ertragswertmetho-<br />

de. 44<br />

Da diese bei der Berechnung der Abfindungshöhe auf<br />

das auch ohne statuarische Festlegung maßgebliche Ertragswertverfahren<br />

abstellt, sind strukturelle Abweichungen<br />

von der gesetzlichen Anteilsbewertung weitgehend<br />

ausgeschlossen. 45<br />

Letztlich ist es jedoch eine Entschei-<br />

dung der Gesellschafterversammlung, wie sie bei der Gestaltung<br />

der Entschädigungsleistung die (widerstreitenden)<br />

Interessen der Anteilseigner, des Unternehmens und<br />

der Vollstreckungsgläubiger zu gewichten gedenkt. Hierbei<br />

sollte jedoch im Blick bleiben, dass ein allzu detailliertes<br />

Regelwerk im Verlauf der weiteren Unternehmensentwicklung<br />

oftmals kein genügendes Abfindungsentgelt<br />

mehr generiert. Deswegen bedürfen komplexere Bestimmungen,<br />

soweit sie darüber hinaus noch deutlich von der<br />

gesetzlich vorgesehenen Entschädigung zum vollen Verkehrswert<br />

(vgl. § 738 BGB) abweichen, der stetigen<br />

Rechtskontrolle; und erfahrungsgemäß gerät dies – jedenfalls<br />

nach einiger Zeit – in der Betriebsamkeit des Tagesgeschäfts<br />

nicht selten in Vergessenheit. Und später erforderliche<br />

Anpassungen können sich (teilweise) durchaus auch<br />

als eine Verschärfung der ursprünglichen Abfindungsmodalitäten<br />

darstellen, womit der entsprechende Gesellschafterbeschluss<br />

– was nicht immer einfach zu bewerkstelligen<br />

ist – einstimmig zu ergehen hätte (§ 53 Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G). 46<br />

Auch deshalb wird nachfolgend einer – am gesetzlichen<br />

Leitbild ausgerichteten – Regelung der Vorzug gegeben,<br />

die die Belange Einzelner zwar nicht akzentuiert, in ihrem<br />

Gesamtgefüge aber doch ausgewogen berücksichtigt. Damit<br />

ist weitestgehend sichergestellt, dass im Ernstfall über<br />

die Angemessenheit der Abfindung keine langwierigen<br />

und für alle Beteiligten unersprießlichen Rechtsstreite geführt<br />

werden müssen. Eine solche Klausel, die zudem dann<br />

auch einen hohen Grad an Rechtsbeständigkeit aufweist,<br />

wäre in ihren Grundstrukturen etwa so zu formulieren:<br />

Rz. 56; Gregoritza in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann,<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 733.<br />

42 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265; Lutter in<br />

Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 81.<br />

43 Zu den Nachteilen dieser und ähnlicher Klauseln Strohn in<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 255 ff.; Hueck/Fastrich<br />

in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 35 ff;<br />

Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 69 ff.<br />

44 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103); OLG<br />

Kölnv.19.12.1997–4U31/97,<strong>GmbH</strong>R1998,641;Westermann<br />

in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 25; T. Fleischer<br />

in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34<br />

<strong>GmbH</strong>G Rz. 17; Engel, NJW 1986, 345 (349).<br />

45 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§34Rz.37.<br />

46 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (258);<br />

Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;<br />

Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (959).<br />

Markus Geißler<br />

374 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

§ 10 Einziehung von Geschäftsanteilen<br />

<strong>Die</strong> Einziehung von Geschäftsanteilen kann unter den folgenden<br />

Voraussetzungen beschlossen werden:<br />

1. In der Person eines Gesellschafters liegt ein wichtiger Grund<br />

vor, der dessen Ausschließung aus dem Unternehmen rechtfertigt;<br />

2. ...;<br />

3. ...;<br />

4. es wird die Zwangsvollstreckung in seinen Geschäftsanteil betrieben<br />

und die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen werden nicht<br />

binnen zweier Monate seit ihrem Beginn wieder aufgehoben;<br />

5. es wird über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet,<br />

über einen Antrag auf Eröffnung ist nicht binnen zweier Monate<br />

entschieden oder die Eröffnung wird mangels Masse abgelehnt.<br />

§ 11 Abfindung<br />

1. Der ausscheidende Gesellschafter erhält eine Abfindung, die<br />

sich nach dem im Wege der Ertragswertmethode zu berechnenden<br />

Verkehrswert bestimmt; von dem so ermittelten Wert des Geschäftsanteils<br />

ist ein Abschlag von 30 % vorzunehmen.<br />

2. <strong>Die</strong> Abfindung ist in drei gleichen Raten zu leisten. <strong>Die</strong> erste<br />

Rate wird sechs Monate nach dem Ausscheidungsstichtag ausgezahlt;<br />

die beiden weiteren Raten sind im dritten / fünften Jahr<br />

nach dem Ausscheidungsstichtag fällig, und zwar an dem Tag, der<br />

dem Datum der Fälligkeit der ersten Rate entspricht.<br />

3. <strong>Die</strong> Raten sind ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit der ersten Rate<br />

jährlich mit zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz<br />

zu verzinsen. <strong>Die</strong> Zinsen sind jeweils mit der Rate zu entrichten.<br />

47<br />

VI. Erläuterungen<br />

Das in § 10 Nr. 1, 4 u. 5 vorgeschlagene Junktim (wichtiger<br />

Ausschlussgrund – Anteilspfändung, Insolvenz) ist der<br />

– allgemein aber anerkannte – Mindeststandard, um die<br />

Abfindungsklausel nicht dem zur Unwirksamkeit führenden<br />

Verdikt einer gezielten Gläubigerbenachteiligung auszusetzen.<br />

48 <strong>Die</strong> Blankette der Nr. 2 u. 3 belassen Raum für<br />

weitere Einziehungsgründe, die für die Gesellschaft(er)<br />

wesentlich sein könnten. <strong>Die</strong> in § 10 Nr. 4 genannte Zweimonatsfrist<br />

bereinigt die Streitfrage, ob der Einziehungsgrund<br />

entfällt, wenn die Zwangsvollstreckung einstweilen<br />

(etwa nach §§ 771 Abs. 3, 769, 766 ZPO) eingestellt worden<br />

ist. 49<br />

<strong>Die</strong> Berechnung der Abfindung soll nach dem Ertragswertverfahren<br />

vorgenommen werden (§ 11 Nr. 1). Damit ist,<br />

und zwar auch in der ferneren Zukunft, gewährleistet, dass<br />

die Entschädigung unabhängig von der weiteren Unternehmensentwicklung<br />

stets in der Nähe des tatsächlichen Anteilswerts<br />

verbleibt. 50 <strong>Die</strong>s gibt allen Beteiligten Planungssicherheit.<br />

Denkbar ist insoweit auch, die Bestimmung des<br />

Verkehrswerts des Geschäftsanteils in Gemäßheit des<br />

§ 317 BGB einem Schiedsgutachter zu überlassen. Hierbei<br />

können dann auch nähere Kriterien festgelegt werden, wel-<br />

47 Vgl. hierzu auch die (teilweise detaillierteren) Formularbeispiele<br />

bei Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der Gestaltungs-<br />

und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 288 ff.;<br />

Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht, 2010, C.I.3.;<br />

Michalski, ZIP 1991, 147 (148).<br />

48 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; Strohn in<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 235; Maul in<br />

Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;<br />

Behrendt in Arens/Tepper, Das gesellschaftsrechtliche Mandat,<br />

2007, § 24 Rz. 223.<br />

49 Hierzu Michalski, ZIP 1991, 147 (149).<br />

50 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />

§34Rz.37.


che für die Bewertung des Unternehmens angewandt werden<br />

sollen. 51 Gebräuchlich ist ebenso die Regelung, die<br />

Bewertung von einem Wirtschaftsprüfer als neutralem<br />

Gutachter nach den jeweils aktuellen Richtlinien des Instituts<br />

für Wirtschaftsprüfer durchführen zu lassen. 52 Ansonsten<br />

ist es naheliegend (und wohl auch kostengünstiger),<br />

wenn der für die <strong>GmbH</strong> tätige Steuerberater, der ja<br />

mit den bilanziellen Details vertraut ist, die Wertermittlung<br />

vornimmt.<br />

Von dem so ermittelten Wert wird ein Abschlag von 30 %<br />

in Ansatz gebracht. <strong>Die</strong>se Minderung sollte im Ernstfall<br />

auch einer kritischen richterlichen Prüfung standhalten<br />

können. Eine approximative Orientierung vermag insoweit<br />

jene Entscheidung des BGH zu vermitteln, die von<br />

einer sittenwidrig verkürzten Abfindung dann ausgeht,<br />

wenn diese nur noch zwischen 20 % und 50 % des realen<br />

Anteilswertes beträgt. 53 DamitinEinklangzubringenist<br />

auch die schon erwähnte Formel von Ulmer/Schäfer, die<br />

durchaus beachtliche Gefolgschaft gefunden hat. 54 Danach<br />

ist eine Satzungsregelung nichtig, wenn die darin vorgesehene<br />

Amortisation um 50 % (und mehr) hinter dem Verkehrswert<br />

des Anteils zurückbleibt. Demgegenüber sollte<br />

sich dann – so Besonderheiten nicht anstehen – der vorstehend<br />

befürwortete Abschlag von 30 % rechtfertigen lassen.<br />

55 Insbesondere gilt dies dann, wenn – wie hier – die<br />

Zwangseinziehung primär an einen die Ausschließung des<br />

Gesellschafters rechtfertigenden Grund geknüpft ist. Denn<br />

dann hat dieser sein Ausscheiden in aller Regel durch eigenes<br />

Fehlverhalten verursacht, was bereits per se eine höhere<br />

Reduzierung seiner Abfindung zulässt. 56<br />

Dem Interesse der Gesellschaft, durch die Entschädigungszahlung<br />

in ihrer Liquidität möglichst wenig beeinträchtigt<br />

zu werden, ist durch die Auszahlungsstreckung<br />

(drei Raten) Rechnung getragen (§ 11 Nr. 2). <strong>Die</strong> Dauer<br />

des insoweit noch hinnehmbaren Auszahlungszeitraums<br />

wird naturgemäß unterschiedlich beurteilt. Dass hierbei<br />

eine Ratenzahlungsdauer von 15 Jahren die Interessen des<br />

weichenden Gesellschafters (und seiner Gläubiger) in untragbarer<br />

Weise schmälert, ist eigentlich offensichtlich und<br />

sollte weiterer Begründung nicht bedürfen. 57 Ebenso wurde<br />

eine Zahlung in drei Raten nach fünf, acht und zehn Jahren<br />

für sittenwidrig erachtet. 58 Es findet sich aber auch<br />

– allerdings eher bezogen auf die Personengesellschaft –<br />

die Ansicht, dass Auszahlungsfristen zwischen acht und<br />

zehn Jahren nicht generell zu beanstanden seien. 59 <strong>Die</strong>s ist<br />

in Bezug auf eine <strong>GmbH</strong> jedoch unter zwei Aspekten zu<br />

hinterfragen. Einmal ist ein in dieser Rechtsform geführtes<br />

51 Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht, 2010, C.I.3.,<br />

bei § 17 Abs. 1; auch Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck<br />

<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 23.<br />

52 So etwa Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der<br />

Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 289.<br />

53 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 871; Gregoritza<br />

in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />

2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732.<br />

54 Vgl. die Nachw. bei Fn. 39.<br />

55 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />

Rz. 90; Kort, DStR 1995, 1961 (1967); in diese Richtung auch<br />

Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht. 2010, C.I.3.,<br />

bei § 17 Abs. 1 (Abschlag von 20 %).<br />

56 Ähnlich Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1181).<br />

57 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, <strong>GmbH</strong>R 1989, 508 (510); Greitemann<br />

in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 48.<br />

58 OLG Dresden v. 18.5.2000 – 21 U 3559/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 718<br />

(719), Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 88.<br />

59 Ulmer, NJW 1979, 81 (85); Ziegler, DB 2000, 2107 f.<br />

Markus Geißler<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 375<br />

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />

Unternehmen bekanntlich durch eine sehr hohe Insolvenzanfälligkeit<br />

gekennzeichnet, was nicht unbedingt das Vertrauen<br />

in seine – dauerhaft stabile – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

bestärkt. Darüber hinaus sperrt § 34 Abs. 3<br />

<strong>GmbH</strong>G eine Entschädigungsleistung, wenn sie aus durch<br />

§ 30 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G gebundenen Mitteln bedient werden<br />

müsste. 60<br />

<strong>Die</strong>ses primär gegen den Gesellschafter gerich-<br />

tete Auszahlungsverbot erstreckt seine Rechtswirkung<br />

auch auf seine Vollstreckungsgläubiger.<br />

All dies verdeutlicht, dass sowohl jene als auch der Gesellschafter<br />

selbst durch zu sehr gestreckte Auszahlungszeiträume<br />

beträchtlichen Risiken ausgesetzt sind. den Abfindungsanspruch<br />

bei Fälligkeit überhaupt noch (vollständig)<br />

durchsetzen zu können. Auch in Ansehung dessen ist – jedenfalls<br />

für die <strong>GmbH</strong> – jener Ansicht der Vorzug zu geben,<br />

der für eine definitive Abwicklung des Abfindungsvorgangs<br />

innerhalb von höchstens fünf Jahren votiert. 61<br />

Mit dem rechtlichen Vollzug der Einziehung ist grundsätzlich<br />

auch die Abfindung fällig. Bei gestreckten Auszahlungsmodalitäten<br />

sind dem Berechtigten demzufolge Zinsen<br />

zu entrichten, die eine Rendite abwerfen, wie sie anderweit<br />

für vergleichbare Anlageformen erzielt werden könn-<br />

te. 62<br />

<strong>Die</strong>s berücksichtigt § 11 Nr. 3. Eine dem § 246 BGB<br />

entsprechende Regelung dürfte hierbei zu starr sein. Deswegen<br />

wurde auf die eher dynamische Gestaltung des<br />

§ 288 BGB zurückgegriffen, womit eine weitgehende<br />

Konnexität mit den Zinsmargen des Kapitalmarkts gewährleistet<br />

ist. 63<br />

VII. Zusammenfassung<br />

Der vorstehende Entwurf ist nun nicht von dem Impetus<br />

beherrscht, zu Gunsten der <strong>GmbH</strong> eine in ihrer Rigidität<br />

gerade noch zulässige Abfindungsbeschränkung zu schaffen;<br />

denn eine solche wäre mit einem stetigen Überwachungsbedarf<br />

und auch den Risiken ihrer künftigen Gültigkeit<br />

belastet. Stattdessen wurde eine eher moderierende<br />

(und auch in ihrem Umfang überschaubare) Regelung präferiert,<br />

welche mit einer soliden Rechtsbeständigkeit ausgestattet<br />

ist und die Beteiligten damit vor unerwarteten Beschwerungen<br />

bewahrt.<br />

Ob es einer statuarischen Abfindungsbeschränkung überhaupt<br />

bedarf, sollten die Gesellschafter aber beizeiten prüfen;<br />

denn ein Anteilseigner, dem bereits wirtschaftliche<br />

Bedrängnisse drohen, wird sich kaum mehr zur Mitwirkung<br />

an einer ihn beschwerenden Regelung bereit finden.<br />

Eine solche, die bei Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />

eben auch die Einziehung des Geschäftsanteils des insol-<br />

60 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 531 (532), m.<br />

Komm. T. Tillmann; ausführlicher hierzu, insbesondere zur Haftung<br />

der Mitgesellschafter gegenüber dem Ausscheidenden, jetzt<br />

BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 387 m. Komm.<br />

Münnich, Rz. 14 – in dieser Ausgabe; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl 2010, § 34 Rz. 39; Wanner-Lau-<br />

fer, NJW 2010, 1499 (1500); Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (959).<br />

61 Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 229; Ulmer in<br />

Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34 Rz. 92; Greitemann<br />

in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 48; Maul<br />

in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;<br />

Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der Gestaltungs-<br />

und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 286.<br />

62 Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 88; Engel,<br />

NJW 1986, 345 (349).<br />

63 Vgl. auch Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht,<br />

2010, C.I.3., bei § 17 Abs. 3.


venten Gesellschafters vorsieht, ist aber unausweichlich;<br />

denn eine Abfindungsverkürzung, die sich allein auf die<br />

Anteilspfändung und die Gesellschafterinsolvenz beschränkt,<br />

wäre wegen Gläubigerbenachteiligung nichtig.<br />

An der – nicht zu Unrecht kritisierten – Rechtsprechung<br />

des BGH, wonach auch eine von Anfang an sittenwidrige<br />

Klausel an der Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktG<br />

teilnimmt, wird die Kautelarpraxis einstweilen sicherlich<br />

nicht vorbeikommen. Im – theoretisch denkbaren – Extremfall<br />

wird hier ein um gerechte Billigkeit bestrebter<br />

Rechtsanwender zugegebenermaßen aber harten Prüfun-<br />

Dr. Götz Tobias Wiese *<br />

gen ausgesetzt. Denn nach Ablauf der Dreijahresfrist<br />

könnte damit auch eine allein gegen die Gläubiger gerichtete<br />

Einziehung Gültigkeit erlangen, wiewohl sie darüber<br />

hinaus sogar jegliche Abfindung verweigert. Dass Klauseln,<br />

die die Ermittlung der Abfindung allzu spezifischen<br />

Berechnungsmethoden überantworten, im Laufe der Zeit<br />

auch in die Rechtswidrigkeit hineinwachsen können und<br />

deshalb angepasst werden müssen, spielt innerhalb des<br />

hier gegebenen Formulierungsvorschlags wohl keine Rolle.<br />

Denn die Anteilsbewertung nach der Ertragswertmethode<br />

dürfte dauerhaft rechtskonforme Ergebnisse gewährleisten.<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

– Anmerkungen zur Änderung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und<br />

zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 –<br />

<strong>Die</strong> in EU-Richtlinien und in Doppelbesteuerungsabkommen<br />

vorgesehene Entlastung ausländischer Gesellschafter<br />

von deutscher Quellensteuer hat stets zu missbräuchlichen<br />

Gestaltungen geführt (sog. Directive Shopping oder Treaty<br />

Shopping). Missbrauchsvermeidung ist geboten. Doch tun<br />

sich Gesetzgebung und Verwaltung mit der Ausgestaltung<br />

der entsprechenden Missbrauchsvermeidungsvorschrift<br />

– § 50d Abs. 3 EStG – im Rahmen der Grenzen des<br />

Unionsrechts und der DBA schwer. Der aufgrund jüngerer<br />

EuGH-Rechtsprechung erneut geänderte § 50d Abs. 3 S. 1<br />

EStG ist auch in seiner neuen Form misslungen und sollte<br />

geändert werden. Das dazu veröffentlichte BMF-Schreiben<br />

v. 24.1.2012 (<strong>GmbH</strong>R 2012, 415 – in dieser Ausgabe)<br />

ist in entscheidenden Teilen unionsrechtswidrig.<br />

I. Vormerkung<br />

§ 50d Abs. 3 EStG versagt in bestimmten Konstellationen,<br />

die als missbräuchlich angesehen werden, die Entlastung<br />

von Kapitalertragsteuer, die sich im Normalfall aus Doppelbesteuerungsabkommen1<br />

oder aufgrund der Mutter-<br />

Tochter-Richtlinie2 sowie der Zins- und Lizenzrichtlinie3 bei Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebüh-<br />

* Dr. Götz Tobias Wiese ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt<br />

für Steuerrecht sowie Partner von Latham & Watkins<br />

LLP in Hamburg. Der Autor ist ferner Mitglied des Herausgeberbeirats<br />

der <strong>GmbH</strong>-<strong>Rundschau</strong> und Lehrbeauftragter der Buce-<br />

rius Law School in Hamburg.<br />

1 In DBA mögen sich indes eigenständige abschließende Regelungen<br />

finden, vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008,<br />

619 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 714 (LS), zu Art. 23 DBA-Schweiz 1971<br />

i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 21.12.1992.<br />

2 Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der<br />

Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten<br />

v. 23.7.1990, 90/435/EWG, ABl. L 225, S. 6, i.d.F. v.<br />

20.11.2006, 2006/98/EG, ABl. L 363, S. 129, nachstehend<br />

„Mutter-Tochter-Richtlinie“. <strong>Die</strong> Mutter-Tochter-Richtlinie<br />

wurde mit § 43b EStG umgesetzt.<br />

3 Richtlinie des Rates über eine gemeinsame Steuerregelung für<br />

Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen<br />

Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten v. 3.6.2003,<br />

2003/49/EG, ABl. 2003, L 157, S 49-54, nachstehend „Zinsund<br />

Lizenzrichtlinie“. <strong>Die</strong> Zins- und Lizenzrichtlinie wurde<br />

mit § 50g EStG umgesetzt.<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

376 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

ren ergeben würde. <strong>Die</strong> Vorschrift ist mit Wirkung ab 2012<br />

erneut geändert worden. 4 <strong>Die</strong>ser Beitrag gibt eine Übersicht<br />

über die Änderungen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und<br />

das dazu am 24.1.2012 veröffentlichte BMF-Schreiben. 5<br />

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der sog. Aufteilungsregel,<br />

die das BMF in der Neufassung der Vorschrift<br />

erkennt. <strong>Die</strong>se Regel ist rechtswidrig. Problematisch ist<br />

auch die Übergangsregelung zum Inkrafttreten des § 50d<br />

Abs. 3 S. 1 EStG n.F.<br />

II. Hintergrund und historische Entwicklung<br />

Ursprünglich war die hier in Rede stehende Vorschrift als<br />

§ 50d Abs. 1a EStG gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme<br />

von Steuerfreistellungen oder -ermäßigungen1994indasEStGaufgenommenworden.<br />

6 Im Jahr<br />

2007 wurde die Vorschrift erheblich verschärft. 7 Hintergrund<br />

der Verschärfung war der jahrelange Streit zwischen<br />

BFH und BMF über die Frage, unter welchen Umständen<br />

die Voraussetzungen der Vorschrift (nunmehr § 50d Abs. 3<br />

EStG) erfüllt waren. In der Hilversum II-Entscheidung v.<br />

31.5.20058 hatte der BFH entschieden, dass auch eine niederländische<br />

Zwischenholdinggesellschaft, deren Anteilseignern<br />

die Entlastung von Kapitalertragsteuer nicht selbst<br />

zugestanden hätte, deren Unternehmensgegenstand sich<br />

4 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung<br />

steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz<br />

– BeitrRLUmsG), BGBl. I 2011, 2592. <strong>Die</strong> Änderung<br />

des Wortlauts des § 50d Abs. 3 S. 1 befindet sich in Art. 2<br />

Nr. 31 BeitrRLUmsG.<br />

5 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/<br />

1032913, BStBl. I 2012, 171 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 415 – in dieser<br />

Ausgabe, nachstehend „BMF-Schreiben 2012“.<br />

6 Zur historischen Entwicklung Klein/Hagena in Herrmann/Heu-<br />

er/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG Rz. 2 (243. Lfg. 2010).<br />

7 Seither § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 v. 13.12.2006, BGBl.<br />

I 2006, 2878 = BStBl. I 2007, 28; hierzu bereits Wiese/Süß,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 972 ff.; weitere Literaturhinweise bei Gosch in<br />

Kirchhof, EStG, 10. Aufl. 2011, § 50d vor Rz. 1; Loschelder in<br />

Ludwig Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 50d Rz. 45, und Klein/<br />

Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG<br />

vor Rz. 50.<br />

8 BFH v. 31.5.2005 – I R 74, 88/04, <strong>GmbH</strong>R 2005, 1373 m.<br />

Komm. Breuninger/Schade.


Dr. Götz Tobias Wiese<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 377<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

auf das Halten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften<br />

beschränkte und die über keine Personal- oder Sachmittel<br />

(„Substanz“) verfügte, von der Kapitalertragsteuer<br />

entlastet werden konnte, wenn aufgrund der Funktion der<br />

Gesellschaft im Konzern nicht anzunehmen war, dass die<br />

Platzierung der Beteiligung einer deutschen Gesellschaft<br />

gerade bei dieser Zwischenholding nur aus steuerlichen<br />

(d.h. nicht aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen)<br />

Gründen erfolgt war (konzernbezogene Betrachtungsweise).<br />

Das BMF hatte auf die Hilversum II-Entscheidung mit<br />

einem Nichtanwendungserlass reagiert. 9 <strong>Die</strong> konzernbezogene<br />

Betrachtung bedeutete nach Auffassung des BMF<br />

die unzulässige „Übertragung“ von Merkmalen anderer<br />

Konzernunternehmen auf die nur vermögensverwaltende<br />

Gesellschaft. Außerdem erforderten Wortlaut und Gesetzesbegründung<br />

des § 50d Abs. 3 EStG a.F. „in jedem Fall<br />

eine substantielle Geschäftsausstattung der ausländischen<br />

Gesellschaft“. Das BMF ging davon aus, dass nach Sinn<br />

und Zweck der Vorschrift bereits das Fehlen entweder beachtlicher<br />

Gründe für die Zwischenschaltung der Gesellschaft<br />

oder eigener Wirtschaftstätigkeit ausreichend seien,<br />

der ausländischen Gesellschaft die Entlastungsberechtigung<br />

zu versagen. Seit der Neufassung des § 50d Abs. 3<br />

EStG durch das JStG 2007 hatte eine ausländische Gesellschaft<br />

keinen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuer,<br />

soweit Personen an ihr beteiligt waren, denen die<br />

Entlastung nicht zugestanden hätte, wenn sie die Einkünfte<br />

unmittelbar erzielt hätten und<br />

(1) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />

wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten<br />

oder<br />

(2) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer<br />

gesamten Bruttobeträge des betreffenden Wirtschaftsjahres<br />

aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielte<br />

oder<br />

(3) die ausländischen Gesellschaften nicht mit einem für<br />

ihren Geschäftszweck angemessenen Geschäftsbetrieb<br />

am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnahm.<br />

Anders als noch bis Ende 2006 hat seither bereits das Fehlen<br />

jeder einzelnen der genannten Voraussetzungen zur<br />

Versagung der Entlastung geführt.<br />

Besonders kritisch wurde vor allem das – neue – zweite<br />

Kriterium betrachtet, die sog. „10 %-Grenze“: Danach war<br />

die Erstattung oder Freistellung von Kapitalertragsteuer<br />

– ohne Entlastungsmöglichkeit – stets zu versagen, wenn<br />

die ausländische Gesellschaft das Kriterium „10 % der<br />

Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“ nicht erfüllen<br />

konnte. Ziel des Gesetzgebers war es zu vermeiden,<br />

dass Gesellschaften ohne ins Gewicht fallende aktive Wirtschaftstätigkeit<br />

die Entlastung nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStG<br />

in Anspruch nehmen.<br />

9 BMF v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 331.<br />

10<br />

Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 wurde am 3.4.2007<br />

ein BMF-Schreiben veröffentlicht.<br />

10 BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, S. 60.<br />

11<br />

über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende<br />

Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />

voraus<br />

Nach diesem Schreiben<br />

setzte eine eigene Wirtschaftstätigkeit zunächst eine<br />

11 BMF v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/<br />

0115524, BStBl. I 2007, 446 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 613, geändert<br />

durch BMF v. 21.6.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 – DOK<br />

2010/0374057, BStBl. I 2010, 596 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 840, nachstehend<br />

„BMF-Schreiben 2007“.<br />

12 („wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“), womit<br />

auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache<br />

Cadbury-Schweppes Bezug genommen wurde.<br />

12 Rz. 6.1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />

13<br />

Hielt die antragstellende ausländische Gesellschaft in ihrem<br />

Betriebsvermögen Anteile an inländischen Gesellschaften,<br />

lag eine eigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor,<br />

wenn Beteiligungen von einigem Gewicht erworben worden<br />

waren, um gegenüber den Gesellschaften, an denen die<br />

Beteiligungen bestanden, geschäftsleitende Funktionen<br />

wahrzunehmen (aktive Beteiligungsverwaltung).<br />

13 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, insb. die Rz. 66 u.<br />

52 – 54.<br />

14 Es<br />

reichte nicht aus, dass eine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische<br />

Betätigung geschäftsleitende Funktionen<br />

nur gegenüber einer in einem EU-Mitgliedsstaat ansässigen<br />

Tochtergesellschaft ausübte oder lediglich Anteile an<br />

einer oder mehreren Tochtergesellschaften hielt und sich<br />

dabei auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkte<br />

(passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligung<br />

von einigem Gewicht erworben worden war, hing<br />

nicht von der Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab;<br />

vielmehr kam es darauf an, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft<br />

tatsächlich Einfluss genommen<br />

wurde. Sodann wurde der Umfang der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />

nach Maßgabe der 10 %-Klausel i.S.d.<br />

§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ermittelt.<br />

14 Rz. 6.2 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), unter Hinweis<br />

auf BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339.<br />

15 Der nicht vermögensverwaltende<br />

(aktive) Bereich der Gesellschaft durfte<br />

im Verhältnis zum vermögensverwaltenden (passiven) Bereich<br />

nicht unwesentlich sein. Er war unwesentlich, wenn<br />

die anteiligen Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres<br />

aus dem aktiven Bereich nicht mehr als 10 % der gesamten<br />

„Bruttoerträge“ i.S.d. § 9 AStG betrugen. Mit dem<br />

Verweis auf § 9 AStG war zunächst nicht viel geholfen, da<br />

der Vorschrift letztlich die Voraussetzungen der §§ 7, 8<br />

AStG vorausliegen.<br />

15 Rz. 7 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />

16 Das BMF stellte aber klar, dass Dividenden<br />

und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzgebühren)<br />

aus aktiver Beteiligungsverwaltung in Bezug auf sog.<br />

„geleitete Gesellschaften“ zu den Bruttoerträgen des Bereichs<br />

der eigenen Wirtschaftstätigkeit zählten.<br />

16 Vgl. Geurts in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, § 9<br />

Rz. 12.<br />

17 Geleitete<br />

Gesellschaften waren danach solche, auf die Führungsentscheidungen<br />

von langfristiger Natur, Grundsätzlichkeit<br />

und Bedeutung für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft<br />

ausgeübt wurden. Sie unterschieden sich von lediglich<br />

kurzfristigen und ausführungsbezogenen Entscheidungen.<br />

<strong>Die</strong> Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen<br />

wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewährung<br />

reichte für die Qualifizierung als aktive Beteiligungsverwaltung<br />

nicht aus.<br />

17 Rz. 6.2 f. des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />

18<br />

Auf der Rechtsfolgenseite sah § 50d Abs. 3 S. 1 EStG a.F.<br />

eine Alles-oder-Nichts-Regel vor, wonach für Einkünfte,<br />

für die Entlastungsberechtigung bestand, vollen Umfangs<br />

von der jeweiligen Entlastung Gebrauch gemacht werden<br />

konnte.<br />

18 Rz. 6.3 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />

19<br />

19 Rz. 13 S. 1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11). <strong>Die</strong>s wird


§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ist von der Europäischen<br />

Kommission am 18.3.2010 beanstandet worden. 20 <strong>Die</strong> Europäische<br />

Kommission forderte Deutschland förmlich auf,<br />

die Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung bei Quellensteuerentlastungen<br />

zu ändern. Dabei kritisierte die Kommission<br />

nicht das mit der Missbrauchsbekämpfung verfolgte<br />

Ziel, sondern speziell die Anforderungen an ausländische<br />

Unternehmen zur Erbringung des Nachweises eigener<br />

Wirtschaftstätigkeit. <strong>Die</strong>se Anforderungen wurden für<br />

unverhältnismäßig gehalten im Hinblick darauf, dass keine<br />

Möglichkeit zum Nachweis der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />

bestand, wenn die 10 %-Grenze nicht erfüllt wurde.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss eine<br />

Missbrauchsvermutung widerlegbar sein. 21<br />

III. Überblick: Neufassung des § 50d Abs. 3 S. 1<br />

EStG i.d.F. BeitrRLUmsG<br />

Das Bundesfinanzministerium und mit ihm der Finanzausschuss<br />

des Bundestages haben die Kritik aufgenommen<br />

und im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung<br />

der Beitreibungsrichtlinie (BeitrRLUmsG) die Änderung<br />

des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG betrieben. <strong>Die</strong>se wurde<br />

am 7.12.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet22 und trat<br />

am 1.1.2012 in Kraft. 23<br />

Nunmehr lautet § 50d Abs. 3 S. 1 EStG wie folgt: 24<br />

„Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige<br />

oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit<br />

Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung<br />

nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten,<br />

und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr<br />

erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit<br />

stammen, sowie<br />

1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen<br />

Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe<br />

fehlen oder<br />

2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck<br />

angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am<br />

allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“<br />

Weggefallen ist die 10 %-Grenze des bisherigen § 50d<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG, also die nachstehende Formulierung,<br />

wonach<br />

die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten<br />

Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener<br />

Wirtschaftstätigkeit erzielt.<br />

Es könnte sich der Eindruck ergeben, als wäre mit der<br />

Streichung der 10 %-Grenze und den weiteren Änderungen<br />

des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG die<br />

Vorschrift lediglich vereinfacht und klarer gefasst und<br />

unionsrechtskonform ausgestaltet worden. <strong>Die</strong>s ist jedoch<br />

hier nur verkürzt dargestellt, aber im weiteren Verlauf der<br />

Abhandlung aufgegriffen, da das BMF zum neuen Recht eine<br />

andere Auffassung vertritt, die der kritischen Auseinanderset-<br />

zung bedarf.<br />

20 Az. 2007/4435, vgl. Pressemitteilung IP/10/298. <strong>Die</strong> Kommission<br />

verband die Aufforderung zur Änderung des § 50d Abs. 3<br />

S. 1 Nr. 2 EStG mit einer Stellungnahme gemäß Art. 258 AEUV.<br />

21 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70; v. 21.1.2010 –<br />

Rs.C-311/08–Société de Gestion Industrielle S.A., IStR 2010,<br />

144.<br />

22 S. oben. Fn. 4.<br />

23 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG.<br />

24 Kursiv gedruckt sind die neuen oder gegenüber der bisherigen<br />

Gesetzesfassung verschobenen Worte.<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

378 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

nicht der Fall. Zum einen erkennt das BMF in der Neufassung<br />

eine unklare und unionsrechtswidrige „Aufteilungsregel“<br />

für die Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />

(dazu sogleich IV.). Zum anderen bestehen Unklarheiten<br />

im Bereich der Voraussetzungen für die Steuerentlastung<br />

(dazu V.). Schließlich gibt es Fragen im Zusammenhang<br />

mit der Erteilung von Freistellungsbescheinigungen und<br />

ganz allgemein zur zeitlichen Anwendbarkeit des neuen<br />

Rechts (dazu VI. und VII.). <strong>Die</strong> Verwaltungsauffassung zu<br />

diesen Themen ist im neuen BMF-Schreiben 2012 darge-<br />

stellt. 25<br />

Das BMF-Schreiben 2012 ist eine Fortschreibung<br />

des BMF-Schreibens 2007, die allerdings in entscheidenden<br />

Teilen missglückt ist.<br />

IV. Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />

1. Aufteilungsregelung<br />

Ob der Gesetzeswortlaut eine vom bisherigen Recht abweichende<br />

Aufteilungsregel enthält, ist zweifelhaft. <strong>Die</strong><br />

Aufteilungsregel wird allerdings in der Gesetzesbegründung<br />

erwähnt. Im Bericht des Finanzausschusses heißt<br />

es: 26<br />

„<strong>Die</strong> bisherige Umqualifikationsklausel wird durch eine neue<br />

Aufteilungsklausel ersetzt. Danach werden nur insoweit keine<br />

Abkommensvorteile mehr gewährt, als die Bruttoerträge nicht aus<br />

eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und die übrigen Ausschlussgründe<br />

vorliegen. Wenn also z.B. die Verwertung von in<br />

Deutschland mit hohen, steuerlich abzugsfähigen Kosten entwickelten<br />

gewerblichen Schutzrechten von der deutschen Mutter auf<br />

eine (meist niedrig besteuerte) ausländische Tochter in einem<br />

DBA-Staat übertragen wird, wird die auf den Verwertungserlösen<br />

lastende deutsche Abzugssteuer nach den Vorschriften des betroffenen<br />

Doppelbesteuerungsabkommens bei Vorliegen einer der<br />

beiden anderen eine echte wirtschaftliche Tätigkeit ausschließende<br />

Gründe teilweise oder überhaupt nicht erstattet oder freigestellt<br />

werden. Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die ausländische<br />

Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher<br />

Tätigkeit erzielt.“<br />

Der Begriff der Aufteilungsklausel ist also in der Gesetzesbegründung<br />

angelegt, aber dort nicht weiter ausgeführt.<br />

Das genannte Beispiel hilft insbesondere im Hinblick auf<br />

Dividendenstrukturen nicht weiter, da hier keine Ausschüttung<br />

an eine ausländische Muttergesellschaft beschrieben<br />

wird, bei der sich die Frage stellen würde, inwieweit<br />

die Muttergesellschaft entlastungsberechtigt ist. Vielmehr<br />

beschreibt der Fall eine Vollrechtsübertragung an<br />

einem gewerblichen Schutzrecht auf eine ausländische<br />

Tochtergesellschaft, die künftig Lizenzgebühren von ihrer<br />

deutschen Muttergesellschaft erhält. In diesem Fall stellt<br />

sich die Frage nach der persönlichen Entlastungsberechtigung<br />

nicht, da die deutsche Muttergesellschaft unter dem<br />

DBA bzw. der Zins- und Lizenzrichtlinie nicht persönlich<br />

entlastungsberechtigt ist. Umgekehrt zeigt das Beispiel<br />

aber auch, dass es allein auf die sachliche Entlastungsberechtigung<br />

ankommt, wenn die ausländische Gesellschaft<br />

– hier: die im DBA-Staat ansässige Tochtergesellschaft –<br />

formell den Tatbestand des DBA (bzw. in EU-Fällen der<br />

Zins- und Lizenzrichtlinie und des § 50g EStG) erfüllt.<br />

Aber interessant ist das Beispiel in der Gesetzesbegründung<br />

vor allem deswegen, weil es unmissverständlich sagt:<br />

„Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die ausländische<br />

Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher<br />

Tätigkeit erzielt.“ Konsequenz daraus ist, dass ent-<br />

25 BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />

26 BT-Drucks. 17/7524 v. 26.10.2011, S. 17.


weder – bei Vorliegen der sachlichen Entlastungsberechtigung<br />

– die DBA-Entlastung für die Lizenzgebühren vollen<br />

Umfangs gewährt wird, oder anderenfalls die Entlastung<br />

vollen Umfangs versagt wird. Letztlich bedeutet die Aufteilungsklausel<br />

in der Lesart der Gesetzesbegründung,<br />

dass für jeden einzelnen Bruttoertrag individuell geprüft<br />

werden muss, ob die Entlastungsberechtigung vorliegt<br />

(dann volle Entlastung) oder eben nicht.<br />

Im BMF-Schreiben 2012 heißt es hingegen:<br />

„Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer unterliegende<br />

abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sich die Quellensteuer<br />

vorbehaltlich einer zusätzlichen persönlichen Entlastungsberechtigung<br />

im Verhältnis der unschädlichen Bruttoerträge<br />

zu den im Wirtschaftsjahr insgesamt erzielten Bruttoerträgen der<br />

ausländischen Gesellschaft („Aufteilungsklausel“). 27 (...)<br />

<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat insoweit einen Anspruch auf<br />

Steuerentlastung, als<br />

a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />

Personen (siehe Rz. 4 [des BMF-Schreibens]) beteiligt sind<br />

oder<br />

b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Einkünfte<br />

eine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt (unschädliche<br />

Erträge i.S.d. Rz. 1) oder<br />

c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG genannten<br />

Sonderfälle (siehe Rz. 9) 28 handelt. 29“<br />

In Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 setzt das BMF zum<br />

großen Wurf an und nennt ein Beispiel für die Anwendung<br />

des neuen Rechts bei Dividenden- und Lizenzeinnahmen<br />

einer ausländischen Muttergesellschaft von deutschen<br />

Tochtergesellschaften. <strong>Die</strong>ses Beispiel hat es in sich. Es<br />

war zunächst unverständlich und wurde nach wenigen Tagen<br />

in der Online-Fassung auf der Website des BMF geän-<br />

dert. 30<br />

Inhaltlich setzt es sich mit der – nachstehend noch<br />

zu erläuternden – Begrifflichkeit zur persönlichen und<br />

sachlichen Entlastungsberechtigung der ausländischen<br />

Gesellschaft auseinander. Es sagt – verkürzt – Folgendes:<br />

Auf Ebene der – formell abkommens- bzw. richtlinienberechtigten<br />

– ausländischen Gesellschaft ist zu prüfen, in<br />

welchem Umfang deren Bruttoerträge31 entweder (i) solche<br />

aus eigener Wirtschaftstätigkeit sind oder (ii) beachtliche<br />

Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />

bestehen und diese einen angemessenen Geschäftsbetrieb<br />

unterhält, der aktiv am Markt teilnimmt<br />

(sachliche Entlastungsberechtigung). Zunächst ist die<br />

Quote der solchermaßen „guten“ Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen<br />

zu ermitteln. Soweit diese Quote nicht<br />

100 % beträgt, ist durch die ausländische Gesellschaft hindurchzuschauen<br />

und derselbe Test bei den unmittelbaren<br />

und mittelbaren Gesellschaftern zu machen, indem die<br />

sachliche Entlastungsberechtigung der Gesellschafter (de<br />

facto bis zur letzten natürlichen Person, börsennotierten<br />

Gesellschaft oder Investmentgesellschaft) geprüft und mit<br />

der Möglichkeit der Gesellschafter, Abkommens- oder<br />

Richtlinienschutz in Anspruch zu nehmen (persönliche<br />

27 Rz. 2 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />

28 Gesellschaften mit börsengehandelten Aktien und Investmentgesellschaften.<br />

Auf diese wird im Folgenden nicht weiter eingegangen.<br />

29 Rz. 12 Abs. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5). Im Vergleich<br />

mit dem BMF-Schreiben 2007, aaO (Fn. 11), dort Rz. 13,<br />

fällt zunächst auf, dass im Einleitungshalbsatz das Wort „insoweit“<br />

eingefügt wurde.<br />

30 Dazu der Hinweis in IStR 2012, 234.<br />

31 Zum Begriffswirrwarr „Bruttoerträge“, „Erträge“ und „Einkünfte“<br />

s. Lüdicke, IStR 2012, 81 (82 f.).<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 379<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

Entlastungsberechtigung), „multipliziert“ wird. <strong>Die</strong>se Entlastungsberechtigungen<br />

„durch die Kette“ sind am Ende zu<br />

addieren, so dass sich für die ausländische Gesellschaft<br />

eine Gesamtquote für Ihre Entlastungsberechtigung ergibt.<br />

<strong>Die</strong>s lässt sich anhand des – hier stark vereinfacht und abgewandelt<br />

dargestellten – Sachverhalt, den das BMF in<br />

Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 zugrunde legt, wie folgt<br />

illustrieren:<br />

Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft<br />

A sind zu 30 % eine richtlinienberechtigte<br />

EU-Kapitalgesellschaft (B), zu 20 % eine Kapitalgesellschaft<br />

im DBA-Staat (C), die nach Art. 10<br />

OECD-MA eine Kapitalertragsteuerentlastung von<br />

15%inAnspruchnehmenkönnte,undzu50%eine<br />

deutsche <strong>GmbH</strong> (D) beteiligt. A wird als Gesellschaft<br />

anerkannt, ist aber nicht sachlich entlastungsberechtigt.<br />

B, C und D sind alle sachlich entlastungsberechtigt.<br />

A erzielt von einer deutschen Tochtergesellschaft eine<br />

Dividende i.H.v. 100.000 c.<br />

Lösung: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung gemäß<br />

§§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 9,5 %-Punkten zu gewähren<br />

und berechnet sich wie folgt:<br />

– Für A: 0 %, da keine sachliche Entlastungsberechtigung<br />

besteht;<br />

– für B: 30 % (Beteiligungsquote) x 100 % (volle Entlastung<br />

aufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von<br />

25 % (ohne SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;<br />

– für C: 20 % (Beteiligungsquote) x 40 % (Entlastung<br />

von 10 %-Punkten gegenüber dem nationalen Kapitalertragsteuersatz)<br />

von 25 %, d.h. 2 %-Punkte;<br />

– für D: 50 % (Beteiligungsquote) x 0 % (keine Entlastung,<br />

da deutsche Gesellschaft) von 25 %, d.h.<br />

0 %-Punkte.<br />

Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 15.500 c einzubehalten.<br />

Nicht neu an diesem Konzept ist das Prüfen der persönlichen<br />

Entlastungsberechtigung durch die Kette; diese Prüfung<br />

war schon nach altem Recht vorgesehen. 32 Das Konzept<br />

wird jedoch durch die Neuerung ergänzt – dies ist der<br />

Kern der sog. Aufteilungsregel –, dass für die persönlich<br />

entlastungsberechtigten Gesellschafter jeweils zu prüfen<br />

ist, welche Quote „guter“ Bruttoerträge, für die sachliche<br />

Entlastungsberechtigung besteht, auf deren Ebene zu ermitteln<br />

ist. Entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Gesetzesbegründung<br />

können nach Auffassung des BMF, wie<br />

sie in dem Beispiel der Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012<br />

zum Ausdruck kommt, Erträge, die eindeutig und vollständig<br />

z.B. aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit der ausländischen<br />

Gesellschaft erzielt werden, nicht zu 100 % als<br />

sachlich entlastungsberechtigt behandelt und – bei Vorlie-<br />

32 Rz. 13 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11): „Sind an der<br />

ausländischen Gesellschaft auch nicht entlastungsberechtigte<br />

Personen beteiligt [...] und erbringt sie den genannten Nachweis<br />

[der anerkannten Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen<br />

Gesellschaft, d.Verf.] nicht, ist zur Feststellung der Höhe<br />

des Steuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter gesondert<br />

zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wäre, wenn er<br />

die Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />

Der Steuerentlastungsanspruch der Gesellschaft ergibt<br />

sich aus der Summe der fiktiven Entlastungsansprüche der Gesellschafter,<br />

die unmittelbar an der antragstellenden Gesellschaft<br />

beteiligt sind.“


gen der persönlichen Entlastungsberechtigung – zu 100 %<br />

von der Abzugsteuer befreit werden, wenn die Gesellschaft<br />

und die hinter ihr stehenden Gesellschafter auch schädliche,<br />

d.h. nicht sachlich entlastungsberechtigte Erträge erzielen.<br />

Mit anderen Worten: Selbst wenn die ausländische<br />

Gesellschaft persönlich entlastungsberechtigt ist und die<br />

bezogene Dividende oder Lizenzgebühr eindeutig und vollständig<br />

dem sachlich „guten“ Bereich zuzurechnen ist, versagt<br />

die Finanzverwaltung die vollständige Entlastung,<br />

wenn die ausländische Gesellschaft bzw. ihre Gesellschafter<br />

darüber hinaus auch schädliche Erträge erzielen.<br />

Sachverhalt: wie zuvor. A erzielt allerdings Dividenden<br />

von mehreren deutschen Tochtergesellschaften.<br />

Nach Maßgabe des BMF-Schreibens erzielt A Dividenden<br />

i.H.v. 30.000 c, für die sachliche Entlastungsgründe<br />

vorliegen, und schädliche Dividenden i.H.v.<br />

70.000 c.<br />

Lösung: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung gemäß<br />

§§ 43b, 50d EStG ist für sämtliche Dividenden nach<br />

einem einheitlichen Entlastungssatz i.H.v. 14,15 %-<br />

Punkten zu gewähren, der sich wie folgt berechnet:<br />

– für die „guten“ Dividenden: 30 % (anteilige „gute“<br />

Erträge) x 100 % (volle „eigene“ Entlastung der A<br />

aufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von 25 % (ohne<br />

SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;<br />

– für die „schädlichen“ Dividenden: 70 % (anteilige<br />

„schädliche“ Erträge) x 9,5 % (abgeleitete Entlastung<br />

von B, C und D, wie im vorherigen Beispiel errechnet),<br />

d.h. 6,65 %-Punkte;<br />

Der Kapitalertragsteuersatz beträgt für sämtliche Dividenden<br />

10,85 %. Insgesamt ist von den Tochtergesellschaften<br />

Kapitalertragsteuer i.H.v. 10.850 c einzubehalten.<br />

2. Kritik<br />

<strong>Die</strong> Aufteilungsregel in der Lesart des BMF ist unionsrechts-<br />

und abkommenswidrig. <strong>Die</strong> Neuregelung muss<br />

sich ebenso an den unionsrechtlichen Grundfreiheiten<br />

(Niederlassungs-, Kapitalverkehrs- und <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit)<br />

33 und den genannten Richtlinien messen lassen<br />

wie an den Vorgaben der Doppelbesteuerungsabkommen.<br />

34 Es ist dies nicht der Platz, die unions- und abkommensrechtliche<br />

Schrankendogmatik im einzelnen auszubreiten,<br />

35 aber so viel sei hier gesagt: <strong>Die</strong> Kapitalverkehrsfreiheit<br />

i.S.d. Art. 63 Abs. 1 AEUV ist verletzt, wenn ihr<br />

Anwendungsbereich ohne Rechtfertigung beschränkt<br />

wird. 36 Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH37 ist bei einer beschränkenden (Missbrauchsvermeidungs-)-<br />

33 Art. 49, 63 Abs. 1 u. 56 AEUV.<br />

34 Vgl. Rz. 7 ff. OECD-MK zu OECD-MA.<br />

35 Schönfeld, IStR 2012, 215 ff.; s. auch Gosch in Kirchhof, EStG,<br />

10. Aufl. 2011, § 50d Rz. 26 f.<br />

36 <strong>Die</strong> Kapitalverkehrsfreiheit (s. hierzu und zum Folgenden v. Wilmowsky<br />

in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten,<br />

§ 12, Rz. 2 ff.) erfasst jegliche Begründung, Übertragung<br />

und Verlagerung von vermögenswerten Rechten. Folglich ist er<br />

berührt, wenn der Ertrag von Kapital einer Steuer unterworfen<br />

wird. Da Dividenden inländischer Tochtergesellschaften ausländischer<br />

Muttergesellschaften mit Kapitalertragsteuer belegt werden,<br />

weist § 50d Abs. 3 EStG auch den erforderlichen grenzüberschreitenden<br />

Bezug auf.<br />

37 Vgl. neben dem Grundsatzurteil des EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-<br />

196/04 – Cadbury-Schweppes, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm.<br />

Kleinert zuletzt EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

380 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

Maßnahme u.a. zu prüfen, ob diese nicht über das hinausgeht,<br />

was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erforderlich<br />

ist. 38 <strong>Die</strong> Doppelbesteuerungsabkommen lassen<br />

nur diesseits der Grenze zum Treaty Override eine beschränkende<br />

(Missbrauchsbekämpfungs-)Maßnahme zu,<br />

wenn diese darauf abzielt, die Vorteile eines DBA nicht zu<br />

gewähren, wenn ein Hauptzweck bestimmter Gestaltungen<br />

darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlangen<br />

und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen<br />

Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften<br />

widersprechen würde. 39 Der OECD-Musterkommentar<br />

schlägt z.B. folgende Formulierung für eine zulässige<br />

Beschränkung vor:<br />

„Eine in einem Vertragsstaat ansässige Person kann, selbst wenn<br />

sie keine berechtigte Person ist, die Vergünstigungen des Abkommens<br />

in Bezug auf Einkünfte aus dem anderen Staat beanspruchen,<br />

wenn sie im erstgenannten Staat eine aktive Geschäftstätigkeit<br />

ausübt (...), die Einkünfte aus dem anderen Staat im Zusammenhang<br />

mit oder anlässlich dieser Geschäftstätigkeit anfallen<br />

und die Person die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme<br />

dieser Vergünstigungen erfüllt.“ 40<br />

In diesem Sinne hatte sich der EuGH für die Grundfreiheiten<br />

bekanntlich bereits in der Rechtssache Cadbury-<br />

Schweppes klar positioniert:<br />

„Eine Beschränkung [...] (lässt sich) nur mit Gründen der Bekämpfung<br />

missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das<br />

spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen<br />

zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen<br />

Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten,<br />

der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten<br />

im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird. 41 (...)<br />

Der ansässigen Gesellschaft, die hierzu am ehesten in der Lage ist,<br />

ist die Gelegenheit zu geben, Beweise für die tatsächliche Ansiedlung<br />

der beherrschten ausländischen Gesellschaft und deren tatsächliche<br />

Betätigung vorzulegen.“ 42<br />

Während die Verhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseite<br />

in diesem Sinne eingehend zu prüfen ist, gibt es keine Beschränkung<br />

auf der Rechtsfolgenseite: Wenn die Beschränkung<br />

der Inanspruchnahme unions- oder abkommensrechtlicher<br />

Vorteile unzulässig ist, heißt dies im Umkehrschluss,<br />

dass diese auch zu gewähren sind, und zwar<br />

uneingeschränkt. 43<br />

Im Anwendungsbereich des Unionsrechts besteht beim<br />

Vollzug des nationalen Rechts die Verpflichtung zur<br />

Grid Indus BV, DStR 2011, 2334 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 232 (LS); dazu<br />

