Heft 7 - Die GmbH-Rundschau
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Aufsätze<br />
<strong>Heft</strong> 7<br />
1. April 2012<br />
S. 365–420<br />
PVSt 6012<br />
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.<br />
Schneider, LL.M. – <strong>Die</strong> persönliche Haftung der<br />
<strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der<br />
Geschäftsführung an Personen, die nicht<br />
Geschäftsführer sein können 365<br />
Markus Geißler – Statuarische Vorsorge bei der<br />
Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und der Insolvenz<br />
eines Gesellschafters 370<br />
Dr. Götz Tobias Wiese – Entlastung ausländischer<br />
Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
376<br />
<strong>GmbH</strong>-International<br />
Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel –<strong>Die</strong><br />
Organe der Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />
im chinesischen Recht 384<br />
<strong>GmbH</strong>Report<br />
Dr. Ansas Wittkowski – DBA-Schachtelprivileg<br />
bei hybriden Gesellschaftsformen R 85<br />
Rechtsprechung<br />
Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines<br />
nicht nichtigen Einziehungsbeschlusses und<br />
Haftung für Abfindung (BGH v. 24.1.2012 mit<br />
Komm. Dr. Lutz Münnich) 387<br />
Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung<br />
des Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem<br />
Mitbestimmungsgesetz (BGH v. 30.1.2012 mit<br />
Komm. Dr. Martin Pröpper) 391<br />
Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />
Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />
(BFH v. 14.12.2011 mit Komm. Dr. Alexander<br />
Höhn / Georg Geberth) 402<br />
Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />
Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />
(BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Dr. Hans-<br />
GeorgBerg/Dr.RolfSchmich) 406<br />
Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei<br />
unterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb<br />
(BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Markus Suchanek)<br />
410<br />
Verwaltungsanweisungen<br />
Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />
ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3<br />
EStG) (BMF v. 24.1.2012) 415
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<strong>Die</strong> Frage der Besteuerung von Dividenden im grenzüberschreitenden<br />
Kontext hat in jüngster Zeit zu einigen wesentlichen<br />
gesetzlichen Änderungen bzw. Urteilen geführt.<br />
Hinsichtlich des sog. Inbound-Falls, d.h. der Ausschüttungen<br />
einer inländischen Kapitalgesellschaft an ausländische<br />
Gesellschafter, sei insbesondere auf die Änderung des §50d<br />
Abs.3 EStG (dazu s. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/<br />
10016 – DOK 2011/1032913, <strong>GmbH</strong>R 2012, 415 sowie den<br />
Beitrag von Wiese, <strong>GmbH</strong>R 2012, 376ff. – beides in dieser<br />
Ausgabe) und das Urt. des EuGH v. 20.10.2011 – Rs.C-284/<br />
09, <strong>GmbH</strong>R 2011, 1211 zu Streubesitzdividenden verwiesen.<br />
Aber auch der sog. Outbound-Fall, d.h. ein im Inland<br />
unbeschränkt Steuerpflichtiger empfängt Dividenden einer<br />
im Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft, ist aktuell<br />
Gegenstand steuerlicher Diskussionen. Dabei geht es<br />
insbesondere um die Frage der Anwendung des<br />
abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs bei Ausschüttungen<br />
zwischen Kapitalgesellschaften.<br />
Zwar hat das in Doppelbesteuerungsabkommen festgeschriebene<br />
Schachtelprivileg zwischen Kapitalgesellschaften<br />
nach dem Systemwechsel vom Anrechnungs- zum<br />
Freistellungsverfahren an Bedeutung verloren, da ausländische<br />
Dividenden bei einer empfangenden inländischen<br />
Kapitalgesellschaft bereits aufgrund von §8b Abs.1 KStG bei<br />
der Ermittlung des steuerlichen Einkommens außer Ansatz<br />
bleiben. Ungeklärt ist bzw. war indes die Anwendung des<br />
Schachtelprivilegs bei einer empfangenden inländischen<br />
sog. hybriden Gesellschaft.<br />
Bei diesen hybriden Gesellschaftsformen war ungeklärt, wie<br />
das abkommensrechtliche Schachtelprivileg greift, wenn es<br />
sich bei der empfangenden inländischen Gesellschaft zwar<br />
um eine Kapitalgesellschaft handelt, sich an dieser aber<br />
natürliche Personen mitunternehmerisch oder mitunternehmerähnlich<br />
beteiligen. Zu denken wäre z.B. an den<br />
persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA oder den<br />
stillen Gesellschafter einer <strong>GmbH</strong> & atypisch Still.<br />
Stein des Anstoßes: BFH zum DBA-Schachtelprivileg<br />
Der BFH hat sich in seinem Urt. v. 19.5.2010 – I R 62/09,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2010, 1004 mit der Frage der Anwendung des abkommensrechtlichen<br />
Schachtelprivilegs bei einer inländischen<br />
KGaA auseinandergesetzt. In dem von den Richtern<br />
zu entscheidenden Fall ging esumeineinDeutschlandansässige<br />
KGaA, die Dividenden von zwei in Frankreich ansässigen<br />
Kapitalgesellschaften empfing. Als persönlich haftender<br />
Gesellschafter der KGaA fungierte eine Personengesell-<br />
* Deloitte & Touche <strong>GmbH</strong>.<br />
Dr. Ansas Wittkowski, Steuerberater, München*<br />
DBA-Schachtelprivileg bei<br />
hybriden Gesellschaftsformen<br />
schaft, an der wiederum (ausländische) natürliche Personen<br />
beteiligt waren. <strong>Die</strong> Richter hatten zu entscheiden, ob sich<br />
das Schachtelprivileg mittelbar auch auf die natürlichen Personenerstreckt,die,wärensie<br />
unmittelbar an der ausländischen<br />
Gesellschaft beteiligt, nicht in den Genuss der Befreiung<br />
gekommen wären.<br />
Unstreitig war, dass es sich bei der betreffenden KGaA um<br />
eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft handelte,<br />
die im erforderlichen Mindestumfang Beteiligungen an den<br />
französischen Tochterkapitalgesellschaften hielt. Ebenfalls<br />
unstreitig war die Tatsache, dass die Dividenden von den<br />
ausländischen Gesellschaften direkt an die KGaA gezahlt<br />
wurden.<br />
Der BFH prüfte in seinem Urteil die Inanspruchnahme des<br />
Schachtelprivilegs an den Voraussetzungen des Art.20<br />
Abs.1. Buchst.a) S.1 u. Buchst.b) S.1 DBA-Frankreich (n.F.).<br />
Danach seien sämtliche Voraussetzungen erfüllt gewesen,<br />
da das Schachtelprivileg im DBA-Frankreich explizit auf den<br />
Empfänger der Zahlungen und nicht auf den Empfänger der<br />
Einkünfte abstellt. Da in dem zu entscheidenden Fall die<br />
KGaA und nicht der persönlich haftende Gesellschafter bzw.<br />
– aufgrund des Transparenzprinzips von Personengesellschaften–<br />
deren Mitunternehmer, Empfängerin sämtlicher<br />
Dividenden war, konnte der BFH nicht umhin, auf Ebene der<br />
KGaA die Freistellung zuzulassen.<br />
Damit vermied der I.Senat eine Diskussion der sicherlich<br />
nicht minder kontroversen Aspekte der Besteuerung einer<br />
KGaA. Das wären z.B., wie die KGaA bzw. der persönlich haftende<br />
Gesellschafter als „Personen“ abkommensrechtlich zu<br />
behandeln und zudem die Einkünfte insbesondere dem persönlich<br />
haftenden Gesellschafter zuzurechnen sind. Das<br />
Schachtelprivileg im DBA-Frankreich setze sich über all diese<br />
Themen hinweg und begünstige die KGaA als solche, und<br />
zwar unabhängig davon, wem die Einkünfte am Ende tatsächlich<br />
zuzurechnen sind.<br />
Reaktion des Gesetzgebers<br />
7/2012 R85<br />
Dem Gesetzgeber war und ist es wichtig, auf die Rechtsprechung<br />
des BFH kurzfristig zu reagieren. Das obenstehend<br />
aufgeführte Urteil hätte zur Folge, dass in bestimmten Fällen<br />
natürliche Personen unter das Schachtelprivileg fallen, auch<br />
wenn sie selbst nicht dem begünstigten Kreis der Dividendenempfänger<br />
angehören. Genau dies kann aber bei hybriden<br />
Gesellschaftsformen eintreten, wenn der persönlich haftende<br />
Gesellschafter einer KGaA oder der atypisch stille Gesellschafter<br />
einer <strong>GmbH</strong> & atypisch Still eine natürliche Person<br />
ist.
Insbesondere im Hinblick auf die <strong>GmbH</strong> & atypisch Still sieht<br />
die Finanzverwaltung größere Gestaltungsräume. So verwundert<br />
es nicht weiter, wenn die Finanzverwaltung vor dem Hintergrund<br />
des BFH-Urteils Steuerausfälle im unteren dreistelligen<br />
Mio.Euro-Bereich veranschlagt.<br />
Nun beabsichtigten die Fraktionen von CDU/CSU und FDP<br />
das „Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes“<br />
um steuerliche Komponenten zu erweitern und in<br />
„Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes<br />
und von steuerlichen Vorschriften“ umzubenennen (BT-<br />
Drucks. 17/8867).<br />
Inhaltlich enthält das am 8.3.2012 vom Deutschen Bundestag<br />
beschlossene Gesetz einen neuen §50d Abs.11 EStG,<br />
der rückwirkend zum 1.1.2012 anzuwenden ist. Konkret soll<br />
§50d Abs.11 EStG Fälle aufgreifen, wie sie sich beispielhaft<br />
beim DBA-Frankreich ergeben. Betroffen sind demnach solche<br />
Konstellationen, bei denen das Schachtelprivileg ausschließlich<br />
an den Zahlungsempfänger knüpft und eine etwaige<br />
Teiltransparenz, etwa der KGaA, unbeachtet lässt.<br />
Dividenden sollen nach dem Wortlaut des §50d Abs.11 S.1<br />
EStG bei der empfangenden hybriden Gesellschaft nur insoweit<br />
unter das abkommensrechtliche Schachtelprivileg fallen,<br />
als die Dividenden nach deutschem Steuerrecht nicht<br />
einer anderen Person zuzurechnen sind. Soweit die Dividenden<br />
nach deutschem Steuerrecht (aufgrund einer teiltransparenten<br />
Besteuerung) einer anderen Person zuzurechnen<br />
sind, werden sie bei dieser anderen Person, etwa dem persönlich<br />
haftenden Gesellschafter, nach S.2 nur freigestellt,<br />
wenn die Dividenden bei der anderen Person als Zahlungsempfänger<br />
nach Maßgabe des Abkommens ebenfalls freigestellt<br />
werden würden.<br />
Der neue §50d Abs.11 EStG prüft somit eigenständig, ob bei<br />
hybriden Gesellschaften auch der Mitunternehmer, bzw. der<br />
wie ein solcher zu behandelnde, zu dem Kreis der Begünstigten<br />
zählt. Gleichwohl sei darauf verwiesen, dass §50d<br />
Abs.11 EStG nur in den Fällen Anwendung findet, in denen<br />
das DBA auf den Zahlungsempfänger und nicht auf den<br />
Empfänger der Einkünfte abstellt. Eine Sichtweise im Sinne<br />
der sog. „Wurzeltheorie“ wird somit auf die Abkommensebene<br />
übertragen, auch wenn sich aus dem nationalen Steuerrecht<br />
die „Wurzeltheorie“ nicht zwangsläufig herauslesen<br />
lässt.<br />
Ist der eingeschlagene Weg zielführend?<br />
Während des Gesetzgebungsprozesses war die Einführung<br />
eines §50d Abs.11 EStG nicht unumstritten. Dabei wurde weniger<br />
die Frage diskutiert, ob es zu einer Einschränkung des<br />
Schachtelprivilegs bei hybriden Gesellschaften kommen soll<br />
als vielmehr welcher Weg sinnvollerweise einzuschlagen ist.<br />
<strong>Die</strong>s war zumindest die zusammengefasste Erkenntnis aus<br />
der öffentlichen Anhörung im Bundestags-Finanzausschuss<br />
v. 8.2.2012. Für die Parlamentarier zeigten sich grundsätzlich<br />
zwei Möglichkeiten:<br />
– Entweder wird §50d Abs.11 EStG als eine nationalrechtliche<br />
Norm eingeführt, was einmal mehr zu einem Treaty Override<br />
führen dürfte. Gegen eine solche gesetzliche (und für eine<br />
abkommensrechtliche Lösung) spricht, dass wohl nur etwa<br />
sieben von Deutschland geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen<br />
auf den Zahlungsempfänger und nicht<br />
auf den Nutzungsempfänger abstellen. <strong>Die</strong>s geht zumindest<br />
auf eine Stellungnahme des Deutschen Industrie- und<br />
Handelskammertags im Rahmen des öffentlichen Fachgesprächs<br />
im Bundestags-Finanzausschuss zurück.<br />
– Alternativ könnten die betreffenden (etwa sieben) Abkommen<br />
in Bezug auf das Schachtelprivileg geändert und auf<br />
den Nutzungsempfänger als Begünstigen umgestellt werden.<br />
Ein solches Vorhaben wäre aber zeitintensiv und ließe<br />
sich nur mittelfristig realisieren. Da eine <strong>GmbH</strong> & atypisch<br />
Still als Gestaltungsoption schnell gegründet werden<br />
kann, wäre das von der Finanzverwaltung erkannte<br />
„Schlupfloch“ länger als gewünscht geöffnet, was zu<br />
Steuerausfällen führen kann.<br />
Der Deutsche Bundestag hat sich mit Beschluss v. 8.3.2012<br />
interfraktionell für die erste Alternative, also die Einführung des<br />
§50d Abs.11 EStG entschieden. Zudem haben die Abgeordneten<br />
dem Bundesfinanzministerium aufgetragen, das DBA-<br />
Schachtelprivileg bei künftigen Verhandlungen, sofern erforderlich,<br />
auf den Empfänger der Einkünfte umzustellen.<br />
Wie geht es weiter?<br />
7/2012 R86<br />
<strong>Die</strong> Besteuerung einer KGaA ist nicht nur aus abkommensrechtlicher<br />
Sicht, sondern auch aus dem Blickwinkel des<br />
deutschen nationalen Steuerrechts mit großen Unklarheiten<br />
behaftet. In der Vergangenheit blieb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe,<br />
die sich der Besteuerung einer KGaA annehmen<br />
sollte, ohne Ergebnis. Zwar hat sich der BFH in seiner<br />
vielbeachteten Herstatt-Entscheidung aus dem Jahr 1989 zu<br />
der Anwendung der sog. „Wurzeltheorie“ geäußert, gleichwohl<br />
ist diese nach wie vor nicht unumstritten. Insbesondere<br />
ist fraglich, ob die „Wurzeltheorie“ mit den nationalen Vorschriftender§9Abs.1Nr.1KStGund§15Abs.1Nr.3EStG<br />
vereinbar ist.<br />
Festzuhalten bleibt, dass sich der BFH in seiner rein abkommensrechtlichen<br />
Argumentation auf keine Diskussionen hinsichtlich<br />
der nationalen Besteuerung einließ. <strong>Die</strong> Unsicherheiten<br />
bei der Besteuerung einer KGaA und ihrer persönlich<br />
haftenden Gesellschafter bestehen damit weiter fort. So ist<br />
auch die „Wurzeltheorie“ nicht gesetzlich verankert, sondern<br />
basiert lediglich auf der Rechtsprechung des BFH.<br />
Im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses<br />
wurde das Bundesfinanzministerium schließlich aufgefordert,<br />
die Gespräche auf Bund-Länder-Ebene fortzuführen<br />
und dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten,<br />
welches Besteuerungskonzept der KGaA künftig gesetzgeberisch<br />
verankert werden solle. In Zukunft werden somit<br />
die Diskussionen zur Besteuerung der KGaA genauso<br />
wenig enden wie die zur Zulässigkeit eines Treaty Override.