Prinz, <strong>GmbH</strong>R 2012, 195 ff.<br />

38 Vgl. u.a. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National Grid Indus<br />

BV, DStR 2011, 2334 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 232 (LS), Rz. 50, unter<br />

Hinweis auf EuGH v. 30.6.2011 – Rs. C-262/09 – Meilicke u.a.,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2011, 875 m. Komm. Rehm/Nagler, Rz. 42 und die dort<br />

angeführte Rechtsprechung (Prüfung der Verhältnismäßigkeit).<br />

39 Rz. 9.5 OECD-MK zu OECD-MA.<br />

40 S. das Beispiel in Rz. 20 OECD-MK zu OECD-MA, dort Nr. (3) a).<br />

41 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 55.<br />

42 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70.<br />

43 <strong>Die</strong>s gilt selbst dann, wenn die quotale Inanspruchnahme der<br />

Entlastung im konkreten Fall in der Summe zu demselben Ergebnis<br />

führen sollte wie die Alles-oder-Nichts-Regelung. Bei<br />

bestimmten Annahmen würde die Aufteilungsregel, bei der z.B.<br />

3/10tel der Entlastung auf alle, d.h. auch auf schädliche Erträge<br />

gewährt wird, zu dem gleichen Ergebnis führen wie die Allesoder-Nichts-Regel,<br />

bei der in 3/10tel der Fälle die volle Entlastung<br />

gewährt, sie indes in 7/10tel der Fälle versagt wird. <strong>Die</strong>ses<br />

Ergebnis wäre indes rein zufällig und von den Besonderheiten<br />

des Einzelfalles abhängig.


unionsrechtskonformen Interpretation. 44 Im Hinblick auf<br />

den – hier erneut vereinfacht und abgewandelt dargestellten<br />

– Sachverhalt, den das BMF in Rz. 12 des BMF-<br />

Schreibens 2012 zugrunde legt, bedeutet dies Folgendes:<br />

Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft<br />

A sind ausschließlich Personen beteiligt,<br />

die außerhalb der EU und nicht in einem DBA-<br />

Staat ansässig sind. A entfaltet eigene wirtschaftliche<br />

Tätigkeit, hat einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb,<br />

mit dem sie am Markt aktiv teilnimmt;<br />

sie ist insoweit sachlich entlastungsberechtigt. <strong>Die</strong>sem<br />

Bereich ihres Geschäfts, mit dem auch die 100 %-Beteiligung<br />

an einer deutschen <strong>GmbH</strong> in engem Funktionszusammenhang<br />

steht, sind 30 % der Bruttoerträge<br />

der A zuzurechnen. Daneben erzielt A 70 % ihrer Bruttoerträge<br />

aus schädlicher Tätigkeit.<br />

A erzielt von der deutschen Tochtergesellschaft eine<br />

Dividende i.H.v. 100.000 c.<br />

Lösung im Sinne des BMF: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung<br />

gemäß §§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 30 %<br />

zu gewähren, also 30 % von 25 % (ohne SolZ), d.h.<br />

7,5 %-Punkten. Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 17.500 c<br />

einzubehalten.<br />

Lösung im hier vertretenen Sinne: <strong>Die</strong> Entlastung<br />

von Kapitalertragsteuer ist vollen Umfangs zu gewähren.<br />

45 Kapitalertragsteuer ist nicht einzubehalten.<br />

M.E. lässt sich die hier vertretene Lösung mit dem Wortlaut<br />

des Gesetzes in Einklang bringen. Der Wortlaut („soweit“,<br />

„in Bezug auf“) bedeutet, dass die Prüfung des<br />

§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG für jeden Bruttoertrag, der grundsätzlich<br />

kapitalertragsteuerpflichtig und potentiell richtlinien-<br />

bzw. abkommensberechtigt ist, gesondert vorgenommenwerdenmuss.§50Abs.3EStGn.F.istindiesemSinne<br />

unionsrechts- und abkommenskonform auszulegen.<br />

Eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage ergibt<br />

sich insoweit nicht. Das BMF-Schreiben 2012 ist in<br />

seiner Lesart der Aufteilungsregel rechtswidrig; es muss<br />

überarbeitet werden, Rz. 12 ist aufzuheben.<br />

V. Entlastungsberechtigung<br />

<strong>Die</strong> tatbestandliche Anknüpfung der Entlastungsberechtigung<br />

ist danach zentral für die Anwendung der Vorschrift<br />

44 Zorn, IStR 2012, 86 ff. unter Hinweis auf Jarass/Beljin, JZ 2003,<br />

768 ff.; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches<br />

Recht, 3. Aufl. 2006, S. 91. <strong>Die</strong>s muss erst recht für Verwaltungsanweisungen<br />

gelten. Denn trotz fehlender Rechtssetzungskompetenz<br />

der Union für die Gestaltung direkter Steuern entfaltet<br />

das Unionsrecht – vermittelt über die Grundfreiheiten – Wirkung<br />

auf die nationalen Steuerrechtsordnungen. <strong>Die</strong> mit den<br />

Grundfreiheiten verbundenen Diskriminierungsverbote entfalten<br />

unmittelbare Wirkung. Folglich können sich Individuen gegenüber<br />

nationalen Behörden und Gerichten unmittelbar auf sie<br />

berufen. Verstößt eine Rechtsnorm gegen Grundfreiheiten, so ist<br />

sie stattdessen insoweit ipso iure unanwendbar (vgl. Oppermann,<br />

Europarecht, § 17, Rz. 9, m.w.N.). Begründet wird dies<br />

im Wesentlichen mit dem in Art. 4 Abs. 3 UA 3 EUV niedergelegten<br />

Gebot unionstreuen Verhaltens der Mitgliedsstaaten (effet<br />

utile, vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 1: Grundfreiheiten,<br />

Rz. 84). Entsprechende Urteile des EuGH wirken grundsätzlich<br />

ex tunc (Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 287<br />

m.w.N.).<br />

45 N.B. Sie wäre indes vollen Umfangs zu versagen, wenn in Bezug<br />

auf den konkreten Bruttoertrag der Missbrauchseinwand greifen<br />

würde.<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 381<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

des § 50d Abs. 3 EStG. 46 <strong>Die</strong>s gilt auch vor dem Hintergrund,<br />

dass der ausländischen Gesellschaft die Feststellungslast<br />

für das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale<br />

obliegen soll. 47<br />

Das BMF-Schreiben 2012 gibt zunächst einen allgemeinen<br />

Überblick über das Konzept der Einschränkung der<br />

Entlastungsberechtigung, die nach §§ 43b, 50g EStG oder<br />

einem DBA bestehen würde. Der Entlastungsanspruch ist<br />

danach tatbestandlich beschränkt,<br />

– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen<br />

die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die<br />

Einkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlastungsberechtigung),<br />

und<br />

– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3<br />

S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nicht<br />

vorliegen (schädliche Erträge).“ 48<br />

Sodann unternimmt das BMF den Versuch, die Begriffe<br />

der persönlichen und sachlichen Entlastungsberechtigung<br />

zu definieren. 49<br />

1. Begriff der „persönlichen“ Entlastungsberechtigung<br />

In Rz. 4 des BMF-Schreibens 2012 wird das schon bisher<br />

geltende Merkmal der formellen Entlastungsberechtigung,<br />

das nach der Berechtigung „nach dem Buchstaben<br />

des Gesetzes“ fragte, wenn entsprechende Substanz der<br />

ausländischen Gesellschaft vorlag, zu einer sog. persönlichen<br />

Entlastungsberechtigung ausgebaut. Schon bislang<br />

hatte<br />

„eine ausländische Gesellschaft keinen Entlastungsanspruch nach<br />

§§ 43b oder 50g EStG oder nach einem DBA, wenn [keine sachlichen<br />

Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />

vorlagen50] und soweit Personen an ihr beteiligt sind,<br />

denen eine Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie<br />

die Einkünfte unmittelbar erzielten (Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung<br />

des Gesellschafters). <strong>Die</strong> Entlastungsberechtigung<br />

ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut („soweit“) für<br />

jeden Gesellschafter gesondert zu prüfen.“ 51<br />

Im Ergebnis bedeutete dies schlicht, dass dann, wenn auf<br />

Ebene der unmittelbar beteiligten, formell entlastungsberechtigten<br />

Gesellschaft keine sachlichen Gründe für deren<br />

Zwischenschaltung bestanden, durch diese hindurchzuschauen<br />

war mit dem Ziel der Prüfung, ob hinter ihr ggf.<br />

formell entlastungsberechtigte Personen52 standen, die<br />

auch die sachlichen Voraussetzungen erfüllten.<br />

46 Insgesamt ist der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG missglückt,<br />

da es versäumt wurde, den Tatbestand klar zu konzipieren<br />

(dies zeigt sehr schön die Gegenüberstellung bei Engers/<br />

Dyckmans, Ubg 2011, 929 [930]) und sprachlich entsprechend<br />

neuzufassen.<br />

47 Vgl. § 50 Abs. 3 S. 4 EStG; Rz. 13 des BMF-Schreibens 2012,<br />

aaO (Fn. 5).<br />

48 Rz. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5); Hervorhebungen<br />

im Original.<br />

49 <strong>Die</strong>ser im Grundsatz begrüßenswerte Ansatz erscheint allerdings<br />

insoweit missglückt, als sich das BMF im weiteren Verlauf<br />

des Schreibens nicht durchgehend an die selbst vorgegebene<br />

Diktion hält; darauf wird noch zurückzukommen sein.<br />

50 Kursorische Zusammenfassung des Original-Wortlauts, der<br />

Verf.<br />

51 Rz. 4 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />

52 Also nicht Personen, die sich bereits dem Wortlaut nach nicht auf<br />

den Tatbestand eines Entlastung gewährenden Gesetzes stützen<br />

konnten. Zu diesen zählten schon bislang inländische Gesellschafter<br />

(vgl. Rz. 4 Abs. 1 a.E. BMF-Schreiben 2007, aaO


Letztlich hat sich durch die Neufassung des Gesetzes hieran<br />

nichts geändert. „Persönliche“ Entlastungsberechtigung<br />

i.S.d. BMF-Schreibens 2012 meint augenscheinlich<br />

nichts anderes als Entlastungsberechtigung „nach dem<br />

Buchstaben des Gesetzes“ (hier wird weiter von „formeller“<br />

Entlastungsberechtigung gesprochen), wie sie ohne<br />

weiteres dem BMF-Schreiben 2007 als Konzept der Entlastungsberechtigung<br />

zugrunde lag.<br />

Völlig unbedenklich ist die Neuschöpfung des Begriffs der<br />

„persönlichen“ Entlastungsberechtigung indes nicht.<br />

Schon die Definition der persönlichen Entlastungsberechtigung<br />

in Rz. 1 des BMF Schreibens 2012 verwirrt, da hier<br />

gerade der zum Ausschluss von der Entlastung führende<br />

Fall der fehlenden persönliche Entlastungsberechtigung<br />

vorliegt. Sind nämlich Personen an der Gesellschaft beteiligt,<br />

denen die Steuerentlastung nicht zustünde, wenn sie<br />

die Einkünfte unmittelbar erzielten, liegt die persönliche<br />

Entlastungsberechtigung gerade nicht vor. Offensichtlich<br />

zielt die Bestimmung darauf ab, die Entlastung davon abhängig<br />

zu machen, dass die formell entlastungsberechtigte<br />

ausländische Gesellschaft, die einen sachlichen Entlastungsgrund<br />

nicht selbst vorweisen kann, jedenfalls insoweit<br />

entlastungsberechtigt sein soll, als hinter der Gesellschaft<br />

Personen stehen, denen eine Steuerentlastung sowohl<br />

formell als auch sachlich zustünde, wenn sie die Einkünfte<br />

unmittelbar erzielten. Daher ist es ein Fehler, wenn<br />

die – neue – Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 davon<br />

spricht, dass eine ausländische Gesellschaft „insoweit<br />

einen Anspruch auf Steuerentlastung [hat], als an ihr unmittelbar<br />

oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />

Personen beteiligt sind (...)“. <strong>Die</strong> nur formelle Entlastungsberechtigung<br />

des direkt beteiligten mittelbaren Gesellschafters,<br />

bei dem also nicht zugleich sachliche Entlastungsberechtigung<br />

vorliegen, ist gerade nicht ausreichend,<br />

der ausländischen Gesellschaft einen Anspruch auf Steuerentlastung<br />

zu geben, wenn diese selber nur formell, nicht<br />

aber sachlich entlastungsberechtigt ist. Auf Ebene eines<br />

mittelbaren Gesellschafters müssen beide Tatbestandsmerkmale<br />

zugleich erfüllt sein. 53<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass das BMF in der Sache<br />

(wohl) nichts Neues sagen möchte. Persönliche Entlastungsberechtigung<br />

ist nichts anderes als „formelle“ Entlastungsberechtigung<br />

„nach dem Buchstaben des Gesetzes“.<br />

<strong>Die</strong> neue Terminologie sollte im BMF-Schreiben stringent<br />

verwendet werden.<br />

2. Begriff der „sachlichen“ Entlastungsberechtigung<br />

a) Übersicht<br />

Der Gesetzeswortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. zur<br />

sachlichen Entlastungsberechtigung ist missglückt; die<br />

Vorschrift formuliert negativ („Eine ausländische Gesellschaft<br />

hat keinen Anspruch auf Entlastung, wenn (...)“). Insoweit<br />

ist es zunächst zu begrüßen, dass das BMF erkennbar<br />

darum bemüht ist, im BMF-Schreiben 2012 die Anspruchsvoraussetzungen<br />

der sachlichen Entlastungsberechtigung<br />

positiv zu formulieren. <strong>Die</strong> Nummerierung gesetzlichen<br />

des Tatbestands ist indes verwirrend, und das<br />

BMF-Schreiben sorgt hier nicht für die wünschenswerte<br />

Klarheit.<br />

[Fn. 11]). Ebenso nunmehr Rz. 4.1 BMF-Schreiben 2012, aaO<br />

(Fn. 5).<br />

53 Zudem darf die Kette nicht durch einen persönlich nicht entlastungsberechtigten<br />

Gesellschafter unterbrochen sein.<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

382 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. beschreibt, positiv formuliert,<br />

zwei alternative sachliche Entlastungstatbestände: 54 Entweder<br />

(1) werden die fraglichen Bruttoerträge aus eigener wirtschaftlicher<br />

Tätigkeit erzielt, oder<br />

(2) in Bezug auf die Erträge, die nicht aus eigener wirtschaftlicher<br />

Tätigkeit stammen, bestehen<br />

– wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die<br />

Einschaltung der ausländischen Gesellschaft und<br />

– die ausländische Gesellschaft nimmt am allgemeinen<br />

Verkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen<br />

eingerichteten Geschäftsbetrieb teil.<br />

Wenn einer der beiden Tatbestände gegeben ist, liegt die<br />

sachliche Entlastungsberechtigung vor. Es wäre wünschenswert,<br />

dass das BMF die Konzeption des Tatbestands<br />

in einer Neufassung des BMF-Schreibens 2012 in dieser<br />

Form abbildet.<br />

b) Eigene Wirtschaftstätigkeit<br />

Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht nach Rz. 5<br />

des BMF-Schreibens 2012, soweit die Bruttoerträge aus<br />

eigener Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft<br />

stammen. Im Anschluss an die Cadbury-Schweppes<br />

Entscheidung des EuGH55 setzt „eigene Wirtschaftstätigkeit“<br />

eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende<br />

Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen<br />

Verkehr voraus („wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“).<br />

<strong>Die</strong> Zwischenschaltung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat<br />

ansässigen Gesellschaft ist nur dann gerechtfertigt,<br />

wenn die Gesellschaft am dortigen Marktgeschehen<br />

im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv,<br />

ständig und nachhaltig teilnimmt. Eine Beteiligung am allgemeinen<br />

wirtschaftlichen Verkehr liegt auch vor, wenn<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen gegenüber einer oder mehreren Konzerngesellschaften<br />

erbracht werden. Voraussetzung ist, dass die<br />

Leistungen gegen gesondertes Entgelt erbracht werden<br />

und wie gegenüber fremden Dritten abgerechnet werden.<br />

Zu den aktiven Einkünften zählen auch die Bruttoerträge<br />

einer Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />

derselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktionalen<br />

Zusammenhang stehen sowie Zinserträge einer Gesellschaft,<br />

die diese aus der verzinslichen Anlage eigener entlastungsberechtigter<br />

Gewinne erzielt. Bruttoerträge sind<br />

solche i.S.d. § 9 AStG.<br />

Dividenden und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzgebühren)<br />

von sog. geleiteten Gesellschaften zählen zu den<br />

Bruttoerträgen des Bereichs der eigenen Wirtschaftstätigkeit.<br />

Damit greift das BMF das bereits im BMF-Schreiben<br />

2007 enthaltene Privileg für aktive Beteiligungsverwaltung<br />

auf. 56 Es wird insofern auf oben I. verwiesen.<br />

54 So auch Klein, Tagungsbeitrag Hamburger Forum für Unternehmensteuerrecht,<br />

16.2.2012, abrufbar unter www.forum-unterneh<br />

mensteuerrecht.de; Lüdicke, IStR 2012, 81 (82).<br />

55 S. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 68.<br />

56 Rz. 5.2 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5), Rz. 6.2 f. des<br />

BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), jeweils unter Hinweis auf<br />

BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339 (341); s.<br />

bereits oben unter II.


c) Beachtliche Gründe und Teilnahme am<br />

allgemeinen Verkehr<br />

Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht auch dann,<br />

wenn die mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />

ausgestattete ausländische Gesellschaft am allgemeinen<br />

Verkehr teilnimmt und für deren Einschaltung<br />

wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen<br />

(dazu Rz. 6 ff. des BMF-Schreibens 2012). Dabei ist ausschließlich<br />

auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft<br />

und nicht auf den Konzernverbund abzustellen.<br />

<strong>Die</strong> anzuerkennenden wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen<br />

Gründe lässt das BMF bewusst vage. Im Sinne eines<br />

Regelbeispiels wird lediglich gesagt, dass die geplante und<br />

durch entsprechende Aktivitäten nachgewiesene Aufnahme<br />

einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Rz. 5 des<br />

BMF-Schreibens 2012 einen wirtschaftlichen Grund darstelle.<br />

Rechtliche Gründe können als sonst beachtliche<br />

Gründe in Betracht kommen. Negativ wird – viel zu weit<br />

gehend – formuliert, dass Umstände, die sich aus den Verhältnissen<br />

des Konzernverbunds ergeben (wie z.B. Gründe<br />

der Koordination, Organisation, Aufbau der Kundenbeziehung,<br />

Kosten, örtliche Präferenzen, gesamtunternehmerische<br />

Konzeption), keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen<br />

Gründe in diesem Sinne darstellen. Aus unionsrechtlicher<br />

Sicht geht es letztlich nur um die Frage, ob für<br />

die Errichtung der Gesellschaft Gründe bestehen, nicht jedoch<br />

um die Frage, ob es Gründe gibt, die Gesellschaft an<br />

einem bestimmten Ort (innerhalb der Europäischen Union)<br />

zu errichten. Es kann daher auch im Anwendungsbereich<br />

des neuen Rechts davon ausgegangen werden, dass örtliche<br />

Präferenzen als hinreichende Gründe anzuerkennen<br />

sind, wenn sie sich z.B. aus Folgendem ergeben:<br />

– Funktionstüchtigkeit von Marktplätzen (z.B. bestimmter<br />

Börsen),<br />

– Gesellschafter- und Finanzierungsstruktur,<br />

– Anforderungen von Banken (z.B. Sicherheitenstruktur,<br />

Trennung von Vermögenssphären, strukturelle Subordinierung)<br />

und anderen Geschäftspartnern (z.B. bei der<br />

Errichtung von Joint Ventures),<br />

– vorzugswürdige rechtliche Rahmenbedingungen (z.B.<br />

Gesellschafts-, Insolvenz- oder Arbeitsrecht) oder<br />

– Mitarbeiterbeteiligung, etc.<br />

<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat<br />

über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten<br />

Geschäftsbetrieb verfügen, 57 d.h. ein „greifbares<br />

Vorhandensein“ muss nachweisbar sein. 58 Hier geht es also<br />

um Substanz im engeren Sinne. Indizien dafür liegen nach<br />

Auffassung des BMF vor, wenn<br />

– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit<br />

ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal<br />

beschäftigt,<br />

– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation verfügt,<br />

um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich<br />

und selbstständig zu erfüllen, und<br />

57 Qualifiziertes Personal, Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel,<br />

BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II<br />

2002, 819 (822) = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m. Komm. Roser.<br />

58 Unter Hinweis auf EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert.<br />

Dr. Götz Tobias Wiese<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 383<br />

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />

– die Geschäfte zwischen nahestehenden Personen<br />

i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich standhalten.<br />

<strong>Die</strong> Substanzanforderungen können dabei nicht darüber<br />

hinausgehen, was im Hinblick auf den anzuerkennenden<br />

wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund von der<br />

Gesellschaft verlangt werden kann. 59 Letztlich kann auch<br />

hier nicht mehr verlangt werden als bei einer in Deutschland<br />

ansässigen Person, die aus demselben Grund errichtet<br />

worden wäre und ihren Zweck mit einer ausreichenden<br />

Ausstattung verfolgen könnte.<br />

VI. Freistellungsantrag<br />

Fraglich ist, welche Auswirkungen die Neufassung des<br />

§ 50d Abs. 3 EStG n.F. auf bestehende, d.h. nach altem<br />

Recht erteilte, und auf neue Freistellungsbescheinigungen<br />

hat.<br />

Das BMF-Schreiben 201260 sagt zunächst, dass Freistellungsbescheinigungen<br />

– wie bereits nach altem Recht –<br />

grundsätzlich unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen sind.<br />

Neben den Pflichten zur Berichtigung von Erklärungen<br />

(vgl. § 153 AO) besteht auch die Verpflichtung der ausländischen<br />

Gesellschaft, den Wegfall der Voraussetzungen für<br />

die Freistellung im allgemeinen und den Wegfall der Entlastungsberechtigung<br />

i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG im besonderen<br />

dem Bundeszentralamt für Steuern unverzüglich<br />

mitzuteilen. Letzteres gilt – im Rahmen der vom BMF vertretenen<br />

Aufteilungsregel – nicht (de-minimis-Regelung),<br />

wenn sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheinigung<br />

zugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />

Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträgen<br />

um weniger als 30 %-Punkte verringert oder sich ein<br />

Gesellschafteranteil (bei unmittelbarer oder mittelbarer<br />

Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkte ändert. In den<br />

Fällen, in denen nach der de-minimis-Regelung keine Mitteilungspflicht<br />

besteht, kann eine Neuberechnung des prozentualen<br />

Anteils der entlastungsberechtigten Erträge unterbleiben.<br />

Für die Ermittlung der maßgeblichen Bruttoerträge<br />

aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit ist der Jahresabschluss<br />

des betreffenden Wirtschaftsjahres maßgeblich. Im<br />

Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist dies das<br />

Jahr der Antragstellung. Sollte der Jahresabschluss noch<br />

nicht vorliegen (dies dürfte stets der Fall sein, wenn das<br />

Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht), ist auf die<br />

Verhältnisse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzustellen.<br />

<strong>Die</strong> Verwaltungspraxis des Bundeszentralamts bleibt hier<br />

abzuwarten. Man kann aber davon ausgehen, dass eine<br />

Freistellungsbescheinigung weiterhin für mehrere Jahre<br />

erteilt werden soll61 und die de-minimis-Regelungen darauf<br />

abzielen, dies gerade zu ermöglichen. Bedenken, dass<br />

die Aufteilungsregel des BMF gleichwohl bei volatilen Ertragsentwicklungen<br />

die Freistellungsbescheinigungen<br />

kaum handhabbar macht, sind zwar begründet. Sie fallen<br />

indes weg, wenn das Gesetz in unionsrechtlich zutreffender<br />

Weise angewandt wird. <strong>Die</strong> de-minimis-Regelung ist in<br />

Bezug auf die sachliche Entlastungsberechtigung ebenso<br />

59 Dazu der Tagungsbericht von Lay/Sommer zum 2. Hamburger<br />

Forum für Unternehmensteuerrecht am 16.2.2012, FR 2012,<br />

300 ff., wo diese Frage intensiv diskutiert wurde.<br />

60 Rz. 14 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />

61 „(...) mindestens ein Jahr und darf drei Jahre nicht überschreiten“<br />

(§50dAbs.2S.4Halbs.2EStG).


<strong>GmbH</strong>-International<br />

384 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

rechtswidrig wie die ihr zu Grunde liegende Aufteilungsregel<br />

selbst, und sie ist daher zu streichen. 62<br />

VII. Anwendungsvorschrift<br />

Schließlich ist noch auf die Übergangsregelung zur erstmaligen<br />

Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG n.F. einzugehen.<br />

Das neue Recht ist erstmals ab dem 1.1.2012 anwendbar.<br />

63<br />

Das BMF bietet den Steuerpflichtigen an, § 50d Abs. 3<br />

EStG auch auf alle Steuerbescheide und Freistellungsbescheinigungen<br />

anzuwenden, die noch nicht bestandskräftig<br />

sind und die Neuregelungen zu einer günstigeren Entlastungsberechtigung<br />

führen. Hier ist Vorsicht geboten: Da<br />

§50dAbs.3EStGi.d.F.JStG2007offensichtlichunionsrechtswidrig<br />

war, ging die alte Vorschrift ins Leere. Entlastung<br />

nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStG war unterhalb der<br />

Schwelle des § 42 AO, für den es dann auch keine Sperrwirkung<br />

gegeben haben dürfte, grundsätzlich ohne weiteres<br />

zu gewähren. 64<br />

VIII. Zusammenfassung<br />

Der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. ist misslungen.<br />

Weite Teile des BMF-Schreibens 2012, namentlich<br />

die sog. „Aufteilungsregel“, lassen sich mit unionsrechtlichen<br />

Vorgaben nicht in Deckung bringen. Allerdings besteht<br />

die Möglichkeit, § 50d Abs. 3 EStG n.F. in Übereinstimmung<br />

mit den Vorgaben des Unionsrechts und auch<br />

der Doppelbesteuerungsabkommen auszulegen. Das<br />

BMF-Schreiben 2012 muss vor diesem Hintergrund geändert<br />

werden.<br />

62 In Bezug auf die Änderung von Gesellschafteranteilen (bei unmittelbarer<br />

oder mittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-<br />

Punkte stellt die de minimis Regel indes eine Vereinfachung dar.<br />

63 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG (Fn. 4).<br />

64 Zum Verhältnis der – insoweit nicht grundlegend anders gearteten<br />

– Vorläufervorschrift des § 50d Abs. 1a EStG i.d.F. StMBG<br />

zu § 42 AO BFH v. 31.3.2005 – I R 77, 88/04, BStBl. II 2006,<br />

118 m. Anm. Jacob/Klein, IStR 2005, 711. Nunmehr allerdings<br />

§ 42 Abs. 1 S. 2 AO. Das BMF vertritt in Rz. 11 des BMF-<br />

Schreibens 2012, aaO (Fn. 5) die Auffassung, dass § 42 AO anwendbar<br />

bleibt, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des<br />

§ 50d Abs. 3 EStG n.F. nicht eingreifen. Zur Normenkonkurrenz<br />

allg. Koenig in Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rz. 6.<br />

<strong>GmbH</strong>-International<br />

Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel *<br />

<strong>Die</strong>OrganederGesellschaftmit<br />

beschränkter Haftung im chinesischen Recht<br />

– Eine rechtsvergleichende Analyse –<br />

Der Beitrag widmet sich der inneren Struktur der chinesischen<br />

Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Zuge<br />

dessen werden die einzelnen Gesellschaftsorgane und<br />

ihre jeweiligen Kompetenzen vorgestellt und rechtsver-<br />

*Dr.Florian Kessler, LL.M. ist General Manager der Deutschen<br />

Auslandshandelskammer in Peking sowie Gastprofessor an der<br />

Chinesischen Universität für Politik und Recht; Max Thümmel<br />

ist Rechtsreferendar am LG Köln und Doktorand bei Frau Prof.<br />

Dr. Barbara Dauner-Lieb (Universität zu Köln).<br />

gleichend mit Blick auf die Rechtslage im deutschen<br />

Gesellschaftsrecht analysiert. <strong>Die</strong> Verfasser kommen zu<br />

dem Ergebnis, dass beide Gesellschaftsrechtsordnungen<br />

im Wesentlichen gleiche Strukturen enthalten, in einigen<br />

Punkten jedoch signifikant voneinander abweichen.<br />

Hierzu gehören insbesondere die Zweiteilung der<br />

Geschäftsführung in Geschäftsführer und Vorstand, die<br />

Begrenzung der Gesellschafterzahl und die stets obligatorische<br />

Einrichtung eines Aufsichtsorgans im chinesischen<br />

Recht. Der Betrag beleuchtet diese Unterschiede<br />

und analysiert die Beweggründe hierfür.<br />

I. Einleitung<br />

Der <strong>GmbH</strong> (youxian gongsi) kommt im chinesischen Wirtschaftsleben,<br />

ähnlich wie in Deutschland eine herausragende<br />

Bedeutung zu. 1 <strong>Die</strong>s gilt sowohl für inländische als<br />

auch für ausländische Unternehmen. Ausländischen Investitionen<br />

stehen zur wirtschaftlichen Betätigung – neben<br />

der neu eingeführten FIPE (Foreign Invested Partnership<br />

Enterprise) und in engeren Grenzen den Repräsentanzbüros<br />

– insbesondere die drei Gesellschaftsformen der Contractual<br />

Joint Ventures, Equity Joint Ventures und Wholly<br />

Foreign Owned Enterprises zur Verfügung, wobei die letzten<br />

beiden zwingend als <strong>GmbH</strong> organisiert sein müssen. 2<br />

Contractual Joint Ventures können zwar auch als Unternehmen<br />

ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Rahmen<br />

eines Projekts gegründet werden; 3 in der Praxis üblich ist<br />

allerdings ebenfalls die Rechtsform der chinesischen<br />

<strong>GmbH</strong>. 4 Soweit in den spezialgesetzlichen Regelwerken<br />

keine Sondervorschriften bestehen, unterliegen Gesellschaften<br />

mit ausländischer Beteiligung wie einheimische<br />

Gesellschaften auch dem allgemeinen chinesischen<br />

<strong>GmbH</strong>-Recht, welches im Gesellschaftsgesetz der VR China<br />

(im Folgenden „GesG“) kodifiziert ist. 5 Das GesG ist<br />

zwar erst 1994 in Kraft getreten, die <strong>GmbH</strong> jedoch bereits<br />

seit Anfang des 20. Jahrhunderts in China bekannt.<br />

II. <strong>Die</strong> Gesellschaftsorgane im Einzelnen<br />

1. Gesellschafterversammlung<br />

a) Rechtslage in China<br />

Hinsichtlich der Stellung der Gesellschafterversammlung<br />

im Gefüge der <strong>GmbH</strong> spricht das chinesische Recht in § 37<br />

Abs. 1 S. 2 GesG eine klare Sprache. Danach ist dieses<br />

Gremium „das Machtorgan der Gesellschaft.“ Eine Ausnahme<br />

hierzu besteht bei Equity und Contractual Joint<br />

Ventures mit Beteiligung ausländischer Investoren. Für<br />

diese Rechtsformen ist gesetzlich ausdrücklich festgelegt,<br />

dass der Vorstand das oberste Gesellschaftsorgan mit den<br />

umfassendsten Entscheidungsbefugnissen ist. 6 In § 38<br />

Abs. 1 GesG sind – vergleichbar der Regelung des § 46 im<br />

1 Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht in China, 2011, S. 1.<br />

2 Dickinson/Vietz, <strong>GmbH</strong>R 2006, 245 (248 f.).<br />

3 Vgl. Art. 2 Law of the People’s Republic of China on Chinese-<br />

Foreign Contractual Joint Ventures.<br />

4 Zu ausländisch investierten <strong>GmbH</strong>s in China näher Peters,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 361 ff.<br />

5 Gesellschaftsgesetz der VR China v. 29.12.1993, i.d.F. v.<br />

1.1.2006; zur deutschen Übersetzung s. ZChinR 2006, 290 ff.<br />

6 Vgl. Art. 12 Law of the People’s Republic of China on Chinese-<br />

Foreign Contractual Joint Ventures v. 13.4.1988 i.d.F. v.<br />

31.10.2000, Art. 30 der Regulations for the Implementation of<br />

the Law of the People’s Republic of China on Joint Ventures<br />

Using Chinese and Foreign Investment v. 20.9.1983 i.d.F. v.<br />

22.7.2001 sowie Art. 6 Law of the People’s Republic of China on


<strong>GmbH</strong>-International<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 385<br />

deutschen <strong>GmbH</strong>-Gesetz – die „Amtsbefugnisse“ der Gesellschafterversammlung<br />

einzeln aufgezählt, ohne abschließenden<br />

Charakter zu haben. <strong>Die</strong> Gesellschafterversammlung<br />

beschließt danach über die geschäftliche Ausrichtung<br />

der Gesellschaft und wählt diejenigen Vorstandsund<br />

Aufsichtsratsmitglieder, die nicht gemäß § 52 Abs. 2<br />

GesG von den Arbeitnehmern als deren Vertreter bestellt<br />

wurden. <strong>Die</strong> Satzung kann weitere Zuständigkeiten der<br />

Gesellschafterversammlung festschreiben. Tagesgeschäfte<br />

gehören indes nicht zu ihren Amtsbefugnissen. 7 Der Gesellschafterkreis<br />

ist von Gesetzes wegen auf 50 Gesellschafter<br />

beschränkt (s. § 24 GesG). Ausnahmen hiervon<br />

sind im Gesetz nicht zugelassen.<br />

b) Rechtsvergleich<br />

Bei einem Vergleich der Stellung dieses Gesellschaftsorgans<br />

mit dem deutschen <strong>GmbH</strong>-Recht fallen zunächst die<br />

Gemeinsamkeiten auf: Beide erheben die Gesellschafterversammlung<br />

zum zentralen Willensbildungsorgan der<br />

<strong>GmbH</strong>. Sie bestimmt die grundlegende wirtschaftliche<br />

Ausrichtung und die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft.<br />

Zudem überwacht die Gesellschafterversammlung<br />

die Geschäftsleitung und ist auch berechtigt, ihr entsprechende<br />

Weisungen zu erteilen. Sowohl der chinesische als<br />

auch der deutsche Gesetzgeber schreiben der Versammlung<br />

eine Vielzahl von Befugnissen ausdrücklich im Wege<br />

der Enumeration zu; allerdings kann die Gesellschafterversammlung<br />

weitere Kompetenzen durch Satzungsbeschluss<br />

an sich ziehen. 8 Auch ist in beiden Rechtsordnungen die<br />

Gesellschafterversammlung von der Außenvertretung der<br />

Gesellschaft ausgeschlossen und auf die interne Willensbildung<br />

beschränkt. Insgesamt kann man somit festhalten,<br />

dass bei der Gesellschafterversammlung sehr große Gemeinsamkeiten<br />

zwischen der chinesischen und deutschen<br />

<strong>GmbH</strong> bestehen. Ein evidenter Unterschied zwischen den<br />

beiden Rechtsordnungen sind die Beschränkungen hinsichtlich<br />

der möglichen Anzahl von Gesellschaftern im<br />

chinesischen Recht. <strong>Die</strong> Grenze von 50 Gesellschaftern in<br />

China bewirkt dabei einerseits eine klare Trennung und<br />

Funktionsaufteilung zwischen der AG und der <strong>GmbH</strong>. Andererseits<br />

kann eine solch starre Grenze Unternehmen in<br />

ihrem wirtschaftlichen Handeln behindern und bei einem<br />

entsprechenden Wachstum zum Rechtsformwechsel in die<br />

AG oder zu umständlichen Umgehungskonstruktionen<br />

zwingen. 9<br />

2. Geschäftsführung<br />

a) Rechtslage in China<br />

aa) Vorstand<br />

Gesetzlich zwingend vorgesehenes Geschäftsführungsorgan<br />

der chinesischen <strong>GmbH</strong> ist nach § 45 Abs. 1 GesG nur<br />

der Vorstand. <strong>Die</strong>ser leitet die Geschäfte der Gesellschaft.<br />

Chinese-Foreign Equity Joint Ventures v. 1.7.1979 i.d.F. v.<br />

15.3.2001.<br />

7 Towfigh/Yang in Shao/Drewes, 2001, S. 99.<br />

8 Vgl. zur Rechtslage im deutschen Recht näher Zöllner in Baumbach/Hueck,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 89.<br />

9 Sinn der Begrenzung der Gesellschafteranzahl ist es zu verhindern,<br />

dass Gesellschaften zur betrügerischen Ansammlung von<br />

Kapital missbraucht werden. In der Vergangenheit wurden Gesellschaftsgründungen<br />

zum Teil gezielt dazu genutzt, um von<br />

Privatleuten Geld in Form der Gesellschaftereinlage zu sammeln,<br />

ihnen einen wertlosen <strong>GmbH</strong>-Anteil zu verkaufen und anschließend<br />

die Insolvenz der Gesellschaft anzumelden.<br />

Dem Vorstandsvorsitzenden steht dabei nicht zwingend<br />

die gesetzliche Vertretung der Gesellschaft qua Organstellung<br />

zu. Gemäß § 13 GesG kann in der Satzung auch eine<br />

andere dort aufgeführte Person, z.B. der geschäftsführende<br />

Vorsteher oder ein Geschäftsführer, anstelle des Vorstandsvorsitzenden<br />

als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft<br />

vorgesehen werden.<br />

Der Vorstand muss grundsätzlich zwischen drei und 13<br />

Mitglieder umfassen. Allerdings kann gemäß § 51 Abs. 1<br />

GesG eine <strong>GmbH</strong> mit verhältnismäßig wenig Gesellschaftern<br />

oder verhältnismäßig kleinem Umfang statt eines Vorstands<br />

auch einen sog. geschäftsführenden Vorsteher bestellen.<br />

Anerkannte Kriterien, wann der Geschäftsumfang<br />

bzw. die Anzahl der Gesellschafter einer <strong>GmbH</strong> „relativ<br />

klein“ ist, existieren bislang allerdings nicht. Auch das<br />

GesG enthält keine Vorgaben hierzu, so dass insoweit<br />

Rechtsunsicherheit besteht. 10 Der geschäftsführende Vorsteher<br />

kann gemäß § 51 Abs. 1 GesG gleichzeitig Geschäftsführer<br />

der Gesellschaft sein. <strong>Die</strong> Amtsbefugnisse<br />

des geschäftsführenden Vorstehers werden dann von der<br />

Gesellschaftssatzung bestimmt. <strong>Die</strong> Amtsbefugnisse des<br />

Vorstands sind nach § 47 GesG die Bestimmung der<br />

Grundsätze für die Leitung der Gesellschaft, die Einberufung<br />

der Gesellschafterversammlung, die Ausführung der<br />

Beschlüsse der Gesellschaftsversammlung, die Bestellung<br />

und Abberufung der Geschäftsführer, sowie die Festsetzung<br />

des Jahreshaushalts und der -abschlussrechung und<br />

die Festsetzung der Gewinnverteilung bzw. der Deckung<br />

des Bilanzverlusts.<br />

bb) Geschäftsführer<br />

§ 50 S. 1 GesG bestimmt, dass eine <strong>GmbH</strong> neben dem Vorstand<br />

fakultativ einen oder mehrere Geschäftsführer besitzen<br />

kann. Trotz dieses vermeintlichen Wahlrechts fordern<br />

die Behörden in China in der Praxis bislang stets die Einrichtung<br />

eines solchen Organs. Für die chinesische AG ist<br />

der Geschäftsführer von Gesetzes wegen gemäß § 114<br />

GesG ohnehin zwingend vorgeschrieben. Dort kann nach<br />

§ 115 GesG der Vorstand allerdings beschließen, dass ein<br />

Vorstandsmitglied – in der Praxis oftmals der Vorstandsvorsitzende<br />

– zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft<br />

wird. 11 <strong>Die</strong> Geschäftsführer führen nach dem gesetzlichen<br />

Leitbild die Beschlüsse des Vorstands aus und setzen den<br />

Jahresgeschäftsplan und den Investitionsplan der Gesellschaft<br />

um (vgl. § 50 Nr. 1 GesG). In der Praxis ist der Geschäftsführer<br />

jedoch nicht auf diese Tätigkeiten beschränkt.<br />

Ein Grund hierfür ist, dass eine Beschlussfassung<br />

durch den Geschäftsführer in der Regel leichter möglich ist<br />

als durch das mindestens dreiköpfige Vorstandsgremium.<br />

b) Rechtsvergleich<br />

Bei einem Vergleich der beiden Gesellschaftsrechtssysteme<br />

im Hinblick auf die Geschäftsführung werden einige si-<br />

10 Zum Teil werden – in Anlehnung an die Unterscheidung im australischen<br />

Recht zwischen kleiner und großer proprietary company<br />

– folgende vier Kriterien zur Beschreibung einer „verhältnismäßig<br />

kleinen“ <strong>GmbH</strong> vorgeschlagen: 1) weniger als drei Gesellschafter,<br />

2) ein betrieblicher Bruttoertrag von weniger als<br />

10 Mio. RMB, 3) ein Bruttovermögen von weniger als 5 Mio.<br />

RMB und 4) weniger als 50 Beschäftigte. Eine „verhältnismäßig<br />

kleine“ <strong>GmbH</strong> soll dann vorliegen, wenn mindestens zwei dieser<br />

Kriterien zutreffen (vgl. Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht in China,<br />

2011, S. 116). Ob diese Einteilung sich in der chinesischen Praxis<br />

durchsetzen wird, bleibt allerdings abzuwarten.<br />

11 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (2).


<strong>GmbH</strong>-International<br />

386 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

gnifikante Unterschiede offenbar. <strong>Die</strong> größte Besonderheit<br />

im chinesischen <strong>GmbH</strong>-Recht besteht in der Zweiteilung<br />

der Geschäftsführung zwischen zwei Organen, dem Vorstand<br />

und dem Geschäftsführer, die in der behördlichen<br />

Praxis verankert ist. Aus Sicht ausländischer Juristen ist<br />

das chinesische Modell mit dieser Doppelstruktur auf den<br />

ersten Blick befremdlich. <strong>Die</strong> Koexistenz von Vorstand<br />

und Geschäftsführer im Organgefüge der chinesischen<br />

<strong>GmbH</strong> lässt sich jedoch rechtshistorisch erklären. So hat<br />

sich der chinesische Gesetzgeber bei der Einführung von<br />

AG und <strong>GmbH</strong> einerseits für die Einrichtung eines Vorstands<br />

als Leitungsorgan entschieden. Was die Funktionen<br />

und Amtsbefugnisse von Vorstand und Geschäftsführer<br />

betrifft, besteht insofern aufgrund der Verweisungstechnik<br />

ein Gleichklang zwischen AG und <strong>GmbH</strong>: § 114 Abs. 2<br />

GesG verweist hinsichtlich der Amtsbefugnisse des Geschäftsführers<br />

einer AG, § 109 Abs. 4 GesG hinsichtlich<br />

derjenigen des Vorstands auf die Regelungen zur <strong>GmbH</strong>.<br />

AG und <strong>GmbH</strong> unterliegen insoweit dem gleichen Rechtsverständnis<br />

im Hinblick auf die gesetzlich festgelegten gesellschaftsrechtlichen<br />

Strukturen.<br />

Zugleich wollte man den Geschäftsführer als historisch gewachsenes<br />

Gesellschaftsorgan aber nicht abschaffen. <strong>Die</strong><br />

Position des Geschäftsführers ist ein Überbleibsel aus der<br />

Zeit der Planwirtschaft Chinas. 12Staatliche<br />

und kollektive<br />

Unternehmen wurden früher entweder von Fabrikleitern<br />

oder Geschäftsführern geleitet, Gesellschaftsorgane nach<br />

heutigem Verständnis gab es nicht. Da das Verwaltungspersonal<br />

bei der Umgestaltung der Unternehmensformen<br />

weitgehend unverändert blieb, blieb auch die Position des<br />

Geschäftsführers neben dem Vorstand erhalten. Seitdem ist<br />

der Geschäftsführer fest im chinesischen Gesellschaftsrecht<br />

verwurzelt und wird als klassisches Organ von AG<br />

und <strong>GmbH</strong> angesehen.<br />

Durch die Reform des GesG 2006 wird jedoch auch ein<br />

erster Trend zur Abkehr von der Zweiteilung der Geschäftsleitung<br />

in China erkennbar. Während der Geschäftsführer<br />

nach dem alten § 50 GesG 1994 noch ein notwendiges<br />

Organ der <strong>GmbH</strong> war, welches umfangreiche<br />

Befugnisse innehatte, ist dessen Einrichtung in der <strong>GmbH</strong><br />

nunmehr zumindest nach der gesetzlichen Regelung erstmals<br />

rein fakultativ. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die<br />

chinesische Praxis die neue Gesetzeslage annehmen wird.<br />

Insgesamt betrachtet besitzt das chinesische doppelstrukturierte<br />

Gesellschaftsmodell eine Reihe von Vor- und<br />

Nachteilen. Ein Vorteil liegt dabei zweifelsohne darin, dass<br />

sich das jeweilige Organ speziell auf sein Aufgabengebiet<br />

konzentrieren kann: Der Vorstand übernimmt das „Planerische“,<br />

der Geschäftsführer das „Operative“. Dadurch wird<br />

eine Teilung von strategischen Entscheidungen und Tagesgeschäft<br />

möglich, die sich bestenfalls positiv auf die langfristige<br />

und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft auswirken<br />

kann. 13<br />

Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr von Reibungsverlusten<br />

bei der Umsetzung von Vorgaben des Vorstands<br />

durch den Geschäftsführer. Zudem wird aufgrund<br />

der flexiblen Regelung des § 13 GesG für außenstehende<br />

Dritte nicht zwangsläufig deutlich, wer der gesetzliche<br />

Vertreter der Gesellschaft ist, was zu Rechtsunsicherheiten<br />

in Bezug auf die Wirksamkeit der abgeschlossenen Rechts-<br />

12 Vgl. zu diesem Komplex insgesamt Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht<br />

in China, 2011, S. 119 f.<br />

13 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (3).<br />

geschäfte führen kann. Allerdings wurde dies von dem chinesischen<br />

Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Hinter<br />

der Reform des GesG 2006 stand neben der generellen Modernisierung<br />

des Gesellschaftsrechts primär die Bestrebung,<br />

Machtmissbräuche durch Leitungsorgane einzu-<br />

dämmen. 14<br />

<strong>Die</strong> verschiedenen Organe sollen sich gegen-<br />

seitig kontrollieren und Missbräuche einzelner Personen<br />

durch zu große Kompetenzbereiche vermeiden.<br />

Im deutschen Recht sind <strong>GmbH</strong> und AG demgegenüber<br />

seit jeher stärker voneinander getrennt entwickelte Gesellschaftstypen<br />

mit unterschiedlichen Leitungsstrukturen.<br />

<strong>Die</strong> Geschäftsleitung und gesetzliche Vertretung einer<br />

<strong>GmbH</strong> sind dort gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G singulär<br />

und unentziehbar dem Geschäftsführer übertragen. Das<br />

Organ des Vorstands gibt es hingegen nur in der AG. Dort<br />

besteht jedoch ebenfalls keine gesetzliche Zweiteilung der<br />

Geschäftsleitung, da ein gesonderter Geschäftsführer nicht<br />

existiert. Möglich ist zwar die Bestellung von Prokuristen<br />

oder Handlungsbevollmächtigten neben dem <strong>GmbH</strong>-Geschäftsführer;<br />

allerdings dürfen deren Befugnisse nicht so<br />

weit gehen, dass sie den Geschäftsführer in seinem Verantwortungsbereich<br />

ersetzen.<br />

3. Aufsichtsrat<br />

a) Rechtslage in China<br />

In China ist ein Aufsichtsorgan unabhängig von der Größe<br />

der Gesellschafter und der Anzahl der Arbeitnehmer der<br />

<strong>GmbH</strong> stets verpflichtend. Bei mittleren und großen<br />

<strong>GmbH</strong>s ist ein Aufsichtsrat mit mindestens drei Mitgliedern<br />

obligatorisch. <strong>Die</strong> Arbeitnehmer bestellen gemäß<br />

§ 52 Abs. 2 GesG mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder;<br />

die übrigen werden durch die Gesellschafter<br />

benannt. Eine <strong>GmbH</strong> mit verhältnismäßig wenig Gesellschaftern<br />

oder verhältnismäßig kleinem Umfang kann statt<br />

eines Aufsichtsrats auch lediglich ein oder zwei Aufsichts-<br />

führer bestellen. 15<br />

Als Amtsbefugnisse und -pflichten<br />

nennt das Gesetz in §§ 54 f. GesG u.a. die Überprüfung der<br />

finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft sowie die<br />

Überwachung des Vorstands und der Geschäftsführer, inklusive<br />

dem Vorschlagsrecht, Mitglieder der Geschäftsführung<br />

abzuberufen. Zudem dürfen Mitglieder des Aufsichtsrats<br />

an Vorstandssitzungen teilnehmen sowie Beschlussvorschläge<br />

machen und sind zuständig für die Geltendmachung<br />

von Klagen gegen den Vorstand. Aufgrund<br />

der Untersuchungsbefugnis des Aufsichtsrats besteht darüber<br />

hinaus eine Kooperationspflicht der anderen <strong>GmbH</strong>-<br />

Organe. <strong>Die</strong>se müssen den Aufsichtsratsmitgliedern und<br />

leitenden Managern die geforderten Unterlagen zur Verfügung<br />

stellen und dürfen die Ausübung ihrer Amtsbefugnisse<br />

nicht behindern.<br />

b) Rechtsvergleich<br />

Der Aufsichtsrat fungiert sowohl im chinesischen als auch<br />

im deutschen Recht als Kontrollorgan der Geschäftsführung<br />

inklusive der finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft.<br />

Er setzt sich zudem in beiden Ländern aus Vertretern<br />

der Arbeitnehmer und Mitgliedern zusammen, die<br />

14 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (6).<br />

15 Zur Ermittlung, ob anstatt eines Aufsichtsrats auch lediglich ein<br />

Aufsichtsführer eingerichtet werden kann, können die bereits<br />

oben genannten Kriterien bzgl. der Bestellung eines geschäftsführenden<br />

Vorstehers übertragen werden (vgl. Ge Jiang, Das<br />

<strong>GmbH</strong>-Recht in China, 2011, S. 123).