Aufsätze und Beiträge<br />
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.<br />
Schneider, LL.M.<br />
<strong>Die</strong> persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter<br />
bei Überlassung der Geschäftsführung an<br />
Personen, die nicht Geschäftsführer sein können.<br />
Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G 365<br />
Markus Geißler<br />
Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines<br />
<strong>GmbH</strong>-Anteils und der Insolvenz eines Gesellschafters<br />
370<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher<br />
Quellensteuer. Anmerkungen zur Änderung<br />
des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und zum BMF-Schreiben<br />
vom 24.1.2012 376<br />
<strong>GmbH</strong>-International<br />
Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel<br />
<strong>Die</strong> Organe der Gesellschaft mit beschränkter<br />
Haftung im chinesischen Recht. Eine rechtsvergleichende<br />
Analyse 384<br />
Rechtsprechung Gesellschaftsrecht<br />
Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nicht<br />
nichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung für<br />
Abfindung (BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11) 387<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
von Dr. Lutz Münnich 390<br />
Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung des<br />
Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem Mitbestimmungsgesetz<br />
(BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11) 391<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
von Dr. Martin Pröpper 393<br />
Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz der<br />
<strong>GmbH</strong> gegen ihren Geschäftsführer wegen vermeintlicher<br />
Obliegenheitsverletzungen (OLG Frankfurt a. M.<br />
v.25.10.2011–5U27/10[LS]) 394<br />
Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vom<br />
Selbstkontrahierungsverbot (OLG Frankfurt a. M. v.<br />
13.10.2011 – 20 W 95/11) 394<br />
Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vor<br />
Inkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschafterliste<br />
(OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11) 398<br />
Inhalt<br />
103. Jahrgang<br />
<strong>Heft</strong> 7/2012<br />
Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellste<br />
im Registerordner aufgenommene Liste bei Neueinreichung<br />
(OLG München v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12) 399<br />
Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichts<br />
bei Anmeldung einer Geschäftsführerin zur Eintragung<br />
in das Handelsregister (KG Berlin v. 22.8.2011 –<br />
25 W 17/11) 400<br />
Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweigniederlassung<br />
einer Limited bei Löschung der ausländischen<br />
Hauptniederlassung (KG Berlin v. 24.10.2011 –<br />
25 W 37/11) 401<br />
Rechtsprechung Steuerrecht<br />
Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />
Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />
(BFH v. 14.12.2011 – I R 72/10) 402<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
von Dr. Alexander Höhn/ Georg Geberth 405<br />
Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />
Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />
(BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10) 406<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
von Dr. Hans-Georg Berg/Dr. Rolf Schmich 408<br />
Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei unterjährigem<br />
schädlichen Beteiligungserwerb (BFH v.<br />
30.11.2011 – I R 14/11) 410<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
von Markus Suchanek 412<br />
Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaft kein<br />
wichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebung des<br />
Gewinnabführungsvertrags (FG Brandenburg v.<br />
19.10.2011 – 12 K 12078/08) 413<br />
Verwaltungsanweisungen<br />
7/2012 R87<br />
Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />
ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)<br />
(BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK<br />
2011/1032913) 415<br />
Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finale<br />
Betriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R 77/<br />
06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08 (BMF v. 18.11.2011<br />
– IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578) 420
Inhalt<br />
IM BLICKPUNKT<br />
Dr. Ansas Wittkowski, München<br />
DBA-Schachtelprivileg bei hybriden Gesellschaftsformen<br />
R 85<br />
Unternehmensrecht<br />
Haftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicher<br />
Neugründung R 89<br />
Haftung als Scheingesellschafter und nach Austritt<br />
aus einer Gesellschaft – worauf müssen (ehemalige)<br />
Gesellschafter achten? R 89<br />
„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln in Gesellschaftsverträgen<br />
R 90<br />
„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen – durch<br />
Auslegung zurück zum alten Recht? R 90<br />
Treu und Glauben steht Kündigung wegen Formunwirksamkeit<br />
nicht entgegen R 91<br />
Schadensersatz bei Wegfall von Steuervorteilen R 91<br />
Beteiligung von Private Equity-Investoren an Familienunternehmen<br />
und Corporate Governance R 91<br />
Steuer- & Bilanzrecht<br />
Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 R 92<br />
Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei der Körperschaftsteuer<br />
R 92<br />
Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung im Ganzen<br />
nach dem EuGH-Urteil „Schriever“ R 92<br />
Aktuelle Entwicklungen beim Vorsteuerabzug R 93<br />
Arbeits- & Sozialrecht<br />
Schadenersatz wegen Gehaltseinbußen R 93<br />
Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden<br />
Arbeitsverhältnis R 94<br />
Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des bei<br />
Mutterschutz weitergezahlten Arbeitsentgelts R 94<br />
Europa-Praxis<br />
Doppelte Nichtbesteuerung – Konsultation eingeleitet R95<br />
Europäische Stiftung: Kommission veröffentlicht<br />
Verordnungsvorschlag R 95<br />
Europäische Kommission lässt ACTA-Abkommen<br />
überprüfen R 95<br />
Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei den europäischen<br />
Gerichten nimmt zu R 96<br />
Wirtschafts-Praxis<br />
Rückläufige Entwicklung von Innovationen im Mittelstand<br />
R 96<br />
Zeitschriftenspiegel R97<br />
Buchbesprechung R98<br />
Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen<br />
<strong>GmbH</strong>-Rechts, 2. Auflage (Dr. Roman Jordans) R 98<br />
Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften<br />
mit beschränkter Haftung: <strong>GmbH</strong>G, 7. Auflage R 99<br />
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Update Unternehmensrecht<br />
� die wichtigsten Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung<br />
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� kompakte Informationen zum gesamten Unternehmensrecht<br />
7/2012 R88<br />
Tagungshinweise<br />
Zertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensivfortbildung<br />
zur Konzernrechnungslegung R 99<br />
Impressum R 100<br />
<strong>Die</strong>ser Ausgabe liegen folgende Prospekte bei: „Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung“; „Roth, Insolvenzsteuerrecht“ und „Obermüller,<br />
Insolvenzrecht in der Bankpraxis“, Verlag Dr. Otto Schmidt.<br />
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Unternehmensrecht<br />
Dr. Stephan Ulrich, Rechtsanwalt,<br />
Simmons & Simmons, Düsseldorf<br />
Haftung bei nicht offengelegter<br />
wirtschaftlicher Neugründung<br />
<strong>Die</strong> wirtschaftliche Neugründung von „schlafenden“ oder Vorrats-Gesellschaften<br />
ist für die Unternehmenspraxis ein gern<br />
genutzter Weg –weil kosten- und zeiteffizient–, um neue Unternehmungen<br />
gesellschaftsrechtlich in die Tat umzusetzen.<br />
Da die „Wiederbelebung“ des zuvor ungenutzten <strong>GmbH</strong>-<br />
Mantels oder der eingekauften Vorrats-<strong>GmbH</strong> (so bereits<br />
BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = <strong>GmbH</strong>R<br />
2003, 227 m. Komm. Peetz) wirtschaftlich einer Neugründung<br />
gleichkommt, gelten für die Anmeldung zum Handelsregister<br />
besondere Erfordernisse: <strong>Die</strong> wirtschaftliche Neugründung<br />
muss gegenüber dem Register offengelegt werden, der Geschäftsführer<br />
muss versichern, dass das Stammkapital voll<br />
eingezahlt und zu seiner freien Verfügung vorhanden ist, und<br />
die Gesellschafter haften dafür, dass das satzungsmäßige<br />
Stammkapital der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung<br />
„aufgefüllt“ ist.<br />
<strong>Die</strong> Haftung für die „Auffüllung“ des Stammkapitals ist eine<br />
Unterbilanzhaftung der Gesellschafter, vergleichbar zum Szenario<br />
während der Neugründung. Aber in welcher Höhe wird<br />
im Falle der unterbliebenen Offenlegung gehaftet?<br />