von der Gesellschafterversammlung gewählt wurden, und<br />

vertritt die Gesellschaft gegenüber der Geschäftsführung.<br />

Auch die Mindestanzahl von drei Mitgliedern und die Mindestbeteiligungsquote<br />

der Arbeitnehmer in Höhe von<br />

einem Drittel der Mitglieder sind in beiden Ländern identisch.<br />

<strong>Die</strong> Differenzierung zwischen kleinen und mittleren bzw.<br />

großen Gesellschaften, die in China ebenfalls bei den Regelungen<br />

zur Bestellung des Vorstands zu Tage getreten ist,<br />

ist dem deutschen Recht hingegen gänzlich fremd. Dort<br />

herrscht vielmehr eine „Alles-oder-nichts“-Lösung. Erst<br />

ab einer Arbeitnehmeranzahl von über 500 Personen ist<br />

dieses Gesellschaftsorgan nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbetG<br />

obligatorisch, während in China stets zumindest ein<br />

einzelner Aufsichtsführer erforderlich ist. Als weiterer Unterschied<br />

steht die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern<br />

an Vorstandssitzungen im chinesischen Recht im Gegensatz<br />

zu der Gesellschaftsrechtspraxis in Deutschland.<br />

Allerdings unterliegt in Deutschland der Vorstand einer dezidierten<br />

Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat<br />

(§ 90 AktG), wodurch dem Informationsinteresse des<br />

Kontrollgremiums ebenfalls Rechnung getragen wird. 16<br />

<strong>Die</strong> Unterschiede bei den Aufsichtsstrukturen lassen sich<br />

zum einen über die kulturellen Hintergründe erklären. In<br />

China ist das Vertrauen im Geschäftsverkehr weniger stark<br />

ausgeprägt als in Deutschland. Daher ist es nachvollziehbar,<br />

dass man Gläubigern und Gesellschaftern in jedem<br />

Fall einen Aufsichtsführer zur Verfügung stellen will. Dem<br />

liegt das Bestreben des Gesetzgebers zugrunde, Missbräuche<br />

der Rechtsform der <strong>GmbH</strong> einzudämmen. Vor diesem<br />

Hintergrund sind auch die erhöhte Organanzahl und die<br />

zwingende Einrichtung eines Aufsichtsrats bzw. Aufsichtsführers<br />

zu verstehen. Da diese Verpflichtung unabhängig<br />

von der Arbeitnehmeranzahl besteht, kann seine<br />

Aufgabe nicht alleine darin bestehen, den Arbeitnehmern<br />

eine allgemeine Mitsprachemöglichkeit zu bieten. Vielmehr<br />

wird dadurch die stete Kontrolle der Geschäftsführung<br />

und der Gesellschafterversammlung verstärkt.<br />

Zum anderen besitzt die Arbeitnehmerbeteiligung in China<br />

einen anderen Stellenwert als in Deutschland, da in den<br />

Zeiten der Planwirtschaft alle Unternehmen Volks- oder<br />

Kollektiveigentum und damit unabhängig von der Unternehmensgröße<br />

prinzipiell im Besitz der Bürger waren. Darüber<br />

hinaus ist zu berücksichtigen, dass den Gewerkschaften<br />

im heutigen China eine andere Funktion zukommt<br />

als in Deutschland. In Deutschland sind sie eher als Gegenpol<br />

zum Arbeitgeber gedacht, mit dem die Arbeitsbedingungen<br />

ausgehandelt werden. Nach chinesischem Verständnis<br />

sind sie im Gegensatz dazu primär Kooperationspartner<br />

der Unternehmensleitung. Durch sie werden auf<br />

der einen Seite die Arbeitnehmer in die Unternehmenspolitik<br />

mit eingebunden. Auf der anderen Seite fungieren sie<br />

als Organisator von wichtigen Leistungen für die Arbeitnehmer<br />

wie Wohnungsfürsorge, Freizeitaktivitäten etc. 17<br />

IV. Fazit und Ausblick<br />

<strong>Die</strong> gesellschaftsrechtlichen Strukturen der chinesischen<br />

und der deutschen <strong>GmbH</strong> sind trotz der zahlreichen Unterschiede<br />

im Endeffekt im Wesentlichen vergleichbar. Unterschiede<br />

liegen insbesondere in der Zweiteilung der Geschäftsführung,<br />

der starren Begrenzung der Gesellschaf-<br />

16 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).<br />

17 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 387<br />

Gesellschaftsrecht<br />

terzahl sowie der obligatorische Einrichtung eines Kontrollorgans<br />

im chinesischen Recht. Allerdings differenziert<br />

das chinesische Recht zwischen verhältnismäßig kleinen<br />

Gesellschaften und größeren Unternehmen, sodass Abstufungen<br />

bei der personellen Stärke der Besetzung der Organe<br />

wie etwa beim Aufsichtsrat und Vorstand möglich sind.<br />

Nach den vielversprechenden Reformen durch das GesG<br />

2006 sind weitere Reformen auf dem Gebiet des chinesischen<br />

Gesellschaftsrechts durchaus wahrscheinlich. <strong>Die</strong><br />

Aufgabe der zwingenden Einrichtung eines Aufsichtsrats<br />

bzw. Ernennung eines Aufsichtsführers für Kleinstgesellschaften<br />

sowie der Beschränkung der Gesellschafterzahl<br />

für <strong>GmbH</strong>s und AGs sind hierbei denkbare nächste Schritte.<br />

Auch in sonstigen Bereichen des chinesischen Gesellschaftsrechts<br />

sind graduelle Entwicklungen in nächster<br />

Zeit denkbar. Dadurch könnte der Investitionsstandort<br />

China weiter gestärkt werden.<br />

Rechtsprechung<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nicht<br />

nichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung für<br />

Abfindung<br />

<strong>GmbH</strong>G § 34<br />

1. Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch<br />

für nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mitteilung<br />

des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter und<br />

nicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam.<br />

2. <strong>Die</strong> Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst<br />

haben, haften dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig,<br />

wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen<br />

Vermögen der Gesellschaft geleistet werden<br />

kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.<br />

BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11<br />

� Aus dem Tatbestand:<br />

[1] Der Kläger (Kl.) war neben R Gesellschafter der beklagten<br />

<strong>GmbH</strong> (Bekl.). <strong>Die</strong> Gesellschafterversammlung<br />

der Bekl. beschloss am 19.4.2001, den Geschäftsanteil des<br />

Kl. ohne seine Zustimmung einzuziehen. <strong>Die</strong> Einziehung<br />

ist nach § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags ohne Zustimmung<br />

zum Zweck der Ausschließung des Gesellschafters<br />

zulässig, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt.<br />

<strong>Die</strong> nach § 7 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags innerhalb<br />

von zwei Jahren an den ausscheidenden Gesellschafter<br />

zu zahlende Abfindung erhielt der Kl. bisher nicht.<br />

[2] In der Gesellschafterversammlung der Bekl. v.<br />

22.2.2007, zu der auch der Kl. eingeladen wurde, beantragte<br />

dieser, u.a. zu beschließen, den einzigen weiteren Gesellschafter<br />

R auf Zahlung von 251.871,07 DM in Anspruch<br />

zu nehmen und den Kl. zur gerichtlichen Geltendmachung<br />

der Ansprüche zu ermächtigen. Der Vertreter des<br />

Kl. stimmte für die beiden Anträge, der Vertreter von R<br />

stimmte dagegen.<br />

[3] Der Kl. hat beantragt, die ablehnenden Beschlüsse für<br />

nichtig zu erklären und festzustellen, dass die beantragten


Beschlüsse gefasst wurden. Das LG hat entsprechend dem<br />

Klageantrag erkannt [LG Leipzig v. 14.12.2010 – 7 HKO<br />

918/07]. Das OLG hat, soweit die ablehnenden Beschlüsse<br />

für nichtig erklärt wurden, das Urteil des LG abgeändert<br />

und die Klage abgewiesen, weil die Beschlüsse nicht von<br />

einem Versammlungsleiter festgestellt worden sind. Im<br />

Übrigen – hinsichtlich der Feststellungsanträge – hat es die<br />

Berufung der Bekl. zurückgewiesen [OLG Dresden v.<br />

3.5.2011 – 2 U 1956/10]....<br />

� Aus den Entscheidungsgründen:<br />

[4] <strong>Die</strong> Revision hat Erfolg und führt zur vollständigen<br />

Abweisung der Klage.<br />

I. ... II.<br />

[6] Der Kl. hatte entgegen der Rechtsauffassung des OLG<br />

in der Gesellschafterversammlung v. 22.2.2007 kein<br />

Stimmrecht mehr. Er war nicht mehr Gesellschafter der<br />

Bekl. Mit der Einziehung seines Geschäftsanteils hat er<br />

auch das aus dem Geschäftsanteil folgende Stimmrecht<br />

(§ 47 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G) verloren. <strong>Die</strong> Einziehung wurde mit<br />

der Bekanntgabe des Beschlusses an den Kl. wirksam.<br />

1. Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Einziehungsbeschlusses<br />

[7] Ein Einziehungsbeschluss ist entsprechend § 241<br />

Nr. 3 AktG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung<br />

feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die<br />

Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen<br />

der Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH v. 5.4.2011 –<br />

II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 761 m.<br />

Komm. Münnich, Rz. 13; v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP<br />

2009, 314 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 313, Rz. 7; v. 19.6.2000 – II ZR<br />

73/99, BGHZ 144, 365 [369 f.] = <strong>GmbH</strong>R 2000, 822).<br />

Dass bei Beschlussfassung am 19.4.2001 feststand, dass<br />

die Abfindung, die nach § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags<br />

innerhalb von zwei Jahren bar zu bezahlen war, nicht<br />

aus dem freien Vermögen der Gesellschaft geleistet werden<br />

konnte (§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G), hat das<br />

OLG nicht festgestellt und hat keine der Parteien behauptet.<br />

2. Wirksamkeit einer nicht nichtigen Einziehung<br />

[8] Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch<br />

für nichtig erklärt wird (§ 241 Nr. 5 AktG), wird die Einziehung<br />

mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen<br />

Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung der<br />

Abfindung wirksam.<br />

[9] a) In Rspr. und Literatur ist umstritten, ob die Einziehung<br />

vor Zahlung des Abfindungsentgelts wirksam wird.<br />

[10] Teilweise wird angenommen, die Einziehung stehe<br />

unter der aufschiebenden Bedingung einer Abfindungszahlung<br />

aus freiem Vermögen (OLG Frankfurt v.<br />

26.11.1996 – 5 U 111/95, NJW-RR 1997, 612 f. = <strong>GmbH</strong>R<br />

1997,171;OLGZweibrückenv.17.5.1996–6U8/95,<br />

<strong>GmbH</strong>R 1997, 939 [942]; OLG Hamm v. 11.1.1999 – 8 U<br />

42/98, NZG 1999, 597 [598]; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19<br />

U 108/96, NZG 1999, 1222 = <strong>GmbH</strong>R 1999, 712 [LS]; KG<br />

Berlinv.2.8.1999–2W509/99,<strong>GmbH</strong>R1999,1202<br />

[1203 f.]; OLG Schleswig v. 27.1.2000 – 5 U 154/98, NZG<br />

2000, 703 [704 f.] = <strong>GmbH</strong>R 2000, 935; OLG Dresden v.<br />

21.8.2001–2U673/01,<strong>GmbH</strong>R2001,1047[1048];OLG<br />

Düsseldorf v. 23.11.2006 – I-6 U 283/05, ZIP 2007, 1064 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 538 m. Komm. Fietz/Fingerhuth; Wester-<br />

Rechtsprechung<br />

388 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

mann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl., § 34 Rz. 60; H. Winter/Seibt<br />

in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17;<br />

Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl., § 34 Rz. 79;<br />

Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl.,<br />

§34Rz.43;Wicke,<strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.,§34Rz.10;Raiser/<br />

Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl., § 30<br />

Rz. 63; Gehrlein, ZIP 1996, 1157 [1159]; Bacher/v. Blumenthal,<br />

NZG 2008, 406 [407 f.]; ebenso für die Ausschlussklage<br />

BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,<br />

157 [173] = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u.<br />

Scholz [2]; für „Rechtsbedingung“ RGZ 142, 286 [290 f.]).<br />

[11] Wegen der Probleme, die diese „Bedingungslösung“<br />

für die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter mit sich<br />

bringt, wenn ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil<br />

wegen der Unzumutbarkeit seines weiteren Verbleibens in<br />

der Gesellschaft eingezogen ist, während der Schwebezeit<br />

weiterhin Mitgliedschaftsrechte ausüben kann, vertreten<br />

andere, die Einziehung sei sofort wirksam (KG Berlin v.<br />

6.2.2006 – 23 U 206/04, NZG 2006, 437; OLG Hamm v.<br />

7.10.1992–8U75/92,<strong>GmbH</strong>R1993,743[746f.];Grunewald,<br />

Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983,<br />

S. 242; Niemeier, ZGR 1990, 314 [353]; Ulmer, FS Rittner,<br />

1991, S. 735 [748 ff.]; Ulmer, FS Priester, 2007,<br />

S. 775 [793 ff.]; Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G,<br />

17. Aufl., § 34 Rz. 48; Lutz, DStR 1999, 1858 [1861 f.];<br />

Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]; Pentz, FSUlmer,<br />

2003, S. 451 [467 ff.]; Fietz/Fingerhut, DB 2007, 1179<br />

[1181 ff.]).<br />

[12] Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen<br />

Gesellschafters werden bei sofortiger Wirksamkeit<br />

der Einziehung verschiedene Lösungsvorschläge<br />

gemacht. Teilweise wird angenommen, die Einziehung<br />

stehe unter der auflösenden Bedingung, dass die Abfindung<br />

zum Fälligkeitszeitpunkt nicht ohne Verstoß gegen<br />

§ 30 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G gezahlt werden kann (Ulmer,FS<br />

Rittner 1991, S. 735; Lutter in Lutter/Hommelhoff,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 34 Rz. 48). Andere wollen dem ausgeschiedenen<br />

Gesellschafter das Recht geben, mit der Auflösungsklage<br />

nach § 61 <strong>GmbH</strong>G die Liquidation der Gesellschaft<br />

herbeizuführen, teilweise verbunden mit einem<br />

Wiedereintrittsrecht (Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft<br />

und Verein, 1983, S. 243; Niemeier, ZGR 1990,<br />

314 [353]; Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]). Schließlich<br />

wird vertreten, dass die Mitgesellschafter verpflichtet<br />

sind, dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Abfindung<br />

pro rata ihrer Beteiligung zu zahlen, soweit die Gesellschaft<br />

die Abfindung nicht leisten darf (Altmeppen in Roth/<br />

Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 6. Aufl., § 34 Rz. 21 ff.; Strohn in<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, § 34 Rz. 76; Goette, FSLutter,<br />

2000, S. 399 [410]; Heckschen, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1254<br />

[1256]; Kolb, NZG 2007, 815 [817]; Heidinger/Blath,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2007, 1184 [1187]).<br />

[13] b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht<br />

an. Grundsätzlich werden Beschlüsse wirksam und<br />

vollziehbar, sobald sie gefasst worden sind. Gesetzlich<br />

steht der Einziehungsbeschluss nicht unter der Bedingung,<br />

dass das Einziehungsentgelt gezahlt wird. § 34 Abs. 3<br />

<strong>GmbH</strong>G soll im Interesse der Gläubiger sicherstellen, dass<br />

die Gesellschafter die Kapitalerhaltungspflicht nach § 30<br />

Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G nicht durch die Aufgabe der Mitgliedschaft<br />

umgehen, soll aber nicht den Abfindungsanspruch<br />

der Gesellschafter schützen.<br />

[14] Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen<br />

wird, muss allerdings davor geschützt werden, dass die


verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der<br />

Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert des Anteils des<br />

ausgeschiedenen Gesellschafters aneignen und ihn aufgrund<br />

der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht<br />

mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Dazu<br />

genügt es aber, die verbleibenden Gesellschafter selbst<br />

in die Haftung zu nehmen, wenn sie nicht auf andere Weise<br />

für die Auszahlung der Abfindung sorgen. Der Schutz des<br />

Abfindungsanspruchs gebietet es nicht, schon die Wirksamkeit<br />

der Einziehung von der Zahlung der Abfindung<br />

abhängig zu machen und die damit verbundenen Nachteile<br />

in Kauf zu nehmen.<br />

[15] aa) <strong>Die</strong> Schwebelage, die nach der Bedingungslösung<br />

entsteht, hat erhebliche Nachteile. Dem ausgeschiedenen<br />

Gesellschafter bleiben während der Schwebezeit<br />

seine mitgliedschaftlichen Rechte jedenfalls grundsätzlich<br />

erhalten, obwohl es zumindest dann, wenn ein wichtiger<br />

Grund in seiner Person zur Einziehung geführt hat, der Gesellschaft<br />

und den verbleibenden Gesellschaftern gerade<br />

unzumutbar ist, dass er weiter in der Gesellschaft bleibt.<br />

Auch wenn mit der Einziehung unerwünschte Dritte von<br />

der Gesellschaft ferngehalten werden sollen, wie dies etwa<br />

bei der Pfändung des Geschäftsanteils als Einziehungsgrund<br />

der Fall ist, wird der Zweck der Einziehung bei einer<br />

Schwebelage nach der Bedingungslösung teilweise verfehlt.<br />

Selbst wenn die mitgliedschaftlichen Rechte wie das<br />

Stimmrecht eingeschränkt werden, können die Unklarheiten<br />

der Ausübungsbeschränkungen eine stete Quelle neuen<br />

Streits bilden. Insgesamt bietet das dem Gesellschafter<br />

einen Anreiz, seinen Lästigkeitswert zu steigern und das<br />

Abfindungsverfahren weiter in die Länge zu ziehen.<br />

[16] <strong>Die</strong>se Nachteile für die Gesellschaft entstehen bei der<br />

Bedingungslösung auch in den Fällen, in denen sich ein<br />

Schutz des Abfindungsanspruchs im Nachhinein als nicht<br />

erforderlich erweist. Wenn die Abfindung wie im gesetzlichen<br />

Regelfall (vgl. Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G,<br />

§ 34 Rz. 218) mit der Einziehung fällig ist (§ 271 Abs. 1<br />

BGB), steht auch objektiv fest, ob sie aus dem freien Vermögen<br />

geleistet werden kann. Ein Schutz des Abfindungsanspruchs<br />

ist nur erforderlich, wenn das Einziehungsentgelt<br />

erst später fällig wird oder die Auszahlung verzögert<br />

wird. Er erweist sich nachträglich als überflüssig, wenn die<br />

Gesellschaft die Abfindung in dem für die Kapitalerhaltung<br />

maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung ohne Beeinträchtigung<br />

des gebundenen Vermögens leisten kann. <strong>Die</strong><br />

Bedingungslösung belastet die Gesellschaft aber auch in<br />

solchen Fällen mit der weiteren Mitgliedschaft des Störenfrieds<br />

und stellt damit das Interesse des ausgeschiedenen<br />

Gesellschafters in den Vordergrund, obwohl er einer Einziehung<br />

aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zugestimmt<br />

hat (§ 34 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G). Wegen seiner antizipierten<br />

Zustimmung zur Einziehung in der Satzung ist er<br />

weniger schutzwürdig als ein Gesellschafter, der ohne eine<br />

solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen<br />

wird. Insoweit unterscheidet sich die Einziehung des<br />

Geschäftsanteils mittels Beschluss von der Ausschließung<br />

des Gesellschafters durch eine Klage, die ohne seine Zustimmung<br />

möglich ist und bei der nach der bisherigen<br />

Rspr. des BGH die Wirkung des Ausschließungsurteils von<br />

der Zahlung des Abfindungsentgelts abhängt (BGH v.<br />

1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 [174] = <strong>GmbH</strong>R<br />

1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]).<br />

[17] Davor, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft<br />

verschlechtert und so der Abfindungsanspruch gefährdet<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 389<br />

Gesellschaftsrecht<br />

wird, bietet auch die Bedingungslösung keinen Schutz.<br />

Der dem Gesellschafter nach der Bedingungslösung verbleibende<br />

Geschäftsanteil ist bei einer Verschlechterung<br />

der Vermögenslage ebenfalls entwertet. Auch soweit der<br />

ausscheidende Gesellschafter nach der Bedingungslösung<br />

das weitere Schicksal der Gesellschaft mitbestimmen<br />

kann, ist angesichts des häufig fortbestehenden Streites<br />

fraglich, ob er – wie das OLG meint – seine berechtigten<br />

Interessen „effektiv“ verfolgen und eine Verschlechterung<br />

der Vermögenslage durch Entscheidungen der anderen Gesellschafter<br />

verhindern kann.<br />

[18] bb) <strong>Die</strong> weiteren vorgeschlagenen Wege zum Schutz<br />

des Abfindungsanspruchs – auflösende Bedingung oder<br />

Anspruch auf Auflösung – vermeiden zwar, dass der ausgeschiedene<br />

Gesellschafter stören kann, weisen aber ebenfalls<br />

Nachteile auf.<br />

[19] (1) Eine auflösende Bedingung der Nichtzahlung der<br />

Abfindung unterliegt ähnlichen Bedenken wie die aufschiebende<br />

Bedingung. Zwar kann der ausgeschiedene<br />

Gesellschafter wegen der Wirksamkeit der Einziehung<br />

nicht weiter als Störenfried auf die Gesellschaft einwirken.<br />

Es entsteht aber ebenfalls eine Schwebelage, deren Ende<br />

zudem nicht sicher zu bestimmen ist. Bei Bedingungseintritt<br />

muss der Gewinnverteilungsschlüssel, ggf. nach einer<br />

Inanspruchnahme der Gesellschafter auch der Haftungsschlüssel<br />

korrigiert werden. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung,<br />

die ohne den ausgeschiedenen Gesellschafter<br />

gefasst wurden, müssen unter Umständen wiederholt<br />

oder neu gefasst werden. Nach einer Veränderung oder<br />

einer Abtretung der Geschäftsanteile ist eine automatische<br />

Herstellung des früheren Rechtszustands auch vor dem<br />

Hintergrund der Regelungen in § 5 Abs. 3 S. 2 u. § 16<br />

Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G kaum mehr möglich.<br />

[20] (2) Ein Recht, bei einer Unterdeckung im Zeitpunkt<br />

der Auszahlung der Abfindung die Auflösung der Gesellschaft<br />

zu betreiben, steht dem Gesellschafter, der – wenn<br />

man nicht der Bedingungslösung folgt – ausgeschieden ist,<br />

nicht zu. Außerdem könnte jahrelang in der Schwebe bleiben,<br />

ob die Gesellschaft aufgelöst ist oder nicht. <strong>Die</strong>ser<br />

Schwebezustand besteht auch dann, wenn man dem ausgeschiedenen<br />

Gesellschafter aus diesem Grund ein Wiedereintrittsrecht<br />

gibt.<br />

[21] cc) <strong>Die</strong> Interessen der Beteiligten werden am besten<br />

dadurch ausgeglichen, dass die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss<br />

gefasst haben, dem ausgeschiedenen<br />

Gesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht anderweitig<br />

dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen<br />

Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie<br />

die Gesellschaft nicht auflösen. Den verbliebenen Gesellschaftern<br />

wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils<br />

zu. Sie müssten, wenn sie sich redlich verhalten<br />

und eine Unterdeckung nicht auf andere Art und<br />

Weise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Reserven<br />

oder eine Herabsetzung des Stammkapitals (vgl.<br />

dazu BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157<br />

[169] = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz<br />

[2]), grundsätzlich die Gesellschaft auflösen, um so die<br />

Gesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsanspruch<br />

des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wie<br />

möglich zu erfüllen. Mit der Auflösung stellen sie den ausgeschiedenen<br />

Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs<br />

so, als sei er noch Gesellschafter. Sie verhalten<br />

sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fortsetzung<br />

der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Ge-


schäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters<br />

einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der<br />

berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft<br />

verweigern.<br />

[22] Wenn die Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen,<br />

anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen<br />

Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, ist<br />

es nicht unbillig, sie zum Ausgleich für den Abfindungsanspruch<br />

persönlich haften zu lassen, wenn die Gesellschaft<br />

ihn wegen der Kapitalbindung nicht erfüllen darf. Eine bei<br />

Fassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persönliche<br />

Haftung ist damit nicht verbunden. <strong>Die</strong> Gesellschafter<br />

können ihre persönliche Inanspruchnahme durch Ausgleich<br />

der Unterdeckung oder durch die Auflösung der Gesellschaft<br />

vermeiden. Der Abfindungsanspruch wird dadurch<br />

zwar nicht in voller Höhe gegen Veränderungen geschützt.<br />

Auch in der Liquidation ist der Abfindungsanspruch<br />

erst nach den Ansprüchen der übrigen Gesellschaftsgläubiger<br />

zu befriedigen (§ 73 <strong>GmbH</strong>G). Davor<br />

schützt den ausgeschiedenen Gesellschafter aber auch der<br />

weitere Verbleib in der Gesellschaft bei Annahme einer bedingten<br />

Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses nicht.<br />

[23] <strong>Die</strong> Nachteile der weiteren Mitgliedschaft eines<br />

„Störenfrieds“ werden weitgehend vermieden. Eine Ungewissheit<br />

über die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte<br />

wegen eines Streits über den Einziehungsgrund oder die<br />

Höhe der Abfindung, der dazu führt, dass zunächst unklar<br />

sein kann, ob die Abfindung aus dem angegebenen Vermögen<br />

geleistet werden kann, kann nicht vermieden werden.<br />

[24] dd) Der Fortbestand der Mitgliedschaft des Gesellschafters,<br />

dessen Geschäftsanteil eingezogen wurde, ist<br />

auch nicht aus anderen Gründen erforderlich. Für die<br />

Wahrnehmung der Rechte gegen den Einziehungsbeschluss<br />

selbst ist von der weiteren Rechtsinhaberschaft<br />

auszugehen, um der verfassungsrechtlich gebotenen<br />

Rechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen (BGH v.<br />

22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32, Rz. 8; v.<br />

19.9.1977 – II ZR 11/76, NJW 1977, 2316 = <strong>GmbH</strong>R 1978,<br />

131).<br />

[25] c) Der Kl. ist nicht als stimmberechtigter Gesellschafter<br />

zu behandeln, weil er zu der Gesellschaftsversammlung<br />

v. 22.2.2007 eingeladen wurde. <strong>Die</strong> Bekl. ist damit<br />

nur den Unsicherheiten gerecht geworden, die aufgrund<br />

der ungeklärten Rechtslage zum Fortbestand von<br />

Mitgliedsrechten bestanden.<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

I. Zur Entscheidung<br />

Das vorstehend abgedruckte Urt. des BGH v. 24.1.2012 –<br />

II ZR 109/11 beendet einen Streit, der unter den Obergerichten<br />

und in der Literatur in den vergangenen Jahren äußerst<br />

kontrovers entschieden und diskutiert worden ist.<br />

Auf die klärenden Worte des BGH hat die Praxis lange<br />

warten müssen: Schon im Jahr 1995 (BGH v. 20.2.1995 –<br />

II ZR 46/94, <strong>GmbH</strong>R 1995, 377) beschränkte sich der<br />

BGH auf eine Darstellung des Meinungsstands, ohne<br />

selbst Stellung zu beziehen. Anfang des Jahres 2008 (BGH<br />

v. 28.1.2008 – II ZR 290/06, <strong>GmbH</strong>R 2008, 765) ließ der<br />

Gesellschaftsrechts-Senat die von ihm so bezeichnete<br />

„Grundsatzfrage“, ob die aus dem Sen.Urt. v. 1.4.1953<br />

(BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 = <strong>GmbH</strong>R<br />

1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]) abgeleitete<br />

sog. Bedingungslehre auf die Konstellation einer „reinen“<br />

Rechtsprechung<br />

390 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Zwangseinziehung gemäß § 34 <strong>GmbH</strong>G übertragbar ist,<br />

erneut offen. Seinerzeit verneinte der BGH die Entscheidungserheblichkeit<br />

dieser Frage unter Verweis auf die Bindungswirkung<br />

eines rechtskräftigen landgerichtlichen Urteils.<br />

Das LG Wuppertal hatte mit einer nicht veröffentlichten<br />

Entscheidung festgestellt, dass die dortigen Beklagten<br />

„noch bis zur Zahlung des Einziehungsentgelts“ Gesellschafterinnen<br />

der damaligen Klägerin waren. Heute wissen<br />

wir: Das LG Wuppertal hat falsch entschieden. Denn<br />

mit dem hier kommentierten Urteil stellt der BGH nunmehr<br />

klar, dass die Einziehung in den Fällen, in denen der<br />

Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt<br />

wird, mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen<br />

Gesellschafter und nicht erst mit Leistung der<br />

Abfindung wirksam wird (1. Leitsatz). Um den Gesellschafter,<br />

der damit unmittelbar und sofort seine Mitgliedschaftsrechte<br />

verliert, ohne hierfür schon finanziell entschädigt<br />

worden zu sein, zu schützen, nimmt der BGH die<br />

Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben,<br />

zugunsten des Ausgeschiedenen in die persönliche<br />

Haftung, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung<br />

aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet<br />

werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen<br />

(2. Leitsatz).<br />

II. Stellungnahme<br />

Das Urteil überzeugt. Es ist sorgfältig begründet und wägt<br />

die Interessen aller Beteiligten sorgsam ab. Nicht zuletzt<br />

hebt es zutreffend hervor, das ratio legis des § 34 Abs. 3<br />

<strong>GmbH</strong>G nicht etwa der Schutz des Abfindungsanspruchs<br />

der Gesellschafter ist. Der Verweis auf § 30 Abs. 1<br />

<strong>GmbH</strong>G soll vielmehr sicherstellen, dass die Gesellschafter<br />

nicht zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger die Kapitalerhaltungspflicht<br />

durch Aufgabe ihrer Mitgliedschaft<br />

umgehen. Der BGH rückt damit die Perspektiven wieder<br />

zurecht, die in anderslautenden Entscheidungen mitunter<br />

einseitig zu Gunsten des betroffenen Gesellschafters verschoben<br />

worden waren. Zwar mag es sein, dass der Gesellschafter,<br />

dessen Geschäftsanteil eingezogen werden soll,<br />

nicht immer der „Störenfried“ ist, den der BGH offensichtlich<br />

ausgemacht hatte. Häufig ist der Betroffene auch Opfer<br />

ihn diskreditierender Mitgesellschafter. Das ändert aber<br />

nichts daran, dass er mit der gesellschaftsvertraglichen Regelung,<br />

die seinen Ausschluss im Beschlusswege erlaubt,<br />

ein persönliches Risiko eingegangen ist, das nicht über den<br />

Umweg der Kapitalerhaltung ausgeräumt werden kann.<br />

III. Relevanz für die Praxis<br />

So begrüßenswert das Urteil schon wegen seiner Eindeutigkeit<br />

auch ist, sollte gleichwohl nicht verkannt werden,<br />

dass es nur eng begrenzte Fallkonstellationen erfasst. Auch<br />

die Fallgestaltung, die dem BGH zur Entscheidung vorlag,<br />

zeichnete sich dadurch aus, dass dort die Einziehung des<br />

Geschäftsanteils bereits bestandskräftig war. In den wohl<br />

überwiegenden Fällen drohen aber weiterhin die von den<br />

Beteiligten und ihren Beratern zu Recht so gefürchteten<br />

Schwebephasen.<br />

Zunächst gilt das dort, wo die Satzung die Zwangseinziehung<br />

von Geschäftsanteilen nicht gestattet, nach höchstrichterlicher<br />

Rechtsprechung also Ausschlussklage zu erheben<br />

ist. Hier verbleibt es bei der „Bedingungslösung“<br />

dergestalt, dass die Einziehung unter der aufschiebenden<br />

Bedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermögen<br />

steht (BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,<br />

157 = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz


[2]), so dass der betroffene Gesellschafter auch erst mit Bedingungseintritt<br />

seine Mitgliedschaftsrechte verliert. Bis<br />

dahin kann er – um eine Wortwahl des BGH aufzugreifen<br />

– seinen „Lästigkeitswert“ stetig steigern.<br />

Aber auch dort, wo im Falle der Einziehung durch Beschluss<br />

Einziehungsgrund und Höhe der Abfindung im<br />

Streit sind, wird es bei quälend langen Hängepartien bleiben.<br />

Vorübergehende Rechtssicherheit wird dabei noch am<br />

ehesten in den Fällen gewährleistet sein, in denen der Einziehungsbeschluss<br />

von einem hierzu berechtigten Versammlungsleiter<br />

festgestellt worden ist. Denn dann liegt<br />

jedenfalls im Rechtssinne ein Beschluss vor, den die herrschende<br />

Meinung mit zumindest vorläufiger Wirksamkeit<br />

ausstattet (BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, <strong>GmbH</strong>R<br />

1988, 304; OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, <strong>GmbH</strong>R<br />

2002, 913 [914]; Bayer in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G,<br />

17. Aufl. 2009, Anh zu § 47 Rz. 38; Zöllner in Baumbach/<br />

Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2009, Anh § 47 Rz. 118, § 48<br />

Rz. 17). Der betroffene Gesellschafter muss – will er sich<br />

gegen die Einziehung seines Geschäftsanteils wehren –<br />

Anfechtungsklage in Analogie zu §§ 241 ff. AktG erheben.<br />

Fehlt demgegenüber ein festgestellter Beschlussinhalt, ist<br />

im Wege der allgemeinen Feststellungsklage – gerichtet<br />

gegendieGesellschaft–zuklären,obundmitwelchemInhalt<br />

ein Beschluss gefasst worden ist (BGH v. 4.5.2009 – II<br />

ZR 169/07, <strong>GmbH</strong>R 2009, 1327 m. Komm. Münnich;<br />

Zöllner in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2009,<br />

Anh § 47 Rz. 124). Der nicht festgestellte Gesellschafterbeschluss<br />

erlangt keine vorläufige Wirksamkeit und<br />

braucht auch nicht vom opponierenden Gesellschafter vorläufig<br />

hingenommen zu werden (Bayer in Lutter/Hommelhoff,<strong>GmbH</strong>G,17.Aufl.2009,Anhzu§47Rz.39).<br />

Parallel hierzu werden die Beteiligten deshalb bemüht<br />

sein, ihre jeweiligen Positionen im einstweiligen Rechtsschutz<br />

zu stärken. <strong>Die</strong> Erfahrung lehrt, dass dies zu einer<br />

Vielzahl gerichtlicher Streitigkeiten führt, die jedenfalls<br />

erstinstanzlich regelmäßig mit der Eskalation der Auseinandersetzung<br />

einhergeht. Häufig gelingt es dann erst den<br />

Obergerichten, die Parteien zu befrieden.<br />

Dr. Lutz Münnich, Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht, Hamm<br />

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung des<br />

Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem Mitbestimmungsgesetz<br />

MitbestG § 7 Abs. 1<br />

<strong>Die</strong> Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung,<br />

bei der ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu<br />

bilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben<br />

zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern<br />

aus weiteren Mitgliedern mit beratender Funktion besteht.<br />

BGH, Beschl. v. 30.1.2012 – II ZB 20/11<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

[1] <strong>Die</strong> Beteiligte ist eine Konzernobergesellschaft in<br />

Form einer <strong>GmbH</strong>, deren alleinige Gesellschafterin die<br />

Stadt E ist. Sie beherrscht eine Vielzahl von Tochtergesell-<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 391<br />

Gesellschaftsrecht<br />

schaften, die insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen.<br />

Gemäß § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 MitbestG<br />

ist bei der Beteiligten ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften<br />

des Mitbestimmungsgesetzes gebildet.<br />

[2] § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der Beteiligten in<br />

seiner bisher geltenden Fassung trifft dazu folgende Regelung:<br />

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig Mitgliedern.<br />

Davon werden zehn Mitglieder von den Arbeitnehmern<br />

nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt.<br />

<strong>Die</strong> weiteren Mitglieder werden vom Rat der Stadt E entsandt,<br />

wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener<br />

Beamter oder Angestellter der Stadt E ist.<br />

[3] Am 20.9.2010 beschloss die Gesellschafterversammlung<br />

der Beteiligten, neben einer Vielzahl weiterer Vorschriften<br />

§ 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags wie folgt zu<br />

ändern:<br />

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig stimmberechtigten<br />

Mitgliedern sowie aus bis zu vier Mitgliedern mit beratender<br />

Funktion. Von den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern<br />

werden zehn stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitnehmern<br />

nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976<br />

gewählt. <strong>Die</strong> übrigen zehn stimmberechtigten Mitglieder werden<br />

vom Rat der Stadt E entsandt, wovon eines der Oberbürgermeister<br />

oder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter der<br />

Stadt E ist. Ratsfraktionen, welche dem Aufsichtsrat nicht bereits<br />

nach Satz 3 angehören, benennen jeweils ein beratendes Mitglied,<br />

das vom Rat der Stadt E entsandt wird.<br />

[4] <strong>Die</strong> Geschäftsführer der Beteiligten meldeten die Änderungen<br />

des Gesellschaftsvertrags mit notariell beglaubigter<br />

Erklärung v. 20.9.2010 zur Eintragung in das Handelsregister<br />

an.<br />

[5] Mit Zwischenverfügung v. 27.9.2010 hat das RegG die<br />

beschlossenen Erweiterungen in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />

als unzulässig beanstandet, weil die ständige Teilnahme<br />

von beratenden Mitgliedern an Sitzungen des Aufsichtsrats<br />

gegen § 109 AktG verstoße; die beanstandeten<br />

Regelungen seien daher durch Gesellschafterbeschluss zu<br />

streichen [AmtsG Essen v. 27.9.2010 – 89 HRB 4308].Das<br />

OLG hat die Beschwerde der Beteiligten mit der Maßgabe<br />

zurückgewiesen, dass der Beteiligten eine Frist zur Behebung<br />

des bezeichneten Hindernisses von einem Monat ab<br />

Eintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung gesetzt<br />

wird [OLG Hamm v. 29.9.2011 – I-15 W 606/10]....<br />

II.<br />

[7] <strong>Die</strong> zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.<br />

1. ... 2.<br />

[10] <strong>Die</strong> Rechtsbeschwerde ... bleibt ... ohne Erfolg.<br />

[11] a) <strong>Die</strong> Erweiterung des Aufsichtsrats auf bis zu vierundzwanzig<br />

Mitglieder gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 des Gesellschaftsvertrags<br />

i.d.F. des Beschlusses v. 20.9.2010 verstößt<br />

gegen § 7 Abs. 1 MitbestG. Nach dieser Vorschrift setzt<br />

sich der Aufsichtsrat aus höchstens zwanzig Mitgliedern<br />

zusammen.<br />

[12] Bei der beteiligten Gesellschaft, die gemäß § 1<br />

Abs. 1, § 5 Abs. 1 MitbestG dem Mitbestimmungsgesetz<br />

unterliegt, ist gemäß § 6 Abs. 1 MitbestG zwingend ein<br />

Aufsichtsrat zu bilden. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 bis 3 MitbestG<br />

kann die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf<br />

höchstens zwanzig Aufsichtsratsmitglieder festlegen, je<br />

zehn der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Abweichun-


gen von dieser abschließenden Regelung sind nicht zulässig<br />

(vgl. Gach in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 7 MitbestG<br />

Rz. 6; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B<br />

§7MitbestGRz.2;Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,<br />

§7 MitbestGRz.1; Wißmann in Münch.Hdb.ArbR,<br />

3. Aufl., § 280 Rz. 1; Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler,<br />

Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 17;<br />

Wißmann in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />

Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2; Seibt<br />

in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 7<br />

MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und<br />

Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2;<br />

Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht,<br />

Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1; Fuchs/<br />

Köstler, Handbuch zur Aufsichtsratswahl, 4. Aufl.,<br />

Rz. 61). § 7 Abs. 1 MitbestG ist lex specialis zu §§ 95, 96<br />

AktG (§ 95 S. 5 AktG; vgl. ferner Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler,<br />

Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 MitbestG<br />

Rz. 14; Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/<br />

Düwell, Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1).<br />

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann daher<br />

aus der in § 95 S. 1 AktG festgelegten Höchstzahl von einundzwanzig<br />

Aufsichtsratsmitgliedern nicht hergeleitet<br />

werden, dass die Höchstgrenze von zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern<br />

nach § 7 Abs. 1 MitbestG überschritten werden<br />

dürfe. Nach der beschlossenen Satzungsänderung soll<br />

der Aufsichtsrat der Beteiligten aber aus zwanzig stimmberechtigten<br />

sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern<br />

mit beratender Funktion bestehen. Da auch die<br />

nicht stimmberechtigten weiteren Aufsichtsratsmitglieder<br />

Aufsichtsratsmitglieder i.S.v. § 7 Abs. 1 MitbestG sind,<br />

wird die zulässige Höchstzahl überschritten.<br />

[13] b) Durch die Regelung in § 109 Abs. 1 S. 2 AktG,<br />

nach der Dritte zu den Sitzungen des Aufsichtsrats hinzugezogen<br />

werden können, wird, anders als die Rechtsbeschwerde<br />

meint, bei der Beteiligten als einer dem Mitbestimmungsgesetz<br />

unterliegenden <strong>GmbH</strong> nicht die Möglichkeit<br />

eröffnet, neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern<br />

weitere Aufsichtsratsmitglieder mit<br />

nur beratender Funktion vorzusehen. Nach § 109 Abs. 1<br />

S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen und<br />

Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände<br />

zulässig. <strong>Die</strong> geänderte Regelung in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />

der Beteiligten sieht dagegen die ständige<br />

Teilnahme von bis zu vier beratenden, nicht stimmberechtigten<br />

Mitgliedern an den Sitzungen des Aufsichtsrats vor.<br />

<strong>Die</strong> ständige Teilnahme einer die Höchstzahl von zwanzig<br />

Aufsichtsratsmitgliedern übersteigenden Anzahl von Mitgliedern<br />

mit beratender Funktion an den Sitzungen des<br />

Aufsichtsrats ist mit § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109<br />

Abs. 1 AktG nicht vereinbar.<br />

[14] <strong>Die</strong> Regelung der inneren Ordnung des Aufsichtsrats<br />

der Beteiligten bestimmt sich, da §§ 27 bis 29, §§ 31 u. 32<br />

MitbestG nichts anderes vorsehen, u.a. nach § 25 Abs. 1<br />

S. 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. § 109 Abs. 1 AktG. <strong>Die</strong> sich aus<br />

der Verweisung in § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG ergebenden<br />

Regelungen sind zwingend (Oetker in ErfK,<br />

12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6; Gach in<br />

Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3; Mertens<br />

in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B § 25 MitbestG<br />

Rz. 1; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht,<br />

4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz<br />

und Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 25<br />

MitbestG Rz. 1 f.; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />

Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25<br />

Rechtsprechung<br />

392 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

MitbestG Rz. 3 f.). Andere Regelungen in der Satzung der<br />

Beteiligten sind nur zulässig, soweit sie weder den Vorschriften<br />

des Mitbestimmungsgesetzes noch den in § 25<br />

Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG genannten gesellschaftsrechtlichen<br />

Vorschriften widersprechen, § 25 Abs. 2 MitbestG.<br />

[15] Aus § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109 Abs. 1<br />

S. 1 AktG folgt, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />

der beteiligten Gesellschaft keine Personen teilnehmen<br />

sollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands<br />

sind. Bei § 109 Abs. 1 AktG handelt es sich trotz des<br />

Wortlauts um zwingendes Recht. <strong>Die</strong> Satzung kann daher<br />

über die in § 109 Abs. 1 S. 2, § 109 Abs. 3 AktG genannten<br />

Fälle hinaus den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />

zugelassenen Personen nicht erweitern (Raiser/<br />

Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz,<br />

5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 33; Ulmer/Habersack in<br />

Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht,<br />

2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />

Mitbestimmungsrecht,<br />

4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; vgl. ferner Hopt/Roth in<br />

Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 7; Hüffer,<br />

AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 1, 4, m.w.N.).<br />

[16] § 109 Abs. 1 AktG soll den Aufsichtsrat klar von gesetzlich<br />

nicht vorgesehenen Organen sowie anderen Personen<br />

abgrenzen sowie seine Arbeitsfähigkeit sichern und<br />

der Erhaltung der Vertraulichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats<br />

die-nen. <strong>Die</strong> Vorschrift soll verhindern, dass<br />

nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende<br />

Personen ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen<br />

und so vergleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne<br />

hierfür die entsprechende Verantwortung zu tragen (Habersack<br />

in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 2;<br />

Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 6; Spindler in<br />

Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 1; Drygala in<br />

K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 2). <strong>Die</strong> regelmäßige<br />

Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen<br />

an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist deshalb<br />

unzulässig, da diese Personen nach der gesetzlichen Regelung,<br />

die Aufsichtsratsmitglieder ohne Stimmrecht nicht<br />

kennt, nur von Fall zu Fall zu einzelnen Gegenständen hinzugezogen<br />

werden dürfen (vgl. Habersack in<br />

Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 16 ff.; Hoffmann-Becking<br />

in Münch.Hdb.AG IV, 3. Aufl., § 31<br />

Rz. 47a; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 14 ff.;<br />

Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 19,<br />

27; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 4 f.; Drygala in<br />

Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 7 f.; Hopt/Roth<br />

in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 41 ff.;<br />

Henssler in Henssler/Strohn, § 109 AktG Rz. 5 f.; Koberski<br />

in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht,<br />

4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20 f.).<br />

[17] c) Nach der von der Beteiligten beschlossenen Änderung<br />

in § 8 Abs. 1 S. 4 des Gesellschaftsvertrags soll nur<br />

der Alleingesellschafterin das Recht zustehen, neben den<br />

zehn stimmberechtigten bis zu vier beratende Mitglieder in<br />

den Aufsichtsrat zu entsenden. <strong>Die</strong> angemeldete Satzungsänderung<br />

ist daher auch mit dem Grundsatz der paritätischen<br />

Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch Mitglieder<br />

der Anteilseigner und Arbeitnehmer nicht vereinbar,<br />

den § 7 Abs. 1 MitbestG sicherstellen soll (Regierungsentwurf<br />

des Mitbestimmungsgesetzes, BT-Drucks. 7/2172,<br />

S. 22; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 7 MitbestG<br />

Rz. 2, 4). In den vom Mitbestimmungsgesetz erfassten Unternehmen<br />

sollen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts-


at an den dort zu treffenden unternehmerischen Planungen<br />

und Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt und<br />

gleichgewichtig teilhaben; deshalb ist der Aufsichtsrat mit<br />

der gleichen Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer zu<br />

besetzen (Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes,<br />

BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f., 22). <strong>Die</strong> gesellschaftsrechtliche<br />

Gestaltungsfreiheit durch Satzung muss zurücktreten,<br />

soweit durch sie der Paritätsgedanke sowie das im<br />

Mitbestimmungsgesetz geregelte Zusammenspiel der beiden<br />

Mitgliedergruppen im Aufsichtsrat verändert wird<br />

(Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />

Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 8,<br />

m.w.N.; Oetker in ErfK, 12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3;<br />

Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz,<br />

5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 9; Ulmer/Habersack<br />

in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht,<br />

2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6). Entgegen der Ansicht<br />

der Rechtsbeschwerde wird die von der Beteiligten<br />

vorgenommene Regelung diesen Prinzipien einer gleichberechtigten<br />

und gleichgewichtigen Mitbestimmung nicht<br />

gerecht, weil die Entsendung von bis zu vier zusätzlichen<br />

Mitgliedern zu einem Übergewicht der Arbeitgeberseite<br />

führt, auch wenn diese Mitglieder nur eine beratende<br />

Funktion ausüben.<br />

[18] d) <strong>Die</strong> von der Beteiligten in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />

vorgesehene Einführung von bis zu vier nur beratenden<br />

Aufsichtsratsmitgliedern neben den zwanzig<br />

stimmberechtigten Mitgliedern des Aufsichtsrats verstößt<br />

ferner gegen den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats<br />

die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.<br />

<strong>Die</strong>ser in der mitbestimmungsfreien AG allgemein anerkannte<br />

Grundsatz (vgl. Hopt/Roth in Großkomm. AktG,<br />

4. Aufl., § 107 AktG Rz. 7; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl.,<br />

§ 107 Rz. 5) ist auch in das Mit-bestimmungsgesetz eingegangen<br />

(vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83,<br />

106 [112 f.]; v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, NJW 1989, 979<br />

[981 f.] = <strong>GmbH</strong>R 1989, 126 [LS]).<br />

[19] e) Auf die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn eine<br />

<strong>GmbH</strong> nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt und<br />

bei ihr ein Aufsichtsrat deshalb nur fakultativ zu bilden ist,<br />

kommt es nicht an. <strong>Die</strong> von der Rechtsbeschwerde zum fakultativen<br />

Aufsichtsrat angeführten Gesichtspunkte können<br />

wegen der zwingenden Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes<br />

auf den bei der Beteiligten nach den<br />

§§ 6 ff. MitbestG zu bildenden Aufsichtsrat nicht übertragen<br />

werden.<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

Der II. Senat des BGH hat mit seiner vorstehend abgedruckten<br />

Grundsatzentscheidung v. 30.1.2012 – II ZB 20/<br />

11 klargestellt, dass die in § 7 Abs. 1 MitbestG vorgesehene<br />

Höchstmitgliederzahl von 20 Aufsichtsratsmitgliedern<br />

zwingend ist. <strong>Die</strong>se Maximalmitgliederzahl kann nicht<br />

durch eine Satzungsänderung erweitert werden. Entschieden<br />

ist dies anhand einer Konzernobergesellschaft im<br />

kommunalen Bereich, welche in der Rechtsform der<br />

<strong>GmbH</strong> die Holdingfunktion über diverse Tochtergesellschaften<br />

ausübt (zur Mitbestimmung bei einer ausländischenKonzernmutterOLGStuttgartv.30.3.1995–8W<br />

355/93, <strong>GmbH</strong>R 1995, 530 [LS]). <strong>Die</strong> insoweit geänderte<br />

Satzung sah vor, dass die Stadt Essen als Alleingesellschafterin<br />

das alleinige Recht besitzen sollte, bis zu vier<br />

beratende, allerdings nicht stimmberechtigte Mitglieder in<br />

den mitbestimmten Aufsichtsrat zusätzlich zu entsenden,<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 393<br />

Gesellschaftsrecht<br />

also zahlenmäßig über die zehn von der Arbeitgeberseite<br />

regulär zu stellenden Aufsichtsratsmitglieder hinaus. Unklar<br />

bleibt bei der Entscheidung – es spielt aber auch für<br />

die rechtliche Lösung keine Rolle –, weshalb die Erweiterung<br />

des Aufsichtsrats um vier Personen von der gesetzlich<br />

angeordneten Zahl auf dann 24 Mitglieder angestrebt und<br />

satzungsmäßig beschlossen worden war. In Übereinstimmung<br />

mit der absolut herrschenden Literaturmeinung ist<br />

durch den BGH nun entschieden, dass je zehn Vertreter der<br />

AnteilseignerundderArbeitnehmerdieHöchstzahlfür<br />

eine nach § 7 Abs. 1 MitbestG mitbestimmte <strong>GmbH</strong> darstellt,<br />

die nicht durch die Statuten der <strong>GmbH</strong> erweitert werden<br />

kann (vgl. zum „umgekehrten“ Fall des Schicksals des<br />

Aufsichtsrats bei einem Herausfallen aus der Mitbestimmung<br />

durch dauerhafte Reduzierung der Belegschaft OLG<br />

Frankfurt a. M. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />

313 [LS]).<br />

<strong>Die</strong> gesetzliche Höchstgrenze des § 7 MitbestG mit 20<br />

Aufsichtsratsmitgliedern ist aus mehreren Gründen obligatorisch,<br />

und Erhöhungen sind daher rechtswidrig, wie der<br />

BGH instruktiv in seiner Entscheidung ausführt.<br />

1. Als erstes Rechtsargument für die Erhöhungsmöglichkeit<br />

wurde § 109 Abs. 3 AktG angeführt. Dort heißt es: <strong>Die</strong><br />

Satzung kann zulassen, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />

und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat<br />

nicht angehören, anstelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern<br />

teilnehmen können, wenn diese sie<br />

hierzu in Textform ermächtigt haben. <strong>Die</strong>ses Argument<br />

ließ das Gericht nicht gelten. Denn mittels Satzungsänderung<br />

soll der Aufsichtsrat der Beteiligten aus zwanzig<br />

stimmberechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern<br />

mit beratender Funktion bestehen.<br />

Mit anderen Worten: Es ging durch die Satzungsänderung<br />

stets um 24 Aufsichtsratsmitglieder, mögen auch vier davon<br />

– mangels eigener Stimmberechtigung – allenfalls<br />

Mitglieder „zweiter Klasse“ sein. Auch nach § 109 Abs. 1<br />

S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen und<br />

Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände<br />

zulässig, nicht dagegen die ständige Teilnahme von<br />

bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern. So wurde<br />

auch in der herrschenden Literatur die satzungsmäßig vorgesehene<br />

Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an Aufsichtsratssitzungen<br />

einer AG für rechtswidrig erachtet,<br />

während hingegen wohl nur UweH.Schneider, ZIP 2002,<br />

873 ff. aus § 109 AktG ableitet, dass es kein derartiges generelles<br />

Verbot gebe und dies auch über die Satzung statuiert<br />

werden könne. Ob der BGH sich hierzu auch festgelegt,<br />

wenn ausgeführt ist, dass die Satzung daher über die<br />

in § 109 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3 AktG genannten Fälle hinaus<br />

den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats zugelassenen<br />

Personen nicht erweitern kann, bleibt offen.<br />

2. Als zweiten Grund für die Unwirksamkeit der satzungsmäßig<br />

erweiterten Höchstzahl im Aufsichtsrat führt der<br />

BGH Vertraulichkeitsbedenken an. Jüngst befasste sich<br />

auch Spindler, ZIP 2011, 689 ff. mit diesem Spannungsfeld<br />

aus der Verpflichtung zur Verschwiegenheit einerseits<br />

und deren Weisungsgebundenheit andererseits, wenn kommunale<br />

Mandatsträger – vorliegend ging es um eine städtische<br />

Konzernstruktur – zum Aufsichtsratsmitglied bestellt<br />

werden. Auch für Aufsichtsratsmitglieder, die von der öffentlichen<br />

Hand gestellt seien, gelte zwar die Verschwiegenheitspflicht.<br />

Zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes<br />

käme es aber dann, wenn das Aufsichtsratsmitglied als<br />

Vertreter von Gebietskörperschaften gleichzeitig einer Be-


ichtspflicht gegenüber seiner Körperschaft unterliege (so<br />

Spindler, aaO). Ähnlich führt der BGH aus, dass der Aufsichtsrat<br />

und seine Mitglieder von gesetzlich nicht vorgesehenen<br />

Organen abzugrenzen sein sollen – dies zum Zwecke<br />

der Erhaltung der Vertraulichkeit der Aufsichtsratssitzungen.<br />

<strong>Die</strong> Vorschrift soll verhindern, dass nicht dem<br />

Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende Personen<br />

ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen und so vergleichbare<br />

Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne hierfür<br />

die entsprechende Verantwortung zu tragen, weshalb die<br />

regelmäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen<br />

an den Sitzungen des Aufsichtsrats deshalb<br />

unzulässig ist.<br />

3. Ad drei argumentiert der BGH überzeugend mit einer<br />

Verletzung der (paritätischen) Mitbestimmung im Aufsichtsrat.<br />

Angesichts von bis zu vier permanenten, wenn<br />

auch nicht stimmberechtigten zusätzlichen Aufsichtsratsmitgliedern<br />

seitens der Arbeitgeberseite ist ein Übergewicht<br />

der Arbeitgeberseite offenkundig. Das Mitbestimmungsgesetz<br />

sieht – wie die BGH-Rechtsprechung postuliert<br />

– kein Prinzip von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbänken<br />

vor. Der Widerstreit der Interessen zwischen Anteilseigner-<br />

und Arbeitnehmervertretern kann – so die dahingehende<br />

BGH-Rechtsprechung – nur durch eine vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit der auf das Unternehmensinteresse<br />

verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder gelöst<br />

werden (BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, <strong>GmbH</strong>R, 1989,<br />

126 [LS]), ohne Stärkung der einen „Bank“.<br />

4. Zuletzt verstößt die satzungsmäßige Ermöglichung der<br />

Erweiterung des Aufsichtsrats um vier Personen gegen den<br />

Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats die gleichen<br />

Rechte und Pflichten haben sollen, was bei vier permanenten<br />

Mitgliedern allenfalls „zweiter Klasse“ – da<br />

stimmrechtslos – nicht gegeben ist. Hingegen geht der<br />

BGH stets von einem homogen zusammengesetzten Aufsichtsrat<br />

aus, wie er z.B. auch im Kontext der actio pro socio<br />

betont (BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, ZIP 1982,<br />

440).<br />

Insgesamt ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen, wobei<br />

es wünschenswert gewesen wäre, wenn eine entsprechende<br />

Klärung im Wege eines obiter dictum auch für den fakultativen<br />

Aufsichtsrat herbeigeführt worden wäre, was<br />

aber gerade offen blieb.<br />

Dr. Martin Pröpper, Rechtsanwalt und Fachanwalt<br />

für Arbeitsrecht, Köln<br />

(Rechtsanwälte Ulrich Weber & Partner GbR)<br />

Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz der<br />

<strong>GmbH</strong> gegen ihren Geschäftsführer wegen<br />

vermeintlicher Obliegenheitsverletzungen<br />

<strong>GmbH</strong>G § 43 Abs. 2; BGB § 249; ZPO § 287, § 533<br />

Für den Schadensbegriff im Sinne auch von § 43 Abs. 2<br />

<strong>GmbH</strong>G gelten grundsätzlich keine Besonderheiten, sondern<br />

die § 249 ff. BGB, so dass nach allgemeinen Grundsätzen<br />

ein Schaden dann vorliegt, wenn eine Minderung des Gesellschaftsvermögens<br />

eingetreten ist, ohne dass diese durch<br />

einen damit im Zusammenhang stehenden Vermögenszuwachs<br />

mindestens ausgeglichen ist.<br />

OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.10.2011 – 5 U 27/10<br />

(rechtskräftig; juris)<br />

Rechtsprechung<br />

394 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vom<br />

Selbstkontrahierungsverbot<br />

<strong>GmbH</strong>G § 2 Abs. 1a, § 53, § 54, § 66, § 68; BGB § 181<br />

1. <strong>Die</strong> Befreiung des Liquidators einer im vereinfachten<br />

Verfahren nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G unter Verwendung des<br />

in der Anlage b) zu § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G bestimmten Musterprotokolls<br />

gegründeten <strong>GmbH</strong> von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht entsprechend<br />

abgeändert wurde, macht einen Gesellschafterbeschluss<br />

erforderlich, mit dem unter Beachtung der Anforderungen<br />

der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G die Satzung entsprechend abgeändert<br />

wird.<br />

2. Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entweder<br />

eine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB erteilt werden, oder es muss<br />

eine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit von diesen<br />

Beschränkungen in der Satzung geschaffen werden, die<br />

dann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einen<br />

nachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein kann.<br />

OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.10.2011 – 20 W 95/11<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerdeführerin ist im vereinfachten Verfahren<br />

nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G mit einem Stammkapital i.H.v.<br />

10 c durch die Gesellschafter A1 und A2 durch Musterprotokoll<br />

errichtet worden (...). Zum ersten – und derzeit auch<br />

noch alleine im Handelsregister eingetragenen – Geschäftsführer<br />

der Beschwerdeführerin wurde der Gesellschafter<br />

A2 bestellt.<br />

<strong>Die</strong>ser hat mit Anmeldung v. ... 2010 unter gleichzeitiger<br />

Übersendung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses<br />

v. ... 2010 die Auflösung der Gesellschaft angemeldet<br />

(...). Weiterhin hat er angemeldet:<br />

„Ich bin zum Liquidator bestellt und von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB befreit. Ich vertrete die Gesellschaft alleine, solange<br />

kein weiterer Liquidator bestellt ist. Allgemein vertritt ein Liquidator<br />

allein, wenn nur ein Liquidator bestellt ist. Sind mehrere Liquidatoren<br />

bestellt, wird die Gesellschaft durch alle Liquidatoren<br />

gemeinsam vertreten.“<br />

Der übersandte Gesellschafterbeschluss v. ... 2010 ist nicht<br />

notariell beurkundet und zur Vertretungsbefugnis des Liquidators<br />

ist angeführt:<br />

„Er vertritt die Gesellschaft allein, solange er einziger Liquidator<br />

ist. Von den Beschränkungen des § 181 BGB ist Befreiung erteilt.“<br />

<strong>Die</strong> Rechtspflegerin des AmtsG (nachfolgend: RegG) hat<br />

den die Anmeldung übersendenden und verfahrensbevollmächtigten<br />

Notar mit Schreiben v. 19.11.2010 darauf hingewiesen,<br />

der Anmeldung könne noch nicht entsprochen<br />

werden, da bei der im vereinfachten Verfahren gegründeten<br />

Gesellschaft eine Befreiung des Liquidators von den<br />

Beschränkungen des § 181 BGB nicht möglich sei; hierzu<br />

sei eine Satzungsänderung erforderlich (...).<br />

Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar eingewandt,<br />

dass aus der Satzung nicht ersichtlich sei, dass die<br />

Befreiung des Liquidators von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB nicht möglich sei. Da die Geschäftsführer der<br />

Gesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB be-


freit seien, stehe auch einer Befreiung eines Liquidators<br />

der Gesellschaft nach dem Inhalt der Satzung nichts entgegen.<br />

Auch § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G stehe dem nicht entgegen<br />

(...).<br />

<strong>Die</strong> Rechtspflegerin hat mit Schreiben v. 16.12.2010 mitgeteilt,<br />

dass die Befreiung von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB bei einer nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G gegründeten<br />

Gesellschaft nur für den ersten im Musterprotokoll bestellten<br />

Geschäftsführer gelte. Nach inzwischen h.M. handele<br />

es sich bei der Befreiung von § 181 BGB im Musterprotokoll<br />

nur um einen unechten Satzungsbestandteil, so<br />

dass für alle später bestellten Vertretungsorgane diese Befreiung<br />

aus dem Musterprotokoll nicht gelte (Heidinger/<br />

Blath, ZNotP 2010, 376 ff.). <strong>Die</strong> Befreiung gelte auch<br />

nicht für den geborenen Liquidator fort, wenn die Satzung<br />

der Gesellschaft dies nicht ausdrücklich bestimme (Haas<br />

in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl., § 68 Rz. 4). Eine<br />

solche Bestimmung sei im Musterprotokoll aber generell<br />

nicht möglich (...).<br />

Der verfahrensbevollmächtigte Notar hat – unter Bezugnahme<br />

auf ein Hinweisschreiben des im Ersteintragungsverfahren<br />

der Beschwerdeführerin zuständigen Richters<br />

am AmtsG v. 28.7.2009, in dem dieser dargelegt hatte,<br />

„Mithin gestattet die Satzung (Musterprotokoll) die Bestellung jeweils<br />

nur eines Geschäftsführers, der (sei es der bei Gründung<br />

oder der nachfolgend bei Geschäftsführerwechsel bestellte Geschäftsführer)<br />

jeweils von den Beschränkungen des § 181 BGB<br />

befreit ist, und erfordert die Bestellung mehrerer Geschäftsführer<br />

eine Satzungsänderung“,<br />

an seiner Ansicht festgehalten und um einen rechtsmittelfähigen<br />

Bescheid gebeten (...).<br />

<strong>Die</strong> Rechtspflegerin hat daraufhin mit Zwischenverfügung<br />

v. 3.1.2011 die von ihr im Schreiben v. 16.12.2010 dargelegten<br />

Eintragungshindernisse wiederholt und die Eintragung<br />

der Befreiung des Liquidators von der Vornahme<br />

einer Satzungsänderung abhängig gemacht (...).<br />

Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar im<br />

Namen der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz v.<br />

27.1.2011 ... Beschwerde eingelegt (...). Wenn der im vereinfachten<br />

Verfahren berufene Geschäftsführer alleinvertretungsberechtigt<br />

sei und von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB kraft Gesetzes befreit sei, so gelte dies auch für<br />

den geborenen Liquidator, sofern die Satzung nichts anderes<br />

bestimme. Es gebe keinen Grund, eine Satzungsänderung<br />

vorzunehmen, um eine Gesellschaft aufzulösen.<br />

Hilfsweise beantragt er, die Eintragung der Auflösung vorzunehmen<br />

und die Eintragung der Befreiung des Liquidators<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB abzulehnen.<br />

Weiterhin beantragt er, über die Beschwerde zu entscheiden.<br />

In einem Vermerk v. 11.2.2011 hat die Rechtspflegerin unter<br />

Bezugnahme auf die Verfügung v. 3.1.2011 der Beschwerde<br />

nicht abgeholfen, da sie keine neuen Tatsachen<br />

vortrage, die eine andere rechtliche Beurteilung erforderlich<br />

machen würden (...) und die Beschwerde dem Senat<br />

zur Entscheidung vorgelegt.<br />

II.<br />

1. Zulässigkeit der Beschwerde<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde ist gemäß §§ 382 Abs. 4, 58 Abs. 1<br />

FamFG ... zulässig. ...<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 395<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Der Senat hat aus verfahrensökonomischen Gründen davon<br />

abgesehen, die Vorlageverfügung des RegG v.<br />

11.2.2011 (...) aufzuheben, und das Verfahren zur Durchführung<br />

eines den gesetzlichen Voraussetzungen des § 68<br />

Abs. 1 FamFG entsprechenden Abhilfeverfahrens – bei<br />

dem die Entscheidung über die Abhilfe durch einen begründeten<br />

und den Beteiligten bekannt zu gebenden Beschluss<br />

(§ 41 FamFG), der sich mit dem Beschwerdevorbringen<br />

eingehend auseinandersetzt, zu erfolgen hat – an<br />

das RegG zurückzugeben. So hat das RegG lediglich durch<br />

einen Nichtabhilfevermerk entschieden und sich offensichtlich<br />

mit dem Beschwerdevorbringen zumindest insoweit<br />

nicht weiter auseinandergesetzt, als in diesem ausdrücklich<br />

ein Hilfsantrag gestellt wurde, auf den das RegG<br />

in seinem Nichtabhilfevermerk nicht eingegangen ist.<br />

Hinsichtlich dieses Hilfsantrags der Beschwerdeführerin,<br />

der als zulässiger Antrag auf Teilvollzug der Anmeldung v.<br />

... 2010 dahingehend auszulegen ist, dass die Beschwerdeführerin<br />

damit vorab zumindest die Eintragung der Auflösung<br />

der Beschwerdeführerin begehrte und die Eintragung<br />

der Befreiung des angemeldeten Liquidators von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB gesondert hiervon gewahrt<br />

wissen wollte, hat das RegG bislang keine Entscheidung<br />

getroffen. Eine solche Entscheidung kann auch dem Nichtabhilfevermerk<br />

des RegG v. 11.2.2011 (...) nicht entnommen<br />

werden, der sich mit diesem Hilfsantrag nicht befasst,<br />

vielmehr lediglich die Nichtabhilfe mit einer Bezugnahme<br />

auf die bisher bereits vom RegG als Grundlage seiner Zwischenverfügung<br />

angeführten Argumente begründet. Das<br />

RegG hat sich demnach mit diesem Antrag auf Teilvollzug<br />

bislang offensichtlich nicht befasst, obwohl die Bedingung<br />

für dessen Wirksamwerden aufgrund der seitens des RegG<br />

auch im Abhilfeverfahren nicht geänderten Auffassung zur<br />

Nichteintragungsfähigkeit der Befreiung des Liquidators<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB eingetreten ist.<br />

Da somit über diesen Antrag der Beschwerdeführerin im<br />

erstinstanzlichen Verfahren noch nicht entschieden worden<br />

ist, und es auch an einer entsprechenden Beschwerde<br />

fehlt, durch die die Zuständigkeit des OLG zur Sachentscheidung<br />

begründet werden könnte, ist das Verfahren insoweit<br />

an das RegG zur eigenen Entscheidung zurückzugeben.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde ist dem OLG somit lediglich insoweit angefallen,<br />

als sie sich gegen die vom RegG in der angegriffenen<br />

Zwischenverfügung geäußerte Rechtsauffassung<br />

richtet, wonach die angemeldete Befreiung des Liquidators<br />

A2, O1, geboren am ..., von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB von der Vornahme einer Satzungsänderung abhängig<br />

sei.<br />

2. Keine Begründetheit der Beschwerde<br />

<strong>Die</strong>se Beschwerde ist unbegründet.<br />

<strong>Die</strong>s gilt unabhängig davon, ob der Beschluss der Gesellschafter<br />

der Beschwerdeführerin v. ... 2010 lediglich deren<br />

rechtliche Annahme wiederholt, der Liquidator sei ohne<br />

weiteres aufgrund der ihm im Musterprotokoll als Geschäftsführer<br />

erteilten Befreiung von den Beschränkungen<br />

des§181BGBebenfallsbefreit,oderobessichumeine<br />

ausdrückliche neue Beschlussfassung der Gesellschafter<br />

über die Befreiung für den Liquidator handelt.<br />

<strong>Die</strong> Befreiung des Liquidators einer im vereinfachten Verfahren<br />

nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G unter Verwendung des in<br />

der Anlage b) zu § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G bestimmten Muster-


protokolls gegründeten <strong>GmbH</strong> von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht entsprechend<br />

abgeändert wurde, macht einen Gesellschafterbeschluss<br />

erforderlich, mit dem unter Beachtung der Anforderungen<br />

der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G die Satzung entsprechend<br />

abgeändert wird.<br />

Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entweder<br />

eine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von den<br />

Beschränkungen des § 181 BGB erteilt werden, oder es<br />

muss eine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit von<br />

diesen Beschränkungen in der Satzung geschaffen werden,<br />

die dann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einen<br />

nachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein<br />

kann.<br />

Zunächst ist davon auszugehen, dass der bisherige Geschäftsführer<br />

A2 bereits kraft Gesetzes gemäß § 66 Abs. 1<br />

<strong>GmbH</strong>G zum Liquidator der Gesellschaft geworden ist.<br />

Der daneben gefasste entsprechende Gesellschafterbeschluss<br />

hat diese gesetzliche Berufung nicht beseitigt; dies<br />

kann ein Gesellschafterbeschluss nur dann, wenn durch<br />

ihn die Liquidation einer anderen Person als dem bisher<br />

amtierenden Geschäftsführer übertragen wird (vgl. Bay-<br />

ObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392,<br />

zitiert nach juris).<br />

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt die<br />

dem Geschäftsführer A2 im Rahmen ihrer Gründung durch<br />

Musterprotokoll erteilte Befreiung von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB jedoch auch für ihn als geborenem Liquidator<br />

nicht ohne weiteres fort.<br />

Insoweit hat der BGH für eine nicht mit Musterprotokoll<br />

gegründete <strong>GmbH</strong> durch Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 255/<br />

07, <strong>GmbH</strong>R 2009, 212, zitiert nach juris mit überzeugenden<br />

Gründen entschieden, dass eine für die Geschäftsführer<br />

in der Satzung erteilte Einzelvertretungsberechtigung<br />

und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB<br />

mit der Auflösung der <strong>GmbH</strong> endet und sich nicht für sie<br />

alsLiquidatorenfortsetzt,auchwennessichumdiegeborenen<br />

Liquidatoren der Gesellschaft handelt (zum Streitstand<br />

vgl. die Darstellung in dem in Bezug genommenen<br />

Urt. des BGH sowie die Nachw. bei K. Schmidt in Scholz,<br />

<strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68 Rz. 5, 5a). Dem zugrunde liegt das<br />

berechtigte Argument, wonach der in § 66 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G<br />

statuierte Grundsatz der Amtskontinuität lediglich besagt,<br />

dass die Geschäftsführer mangels abweichender Regelung<br />

ihr Amt für die Gesellschaft – wenn auch mit verändertem<br />

Zweck – weiterführen, mit dieser Fortführung des Amtes<br />

aber nicht gleichzeitig auch eine Kompetenzkontinuität in<br />

dem Sinne einhergeht, dass auch ihre bisherige Vertretungsmacht<br />

unverändert fortbestehen würde. Das Gesetz<br />

trifft in § 68 <strong>GmbH</strong>G für das Liquidationsverfahren eine<br />

eigenständige Vertretungsregelung, die bereits erkennen<br />

lässt, dass eine zuvor geschaffene, nicht ausdrücklich auf<br />

das Liquidationsverfahren ausgerichtete Vertretungsregelung<br />

von vorneherein nur für das Stadium der werbenden<br />

Gesellschaft gilt und mit der Auflösung eine Zäsur erfährt,<br />

die gegen ihre automatische Fortgeltung und für ihre Beendigung<br />

mit der Auflösung spricht. Es besteht auch keine<br />

Vermutung, dass es regelmäßig dem Willen der Gesellschafter<br />

entspricht, dass eine für mehrere Geschäftsführer<br />

bestehende Alleinvertretungsregelung oder eine Befreiung<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB ohne weiteres<br />

auch für ihre Funktion als geborene Liquidatoren gilt. Insoweit<br />

weist der BGH in dem in Bezug genommenen Urteil<br />

zu Recht darauf hin, dass eine derartige Vermutung<br />

Rechtsprechung<br />

396 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

– neben dem Argument der gesetzlichen Differenzierungen<br />

hinsichtlich der Vertretungsverhältnisse in der werbenden<br />

und der liquidierenden Gesellschaft – schon deswegen<br />

nicht gerechtfertigt ist, weil sich durch die Auflösung der<br />

Gesellschaft der Gesellschaftszweck ändert und nach Beendigung<br />

der Geschäftstätigkeit für die Gesellschafter<br />

nicht mehr – wie bei der werbenden Gesellschaft – die jederzeitige<br />

Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Vordergrund<br />

steht, sondern der Schutz der Gesellschaft, ihrer<br />

Gläubiger und/oder der der Mitgesellschafter höher zu bewerten<br />

sein kann. Hinzu kommt, dass der Liquidator darauf<br />

hinzuarbeiten hat, dass die Gesellschaft durch die Liquidation<br />

ihres Vermögens ihr rechtliches Ende findet (vgl.<br />

BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985,<br />

392, zitiert nach juris). Insoweit ist in § 70 <strong>GmbH</strong>G insbesondere<br />

gesetzlich normiert, dass die Liquidatoren die laufenden<br />

Geschäfte der aufgelösten Gesellschaft zu beendigen,<br />

deren Verpflichtungen zu erfüllen, deren Forderungen<br />

einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld<br />

umzusetzen haben. All dies zeigt, dass mit dem Auflösungsbeschluss<br />

der Gesellschafter eine derartige Zäsur in<br />

der Ausrichtung der Gesellschaft eintritt, die wiederum<br />

neue Regelungen auch zur organschaftlichen Stellung ihrer<br />

gesetzlichen Vertreter erforderlich macht.<br />

<strong>Die</strong>selben Argumente sprechen auch für die Diskontinuität<br />

der dem Geschäftsführer im Rahmen der Gründung einer<br />

<strong>GmbH</strong> (hier gleichzeitig auch Unternehmergesellschaft)<br />

mittels Musterprotokoll im vereinfachten Verfahren nach<br />

§ 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G erteilten Befreiung von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB.<br />

Egal, ob es sich bei der dem ersten Geschäftsführer erteilten<br />

Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in<br />

Ziff. 4 S. 2 des Musterprotokolls um eine nur diesem ersten<br />

Geschäftsführer erteilte konkrete Befreiung handelt (so<br />

bereits Beschl. des erkennenden Senats v. 15.4.2010 – 20<br />

W 66/10 m.w.N., bislang nicht veröffentlicht; Mayer in<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 2 Rz. 247 Jaeger in BeckOK<br />

<strong>GmbH</strong>G, Stand 1.5.2011, § 2 Rz. 76; OLG Bremen<br />

v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, <strong>GmbH</strong>R 2009, 1210; OLG Stuttgart<br />

v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, <strong>GmbH</strong>R 2009, 827; OLG<br />

Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, <strong>GmbH</strong>R 2011, 87 m.<br />

Komm. Dignas, jeweils zitiert nach juris) oder man demgegenüber<br />

annimmt, das Musterprotokoll enthalte eine abstrakte<br />

Befreiung des jeweiligen Nachfolgegeschäftsführers<br />

einer derart gegründeten <strong>GmbH</strong> (LG Ulm v. 24.2.2009<br />

–10T3/09KfH;Roth in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G,<br />

6. Aufl., § 2 Rz. 56) oder sogar für jeden weiteren zusätzlich<br />

bestellten Geschäftsführer (so Sandhaus, NJW-Spezial,<br />

2009, 607 f.), kann nicht angenommen werden, dass<br />

diese ausdrücklich für den Zeitraum der werbenden Gesellschaft<br />

formulierte Befreiung des Geschäftsführers<br />

(bzw. der Geschäftsführer) auch im Stadium der Liquidation<br />

ohne weiteres fort gelten.<br />

Selbst wenn der Gesetzgeber mit der von ihm im Musterprotokoll<br />

normierten Befreiung des Geschäftsführers von<br />

den Beschränkungen des § 181 BGB – die ausweislich der<br />

Motive (BT-Drucks. 16/6140, S. 28) Teil der vom Gesetzgeber<br />

beabsichtigten „einfach zu handhabenden Vertretungsregelung“<br />

ist, die den Regelungswünschen nachkomme,<br />

die Gründer einfach konzipierter Gesellschaftsverträge<br />

typischerweise hätten – zu erkennen gegeben haben<br />

sollte, dass er diese Befreiung für die Geschäftsführer<br />

der typischerweise mit Musterprotokoll gegründeten Unternehmergesellschaft<br />

im Gegensatz zu der auf bisher aus-


schließlich zulässigem Weg gegründeten <strong>GmbH</strong> als Regelfall<br />

ansehe (vgl. Dignas, Komm. zu OLG Hamm v.<br />

4.11.2010 – 15 W 436/10, <strong>GmbH</strong>R 2011, 88 f.), kann daraus<br />

nicht geschlossen werden, dass er dies dann auch für<br />

den Zeitraum der Liquidation als solchen gesetzlichen Regelfall<br />

bestimmen wollte. Der Gesetzgeber hat mit der<br />

Schaffung der zunächst beabsichtigten beurkundungsfreien<br />

Mustersatzung bzw. des dann letztlich Gesetz gewordenen<br />

beurkundungspflichtigen Musterprotokolls durch das<br />

Gesetz zur Modernisierung des <strong>GmbH</strong>-Rechts und zur Bekämpfung<br />

von Missbräuchen (MoMiG) ausdrücklich das<br />

Ziel verfolgt, die Gründung einer <strong>GmbH</strong> in unkomplizierten<br />

Standartfällen zu erleichtern und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu stärken (BT-Drucks. 16/6140, S. 27 u.<br />

16/9737, S. 54). Dass mit dieser Novellierung auch eine<br />

Vereinfachung des Liquidationsverfahrens oder überhaupt<br />

eine Regelung dieses Verfahrens für eine mit Musterprotokoll<br />

gegründete <strong>GmbH</strong>/UG verbunden sein sollte, ist aus<br />

den Gesetzesmotiven nicht zu entnehmen. Im Gegenteil<br />

hat der Gesetzgeber ausweislich des Gesetzentwurfs v.<br />

25.7.2007 (BT-Drucks. 16/6140, S. 1) als Ziel der Gesetzesnovellierung<br />

gerade auch die Bekämpfung von Missbrauchsfällen<br />

„am Ende des Lebens einer <strong>GmbH</strong>“ angeführt<br />

und u.a. Bestimmungen zur Haftung der Geschäftsführer<br />

in der Insolvenz der Gesellschaft und der Anmeldepflicht<br />

der Auflösung verschärft. <strong>Die</strong>sem Ziel würde eine<br />

einfachere Handhabung der bekanntermaßen einen Missbrauch<br />

erleichternden Befreiung von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB gerade nicht entsprechen.<br />

Da demnach die dem Geschäftsführer A2 im Musterprotokoll<br />

erteilte Befreiung von den Beschränkungen des § 181<br />

BGB für ihn als Liquidator nicht ohne weiteres fort gilt,<br />

setzt ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Eintragung<br />

dieser Befreiung in das Handelsregister voraus, dass der<br />

von den Gesellschaftern der Beschwerdeführerin<br />

am ...2010 in einfacher Form gefasste Beschluss über dessen<br />

Befreiung auch als Liquidator – eine derartige Beschlussfassung<br />

unterstellt – den an eine solche Beschlussfassung<br />

zu stellenden Anforderungen genügt.<br />

<strong>Die</strong>s ist jedoch nicht der Fall.<br />

Das Musterprotokoll enthält, wie bereits dargelegt, keine<br />

Regelungen hinsichtlich der Liquidation der Gesellschaft,<br />

mithin weder eine konkrete Befreiung des Liquidators,<br />

noch eine abstrakte Befreiung der Liquidatoren der Gesellschaft<br />

oder etwa eine satzungsmäßige Befreiungsmöglichkeit<br />

für den Liquidator, die Grundlage für einen entsprechenden<br />

einfachen Gesellschafterbeschluss sein könnte.<br />

Der Senat folgt insoweit zur Frage der Befreiung eines Liquidators<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB der<br />

Ansicht, dass eine solche einer satzungsmäßigen Grundlage<br />

bedarf, mithin ein ohne diese Grundlage gefasster einfacher<br />

Gesellschafterbeschluss – selbst wenn er einstimmig<br />

gefasst ist – nicht ausreichend ist (OLG Zweibrücken v.<br />

19.6.1998–3W90/98,<strong>GmbH</strong>R1999,237=BayObLGv.<br />

19.10.1995 – 3Z BR 218/95, <strong>GmbH</strong>R 1996, 56, jeweils zitiert<br />

nach juris; BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85,<br />

<strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert nach juris; K. Schmidt in<br />

Scholz, <strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68 Rz. 5a; Kleindiek in Lutter/<br />

Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 68 Rz. 5; Wälzholz,<br />

<strong>GmbH</strong>R, 2002, 305 ff; a.A. Müller in<br />

Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 68 Rz. 7, 8; Haas in<br />

Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl., § 68 Rz. 4, 6 wonach<br />

auch ein einfacher Gesellschafterbeschluss ohne entsprechende<br />

Satzungsgrundlage ausreichend sei). Dem Li-<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 397<br />

Gesellschaftsrecht<br />

quidator als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der<br />

abzuwickelnden Gesellschaft ist es – wie dem Geschäftsführer<br />

der werbenden Gesellschaft – nach der gesetzlichen<br />

Grundkonzeption grundsätzlich verboten, im Namen der<br />

Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter<br />

eines Dritten Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Zumindest<br />

die generelle Befreiung von diesem Verbot gehört zu den<br />

Leitprinzipien der gesellschaftlichen Ordnung der Gesellschaft<br />

und muss deshalb in deren Gesellschaftsvertrag eine<br />

Ermächtigung haben (vgl. BayObLG v. 14.5.1985 – BReg.<br />

3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert nach juris; so auch für<br />

die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in<br />

der werbenden Gesellschaft u.a. OLG Nürnberg v.<br />

5.3.2010–12W376/10;KGBerlinv.21.3.2006–1W<br />

252/05, <strong>GmbH</strong>R 2006, 653; Beschl. des erkennenden Senats<br />

des OLG Frankfurt a. M. v. 8.12.1982 – 20 W 132/83;<br />

OLGKölnv.2.10.1992–2Wx33/92,<strong>GmbH</strong>R1993,37;<br />

OLG Celle v. 16.9.2000 – 9 W 82/00, <strong>GmbH</strong>R 2000, 1098;<br />

jeweils zitiert nach juris; zu Gegenansicht in der Literatur<br />

vgl. die Nachw. in ... OLG Nürnberg v. 5.3.2010 – 12 W<br />

376/10).<br />

Insoweit folgt auch aus der gesetzlichen Regelung des § 68<br />

Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G, wonach die Liquidatoren ihre Willenserklärungen<br />

in der „bei ihrer Bestellung bestimmten<br />

Form“ kundzugeben haben, nichts anderes. <strong>Die</strong>se Regelung<br />

erlaubt den Gesellschaftern im Liquidationsverfahren<br />

lediglich ein Abweichen von dem in § 68 Abs. 1 S. 2<br />

<strong>GmbH</strong>G normierten Grundsatz der Gesamtvertretung<br />

durch die Liquidatoren durch einfachen Gesellschafterbeschluss<br />

im Unterschied zur werbenden Gesellschaft, bei<br />

der ein solches Abweichen lediglich aufgrund einer entsprechenden<br />

gesellschaftsvertraglichen Regelung zulässig<br />

ist (vgl. § 35 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G), nicht jedoch auch die Befreiung<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB durch<br />

einfachen Gesellschafterbeschluss (vgl. BayObLG v.<br />

14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert<br />

nach juris; K. Schmidt in Scholz, <strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68<br />

Rz. 5a, m.w.N.; a.A. Müller in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G,<br />

2011, § 68 Rz. 8). Wenn das Gesetz insoweit die Durchbrechung<br />

des Grundsatzes der Gesamtvertretung für das Liquidationsverfahren<br />

durch einfachen Gesellschafterbeschluss<br />

zulässt, folgt daraus nicht, dass dies entsprechend<br />

auch für die Befreiung von § 181 BGB gilt. Im Hinblick<br />

auf die dargelegte allgemeine Bedeutung dieser Befreiung<br />

– und deren engen satzungsmäßigen Voraussetzungen<br />

schon bei der werbenden Gesellschaft – kommt eine derartige<br />

erweiternde Auslegung von § 68 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G<br />

im Stadium der Liquidation der Gesellschaft nicht in Frage.<br />

<strong>Die</strong>s stellt auch sicher, dass sich Außenstehende durch<br />

eine entsprechende Einsichtnahme in den im Handelsregister<br />

einsehbaren Gesellschaftsvertrag der Liquidationsgesellschaft<br />

jederzeit Klarheit über diesen bedeutenden<br />

Umstand verschaffen können, was bei einer einfachen Beschlussfassung<br />

ohne Berücksichtigung der Anforderungen<br />

der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G und konstitutiver Wirkung der entsprechenden<br />

Handelsregistereintragung (§ 54 Abs. 3<br />

<strong>GmbH</strong>G) nicht der Fall wäre.<br />

Auch der Umstand, dass vorliegend eine Gründung mittels<br />

Musterprotokoll erfolgte, begründet keine Notwendigkeit<br />

einer anderen rechtlichen Einordnung.<br />

Wie bereits oben dargelegt, hat der Gesetzgeber mit der<br />

Einführung des Musterprotokolls ausschließlich eine neue<br />

Regelung zur Gründung der <strong>GmbH</strong>/UG geschaffen und<br />

gerade keine neue Regelung hinsichtlich deren Abwick-


lung im Rahmen der Liquidation. Somit kann er auch die<br />

Befreiung des Liquidators von den Beschränkungen des<br />

§ 181 BGB im Rahmen der Liquidation nicht als gesetzlichen<br />

Regelfall bestimmt haben. Es ist schon nicht anzunehmen,<br />

dass der Gesetzgeber bei Schaffung des Musterprotokolls<br />

die Frage, ob die Befreiung des Liquidators von<br />

den Beschränkungen des § 181 BGB auch bei einer Gründung<br />

durch Musterprotokoll von einer entsprechenden Satzungsgrundlage<br />

abhängig ist oder eine solche durch einen<br />

einfachen Gesellschafterbeschluss möglich sein sollte,<br />

überhaupt in seine Erwägungen mit einbezogen hat. Gegen<br />

eine derartige Intention des Gesetzgebers einer Vereinfachung<br />

der Befreiung von den Beschränkungen des § 181<br />

BGB, die sich möglicherweise auch auf die Beurteilung<br />

des Liquidationsverfahren auswirken könnte, spricht im<br />

Übrigen auch der Umstand, dass der Gesetzgeber – wie<br />

oben bereits dargelegt – in der Gesetz gewordenen Fassung<br />

nicht – wie noch im Gesetzentwurf vom 25.7.2007 vorgesehen<br />

– die formfreie Mustersatzung beschlossen hat, sondern<br />

das notariell zu beurkundende Musterprotokoll (§ 2<br />

Abs. 1a, S. 5 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G) und damit<br />

auch die in diesem enthaltene Befreiung des Geschäftsführers<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB diesem<br />

Formerfordernis unterworfen hat.<br />

Auch die umstrittene Einordnung der rechtlichen Qualität<br />

der in Nr. 4 des Musterprotokolls enthaltenen Geschäftsführerbestellung<br />

und der Befreiung von den Beschränkungen<br />

des § 181 BGB entweder jeweils als echte Satzungsregelungen,<br />

als echte Satzungsregelung nur soweit es die<br />

Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB betrifft<br />

oder als unechte Satzungsregelungen, zumindest, soweit<br />

es die Geschäftsführerbstellung betrifft (vgl. hierzu<br />

u.a. OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, <strong>GmbH</strong>R<br />

2010, 872; LG Stralsund v. 27.1.2009 – 3 T 7/08, <strong>GmbH</strong>R<br />

2009, 829 [LS]; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2009, 1210; jeweils zitiert nach juris; Sandhaus,<br />

NJW-Spezial, 2009, 607 f.; Heckschen, DStR, 2009,<br />

166 f.; Ries, NZG 2009, 739 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 2 Rz. 47) führt zu keiner anderen<br />

rechtlichen Beurteilung. Selbst wenn man die Befreiung<br />

von den Beschränkungen des § 181 BGB lediglich als<br />

einen unechten Satzungsbestandteil ansehen wollte (mit<br />

beachtlichen Argumenten gegen eine derartige Auslegung:<br />

Herrler, <strong>GmbH</strong>R 2010, 960 ff.), ändert dies nichts<br />

daran, dass mit dem Musterprotokoll lediglich Regelungen<br />

für die werbende Gesellschaft geschaffen worden<br />

sind, die auf die Liquidationsgesellschaft nicht zu übertragen<br />

sind. ...<br />

3. Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2<br />

Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die hier entscheidungserhebliche<br />

Rechtsfrage über den konkreten Einzelfall hinaus<br />

in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen relevant werden<br />

kann und deshalb ein Interesse der Allgemeinheit an einer<br />

einheitlichen Handhabung des Rechts besteht.<br />

Rechtsprechung<br />

398 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vor<br />

Inkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschafterliste<br />

<strong>GmbH</strong>G § 5 Abs. 3 S. 2, § 34, § 40<br />

<strong>Die</strong>nt die neu eingereichte Gesellschafterliste der Korrektur<br />

einer Gesellschafterliste mit vor dem Inkrafttreten des Mo-<br />

MiG am 1.11.2008 liegenden Stichtag, muss die Summe der<br />

Nennbeträge aller Geschäftsanteile nicht mit dem Stammkapital<br />

übereinstimmen.<br />

OLG München, Beschl. v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

In den Dokumentenordner des elektronischen Handelsregisters<br />

sind bisher zwei Gesellschafterlisten der Beschwerdeführerin<br />

(Datum: 30.3.2005 und 18.12.2006) aufgenommen.<br />

Als Gesellschafter der <strong>GmbH</strong> sind jeweils die beiden<br />

Geschäftsführer mit einer Stammeinlage i.H.v. 27.500 DM<br />

bzw. 12.500 DM aufgeführt, außerdem heißt es: „Eigene<br />

Anteile ... DM 10.000“. <strong>Die</strong> Summe der Stammeinlagen ist<br />

mit 50.000 DM angegeben.<br />

Mit Schreiben v. 5.8.2011 reichten die beiden Geschäftsführer<br />

eine Gesellschafterliste ein, die die bereits angeführten<br />

Gesellschaftsanteile der Geschäftsführer mit<br />

40.000 DM ausweist. Als Stammkapital der Gesellschaft<br />

ist ein Betrag i.H.v. 50.000 DM angegeben. Unterhalb der<br />

Liste findet sich folgender Zusatz:<br />

„An der Gesellschaft war ehedem die (...) mit einem Geschäftsanteil<br />

im Nennbetrag von 10.000 DM beteiligt. <strong>Die</strong>ser vormalige<br />

Geschäftsanteil der (...) im Nennbetrag von 10.000 DM wurde<br />

durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der Gesellschaft<br />

vom 11.12.2001 ohne weitere Maßnahmen eingezogen. Aufgrund<br />

dieser erfolgten Einziehung besteht zwischen der Summe der<br />

Nennbeträge der vorhandenen Geschäftsanteile (= 40.000 DM)<br />

und dem Stammkapital der Gesellschaft (= 50.000 DM) eine Differenz“.<br />

<strong>Die</strong> Einreichung der Liste soll nach Erklärung der Beschwerdeführerin<br />

der Berichtigung der Gesellschafterliste<br />

v. 18.12.2006 dienen. Mit Beschl. v. 20.9.2011 lehnte das<br />

RegG die Einstellung der Gesellschafterliste in den Registerordner<br />

ab [AmtsG München v. 20.9.2011 – HRB 80529].<br />

Es liege ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 S. 2 <strong>GmbH</strong>G vor, da<br />

in der eingereichten Liste die Summe der Nennbeträge aller<br />

Geschäftsanteile nicht mit dem Stammkapital übereinstimme.<br />

...<br />

II.<br />

<strong>Die</strong> ... Beschwerde ist in der Sache begründet. Das RegG<br />

hat die Einstellung der Gesellschafterliste in das Handelsregister<br />

zu Unrecht abgelehnt.<br />

1. <strong>Die</strong> Geschäftsführer waren auch vor dem Hintergrund<br />

von § 40 <strong>GmbH</strong>G befugt, die Gesellschafterliste v.<br />

18.12.2006 unter Zugrundelegung des vor Inkrafttreten<br />

des MoMiG geltenden Rechts zu berichtigen.<br />

a) <strong>Die</strong> Geschäftsführer einer <strong>GmbH</strong> sind über den Wortlaut<br />

des § 40 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G hinaus befugt, für die Berichtigung<br />

technischer Defizite zu sorgen sowie eine inhaltliche<br />

Korrektur der Gesellschafterliste herbeizuführen, sofern<br />

diese – wie hier – mit Billigung der Gesellschafter erfolgt<br />

(vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G,


19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 38 u. 40). Eine solche inhaltliche<br />

Korrektur ist im vorliegenden Fall geboten, da die Vorschrift<br />

des § 16 Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G hinsichtlich des gutgläubigen<br />

Erwerb von Gesellschaftsanteilen vom Nichtberechtigten<br />

auch auf Gesellschaften Anwendung finden kann,<br />

die vor Inkrafttreten des MoMiG gegründet wurden (vgl.<br />

§ 3 Abs. 3 EG<strong>GmbH</strong>G).<br />

b) <strong>Die</strong> nun eingereichte Gesellschafterliste muss der erst<br />

am 1.11.2008 in Kraft getretenen Vorschrift des § 5 Abs. 3<br />

S. 3 <strong>GmbH</strong>G nicht entsprechen. Das neu geschaffene Gebot<br />

der Übereinstimmung der Summe aller Geschäftsanteile<br />

mit dem Stammkapital gilt nicht für Sachverhalte vor Inkrafttreten<br />

des MoMiG am 1.11.2008. Vor diesem Zeitpunkt<br />

war über das Gründungsstadium hinaus keine Übereinstimmung<br />

von Stammkapital und Summe der Geschäftsanteile<br />

vom Gesetz gefordert (vgl. Hueck/Fastrich<br />

in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 18. Aufl. 2006, § 5 Rz. 9).<br />

Mangels einer Übergangsregelung für Altfälle sind Veränderungen<br />

im Gesellschafterbestand vor dem 1.11.2008 an<br />

dem damals geltenden Recht zu messen. Für die Anwendung<br />

des § 5 Abs. 3 S. 2 n.F. auf Altfälle wäre eine Überleitungsvorschrift<br />

unverzichtbar gewesen (vgl. Ulmer,DB<br />

2010, 321 [323]).<br />

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin,<br />

dass durch die unterhalb der Gesellschafterliste vermerkte<br />

Erläuterung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass<br />

die Liste auf dem Einziehungsbeschluss v. 11.12.2001 beruht<br />

und daher die Gesellschafter und deren Geschäftsanteile<br />

im Zeitpunkt vor Inkrafttreten des MoMiG abbildet.<br />

Daraus und aus den übrigen Erklärungen der Beschwerdeführerin<br />

ergibt sich mit hinreichender Sicherheit, dass sich<br />

die nun eingereichte Liste auf den Stichtag 18.12.2006 bezieht,<br />

weil sie der Korrektur der zuletzt in den Registerordner<br />

aufgenommenen Liste der Gesellschafter dient.<br />

Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellste im<br />

Registerordner aufgenommene Liste bei Neueinreichung<br />

<strong>GmbH</strong>G § 5 Abs. 3 S. 2, § 40 Abs. 2 S. 2<br />

<strong>Die</strong> vom Notar einzureichende Gesellschafterliste hat unabhängig<br />

vom Datum der Aufnahme der jeweiligen Liste in<br />

den Registerordner an die aktuellste dort aufgenommene<br />

Liste der Gesellschafter anzuknüpfen.<br />

OLG München, Beschl. v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

Ausweislich der Dokumentenübersicht für die beteiligte<br />

<strong>GmbH</strong> im elektronischen Handelsregister sind folgende<br />

Gesellschafterlisten in den Registerordner eingestellt:<br />

„Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />

10.2.2011 (erstellt zum 27.2.2008),<br />

Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />

9.2.2011 (erstellt zum 30.12.2010),<br />

Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />

3.1.2011 (erstellt zum 30.12.2010) ...“<br />

<strong>Die</strong> am 10.2.2011 in den Registerordner aufgenommene<br />

Liste der Gesellschafter (Stichtag 27.2.2008) enthält ab-<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 399<br />

Gesellschaftsrecht<br />

weichend von der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste<br />

(Stichtag 30.12.2010) keine laufende Nummer<br />

10, während in der am 9.2.2011 aufgenommenen Liste<br />

(Stichtag: 30.12.2010) unter dieser Nummer ein Geschäftsanteil<br />

i.H.v. 1.100 c einer natürlichen Person zugeordnet<br />

ist. In der Gesellschafterliste (Stichtag 27.2.2008)<br />

sind unter laufender Nummer 10.7 bis 10.10 vier Geschäftsanteile<br />

im Gesamtwert von 1.100 c aufgeführt, als<br />

deren Inhaber drei natürlichen Personen und eine <strong>GmbH</strong><br />

angegebensind.<strong>Die</strong>Nummern10.7bis10.10fehleninder<br />

am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste (Stichtag:<br />

30.12.2010). Ferner ist in der Liste (Stichtag<br />

27.2.2008) unter laufenden Nummern 10.6 und 12 jeweils<br />

eine natürliche Person als Inhaber von Geschäftsanteilen<br />

von 350 c bzw. 3.500 c angeführt. Unter diesen Nummern<br />

sind die entsprechenden Geschäftsanteile in der am<br />

9.2.2011 aufgenommenen Liste (Stichtag 30.12.2010)<br />

einer <strong>GmbH</strong> zugeordnet.<br />

<strong>Die</strong> von der beschwerdeführenden Notarin im September<br />

2011 eingereichte Gesellschafterliste (Stichtag:<br />

30.12.2010) knüpft an die am 10.2.2011 in den Registerordner<br />

aufgenommene Liste (Stichtag: 27.2.2008) an. Daher<br />

fehlt die laufende Nummer 10 der Geschäftsanteile, dagegen<br />

sind die Geschäftsanteile Nummern 10.7 bis 10.10<br />

angeführt, zu 10.6 und 12 ist die natürliche Person und<br />

nicht die in der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste<br />

zum 30.12.2010 bezeichnete <strong>GmbH</strong> angeführt. <strong>Die</strong><br />

Gesellschafterliste ist von einem einzelvertretungsberechtigten<br />

Geschäftsführer der <strong>GmbH</strong> unterschrieben. Dazu<br />

hat die Beschwerdeführerin unter dem 1.9.2011 folgende<br />

Bescheinigung ausgestellt:<br />

„Ich bescheinige in meiner Eigenschaft als Notarin, dass die geänderten<br />

Eintragungen in der vorstehenden Gesellschafterliste den<br />

Veränderungen entsprechen, an denen ich mitgewirkt habe, und<br />

die übrigen Eintragungen mit dem Inhalt der zuletzt im Handelsregister<br />

aufgenommenen Liste übereinstimmen“.<br />

Das AmtsG hat die eingereichte Liste mit der Begründung<br />

beanstandet, dass unter laufenden Nummern 10.6 und 12<br />

der von der Beschwerdeführerin eingereichten Gesellschafterliste<br />

nicht die in der Gesellschafterliste zum<br />

30.12.2010 angeführte <strong>GmbH</strong> als Inhaberin der Gesellschaftsanteile<br />

bezeichnet sei, sondern die in der Gesellschafterliste<br />

zum 27.2.2008 genannte natürliche Person.<br />

Demgegenüber stellte sich die Beteiligte unter Hinweis auf<br />

den Gesetzeswortlaut auf den Standpunkt, dass sie eine<br />

Gesellschafterliste im Anschluss an die zuletzt in den Registerordner<br />

aufgenommene Liste einzureichen habe. Das<br />

AmtsG hat unter Festhalten an seiner Rechtsauffassung<br />

mit Beschl. v. 30.11.2011 die Einstellung „der Gesellschafterliste<br />

mit Stichtag 30.12.2010 / Erstellungsdatum:<br />

1.9.2011“ abgelehnt [AmtsG München v. 30.11.2011 –<br />

HRB 161333]....<br />

II.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die<br />

von der Beschwerdeführerin eingereichte Gesellschafterliste<br />

nicht an die am 10.2.2011 in den Registerordner aufgenommene<br />

Liste der Gesellschafter anzuknüpfen hatte,<br />

sondern an die am 9.2.2011 aufgenommene Liste.<br />

1. Der Beschwerdeführerin ist darin beizutreten, dass nach<br />

dem Gesetzeswortlaut von § 40 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G die von<br />

dem Notar einzureichende Gesellschafterliste „mit dem Inhalt<br />

der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste<br />

übereinstimmen“ muss. <strong>Die</strong>s wird auch in der Literatur so


gesehen (vgl. etwa <strong>Die</strong>ter Mayer, ZIP 2009, 1037 [1048]<br />

oder Bayer in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl.<br />

2009, § 40 Rz. 34). <strong>Die</strong>s gilt aber dann nicht, wenn die zuletzt<br />

in den Registerordner aufgenommene Liste zeitlich<br />

gesehen nicht die aktuellste ist. Denn der an im Rahmen<br />

von § 40 <strong>GmbH</strong>G relevanten Veränderungen mitwirkende<br />

Notars hat an die Liste mit dem aktuellen Stichtag anzuschließen,<br />

um den Gesetzeszweck der Transparenz des Gesellschaftsbestands<br />

zu erreichen. Dem steht der Wortlaut<br />

von § 40 Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G nicht entgegen.<br />

a) <strong>Die</strong> Amtspflicht des Notars zur Vorlage der ggf. zu korrigierenden<br />

Gesellschafterliste (so ausdrücklich BGH v.<br />

1.3.2011 – II ZB 6/10, NZG 2011, 516 [517] = <strong>GmbH</strong>R<br />

2011, 474 m. Komm. Heidinger, Rz. 10) ist in unmittelbarem<br />

Zusammenhang mit der durch § 40 <strong>GmbH</strong>G normierten<br />

Pflicht zur Einreichung einer Gesellschafterliste zu sehen.<br />

Insoweit ist durch das MoMiG die Bedeutung der Gesellschafterliste<br />

erheblich aufgewertet (vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff,<br />

<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 40 Rz. 3) und<br />

der Grundsatz geschaffen worden, dass der im Registerordner<br />

verlautbare Gesellschafterbestand aus Gründen der<br />

Transparenz ständig zu aktualisieren ist (vgl. etwa Altmeppen<br />

in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 6. Aufl. 2009, § 40<br />

Rz. 1; Bayer, <strong>GmbH</strong>R 2012, 1 ff.). Schon daraus ergibt<br />

sich, dass sich die Verpflichtung des Notars zur Einreichung<br />

der Gesellschafterliste und zur Erteilung der Bescheinigung<br />

nach § 40 Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G auf die Einreichung<br />

einer aktuellen Gesellschafterliste bezieht. <strong>Die</strong>se<br />

hat an die zum Zeitpunkt der Erstellung der Bescheinigung<br />

in den Registerordner eingestellte aktuellste Gesellschafterliste<br />

anzuknüpfen. Denn das Gesetz verpflichtet in § 40<br />

Abs. 2 S. 1 <strong>GmbH</strong>G den Notar, „unverzüglich“ nach dem<br />

Wirksamwerden beurkundeter Veränderungen „die Liste“<br />

einzureichen, wie dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G auch<br />

für den Geschäftsführer gilt. Es setzt damit voraus, dass die<br />

letzte der in den Registerordner aufgenommenen Listen<br />

auch die aktuellste ist. So ist auch die Formulierung in § 40<br />

Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G zu verstehen, nach der vom Notar zu<br />

bescheinigen ist, dass „die übrigen Eintragungen mit dem<br />

Inhalt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste<br />

übereinstimmen“.<br />

b) Insoweit treffen den von Amts wegen „zur erhöhten<br />

Richtigkeitsgewähr“ (vgl. Löbbe, <strong>GmbH</strong>R 2012, 7 [9]) am<br />

Listeninhalt mitwirkenden Notar auch vor dem Hintergrund<br />

der im Übrigen bestehenden Korrekturpflicht des<br />

Geschäftsführers (vgl. dazu Liebscher/Goette, DStR 2010,<br />

2039 [2041]) – formelle – Prüfungspflichten. <strong>Die</strong>s gilt jedenfalls<br />

dann, wenn für ihn auf der Hand liegende technische<br />

Defizite im Registerordner zu bereinigen sind. Im<br />

vorliegenden Fall besteht die Amtspflicht der Beschwerdeführerin<br />

darin, eine an die durch einen bloßen Blick in das<br />

elektronische Handelsregister zu identifizierende aktuellste<br />

Liste anknüpfende Gesellschafterliste einzureichen.<br />

<strong>Die</strong>s gilt auch für den hier gegebenen Fall, dass die „Anknüpfungsliste“<br />

nicht die letzte in das Handelsregister eingestellte<br />

Gesellschafterliste ist (ebenso Zöllner/Noack in<br />

Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 40<br />

zu den Pflichten des Geschäftsführers, wenn er kraft Amtes<br />

am Inhalt der Gesellschafterliste mitzuwirken hat). Insoweit<br />

wird keine materielle Prüfungspflicht des Notars<br />

hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der einzureichenden<br />

Liste geschaffen, sondern lediglich die Verpflichtung,<br />

zur „erhöhten Richtigkeitsgewähr“ (so die Formulierung<br />

im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/<br />

6140, S. 44) die einzureichende Liste an die nach dem Re-<br />

Rechtsprechung<br />

400 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Gesellschaftsrecht<br />

gisterordner aktuellste Gesellschafterliste anschließen zu<br />

lassen.<br />

2. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das AmtsG die<br />

Einstellung der von der Beteiligten eingereichten Gesellschafterliste<br />

zu Recht abgelehnt hat, weil diese nicht an die<br />

aktuellste Gesellschafterliste anschließt. Bei Neuerstellung<br />

der Gesellschafterliste wird die Beschwerdeführerin<br />

zu beachten haben, dass sich im Registerordner eine weitere<br />

Gesellschafterliste zum 30.12.2010 befindet, die allerdings<br />

bereits am 3.1.2011 in den Registerordner aufgenommen<br />

worden ist. Insoweit wird sie die am 9.2.2011 in<br />

den Registerordner eingestellte aktualisierte Gesellschafterliste<br />

zugrunde zu legen haben. Bei Neueinreichung der<br />

Liste wird ferner zu beachten sein, dass eine solche nach<br />

§ 40 Abs. 2 S. 1 <strong>GmbH</strong>G vom Notar, nicht aber vom Geschäftsführer,<br />

zu unterschreiben ist (vgl. OLG München v.<br />

27.5.2009 – 31 Wx 38/09, NJW-RR 2009, 972 [973] =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2009, 825).<br />

Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichts<br />

bei Anmeldung einer Geschäftsführerin zur<br />

Eintragung in das Handelsregister<br />

<strong>GmbH</strong>G § 39 Abs. 1 u. 2<br />

1. Eine besondere Prüfungspflicht trifft das Registergericht<br />

immer dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die vom<br />

Antragsteller eingereichte Urkunde die beantragte Eintragung<br />

rechtfertigt.<br />

2. Zur Vermutungswirkung einer vom Notar unterzeichnetenundgesiegeltenUrkunde.<br />

3. Zur missbräuchlichen Verwendung eines angeblich abhanden<br />

gekommenen Notarsiegels.<br />

KG Berlin, Beschl. v. 22.8.2011 – 25 W 17/11<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus den Gründen:<br />

A.<br />

<strong>Die</strong> Beteiligte zu 1) meldete am 21.10.2010 mit der Urkunde<br />

Nr. 306/2010 des Notars H ... die Beteiligte zu 2) als auf<br />

der unter Bezug auf die Gesellschafterliste v. 4.10.2010<br />

durchgeführten Gesellschafterversammlung v. 19.10.2010<br />

neu bestellte, stets alleinvertretungsberechtigte und von<br />

den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Geschäftsführerin<br />

zur Eintragung in das Handelsregister an. Laut der<br />

Gesellschafterliste v. 4.10.2010 des Notars B ... enthielt<br />

diese die Veränderungen, die sich aufgrund der UR-<br />

Nr. 444/2010 des Notars B v. 4.10.2010 ergaben. Mit<br />

Schriftsatz v. 5.11.2010 (...) teilte Notar B dem AmtsG<br />

Charlottenburg mit, der Notarvermerk auf der Gesellschafterliste<br />

der Beteiligten zu 1) v. 4.10.2010 sei unrichtig. Der<br />

Notarvermerk sei aufgrund von falschen Voraussetzungen<br />

zustande gekommen. Ferner beantragte er die Rücknahme<br />

der Anträge betreffend die Urkunden Nr. 395/10 u. 399/10<br />

(...). Er wandte sich am 22.10.2010 telefonisch an das<br />

RegG und teilte der zuständigen Rechtspflegerin mit, ihm<br />

sei das Siegel entwendet und von diesem rechtsmissbräuchlich<br />

bei Herstellung der genannten Urkunden Gebrauch<br />

gemacht worden (...). Mit Urkunde UR-Nr. 307/<br />

2010 des Notars H v. 20.10.2010 widerrief die Beteiligte<br />

zu 2) im Namen der Beteiligten zu 1) alle von dieser dem<br />

Notar B erteilten Vollmachten (...).