<strong>Die</strong>se Frage war bisher umstritten, aber nun scheint Klärung<br />
in Sicht zu sein: Denn mit Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10 (BGH-<br />
Pressemitteilung Nr.30/2012) hat der BGH entschieden, dass<br />
die unterlassene Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung<br />
ebenfalls zu einer Unterbilanzhaftung der Gesellschafter<br />
führen kann – nämlich dann, wenn im Zeitpunkt der wirtschaftlichen<br />
Neugründung eine Deckungslücke zwischen<br />
dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen<br />
Stammkapital bestanden hat, was durch die unterbliebene<br />
Offenlegung dem Registergericht nicht bekannt geworden<br />
ist. Vorher war vertreten worden, dass die unterlassene Offenlegung<br />
eine unbegrenzte Verlustdeckungshaftung auslöst.<br />
<strong>Die</strong>se Ansicht ist jetzt durch das BGH-Urteil entkräftet worden.<br />
Derzeit ist nur die Pressemitteilung des Urteils verfügbar. <strong>Die</strong><br />
genaue Kommentierung bleibt der Veröffentlichung des gesamten<br />
Urteilstexts vorbehalten, was unmittelbar nach seinem<br />
Vorliegen in dieser Zeitschrift erfolgen wird.<br />
Haftung als Scheingesellschafter und nach<br />
Austritt aus einer Gesellschaft – worauf<br />
müssen (ehemalige) Gesellschafter achten?<br />
<strong>Die</strong> unbeschränkte persönliche Haftung im Personengesellschaftsrecht<br />
ist nicht mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters<br />
zu Ende. Sie kann vielmehr über den Austrittszeitpunkt<br />
hinauswirken – z.B. als Nachhaftung aus §736 Abs.2<br />
7/2012 R89<br />
BGB i.V.m. §160 HGB oder auch als Rechtsscheinhaftung. In<br />
jedem Fall ist für den austretenden Gesellschafter Vorsicht<br />
geboten.<br />
I. Nachhaftung<br />
Für die Haftung über das Ende der Gesellschafterstellung<br />
hinaus ist vor allem relevant, wann die Verbindlichkeit, wegen<br />
der die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters begehrt<br />
wird, entstanden ist. §160 Abs.1 S.1 HGB spricht von<br />
den „bis dahin begründeten Verbindlichkeiten“ der Gesellschaft.<br />
Aber wann genau gilt eine Verbindlichkeit als begründet?<br />
Besonders bei außervertraglichen Verbindlichkeiten ist ein<br />
„Anknüpfungszeitpunkt“ nicht leicht erkennbar. Besonders<br />
schwierig dürfte das etwa bei der Geltendmachung von bereicherungsrechtlichen<br />
Ansprüchen sein (insbesondere gemäß<br />
§812 Abs.1 S.1 Var.1 BGB – hier hat von Anfang an gar<br />
kein Rechtsgrund bestanden). Der BGH hat für die Haftung<br />
des ausgeschiedenen GbR-Gesellschafters für eine irrtümlich<br />
doppelt geleisteten Zahlung nicht auf den Zeitpunkt des<br />
Vertragsabschlusses abgestellt (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/<br />
10). Der Vertrag sei nämlich nicht die Grundlage dafür, dass<br />
irrtümlicherweise mehrfach auf die in ihm begründeten Verbindlichkeiten<br />
geleistet würde.<br />
II. „Altverbindlichkeit“ ja oder nein?<br />
Damit war in dem vorliegenden Fall die geforderte Zahlung<br />
im Wege der Leistungskondiktion keine „Altverbindlichkeit“,<br />
für die der ausgeschiedene Gesellschafter über §736 Abs.2<br />
BGB i.V.m. §160 HGB hätte haften müssen. Das sind, wie der<br />
II.Senat ausdrücklich erwähnt, nämlich nur „Schuldverpflichtungen,<br />
deren Rechtsgrundlage bis zum Ausscheiden gelegt<br />
worden ist, auch wenn die einzelnen Verpflichtungen erst<br />
später fällig werden“ (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, Rz.14,<br />
mit Verweis auf frühere Entscheidungen).<br />
III. Ausgeschiedener muss Rechtsschein seiner<br />
eigenen Haftung aktiv zerstören<br />
Neben der gesetzlichen Nachhaftung besteht für ehemalige<br />
Gesellschafter noch eine weitere mögliche Haftungsfalle: die<br />
Rechtsscheinhaftung. Der Rechtsverkehr –also alle Außenstehenden,<br />
die potentiell mit der Gesellschaft in Kontakt kommen<br />
könnten– muss erkennen und erkennen können, dass<br />
einer der Gesellschafter ausgeschieden ist. Anderenfalls haftet<br />
der Ausgeschiedene im schlimmsten Fall als sog.<br />
„Scheingesellschafter“ für die von der Gesellschaft begründeten<br />
Verbindlichkeiten weiter mit (und zwar weiter persönlich<br />
und unbeschränkt). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der<br />
Ausgeschiedene diesen Rechtsschein selbst setzt. Wird der<br />
Schein beispielsweise durch die Gesellschaft selbst gesetzt<br />
– etwa durch Verwendung von „altem“ Briefpapier, auf dem<br />
der Ausgeschiedene immer noch als Gesellschafter vermerkt<br />
ist– entsteht die Haftung gleichermaßen, wenn der Betroffene<br />
nicht gegen diese Umstände vorgeht. In dem oben<br />
erwähnten Urteil hat der II.Senat des BGH hierfür Anforderungen<br />
vorgegeben, die in der Praxis recht aufwändig sind: Es<br />
genügt nicht, dass der Ausgeschiedene die haftungsbegründenden<br />
Umstände nur ausdrücklich untersagt. Er muss stattdessen<br />
–im Rahmen des ihm Zumutbaren und natürlich
des ihm Erkennbaren– selbst aktiv werden und den Rechtsschein<br />
zerstören. Im Fall des oben erwähnten Briefpapiers<br />
könnte dies dann z.B. dadurch erreicht werden, dass der Ausgeschiedene<br />
selbst die Empfänger des Briefs darüber informiert,<br />
dass er gar nicht mehr Gesellschafter ist.<br />
IV. Fazit<br />
Auch nach dem Austritt aus einer Personengesellschaft ist also<br />
Vorsicht geboten. Wendet der ehemalige Gesellschafter<br />
der Gesellschaft einfach komplett den Rücken zu und verfolgt<br />
ihr Handeln nicht weiter, kann das zu teuren Überraschungen<br />
führen.<br />
„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln in<br />
Gesellschaftsverträgen<br />
Bei Gesellschaften mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis<br />
wie <strong>GmbH</strong>s oder Personengesellschaften finden<br />
sich in Gesellschaftsverträgen oft sog. „Change of Control-<br />
Klauseln“. Sie sollen verhindern, dass die Gesellschaft durch<br />
einen Kontrollwechsel bei einem ihrer Gesellschafter „überfremdet“.<br />
<strong>Die</strong> Formulierung sollte dabei so ausdrücklich und exakt wie<br />
möglich gewählt werden. Kommt es auf die Stimmenmehrheit<br />
oder die Kapitalmehrheit an? Ist ein Übergang der Kontrolle<br />
von einem Gesellschafter auf einen anderen erforderlich<br />
oder reicht ein Kontrollverlust? Sind auch Mehrheitsbeteiligungen<br />
an Gesellschaften auf einer höheren Stufe im Konzern<br />
einer Partei umfasst? Welcher Zeitpunkt ist relevant und<br />
was für Rechtsfolgen sollen eintreten? Alle diese Punkte sollten<br />
in der Klausel geregelt werden, um Zweifelsfragen bei der<br />
Auslegung zu vermeiden.<br />
Das OLG Koblenz hat mit Urt. v. 3.11.2011 – 6 U 49/11 (abzurufen<br />
unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“) in diesem Zusammenhang<br />
darauf hingewiesen, dass die Klausel im Zweifel<br />
nach den gängigen Maßstäben auszulegen ist: so nah am<br />
Wille des Erklärenden wie möglich, anhand von Zweck, Interessenlage<br />
und Begleitumständen der Parteien im Zeitpunkt<br />
des Abschlusses der Klausel.<br />
Für die Auslegung von Gesellschaftsverträgen gilt generell:<br />
Je weiter die Gesellschaft von dem Bestand ihrer Mitglieder<br />
verselbständigt ist, desto objektiver muss auch der Maßstab<br />
für die Auslegung sein. Bei Personengesellschaften kann<br />
maninallerRegelaufdenWillenderBeteiligtenundihrindividuelles<br />
Verständnis abstellen. Publikums-Personengesellschaften<br />
und Kapitalgesellschaften sind von ihrem Gesellschafterbestand<br />
hingegen so unabhängig, dass bei ihnen<br />
der Auslegungsmaßstab objektiv sein muss. Ausnahmen<br />
können nur dann gelten, wenn der Gesellschafterbestand<br />
seit der Gründung unverändert geblieben ist und die Gesellschaft<br />
daher noch als „verfestigter und verselbständigter“ Wille<br />
der Gründer angesehen werden kann (zu all dem Busche<br />
in Münch.Komm.BGB, 6.Aufl. 2012, §133 Rz.39).<br />
Dabei besteht immer das Risiko, dass einzelne Aspekte im<br />
Ernstfall nicht hinreichend erforscht und aufgeklärt werden<br />
können. Dann wird der entscheidende Richter regelmäßig<br />
7/2012 R90<br />
eine objektive Auslegung des Wortlauts vornehmen, die vielleicht<br />
nicht immer dem entspricht, was die Parteien sich eigentlich<br />
darunter vorgestellt, aber nicht hinreichend zum Ausdruck<br />
gebracht haben.<br />
„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen –<br />
durch Auslegung zurück zum alten Recht?<br />
Im Gegensatz zu Gesellschaftsverträgen von Kapitalgesellschaften<br />
(näheres hierzu in „Auslegung I“, vorstehend abgedruckt)<br />
orientiert sich die Auslegung von Rangrücktrittserklärungen<br />
immer in erster Linie am Willen der Beteiligten.<br />
Der Rangrücktritt ist eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft<br />
und ihrem Gesellschafter: Der forderungsinhabende<br />
Gesellschafter erklärt sich bereit, im Insolvenzfall mit seinem<br />
Anspruch im Rang hinter die Ansprüche anderer Gläubiger<br />