Das AmtsG Charlottenburg hat ... den Eintragungsantrag<br />

zurückgewiesen [AmtsG Charlottenburg v. 27.1.2011 – 82<br />

HRB 101466 B]. Es hat dies damit begründet, dass nach<br />

Mitteilung des Notars B der Gesellschafterliste v.<br />

4.10.2010 eine Falschbeurkundung zugrunde liege. ...<br />

B.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat keinen Erfolg.<br />

I. ... II. ...<br />

Das AmtsG Charlottenburg hat zu Recht den Antrag v.<br />

20.10.2010 auf Eintragung der Beteiligten zu 2) als neuer<br />

Geschäftsführerin zurückgewiesen.<br />

Gemäß § 39 <strong>GmbH</strong>G sind der bei jeder Änderung in den<br />

Personen der Geschäftsführer und bei der Beendigung der<br />

Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers vorzunehmenden<br />

Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister<br />

(§ 39 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G) die Urkunden über die Bestellung<br />

des Geschäftsführers oder über die Beendigung der Vertretungsbefugnis<br />

in Urschrift oder öffentlich beglaubigter<br />

Abschrift beizufügen (§ 39 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G). Anhand dieser<br />

Urkunden hat das RegG zu prüfen, ob sie die beantragte<br />

Eintragung rechtfertigen.<br />

<strong>Die</strong> von der Beteiligten zu 1) vorgelegten Urkunden rechtfertigen<br />

die beantragte Eintragung der Beteiligten zu 2) als<br />

Geschäftsführerin in das Handelsregister jedoch nicht.<br />

Dabei kommt es auf den entsprechenden Antrag des Notars<br />

B v. 4.10.2010 nicht an. <strong>Die</strong>ser ist nämlich gegenstandslos,<br />

nachdem die Beteiligte zu 1) mit Urkunde Nr. 307/2010<br />

des Notars H alle Vollmachten des Notars B widerrufen<br />

hatte.<br />

Entscheidend ist damit die Anmeldung des Notars H zu<br />

dessen UR-Nr. 306/2010 v. 20.10.2010 (...). Bei der Antragstellung<br />

nahm er Bezug auf die Gesellschafterversammlung<br />

der Beteiligten zu 1) v. 19.10.2010, die unter<br />

Bezug auf die vom Notar B eingereichte Gesellschafterliste<br />

v. 4.10.2010 stattgefunden hatte. <strong>Die</strong>ser lag aber nach<br />

Angaben des Notars B eine Falschbeurkundung zugrunde,<br />

nachdem die Urkunden Nr. 395/10, 399/10 u. 444/10 unter<br />

Missbrauch des ihm entwendeten Siegels zustande gekommen<br />

seien. Aufgrund dieser Mitteilung hatte das RegG<br />

nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die zur Eintragung<br />

angemeldete Erklärung – hier die Abberufung der<br />

bisherigen Geschäftsführerin M und die Bestellung der<br />

neuen Geschäftsführerin S – zu überprüfen. Eine solche<br />

Pflicht besteht für das RegG immer dann, wenn begründete<br />

Zweifel gegen die Richtigkeit der beurkundeten Erklärung<br />

bestehen (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.12.2000 – 3 Wx 432/<br />

00, <strong>GmbH</strong>R 2001, 243 [244], m.w.N.). Das ergibt sich<br />

schon aus der dem RegG allgemein obliegenden Aufgabe,<br />

darüber zu wachen, dass Erklärungen, die der Rechtslage<br />

nicht entsprechen, nicht in das Handelsregister aufgenommen<br />

und so mit amtlicher Hilfe verbreitet werden (OLG<br />

Düsseldorfv.15.12.2000–3Wx432/00,<strong>GmbH</strong>R2001,<br />

243 [244]; BayObLG v. 18.7.1991 – BReg. 3 Z 133/90,<br />

<strong>GmbH</strong>R 1992, 304 m.w.N).<br />

Begründete Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben<br />

und der sie bestätigenden Urkunden ergaben sich<br />

hier insbesondere daraus, dass der Notar B am 22.10.2010<br />

telefonisch und am 5.11.2010 schriftlich dem RegG mitgeteilt<br />

hatte, dass sowohl die von ihm erstellte Gesellschafterliste<br />

v. 4.10.2010 als auch seine Urkunden 395/10 u.<br />

444/10 unter missbräuchlicher Verwendung des ihm ab-<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 401<br />

Gesellschaftsrecht<br />

handen gekommenen Siegels zustande gekommen seien.<br />

Zwar wird dann, wenn eine Urkunde Unterschrift und Siegel<br />

eines Notars trägt, vermutet, dass sie wirklich von der<br />

Person stammt, die als Notar auf der Urkunde bezeichnet<br />

ist und dass diese Person mit öffentlichem Glauben versehen<br />

ist (Schippel/Bracker/Reithmann, Bundesnotarordnung,<br />

9. Aufl. 2011, Vor §§ 20 – 24 Rz. 7). <strong>Die</strong>se Vermutung<br />

war aber durch die Angaben des Notars B v.<br />

22.10.2010 und v. 5.11.2010 erschüttert worden.<br />

<strong>Die</strong>se Zweifel konnte die Beteiligte zu 2) nicht ausräumen.<br />

Eine Heilung liegt insbesondere nicht in der Bestellung der<br />

Beteiligten zu 2) zur Geschäftsführerin zur UR-Nr. 306/10<br />

des Notars H v. 19.10.2010 (...). <strong>Die</strong>se bezieht sich nämlich<br />

auf die Gesellschafterliste des Notars B v. 4.10.2010. Da<br />

diese aber vom aufnehmenden Notar selbst inkriminiert<br />

worden war, bestehen die genannten Zweifel an ihrer<br />

Wirksamkeit fort.<br />

<strong>Die</strong> Heilung liegt auch nicht in der Geschäftsführerbestellung<br />

der Beteiligten zu 2) v. 8.2.2011. <strong>Die</strong> DER-Ltd. hatte<br />

zwar am 8.2.2011 zur UR-Nr. 54/2011 des Notars H sämtliche<br />

Gesellschaftsanteile an der Beteiligten zu 1) auf die<br />

DRP-LIMITED übertragen. Ebenfalls am 8.2.2011 hatte<br />

die Beteiligte zu 1) als neue alleinige Gesellschafterin unter<br />

Verzicht auf die Wahrung aller Fristen eine Gesellschafterversammlung<br />

einberufen sowie abgehalten und auf dieser<br />

die Beteiligte zu 2) unter Abberufung der bisherigen<br />

Geschäftsführerin M zur neuen Geschäftsführerin bestellt<br />

(...).<br />

Damit sind aber die vom AmtsG Charlottenburg geltend<br />

gemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorgelegten<br />

Urkunden wiederum nicht beseitigt. Dabei kann es dahin<br />

stehen, ob mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile an<br />

der Beteiligten zu 1) v. 8.2.2011 die zweifelhafte Beurkundung<br />

Nr. 444/10 des Notars B geheilt ist und ob überhaupt<br />

eine rückwirkende Heilung nach Rückweisungsbeschluss<br />

während der Beschwerdefrist in Betracht kommt. In jedem<br />

Falle fehlt es nämlich an der zweifelsfrei rechtmäßigen<br />

Übertragung der Gesellschaftsanteile durch die F-LIMI-<br />

TED auf die DER-Ltd. <strong>Die</strong>se war am 3.9.2010 zur UR-<br />

Nr. 395/10 des Notars B beurkundet worden. Da aber auch<br />

diese Urkunde nach Angaben des Notars B unter missbräuchlicher<br />

Verwendung des ihm abhanden gekommenen<br />

Siegels zustande gekommen war, fehlt es an einem wirksamen<br />

Nachweis der Gesellschafterstellung der Veräußerin<br />

DER-Ltd. und folglich auch der Erwerberin DER-Ltd.,<br />

weshalb die Eintragung ins Handelsregister unzulässig war.<br />

Nach alledem hat das AmtsG Charlottenburg den Eintragungsantrag<br />

v. 20.10.2010 zu Recht zurückgewiesen.<br />

Über den Eintragungsantrag v. 8.2.2011 war mangels<br />

rechtsmittelfähiger Erstentscheidung des AmtsG Charlottenburg<br />

nicht zu entscheiden. ...<br />

Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweigniederlassung<br />

einer Limited bei Löschung der ausländischen<br />

Hauptniederlassung<br />

FamFG § 395 Abs. 1<br />

1. <strong>Die</strong> deutsche Zweigniederlassung einer im Registrar of<br />

Companies for England and Wales gelöschten und aufgelösten<br />

britischen Hauptniederlassung ist bis zur vollständigen<br />

Beendigung der Liquidation der deutschen Restgesellschaft<br />

beschwerdebefugt.


2. Eine deutsche Zweigniederlassung ist gemäß § 395<br />

FamFG immer dann im Handelsregister zu löschen, wenn<br />

die Hauptniederlassung im ausländischen Heimatregister<br />

gelöscht worden ist.<br />

KG Berlin, Beschl. v. 24.10.2011 – 25 W 37/11<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus den Gründen:<br />

A.<br />

Das AmtsG Charlottenburg teilte der Beteiligten mit<br />

Schreiben vom 31.3.2011 mit, dass es deren Löschung beabsichtige,<br />

nachdem die Hauptniederlassung der Gesellschaft<br />

im Register des Companies House von England und<br />

Wales in Cardiff mit der Nr. 5891117 am 15.3.2011 als<br />

„dissolved“ und damit als gelöscht gekennzeichnet worden<br />

war, womit die Grundlage für die Eintragung einer Zweigniederlassung<br />

entfallen sei.<br />

<strong>Die</strong> Beteiligte legte mit Schreiben v. 19.4.2011 Widerspruch<br />

ein, und behauptete, dass die Hauptniederlassung<br />

nun wieder bestehe. Zum Nachweis legte sie ein Certificate<br />

des Companies House vom 18.4.2011 vor, aus dem hervorgeht,<br />

dass an diesem Tag die LS-LIMITED unter der<br />

Company Number 7607294 in das englische Register eingetragen<br />

worden ist.<br />

Den Widerspruch der Beteiligten wies das RegG ... mit der<br />

Begründung zurück, bei der jetzigen LS-LIMITED handele<br />

es sich um eine neue Hauptniederlassung, die – trotz Namensgleichheit<br />

– mit der neuen Gesellschaft nicht identisch<br />

sei [AmtsG Charlottenburg v. 20.4.2011 – 82 HRB<br />

104444 B]. Eine Zweigniederlassung einer gelöschten Gesellschaft<br />

könne es jedoch nicht geben. ...<br />

Mit Beschl. v. 10.5.2011 hat das AmtsG Charlottenburg<br />

der Beschwerde nicht abgeholfen.<br />

B.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde der Beteiligten hat keinen Erfolg.<br />

I.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde ist zulässig. ... <strong>Die</strong> Beteiligte ist nach § 59<br />

Abs. 1 FamFG auch beschwerdebefugt, da sie durch die<br />

beabsichtigte Löschung in ihren Rechten nachhaltig beeinträchtigt<br />

wird und zudem auch nach der nach englischem<br />

Recht durchgeführten Löschung und Auflösung bis zur<br />

vollständigen Beendigung der Liquidation der (deutschen)<br />

Restgesellschaft als aktiv und passiv parteifähig anzusehen<br />

ist (OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/07, NZG<br />

2008, 76 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 41 m. Komm. Werner).<br />

II.<br />

<strong>Die</strong> Beschwerde ist jedoch unbegründet.<br />

Gemäß § 395 Abs. 1 FamFG kann das RegG eine Eintragung<br />

von Amts wegen löschen, wenn die Eintragung nachträglich<br />

unzulässig geworden ist. Entscheidend ist, dass die<br />

Eintragung in dem Zeitpunkt unzulässig ist, in dem über<br />

die Löschung wegen der der Unzulässigkeit befunden wird<br />

(Keidel/Heinemann, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 395<br />

Rz. 13). Eine Zweigniederlassung ist immer dann zu löschen,<br />

wenn die Hauptniederlassung im ausländischen<br />

Heimatregister gelöscht worden ist (Krafka/Willer/Kühn,<br />

Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). Wird eine private<br />

limited company nach englischem Recht im Heimatregis-<br />

Rechtsprechung<br />

402 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

ter gelöscht („dissolved“), so verliert sie hierdurch ihre<br />

Rechtsfähigkeit (OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/<br />

07, NotBZ 2007, 372 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 1109; Krafka/Willer/Kühn,<br />

Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). <strong>Die</strong>s bedeutet,<br />

dass auch die Zweigniederlassung einer nicht mehr<br />

existenten Hauptniederlassung mangels eigener Rechtspersönlichkeit<br />

zu löschen ist (Krafka/Willer/Kühn, Registerrecht,<br />

8. Aufl. 2010, Rz. 337a).<br />

Zwar hat die Beteiligte vorgetragen, dass die LS-Limited<br />

am 18.4.2011 wieder in das Registrar of Companies for<br />

England and Wales eingetragen worden sei. Zwar ist eine<br />

Wiedereintragung nach dem englischen Companies Act<br />

2006 innerhalb von sechs Jahren nach der Löschung wieder<br />

möglich (Krömker/Otte, BB 2008, 964 [966]). Allerdings<br />

handelt es sich hier nach den Angaben der Beteiligten<br />

im Schreiben v. 7.5.2011 nicht um eine solche Wiedereintragung<br />

einer zuvor gelöschten, sondern um eine völlig<br />

neue Gesellschaft. Dafür spricht auch der Umstand, dass<br />

die am 18.4.2011 in das englische Register eingetragene<br />

Gesellschaft die Nr. x trägt, die gelöschte Hauptniederlassung<br />

der Beteiligten jedoch unter Nr. y verzeichnet war.<br />

Damit stellt sich die von der Beteiligten offenbar aufgeworfene<br />

und in der Literatur diskutierte Frage (vgl. Krömker/Otte,<br />

BB 2008, 964 [966]), ob eine wiedereingetragene<br />

britische Limited automatisch in die Position der Hauptniederlassung<br />

zur deutschen Zweigniederlassung einrücken<br />

kann, wodurch die Notwendigkeit der Löschung entfiele,<br />

hier nicht.<br />

Damit erfolgt die Amtslöschung gemäß § 395 Abs. 1 S. 1<br />

FamFG zu Recht. ...<br />

Rechtsprechung<br />

Steuerrecht<br />

Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />

Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />

EStG 1990 § 5 Abs. 1 u. Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 3; HGB<br />

§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1, § 255 Abs. 1 S. 1; BGB<br />

§ 414, § 613a<br />

Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer<br />

aufgrund steuerlicher Rückstellungsverbote (hier: für Jubiläumszuwendungen<br />

und für Beiträge an den Pensionssicherungsverein)<br />

in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden<br />

sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit<br />

im Zuge eines Betriebserwerbs übernommen hat, keinem<br />

Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse<br />

Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an den<br />

nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG<br />

1990 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren<br />

Teilwert zu bewerten (Bestätigung und Fortführung des<br />

Sen.Urt. v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl II<br />

2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382; entgegen BMF-Schr. v.<br />

24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861,<br />

BStBl. I 2011, 627).<br />

BFH, Urt. v. 14.12.2011 – I R 72/10


� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

[1] <strong>Die</strong> Klägerin (Kl.in), eine <strong>GmbH</strong>, ist (seit 2008)<br />

Rechtsnachfolgerin einer <strong>GmbH</strong> & Co. KG, die wiederum<br />

Rechtsnachfolgerin der (seinerzeitigen) D-<strong>GmbH</strong> ist. <strong>Die</strong><br />

D-<strong>GmbH</strong> übernahm zum 1.7.1994, dem Streitjahr, den Betrieb<br />

einer Tochtergesellschaft, der DM-<strong>GmbH</strong> als Gesamtheit<br />

von Wirtschaftsgütern („asset deal“). Mit Ausnahme<br />

der Patente, Lizenzen und Handelsmarken sowie<br />

des Firmenwerts wurden die Vermögensgegenstände und<br />

Schulden in der (handelsrechtlichen) Eröffnungsbilanz der<br />

D-<strong>GmbH</strong> auf den 1.7.1994 mit den Buchwerten gemäß der<br />

Bilanz der DM-<strong>GmbH</strong> angesetzt. Der Firmenwert wurde<br />

nach Abzug der übernommenen Buchwerte und der bewerteten<br />

Vermögensgegenstände ermittelt und auf 15 Jahre<br />

abgeschrieben.<br />

[2] Im Rahmen dieses Vorgangs wurden u.a. auch Jubiläumsrückstellungen<br />

und Rückstellungen für Verpflichtungen<br />

gegenüber dem Pensionssicherungsverein (PSVaG)<br />

von der D-<strong>GmbH</strong> übernommen und bei der Bemessung des<br />

Kaufpreises berücksichtigt. Zwischen den Beteiligten ist<br />

umstritten, ob diese übernommenen Passiva unbeschadet<br />

steuerlicher Ausweisverbote in der Steuerbilanz zum<br />

31.12.1994 anzusetzen sind. <strong>Die</strong> Kl.in bejahte dies mit<br />

wechselnden Begründungen. Zuletzt begehrte sie, die Passiva<br />

bereits in der Eröffnungsbilanz zum 1.7.1994 unter<br />

Beachtung der steuerlichen Ausweisverbote anzusetzen<br />

und den daraus resultierenden Unterschiedsbetrag zur<br />

Handelsbilanz durch entsprechende Abstockung des erworbenen<br />

Firmenwerts auszugleichen. Das FA vertrat<br />

demgegenüber im Ergebnis die Auffassung, die übernommenen<br />

Passiva seien in der steuerlichen Eröffnungsbilanz<br />

mit ihren gemeinen Werten anzusetzen; sie seien jedoch in<br />

der (ersten) Schlussbilanz zum 31.12.1994 nach steuerlichen<br />

Grundsätzen auszuweisen.<br />

[3] Mit ihrer Klage gegen den hiernach geänderten Körperschaftsteuerbescheid<br />

1994 beantragte die Kl.in, die<br />

Summe der Einkünfte um 942.297 DM zu mindern<br />

(841.850 DM Jubiläumsrückstellung, 132.940 DM Rückstellung<br />

für Beiträge zum PSVaG, 32.493 DM Minderung<br />

der Absetzung für Abnutzung des Firmenwerts). Das FG<br />

gab der Klage unter Hinweis auf das Sen.Urt. BFH v.<br />

16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011,<br />

566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 statt (FG Düsseldorf v. 29.6.2010<br />

– 6 K 7287/00 K, EFG 2011, 34).<br />

[4] ... [6] Das BMF ist dem Revisionsverfahren beigetreten.<br />

Es hat sich in der Sache dem FA angeschlossen. Beide<br />

argumentieren mit dem BMF-Schr. v. 24.6.2011 – IV C 6 -<br />

S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627.<br />

II.<br />

[7] <strong>Die</strong> Revision ist vom FA in der gebotenen Weise<br />

(§ 120 Abs. 2, § 118 Abs. 2 FGO) begründet worden und<br />

damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet (§ 126 Abs. 2<br />

FGO).<br />

1. Anwendung der Grundsätze ordnungsmäßiger<br />

Buchführung<br />

[8] Gemäߧ8Abs.1KStG1991i.V.m.§5Abs.1S.1<br />

EStG 1990 hatte die D-<strong>GmbH</strong> in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen<br />

anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen<br />

Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)<br />

auszuweisen ist. <strong>Die</strong> „handelsrechtlichen“ GoB ergeben<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 403<br />

Steuerrecht<br />

sich u.a. aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des<br />

Dritten Buchs „Vorschriften für alle Kaufleute“ der<br />

§§ 238 ff. HGB. Sie werden für Kapitalgesellschaften ergänzt<br />

durch die Bestimmungen der §§ 264 ff. HGB.<br />

2. Gebot der Berücksichtigung nur realisierter<br />

Gewinne<br />

[9] Zu den wesentlichen GoB zählt das Gebot, Gewinne<br />

nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag<br />

realisiert sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 HGB). Daraus<br />

folgt u.a., dass Anschaffungsvorgänge erfolgsneutral zu<br />

behandeln sind. Der Zugang von Wirtschaftsgütern zum<br />

Betriebsvermögen führt zu einer bloßen Umschichtung in<br />

der Bilanz in Höhe der Anschaffungskosten; ein unterschiedlicher<br />

Ansatz von Zu- und Abfluss ist ausgeschlossen.<br />

Eine Gewinnrealisierung kann nur aufgrund nachfolgender<br />

betrieblicher Umsatzakte erfolgen.<br />

[10] Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 S. 1<br />

HGB die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen<br />

Vermögensgegenstand zu erwerben und in einen betriebsbereiten<br />

Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand<br />

einzeln zugeordnet werden können. <strong>Die</strong>ser<br />

handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten ist in<br />

Ermangelung einer abweichenden Definition im Einkommensteuergesetz<br />

auch der steuerbilanziellen Beurteilung<br />

(gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) zugrunde zu legen<br />

(BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,<br />

BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382; v. 26.4.2006 – I<br />

R 49, 50/04, BFHE 213, 374, BStBl. II 2006, 656 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 891, m.w.N.). <strong>Die</strong> bei der Übernahme von<br />

Verbindlichkeiten zutreffend erhöhten Anschaffungskosten<br />

bilden die Ausgangsgröße für die weitere bilanzielle<br />

Entwicklung eines zugegangenen Wirtschaftsguts.<br />

3. Erfolgsneutrale Behandlung von Anschaffungsvorgängen<br />

[11] Der Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung von<br />

Anschaffungsvorgängen findet auch auf übernommene<br />

Passivpositionen und hierbei unabhängig davon Anwendung,<br />

ob der Ausweis dieser Passivpositionen in der Steuerbilanz<br />

einem – von der Handelsbilanz abweichenden –<br />

Ausweisverbot ausgesetzt ist. Denn auch die Übernahme<br />

steuerrechtlich zu Recht nicht bilanzierter Verbindlichkeiten<br />

ist Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts<br />

(vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 61/06, BFHE 219, 529,<br />

BStBl. II 2008, 555 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 667, m.w.N.) und erhöht<br />

mithin dessen Anschaffungskosten. Das hat der Senat<br />

in ... BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,<br />

BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382, für sog. Drohverlustrückstellungen<br />

entschieden, welche ihrerseits nach<br />

§ 5 Abs. 4a EStG 1997 einem steuerbilanziellen Ansatzund<br />

Ausweisverbot unterfallen. Nichts anderes gilt für das<br />

entsprechende Verbot in § 5 Abs. 4 (i.V.m. § 52 Abs. 6)<br />

EStG 1990, wonach Rückstellungen für die Verpflichtung<br />

zu einer Zuwendung anlässlich eines <strong>Die</strong>nstjubiläums nur<br />

unter bestimmten, hier unstreitig nicht erfüllten Anforderungen<br />

gebildet werden dürfen. Und gleichermaßen verhält<br />

es sich hinsichtlich der „erworbenen“ Zahlungspflichten<br />

gegenüber dem PSVaG: Solche (künftigen) Pflichten<br />

unterfielen jedenfalls im Streitjahr (zur möglicherweise<br />

abweichenden Regelungsentwicklung des Insolvenzschutzes<br />

in der betrieblichen Altersversorgung seit 2006 s. z.B.<br />

Höfer/Veit/Verhuven, BetrAVG, BandII, 7. Aufl.,<br />

Rz. 2467.8) einem handelsbilanziellen Ansatzwahlrecht,<br />

was steuerbilanziell ein Ansatzverbot nach sich zieht; der


Senat hält an seiner diesbezüglichen Spruchpraxis (vgl.<br />

BFH v. 13.11.1991 – I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl. II<br />

1992, 336; v. 6.12.1995 – I R 14/95, BFHE 180, 258,<br />

BStBl. II 1996, 406) fest. Für beide Aufwandspositionen<br />

ordnet das Gesetz von den handelsbilanziellen Ansätzen<br />

abweichende, spezifisch steuerbilanzielle Ansatzverbote<br />

an. Durch derartige Verbote sollen – lediglich – am Stichtag<br />

bereits vorhandene Verpflichtungen entgegen den Vorgaben<br />

des (handels-)bilanzrechtlichen Imparitätsprinzips<br />

(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranlagungszeiträume<br />

verlagert werden. Für den Fall, dass die in<br />

Rede stehende Zuwendungsverpflichtung entgeltlich erworben<br />

wird, greifen die Verbote indes nicht. Denn dann<br />

ist die Verpflichtung realisiert. Sie ist deswegen vom Erwerber<br />

sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz<br />

passivisch auszuweisen (vgl. bereits BFH v. 16.12.2009 –<br />

I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R<br />

2010, 382, m.w.N.). Abzustellen ist dabei auf die jeweilige<br />

im Zuge des Betriebserwerbs übernommene Schuldposition.<br />

Für einen davon abweichenden, „technisch“ vereinfachten<br />

Ausweis, wie ihn die Kl.in befürwortet – zunächst<br />

Berücksichtigung der steuerrechtlichen Ansatzrestriktionen<br />

bereits in der handelsrechtlichen Eröffnungsbilanz, sodann<br />

jedoch „Neutralisierung“ der dadurch bedingten Ausweisdifferenz<br />

über eine Abstockung des Firmenwerts – geben<br />

die GoB nichts her.<br />

4. Keine Trennung von Anschaffungsvorgang und<br />

(nachfolgender) Bilanzierung<br />

[12] Dem dagegen gerichteten Einwand des BMF (in<br />

BMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/<br />

0501861, BStBl. I 2011, 627) und des FA, der Anschaffungsvorgang<br />

sei in der handels- wie steuerrechtlichen Eröffnungsbilanz<br />

abschließend abgebildet, fortan – und damit<br />

auch in der ersten Schlussbilanz – greife indes wiederum<br />

das steuerliche Ausweisverbot, ist (abermals) nicht<br />

beizupflichten.<br />

[13] a) Es ist dazu dasjenige zu wiederholen, das schon ...<br />

in BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl.<br />

II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 erwidert worden ist: Es<br />

geht fehl, den eigentlichen Anschaffungsvorgang von der<br />

(nachfolgenden) Bilanzierung auf den Bilanzstichtag und<br />

auf diese Weise den erfolgsneutralen Anschaffungsvorgang<br />

und den rückstellungsgesperrten Bilanzansatz voneinander<br />

zu trennen. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten<br />

werden durch tatsächliche Gegebenheiten bestimmt.<br />

In diesem Umfang und in jener Höhe, in denen sie<br />

tatsächlich entstanden sind, gehen sie erfolgsneutral in die<br />

(nachfolgende) Bilanzierung ein und darf ihr Bewertungsansatz<br />

dabei (nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) weder<br />

über- noch unterschritten werden. Das betrifft auch „miterworbene“<br />

Schulden, die als solche einem steuerlichen<br />

Ausweisverbot unterworfen sind. Andernfalls würde genau<br />

jener „Erwerbsgewinn“ ausgewiesen, der dem Anschaffungskostenbegriff<br />

und -verständnis fremd ist. Für<br />

die Annahme eines ausnahmsweise auszuweisenden „gesetzlichen<br />

Bewertungsgewinns“ (so aber Meurer, BB<br />

2011, 1714) gibt die Regelungslage nichts her, ebenso wenig<br />

wie für eine Unterscheidung zwischen einer „formalen“<br />

Gewinnrealisation beim Veräußerer und einem „materiellen“<br />

– kompensierenden – Gewinnausweis beim Erwerber<br />

(so aber Siegel, FR 2011, 781 [787]). Letzteres mag<br />

bei einer „übergeordneten“ wirtschaftlichen Sichtweise<br />

durchaus nachvollziehbar sein, löst sich jedoch von den<br />

Normzusammenhängen. Tatsächlich wendet der Erwerber<br />

Rechtsprechung<br />

404 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

infolge der Verbindlichkeitsübernahme eben entsprechend<br />

„weniger“ auf, wodurch sich seine Anschaffungskosten<br />

mindern. Zu diesem Ergebnis gelangt denn auch Siegel,<br />

wenn dieser einräumt, dass der Erwerber sich das „Gewinnkompensat“<br />

„freilich ... bezahlen lässt“ (Siegel, FR<br />

2011, 781 [786]). Nur die Schlussfolgerung ist eine andere:<br />

Genau dadurch wird der Gewinnausweis beim Erwerber<br />

vermieden. Dass dieser die Schuld gegenüber dem Gläubiger<br />

übernimmt und dass dadurch aus einer Gesamtsicht<br />

„alles beim alten bleibt“, widerspricht dem nicht.<br />

[14] <strong>Die</strong> allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze gehen den<br />

spezifisch steuerrechtlichen Ausweisbeschränkungen für<br />

die Situation der „angekauften“ Verpflichtung nach allem<br />

uneingeschränkt vor. Der Senat schließt sich damit der<br />

überwiegend vertretenen Rechtsauffassung an (z.B. FG<br />

Münsterv.15.6.2011–9K1292/07K,BB2011,2800,mit<br />

Zustimmung von Oser, BB 2011, 2802, – zur Pensionsrückstellung<br />

–; Schlotter, Ubg 2010, 635; Schlotter/Pinkernell,<br />

FR 2011, 689; U. Prinz, FR 2011, 1015 [1020 f.];<br />

U. Prinz/Adrian, BB 2011, 1646; U. Prinz/Adrian, StuB<br />

2011, 171; Emig/Walter, NWB 2010, 2124; Buciek, FR<br />

2010, 426; Schönherr/Krüger, DStR 2010, 1709; Schultz,<br />

DB 2011, 608; Geberth/Höhn, DB 2010, 1905; Hoffmann<br />

in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar,<br />

§§ 4, 5 Rz. 899; anders z.B. Meurer, BB 2011,<br />

1259 u. 1714; Pitzke/Klein, NWB2011,2276;Siegel, FR<br />

2011, 781; M. Prinz, FR 2010, 426 u, FR 2011, 445). <strong>Die</strong><br />

gegenläufige Verwaltungspraxis (in BMF v. 24.6.2011 –<br />

IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,<br />

627) ist abzulehnen.<br />

[15] b) Allerdings betraf das Sen.Urt. BFH v. 16.12.2009<br />

– I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2010, 382 (lediglich) die Situation des (internen)<br />

Schuldbeitritts. Für diesen Fall ist der Erwerber im Verhältnis<br />

zum Veräußerer verpflichtet, diesen von der gegenüber<br />

dem Gläubiger der Schuld weiterbestehenden Zahlungspflicht<br />

freizustellen. <strong>Die</strong> entsprechende Freistellungsverpflichtung<br />

ist aufgrund des vorangegangenen<br />

Realisationsaktes vom Erwerber sowohl in der Handelsals<br />

auch in der Steuerbilanz passivisch auszuweisen.<br />

[16] EsbliebinjenemUrt.desBFHv.16.12.2009–IR<br />

102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R<br />

2010, 382, jedoch unbeantwortet, ob sich ein abweichendes<br />

Ergebnis für die im Streitfall in Rede stehende Situation<br />

ergeben könnte, wenn der Verpflichtungserwerber<br />

durch eine wechselseitige Vereinbarung mit dem Veräußerer<br />

einerseits und dem Verpflichtungsgläubiger andererseits<br />

eine Vertragsübernahme (nach § 414 oder – hier –<br />

§ 613a BGB) vereinbart und der Erwerber an Stelle des<br />

Veräußerers die Verpflichtung übernimmt. Auch diese Frage<br />

ist indes – in Einklang mit dem schon zitierten Meinungsbild<br />

– zu verneinen. Zwar stellt sich die Verpflichtungslage<br />

für diese Situation aus Sicht sowohl des Erwerbers<br />

wie des Gläubigers vor wie nach der Veräußerung<br />

„faktisch“ als unverändert dar; hier wie dort verbleibt es<br />

bei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehrigen)<br />

Schuldners, welche „an sich“ dem steuerbilanziellen<br />

Ausweisverbot unterworfen ist. Doch ändert das abermals<br />

nichts daran, dass die Verpflichtung beim Veräußerer infolge<br />

des „Ankaufs“ zwischenzeitlich als solche realisiert<br />

wordenist.DerErwerber„übernimmt“zwarein(weiterhin)<br />

schwebendes Geschäft. Doch markiert die (befreiende)<br />

Schuldübernahme die ausschlaggebende Zäsur: <strong>Die</strong><br />

Verpflichtung wurde dadurch beim Veräußerer realisiert


und das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber ist<br />

fortan nicht mehr (Gegen-)Leistung im Rahmen des<br />

schwebenden Vertrags, vielmehr (nur noch) dinglicher Erfüllungsakt.<br />

Auf diesem Realisationsakt – und den dafür<br />

aufgewendeten Anschaffungskosten – baut sodann wiederum<br />

die nachfolgende handels- wie steuerrechtliche Bilanzierung<br />

auf. Erneut bestimmt die handels- wie steuerrechtliche<br />

„Erfolgsneutralität“ der Anschaffung den Bilanzierungsansatz<br />

und wird dieser Ansatz unbeschadet des<br />

fortbestehenden Charakters der auszuweisenden Verbindlichkeit<br />

ohne einen gegenläufigen Regelungsbefehl nicht<br />

von steuerlichen Ansatz- und Bewertungsbeschränkungen<br />

und -verboten verdrängt. An einem derartigen gegenläufigen<br />

Regelungsbefehl fehlt es indes. Für eine privilegierte<br />

„Normzweckverwirklichung der Rückstellungsansatzverbote<br />

beim Neuschuldner“ im Rahmen der anzusetzenden<br />

Anschaffungskosten – aus Fiskalgründen – und für ein<br />

„Wiederaufleben“ solcher Verbote (für beides aber<br />

M. Prinz, FR 2011, 445) belässt das Gesetz in Anbetracht<br />

dessen keinen Raum.<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

Um es vorweg zu nehmen: Das mit Spannung erwartete<br />

vorstehend abgedruckte Urt. des BFH v. 14.12.2011 – I R<br />

72/10 überzeugt nicht nur in seinem Ergebnis, sondern insbesondere<br />

auch in seiner Begründung. <strong>Die</strong>s manifestiert<br />

sich in der sachgerechten und konsequent durchgängigen<br />

Berücksichtigung des Anschaffungskosten- und Realisationsprinzips.<br />

Der BFH bestätigt und führt seine Rechtsprechung<br />

im Urt. des BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08,<br />

BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 – damals für den<br />

Fall der Schuldfreistellung – für den nun entschiedenen<br />

Fall der Schuldübernahme im Rahmen eines Asset Deal<br />

fort. Im Streitfall handelte es sich um Jubiläumszuwendungen,<br />

die gegenüber der handelsrechtlichen Bilanzierung<br />

gemäß § 5 Abs. 4 EStG nur unter restriktiven Voraussetzungen<br />

als Rückstellung zugelassen sind und um Beiträge<br />

an den Pensionssicherungsverein, für welche ein handelsrechtliches<br />

Passivierungswahlrecht gilt. Der BFH hat entschieden,<br />

dass betriebliche Verbindlichkeiten, die beim<br />

Veräußerer einem steuerlichen Passivierungsverbot unterliegen<br />

und vom Erwerber im Zuge eines Betriebserwerbs<br />

(Asset Deal) übernommen werden, gerade keinem steuerlichen<br />

Passivierungsverbot beim Erwerber unterliegen.<br />

Vielmehr hat der Erwerber diese Verpflichtungen als<br />

Rückstellungen im Zeitpunkt des Zugangs auszuweisen<br />

und sie auch – und dies ist materiell entscheidend – an den<br />

nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3<br />

EStG mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren<br />

Teilwert zu bewerten. Damit schließt sich der BFH der von<br />

der Mehrheit im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassung<br />

an und wendet sich zugleich expressis verbis gegen die von<br />

der Finanzverwaltung in einem vorgezogenen „Nicht-Anwendungs-Erlass“<br />

(BMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-<br />

03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627) vertretene<br />

Auffassung, wonach die einem steuerlichen Passivierungsverbot<br />

unterliegenden (ungewissen) Verbindlichkeiten in<br />

der ersten Schlussbilanz erfolgswirksam aufzulösen sind.<br />

Der BFH stellt in seiner Urteilsbegründung als zentralen<br />

Ausgangspunkt auf den (auch von der Finanzverwaltung<br />

unbestrittenen) Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung<br />

von Anschaffungsvorgängen ab. <strong>Die</strong>ser Grundsatz<br />

finde auch Anwendung auf übernommene Passivpositionen,<br />

denn auch die Übernahme von einem steuerlichen<br />

Passivierungsverbot unterliegenden Verpflichtungen sei<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 405<br />

Steuerrecht<br />

Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts und erhöhe<br />

somit dessen Anschaffungskosten. Dass die steuerlichen<br />

Passivierungsverbote im Falle von Anschaffungen<br />

nicht anwendbar sind, verdeutlicht der BFH, indem er auf<br />

deren gesetzlichen Regelungszweck näher eingeht. Der<br />

Sinn und Zweck derartiger Verbote erschöpfe sich darin,<br />

am Bilanzstichtag bereits vorhandene Verpflichtungen in<br />

Abkehr des (handels-)bilanziellen Imparitätsprinzips<br />

(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranlagungszeiträume<br />

zu verlagern. Wenn aber, wie im Streitfall,<br />

die Verpflichtung entgeltlich erworben werde, dann habe<br />

sie sich bereits realisiert. Deshalb könne es nicht zu einer<br />

„vorgezogenen“ Geltendmachung von Aufwendungen<br />

kommen und die steuerlichen Passivierungsverbote könnten<br />

nicht greifen.<br />

Mit überzeugenden Argumenten wendet sich der BFH gegen<br />

die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung,<br />

wonach der Anschaffungsvorgang ausschließlich in der<br />

handels- und steuerrechtlichen Eröffnungsbilanz abzubilden<br />

sei und infolge dessen in der ersten Schlussbilanz das<br />

steuerliche Ausweisverbot mit der erfolgswirksamen Auflösung<br />

der (ungewissen) Verbindlichkeit zur Anwendung<br />

komme. Zu Recht betont der erkennende Senat, dass sich<br />

eine Trennung zwischen dem eigentlichen Anschaffungsvorgang<br />

und der Bilanzierung zum ersten auf die Anschaffung<br />

folgenden Bilanzstichtag aus dem Gesetz nicht ableiten<br />

lasse. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten<br />

müssten erfolgsneutral in die nachfolgende Bilanzierung<br />

eingehen; ihr Bewertungsansatz dürfe dabei weder übernoch<br />

unterschritten werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Werde<br />

dieser Grundsatz hingegen nicht beachtet, komme es zu<br />

dem von der Finanzverwaltung in Kauf genommenen „Erwerbsgewinn“,<br />

welcher dem Anschaffungskostenbegriff<br />

und -verständnis diametral zuwiderlaufe.<br />

Der BFH geht auch auf das Argument ein, wonach bei<br />

einem Asset Deal mit Schuldübernahme insofern „faktisch“<br />

keine Veränderung stattfinde, als es vor und nach der<br />

Veräußerung aus Sicht des Erwerbers wie des Gläubigers<br />

bei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehrigen)<br />

Schuldners bleibe, welche „an sich“ dem steuerlichen<br />

Ausweisverbot unterworfen bleiben müsse. Dem entgegnet<br />

der BFH, dass der Erwerber zwar weiterhin ein schwebendes<br />

Geschäft übernehme, jedoch bestehe in der befreienden<br />

Schuldübernahme eine ausschlaggebende „Zäsur“,<br />

nämlich die Realisation der Verpflichtung beim Veräußerer<br />

und das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber. <strong>Die</strong>ser<br />

Vorgang sei dafür verantwortlich, dass es sich nicht<br />

mehr – wie bei den „üblichen“ originären Verpflichtungen<br />

– um eine (Gegen-)Leistung im Rahmen eines schwebenden<br />

Vertrags handele, sondern der Erwerber nur noch<br />

in Form eines dinglichen Erfüllungsakts für die übernommene<br />

Schuld einzustehen habe.<br />

Schließlich ist die Aussage des BFH zum Rangverhältnis<br />

(scheinbar) in Widerspruch zueinander stehender Bilanzierungsnormen<br />

bemerkenswert, spiegelt sich darin doch das<br />

Grundverständnis der Rechtsprechung zu den Bilanzierungsregeln<br />

wider: „<strong>Die</strong> allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze<br />

gehen den spezifisch steuerrechtlichen Ausweisbeschränkungen<br />

für die Situation der ,angekauften’ Verpflichtung<br />

nach allem uneingeschränkt vor.“ Es kann dahin<br />

gestellt bleiben, ob es sich bei dieser Aussage um eine gewisse<br />

Relativierung des in der juristischen Methodenlehre<br />

bekannten Lehrsatzes zur Auflösung von Normenkonflikten„lexspecialisderogatlegigenerali“<br />

handelt. Entschei-


dend ist das klare Bekenntnis zu den Grundfesten der Bilanzierung.<br />

Der Rechtsprechung des BFH haben sich in der jüngeren<br />

Vergangenheit auch mehrere Finanzgerichte angeschlossen<br />

(so FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 7287/00 K, EFG<br />

2011, 34, Vorinstanz des hier besprochenen BFH-Urteils;<br />

ferner FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 1292/07 K,<br />

BB 2011, 2800, Rev. beim BFH anhängig unter dem Az. I<br />

R 69/11). Letzteres beschäftigt sich mit der bislang höchstrichterlich<br />

noch nicht geklärten Rechtsfrage der Folgebewertung<br />

von Pensionsverpflichtungen. Das FG Münster<br />

stellt klar, dass – ganz auf der Linie des BFH – angeschaffte<br />

Pensionsverpflichtungen im Falle einer Schuldübernahme<br />

mit ihrem Anschaffungswert auszuweisen sind. Allerdings<br />

vertritt es die Auffassung, dass nach der Übernahme<br />

erdiente Pensionsansprüche der Pensionsrückstellung erst<br />

zugeführt werden dürfen, „wenn der nach § 6a EStG ermittelte<br />

Rückstellungsbetrag den im Zeitpunkt des Betriebserwerbs<br />

maßgebenden Rückstellungsbetrag überschreitet.“<br />

Mit Spannung kann die Entscheidung in der gegen das Urteil<br />

des FG Münster eingelegten Revision erwartet werden.<br />

<strong>Die</strong>s gilt umso als in der Literatur zu dieser Rechtsfrage die<br />

Auffassung vertreten wird, dass das Zuführungsverbot gegen<br />

das objektive Nettoprinzip verstoße (vgl. Gosch,BFH/<br />

PR 2010, 123 [124]).<br />

Bedeutung und Reichweite des BFH-Urteils können nicht<br />

unterschätzt werden. Nicht nur der „reine“ Asset Deal, wie<br />

er der Entscheidung des BFH zugrunde lag ist betroffen,<br />

sondern auch in der Praxis nicht seltener vorkommende<br />

Umwandlungen und Einbringungen, welche zu einem höheren<br />

als dem Buchwert vorgenommen werden. Denn diese<br />

stellen auf Ebene des übertragenden sowie des übernehmenden<br />

Rechtsträgers Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge<br />

hinsichtlich des übertragenen Vermögens dar<br />

(UmwSt-Erlass 2011, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S<br />

1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011,<br />

1314 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 112 [LS], Rz. 00.02, mit Verweisen<br />

auf die BFH-Rechtsprechung). So verwundert es auch<br />

nicht, dass im UmwSt-Erlass 2011 an mehreren Stellen, so<br />

z.B. in Rz. 04.16 auf das Schr. des BMF v. 24.6.2011 – IV<br />

C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,<br />

627, verwiesen wird.<br />

Abschließend bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber das<br />

besprochene BFH-Urteil nicht zum Anlass nimmt, die bislang<br />

vertretene aber mit dem geltenden Steuerrecht in Widerspruch<br />

stehende Auffassung des BMF gesetzlich zu kodifizieren<br />

(so aber wohl Pitzke/Klein, NWB 2011, 2276<br />

[2282]). Nicht nur, dass die Formulierung einer solchen<br />

Vorschrift sich im Detail als außerordentlich schwierig gestalten<br />

dürfte; sie wäre auch ein „Angriff“ auf die hehren<br />

und bewährten Grundpfeiler der Grundsätze ordnungsmäßiger<br />

Bilanzierung, zu den auch und insbesondere das Anschaffungskosten-<br />

und Realisationsprinzip gehört, welche<br />

bislang (nahezu) uneingeschränkt für die steuerbilanzielle<br />

Bilanzierung gelten.<br />

Dr. Alexander Höhn, Steuerberater / Georg Geberth,<br />

Rechtsanwalt, beide München<br />

(Director Tax bzw. Director Tax Policy, Siemens AG)<br />

Rechtsprechung<br />

406 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />

Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />

EStG 1997 § 5 Abs. 1, § 5 Abs. 2a, § 52 Abs. 12a; HGB<br />

§ 247 Abs. 1, § 249 Abs. 1<br />

Eine Verbindlichkeit, die nur aus künftigen Gewinnen oder<br />

einem etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt zu werden<br />

braucht, kann mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Belastung<br />

nicht ausgewiesen werden.<br />

BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

[1] <strong>Die</strong> Klägerin (Kl.in), eine <strong>GmbH</strong>, wurde mit Gesellschaftsvertrag<br />

v. 19.7.1995 gegründet. Das Stammkapital<br />

betrug 100.000 DM und wurde im Streitjahr 1999 durch<br />

ihre Alleingesellschafterin, die B-<strong>GmbH</strong> gehalten. <strong>Die</strong> finanzielle<br />

Ausstattung der Kl.in war unzureichend. <strong>Die</strong> B-<br />

<strong>GmbH</strong> schloss mit der Kl.in am 18.9.1995 einen Darlehens-<br />

und Rangrücktrittsvertrag, worin sie sich verpflichtete,<br />

der Kl.in zur Ingangsetzung ihres Geschäftsbetriebs<br />

ein entsprechend dem finanziellen Bedarf abrufbares verzinsliches<br />

Darlehen mit einem Kreditrahmen von bis zu<br />

15 Mio. DM zu gewähren. Sicherheiten wurden keine gestellt.<br />

Das Darlehen war von jeder der Parteien jederzeit<br />

kündbar.<br />

[2] § 3 der Vereinbarung lautet:<br />

„Im Falle des Eintritts einer Überschuldung der Schuldnerin tritt<br />

die sich aus dem jeweiligen Saldo des Darlehens-Verrechnungskontos<br />

ergebende Forderung der Gläubigerin automatisch in Höhe<br />

des Betrags der Überschuldung im Rang hinter die Forderungen<br />

aller übrigen Gläubiger zurück.“<br />

[3] § 4 lautet:<br />

„Solange die Schuldnerin überschuldet ist, ist der Gläubigerin untersagt,<br />

über ihre Darlehensforderung zu verfügen, insbesondere<br />

sie abzutreten oder zu verwenden. Das Abtretungsverbot gilt nicht<br />

für den Fall der Veräußerung der von der Gläubigerin gehaltenen<br />

Geschäftsanteile an der Schuldnerin. <strong>Die</strong> Gläubigerin kann die<br />

Befriedigung ihrer Gesamtforderung nur aus künftigen Jahresüberschüssen,<br />

soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen,<br />

oder ggf. aus einem Liquidationsüberschuss verlangen.“<br />

[4] Mit Vertrag v. 1.6.1996 räumte die B-<strong>GmbH</strong> der Kl.in<br />

ein weiteres Darlehen mit einem Kreditrahmen von<br />

4 Mio. DM ein. <strong>Die</strong> zitierten Vereinbarungen sind wortgleich<br />

im Vertrag enthalten.<br />

[5] Zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 war die Kl.in bilanziell<br />

überschuldet. <strong>Die</strong>s änderte sich auch in den folgenden<br />

Jahren nicht.<br />

[6] Nach einer Außenprüfung kam das FA unter Bezugnahme<br />

auf das Schr. des BMF v. 18.8.2004 – IV A 6 - S<br />

2133 - 2/04, BStBl. I 2004, 850 zu der Auffassung, dass die<br />

in der Bilanz zum 31.12.1999 enthaltene Verbindlichkeit<br />

gegenüber der B-<strong>GmbH</strong> i.H.v. 16.370.933,08 DM zum<br />

31.12.1999 gewinnwirksam aufzulösen sei. Aufgrund § 5<br />

Abs. 2a EStG 1997 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes<br />

1999 – StBereinG 1999 – (EStG 1997) sei eine Passivierung<br />

dieser Verbindlichkeit in der Steuerbilanz nicht möglich.<br />

[7] Der gegen die entsprechend geänderten Steuerbescheide<br />

1999 erhobenen Klage gab das FG ... statt (FG<br />

München v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554). ...


II.<br />

[10] <strong>Die</strong> Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des erstinstanzlichen<br />

Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat zu<br />

Recht die streitgegenständlichen Verbindlichkeiten aufgelöst,<br />

weil die Kl.in hierdurch gegenwärtig noch nicht belastet<br />

ist.<br />

1. Passivierung von Verbindlichkeiten ...<br />

[11] Nach § 247 Abs. 1 HGB sind handelsrechtlich und<br />

damit nach § 5 Abs. 1 EStG 1997 auch steuerrechtlich Verbindlichkeiten<br />

zu passivieren. Gleiches gilt gemäß § 249<br />

Abs. 1 HGB für die Bilanzierung von Rückstellungen für<br />

ungewisseVerbindlichkeiten(st.Rspr.,vgl.z.B.BFHv.<br />

12.12.1991 – IV R 28/91, BFHE 167, 334 = BStBl. II 1992,<br />

600). Eine Verbindlichkeit ist zu bilanzieren, wenn der Unternehmer<br />

zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten<br />

Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die<br />

vom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirtschaftliche<br />

Belastung darstellt (BFH v. 22.11.1988 – VIII<br />

R 62/85, BFHE 155, 322 = BStBl. II 1989, 359; v.<br />

12.12.1990 – I R 153/86, BFHE 163, 146 = BStBl. II 1991,<br />

479; v. 11.4.1990 – I R 63/86, BFHE 160, 323; v. 20.1.1993<br />

– I R 115/91, BFHE 170, 234 = BStBl. II 1993, 373).<br />

2. ... nur bei wirtschaftlicher Belastung<br />

[12] An dieser wirtschaftlichen Belastung fehlt es im<br />

Streitfall. <strong>Die</strong> Darlehen müssen nur aus künftigen Überschüssen,<br />

soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen,<br />

oder aus einem Liquidationsüberschuss zurückbezahlt<br />

werden.<br />

[13] a) Soweit die Befriedigung der Verbindlichkeit auf<br />

künftige Überschüsse beschränkt ist, kann für das Fehlen<br />

einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung auf den<br />

§ 5 Abs. 2a EStG 1997 zugrunde liegenden Gedanken zurückgegriffen<br />

werden.<br />

[14] aa) Gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 sind für Verpflichtungen,<br />

die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen<br />

oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen<br />

erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne<br />

angefallen sind. Soweit entsprechende Verpflichtungen<br />

passiviert sind, müssen diese zum Schluss des ersten nach<br />

dem 31.12.1998 beginnenden Wirtschaftsjahrs aufgelöst<br />

werden (§ 52 Abs. 12a EStG 1997).<br />

[15] bb) Schon vor Einführung des § 5 Abs. 2a EStG 1997<br />

ging die Rspr. im Einklang mit dem Handelsrecht davon<br />

aus, dass bestimmte gewinnabhängige Verpflichtungen<br />

vor Erzielung des Gewinns, aus dem sie zu bedienen sind,<br />

noch keine wirtschaftliche Last darstellen und demgemäß<br />

nicht zu passivieren sind, weil sie nicht aus dem zum Stichtag<br />

vorhandenen Vermögen bedient werden müssen (BFH<br />

v. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II<br />

1997, 320, unter 2.c]; v. 18.6.1980 – I R 72/76, BFHE 131,<br />

303 = BStBl. II 1980, 741; v. 19.2.1981 – IV R 112/78,<br />

BFHE 133, 368 = BStBl. II 1981, 654).<br />

[16] cc) Anlass für die Einführung des § 5 Abs. 2a EStG<br />

1997 waren BFH-Urteile, nach denen der Grundsatz, dass<br />

gewinn- oder erlösabhängige Verbindlichkeiten nicht zu<br />

passivieren sind, nur greifen soll, wenn die Pflicht zur Erfüllung<br />

der Verbindlichkeit von der Gesamtgewinnsituation<br />

des Unternehmens abhängt, nicht dagegen, wenn die<br />

Abhängigkeit nur von einzelnen Geschäften besteht (BFH<br />

v. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 407<br />

Steuerrecht<br />

1997, 320; v. 3.7.1997 – IV R 49/96, BFHE 183, 513 =<br />

BStBl. II 1998, 244; v. 17.12.1998 – IV R 21/97, BFHE<br />

187, 552 = BStBl. II 2000, 116; v. 4.2.1999 – IV R 54/97,<br />

BFHE 187, 418 = BStBl. II 2000, 139). Ziel des § 5<br />

Abs. 2a EStG 1997 ist es, auch für diese Verbindlichkeiten<br />

ein Passivierungsverbot festzuschreiben (BT-Drucks. 14/<br />

2070, S. 17).<br />

[17] dd) Eine Verbindlichkeit unter Vereinbarung eines<br />

Rangrücktritts dergestalt, dass die Forderung des Gläubigers<br />

hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt<br />

und nur aus künftigen Jahresüberschüssen zu erfüllen<br />

ist, ist gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 nicht auszuweisen<br />

(gl.A. Buciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“<br />

a.E.; Neumann, <strong>GmbH</strong>-StB 2009, 192 [194];<br />

Lang, DStZ 2006, 789; BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133<br />

- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115; Weber-<br />

Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz. 315; Weber-<br />

Grellet, BB 2007, 30 [37]; Tiedchen in Herrmann/Heuer/<br />

Raupach, § 5 EStG Rz. 485 „Besserungsvereinbarung“).<br />

Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, § 5<br />

Abs. 2a EStG 1997 sei für den Fall des Rangrücktritts generell<br />

nicht einschlägig, weil bei einem Rangrücktritt die<br />

Forderung rechtlich bereits entstanden sei (Hölzle,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2005, 852 [858]; Suchanek/Hagedorn, FR 2004,<br />

455; Watermeyer, <strong>GmbH</strong>-StB 2004, 369 [372]), ist dem<br />

nicht zu folgen. Zum einen lässt sich diese Einschränkung<br />

dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen; dieser umfasst<br />

vielmehr unterschiedslos alle Verpflichtungen, die<br />

nur zu erfüllen sind, soweit künftig Gewinne anfallen. Zum<br />

andern wäre ein Ausweis der Verbindlichkeit auch nicht<br />

gerechtfertigt. Denn der Schuldner ist, solange die Gewinne<br />

noch nicht erzielt sind, in seinem gegenwärtigen Vermögen<br />

zum Bilanzstichtag noch nicht belastet. Seine Situation<br />

gleicht wirtschaftlich der eines Schuldners, dem<br />

eine Verbindlichkeit gegen Besserungsschein erlassen<br />

wurde (vgl. hierzu BFH v. 29.1.2003 – I R 50/02, BFHE<br />

202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = <strong>GmbH</strong>R 2003, 1011 m.<br />

Komm. Hoffmann): Beide müssen die Verbindlichkeit nur<br />

aus künftigen Gewinnen erfüllen.<br />

[18] b) <strong>Die</strong> Darlehen sind im Streitfall auch nicht deshalb<br />

zu passivieren, weil sie nicht nur aus künftigen Gewinnen,<br />

sondern auch aus einem eventuellen Liquidationsüberschuss<br />

zu bedienen sind. Denn auch insoweit fehlt es an<br />

einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung.<br />

[19] aa) Erlässt ein Gläubiger eine Verbindlichkeit mit der<br />

Maßgabe, dass die Forderung wieder aufleben soll, wenn<br />

künftige Jahresüberschüsse oder ein Liquidationsüberschuss<br />

erzielt werden, ist die durch einen solchen Besserungsschein<br />

begründete Leistungspflicht beim Schuldner<br />

zunächst nicht als Verbindlichkeit zu passivieren. <strong>Die</strong> Verpflichtung<br />

stellt noch keine wirtschaftliche Last dar. <strong>Die</strong>s<br />

gilt nicht nur insoweit, als die Verbindlichkeit aus künftigen<br />

Gewinnen bedient werden muss, sondern auch hinsichtlich<br />

der Verpflichtung zur Zahlung aus einem Liquidationsüberschuss.<br />

Ein Liquidationsüberschuss ist das<br />

Vermögen, das im Fall der Liquidation nach Veräußerung<br />

der Wirtschaftsgüter und Begleichung aller (übrigen) Verbindlichkeiten<br />

verbleibt (vgl. §§ 70 ff. <strong>GmbH</strong>G). Zwar betreffen<br />

Zahlungspflichten aus einem Liquidationsüberschuss<br />

damit bereits auch das gegenwärtige Vermögen; sie<br />

belasten das gegenwärtige Vermögen aber noch nicht, da<br />

nach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung (vgl.<br />

hierzu Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung<br />

der Unternehmen, 6. Aufl., § 252 HGB Rz. 24) der


Liquidationsfall noch nicht berücksichtigt zu werden<br />

braucht und die Rücklagen bis zu diesem Zeitpunkt noch in<br />

vollem Umfang zur Verlustdeckung und zur Befriedigung<br />

der anderen Gläubiger zur Verfügung stehen (Adler/Düring/Schmaltz,<br />

aaO,§246HGBRz.150,152;BFHv.<br />

29.1.2003 – I R 50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003,<br />

768 = <strong>GmbH</strong>R 2003, 1011 m. Komm. Hoffmann, m.w.N.;<br />

Schulze-Osterloh, WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanzund<br />

Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V., S. 109 f.;<br />

Gahlen,BB2009,2079;Groh, BB 1993, 1882).<br />

[20] bb) Im Streitfall sind der Kl.in die von ihrer Alleingesellschafterin<br />

gewährten Darlehen zwar nicht erlassen<br />

worden; es wurde vielmehr nur ein Rangrücktritt vereinbart.<br />

Eine Rangrücktrittsvereinbarung, nach der eine Verbindlichkeit<br />

nur aus künftigen Gewinnen oder einem eventuellen<br />

Liquidationsüberschuss zu bedienen ist, belastet<br />

den Schuldner aber nicht stärker, als wäre die Verbindlichkeit<br />

gegen entsprechende Besserungsabrede erlassen worden<br />

(insoweit anders als Rangrücktrittsvereinbarungen,<br />

die auch aus sonstigem Vermögen zu bedienen sind, vgl.<br />

BFH v. 20.10.2004 – I R 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II<br />

2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R 2005, 303 m. Komm. Berg/Schmich;<br />

v. 16.5.2007 – I R 36/06, BFH/NV 2007, 2252; v.<br />

30.3.1993 – IV R 57/91, BFHE 170, 449 = BStBl. II 1993,<br />

502 = <strong>GmbH</strong>R 1993, 600; v. 10.11.2005 – IV R 13/04,<br />

BFHE 211, 294 = BStBl. II 2006, 618 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 158<br />

m. Komm. Hoffmann; v. 14.1.2010 – IV R 13/06, BFH/NV<br />

2010, 1483). Es ist daher gerechtfertigt, diese Verbindlichkeit<br />

wie einen Erlass mit Besserungsabrede zubehandeln<br />

und die Verbindlichkeit nicht auszuweisen (Schulze-Osterloh,<br />

WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht,<br />

9. Aufl., § 4 V., S. 108 u. Fn. 257; Knobbe-Keuk,<br />

StuW 1991, 306; Hofbauer/Kupsch, Bonner<br />

Handbuch Rechnungslegung, § 246 Rz. 61; Siegel, FR<br />

1981, 134 [137]; Priester, DB 1977, 2429; Glade, Praxishandbuch<br />

der Rechnungslegung und Prüfung, 2. Aufl.,<br />

§ 266 HGB Rz. 758; Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt,<br />

Kommentar zum KStG und EStG, § 8 Abs. 3 KStG nF,<br />

Rz. 1126; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5<br />

Rz. 315; Weber-Grellet, BB 2007, 30 [37]; Buciek in Blümich,<br />

§ 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ und 761a; BMF v.<br />

8.9.2006 – IV B 2 - S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2006, 1115; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung<br />

und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 246<br />

HGB Rz. 142: Ausweis vertretbar; a.A. z.B. Kozikowski/<br />

Schubert in Beck.Bil-Komm., 8. Aufl., § 247 Rz. 232; s.<br />

aber Rz. 238 a.E.; Uhländer, BB 2005, 70; Schildknecht,<br />

DStR, 2005, 181; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/<br />

GewStG/UmwStG, 2011, § 8 KStG Rz. 149e, m.w.N.; Watermeyer,<strong>GmbH</strong>R2006,240;Groh,<br />

DB 2006, 1286). Unter<br />

dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

besteht trotz abweichender zivilrechtlicher Gestaltung<br />

kein Unterschied zwischen einem Erlass mit Besserungsabrede<br />

und der Vereinbarung, dass eine Verbindlichkeit<br />

nur aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss bedient<br />

werden muss (ähnlich bereits BFH v. 29.1.2003 – I R<br />

50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = <strong>GmbH</strong>R<br />

2003, 1011 m. Komm. Hoffmann).<br />

[21] cc) Unter welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung,<br />

die nur im Liquidationsfall zu erfüllen ist, in der Steuerbilanz<br />

auszuweisen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.<br />

Denkbar ist, dass die Verbindlichkeit erst dann<br />

passiviert werden muss, wenn nach Beginn der Liquidation<br />

ohne Berücksichtigung dieser Verpflichtung verteilbares<br />

Eigenkapital ausgewiesen werden müsste (Adler/Dü-<br />

Rechtsprechung<br />

408 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

ring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen,<br />

6. Aufl., § 246 HGB Rz. 150, zum Erlass mit<br />

Besserungsabrede). Möglich ist auch, eine Verpflichtung<br />

zum Ausweis bereits dann anzunehmen, wenn zum Zeitpunkt<br />

des Bilanzstichtags eine Liquidation droht und im<br />

Fall der Liquidation mit einem Überschuss zu rechnen ist.<br />

<strong>Die</strong>se Frage kann offenbleiben, weil zum streitigen Bilanzstichtag<br />

nicht von der Liquidation der Kl.in auszugehen<br />

war, sondern davon, dass die Kl.in ihre unternehmerische<br />

Tätigkeit fortführt. <strong>Die</strong>s war gerade das Ziel, das ihre Gesellschafterin<br />

mit der Hingabe der kapitalersetzenden Darlehen<br />

verfolgte. Solange aber eine Liquidation nach den<br />

am Bilanzstichtag objektiv erkennbaren Umständen nicht<br />

unmittelbar droht und überdies für diesen Fall mit einem<br />

Liquidationsüberschuss zu rechnen ist, kommt eine Passivierung<br />

nicht in Betracht.<br />

3. Keine Beurteilung der Darlehen als Einlage<br />

[22] <strong>Die</strong> Darlehen sind nicht als Einlagen zu beurteilen.<br />

[23] Unterliegt die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen<br />

denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung von<br />

Eigenkapital, dann entsteht für den Schuldner Eigenkapital<br />

und die Verbindlichkeit ist auszubuchen (gl.A. Buciek in<br />

Blümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ a.E.,<br />

Rz. 1122). Ob die Darlehen dann als Eigenkapital auszuweisen<br />

wären, wenn sie nur aus einem künftigen Liquidationsüberschuss<br />

zurückzuzahlen wären, kann offenbleiben<br />

(vgl. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 1001, 190 m. Komm. Felleisen; Goette, DStR<br />

2001, 179; vgl. auch BGH v. 21.3.1988 – II ZR 238/87,<br />

BGHZ 104, 33 [40] = <strong>GmbH</strong>R 1988, 301; Berg/Schmich,<br />

<strong>GmbH</strong>R-Kommentar zum Sen.Urt. BFH v. 20.10.2004 – I<br />

R 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II 2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R<br />

2005, 303, juris = <strong>GmbH</strong>R 2005, 307 f.). Denn es ist jedenfalls<br />

deshalb nicht von Einlagen auszugehen, weil die Darlehen<br />

auch aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind und ihnen<br />

daher nicht die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital<br />

zukommt (a.A. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht,<br />

9. Aufl., § 4 V., S. 109).<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

Rangrücktritt: Fremdkapital oder Eigenkapital – das<br />

eine oder das andere?<br />

Bislang mag die Auffassung durchaus verbreitet gewesen<br />

sein, dass eine Gesellschafterforderung mit Rangrücktritt<br />

entweder Fremd- oder Eigenkapital darstellt (vgl. z.B.<br />

Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, <strong>Die</strong> Körperschaftsteuer,<br />

§ 8 Abs. 3 KStG nF Rz. 1126 [Stand Juni 2003]). Das vorstehend<br />

abgedruckte Urt. des BFH v. 30.11.2011 – I R 100/<br />

10 sollte nunmehr den letzten Zweifler davon überzeugt<br />

haben, dass es auch noch eine dritte Kategorie gibt, nämlich:<br />

steuerpflichtiger Ertrag.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung des BFH<br />

Worum ging es im vorliegenden Fall? Ein Gesellschafter<br />

hatte in einer (nach der Überschrift des vom BFH veröffentlichten<br />

Urteils „qualifizierten“) Rangrücktrittsvereinbarung<br />

mit der Gesellschaft vereinbart, dass seine Forderung<br />

im Falle des Eintritts einer Überschuldung (was tatsächlich<br />

der Fall war) hinter die Forderungen aller übrigen<br />

Gläubiger zurücktrete und eine Befriedigung nur aus künftigen<br />

Jahresüberschüssen oder aus einem Liquidationsüberschuss<br />

verlangt werden könne. <strong>Die</strong> Vorinstanz (FG<br />

München v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554)


ging mit einer zivilrechtlich orientierten Begründung ohne<br />

weiteres davon aus, dass die Gesellschafterforderung handels-<br />

und steuerrechtlich weiterhin als Verbindlichkeit zu<br />

passivieren sei („Eine Auflösung des Passivpostens wegen<br />

eines Erlasses der Forderung ist somit nicht geboten“). Es<br />

konnte sich mit dieser Auffassung durchaus durch die<br />

überwiegende Meinung in der Literatur (vgl. Crezelius,<br />

NZI 2011, 581 [582], m.w.N.) und insoweit auch durch die<br />

Finanzverwaltung (vgl. BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133<br />

- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115, unter 4.<br />

– s. aber auch Rz. 6) gestützt sehen. Auch eine Auflösung<br />

der Forderung nach § 5 Abs. 2a EStG hat die Vorinstanz<br />

(entgegen der Ansicht des FA) abgelehnt, da angesichts der<br />

möglichen Befriedigung der Forderung auch aus einem Liquidationsüberschuss<br />

keine ausschließliche Abhängigkeit<br />

von zukünftigen Einnahmen oder Gewinnen bestünde.<br />

Wie schon des öfteren ließ sich der I. Senat des BFH von<br />

einer vorherrschenden Literaturansicht bei seiner Entscheidungsfindung<br />

nicht beirren und überrascht mit seinem<br />

Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10 doch in mancher Hinsicht.<br />

Auch das BMF wird sein Schr. v. 8.9.2006 – IV B 2<br />

- S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115<br />

überdenken müssen: BMF und BFH scheinen unter einem<br />

qualifizierten Rangrücktritt unterschiedliche Sachverhalte<br />

zu verstehen und auch generell die bilanziellen Wirkungen<br />

eines Rangrücktritts unterschiedlich zu beurteilen.<br />

Ohne auf zivilrechtliche Fragestellungen überhaupt einzugehen<br />

und – jedenfalls im Urteilstext – ohne Begrifflichkeiten<br />

zu verwenden wie „qualifizierter Rangrücktritt“,<br />

begnügt sich der BFH mit einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise<br />

und stellt fest, dass es im entschiedenen<br />

Fall an einer wirtschaftlichen Belastung fehle und deshalb<br />

bereits handelsrechtlich nach § 247 Abs. 1 HGB keine Verbindlichkeit<br />

passiviert werden dürfe. Er knüpft zwar vordergründig<br />

an frühere Rechtsprechung an, setzt nach unserer<br />

Auffassung aber neue Akzente. Soweit die Befriedigung<br />

der Verbindlichkeit auf künftige Jahresüberschüsse<br />

beschränkt sei, stelle sie deshalb noch keine wirtschaftliche<br />

Last dar, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhandenen<br />

Vermögen bedient werden müsse. <strong>Die</strong>ser Gedanke<br />

finde sich jetzt auch in § 5 Abs. 2a EStG, habe allerdings<br />

bereits vorher gegolten. Soweit Befriedigung aus einem<br />

Liquidationsüberschuss verlangt werden könne, fehle es<br />

ebenfalls an einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung.<br />

<strong>Die</strong> wirtschaftliche Belastung bei einer derartigen Situation<br />

gleiche derer, bei der eine Verbindlichkeit gegen<br />

entsprechende Besserungsabrede erlassen worden sei. Beide<br />

Fälle seien daher gleich zu behandeln. Nur dann, wenn<br />

die Forderung auch aus sonstigem Vermögen zu bedienen<br />

sei (wie im Fall der Entscheidung des BFH v. 20.10.2004 –<br />

I R 11/03, BStBl. II 2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R 2005, 303 m.<br />

Komm. Berg/Schmich; ebenso IV. Senat des BFH v.<br />

10.11.2005 – IV R 13/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 158 m. Komm.<br />

Hoffmann), liege eine gegenwärtige Belastung vor und die<br />

Verbindlichkeit könne weiter passiviert werden (dies im<br />

Ergebnis im Einklang mit BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S<br />

2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115,<br />

dort aber zum einfachen Rangrücktritt und § 5 Abs. 2a<br />

EStG).<br />

Bewertung der Entscheidung<br />

Nicht unproblematisch erscheinen diese Ausführungen im<br />

Lichte der Spruchpraxis des IV. Senats zu ähnlichen Konstellationen<br />

(grundsätzlich BFH v. 30.3.1993 – IV R 57/91,<br />

Rechtsprechung / Berg / Schmich<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 409<br />

Steuerrecht<br />

BStBl. II, 1993, 502 = <strong>GmbH</strong>R 1993, 600) sowie im Hinblick<br />

auf das Urt. des I. Senats des BFH v. 20.8.2008 – I R<br />

19/07, <strong>GmbH</strong>R 2008, 1222 m. Komm. Schröder, indem<br />

das zivilrechtliche Fortbestehen der Schuld auch bei Eigenkapitalersatz<br />

betont wurde: „<strong>Die</strong> Beurteilung einer Gesellschafterhilfe<br />

als eigenkapitalersetzend führt nur dazu,<br />

dass sie im Interesse der Gesellschaftsgläubiger nicht zurückgefordert<br />

werden darf; für das Innenrecht der Gesellschaft<br />

verbleibt es demgegenüber bei der Behandlung als<br />

Fremdkapital.“ <strong>Die</strong> Frage muss erlaubt sein, worin im Falle<br />

von „Eigenkapitalersatz“ die wirtschaftliche Belastung<br />

des gegenwärtigen Vermögens zu sehen ist.<br />

Eine steuerliche Behandlung als Einlage (mit der sich daran<br />

anschließenden Prüfung der Werthaltigkeit einer solchen)<br />

schied im Streitfall nach Ansicht des BFH aus, denn<br />

dies setze voraus, dass die Rückzahlung des Darlehens unter<br />

denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung von<br />

Eigenkapital erfolge – hier sei aber demgegenüber eine<br />

Tilgung auch aus künftigen Gewinnen vereinbart gewesen.<br />

Ob aufgrund des Rangrücktritts ein Ausweis als Eigenkapital<br />

und damit steuerlich eine Einlage gegeben ist, wenn<br />

ein Gesellschafterdarlehen nur aus einem künftigen Liquidationsüberschuss<br />

zurückzuzahlen ist, ließ der BFH offen.<br />

Das Urt. des BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, <strong>GmbH</strong>R<br />

2001, 190 m. Komm. Felleisen dürfte in diese Richtung<br />

deuten (vgl. Berg/Schmich, <strong>GmbH</strong>R 2005, 307 f.; ähnlich<br />

Buciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 1122), auch wenn es zur<br />

Überschuldungsbilanz erging.<br />

Das Urteil zeigt erneut, dass eine steuerliche Einschätzung<br />

anhand bloßer Begrifflichkeiten mit Gefahren verbunden<br />

ist und eine detaillierte Prüfung nicht ersetzen kann. Nur<br />

wenn bei sog. qualifizierten Rangrücktrittserklärungen<br />

auch eine Tilgung aus sonstigem (freien) Vermögen vorgesehen<br />

ist, bleibt es bei der Passivierung. Ein einfacher<br />

Rangrücktritt, ohne zu Modalitäten der Befriedigung Stellung<br />

zu nehmen, sollte im Lichte der Rechtsprechung des<br />

IV. Senats (BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, <strong>GmbH</strong>R<br />

2006, 158 m. Komm. Hoffmann, unter II.1.cc]) ebenso unschädlich<br />

sein (ebenso Kahlert/Gehrke, DStR 2010, 227<br />

[239 ff.]) – wenn auch das Besprechungsurteil hier Unsicherheiten<br />

hervorruft. Aus Vorsichtsgründen könnte allerdings<br />

klarstellend ergänzt werden, dass eine Tilgung aus<br />

sonstigem (freien) Vermögen zulässig ist.<br />

Zu Eigenkapital wird das Darlehen aber nur dann, wenn<br />

die Rückzahlung denselben Voraussetzungen unterliegt,<br />

wie die Rückzahlung von Eigenkapital. Nach verbreiteter<br />

Ansicht reicht dafür aus, dass eine Rückzahlung nur aus<br />

einem künftigen Liquidationsüberschuss erfolgt. Der BFH<br />

ließ diese Frage offen. Im Bereich dazwischen kann ein<br />

Rangrücktritt zu vollständig steuerpflichtigem Gewinn<br />

führen. Das mag zu bösen Überraschungen führen, eröffnet<br />

aber auch Gestaltungsspielräume, denn wie ein Rangrücktritt<br />

ausgestaltet wird obliegt der Entscheidung des<br />

Gesellschafters – er genießt Finanzierungsfreiheit (BFH v.<br />

5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = <strong>GmbH</strong>R<br />

1992, 382).<br />

Dipl.-Finanzw. Dr. Hans-Georg Berg / Dr. Rolf<br />

Schmich, Rechtsanwälte und Fachanwälte für<br />

Steuerrecht, Frankfurt a. M.<br />

(SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwalts AG)


Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei<br />

unterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb<br />

KStG 2002 n.F. § 8c<br />

Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c S. 1 KStG 2002<br />

n.F. auslösende schädliche Beteiligungserwerb während des<br />

laufenden Wirtschaftsjahres, kann ein bis zu diesem Zeitpunkt<br />

in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dem<br />

bisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden (gegen<br />

BMF-Schr. v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –<br />

DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883<br />

u. 1064, Tz. 31 S. 2).<br />

BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11<br />

� Aus den Gründen:<br />

I.<br />

[1] Streitig ist, ob der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG<br />

2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v.<br />

14.8.2007 (BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630)<br />

– KStG 2002 n.F. – bei einem sog. unterjährigen schädlichen<br />

Beteiligungserwerb auch insoweit beschränkt ist,<br />

als im laufenden Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen<br />

Beteiligungserwerbs ein Gewinn erwirtschaftet wurde.<br />

[2] Alleingesellschafter der Klägerin (Kl.in), einer<br />

<strong>GmbH</strong>, war zum Beginn des Streitjahres (2008) S. Mit notariellem<br />

Vertrag v. 3.7.2008 verkaufte S nach vorheriger<br />

Teilung seines Geschäftsanteils einen Geschäftsanteil von<br />

50 % (Nominalwert 13.000 c) und trat ihn an den Erwerber<br />

H ab. Der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr sollte insoweit<br />

S zustehen, als er auf den Zeitraum bis zum Tag der<br />

Beurkundung entfiel. Mit Gesellschafterbeschluss vom<br />

gleichen Tag änderte die Kl.in ihre Firma; H wurde zum<br />

weiteren Geschäftsführer bestellt.<br />

[3] Der für die Kl.in festgestellte verbleibende Verlustvortrag<br />

zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2007 betrug<br />

60.046 c (Bescheid v. 14.10.2008). Für das Streitjahr ermittelte<br />

die Kl.in einen Jahresüberschuss i.H.v. rd.<br />

121.815 c (Jahresabschluss zum 31.12.2008). Unter Hinzurechnung<br />

nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Körperschaftsteuer,<br />

Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer) ergab<br />

sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 163.300 c.Ein<br />

Zwischenabschluss zum 31.5.2008 wies einen bis dahin<br />

angefallenen Jahresüberschuss von 50.737 c aus.<br />

[4] Das FA berücksichtigte unter Hinweis auf § 8c S. 1<br />

KStG 2002 n.F. und Tz. 31 des Schr. des BMF v. 4.7.2008<br />

– IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554,<br />

BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u. 1064 bei der<br />

Einkommensermittlung lediglich einen Verlustabzug<br />

i.H.v. 50 % von 60.046 c (30.023 c); den verbleibenden<br />

Verlustabzug stellte es auf den 31.12.2008 mit 0 c fest. <strong>Die</strong><br />

gegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer gerichtete<br />

KlagehatteErfolg(FGMünsterv.30.11.2010–9K1842/<br />

10 K, EFG 2011, 909). Nach den Urteilsgründen haben es<br />

die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich<br />

unstreitig gestellt, dass der bis zum 3.7.2008 (Übertragung<br />

des 50 %-igen Geschäftsanteils) erwirtschaftete Gesamtbetrag<br />

der Einkünfte mindestens 60.046 c betragen<br />

hat.<br />

[5] Das FA ... beantragt mit der Revision, das angefochtene<br />

Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise,<br />

das Verfahren ruhen zu lassen bis zur Entscheidung des<br />

BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 6/11 (Vorlagebeschluss<br />

Rechtsprechung<br />

410 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

desFGHamburgv.4.4.2011–2K33/10,EFG2011,<br />

1460 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 711 m. Komm. Roser).<br />

[6] <strong>Die</strong> Kl.in beantragt ... hilfsweise, das Verfahren ruhen<br />

zu lassen (BVerfG 2 BvL 6/11).<br />

II.<br />

[7] <strong>Die</strong> Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen<br />

(§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne Rechtsfehler dahin<br />

erkannt, dass der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG<br />

2002 n.F. bei einem sog. unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb<br />

insoweit nicht beschränkt ist, als im laufenden<br />

Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />

ein Gewinn erwirtschaftet wurde.<br />

1. Abziehbarkeit des Verlustvortrags<br />

[8] Der zum 31.12.2007 festgestellte verbleibende Verlustvortrag<br />

i.H.v. 60.046 c war gemäß § 10d Abs. 2 S. 1<br />

EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 n.F. im Streitjahr<br />

in voller Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.<br />

<strong>Die</strong>ser Abzug war im Streitfall nicht durch § 8c S. 1<br />

KStG 2002 n.F. ausgeschlossen. Denn die Rechtsfolge der<br />

Verlustabzugsbeschränkung des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.<br />

betrifft den hier in Rede stehenden Verlustabzug des Streitjahres<br />

nicht.<br />

[9] a) Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder<br />

unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, der<br />

Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der<br />

Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder<br />

diesem nahestehende Personen übertragen oder liegt ein<br />

vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb),<br />

sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />

nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen<br />

Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar<br />

(§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F.). Unabhängig von S. 1<br />

sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte<br />

Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb<br />

von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als<br />

50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte,<br />

Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft<br />

an einen Erwerber oder diesem nahe stehende<br />

Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt<br />

vorliegt (§ 8c S. 2 KStG 2002 n.F.). Aufgrund des<br />

Erwerbs des 50 %igen Geschäftsanteils durch H mit notariellem<br />

Vertrag vom 3.7.2008 liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb<br />

i.S.v. § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. vor. Denn es<br />

wurden mehr als 25 %, aber nicht mehr als 50 % des gezeichneten<br />

Kapitals der Kl.in an einen Erwerber übertragen.<br />

[10] b) Als Rechtsfolge sieht § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.<br />

vor, dass die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht<br />

ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte<br />

(sog. nicht genutzte Verluste) anteilig i.H. des Beteiligungserwerbs<br />

– damit im Streitfall i.H.v. 50 % – nicht<br />

mehr abziehbar sind. <strong>Die</strong>s beeinträchtigt den Abzug des<br />

für die Kl.in zum 31.12.2007 festgestellten verbleibenden<br />

Verlustvortrags von 60.046 c jedoch nicht.<br />

[11] aa) Ob ein im Jahr des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />

bis zum Übertragungszeitpunkt erwirtschafteter Gewinn<br />

(bzw. positiver Gesamtbetrag der Einkünfte) die der<br />

Verlustabzugsbeschränkung unterliegenden nicht ausgeglichenen<br />

oder abgezogenen negativen Einkünfte mindert,<br />

wird unterschiedlich beurteilt. <strong>Die</strong> Finanzverwaltung lehnt<br />

eine solche Rechtsfolge ab: Nach Tz. 31 des BMF-Schr. v.


4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/<br />

0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u. 1064<br />

unterliegt zwar ein bis zum unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb<br />

erzielter Verlust der Verlustabzugsbeschränkung<br />

(dort S. 1); ein bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />

erzielter Gewinn kann jedoch nicht mit noch<br />

nicht genutzten Verlusten verrechnet werden (dort S. 2).<br />

Dem wird in der Literatur teilweise zugestimmt (Dötsch in<br />

Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG,<br />

§8cKStGRz.81; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/<br />

GewStG/UmwStG, § 8c KStG Rz. 78d; Mössner/Seeger/<br />

Rätke, KStG, § 8c Rz. 368; van Lishaut, FR 2008, 789<br />

[799]). Das Hessische FG (FG Hessen v. 7.10.2010 –<br />

4 V 1489/10, DStR/E 2011, 289) und ein anderer Teil der<br />

Literatur sind allerdings gegenteiliger Auffassung und<br />

sprechen sich für eine Verrechnungsmöglichkeit aus (z.B.<br />

Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Suchanek in<br />

Herrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Rz. 32; Lang in<br />

Ernst & Young, KStG, § 8c Rz. 72.2; Brandis in Blümich,<br />

§8cKStGRz.56;Olbing in Streck, KStG, 7. Aufl., § 8c<br />

Rz. 65; Brendt in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 58;<br />

<strong>Die</strong>terlen inLademann,KStG,§8cRz.31;Zerwas/Fröhlich<br />

in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,<br />

2010, S. 212 ff.; Neyer, DStR 2010, 1600 [1602] u. DStR<br />

2011, 654, jeweils m.w.N.). Der Senat hält die letztgenannte<br />

Auffassung für zutreffend.<br />

[12] aaa) Der Wortlaut des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. ist<br />

insoweit entgegen der Ansicht der Revision nicht eindeutig;<br />

er trifft keine Aussage in der Weise, dass eine Berücksichtigung<br />

eines zeitanteiligen Gewinns auszuschließen<br />

ist.<br />

[13] Zwar kann aus dem Terminus (negative) „Einkünfte“<br />

auf einen Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Einkünfteund<br />

Gewinnermittlung (§ 7 Abs. 3 S. 2 KStG 2002 n.F.)<br />

geschlossen werden. <strong>Die</strong>s könnte gegen eine Ergebnisabgrenzung<br />

bei unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerben<br />

sprechen. Andererseits geht es bei den sog. nicht<br />

genutzten Verlusten als Gegenstand der Verlustabzugsbeschränkung<br />

nach dem Gesetzeswortlaut um bisher „nicht<br />

ausgeglichene(n) oder abgezogene(n) negative(n) Einkünfte“,<br />

womit die Terminologie des § 10d EStG 2002 aufgegriffen<br />

wird, die den periodenübergreifenden Verlustabzug<br />

und den periodeninternen Verlustausgleich anführt.<br />

Wenn die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht<br />

ausgeglichenen negativen Einkünfte zeitlich nach dem<br />

schädlichen Beteiligungserwerb nicht mehr abziehbar sein<br />

sollen, ist damit eine eindeutige zeitliche Zäsur (Zeitpunkt<br />

des schädlichen Beteiligungserwerbs) angeordnet. <strong>Die</strong>se<br />

Zäsur kann je nach dem konkreten Zeitpunkt des schädlichen<br />

Beteiligungserwerbs aber auch als Abkürzung der<br />

Ermittlungsperiode im laufenden Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr<br />

eintreten („unterjähriger Beteiligungserwerb“),<br />

was wiederum sowohl die Einbeziehung zeitpunktbezogen<br />

vorher erwirtschafteter negativer Einkünfte als auch positiver<br />

Einkünfte rechtfertigt. Gegenstand des Verlustabzugsverbots<br />

des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. ist dann entweder die<br />

Summe aus dem verbleibenden Verlustvortrag (Feststellung<br />

zum 31.12. des Vorjahres bei kalenderjahrgleichem<br />

Wirtschaftsjahr) und dem „laufenden Verlust“ (so auch<br />

BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK<br />

2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u.<br />

1064, Tz. 31, dort S. 1; s. auch Begründung des Gesetzentwurfs,<br />

BT-Drucks. 16/4841, S. 76) oder der Saldo aus dem<br />

verbleibenden Verlustvortrag und dem „laufenden Gewinn“.<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 411<br />

Steuerrecht<br />

[14] Jedenfalls hat der Gesetzgeber die zweite Variante<br />

nicht dadurch ausgeschlossen, dass er von negativen Einkünften<br />

spricht – denn dies umschreibt lediglich die<br />

Grundlage einer Verlustabzugsbeschränkung und bezieht<br />

sich auf den Gesamtumfang des bisher nicht genutzten<br />

Verlusts, der sich aus nicht ausgeglichenen negativen Einkünften<br />

und nicht abgezogenen negativen Einkünften zusammensetzt.<br />

[15] bbb) Auf dieser Grundlage kommt dem Regelungszweck<br />

entscheidende Bedeutung zu. Der Verlustabzugsbeschränkung<br />

liegt nach der Begründung des Gesetzentwurfs<br />

(BT-Drucks. 16/4841, S. 76) der Gedanke zugrunde, dass<br />

sich ungeachtet des Trennungsprinzips „die wirtschaftliche<br />

Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche<br />

Engagement eines anderen Anteilseigners“ ändert. <strong>Die</strong> in<br />

früherer Zeit erwirtschafteten Verluste sollen für das „neue<br />

wirtschaftliche Engagement“ unberücksichtigt bleiben.<br />

[16] Wenn damit das wirtschaftliche Ergebnis der Kapitalgesellschaft<br />

nach dem schädlichen Beteiligungserwerb<br />

von dem vor diesem Zeitpunkt erwirtschafteten (negativen)<br />

Ergebnis unbeeinträchtigt bleiben soll, spricht nichts<br />

dafür, bei dieser Separierung ein vor diesem Zeitpunkt erzieltes<br />

positives Zwischenergebnis auszusparen. Der bisher<br />

nicht ausgeglichene Verlust (Verlustvortrag) wird in<br />

der Höhe eines bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />

erzielten Gewinns gerade nicht für das „neue“, sondern<br />

noch für das „alte“ wirtschaftliche Engagement genutzt (s.<br />

auch BFH v. 5.6.2007 – I R 9/06, BFHE 218, 207 = BStBl.<br />

II 2008, 988 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 48 m. Komm. Breuninger/<br />

Frey/Schade – zum maßgeblichen Zeitpunkt für den Ausschluss<br />

des Verlustabzugs nach der Vorgängerregelung des<br />

§ 8 Abs. 4 KStG 2002; v. 22.1.2009 – IV R 90/05, BFHE<br />

224, 364 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 496 – zum gewerbesteuerrechtlichen<br />

Verlustvortrag). <strong>Die</strong>sem Grundgedanken entspricht<br />

auch die unstreitige Praxis, bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />

erwirtschaftete negative Einkünfte unabhängig<br />

von einem Ablauf einer gesetzlichen Ermittlungsperiode<br />

(Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr) in die Verlustabzugsbeschränkung<br />

einzubeziehen (s. zu aaa).<br />

[17] <strong>Die</strong>sem Ergebnis kann nicht mit Erfolg entgegengehalten<br />

werden, dass es an einer Rechtsgrundlage für den<br />

Abzug des Verlustvortrags von bis zum schädlichen (unterjährigem)<br />

Beteiligungserwerb angefallenen positiven Einkünften<br />

fehle, da § 10d Abs. 2 EStG den Abzug nur zum<br />

Ende eines folgenden Veranlagungszeitraums zulasse (so<br />

z.B. Mössner/Seeger/Rätke, KStG, § 8c Rz. 368). Denn es<br />

geht insoweit nicht um die (veranlagungstechnischen) Voraussetzungen<br />

des Verlustabzugs im Jahr des schädlichen<br />

Beteiligungserwerbs, sondern um die Bemessung des<br />

„nicht genutzte(n) Verlust(s)“ i.S.d. § 8c S. 1 KStG 2002<br />

n.F. als Gegenstand der Verlustabzugsbeschränkung (z.B.<br />

Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Zerwas/Fröhlich<br />

in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,<br />

2010, S. 213).<br />

[18] bb) Hiernach war der für die Kl.in zum 31.12.2007<br />

festgestellte verbleibende Verlustvortrag i.H.v. 60.046 c<br />

im Streitjahr in voller Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte<br />

abzuziehen. Ein sog. nicht genutzter Verlust i.S.d.<br />

§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F. besteht nicht, da der Gesamtbetrag<br />

der Einkünfte des Streitjahres von 163.300 c i.H. eines<br />

Betrags von 60.046 c auf den Zeitraum bis zum schädlichen<br />

Beteiligungserwerb am 3.7.2008 entfiel. Insoweit<br />

ist der Senat an die entsprechende tatrichterliche Feststellung<br />

gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), die auf dem Zwi-


schenabschluss der Kl.in zum 31.5.2008, einer Hinzurechnung<br />

von nicht abziehbaren Betriebsausgaben und einer<br />

Hinzuschätzung bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />

beruht; darüber hinaus ist diese Feststellung<br />

durch eine entsprechende tatsächliche Verständigung<br />

der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung beim FG<br />

abgesichert.<br />

2. Kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens<br />

[19] Da auf dieser Grundlage die Verlustabzugsbeschränkung<br />

des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. die Höhe der festzusetzenden<br />

Körperschaftsteuer des Streitjahres nicht berührt,<br />

liegt ein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74<br />

FGO) bis zum Abschluss des Normenkontrollverfahrens<br />

beim BVerfG (2 BvL 6/11) nicht vor.<br />

3. Keine Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens<br />

[20] Der bei der Einkommensermittlung der Kl.in zu berücksichtigende<br />

Verlustabzug ist auch nicht nach § 8<br />

Abs. 4 KStG 2002 i.V.m. § 34 Abs. 6 S. 4 KStG 2002 n.F.<br />

ausgeschlossen. Unabhängig von der Frage, ob mit der im<br />

Streitjahr erfolgten Anteilsübertragung mehr als die Hälfte<br />

der Anteile an der Kl.in innerhalb eines vor dem 1.1.2008<br />

beginnenden Zeitraums von fünf Jahren übertragen wurden,<br />

fehlt es an der vom Tatbestand des § 8 Abs. 4 S. 2<br />

KStG 2002 geforderten Zuführung überwiegend neuen<br />

Betriebsvermögens im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang<br />

mit der Anteilsübertragung. Das FG hat entsprechende<br />

Feststellungen nicht getroffen.<br />

Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />

Der durch das UntStRefG 2008 v. 14.8.2007 (BGBl. I<br />

2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630) eingefügte § 8c KStG ist<br />

trotz seines noch „jungen Lebensalters“ eine der kontrovers<br />

diskutiertesten Vorschriften des deutschen Unternehmensteuerrechts<br />

(zu einem Literaturüberblick s. z.B. Suchanek<br />

in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c<br />

KStG vor Anm. 1). Neben ihn umgebenden verfassungsrechtlichen<br />

Zweifeln (s. hierzu nur J. Lang, <strong>GmbH</strong>R 2012,<br />

57 ff.; ferner den Vorlagebeschluss des FG Hamburg v.<br />

4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 = <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />

711 m. Komm. Roser; Az. des BVerfG: 2 BvL 6/11) stellen<br />

sich sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenebene<br />

eine Vielzahl von Einzelfragen, die – obwohl<br />

§ 8c KStG in seiner grundsätzlichen Wirkungsweise absolut<br />

simpel ist – einer gerichtlichen Klärung bedürfen.<br />

Mit vorstehend abgedruckter Entscheidung v. 30.11.2011 –<br />

I R 14/11 nimmt der BFH erstmalig zu einer materiellrechtlich<br />

offenen Frage auf der Rechtsfolgenebene des<br />

§ 8c KStG Stellung und beantwortet sie gegen die Auffassung<br />

der Finanzverwaltung im Sinne der Steuerpflichtigen.<br />

Einer Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss<br />

des Normenkontrollverfahrens beim BVerfG (Az.: 2 BvL<br />

6/11) bedurfte es somit nicht.<br />

I. <strong>Die</strong> Entscheidung<br />

Im Urteilssachverhalt wurde auf den 31.12.2007 zugunsten<br />

der Klägerin ein körperschaftsteuerlicher Verlustvortrag<br />

festgestellt. Im Juli 2008 übertrug der Altgesellschafter<br />

50 % der Anteile an der Klägerin auf einen Erwerber, so<br />

dass grundsätzlich zu diesem Tag der Tatbestand des § 8c<br />

Abs. 1 S. 1 KStG verwirklicht wurde. Das beklagte Finanzamt<br />

beabsichtigte daraufhin, die Hälfte des auf den<br />

Rechtsprechung<br />

412 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

31.12.2007 festgestellten Verlustvortrags untergehen zu<br />

lassen, ohne im Vorfeld eine Verrechnung des bis zum<br />

schädlichen Beteiligungserwerb entstandenen Gewinns<br />

mit dem Verlustvortrag per 31.12.2007 zuzulassen (so<br />

auch BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –<br />

DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008,<br />

883 u. 1064, Tz. 31 S. 2).<br />

<strong>Die</strong>ser Auslegung der Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1<br />

KStG ist der I. Senat mit der hier in Rede stehenden Entscheidung<br />

mit überzeugenden Gründen entgegengetreten,<br />

die sich letztendlich auf die Frage nach dem Zweck der<br />

Rechtsfolgen des § 8c KStG konzentrieren. <strong>Die</strong>s ist der<br />

Ausschluss der nicht genutzten Verluste, die vor dem<br />

schädlichen Beteiligungserwerb entstanden sind, für das<br />

wirtschaftliche Engagement des neuen Anteilseigners (so<br />

BT-Drucks. 16/4841, S. 76). Dementsprechend geht der<br />

BFH davon aus, dass mit der Realisierung eines schädlichen<br />

Beteiligungserwerbs eine zeitliche Zäsur stattfindet,<br />

die letztendlich (nur) den Saldo aus dem Verlustvortrag<br />

zum Ende des vorangegangenen Veranlagungszeitraums<br />

und dem bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschafteten<br />

Gewinn / Verlust mit einem Verlustabzugsverbot<br />

belegt.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung ist richtig und zu begrüßen. Insbesondere<br />

hätte auch ein Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Einkünfteermittlung<br />

nach § 7 Abs. 3 S. 2 KStG hergestellt<br />

werden oder der Verlustabzug an den veranlagungstechnischen<br />

Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d<br />

Abs. 2 EStG scheitern können. Beidem wurde allerdings<br />

am Zweck der Rechtsfolgen des § 8c KStG orientiert eine<br />

klare Absage erteilt.<br />

II. Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf unterjährigen<br />

schädlichen Beteiligungserwerb bei Organschaft<br />

Vorstehendes lässt hoffen, dass der BFH eine entsprechende<br />

Entscheidung auch für den unterjährigen schädlichen<br />

Beteiligungserwerb in den Fällen der Organschaft treffen<br />

wird. Durch den Einbezug auch mittelbarer BeteiligungserwerbeindieTatbeständedes§8cAbs.1S.1u.2KStG<br />

sollen von seinen Rechtsfolgen im Fall des schädlichen<br />

Beteiligungserwerbs an einem Organträger auch die laufenden<br />

Verluste von Organgesellschaften erfasst sein (so<br />

BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK<br />

2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u.<br />

1064, Tz. 33). <strong>Die</strong>s führt im Organschaftskonzern dazu,<br />

dass die unterjährigen Verluste der defizitären Organgesellschaften<br />

für eine Verrechnung mit positiven Ergebnissen<br />

des Organträgers oder anderer Organgesellschaften am<br />

Ende des Wirtschaftsjahres nicht zur Verfügung stehen, da<br />

die Einkommenszurechnung der Organgesellschaften an<br />

den Organträger nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG wirtschaftsjahrbezogen<br />

und damit nach dem Übertragungsstichtag erfolgt<br />

(zur wirtschaftsjahrbezogenen Einkommenszurechnung<br />

s. nur Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/<br />

KStG, § 14 KStG Anm. 87). Daraus resultieren in vielen<br />

Fällen völlig unsachgemäße und auch nicht zu kontrollierende<br />

Ergebnisse (zu einem Beispielsfall s. Suchanek in<br />

Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG<br />

Anm. 32a).<br />

Auch auf diesen Fall lässt sich die an dem Zweck der<br />

Rechtsfolgen des § 8c KStG orientierte Auslegung des<br />

BFH in vorstehender Entscheidung übertragen, indem auf<br />

den Tag des schädlichen Beteiligungserwerbs i.S.d. § 8c


Abs. 1 S. 1 oder 2 KStG eine Ergebnisermittlung für den<br />

gesamten Organkreis zugelassen wird, so dass nur für das<br />

zu diesem Zeitpunkt vorhandene saldierte Organschaftsergebnis<br />

– ggf. nach Verrechnung mit einem vortragsfähigen<br />

Verlust – die Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1 oder 2<br />

KStG eintreten, da nur dieser der nicht genutzte Verlust ist,<br />

der nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks.<br />

16/4841, S. 76) für das wirtschaftliche Engagement des<br />

neuen Anteilseigners nicht mehr zur Verfügung stehen<br />

soll. Hier ist zuzugeben, dass es, um zu diesem Ergebnis zu<br />

gelangen, einer zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzlich vorgesehenen<br />