zurückzutreten (Selzner/Leuering in Römermann,<br />
Münch.Hdb. zum <strong>GmbH</strong>-Recht, 2.Aufl. 2009, §7 Rz.120 ff.,<br />
m.w.N.). <strong>Die</strong>sen Willen bringt der Gesellschafter in seiner Erklärung<br />
gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck, auch<br />
wenn sie wirtschaftlich natürlich in erster Linie den Drittgläubigern<br />
zugute kommt, deren Forderungen dadurch im Krisenfall<br />
(möglicherweise) etwas sicherer werden.<br />
Was hat der Gesellschafter mit einer bestimmten Formulierung<br />
zum Ausdruck bringen wollen? Warum wurden gewisse<br />
Aspekte nicht ausdrücklich geregelt und was würde man<br />
wollen, wenn man gewisse andere Aspekte auch bedacht<br />
hätte? Solche Fragen stellen sich bei Rangrücktrittserklärungen<br />
dann, wenn tatsächlich eine Inanspruchnahme droht.<br />
Ausgangspunkt der Auslegung von Rangrücktrittserklärungen<br />
ist –wie bei den Gesellschaftsverträgen im Personengesellschaftsrecht–<br />
der Wille des/der Erklärenden (§133 BGB),<br />
mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte<br />
(§157 BGB): Was hätten die Parteien vereinbart, wenn sie die<br />
Regelungslücke hätten schließen wollen? Dafür muss der<br />
Wille bzw. mutmaßliche Wille der Erklärenden so gut wie<br />
möglich ermittelt werden (instruktiv hierzu BGH v. 25.11.2004<br />
– I ZR 49/02, NJW-RR 2005, 687, m.w.N.). Das kann bedeuten,<br />
dass Begleitumstände der Erklärung herangezogen und<br />
analysiert werden, aber auch, dass auf den Willen oder das<br />
Verhalten eines „objektiven Dritten“ abgestellt wird, sofern<br />
überhaupt keine Anknüpfungspunkte für den individuellen<br />
Willen des Erklärenden vorhanden (und beweisbar) sind.<br />
Bei Rangrücktritten, die vor 2008 erklärt wurden, besteht die<br />
Besonderheit, dass sie wegen der seit Einführung des Mo-<br />
MiG klaren Rechtslage zum Passivierungsverbot je nach Formulierung<br />
andere Rechtsfolgen vorsehen können, so dass<br />
ihre Bedeutung unter der neuen Rechtslage zu ermitteln ist.<br />
Das OLG Koblenz hat klargestellt, dass generell die vor dem<br />
MoMiG geltende Rechtslage auch nicht „auf dem Umweg<br />
über §242 BGB“ durch eine entsprechende Auslegung wieder<br />
hergestellt werden darf (OLG Koblenz v. 15.12.2011 – 309/<br />
11, abzurufen unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“). Im Einzelfall<br />
muss stattdessen geklärt werden, was die Parteien erklärt<br />
hätten, wenn sie von den Änderungen durch das MoMiG gewusst<br />
hätten. Wenn Sonderregelungen für Altfälle im Gesetz
stehen, gelten natürlich diese. Ansonsten kann auch die Auslegung<br />
nicht zwingendes geltendes Recht aushebeln.<br />
Im Streitfall werden die Gerichte entscheiden. Wie nah die Erklärung<br />
an dem ist, was der Erklärende tatsächlich gewollt<br />
hätte, hängt vom ihrem Wortlaut und der Beweislage im Einzelfall<br />
ab.<br />
Treu und Glauben steht Kündigung wegen<br />
Formunwirksamkeit nicht entgegen<br />
Jeder Berater kennt die Mühen, die die Wahrung des gesetzlichen<br />
Schriftformerfordernisses für Miet- oder Nutzungsverträge<br />
mit sich bringt. Wird ein Mietvertrag für längere Zeit als<br />
ein Jahr nicht entsprechend dem Schriftformerfordernis abgeschlossen,<br />
gilt er nach §550 S.1 BGB als auf unbestimmte<br />
Zeit geschlossen. Gekündigt werden kann der Vertrag dann<br />
grundsätzlich jederzeit zum Ablauf des jeweils nächsten<br />
Quartals gemäß §580a Abs.2 BGB.<br />
Auf die Frage, welche praktischen Anforderungen sich aus<br />
dem Schriftformerfordernis im Einzelnen ergeben, soll hier<br />
nicht näher eingegangen werden (dazu statt vieler Disput,<br />
ZMR 2010, 827, m.w.N.). In der Praxis ist bekannt, dass einige<br />
formale Hürden zu überwinden sind, um z.B. einen bestehenden<br />
langfristigen Mietvertrag zu ändern oder zu übertragen.<br />
Nur wenn sich die Einigung der Parteien über alle wesentlichen<br />
Teile der Vereinbarung aus einer von beiden unterzeichneten<br />
Urkunde ergibt, gelten diese Anforderungen als<br />
gewahrt (hierzu z.B. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW<br />
2008, 2181).<br />
Ist klar, dass ein Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform<br />
vorliegt, hilft kaum etwas. Das OLG Düsseldorf hat in seinem<br />
Urt.v.23.1.2012–I-10U66/11festgestellt,dasssichdieParteien<br />
eines formunwirksamen Mietvertrags nicht dadurch ihrer<br />
Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung begeben,<br />
weil sie den pflichtwidrigen Zustand vorher über längere Zeit<br />
hingenommen haben. <strong>Die</strong> Kündigungsmöglichkeit bleibt<br />
bestehen, und sie ist auch nach langer Zeit nicht etwa als venire<br />
contra factum proprium anzusehen. Kommt es zu einer<br />
Kündigung wegen Verletzung der Formerfordernisse, bleibt<br />
der anderen Partei also die Berufung auf einen Verstoß gegen<br />
§242 BGB (Treu und Glauben)verwehrt.<br />
Allerdings stellt das OLG unter Verweis auf einige BGH-Entscheidungen<br />
(u.a. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW 2008,<br />
2181; v. 25.7.2007 – XII ZR 143/05, NJW 2007, 3202) klar, dass<br />
dieser Einwand in Ausnahmefällen, etwa bei der schuldhaften<br />
Vereitelung der Einhaltung der Schriftform oder sonst<br />
einem besonders schweren Treuepflichtverstoß, ausnahmsweise<br />
doch greifen kann. Darüber hinaus ist es auch treuwidrig,<br />
nach Vertragsschluss eine ergänzende Abrede zu treffen,<br />
die nicht die schriftliche Form wahrt, nur um diese dann zum<br />
Anlass nehmen zu können, sich von einem lästig gewordenen<br />
Mietvertrag zu lösen (BGH v. 19.9.2007 – XII ZR 198/05,<br />
NJW 2008, 365). Dass auch eine salvatorische Klausel in diesem<br />
Fall einer ordentlichen Kündigung aufgrund der gesetzlich<br />
vorgesehenen Möglichkeit des §550 S.1 BGB nicht weiterhilft,<br />
ist verständlich.<br />
7/2012 R91<br />
Schadensersatz bei Wegfall von Steuervorteilen<br />
<strong>Die</strong> höchstrichterliche Rechtsprechung geht eher restriktiv<br />
mit der Anerkennung von steuerlichen Vorteilen um, die<br />
einem Geschädigten entgangen sind (vgl. BGH v. 16.6.2008<br />
– VII ZR 215/06, NJW 2008, 2773; dazu auch Langheim/Stänzel,<br />
BB 2008, 2373). <strong>Die</strong> BGH-Rechtsprechung beruht auf der<br />
Vermutung, dass sich in solchen Fällen die Verlustzuweisungen,<br />
die das zu versteuernde Einkommen senken, und die<br />
Schadensersatzleistung, die das zu versteuernde Einkommen<br />
erhöhen, ungefähr entsprechen und man daher unter<br />
Billigkeitsgesichtspunkten eine konkrete Berechnung nicht<br />
vornehmen muss. Mit Urt. v. 23.1.2012 – 23 U 114/10 hat nun<br />
das OLG Frankfurt a.M. in Kenntnis der bisherigen BGH-<br />
Rechtsprechung zu dieser Thematik einen Ausnahmefall<br />
entschieden: Hier stand der seinerzeit in eine <strong>GmbH</strong>& Co.<br />
KG geleisteten Einlage eine erheblich darüber liegende anfängliche<br />
Verlustzuweisung gegenüber.<br />
<strong>Die</strong>se Konstellation war nach Ansicht des OLG dem Fall vergleichbar,<br />
den auch die BGH-Rechtsprechung als außergewöhnlichen<br />
Vorteil anerkennt: <strong>Die</strong> Vermutung des BGH, dass<br />
sich Steuerschaden und Schadensersatz entsprechen, soll<br />
dann nicht mehr gelten, wenn dieVerlustzuweisungenbezogen<br />
auf den Anlagenbetrag die 100%-Grenze überschreiten.<br />
Dann soll nach Ansicht des BGH stattdessen doch wieder<br />
eine konkrete Berechnung möglich sein.<br />
Geschädigte sind vor dem Hintergrund dieses Urteils gut beraten,<br />
„ihren“ Fall noch einmal genau schadensrechtlich zu<br />
prüfen.<br />
Beteiligung von Private Equity-Investoren an<br />
Familienunternehmen und Corporate<br />
Governance<br />
In der Reihe Family Business ist, hrsg. von Prof. Dr. Sabine B.<br />
Klein u.a., ein interessantes Buch erschienen, das für im Midcap-Bereich<br />
tätige Finanzinvestoren aber auch gerade für Familienunternehmer,<br />
die mit dem Gedanken an die Veräußerung<br />
ihres Unternehmens oder der Beteiligung eines Finanzinvestors<br />
spielen, sehr zu Lektüre empfohlen sei (Dr. Markus<br />
Hehn, Auswirkungen der Beteiligung von Private Equity Gesellschaften<br />
auf die Governance von Familienunternehmen<br />
in Deutschland, EUL Verlag, 2011).<br />
Dr. Markus Hehn analysiert die Auswirkungen, die die Beteiligung<br />
eines Finanzinvestors auf das Kontroll- oder Aufsichtsgremium<br />
des Unternehmens nach sich ziehen kann. Funktion<br />
und Zusammensetzung des Beirats ändern sich durch<br />
den Beitritt eines Finanzinvestors erheblich; grundsätzlich<br />
konnte ein Übergang von der Stewardship Theory zur Principal-Agency-Theorie<br />
festgestellt werden. Es erfolgt ein Wechsel<br />
von einem eher vertrauensbasierten Beratungsgremium<br />
zu einem auch Konflikte nicht scheuendem Kontrollorgan.<br />
<strong>Die</strong> Hintergründe dieser Veränderung und deren Konsequenzen<br />
werden in dem Buch anschaulich dargestellt und<br />
analysiert.