Einkommenszurechnung der Organgesellschaften<br />

an den Organträger bedarf. Andererseits ist aber<br />

auch schlicht festzustellen, dass die Regelungen des § 8c<br />

KStG nicht mit denen des § 14 KStG abgestimmt sind und<br />

somit von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes<br />

auszugehen ist, die durch eine am Zweck des § 8c<br />

KStG orientierte Auslegung zu schließen ist.<br />

III. Was bleibt von der Entscheidung?<br />

Zu obiger Entscheidung lässt sich festhalten, dass der BFH<br />

trotz aller verfassungsrechtlichen Zweifel, die § 8c KStG<br />

umgeben, bemüht ist, auf die materiellen Rechtsfragen<br />

Antworten zu geben. Hier bietet der weite, aber auch vielfach<br />

offene Wortlaut des § 8c Abs. 1 S. 1 u. 2 KStG eben<br />

doch Auslegungsmöglichkeiten, die zweckorientiert vernünftige<br />

Ergebnisse zum Inhalt haben, ohne dass das Verfassungsrecht<br />

bemüht werden muss, um § 8c KStG auf ein<br />

„erträgliches Maß“ zu reduzieren. Zu hoffen bleibt, dass<br />

der BFH dieser Linie auch in zukünftigen Entscheidungen<br />

treu bleibt.<br />

Dipl.-Finanzw. Markus Suchanek, Steuerberater,<br />

Düsseldorf<br />

(Warth & Klein Grant Thornton AG<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)<br />

Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaft<br />

kein wichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebung<br />

des Gewinnabführungsvertrags<br />

KStG 1999 § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 u. 2, § 17; GewStG § 2<br />

Abs. 2 S. 2; AktG § 291; AktG 1965 § 297<br />

1. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der Organgesellschaft,<br />

die möglicherweise aus Unstimmigkeiten zwischen der Organgesellschaft<br />

und einem wichtigen Vertragspartner entstehen<br />

könnten, stellen grundsätzlich keinen wichtigen<br />

Grund für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags<br />

(GAV) i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 KStG 1999<br />

dar. <strong>Die</strong> Bedrohung der Lebensfähigkeit des gesamten Konzerns<br />

könnte als Ausnahme von diesem Grundsatz gelten.<br />

2. Maßgeblich für eine steuerlich unschädliche Beendigungsmöglichkeit<br />

eines GAV ist das Vorliegen eines wichtigen<br />

Grundes, nicht die Form der Beendigung (hier: einvernehmliche<br />

Aufhebung des GAV).<br />

FG Brandenburg, Urt. v. 19.10.2011 – 12 K 12078/08<br />

(rechtskräftig)<br />

� Aus dem Tatbestand:<br />

<strong>Die</strong> Beteiligten streiten über die Anerkennung einer körperschaft-<br />

und gewerbesteuerlichen Organschaft zwischen<br />

der Klägerin (Kl.in) und ihrer alleinigen Anteilseignerin,<br />

der C-<strong>GmbH</strong>, die später als D-<strong>GmbH</strong> firmierte (D).<br />

Rechtsprechung<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 413<br />

Steuerrecht<br />

<strong>Die</strong> Kl.in errichtet und betreibt Eisenbahnen, Eisenbahnanlagen<br />

und Güterkraftverkehre. Seit dem 15.12.19... besteht<br />

ein Eisenbahnrahmenvertrag zwischen der Kl.in und<br />

der E-<strong>GmbH</strong> (E). Danach hatte die Kl.in eine nicht bundeseigene<br />

Eisenbahn zu bauen und das Umschlaggeschäft für<br />

E zu betreiben. Der Umschlagplatz befindet sich auf dem<br />

Grundstück der E. <strong>Die</strong> Kl.in konnte ihre Leistung auch<br />

Dritten anbieten; vorrangig war jedoch die Leistung an E.<br />

<strong>Die</strong> Kl.in erzielte 92 % ihrer Einnahmen aus diesem Vertrag.<br />

Der Vertrag bestand bis zum 31.12.2002 und verlängerte<br />

sich um weitere fünf Jahre, wenn er nicht mit einer<br />

Kündigungsfrist von mindestens zwölf Monaten zum jeweiligen<br />

Vertragszeitraum gekündigt wurde. Mit einer<br />

Kündigungsfrist von sechs Monaten konnte er aus wichtigem<br />

Grund gekündigt werden (§ 13 des Vertrags). Ein<br />

wichtiger Grund sollte insbesondere gegeben sein, wenn<br />

eine Partei trotz Abmahnung einer wesentlichen Verpflichtung<br />

aus dem Vertrag zuwiderhandelte, insbesondere,<br />

wenn die für E erbrachten Leistungen wesentlich von dem<br />

vereinbarten Leistungsumfang abwichen oder wenn die<br />

Eröffnung eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens über<br />

das Vermögen einer Partei beantragt oder die Liquidation<br />

einer Partei beschlossen wurde oder eine sonstige wesentliche<br />

Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen<br />

einer Partei eintrat. Nach § 9 Abs. 2 des als Anlage 2 zum<br />

Rahmenvertrag bestehenden <strong>Die</strong>nstleistungsvertrags kann<br />

der Vertrag mit einer Frist von zwölf Monaten zum Ende<br />

des nächsten Kalenderjahres gekündigt werden, wenn sich<br />

die Parteien nicht bis zum 30. November eines Jahres auf<br />

den Wirtschaftsplan für das nächste Jahr einigen. Bei Beendigung<br />

des Vertrags hatte die Kl.in die Eisenbahnanlage<br />

an E zu verkaufen (§ 14 des Vertrags).<br />

<strong>Die</strong> Kl.in schloss am 31.8.2000 mit Wirkung zum 1.1.2001<br />

einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit<br />

ihrer alleinigen Anteilseignerin, der C, ab.<br />

Zwischen der Kl.in und E fanden jährlich Abschlussgespräche<br />

statt, die bis zum Jahre 2002 stets einvernehmlich<br />

abliefen. Im Jahre 2002 beanstandete E erstmals einen Abrechnungsposten<br />

der Kl.in, nämlich die Rücklage für die<br />

Ersatzbeschaffung einer Lok i.H.v. 100.000 c.MitSchreiben<br />

v. 1.11.2002 machte E eine Reihe von Zahlungs- bzw.<br />

Erstattungsansprüchen – insgesamt 1.614.825,49 c –gegendieKl.ingeltend.<strong>Die</strong>Kl.inwehrtesichgegendiese<br />

Ansprüche, woraufhin E die monatlichen Zahlungen an die<br />

Kl.in einstellte, was wiederum zur Folge hatte, dass die<br />

Kl.in drohte, die Bedienung der Schienenanbindung einzustellen.<br />

<strong>Die</strong> Kl.in befürchtete danach, dass E den Rahmenvertrag<br />

aus wichtigem Grund kündigen könnte. Sie holte im März<br />

2003 ein Rechtsgutachten ein, in dem der drohende Schaden<br />

im Falle einer Kündigung berechnet wurde. In diesem<br />

Gutachten wird einleitend in der Sachverhaltsschilderung<br />

ausgeführt, dass eine Kündigung des Rahmenvertrags<br />

durch E zum Ende des Jahres 2003 wirksam werden würde,<br />

so dass eine Berechnung der finanziellen Auswirkungen<br />

einer Kündigung auf den Stichtag 31.12.2003 abstellen<br />

müsse. Da die Berechnungen einer – offenbar bei der<br />

Kl.in beschäftigten – Frau F auf Daten zum Stichtag<br />

31.12.2001 basierten, ging das Gutachten aus Vereinfachungsgründen<br />

ebenfalls von diesem Stichtag aus. Das<br />

Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Kl.in entweder<br />

von der E nichts erhalten, an sie aber auch nichts zu<br />

zahlen haben werde oder sich eine Zahlungspflicht der<br />

Kl.in gegenüber E i.H.v. 287 585,46 DM ergeben könnte.


Mit Wirkung zum 31.12.2002 hoben die Kl.in und die C<br />

den Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag einvernehmlich<br />

auf. Nach den Ausführungen der Kl.in hatte dies<br />

u.a. den Grund, dass die C sich vor der Notwendigkeit der<br />

Tilgung der hohen Forderung der E gegenüber ihr, der<br />

Kl.in, habe schützen wollen.<br />

In der Folgezeit wurde der Rahmenvertrag neu verhandelt;<br />

die Kl.in musste danach bei gleichem Leistungsumfang<br />

geringere Gegenleistungen der E akzeptieren.<br />

Das FA nahm bei der Kl.in im Jahre 2006 eine abgekürzte<br />

Außenprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 vor. <strong>Die</strong> Prüferin<br />

ging danach davon aus, dass der Gewinnabführungsvertrag<br />

wegen der einvernehmlichen Aufhebung von<br />

Anfang an als steuerrechtlich unbeachtlich anzusehen und<br />

die Kl.in nach den allgemeinen Vorschriften zur Körperschaftsteuer<br />

zu veranlagen sei. Das FA folgte der Auffassung<br />

der Prüferin und erließ die hier angefochtenen Bescheide.<br />

Der Einspruch der Kl.in dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung<br />

v. 10.4.2008). ...<br />

� Aus den Entscheidungsgründen:<br />

<strong>Die</strong> Klage ist ... nicht begründet. <strong>Die</strong> angefochtenen<br />

Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kl.in nicht in<br />

ihrenRechten(§100Abs.1S.1FGO).DasFAhatdie<br />

Berücksichtigung einer steuerlichen Organschaft gemäß<br />

§14ff.KStG–fürdieGewerbesteueri.V.m.§2Abs.2<br />

S. 2 GewStG – zu Recht rückwirkend für die Streitjahre<br />

versagt.<br />

a) Verpflichtet sich eine der in § 14 Abs. 1 KStG bezeichneten<br />

Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz<br />

im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag<br />

i.S.d. § 291 AktG, ihren ganzen Gewinn an<br />

ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen,<br />

so ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweit<br />

sich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, dem Träger des<br />

Unternehmens (Organträger) unter den in § 14 KStG benannten<br />

Voraussetzungen zuzurechnen. Eine dieser Voraussetzungen<br />

ist, dass der Vertrag bis zum Ende des Wirtschaftsjahres<br />

der Organgesellschaft, für das erstmals eine<br />

Einkommenszurechnung zum Organträger erfolgen soll,<br />

auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und für diese Zeit<br />

tatsächlich durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1<br />

KStG). <strong>Die</strong> §§ 14 bis 16 KStG gelten gemäß § 17 KStG<br />

entsprechend, wenn eine andere als die in § 14 Abs. 1 S. 1<br />

KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung<br />

und Sitz im Inland, also insbesondere auch eine inländische<br />

<strong>GmbH</strong>, sich wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn<br />

an ein anderes Unternehmen i.S.d. § 14 KStG abzuführen<br />

(vgl. zum Ganzen BFH v. 12.1.2011 – I R 3/10,<br />

BStBl. II 2011, 727 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 544 m. Komm. Walter,unterII.1.).<br />

<strong>Die</strong> vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags<br />

führt dazu, dass das Organschaftsverhältnis steuerlich<br />

als von Anfang an unwirksam anzusehen ist (R 60<br />

Abs. 6 S. 5 KStR; vgl. auch Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806).<br />

Eine vorzeitige Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />

durch Kündigung ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3<br />

S. 2 KStG allerdings unschädlich, wenn ein wichtiger<br />

Grund die Kündigung rechtfertigt.<br />

b) Hier fehlt es an einem auf fünf Jahre abgeschlossenen<br />

und während dieses Zeitraums durchgeführten Gewinnab-<br />

Rechtsprechung<br />

414 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Steuerrecht<br />

führungsvertrag. Zwar haben die Kl.in und die C einen fünf<br />

Jahre laufenden Gewinnabführungsvertrag geschlossen.<br />

<strong>Die</strong>ser Vertrag ist jedoch vorzeitig aufgehoben worden. In<br />

der einvernehmlichen Aufhebung zum Ende des Jahres<br />

2002 ist keine Kündigung aus wichtigem Grund i.S.d. § 14<br />

Abs.1S.1Nr.3S.2KStGzusehen.<br />

aa) Unschädlich ist es allerdings, dass der Gewinnabführungsvertrag<br />

durch Aufhebungsvertrag und nicht durch<br />

eine Kündigung beendet wurde. Zwar suggeriert der Wortlaut<br />

des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG, der in S. 2 nur die<br />

Kündigung und in S. 3 sowohl die Kündigung als auch die<br />

Aufhebung des Gewinnabführungsvertrags erwähnt, dass<br />

von S. 2 tatsächlich auch nur Fälle der Kündigung erfasst<br />

seien. <strong>Die</strong> h.M. geht jedoch zutreffend davon aus, dass der<br />

durch das Steueränderungsgesetz 1992 v. 25.2.1992<br />

(BGBl. I 1992, 297 ff.) neu formulierte § 14 Abs. 1 S. 1<br />

Nr. 3 KStG nicht der schon zuvor nicht zuletzt von der Finanzverwaltung<br />

(R 60 Abs. 6 S. 1 KStR; vgl. auch bereits<br />

BMF v. 30.12.1971 – F/IV B 5 - S 2755 - 42/71, BStBl. I<br />

1972, 2) vertretenen Auffassung, dass auch andere Beendigungsformen<br />

bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unschädlich<br />

seien, entgegentreten wollte. Nach dem Sinn und<br />

Zweckdes§14Abs.1S.1Nr.3KStG,dereinewillkürliche<br />

Verschiebung von Gewinnen zwischen Organträger<br />

und Organgesellschaft verhindern will (BFH v. 12.1.2011<br />

– I R 3/10, BStBl. II 2011, 727 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 544 m.<br />

Komm. Walter, unter II.2.c] bb]; Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />

806 [807]; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/<br />

KStG, § 14 KStG Anm. 212), ist maßgeblich für eine<br />

steuerliche unschädliche Beendigungsmöglichkeit eines<br />

Gewinnabführungsvertrags das Vorliegen eines wichtigen<br />

Grundes, nicht die Form der Beendigung (Lange,<strong>GmbH</strong>R<br />

2011, 806 [807], m.w.N.; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach,<br />

EStG/KStG, § 14 KStG Anm. 212, m.w.N.; i.Erg.<br />

ebenso Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14<br />

KStG Rz. 133).<br />

bb) Es lag jedoch kein wichtiger Grund i.S.d. § 14 Abs. 1<br />

S.1Nr.3KStGvor.<br />

(1) Als wichtiger Grund wird – neben anderen, hier unstreitig<br />

nicht vorliegenden Fällen – u.a. der Fall genannt,<br />

dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die<br />

Vertragsparteien im Vergleich zu denen bei Abschluss des<br />

Gewinnabführungsvertrags ändern, so dass bei vernünftiger<br />

kaufmännischer Beurteilung die Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />

als sachgerecht anzusehen ist<br />

(Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [809], m.w.N.). Das setzt voraus,<br />

dass die Änderung der Verhältnisse nicht willkürlich<br />

herbeigeführt wird (Lange,<strong>GmbH</strong>R2011,806[810]).Ein<br />

wichtiger Grund in diesem Sinne wird angenommen, wenn<br />

der Organträger voraussichtlich nicht mehr in der Lage<br />

sein wird, seine Pflichten aus dem Gewinnabführungsvertrag<br />

zu erfüllen (Danelsing in Blümich, EStG/KStG/<br />

GewStG, § 14 KStG Rz. 133; Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806<br />

[810]). Des weiteren stellen die Veräußerung oder Einbringung<br />

der Organbeteiligung durch den Organträger, die Verschmelzung,<br />

Spaltung oder Liquidation des Organträgers<br />

oder der Organgesellschaft, der Börsengang der Organgesellschaft<br />

und unter bestimmten Umständen auch der erstmalige<br />

Beitritt eines außenstehenden Gesellschafters einen<br />

wichtigen Grund i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG dar<br />

(Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [810 ff.]; vgl. auch Sterner in<br />

Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG<br />

Anm. 213). Auch die Vertragsverletzung einer Partei trotz<br />

Abmahnung wird als wichtiger Grund angesehen (Danel-


Verwaltungsanweisungen<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 415<br />

sing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG<br />

Rz. 133)<br />

(2) Mit den vorbezeichneten Szenarien, die als wichtiger<br />

Grund anerkannt sind, ist die hier vorliegende Sachlage<br />

nicht vergleichbar. Hier bestanden lediglich Unstimmigkeiten<br />

zwischen der Organgesellschaft und einem – wenn<br />

auch besonders wichtigen – Vertragspartner. <strong>Die</strong>se hätten<br />

zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Organgesellschaft<br />

führen können, die indes, wenn man den Sinn und Zweck<br />

der Regelungen über die Organschaft zugrunde legt, nicht<br />

zur außerordentlichen Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />

berechtigen. Es soll, wie oben dargestellt,<br />

die willkürliche Verschiebung von Gewinnen und VerlustenzwischenOrganträgerundOrgangesellschaftverhindert<br />

werden. Dann aber muss die wirtschaftliche Lage der<br />

Organgesellschaft steuerlich unerheblich sein. Eine abweichende<br />

gesellschaftsrechtliche Sicht im Hinblick auf § 297<br />

AktG ist für die steuerliche Beurteilung, die eine gleichmäßige<br />

Besteuerung aller Steuerpflichtigen nach ihrer Leistungsfähigkeit<br />

zu gewährleisten hat, nicht von Belang<br />

(ebens i.Erg. Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [809], m.w.N.).<br />

Steuerlich wird eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass<br />

die Verschlechterung der Ertragslage der Organgesellschaft<br />

keinen wichtigen Grund darstellt, allenfalls dann anerkannt,<br />

wenn der Fortbestand des Gewinnabführungsvertrags<br />

die Lebensfähigkeit des ganzen Konzerns bedroht<br />

(Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG<br />

Rz. 133). Dafür hat die Kl.in hier nichts vorgetragen; der<br />

Inhalt der Akten gibt auch keinen Anhaltspunkt, dass dieser<br />

Fall hier gegeben sein könnte.<br />

Keinesfalls war eine außerordentliche Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />

jedenfalls zum Ende des Jahres<br />

2002 gerechtfertigt. E hätte sich erst zum Ende des Jahres<br />

2003 von dem Rahmenvertrag lösen können. Ein wichtiger<br />

Grund i.S.d. § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrags lag nicht vor.<br />

Weder hatte eine der Vertragsparteien trotz Abmahnung<br />

einer wesentlichen Verpflichtung aus dem Vertrag zuwidergehandelt<br />

(hinsichtlich der Zahlungseinstellung durch<br />

E fehlte es zumindest an einer Abmahnung durch die<br />

Kl.in), noch war die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenz-<br />

oder Vergleichsverfahrens über das Vermögen einer<br />

Partei beantragt, die Liquidation einer Partei beschlossen<br />

oder eine sonstige wesentliche Verschlechterung in den<br />

Vermögensverhältnissen einer Partei eingetreten. <strong>Die</strong> drohende<br />

wirtschaftliche Verschlechterung der Kl.in, die<br />

möglicherweise durch die Beendigung des Rahmenvertrags<br />

eingetreten wäre, hat insoweit außer Betracht zu bleiben,<br />

weil eine Folge, die durch die Beendigung des Vertrags<br />

eintritt, nicht die Voraussetzung für gerade diese Beendigung<br />

darstellen kann. Dementsprechend geht auch das<br />

von der Kl.in in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von<br />

einer Beendigung des Rahmenvertrags durch E frühestens<br />

zum 31.12.2003 aus, nachdem die Vertragsparteien sich<br />

bis zum 30.11.2002 ersichtlich nicht auf einen Wirtschaftsplan<br />

für das Folgejahr geeinigt hatten. Warum der C insoweit<br />

ein Zuwarten bis zum Jahre 2003 nicht zuzumuten gewesen<br />

sein könnte, wie die Kl.in geltend macht, ist nicht ersichtlich.<br />

Insbesondere ist nicht erkennbar, warum später<br />

die Möglichkeit der außerordentlichen Beendigung des<br />

Gewinnabführungsvertrags nicht mehr gegeben gewesen<br />

sein sollte, wie die Kl.in vorträgt. Eine Beendigung des<br />

Gewinnabführungsvertrags durch einvernehmliche Aufhebung<br />

war im Laufe des Jahres 2003 zum Ende dieses<br />

Jahres ebenso möglich wie zum Ende des Jahres 2002. Insbesondere<br />

waren auch im Jahre 2003 keine außenstehen-<br />

den Gesellschafter an der C beteiligt, die eine einvernehmliche<br />

Aufhebung hätten erschweren können. ...<br />

Verwaltungsanweisungen<br />

Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />

ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)<br />

BMF, Schr. v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK<br />

2011/1032913<br />

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit<br />

den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder<br />

gilt für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG1 i.d.F. des<br />

Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie<br />

zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2011,<br />

BGBl. I 2011, 2592 ff. Folgendes:<br />

1. Allgemeines<br />

<strong>Die</strong> Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG schränkt den Anspruch<br />

einer ausländischen Gesellschaft nach §§ 43b, 50g<br />

EStG oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der<br />

Doppelbesteuerung (DBA) auf Befreiung oder Ermäßigung<br />

von Kapitalertrag- oder Abzugssteuern nach § 50a<br />

EStG ein,<br />

– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen<br />

die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die<br />

Einkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlastungsberechtigung),<br />

und<br />

– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3<br />

S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nicht<br />

vorliegen (schädliche Erträge).<br />

<strong>Die</strong> Funktionsvoraussetzungen für unschädliche Erträge<br />

sind alternativ erfüllt,<br />

– soweit die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden<br />

Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge aus eigener<br />

Wirtschaftstätigkeit stammen oder<br />

– in Bezug auf die nicht eigenwirtschaftlichen Erträge für<br />

die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche<br />

oder sonst beachtliche Gründe vorhanden<br />

sind und die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren<br />

Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />

am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />

teilnimmt oder<br />

– § 50d Abs. 3 S. 5 EStG Anwendung findet.<br />

2. Anwendungsbereich<br />

Unter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG hat eine<br />

ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige<br />

oder teilweise Entlastung von der Kapitalertragsteuer oder<br />

der Abzugssteuer nach § 50a EStG. Ausgeschlossen werden<br />

hiernach Ansprüche auf völlige oder teilweise Erstattung<br />

einbehaltener Steuern (§ 50d Abs. 1 EStG) sowie auf<br />

völlige oder teilweise Freistellung vom Steuerabzug<br />

(§ 50d Abs. 2 EStG).<br />

1 <strong>Die</strong>ses Schreiben gilt für die unmittelbare Anwendung des § 50d<br />

Abs. 3 EStG. Soweit diese Vorschrift nur entsprechend anzuwenden<br />

ist, wie z.B. gemäß § 44a Abs. 9 S. 2 EStG, sind die<br />

Ausführungen dieses Schreibens nur nach dem Sinn und Zweck<br />

der Verweisungsvorschrift zu berücksichtigen.


Verwaltungsanweisungen<br />

416 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer unterliegende<br />

abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sich<br />

die Quellensteuer vorbehaltlich einer zusätzlichen persönlichen<br />

Entlastungsberechtigung im Verhältnis der unschädlichen<br />

Bruttoerträge zu den im Wirtschaftsjahr insgesamt<br />

erzielten Bruttoerträgen der ausländischen Gesellschaft<br />

(„Aufteilungsklausel“).<br />

Nicht in den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG<br />

fallen eventuelle Entlastungsansprüche, die sich aus der<br />

Zuweisung des Besteuerungsrechtes nach einem DBA für<br />

andere Einkünfte ergeben, z.B. Gewinne aus der Veräußerung<br />

von Beteiligungen.<br />

3. Ausländische Gesellschaft<br />

Der Begriff der Gesellschaft ist entsprechend dem jeweiligen<br />

Antrag i.S.d. einschlägigen DBA oder der §§ 43b<br />

Abs. 2 oder 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a) Doppelbuchst. aa)<br />

EStG auszulegen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) OECD-<br />

Musterabkommen bedeutet der Ausdruck „Gesellschaft“<br />

juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung<br />

wie juristische Personen behandelt werden. <strong>Die</strong> Einordnung<br />

einer Gesellschaft durch die Vertragsstaaten kann<br />

unterschiedlich ausfallen. Für deutsche Besteuerungszwecke<br />

erfolgt die Einordnung ausschließlich nach deutschem<br />

Steuerrecht (Typenvergleich). Unabhängig davon ist Entlastung<br />

von deutschen Abzugssteuern zu gewähren, wenn<br />

die Einkünfte nach dem Recht des anderen Staates dort als<br />

Einkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind.<br />

Daher ist eine ausländische Personengesellschaft, die nach<br />

ausländischem Recht als Kapitalgesellschaft behandelt<br />

wird, Gesellschaft i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG. 2<br />

Bei Anträgen nach §§ 43b oder 50g EStG ist darauf abzustellen,<br />

ob die Gesellschaft eine der in der Anlage 2 zu<br />

§ 43b EStG bzw. Anlage 3a zu § 50g EStG aufgeführten<br />

Rechtsformen aufweist und i.Ü. die jeweiligen weiteren<br />

Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.<br />

Ausländisch ist eine Gesellschaft, wenn sie weder Sitz<br />

noch Geschäftsleitung im Inland hat oder bei sog. Doppelansässigkeit<br />

nach dem maßgeblichen DBA im anderen<br />

Vertragsstaat als ansässig gilt.<br />

<strong>Die</strong> Ansässigkeit einer ausländischen Gesellschaft in<br />

einem anderen Vertragsstaat richtet sich nach Art. 4 Abs. 1<br />

u. 3 OECD-Musterabkommen bzw. der einschlägigen Vorschrift<br />

des maßgeblichen DBA.<br />

4. Persönliche Entlastungsberechtigung ausländischer<br />

Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)<br />

4.1 Gesellschafterbezogene Prüfung<br />

Eine ausländische Gesellschaft ist persönlich entlastungsberechtigt,<br />

soweit den an ihr beteiligten Personen ein Entlastungsanspruch<br />

nach §§ 43b, 50g EStG oder nach einem<br />

DBA zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten<br />

(Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung des<br />

Gesellschafters). <strong>Die</strong> Entlastungsberechtigung ist entsprechend<br />

dem Gesetzeswortlaut („soweit“) für jeden Gesellschafter<br />

gesondert zu prüfen. Gesellschafter mit Wohnsitz,<br />

Sitz oder Geschäftsleitung im Inland sind nicht entlastungsberechtigt.<br />

2 Auf die Einordnung einer ausländischen Gesellschaft nach dem<br />

innerstaatlichen deutschen Steuerrecht (Typenvergleich) kommt<br />

es insoweit nicht an. S. OECD-Musterkommentar, Tz. 5 zu<br />

Art. 1.<br />

4.2 Mittelbare persönliche Entlastungsberechtigung<br />

des Gesellschafters<br />

Handelt es sich bei dem Gesellschafter der ausländischen<br />

Gesellschaft um eine Gesellschaft, kommt es darauf an, ob<br />

diese nach einem DBA oder einer EU-Richtlinie persönlich<br />

entlastungsberechtigt ist (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />

Soweit die mittelbar beteiligte Gesellschaft sachlich<br />

nicht entlastungsberechtigt ist, ist zu prüfen, ob eine<br />

an ihr beteiligte Gesellschaft, sofern diese selbst persönlich<br />

entlastungsberechtigt ist, die sachlichen Funktionsvoraussetzungen<br />

des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG erfüllt. Im Hinblick<br />

auf Gesellschaften in einer Beteiligungskette muss<br />

stets für jede Gesellschaft in der Kette die persönliche Entlastungsberechtigung<br />

gegeben sein (vgl. BFH v. 20.3.2002<br />

– I R 38/00, BStBl. II 2002, 819 = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m.<br />

Komm. Roser). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Gesellschaften<br />

in der Kette im gleichen Umfang entlastungsberechtigt<br />

sind. Allerdings begrenzen die fiktiven Entlastungsansprüche<br />

der in der Beteiligungskette voranstehenden<br />

Gesellschafter die Höhe des Entlastungsanspruchs<br />

nachfolgender Gesellschafter (s. Tz. 12).<br />

4.3 Ausschluss der mittelbaren Entlastungsberechtigung<br />

Eine fehlende persönliche Entlastungsberechtigung<br />

schließt mögliche mittelbare Entlastungsberechtigungen<br />

nachfolgender Gesellschafter aus. Danach ist ein Gesellschafter<br />

dann nicht (mittelbar) persönlich entlastungsberechtigt,<br />

wenn er<br />

– in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist,<br />

– als außerhalb der EU ansässige Person nicht die Voraussetzungen<br />

der einschlägigen Richtlinien erfüllt,<br />

– die Rechtsform einer Gesellschaft hat, diese sachlich<br />

nicht entlastungsberechtigt (s. Tz. 1) ist und deren Gesellschafter<br />

ihrerseits in einem Nicht-DBA-Staat ansässig<br />

sind bzw. als außerhalb der EU ansässige Personen<br />

nicht die Voraussetzungen der einschlägigen EU-Richtlinien<br />

erfüllen oder<br />

– zwar in einem DBA-Staat und/oder innerhalb der EU<br />

ansässig ist, aber nicht die Vergünstigungen eines DBA<br />

bzw. der einschlägigen EU-Richtlinien geltend machen<br />

kann (hierunter fallen für Zwecke der unmittelbaren Anwendung<br />

des § 50d Abs. 3 EStG auch inländische Gesellschafter).<br />

Beispiel:<br />

An einer niederländischen B.V. ist u.a. auch eine Gesellschaft<br />

beteiligt, die ihren Sitz auf den Bermudas<br />

hat. An letzterer Gesellschaft sind u.a. natürliche Personen<br />

mit Wohnsitz in den USA beteiligt. <strong>Die</strong> fehlende<br />

persönliche Entlastungsberechtigung der Bermuda-<br />

Gesellschaft schließt einen möglichen Entlastungsanspruch<br />

eines Gesellschafters in den USA aus.<br />

5. Eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischen<br />

Gesellschaft (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)<br />

Soweit die im betreffenden Wirtschaftsjahr der ausländischen<br />

Gesellschaft erzielten Bruttoerträge aus eigener<br />

Wirtschaftstätigkeit stammen, besteht ein Anspruch auf<br />

Entlastung (s. Tz. 5.5). Dazu zählen auch die Bruttoerträge<br />

einer Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />

derselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktionalenZusammenhangstehen(s.Tz.12)sowieZinserträge


Verwaltungsanweisungen<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 417<br />

einer Gesellschaft, die aus der verzinslichen Anlage entlastungsberechtigter<br />

Gewinne derselben Gesellschaft erzielt<br />

werden. Bruttoerträge sind die Bruttoerträge i.S.d. § 9<br />

AStG (s. Tz. 9.0.1 des BMF-Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 -<br />

S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004 Sonder-Nr. 1 – Anwendungsschreiben<br />

zum AStG). Dividenden und andere Erträge<br />

(z.B. Zinsen und Lizenzgebühren) von geleiteten Gesellschaften<br />

(s. Tz. 5.3) zählen zu den Bruttoerträgen des<br />

Bereiches der eigenen Wirtschaftstätigkeit.<br />

Im Erstattungsverfahren nach § 50d Abs. 1 EStG gilt das<br />

Jahr des Ertragszuflusses als betreffendes Wirtschaftsjahr.<br />

Im Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist es<br />

das Jahr der Antragstellung. <strong>Die</strong> Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />

Tätigkeit sind anhand des Jahresabschlusses<br />

des betreffenden Wirtschaftsjahres nachzuweisen.<br />

Sollte dieser noch nicht vorliegen, ist auf die Verhältnisse<br />

des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzustellen; sofern<br />

es für den Steuerpflichtigen günstiger ist, kann er<br />

rückwirkend die Erträge des Wirtschaftsjahres zugrunde<br />

legen, in dem sie angefallen sind. Bei Neugründung sind<br />

die Verhältnisse des ersten Wirtschaftsjahres nach der<br />

Gründung maßgebend.<br />

5.1 „Wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“<br />

Eine eigene Wirtschaftstätigkeit setzt eine über den Rahmen<br />

der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme<br />

am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus<br />

(„wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“). <strong>Die</strong> Zwischenschaltung<br />

einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen<br />

Gesellschaft ist vor dem Hintergrund des Urteils des<br />

EuGH in der Rechtssache Cadbury-Schweppes (EuGH<br />

v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m.<br />

Komm. Kleinert) nur dann gerechtfertigt, wenn die Gesellschaft<br />

am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer<br />

gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig<br />

teilnimmt.<br />

Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />

liegt auch vor, wenn <strong>Die</strong>nstleistungen gegenüber einer<br />

oder mehreren Konzerngesellschaften erbracht werden.<br />

Voraussetzung ist, dass die Leistungen gegen gesondertes<br />

Entgelt erbracht werden und wie gegenüber fremden Dritten<br />

abgerechnet werden.<br />

An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es nach § 50d<br />

Abs. 3 S. 3 EStG, soweit die ausländische Gesellschaft ihre<br />

Bruttoerträge aus der Verwaltung von eigenen und/oder<br />

fremden Wirtschaftsgütern erzielt, z.B. bei bloßem Erwerb<br />

von Beteiligungen (BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl.<br />

II 1986, 496) oder dem Halten von Stammkapital oder dem<br />

Halten und Verwalten von Vermögen (BFH v. 27.7.1976 –<br />

VIII R 55/72, BStBl. II 1977, 266; v. 29.7.1976 – VIII R<br />

142/73, BStBl. II 1976, 263).<br />

5.2 Aktive Beteiligungsverwaltung<br />

Hält die ausländische Gesellschaft in ihrem Betriebsvermögen<br />

Anteile an inländischen Gesellschaften, liegt eine<br />

eigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor, wenn Beteiligungen<br />

von einigem Gewicht erworben wurden, um gegenüber<br />

den Gesellschaften, an denen die Beteiligungen bestehen,<br />

geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen (aktive<br />

Beteiligungsverwaltung, s. BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/<br />

77, BStBl. II 1981, 339 [341]). Es reicht nicht aus, dass<br />

eine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische Betätigung<br />

geschäftsleitende Funktionen nur gegenüber einer<br />

Tochtergesellschaft ausübt oder lediglich Anteile an einer<br />

oder mehreren Tochtergesellschaften hält und sich dabei<br />

auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkt<br />

(passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligung<br />

von einigem Gewicht erworben wurde, hängt nicht von der<br />

Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab. Es kommt darauf<br />

an, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft tatsächlich<br />

Einfluss genommen wird.<br />

5.3 Geschäftsleitende Funktionen<br />

Geschäftsleitende Funktionen werden durch Führungsentscheidungen<br />

ausgeübt. Führungsentscheidungen zeichnen<br />

sich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und<br />

Bedeutung aus, die sie für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft<br />

(geleitete Gesellschaft) haben. Sie unterscheiden<br />

sich von Entscheidungen, die kurzfristig und ausführungsbezogen<br />

sind. <strong>Die</strong> Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen,<br />

wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewährung,<br />

reicht für die Qualifizierung als aktive Beteiligungsverwaltung<br />

nicht aus. Mündliche Führungsentscheidungen<br />

ohne hinreichende Dokumentation reichen zum<br />

Nachweis der geschäftsleitenden Funktion nicht aus.<br />

5.4 Auslagerung wesentlicher Geschäftstätigkeiten<br />

Eine eigene Wirtschaftstätigkeit liegt auch dann nicht vor,<br />

wenn die wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte,<br />

z.B. Anwaltskanzleien oder Managementgesellschaften,<br />

übertragen werden (§ 50d Abs. 3 S. 3 EStG).<br />

5.5 Gesellschafterbezogene Prüfung<br />

Soweit keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird, ist<br />

die sachliche Entlastungsberechtigung gesellschafterbezogen<br />

eingeschränkt.<br />

6. Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für<br />

die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />

(§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG)<br />

Nimmt die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren<br />

Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />

am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil, besteht<br />

ein Anspruch auf Entlastung, soweit die nicht aus<br />

einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit stammenden Erträge<br />

aus einem Geschäftsbereich stammen, für den die Einschaltung<br />

der ausländischen Gesellschaft aus wirtschaftlichen<br />

oder sonst beachtlichen Gründen gerechtfertigt ist.<br />

Ein wirtschaftlicher Grund liegt insbesondere dann vor,<br />

wenn mit der ausländischen Gesellschaft die Aufnahme<br />

einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Tz. 5 geplant<br />

ist und entsprechende Aktivitäten eindeutig nachgewiesen<br />

sind.<br />

An einem wirtschaftlichen Grund fehlt es insbesondere<br />

dann, wenn die ausländische Gesellschaft überwiegend der<br />

Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten dient, für<br />

eine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alterssicherung<br />

der Gesellschafter eingesetzt werden soll, vgl.<br />

BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265.<br />

Als sonst beachtliche Gründe können u.a. rechtliche, politische<br />

oder auch religiöse Gründe in Betracht kommen.<br />

Umstände, die sich aus den Verhältnissen des Konzernverbunds<br />

ergeben, wie z.B. Gründe der Koordination, Organisation,<br />

Aufbau der Kundenbeziehung, Kosten, örtliche<br />

Präferenzen, gesamtunternehmerische Konzeption, stellen<br />

keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe in<br />

diesem Sinne dar, vgl. auch Tz. 8.


Verwaltungsanweisungen<br />

418 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

Beispiel:<br />

An einer ausländischen Gesellschaft sind zu 100 %<br />

nicht entlastungsberechtigte Gesellschafter beteiligt.<br />

<strong>Die</strong> Gesellschaft erzielt zu 80 % Erträge, die nicht aus<br />

eigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen, wobei für<br />

60 % dieser Erträge die Einschaltung der Gesellschaft<br />

wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Ein für den Geschäftszweck<br />

angemessen ausgestatteter Geschäftsbetrieb<br />

liegt vor. <strong>Die</strong> dem Quellensteuerabzug unterliegenden<br />

deutschen Zahlungen sind zu 68 % [= 20 % (eigenwirtschaftliche<br />

Erträge) und 60 % * 80 % (§ 50d Abs. 3<br />

Nr. 1 u. 2 EStG)] entlastungsberechtigt.<br />

7. Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb (§ 50d<br />

Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG)<br />

<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat<br />

über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten<br />

Geschäftsbetrieb verfügen (qualifiziertes Personal,<br />

Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel,<br />

BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819<br />

[822] = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m. Komm. Roser), d.h. ein<br />

„greifbares Vorhandensein“ muss nachweisbar sein<br />

(EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049<br />

m. Komm. Kleinert). Indizien für ein solches „greifbares<br />

Vorhandensein“ liegen vor, wenn<br />

– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit<br />

ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal<br />

beschäftigt,<br />

– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation verfügt,<br />

um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich<br />

und selbstständig zu erfüllen,<br />

– die Geschäfte zwischen nahe stehenden Personen i.S.d.<br />

§ 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich (wie unter fremden<br />

Dritten) standhalten.<br />

8. Konzernverhältnisse (§ 50d Abs. 3 S. 2 EStG)<br />

Für die Prüfung der in Tz. 6 u. 7 genannten Ausschlussgründe<br />

ist ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländischen<br />

Gesellschaft und nicht auf den Konzernverbund abzustellen,<br />

deren Teil sie ist. Struktur und Strategiekonzepte<br />

des Konzerns führen deshalb nicht dazu, dass einer funktionslosen<br />

Konzerngesellschaft Steuerentlastungen gewährtwerdenkönnen.<strong>Die</strong>sgiltu.a.auchinFällenderOrganschaft<br />

oder fiskalen Einheit. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise<br />

ist nicht anzuwenden.<br />

9. Sonderfälle (§ 50d Abs. 3 S. 5 EStG)<br />

Vom Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG sind nur<br />

die folgenden ausländischen Gesellschaften ausgenommen:<br />

9.1 Gesellschaften mit börsengehandelten Aktien<br />

Gesellschaften, für deren Hauptgattung der Aktien ein wesentlicher<br />

und regelmäßiger Handel an einer anerkannten<br />

Börse stattfindet, fallen nicht in den Anwendungsbereich<br />

von § 50d Abs. 3 EStG. Der Begriff „anerkannte Börse“<br />

bedeutet organisierter Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 Wertpapierhandelsgesetz<br />

und vergleichbare Märkte mit Sitz außerhalb<br />

der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes.<br />

9.2 Investmentgesellschaften<br />

Ausgenommen sind nur ausländische Investmentvermögen<br />

des Kapitalgesellschaftstyps (d.h. mit einer Investmentaktiengesellschaft<br />

i.S.d. § 2 Abs. 5 Investmentgesetz<br />

vergleichbare Konstruktionen). <strong>Die</strong> Vorgabe zur Ermittlung<br />

der Erträge des Investmentvermögens nach den Regeln<br />

für Überschusseinkünfte (§ 3 Abs. 1 Investmentsteuergesetz)<br />

führt nicht zur Einstufung der Tätigkeit des<br />

Investmentvermögens als Vermögensverwaltung. Wegen<br />

der unterschiedlichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben im<br />

Ausland gilt dies auch dann, wenn die Verwaltung des Investmentvermögens<br />

auf eine besondere Verwaltungsgesellschaft<br />

ausgelagert wird.<br />

Handelt es sich bei der nach einem DBA oder einer EU-<br />

Richtlinie persönlich entlastungsberechtigten ausländischen<br />

Gesellschaft nicht um eine solche i.S.d. § 50d Abs. 3<br />

S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2), ist darauf abzustellen, ob eine an<br />

ihr unmittelbar oder mittelbar beteiligte Gesellschaft einen<br />

der Tatbestände des § 50d Abs. 3 S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2)<br />

erfüllt, sofern diese ebenfalls persönlich entlastungsberechtigt<br />

ist. Auch bei einer mittelbar beteiligten Gesellschaft<br />

muss die persönliche Entlastungsberechtigung gegeben<br />

sein.<br />

10. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu Missbrauchsregelungen<br />

in den DBA<br />

Der abkommensrechtlich mögliche Entlastungsanspruch<br />

steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt der tatbestandlichen<br />

Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG (BFH v.<br />

17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781). <strong>Die</strong>s gilt<br />

nicht in Fällen, in denen das einschlägige DBA eine abschließende<br />

Regelung enthält (BFH v. 19.12.2007 – I R 21/<br />

07, BStBl. II 2008, 619 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 714 [LS]).<br />

11. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO<br />

§ 50d Abs. 3 EStG ist im Verhältnis zu § 42 AO die speziellere<br />

Vorschrift und vorrangig anzuwenden. Liegen die<br />

Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht<br />

vor, ist die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO<br />

zu prüfen, da dessen Anwendbarkeit nicht durch § 50d<br />

Abs. 3 EStG oder eine andere gesetzliche Vorschrift ausgeschlossen<br />

ist (§ 42 Abs. 2 AO).<br />

12. Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />

<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat insoweit einen Anspruch<br />

auf Steuerentlastung, als<br />

a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />

Personen (s. Tz. 4) beteiligt sind oder<br />

b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Einkünfte<br />

eine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt<br />

(unschädliche Erträge i.S.d. Tz. 1) oder<br />

c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 S. 5 EStG genannten<br />

Sonderfälle (s. Tz. 9) handelt.<br />

Sind an der ausländischen Gesellschaft auch nicht entlastungsberechtigte<br />

Personen beteiligt (zur Prüfung der Entlastungsberechtigung,<br />

s. Tz. 4) und erbringt sie den genannten<br />

Nachweis nicht, ist zur Feststellung der Höhe des<br />

Steuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter gesondert<br />

zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wäre,<br />

wenn er die Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />

Der Steuerentlastungsanspruch der Gesellschaft<br />

ergibt sich aus der Summe der fiktiven Entlas-


Verwaltungsanweisungen<br />

<strong>GmbH</strong>R 7/2012 419<br />

tungsansprüche der Gesellschafter, die unmittelbar oder<br />

mittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind.<br />

Beispiel:<br />

An einer nach DBA zu 100 % persönlich entlastungsberechtigten<br />

ausländischen Gesellschaft A sind zwei<br />

Gesellschaften B und C zu 40 % bzw. 60 % beteiligt. A<br />

erzielt zu 70 % schädliche Bruttoerträge. Wirtschaftliche<br />

oder sonst beachtliche Gründe liegen hinsichtlich<br />

dieser Erträge nicht vor. 30 % der Bruttoerträge stammen<br />

aus ihrem aktiven Geschäft als Produktions- und<br />

Vertriebsgesellschaft sowie der Lizenzzahlung einer<br />

deutschen Tochtergesellschaft, die für A den Vertrieb<br />

der Produkte auf dem deutschen Markt übernommen<br />

hat (funktional wirtschaftlicher Zusammenhang der Lizenzzahlung<br />

mit der Produktions- und Vertriebstätigkeit<br />

der A). <strong>Die</strong> Lizenzzahlung unterliegt einer deutschen<br />

Quellensteuer i.H.v. 15 %. Des Weiteren bezieht<br />

die A eine dem Kapitalertragsteuerabzug von 25 % unterliegende<br />

Dividende.<br />

An der nach DBA persönlich entlastungsberechtigten<br />

Gesellschaft B, die ausschließlich schädliche Bruttoerträge<br />

erzielt, sind die persönlich nicht entlastungsberechtigte<br />

natürliche Person D und die entlastungsberechtigte<br />

börsennotierte AG zu je 50 % beteiligt.<br />

An der Gesellschaft C, deren Erträge zu 20 % dem unschädlichen<br />

und zu 80 % dem schädlichen Bereich zugerechnet<br />

werden, sind die natürlichen Personen E und<br />

F zu je 50 % beteiligt, die nach DBA eine Ermäßigung<br />

der Quellensteuer auf 15 % beanspruchen könnten. <strong>Die</strong><br />

Gesellschaft C selbst könnte nach DBA eine Ermäßigung<br />

der Quellensteuer auf 5 % beanspruchen.<br />

Eine Entlastungsberechtigung hinsichtlich der abzugsteuerpflichtigen<br />

Einkünfte (Lizenz- und Dividendenzahlung)<br />

ergibt sich wie folgt:<br />

1. Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund eigenwirtschaftlicher<br />

Bruttoerträge der A<br />

<strong>Die</strong> abzugsteuerpflichtigen Einkünfte sind zu 30 % entlastungsberechtigt,<br />

da sich aus dem Verhältnis der im betreffenden<br />

Wirtschaftsjahr erzielten eigenwirtschaftlichen<br />

Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen eine auf die abzugsteuerpflichtigen<br />

Einkünfte anzuwendende Quote von<br />

30 (unschädliche Erträge) zu 70 (schädliche Erträge) ergibt.<br />

2. Persönliche Entlastungsberechtigung der Gesellschaft A<br />

70 % der abzugssteuerpflichtigen Einkünfte sind insoweit<br />

entlastungsberechtigt, als entlastungsberechtigte Gesellschafter<br />

(s. Tz. 4) vorhanden sind:<br />

– B ist zwar persönlich entlastungsberechtigt, erzielt aber<br />

ausschließlich schädliche Erträge. Daher ist der fiktive<br />

Entlastungsanspruch der an B beteiligten Gesellschafter<br />

maßgeblich. <strong>Die</strong> mittelbar zu 50 % beteiligte börsennotierte<br />

AG ist vollumfänglich entlastungsberechtigt (s.<br />

Tz. 4.2); D ist jedoch persönlich nicht entlastungsberechtigt.<br />

A kann insoweit eine Entlastung von 14 % (=<br />

40 % x 50 % x 70 %) gewährt werden. C ist zwar persönlich<br />

entlastungsberechtigt, aber erzielt zu 80 %<br />

schädliche Erträge. Insoweit ist der fiktive Entlastungsanspruch<br />

der an C beteiligten Gesellschafter E und F<br />

maßgeblich. Da sowohl E als auch F persönlich entlastungsberechtigt<br />

sind, beträgt der Entlastungsanspruch<br />

48 % (= 80 % x 60 %), der aber wegen der Reduktion<br />

der Quellensteuer auf 15 % um 15/25 (= 15 % von 25 %<br />

Abzugssteuer) eingeschränkt ist. Von dem Entlastungsanspruch<br />

i.H.v. 48 % werden deshalb nur 19,2 % gewährt<br />

(= 10/25 x 48 %). In Bezug auf den Anteil der<br />

schädlichen Erträge der A (70 %) ergibt sich somit ein<br />

Entlastungsanspruch von 13,44 % (= 19,2 % x 70 %).<br />

– Hinsichtlich der unschädlichen übrigen 20 % ist C persönlich<br />

entlastungsberechtigt und deshalb ein Rückgriff<br />

auf die an ihr beteiligten Gesellschafter nicht notwendig.<br />

Für A ergibt sich ein Entlastungsanspruch i.H.v.<br />

12 % (= 20 % x 60 %), der wegen der Reduktion der<br />

Quellensteuer auf 5 % um 1/5 (= 5 % von 25 % Abzugssteuer)<br />

eingeschränkt ist. Von dem Entlastungsanspruch<br />

i.H.v. 12 % werden deshalb nur 9,6 % gewährt (= 4/5 x<br />

12 %). In Bezug auf den Anteil der schädlichen Bruttoerträge<br />

der A (70 %) ergibt sich somit ein Entlastungsanspruch<br />

von 6,72 % (= 9,6 % x 70 %) der Quellensteuer<br />

für die Dividendenzahlung und von 5,6 % (= 8 %<br />

x 70 %) für die Lizenzzahlung.<br />

3. Insgesamt ergibt sich für die Quellensteuer auf die Dividenden-<br />

und Lizenzzahlung eine Entlastungsberechtigung<br />

i.H.v. 64,16 % (= 30 % + 14 % + 13,44 % + 6,72 %) sowie<br />

für die abzugssteuerpflichtige Lizenzzahlung eine Entlastungsberechtigung<br />

i.H.v. 49,6 % (= 30 % + 14 % + 5,6 %).<br />

13. Feststellungslast<br />

<strong>Die</strong> Feststellungslast hinsichtlich des Nichtvorliegens der<br />

Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 u.<br />

2 EStG liegt bei der ausländischen Gesellschaft. Aufgrund<br />

der bei Auslandssachverhalten gebotenen erhöhten Mitwirkungspflicht<br />

(§ 90 Abs. 2 AO) obliegt der ausländischen<br />

Gesellschaft die Feststellungslast für weitere Entlastungsmöglichkeiten<br />

(persönlich entlastungsberechtigte<br />

Gesellschafter oder Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit).<br />

14. Freistellungsbescheinigung<br />

Freistellungsbescheinigungen nach § 50d Abs. 2 EStG<br />

sind grundsätzlich unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu<br />

erteilen. <strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft ist in der Bescheinigung<br />

darauf hinzuweisen, dass sie den teilweisen oder<br />

vollständigen Wegfall der Voraussetzungen für die Freistellung<br />

dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unverzüglich<br />

mitzuteilen hat; § 50d Abs. 2 S. 4 letzter Halbs.<br />

EStG ist entsprechend anzuwenden, i.Ü. s. die de minimis<br />

Regelungen in Tz. 15. Ergänzend wird auf die sich aus der<br />

Abgabenordnung ergebenden allgemeinen Grundsätze zur<br />

Berichtigung von Erklärungen (vgl. § 153 AO) hingewiesen.