Besonders hervorgehoben seien die Fallstudien, die insbesondere<br />
jedem Familienunternehmer, der sich mit Überlegungen<br />
zur Veräußerung trägt, zu Lektüre empfohlen sind.<br />
Das Buch schließt mit einer Liste von Handlungsempfehlungen<br />
an Familienunternehmer, Beiratsmitglieder und Finanzinvestoren.<br />
<strong>Die</strong> dort genannten Punkte sollten zum Handwerkszeug<br />
eines jeden gehören, der mit so einem Projekt befasst<br />
ist. Würden diese Punkte in der Praxis stets genügend beachtet,<br />
könnten viele Missverständnisse und Unterbrechungen<br />
in den Veräußerungsprozessen verhindert werden.<br />
Steuer- & Bilanzrecht<br />
Redaktion <strong>GmbH</strong>-<strong>Rundschau</strong>, Köln<br />
Referentenentwurf eines<br />
Jahressteuergesetzes 2013<br />
Das BMF hat den Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes<br />
2013 (JStG 2013) v. 5.3.2012 veröffentlicht. Wie üblich<br />
handelt es sich um ein „Omnibusgesetz“ mit einer Vielzahl<br />
nicht oder nur sehr lose zusammenhängender Regelungen.<br />
Der Kabinettsbeschluss zum JStG 2013 ist für den 25.4.2012<br />
vorgesehen. Aus der Fülle der Themen sind im Folgenden<br />
diese herauszustellen:<br />
1. Schaffung eines EU-Amtshilfegesetzes (EUAHiG) und damit<br />
Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie zum Austausch<br />
von „voraussichtlich erheblichen“ Informationen in Steuersachen<br />
zwischen den Mitgliedstaaten.<br />
2. Anpassung steuergesetzlicher Regelungen an die neu gefasste<br />
sog. Mutter-Tochter-Richtlinie v. 30.11.2011 durch Änderung<br />
von §43b EStG, Anlage 2 zum EStG, §8b Abs.9<br />
und §34 Abs.7 KStG sowie §9 Nr.4 GewStG.<br />
3. Änderung des Umsatzsteuergesetzes in §3a Abs.2 u. 3<br />
UStG (Ort der sonstigen Leistung), §4 UStG (Schul- und Bildungsleistungen/Veranstaltungen),<br />
§13b UStG ausländischer<br />
Unternehmer) sowie §§14, 14a UStG (Rechnungsstellungsvorschriften),<br />
§15 UStG (Vorsteuer aus innergemeinschaftlichem<br />
Erwerb), mitunter zur fristgerechten Umsetzung<br />
diesbezüglicher Änderungen der MWStSystRL.<br />
4. Änderung des Außensteuergesetzes zur Aufnahme des<br />
„Authorized OECD Approach“ in §1 Abs.5 AStG n.F. sowie<br />
zur klarstellenden Einbeziehung auch von Sachverhalten<br />
unter Beteiligung von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften<br />
(§1 Abs.1 S. 2 AStG n.F.).<br />
5. Nachteilsausgleich bei privater Nutzung betrieblicher<br />
Elektrofahrzeuge im EStG („Regierungsprogramm Elektromobilität“).<br />
6. Verfahrensvereinfachung für Arbeitnehmer und Verwaltung<br />
durch Einführung einer Antragsmöglichkeit, im Lohnsteuerabzugsverfahren<br />
zu berücksichtigende Freibeträge auf<br />
zwei Jahre zu verlängern.<br />
7/2012 R92<br />
Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei der<br />
Körperschaftsteuer<br />
Der BFH hat in seinem Beschl. v. 15.2.2012 – I B 97/11 über<br />
eine Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Steuerpflicht<br />
von Erstattungszinsen gemäß §233a AO im Rahmen<br />
der Körperschaftsteuer entschieden. Das Finanzamt setzte<br />
gegenüber der Klägerin, einer <strong>GmbH</strong>, für die Streitjahre (2002<br />
und 2004) Nachforderungs- und Aussetzungszinsen gemäß<br />
§§233a, 237 AO i.H.v. 72.098 a (2002) und 70.612,44a (2004)<br />
fest und rechnete die Zinsen als nicht abziehbare Aufwendungen<br />
gemäß §10 Nr.2 KStG 2002 dem Einkommen der<br />
Klägerin wieder hinzu. Nach den Erläuterungen der Klägerin<br />
im Klageverfahren betreffen die Zinsen im Wesentlichen die<br />
Körperschaftsteueransprüche 1981 bis 1986. Für das Streitjahr<br />
2002 ergaben sich zudem Erstattungszinsen i.H.v.<br />
3.590,49 a, die nach Ansicht des Finanzamts gleichfalls das<br />
Einkommen der Klägerin erhöhen. Einspruch, Klage und<br />
Nichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Der BFH<br />
ließ die Revision nicht zu. Nachzahlungs- und Aussetzungszinsengehörtennach§10Nr.2KStG2002zudennichtabziehbaren<br />
Aufwendungen und minderten deshalb auch<br />
nicht die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Zinsen<br />
auf erstattete Körperschaftsteuerzahlungen (sog. Erstattungszinsen)<br />
erhöhten das Einkommen der Kapitalgesellschaften.<br />
<strong>Die</strong> geänderte Rechtsprechung des BFH (BFH v.<br />
15.6.2010 – VIII R 33/07, BStBl. II 2011, 503), nach der –für die<br />
Rechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2010 v. 8.12.2010 (BGBl.<br />
I 2010, 1768)– auf die Festsetzung von Einkommensteuer<br />
entfallende Erstattungszinsen nicht der Einkommensteuer<br />
unterlägen, sei auf die Einkommensermittlung von Kapitalgesellschaften,<br />
die über keine außerbetriebliche Sphäre verfügten,<br />
nicht übertragbar.<br />
Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung im<br />
Ganzen nach dem EuGH-Urteil „Schriever“<br />
Nach §1 Abs.1a S.1 UStG unterliegen die Umsätze im Rahmen<br />
einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer<br />
für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer.<br />
Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen<br />
oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert<br />
geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich<br />
übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§1<br />
Abs.1a S.2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an die<br />
Stelle des Veräußerers (§1 Abs.1a S.3 UStG). Der EuGH hat<br />
im Urt. v. 10.11.2011 – Rs.C-444/10 – Schriever entschieden,<br />
die unionsrechtliche Regelung, die §1 Abs.1a UStG zugrunde<br />
liege, enthalte folgende Vorgaben: Art.5 Abs.8 der Sechsten<br />
Richtlinie sei dahin auszulegen, dass die Übereignung<br />
des Warenbestands und der Geschäftsausstattung eines<br />
Einzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung des<br />
Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, allerdings<br />
aufgrund eines von beidenParteienkurzfristigkündbaren<br />
Vertrags, eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens<br />
im Sinne dieser Bestimmung darstelle, sofern die<br />
übertragenen Sachen hinreichten, damit der Erwerber eine<br />
Fortsetzung auf Seite R93<br />
�
103. Jahrgang<br />
<strong>Heft</strong> 7/2012<br />
Seite 365<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M. *<br />
<strong>Die</strong>persönlicheHaftungder<strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der<br />
Geschäftsführung an Personen, die nicht Geschäftsführer sein können<br />
– Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G –<br />
§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G, eingeführt durch das MoMiG, begründet<br />
einen Fall der persönlichen Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter.<br />
<strong>Die</strong> Gesellschafter haften gegenüber der Gesellschaft,<br />
wenn sie einer Person, die nicht Geschäftsführer<br />
sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen. <strong>Die</strong>ser<br />
Beitrag geht Sinn und Zweck dieser Haftung nach, untersucht<br />
die Voraussetzungen der Haftung und bestimmt<br />
denderGesellschaftzuersetzendenSchaden.<br />
I. <strong>Die</strong> Ausgangslage<br />
§ 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G enthält eine Liste von gesetzlichen<br />
Ausschlussgründen, die dazu führen, dass derjenige, in<br />
dessen Person die Voraussetzungen gegeben sind, nicht<br />
zum Geschäftsführer bestellt werdenkann.ZudiesenAusschlussgründen<br />
gehört etwa, dass die Person wegen Insolvenzverschleppung<br />
oder wegen einer in den §§ 283 – 283d<br />
StGB geregelten Insolvenzstraftaten verurteilt worden ist.<br />
Liegt ein solcher Ausschlussgrund vor, ist die Person „inhabil“,<br />
so ist die Bestellung unwirksam.<br />
* Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.SchneideristDirektor des Instituts für<br />
deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens<br />
an der Universität Mainz; Dr. Sven H. Schneider, LL.M.<br />
ist Rechtsanwalt und Partner von HengelerMueller, Rechtsanwälte,<br />
Frankfurt a. M.<br />
1 Tritt der Ausschlussgrund<br />
erst nachträglich ein, so verliert der Geschäftsführer<br />
zu diesem Zeitpunkt automatisch sein Amt.<br />
1 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR<br />
292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R 1991, 358; OLG Düsseldorf<br />
v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 114; KG Berlin v.<br />
19.10.2011 – 25 W 35/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 91; Altmeppen in Roth/<br />
Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben in<br />
Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Goette,DStR<br />
1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).<br />
2<br />
son, die inhabil ist; soll heißen, bei der ein gesetzlicher<br />
Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G besteht. Ihr ist<br />
die Führung der Geschäfte überlassen. Im Blick hierauf<br />
war bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von<br />
Werkunternehmenansprüchen und zur verbesserten<br />
Durchsetzung von Forderungen (FoSiG) v. 2.2.2006<br />
In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Verbot in unterschiedlicher<br />
Weise umgangen wird. So werden Geschäftsführer<br />
bestellt, bei denen zwar ein solcher Ausschlussgrund<br />
nicht besteht. Sie treten im Außenverhältnis aber nur<br />
als Strohmann auf. Im Hintergrund aber handelt eine Per-<br />
2 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R<br />
1991, 358; OLG Düsseldorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R<br />
1994, 114; OLG München v. 3.3.2011 – 31 Wx 51/11, <strong>GmbH</strong>R<br />
2011, 430; Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />
2012, § 6 Rz. 23.<br />
3 eine<br />
Binnenhaftung der Gesellschafter vorgesehen. Vorgesehen<br />
war eine persönliche Haftung der Gesellschafter, die eine<br />
inhabile Person zum Geschäftsführer bestellen oder sie<br />
nicht abberufen oder ihr tatsächlich die Führung der Geschäfte<br />
überlassen. Der Vorschlag wurde zunächst nicht<br />
Gesetz.<br />
Im Regierungsentwurf des MoMiG v. 25.7.2007<br />
3 BT-Drucks. 16/511.<br />
4 wurde<br />
der Vorschlag wieder aufgenommen, aber mit der Begründung,<br />
hierdurch würde die Gesetzessystematik durchbrochen,<br />
verworfen. <strong>Die</strong> Gesellschafter seien grundsätzlich<br />
nicht für einen Schaden verantwortlich, den sie innerhalb<br />
der Grenzen der Kapitalerhaltungsregeln und nach § 826<br />
BGB der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zufügen.<br />
Eine weitergehende Haftung der Gesellschafter sei nicht<br />
effektiv. Der Bundesrat betonte dagegen in seiner Stellungnahme<br />
zum Regierungsentwurf<br />
4 BT-Drucks. 16/6140.<br />
5 die Notwendigkeit dieser<br />
Haftungsnorm; denn es gelte eine Umgehung der Ausschlusstatbestände<br />
durch die Einschaltung eines Strohmannes<br />
zu verhindern.<br />
Auf diese Weise wurde § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G und damit die<br />
persönliche Haftung der Gesellschafter zum Gesetz. Allerdings<br />
wurde der Wortlaut der Vorschrift im Vergleich zu<br />
dem ursprünglichen Vorschlag im FoSiG gestrafft. Und als<br />
Ziel der Vorschrift wird erläutert, es gelte missbräuchliche<br />
<strong>GmbH</strong>-Bestattungen zu verhindern bzw. zu sanktionieren.<br />
II. <strong>Die</strong> Regel<br />
<strong>Die</strong> allgemeine Regel lautet: <strong>Die</strong> Gesellschafter haften gegenüber<br />