Verwaltungsanweisungen<br />

420 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />

15. De minimis Regelungen<br />

<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat den teilweisen oder vollständigen<br />

Wegfall der Entlastungsberechtigung i.S.d.<br />

§ 50d Abs. 3 EStG für die Freistellung dem BZSt unverzüglich<br />

mitzuteilen. <strong>Die</strong>s gilt nicht, wenn<br />

– sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheinigung<br />

zugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />

Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträgen<br />

um weniger als 30 %-Punkte verringert oder<br />

– sich ein Gesellschafteranteil (bei unmittelbarer oder<br />

mittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkte<br />

ändert.<br />

Sofern die gesetzlich/abkommensrechtlich vorgeschriebenen<br />

Mindestbeteiligungshöhen unterschritten werden, ist<br />

dies dem BZSt ebenfalls unverzüglich mitzuteilen.<br />

In den Fällen, in denen nach den de minimis Regelungen<br />

keine Mitteilungspflicht besteht, kann eine Neuberechnung<br />

des prozentualen Anteils der entlastungsberechtigten<br />

Erträge unterbleiben.<br />

16. Erstmalige Anwendung<br />

§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Gesetzes v. 7.12.2011 ist erstmals<br />

ab 1.1.2012 anzuwenden sowie für alle vorangegangenen<br />

Zeiträume, soweit Steuerbescheide oder Freistellungsbescheinigungen<br />

noch nicht bestandskräftig sind und<br />

diese Regelung zu einer günstigeren Entlastungsberechtigung<br />

führt.<br />

<strong>Die</strong>ses Schreiben ersetzt die BMF-Schr. v. 3.4.2007 – IV B<br />

1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007,<br />

446 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 613 und v. 21.6.2010 – IV B 5 - S<br />

2411/07/10016: 005 – DOK 2010/0374057, BStBl. I 2010,<br />

596 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 840.<br />

<strong>Die</strong>ses Schreiben wird im BStBl. I veröffentlicht [inzwischen<br />

erfolgt in BStBl. I 2012, 171]. <strong>Die</strong> jeweils aktuelle<br />

Fassung der Antragsvordrucke ist der Internetseite des<br />

BZSt zu entnehmen. ...<br />

Anm. der Redaktion: S. hierzu den Beitrag von Wiese,<br />

<strong>GmbH</strong>R 2012, 376 ff. – in dieser Ausgabe.<br />

Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finale<br />

Betriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R<br />

77/06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08<br />

BMF, Schr. v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK<br />

2011/0802578<br />

Mit Urt. v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 =<br />

<strong>GmbH</strong>R 2010, 219 hat der BFH – abweichend von seiner<br />

jahrzehntelangen Rechtsprechung – entschieden, dass die<br />

Verlegung des Betriebs in das Ausland nicht zur Annahme<br />

einer (fiktiven) Betriebsaufgabe führt. <strong>Die</strong> Aufgabe der<br />

Rechtsprechung zur „Theorie der finalen Betriebsaufgabe“<br />

steht im Zusammenhang mit dem Urt. v. 17.7.2008 – I R<br />

77/06, BStBl. II 2009, 464 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 48 m. Komm.<br />

W. Meilicke, nach dem die Überführung (Entnahme) von<br />

Einzelwirtschaftsgütern aus dem inländischen Betrieb des<br />

Steuerpflichtigen in die ausländische Betriebsstätte im<br />

Zeitpunkt der Überführung (Entnahme) nicht zur Aufdeckung<br />

der stillen Reserven führt, wenn der Gewinn der<br />

ausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA nicht der<br />

inländischen Besteuerung unterliegt.<br />

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der<br />

Länder nehme ich hierzu wie folgt Stellung:<br />

1. Gesetzliche Anpassung im Jahressteuergesetz 2010<br />

Durch das Jahressteuergesetz 2010 (BGBl. I 2010,<br />

1768 ff.) wurde in § 52 Abs. 8b S. 2 ff. i.V.m. § 4 Abs. 1<br />

S.3EStG,in§52Abs.34S.5i.V.m.§16Abs.3aEStG<br />

undin§34Abs.8S.3ff.i.V.m.§12Abs.1KStGdiejahrzehntelange<br />

BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis<br />

zur finalen Entnahme und zur finalen Betriebsaufgabe für<br />

Sachverhalte vor Inkrafttreten des Gesetzes über steuerliche<br />

Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen<br />

Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher<br />

Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006,<br />

2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) gesetzlich festgeschrieben.<br />

Durch diese gesetzlichen Anpassungen sind die Grundsätze<br />

des Urt. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06 und des Urt.<br />

des BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08 auf die entschiedenen<br />

Einzelfälle beschränkt. In den Fällen des § 4 Abs. 1 S. 3<br />

EStG und des § 12 Abs. 1 KStG bleibt die bisherige Billigkeitsregelung<br />

in Tz. 2.6 des BMF-Schr. v. 24.12.1999 – IV<br />

B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 (sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze)<br />

für Wirtschaftsjahre, die<br />

vor dem 1.1.2006 enden, weiterhin anwendbar. Für Fälle<br />

des § 16 Abs. 3a EStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem<br />

1.1.2006 enden, findet § 36 Abs. 5 EStG bereits Anwendung<br />

(vgl. § 52 Abs. 50d S. 3 EStG).<br />

<strong>Die</strong> Rechtslage für Sachverhalte ab Inkrafttreten des Gesetzes<br />

über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung<br />

der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer<br />

steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006<br />

(BGBl. I 2006, 2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) wird durch<br />

die genannte BFH-Rechtsprechung nicht berührt.<br />

2. Anwendungsregelung<br />

<strong>Die</strong>ses Schreiben gilt in allen offenen Fällen und wird im<br />

BStBl. I veröffentlicht [inzwischen erfolgt in BStBl. I 2011,<br />

1278]. ...


selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen<br />

könne. Mit Urt. v. 18.1.2012 – XI R 27/08 setzt der BFH die Vorlageentscheidung<br />

in eine Endentscheidung um. Entscheidend<br />

ist, ob im Rahmen einer Gesamtwürdigung festgestellt<br />

werden kann, dass der Erwerber den Willen hat, das Unternehmen<br />

fortzuführen, wenn das übertragene Vermögen ohne<br />

das zurückbehaltene Wirtschaftsgut ausreicht, um die Geschäftstätigkeit<br />

fortzuführen. <strong>Die</strong> Entscheidung hat große<br />

praktische Auswirkungen für den Einstieg in Betriebsaufspaltungssachverhalte,<br />

wenn Grundstücke als wesentliche Betriebsgrundlage<br />

zurückbehalten werden sollen.<br />

Aktuelle Entwicklungen beim Vorsteuerabzug<br />

In zeitgleich veröffentlichten Entscheidungen hat sich der<br />

BFH mit den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei Holdinggesellschaften<br />

(BFH v. 9.2.2012 – V R 40/10) und mit dem<br />

Vorsteuerabzug aus Strafverteidigungskosten (BFH v.<br />

22.12.2011 – V R 29/10) befasst.<br />

I. Hälftiger Vorsteuerabzug für Holdinggesellschaften<br />

Der Anspruch auf Vorsteuerabzug bei Holdinggesellschaften<br />

war seit Jahren im Streit. Im Ausgangspunkt ist das Halten<br />

von Beteiligungen keine wirtschaftliche Tätigkeit und unterliegt<br />

deshalb nicht der Umsatzsteuer. Folglich stellte sich die<br />

Frage, in welchem Umfang die Vorsteuer aus den Gemeinkosten<br />

auf diese nicht wirtschaftliche Tätigkeit entfällt und<br />

deshalb (teilweise) nicht abzugsfähig ist. Holdinggesellschaften,<br />

die neben dem Halten von Beteiligungen auch entgeltliche<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen erbringen, gingen gleichwohl davon<br />

aus, zum uneingeschränkten Vorsteuerabzug berechtigt zu<br />

sein. Durch Urt. v. 9.2.2012 – V R 40/10 hat der BFH hierzu entschieden,<br />

dass eine Holdinggesellschaft, deren Hauptzweck<br />

das Halten von Beteiligungen ist und die entgeltliche Leistungen<br />

nur als Nebenzweck erbringt, höchstens zum hälftigen<br />

Vorsteuerabzug aus den in Rechnung gestellten Gemeinkosten<br />

berechtigt sein kann. Der Streitfall betraf eine Holdinggesellschaft,<br />

die über einen umfangreichen Beteiligungsbesitz<br />

verfügte und daneben auch entgeltliche <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

erbrachte. Das Finanzamt hatte der Holding einen Vorsteuerabzug<br />

von 75 % aus den Gemeinkosten zugebilligt.<br />

<strong>Die</strong> Klage, mit der die Holding den vollen Vorsteuerabzug begehrte,<br />

hatte keinen Erfolg.<br />

2. Vorlagebeschluss: Vorsteuerabzug aus Strafverteidigerkosten<br />

Mit Beschl. v. 22.12.2011 – V R 29/10 hat der BFH beim EuGH<br />

angefragt, ob ein Unternehmen, dessen Inhaber und Mitarbeiter<br />

sich zur Erlangung von Aufträgen möglicherweise wegen<br />

Bestechung oder Vorteilsgewährung strafbar gemacht<br />

haben, aus den zur Abwehr dieser Vorwürfe angefallenen<br />

Strafverteidigungskosten zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.<br />

Hierfür verlangt §15 Abs.1 UStG, dass Eingangsleistungen<br />

für das Unternehmen bezogen werden, was erfordert, dass<br />

die Eingangsleistungen im direkten und unmittelbaren Zusammenhang<br />

mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen stehen.<br />

Für den Vorsteuerabzug spricht, dass die möglicherweise<br />

strafbaren Handlungen dazu dienten, die steuerpflichtige<br />

Umsatztätigkeit des Unternehmens für die Zukunft zu fördern,<br />

um die Teilnahmemöglichkeit der <strong>GmbH</strong> an öffentlichen<br />

Ausschreibungen zu erhalten. Problematisch sei –so der<br />

BFH–, dass die Leistungen der Strafverteidiger unmittelbar<br />

nur den persönlichen Interessen der Beschuldigten dienten.<br />

Das Interesse des Unternehmens an der Straffreiheit seines<br />

Inhabers und seiner Mitarbeiter könne dann als nur mittelbarer<br />

Zusammenhang für den Vorsteuerabzug unbeachtlich<br />

sein. Geklärt werden soll auch, wer bei einer Beauftragung<br />

durch mehrere Auftraggeber (hier: Beschuldigter und <strong>GmbH</strong>)<br />

zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und ob der Vorsteuerabzug<br />

unter Umständen nur hälftig beansprucht werden könne.<br />

Arbeits- & Sozialrecht<br />

Claudia Kothe-Heggemann, Fachanwältin für Arbeitsrecht,<br />

UlrichWeber&PartnerGbR,Köln<br />

Schadenersatz wegen Gehaltseinbußen<br />

7/2012 R93<br />

Das BAG hatte sich in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 8<br />

AZR 98/11 mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Pflicht des<br />

Arbeitgebers besteht, seine Organisationsgewalt so auszuüben,<br />

dass die Höhe des erfolgsabhängigen variablen Entgelts<br />

einzelner Mitarbeiter sich nicht verändert.<br />

Im zu entscheidenden Fall vertreibt die Beklagte Versicherungsleistungen,<br />

wobei sie im Zielgruppenvertrieb mit dem<br />

Verein „B“ zusammenarbeitet. In diesem Bereich ist der Kläger<br />

angestellter Versicherungsvertreter. <strong>Die</strong> für den Verein „B“<br />

tätigen Werber werden ebenso als sog. „Beauftragte“ für die<br />

Beklagte aktiv und versuchen, mit den Mitgliedern des Verein<br />

„B“ ein Beratungsgespräch über Versicherungen zu vereinbaren,wasdannvonden„Beratern“derBeklagtendurchgeführt<br />

wird. <strong>Die</strong> Berater werden mit Provisionen entlohnt, wobei<br />

ein bestimmtes Fixum von der Beklagten garantiert wird. Zunächst<br />

war der Kläger als Berater tätig und leitete dann als<br />

Gruppenleiter mehrere Beauftragte sowie schließlich als Vertriebsleiter<br />

mehrere Berater an. Dabei überstieg das erfolgsabhängige<br />

variable Entgelt des Klägers das vertraglich garantierte<br />

Fixum immer um ein Vielfaches. Zwischen den Jahren<br />

2003 bis 2008 nahm im Bereich „B“ die Zahl der Beauftragten<br />

um etwa 60% ab. Der Kläger verlangte nun Schadenersatz<br />

wegen Gehaltseinbußen in den Jahren 2006 bis 2008<br />

von der Beklagten. Er machte geltend, die Beklagte habe<br />

schuldhaft die Zahl der Beauftragten reduziert, wodurch die<br />

Beratungstermine zurückgegangen seien. <strong>Die</strong> Beklagte sei<br />

verpflichtet gewesen, eine ausreichende Zahl von Beratern<br />

und Beratungsterminen zur Verfügung zu stellen.<br />

<strong>Die</strong> Klage vor dem BAG hatte, wie in den Vorinstanzen, keinen<br />

Erfolg. Tatsächlich sei die zwischen den Parteien getroffene<br />

Entgeltvereinbarung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt<br />

zu beanstanden. Es entspreche dem Wesen eines variablen<br />

Entgeltbestandteiles, in der Höhe von Einflüssen des<br />

Markts, der Vertriebsorganisation des Arbeitgebers oder solchen,<br />

die von der Person des Arbeitnehmers ausgingen, ab-


hängig zu sein. Aufgrund dessen bestehe grundsätzlich keine<br />

Pflicht des Arbeitgebers, soweit die vertraglich vereinbarte<br />

Aufgabe nicht verändert werde, seine Organisation so vorzuhalten,<br />

dass die erfolgsabhängig Vergüteten ein maximales<br />

variables Entgelt erzielten. Sofern dies gewünscht sei, bedürfe<br />

dies einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Im zu<br />

entscheidenden Fall war zusätzlich noch zu beachten, dass<br />

ein Gebiets- oder Kundenschutz arbeitsvertraglich ausgeschlossen<br />

worden war und sich die Beklagte selbst bei Übertragung<br />

der vorgesehenen Funktionen vorbehalten hatte, die<br />

Zahl der unterstellten Beauftragten oder Berater jederzeit verändern<br />

zu können.<br />

Frage nach der Schwerbehinderung im<br />

bestehenden Arbeitsverhältnis<br />

Das BAG hatte in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 6 AZR<br />

553/10 darüber zu urteilen, ob die Frage nach einer Schwerbehinderung<br />

im bestehenden Arbeitsverhältnis als rechtmäßig<br />

anzusehen ist.<br />

Im zu entscheidenden Fall bestand zwischen dem mit einem<br />

Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderten Kläger in<br />

der Zeit vom 1.11.2007 bis zum 31.10.2009 ein befristetes Arbeitsverhältnis.<br />

Der Beklagte wurde am 8.1.2009 zum vorläufigen<br />

Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin<br />

des Klägers bestellt. Im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens<br />

legte der Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zur<br />

Vervollständigung bzw. Überprüfung der bestehenden Daten<br />

vor. Insbesondere bat er um Mitteilung, ob eine Schwerbehinderung<br />

bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten<br />

bei dem Kläger gegeben sei. <strong>Die</strong> Frage zur Schwerbehinderung<br />

bzw. zur Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten<br />

verneinte der Kläger. Der Beklagte kündigte als Insolvenzverwalter<br />

am 26.5.2009 dem Kläger zum 30.6.2009 nach Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens den Arbeitsvertrag. Im Rahmen<br />

seiner Kündigungsschutzklageschrift vom 9.6.2009 teilte<br />

der Kläger seine Schwerbehinderung mit und machte geltend,<br />

dass die Kündigung vom 26.5.2009 unwirksam sei, da<br />

das Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe. Entgegen der<br />

Entscheidung des ArbG wies das LAG die Klage ab und<br />

meinte, der Kläger könne sich auf den Kündigungsschutz für<br />

Schwerbehinderte nicht berufen, da er die Frage nach der<br />

Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe.<br />

Das BAG folgte dem LAG und führte aus, dass die Frage<br />

nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber<br />

beabsichtigten Kündigung im Zusammenhang mit der<br />

Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen<br />

des §1 Abs.3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung<br />

bei der Sozialauswahl verlange sowie durch<br />

den Sonderkündigungsschutz nach §85 SGBIX, wonach<br />

eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes<br />

bedürfe, stehe. <strong>Die</strong> Frage nach der Schwerbehinderung<br />

solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu<br />

zu verhalten. Durch die Frage werde der behinderte Arbeitnehmer<br />

nicht gegenüber solchen ohne Behinderung<br />

diskriminiert. Zudem stünden auch datenschutzrechtliche<br />

Belange der Zulässigkeit dieser Frage nicht entgegen. Daher<br />

7/2012 R94<br />

sei es dem Kläger wegen der wahrheitswidrigen Beantwortung<br />

der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner<br />

Schwerbehinderung unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen<br />

Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess<br />

auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.<br />

Mithin ist im bestehenden Arbeitsverhältnis, jedenfalls nach<br />

sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes<br />

für behinderte Menschen (§90 Abs.1 Nr.1<br />

SGBIX), die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung<br />

als zulässig anzusehen. <strong>Die</strong>s insbesondere zur Vorbereitung<br />

von beabsichtigten Kündigungen.<br />

Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des<br />

bei Mutterschutz weitergezahlten Arbeitsentgelts<br />

<strong>Die</strong> klagende Arbeitgeberin, eine AG, zahlte ihrer privat kranken-<br />

und pflegeversicherten Arbeitnehmerin während der<br />

Mutterschutzfrist vom 29.3. bis 5.7.2007 einen Zuschuss zum<br />

Mutterschaftsgeld i.H.v. 14.124,04a entsprechend dem bisherigen<br />

regelmäßigen Einkommen abzüglich des geleisteten<br />

Mutterschaftsgelds. <strong>Die</strong> für die Arbeitnehmerin zuständige<br />

Krankenkasse übertrug dem beklagten BKK-Landesverband<br />

(BKK-LV) durch Satzungsregelung u.a. die Durchführung<br />

des diesbezüglichen Aufwendungsausgleichs (U2-Verfahren).<br />

Der BKK-LV erstattete der AG lediglich insgesamt<br />

9.788,13 a: Für die Berechnung des Zuschusses sei nach §8<br />

Abs.3 seiner Satzung nur das jeweilige Bruttoarbeitsentgelt<br />

bis zur Höhe der in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden<br />

Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen. Das<br />

SGMünchenhatdenBKK-LVantragsgemäßverurteilt,weitere<br />

3.622,05a zu zahlen. <strong>Die</strong> Begrenzung der Erstattungshöhe<br />

in der Satzung sei nichtig. Sie sei von der Ermächtigungsgrundlage<br />

des §9 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG)<br />

nicht gedeckt. Eine erweiternde Auslegung der Ermächtigungsnorm<br />

komme angesichts des durch das BVerfG bestätigten<br />

Schutzauftrags zur Vermeidung möglicher faktischer<br />

Diskriminierungen von Frauen nicht in Betracht.<br />

<strong>Die</strong> vom SG zugelassenen Sprungrevision des BKK-LV ist<br />

nach dem Urt. des BSG v. 13.12.2011 – B 1 KR 7/11R erfolglos<br />

geblieben. <strong>Die</strong> Vorinstanz hat den BKK-LV zutreffend verurteilt,<br />

der AG den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in vollem<br />

Umfang zu erstatten. Gemäß §1 Abs.2 Nr.1 AAG i.V.m. §6<br />

Nr.1 Satzung ist der BKK-LV verpflichtet, den ausgleichsberechtigten<br />

Arbeitgebern für Aufwendungen aus Anlass der<br />

Mutterschaft 100v.H. des gezahlten Zuschusses zum Mutterschaftsgeld<br />

zu erstatten. <strong>Die</strong> in §8 Abs.3 Satzung vorgesehene<br />

Regelung zur Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld<br />

nach einem Bruttoarbeitsentgelt maximal bis zur<br />

Höhe der in der Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze<br />

ist mit höherrangigem Recht unvereinbar<br />

und (teil-)nichtig. §9 Abs.2 AGG erlaubt keine über den Regelungsgehalt<br />

des §1 Abs.2 Nr.1 AAG hinausgehende, den<br />

einzelnen Krankenkassen zur freien Ausgestaltung überlassene<br />

Beschränkung der Erstattung. <strong>Die</strong> Teilnichtigkeit führt<br />

nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung, sondern zur Erstattung<br />

des Zuschusses in vollem Umfang i.S.d. §1 Abs.2 Nr.1


AAG.<strong>Die</strong>Begrenzungnach§8Abs.3Satzungbetriffteinen<br />

rechtlich abtrennbaren Teil der Erstattungsregelung, der unabhängig<br />

von der sonstigen Satzungsregelung Bestand haben<br />

kann. <strong>Die</strong> von Gesetzes wegen höheren Erstattungen<br />

sind auf die am Ausgleichsverfahren beteiligten Arbeitgeber<br />

umzulegen. Mögliche Äquivalenzstörungen im Verhältnis<br />

von Leistung und Umlageaufkommen können in Streitigkeiten<br />

über die Höhe der Mittelaufbringung geltend gemacht<br />

werden.<br />

Europa-Praxis<br />

Jochen Clausnitzer, Rechtsanwalt,<br />

Bundesverband Direktvertrieb Deutschland (BDD), Berlin<br />

Doppelte Nichtbesteuerung – Konsultation<br />

eingeleitet<br />

Am 29.2.2012 hat die EU-Kommission eine“öffentliche Konsultation“<br />

zur doppelten Nichtbesteuerung eingeleitet. Dabei<br />

geht es um die Nichtbesteuerung einiger Einnahmen von<br />

Steuerpflichtigen, die in mehreren EU-Staaten aktiv sind. <strong>Die</strong><br />

Steuersysteme der EU-Mitgliedstaaten funktionieren unterschiedlich.<br />

Dadurch entstehen in seltenen Ausnahmefällen<br />

Besteuerungslücken, die dann zu einer sog. doppelten<br />

Nichtbesteuerung führen. Mit ihrer Konsultation will die EU-<br />

Kommission sich einen Überblick über Fallgestaltungen zur<br />

doppelten Nichtbesteuerung und über ihre finanziellen Auswirkungen<br />

verschaffen. <strong>Die</strong> von Steuerkommissar Algirdas<br />

ˇSemeta gestartete Umfrage läuft bis zum 30.5.2012 und soll<br />

bis Ende 2012 zu konkreten Gesetzgebungsvorschlägen<br />

führen. Gerechtigkeit sei das oberste Gebot der Steuerpolitik,<br />

so Algirdas ˇSemeta. Eine doppelte Nichtbesteuerung untergrabe<br />

die faire Lastenteilung und gebe Unternehmen, die sie<br />

ausnutzten, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. <strong>Die</strong><br />

Öffentlichkeit soll im Rahmen der Konsultation konkrete Beispiele<br />

für Fälle doppelter Nichtbesteuerung bei grenzüberschreitenden<br />

Aktivitäten zu berichten. <strong>Die</strong> Konsultation betrifft<br />

direkte Steuern wie Körperschaftsteuern, ausländische Ertragsteuern,<br />

Kapitalertragsteuern, Quellensteuern, Erbschaftsteuern<br />

und Schenkungsteuern. Als Lösungsmöglichkeiten<br />

werden legislative Ansätze, verbesserte Informationsmaßnahmen<br />

oder Regeln für verantwortungsvolles Handeln im<br />

Steuerbereich (good governance) vorgeschlagen. Aus Unternehmenssicht<br />

ist besonders wichtig, dass nationale Steuerregime,<br />

die den Unternehmen Anreizesetzensollen–z.B.die<br />

steuerliche Forschungsförderung durch eine patent box oder<br />

die Gleichstellung der Eigenkapitalfinanzierung durch die<br />

sog. notional interest deduction– nicht als „Nichtbesteuerung“<br />

eingestuft wird. Denn dann würden den Unternehmen<br />

absichtlich gewährte Vorteile genommen werden und zu<br />

einem Wettbewerbsnachteil gegenüber lokalen Unternehmen<br />

führen.<br />

Georg Geberth, Siemens, München<br />

Europäische Stiftung: Kommission<br />

veröffentlicht Verordnungsvorschlag<br />

<strong>Die</strong> Europäische Kommission hat am 8.2.2012 einen Vorschlag<br />

für das Statut einer Europäischen Stiftung vorgelegt<br />

(KOM[2012]35). Damit soll es Stiftungen leichter gemacht<br />

werden, unionsweit gemeinnützige Tätigkeiten zu fördern.<br />

ZieldesVorschlagsistdieSchaffung einer einheitlichen europäischen<br />

Rechtsform –einer „Europäischen Stiftung“– die in<br />

allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleich wäre. Sie würde<br />

neben inländischen Stiftungen als freiwillige Alternative bestehen.<br />

Jede Europäische Stiftung soll ihre Gemeinnützigkeit<br />

und ihre grenzüberschreitende Tätigkeit nachweisen müssen<br />

und über ein Stiftungskapital von mindestens 25.000a<br />

verfügen. Gegründet werden könnte eine Europäische Stiftung<br />

dem Kommissionsvorschlag nach durch Umwandlung<br />

einer nationalen Stiftung in eine Europäische Stiftung oder<br />

durchdieVerschmelzungnationaler Stiftungen. Europäische<br />

Stiftungen unterliegen nach dem Verordnungsentwurf dem<br />

gleichen nationalen Steuerrecht wie rein inländische Stiftungen.<br />

Spender hätten damit Anspruch auf dieselben Steuervorteile<br />

wie bei einer Spende an eine Stiftung mit Sitz in ihrem<br />

eigenen Mitgliedstaat. Mit dem Statut sollen Europäische Stiftungen<br />

ein europäisches Gütesiegel erhalten, das ihnen Ansehen<br />

verleiht und Zeichen ihrer Glaubwürdigkeit ist. Europäische<br />

Stiftungen werden in allen Mitgliedstaaten Rechtspersönlichkeit<br />

haben und handlungsfähig sein. Auf der<br />

Grundlage des neuen Status, das sicherstellt, dass unionsweit<br />

für die Europäische Stiftung die gleichen Regeln gelten,<br />

haben sie die Möglichkeit, innerhalb der EU leichter und kostengünstiger<br />

ihrer Tätigkeit nachzukommen und Gelder zu<br />

transferieren. Der Verordnungsentwurf basiert auf den Ergebnissen<br />

einer im Jahr 2009 durchgeführten Konsultation.<br />

Jochen Clausnitzer<br />

Europäische Kommission lässt ACTA-<br />

Abkommen überprüfen<br />

7/2012 R95<br />

Am 26.1.2012 unterzeichneten 22 Vertreter von EU-Staaten<br />

und Vertreter der EU-Kommission in Tokio das Handelsabkommen<br />

zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie<br />

(sog. ACTA-Abkommen). Im Dezember 2011 hatte der EU-Ministerrat<br />

das Abkommen bereits inhaltlich akzeptiert und den<br />

Weg für die Unterzeichnung des ACTA-Abkommens frei gemacht.<br />

Das zwischenstaatliche Abkommen zwischen den<br />

Mitgliedstaaten der EU, den USA, Japan, Australien, Schweiz,<br />

Korea, Singapur, Mexiko, Kanada und weiteren Staaten soll<br />

die Durchsetzung von Urheber- und Markenrechten verbessern.<br />

<strong>Die</strong> Bundesregierung hat aufgrund anhaltender Prozesse<br />

die Unterzeichnung noch nicht vorgenommen. Damit das<br />

umstrittene Abkommen in Kraft treten kann, muss es von den<br />

beteiligten Staaten und vom Europäischen Parlament ratifiziert<br />

werden. Am 22.2.2012 überwies die Europäische Kommission<br />

das Abkommen zunächst zur Begutachtung an den<br />

Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. <strong>Die</strong> Europäische<br />

Kommission interessiert vor allem die Frage, ob das internationale<br />

Abkommen gegen die EU-Grundrechtscharta ver-


stößt. Geprüft werden soll u.a. ein Verstoß gegen das Recht<br />

auf freie Meinungsäußerung bzw. das Recht auf geistiges Eigentum.<br />

Jochen Clausnitzer<br />

Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei den<br />

europäischen Gerichten nimmt zu<br />

Immer mehr Rechtssachen werden auf europäischer Ebene<br />

entschieden. So war 2011 erneut ein Rekordjahr der Gerichte<br />

der Europäischen Union. Trotz gestiegener Produktivität<br />

konnte von den Gerichten der Anstieg eingegangener<br />

Rechtssachen nicht aufgefangen werden. Im Jahr 2011 gingen<br />

beim Europäischen Gerichtshof 688 neue Rechtssachen<br />

ein (gegenüber 631 Neueingänge im Jahr 2010). Auch<br />

die Anzahl der Entscheidungen nahm im Vergleich zum Vorjahr<br />

um mehr als 10% zu: Im Jahr 2011 hat der Europäische<br />

Gerichtshof 638 Rechtssachen abgeschlossen (2010 wurden<br />

574 Rechtssachen erledigt). Auch das Gericht der Europäischen<br />

Union stellt neue Rekorde auf. <strong>Die</strong> Summe der 722<br />

neu eingegangenen Rechtssachen stieg um fast 15% gegenüber<br />

dem Jahr 2010 (636 neue Rechtssachen. Mit einen<br />

einem Plus von 35% stieg die Zahl erledigter Rechtssachen<br />

beim Gericht der Europäischen Union auf 714 (gegenüber<br />

527 im Jahr 2010), zu denen 52 Verfahren des vorläufigen<br />

Rechtsschutzes hinzukamen. Als Grund für die gesteigerte<br />

ProduktivitätgibtdiePressestelle der europäischen Gerichte<br />

die vom Gericht umgesetzten tiefgreifenden Reformen an.<br />

Jochen Clausnitzer<br />

Wirtschafts-Praxis<br />

Marianne Gajo, Dipl.-Verw. Wiss., Spaichingen<br />

Rückläufige Entwicklung von Innovationen im<br />

Mittelstand<br />

<strong>Die</strong> Abteilung Volkswirtschaft der KfW-Bankengruppe hat in<br />

ihrer Publikation Akzente die Entwicklung der Marktneuheiten<br />

im Mittelstand nachgezeichnet. <strong>Die</strong> Ergebnisse der Untersuchung<br />

basieren auf Daten des KfW-Mittelstandspanels<br />

aus den Jahren 2000 bis 2010. <strong>Die</strong> Daten haben gezeigt,<br />

dass sich die Finanz- und Wirtschaftskrise negativ auf die Innovationstätigkeit<br />

ausgewirkt hat. <strong>Die</strong> Innovatorenquote, also<br />

der Anteil der Unternehmen, der in den zurückliegenden drei<br />

Jahren Innovationen eingeführt hat, ist vom Höchststand im<br />

Zeitraum 2004/06 von 43% bis 2007/09 auf 29% gesunken.<br />

Mit der konjunkturellen Erholung stieg dieser Anteil leicht auf<br />

32%.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der Innovatorenquote wird im Wesentlichen<br />

von den Produktinnovatoren bestimmt. Der Anteil der Produktinnovatoren<br />

ist im Zeitraum 2004/06 um 19% von 31 % auf<br />

37% gestiegen. Danach wurde die Einführung von Produkt-<br />

Entwicklung von Innovationskennziffern im Mittelstand<br />

7/2012 R96<br />

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />

Nr.54, Dezember 2011.<br />

innovationen zurückgefahren. Bis zum Dreijahreszeitraum<br />

2007/09 fiel der Anteil der Produktinnovatoren um 35 % auf<br />

24% ab. 2008/10 legte der Produktinnovatorenanteil wieder<br />

leicht zu auf 26%. Beim Anteil der Prozessinnovatoren war zu<br />

Beginn des Beobachtungszeitraums lediglich ein geringfügiger<br />

Anstieg zu verzeichnen und auch zwischen 2004/06 und<br />

2007/09 fiel der Rückgang mit fünf Prozentpunkten (–25%)<br />

geringer aus als bei den Produktinnovatoren.<br />

Bei der Untersuchung wurde auch unterschieden zwischen<br />

imitierenden Produktinnovationen und Marktneuheiten, also<br />

originären Produktinnovationen. Dabei zeigte sich, dass nur<br />

von einem kleinen Teil der mittelständischen Unternehmen<br />

echte Innovationen hervorgebracht wurden. Lediglich jedes<br />

14. mittelständische Unternehmen führte im Durchschnitt<br />

über den gesamten Beobachtungszeitraum neue Produkte<br />

und <strong>Die</strong>nstleistungen ein, die noch von keinem Wettbewerber<br />

angeboten wurden, während imitierende ProduktinnovationenvonrundjedemviertenMittelständleraufdenMarkt<br />

gebracht wurden. Der Anteil der imitierenden Produktinnovatoren<br />

nahm von 2000/02 bis 2004/06 zunächst um 35% zu,<br />

um danach bis 2007/09 wieder um 42 % zu sinken. In der<br />

konjunkturellen Erholung zeigte sich mit einem Anstieg um<br />

vier Prozentpunkte bzw. 22% die starke Konjunkturabhängigkeit<br />

imitierender Produktinnovationen. Dagegen sind für die<br />

Entwicklung von Marktneuheiten in der Regel längerfristige<br />

Entwicklungsphasen notwendig. Entsprechend zeigte sich<br />

für den Anteil der Unternehmen, die Marktneuheiten einführten,<br />

keine ausgeprägte Konjunkturabhängigkeit. Stattdessen<br />

nahm die Quote der originären Produktinnovatoren über den<br />

gesamten Beobachtungszeitraum von 8 % auf 4% ab. Der<br />

Anteil mittelständischer Unternehmen, die Marktneuheiten<br />

hervorbrachten, hat sich somit innerhalb von 10 Jahren halbiert.<br />

<strong>Die</strong> Betrachtung nach Wirtschaftszweigen zeigte, dass sich<br />

das Hervorbringen von Marktneuheiten zunehmend auf Unternehmen<br />

des forschungsintensiven Verarbeitenden Gewerbes<br />

konzentriert hat. WährendindiesenWirtschaftszweigen<br />

der Anteil der Unternehmen mit Marktneuheiten von<br />

12% im Zeitraum 2006/08 auf 18 % im Zeitraum 2008/10 gesteigert<br />

werden konnte, sind im <strong>Die</strong>nstleistungssektor sowie<br />

in den weniger forschungsintensiven Wirtschaftszweigen<br />

des Verarbeitenden Gewerbes originäre Produktinnovatoren<br />

zunehmend seltener geworden.<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung hat außerdem gezeigt, dass grundsätzlich<br />

eine höhere Innovationsbeteiligung bei größeren Unterneh-


Entwicklung beim Hervorbringen von Marktneuheiten<br />

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />

Nr.54, Dezember 2011.<br />

men besteht, da kleine Unternehmen durch eigene Innovationsanstrengungen<br />

stärker belastet werden als größere Unternehmen.<br />

Im Jahr 2010 wendeten 24% der Innovatoren mit<br />

weniger als fünf Beschäftigten mindestens15%ihresJahresumsatzes<br />

für Innovationen auf, während dies bei den Mittelständlern<br />

mit 50 und mehr Beschäftigten lediglich für 4%<br />

galt. Dagegen betrug bei den Innovatoren mit 50 und mehr<br />

Beschäftigten der Anteil, der weniger als 5% des Jahresumsatzes<br />

für innovative Zwecke aufgewendet hat, 62%. Der entsprechende<br />

Wert für die kleinen Unternehmen lag bei nur<br />

21%.<br />

Anteil der Innovationsausgaben am Jahresumsatz nach<br />

Beschäftigtengröße 2010<br />

unter 5 % 5 bis 15 % 15 % und<br />

mehr<br />

Weniger als 5 Beschäftigte<br />

21 % 56 % 24 %<br />

5bisunter10Beschäftigte<br />

36 % 46 % 19 %<br />

10 bis unter 50 Beschäftigte<br />

45 % 42 % 12 %<br />

50 und mehr Beschäftigte<br />

62% 34% 4%<br />

AlleInnovatoren 26% 52% 21%<br />

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />

Nr.54, Dezember 2011.<br />

Der Innovatorenanteil unter den Unternehmen mit weniger<br />

als fünf Beschäftigten hat gegenüber dem Höchststand<br />

2004/06 bis 2007/09 um 34% abgenommen, während dieser<br />

Wert für die Unternehmen mit10bisunter50Beschäftigten<br />

lediglich bei –16% und für die Unternehmen mit 50 und<br />

mehr Beschäftigten bei –9% lag. Im Zeitraum 2008/10 entwickelte<br />

sich die Innovatorenquote bei den Unternehmen verschiedener<br />

Größe uneinheitlich. So weiteten kleine Unternehmen<br />

mit weniger als fünf Beschäftigten sowie Unternehmen<br />

mit 10 bis unter 50 Beschäftigten ihre Innovationstätigkeit<br />

aus, während dieser Anteil bei den Mittelständlern mit 50<br />

und mehr Beschäftigten unverändert blieb und bei den Unternehmen<br />

mit fünf bis unter 10 Beschäftigten sogar weiter<br />

zurückging.<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung „Weniger Marktneuheiten im Mittelstand“<br />

ist unter www.kfw.de in der Kategorie „Research“ bzw. unter<br />

Entwicklung der Innovatorenquote nach Unternehmensgröße<br />

(Anzahl Beschäftigte)<br />

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />

Nr.54, Dezember 2011.<br />

dem folgenden Link abrufbar: www.kfw.de/kfw/de/I/II/Downl<br />

oad_Center/Fachthemen/Research/PDF-Dokumente_Akze<br />

nte/Akzente_Nr__54%2c_Dez._2011.pdf<br />

Zeitschriftenspiegel<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Greulich, Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags<br />

im <strong>GmbH</strong>-Konzern. Zugleich Besprechung<br />

von BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10 [= <strong>GmbH</strong>R 2011, 922 m.<br />

Komm. Ulrich], StBW 3/2012, 140ff.<br />

Hirte, <strong>Die</strong> Entwicklung des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts<br />

in Deutschland im Jahre 2011, NJW 9/2012,<br />

581ff.<br />

Lohr, Konvergenzgebot bei zwangsweiser Einziehung von<br />

Geschäftsanteilen, <strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 59ff.<br />

Omlor, Nichteintragungsfähigkeit des Testamentsvollstreckervermerks<br />

in die <strong>GmbH</strong>-Gesellschafterliste, DStR 6/2012,<br />

306ff.<br />

Theiselmann, Schuldscheindarlehen – ein alternatives Instrument<br />

zur Fremdfinanzierung, <strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 50ff.<br />

Werner, Bilanzierungsklauseln bei der <strong>GmbH</strong>& Co. KG, NWB<br />

6/2012, 495 ff.<br />

Steuerrecht<br />

7/2012 R97<br />

Behrens, Keine sog. Organschaft über die Grenze aufgrund<br />

des DBA-Diskriminierungsverbots, BB 8/2012, 485ff.<br />

Claß/Weggenmann, Ein neues Teilbetriebsverständnis im<br />

Umwandlungssteuerrecht - entscheidet zukünftig der<br />

EuGH?!, BB 9/2012, 552ff.<br />

Dörfler, Der neue UmwSt-Erlass vom 11.11.2011 – „Gut Ding<br />

will Weile haben“? – Teil II, StBW 4/2012, 176 ff.


Esskandari/Bick, Wegzugsbesteuerung bei Sitzverlegung in<br />

einen anderen Mitgliedstaat. EuGH hält sofortige Fälligkeit<br />

der Wegzugsbesteuerung einer Gesellschaft für unverhältnismäßig,<br />

StBW 4/2012, 179ff.<br />

Gragert, Rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze<br />

in §17 EStG, NWB 6/2012, 474ff.<br />

Glahe, Grenzüberschreitende Organschaft ohne Gewinnabführungsvertrag,<br />

IStR 4/2012, 128ff.<br />

Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende<br />

oder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 6/<br />

2012, 267ff.<br />

Korezkij, Update Unternehmensnachfolge: Neuerungen und<br />

Klarstellungen aus den ErbStR 2011 und den ErbStH 2011,<br />

DStR 7/2012, 340ff.<br />

Lenz/Seroin/Handwerker, <strong>Die</strong> französische Gruppenbesteuerung<br />

– ein Modell für Deutschland?, DB 7/2012, 365ff.<br />

Lüdtke, Zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 [<strong>GmbH</strong>R 2012,<br />

415 – in dieser Ausgabe]: Entlastungsberechtigung ausländischer<br />

Gesellschaften (§50d Abs.3 EStG), IStR 4/2012, 148ff.<br />

Martini, Das Verhältnis des persönlichen Körperschaftsteuertatbestandes<br />

zur Mitunternehmerschaft. <strong>Die</strong> steuerliche Zuordnung<br />

von Personenvereinigungen als Herausforderungen<br />

für die Kongruenz von Einkommen- und Körperschaftsteuer,<br />

DStR 8/2012, 388 ff.<br />

Musil, §50d Abs.3 EStG – eine unendliche Geschichte?, FR<br />

4/2012, 149 ff.<br />

Nitzschke, Veräußerung direkt gehaltener Beteiligungen an<br />

Kapitalgesellschaften durch beschränkt Körperschaftsteuerpflichtige.<br />

Führt §8b Abs.3 KStG zur partiellen Besteuerung<br />

eines Veräußerungsgewinns?, IStR 4/2012, 125ff.<br />

Rohler, Wegzugsbesteuerung und Funktionsverlagerung,<br />

<strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 54ff.<br />

Schneider, <strong>Die</strong> steuerliche Rückwirkung nach §2 UmwStG,<br />

NWB 6/2012, 484 ff.<br />

Schnitger, Anwendung des §8b Abs.1 KStG beim Kapitalertragsteuerabzug.<br />

Auswirkungen der Entscheidung des<br />

EuGH vom 20.10.2011 [= <strong>GmbH</strong>R 2011, 1211], DB 6/2012,<br />

305ff.<br />

Seifried, Neue BFH-Rechtsprechung zum Anteilsbegriff im<br />

Sinne der §§13a, 13b ErbStG, DStR 6/2012, 274ff.<br />

Sell, Schenkungsteuerliche Auswirkungen von Einlagen und<br />

Ausschüttungen in bzw. aus Kapitalgesellschaften. Rechtsprechung<br />

und gesetzliche Änderungen durch das<br />

BeitrRLUmsG vom 13.12.2011, DB 8/2012, 429ff.<br />

Thomalla, <strong>Die</strong> Beteiligung gemeinnütziger Körperschaften an<br />

gewerblich geprägten Personengesellschaften, BB 8/2012,<br />

490ff.<br />

Wehage, Kostentragung bei der erbschaftsteuerlichen Bewertung<br />

von Gesellschaftsanteilen, ErbStB 2/2012, 55ff.<br />

Buchbesprechung<br />

7/2012 R98<br />

Handbuch des internationalen <strong>GmbH</strong>-Rechts. Hrsg.<br />

von RA Dr. Rembert Süß und Notar Thomas Wachter. 2.Auflage.<br />

Zerb Verlag <strong>GmbH</strong>, Bonn 2011. 2.187S., gbd., inkl. CD-<br />

ROM, 188,– a.<br />

I. Inhalt des Buchs<br />

Insbesondere durch die Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit<br />

des europäischen Gesellschaftsrechts<br />

findet das internationale und ausländische Gesellschaftsrecht<br />

Einzug in die tägliche Rechtspraxis. Der zunehmende<br />

Einsatz von Auslandsgesellschaften wie etwa der englischen<br />

Ltd. wirft zahlreiche neue Fragen im Gesellschafts-, Insolvenzund<br />

Steuerrecht auf.<br />

<strong>Die</strong> Autoren sind renommierte Praktiker des <strong>GmbH</strong>-Rechts<br />

aus den verschiedensten Ländern und stellen das <strong>GmbH</strong>-<br />

Recht der folgenden 42 Länder dar: Argentinien, Australien,<br />

Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland,<br />

England, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien,<br />

Italien, Japan, Kanada, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen,<br />

Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien,<br />

Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Singapur,<br />

Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine,<br />

Ungarn, USA, Vereinigte Arabische Emirate, Weißrussland.<br />

<strong>Die</strong> beiliegende CD-ROM enthält weitere 32 Länderberichte<br />

in elektronischer Fassung mit Informationen und Materialien,<br />

wie z.B. Mustern und Formularen.<br />

<strong>Die</strong> Länderkapitel haben eine vergleichbare Struktur und behandeln<br />

im Wesentlichen folgende Aspekte: Gründung der<br />

Gesellschaft, Inhalt des Gesellschaftsvertrags, Kapital und<br />

Kapitalschutz, Handelsregister, Gesellschafter und Geschäftsanteile,<br />

Geschäftsführung und Vertretung, weitere Organe<br />

der Gesellschaft, Buchführung und Rechnungslegung,<br />

Mitbestimmung, Zweigniederlassungen, Insolvenz der Gesellschaft,<br />

Auflösung der Gesellschaft, Gesellschaft im internationalen<br />

Privatrecht, Steuerrecht.<br />

II. Bewertung<br />

Schon die erste Auflage des Buchs wurde als praxistaugliches<br />

Werkzeug internationaler Berater gelobt. <strong>Die</strong> zweite<br />

Auflage trägt nun der Tatsache Rechnung, dass in verschiedenen<br />

Rechtsordnungen Gesetzesänderungen im Bereich<br />

des Gesellschaftsrecht zu verzeichnen waren. Es werden natürlich<br />

auch die Änderungen im deutschen <strong>GmbH</strong>-Recht<br />

durch das „MoMiG „dargestellt.<br />

Hilfreich ist der vorangestellte „allgemeine Teil“ zum internationalen<br />

Gesellschaftsrecht. Innerhalb Europas ist die schon<br />

erwähnte Niederlassungsfreiheit relevant, die zur zwischenzeitlich<br />

großen Zahl von Limited Companies in Deutschland<br />

geführt hat, auch wenn aufgrund der „UG“ der Trend rückläufig<br />

zu sein scheint. Praxisrelevant sind auch die Ausführungen<br />

zur Sitzverlegung, zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen<br />

und Unternehmensverträgen und zum internationalen<br />

Steuerrecht.


Aus Sicht eines im Grenzgebiet tätigen Juristen sind die Ausführungen<br />

zu Belgien und den Niederlanden von Relevanz.<br />

Hilfreich ist, dass die französischsprachigen und niederländischsprachigen<br />

Begriffe genannt werden. <strong>Die</strong>s erleichtert<br />

den Umgang mit fremdsprachigen Dokumenten.<br />

Exemplarisch sei noch England herausgegriffen: Ein guter<br />

Überblick über die möglichen Organisationsformen im englischen<br />

Gesellschaftsrecht hilft und es werden die bedeutsamen<br />

Rechtsgrundlagen für die dann maßgeblich behandelte<br />

Ltd. dargestellt. Auch die Querverbindungen zum deutschen<br />

Recht, etwa bei Ltd.& Co. KG werden aufgezeigt.<br />

III. Fazit<br />

Das Handbuch des internationalen <strong>GmbH</strong>-Rechts ermöglicht<br />

eine schnelle und ausführliche Orientierung hinsichtlich<br />

der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung und<br />

Tätigkeit einer <strong>GmbH</strong> im Ausland. Es ist daher den bei international<br />

agierenden Unternehmen tätigen Syndikusanwälten<br />

sowie Rechts- und Unternehmensberatern sehr zu empfehlen.<br />

Dr. Roman Jordans, LL.M (NZ), Banksyndikus sowie<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und<br />

Kapitalmarktrecht, Aachen<br />

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter<br />

Haftung: <strong>GmbH</strong>G. Kommentar von Prof. Dr. Günter H.<br />

Roth und Prof. Dr. Holger Altmeppen. 7., neubearbeitete Auflage.<br />

Verlag C. H. Beck, München 2012. 1.386 S., Ln. 89,00 a.<br />

<strong>Die</strong> Zahl von ca. 1.000.000 <strong>GmbH</strong>s zeigt die wirtschaftliche<br />

Bedeutung dieser Rechtsform insbesondere für kleine und<br />

mittlere Unternehmen. <strong>Die</strong>ser Kommentar erläutert in knapper,<br />

präziser und verständlicher Sprache das <strong>GmbH</strong>-Gesetz<br />

sowieimAnhangzu§13<strong>GmbH</strong>Gdas<strong>GmbH</strong>-Konzernrecht.<br />

<strong>Die</strong> Kommentierung zeigt Probleme auf und bietet<br />

praktische Lösungsmöglichkeiten.<br />

<strong>Die</strong> Neuauflage berücksichtigt die Erfahrung und Auswirkungen<br />

der <strong>GmbH</strong>-Reform durch das MoMiG, aber auch<br />

die Änderungen der Folgezeit wie z.B. FGG-ReformG und<br />

ARUG. <strong>Die</strong> Fülle an Literatur wird ausgewertet unter Berücksichtigung<br />

des Grundprinzips des Kommentars, Probleme<br />

vorausschauend zu erkennen und zu lösen. Herausgearbeitet<br />

werden stets dogmatisch saubere und dennoch wirtschaftlich<br />

sinnvolle Lösungen. Damit bleibt der Roth/Altmeppen<br />

ein idealer Kommentar für jede Form der <strong>GmbH</strong><br />

von der Gründung bis zu ihrer Liquidation.<br />

<strong>Die</strong> beiden Verfasser sind Professoren mit dem Schwerpunkt<br />

des Handels- und Wirtschaftsrechts und als Autoren<br />

zahlreicher Veröffentlichungen zum Gesellschaftsrecht bekannt.<br />

Beide verfügen über umfangreiche praktische Erfahrungen<br />

auf diesem Rechtsgebiet, die sie als Rechtsanwalt<br />

bzw. Gutachter erworben haben.<br />

Tagungshinweise<br />

7/2012 R99<br />

Zertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensivfortbildung<br />

zur Konzernrechnungslegung<br />

<strong>Die</strong> Hochschule Bochum und die Lucanet Academy bieten<br />

ab Mai 2012 erneut die erfolgreiche Intensivfortbildung zum<br />

„Certified Expert of Consolidation“ an. Der Kurs unter Leitung<br />

von Prof. Dr. Carsten Theile findet in drei Modulen statt und<br />

vermittelt das praxisorientierte Wissen zur Aufstellung von<br />

Konzernabschlüssen nach HGB und IFRS.<br />

In drei aufeinander aufbauenden Präsenzmodulen von je 2,5<br />

Tagen sowie mithilfe ergänzender Lehrmaterialien zum<br />

Selbststudium werden die Absolventen in die Lage versetzt,<br />

auch schwierige Konsolidierungsprobleme eigenständig zu<br />

lösen. <strong>Die</strong> Hochschule Bochum verleiht den Titel „Certified<br />

Expert of Consolidation“ an die Absolventen, wenn sie die erforderlichen<br />

Prüfungsleistungen (drei Klausuren, drei Tests)<br />

erfolgreich bestanden haben.<br />

Termine in Bochum:<br />

– Modul 1 vom 10. bis 12.5.2012 zu den Grundlagen des<br />

Konzernabschlusses;<br />

– Modul 2 vom 14. bis 16.6.2012 mit Erweiterung und Vertiefung<br />

des Grundlagenwissens;<br />

– Modul 3 vom 13. bis 15.9.2012 zu Spezialfällen der Konsolidierung,<br />

Bilanzanalyse und -politik.<br />

<strong>Die</strong> Teilnahmegebühr beträgt pro Person und Modul 1.490a;<br />

drei Module kosten 3.990a (jeweils zzgl. MwSt.). <strong>Die</strong> Buchung<br />

einzelner Module ist möglich.<br />

Nähere Informationen im Internet unter<br />

„www.lucanet-academy.com“, per E-Mail unter<br />

„info@lucanet-academy.com” oder telefonisch unter<br />

„+49(0)30/469910150“.


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Name PLZ / Ort<br />

_______________________________________________________________________________________________________________________<br />

Straße Datum / Unterschrift<br />

www.otto-schmidt.de<br />

7/2012 R100<br />

Mein Recht: Das Probeabonnement ist ohne Risiko –<br />

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Datum Unterschrift / Widerrufsrecht 11/11<br />

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