den Gläubigern der Gesellschaft nicht für die Verbindlichkeiten<br />
der Gesellschaft. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften<br />
auch nicht gegenüber der Gesellschaft für Weisungen an<br />
die Geschäftsführer, die sich als fehlerhaft erweisen und<br />
5 BT-Drucks. 16/6140, S. 61.
ei der Gesellschaft zu Schaden führen. 6 Den Gesellschaftern<br />
obliegt ferner weder gegenüber der Gesellschaft noch<br />
gegenüber Dritten die Pflicht, Geschäftsführer zu bestellen.<br />
Wenn sie aber Geschäftsführer bestellen, so obliegt ihnen<br />
keine Pflicht zuverlässige und geeignete Geschäftsführer<br />
zu bestellen. Sie sind endlich nicht verpflichtet, ungeeignete<br />
Geschäftsführer abzuberufen.<br />
<strong>Die</strong>s hat auch Folgen für die Haftung: <strong>Die</strong> Gesellschafter<br />
haften nicht, wenn sie einen unzuverlässigen und / oder<br />
fachlich nicht geeigneten Geschäftsführer bestellen, dieser<br />
seine Leitungspflichten verletzt und hierdurch der Gesellschaft<br />
oder Dritten Schaden entsteht. Sie haften ferner<br />
nicht, wenn sie einen unzuverlässigen oder ungeeigneten<br />
Geschäftsführer nicht abberufen und der betreffende Geschäftsführer<br />
Schaden verursacht. <strong>Die</strong> Grenze bildet § 826<br />
BGB. So lautet jedenfalls die allgemeine Regel.<br />
III. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G – ein eigenständiger<br />
Haftungstatbestand<br />
<strong>Die</strong>ser allgemeine Grundsatz wird sowohl in der Außenhaftung<br />
etwa durch die Durchgriffshaftung7 undinderInnenhaftung<br />
etwa durch die Haftung aus Existenzvernich-<br />
tung 8<br />
durchbrochen. Der Grundsatz der Haftungstrennung<br />
im Innenverhältnis wird auch durch § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G<br />
eingeschränkt. <strong>Die</strong> Vorschrift begründet einen eigenen<br />
Haftungstatbestand allerdings nur im Verhältnis zur Ge-<br />
sellschaft. 9<br />
6 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278 = <strong>GmbH</strong>R<br />
1960, 43 u. 63 m. Anm. Pleyer; v. 15.10.1973 – II ZR 149/71,<br />
BGHZ 61, 338 = <strong>GmbH</strong>R 1974, 132 (LS); Uwe H. Schneider in<br />
Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 119, m.w.N.<br />
7 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 13<br />
Rz. 11, m.w.N.<br />
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />
366 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />
Vorgesehen ist somit ein Fall der Innenhaf-<br />
tung der Gesellschafter. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G ergänzt damit<br />
§ 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G, nämlich einen Fall der Innenhaftung<br />
der Geschäftsführer. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet aber<br />
keine Außenhaftung, also keine Haftung im Verhältnis zu<br />
Dritten. <strong>Die</strong> Innenhaftung dient jedoch nicht zuvörderst<br />
dem allgemeinen Schutz des Vermögens der <strong>GmbH</strong>. 10 Es<br />
geht nicht um eine Haftung für „geschäftliche Fehlentscheidungen“.<br />
Sie hat vielmehr vor allem gläubigerschützende<br />
Wirkung. 11 Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinteressen<br />
stärkende Haftung der Gesellschafter“<br />
12 aufgrund eines Auswahlverschuldens.<br />
<strong>Die</strong>se Zweckrichtung hat höchst praktische Bedeutung,<br />
nämlich, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, bei<br />
rechtmäßigen Weisungen der Gesellschafter und bei Verletzung<br />
von Loyalitätspflichten durch den inhabilen Geschäftsführer.<br />
<strong>Die</strong> Haftung ist nicht subsidiär. Haftet zugleich der inhabile<br />
faktische Geschäftsführer, sotrittdieHaftungderGesellschafter<br />
nicht hinter der Haftung der Geschäftsführer<br />
zurück.<br />
8 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, BGHZ 173, 246 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 927 m. Komm. Schröder; Lutter in Lutter/Hom-<br />
melhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 13 Rz. 28, 32, m.w.N.<br />
9 Dafür schon Hirte, ZInsO 2003, 833 (838); Haas, <strong>GmbH</strong>R 2006,<br />
729 (734); Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />
2012, § 6 Rz. 28; Pfisterer in Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011,<br />
§ 6 Rz. 29; dagegen Drygala, ZIP 2005, 423 (430).<br />
10 So aber wohl Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl.<br />
2012, § 6 Rz. 30.<br />
11 BR-Drucks. 354/07, S. 10.<br />
12 BR-Drucks. 354/07, S. 10.<br />
IV. Haftende Gesellschafter<br />
1. Haftung der Gesellschafter<br />
Voraussetzung für eine Haftung ist, dass die Gesellschafter<br />
einer inhabilen Person die Führung der Geschäfte überlassen.<br />
Haftende Gesellschafter können natürliche Personen sein,<br />
Mehrheitsgesellschafter, Minderheitsgesellschafter13 unabhängig<br />
von der Höhe der Beteiligung, konzernfreie Gesellschafter<br />
oder Konzernunternehmen. Jeder Gesellschafter<br />
kann somit in die Haftung geraten. Voraussetzung ist<br />
nur, dass der Gesellschafter an der Überlassung der Geschäftsführung<br />
aktiv mitwirkt oder ein Einschreiten in<br />
Kenntnis der Amtsunfähigkeit und der Geschäftsführung<br />
unterlassen hat.<br />
Schadensersatzpflichtig können auch Mitglieder des Aufsichtsrats<br />
sein. 14 Sie haften nach § 52 <strong>GmbH</strong>G i.V.m. § 116<br />
AktG. <strong>Die</strong>se Haftung kann jedoch bei der <strong>GmbH</strong> durch die<br />
Satzung begrenzt werden. Dann gewinnt die Analogie zu<br />
§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G praktische Bedeutung; denn vom<br />
Wortlaut des § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G ist eine Haftung der Mitglieder<br />
eines Aufsichtsrats nicht gedeckt. Eine analoge<br />
Anwendung ist jedoch gerechtfertigt, wenn der Aufsichtsrat<br />
für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist und<br />
er seinerseits die Führung der Geschäfte dem inhabilen Geschäftsführer<br />
überlässt. Davon geht auch die Regierungsbegründung<br />
zum MoMiG15 aus. Dort heißt es, die Aufsichtsratsmitglieder<br />
verletzten bei der Bestellung oder<br />
durch Gewährenlassen der Geschäftsführung einer amtsunfähigen<br />
Person ihre Pflichten und haften auf Schadenersatz.<br />
<strong>Die</strong>s gelte gemäß § 52 <strong>GmbH</strong>G auch für die <strong>GmbH</strong>.<br />
2. Haftung des herrschenden Unternehmens<br />
Zweifelhaft ist die Haftung des „Gesellschafters des Gesellschafters“,<br />
also die Haftung des nur mittelbar beteiligten<br />
Gesellschafters, zumal des herrschenden Unternehmens<br />
bei Abhängigkeit und im Konzern. An der Bestellung<br />
eines inhabilen Geschäftsführers wirkt der mittelbar<br />
beteiligte Geschäftsführer nicht mit; denn er hat in der Gesellschafterversammlung<br />
kein Stimmrecht. Liegt aber der<br />
Haftungsgrund nicht in der Mitwirkung der Bestellung<br />
sondern in der Überlassung der Geschäftsführung, so<br />
spricht dies für eine Haftung auch des mittelbar beteiligten<br />
Gesellschafters. Das ist auch die herrschende Meinung. 16<br />
Offen beleibt dabei, ob für eine solche Haftung eine<br />
Zwergbeteiligung ausreicht.<br />
Führt man sich nochmals vor Augen, dass ein Gesellschafter<br />
nur haftet, wenn er auf die Überlassung der Geschäfte<br />
13 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />
Rz. 30; Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 21; a.A.<br />
Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band<br />
MoMiG, 2010, § 6 Rz. 19.<br />
14 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />
Rz. 34; Wicke, <strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.2011,§6Rz.22;Oetker in<br />
Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 64;<br />
Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 54; a.A. Paefgen<br />
in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band MoMiG,<br />
2010, § 6 Rz. 22; Tebben in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010,<br />
§6Rz.99.<br />
15 Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33.<br />
16 Ebenso Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 53;<br />
Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band Mo-<br />
MiG, 2010, § 6 Rz. 21; Wicke, <strong>GmbH</strong>G, 2.Aufl. 2011, § 6<br />
Rz. 22.
Einfluss nehmen kann, so spricht dies dafür, dass auch der<br />
mittelbar beteiligte Gesellschafter nur haftet, wenn er über<br />
eine entsprechende Beteiligung und den damit begründeten<br />
Einfluss verfügt. Das gilt jedenfalls bei bestehender<br />
Abhängigkeit und im Konzern. Im Konzern bedeutet dies,<br />
dass nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G eine fehlerhafte konzernweite<br />
Personalpolitik zur Haftung des mittelbar beteiligten<br />
herrschenden Unternehmens führen kann.<br />
V. Führung der Geschäfte<br />
1. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G knüpft den Anspruch auf Schadensersatz<br />
nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäftsführers.<br />
Sie ist ohnehin unwirksam. 17 Das allein genügt<br />
nicht. Ein Anspruch auf Schadensersatz der Gesellschaft<br />
entsteht vielmehr, wenn die Gesellschafter dem inhabilen<br />
Geschäftsführer die Führung der Geschäfte überlassen.<br />
Der Begriff „Überlassung der Führung der Geschäfte“ ist<br />
dabei weit auszulegen. <strong>Die</strong> Überlassung kann durch positives<br />
Tun oder durch Unterlassen erfolgen. In Betracht<br />
kommt die Mitwirkung des Gesellschafters an dem Beschluss<br />
zur Bestellung des inhabilen Geschäftsführers. Allerdings<br />
haftet in diesem Fall nur der Gesellschafter, der<br />
der Bestellung zugestimmt hat. Er haftet nicht, wenn er an<br />
dem Beschluss nicht mitgewirkt, nicht zugestimmt oder<br />
widersprochen hat. 18<br />
An der Überlassung mitgewirkt hat aber auch ein Gesellschafter,<br />
der zwar der Bestellung widersprochen hat, der<br />
aber in der Folge unter Vernachlässigung seiner Minderheitenrechte<br />
und seines tatsächlichen Einflusses nicht alles<br />
unternommen hat, z.B. durch Einberufung der Gesellschafterversammlung,<br />
um die Unternehmensleitung durch<br />
den inhabilen Geschäftsführer zu verhindern. Auch der<br />
gleichgültige Gesellschafter verletzt somit seine Pflichten<br />
durch Unterlassen, wenn die anderen Gesellschafter einen<br />
inhabilen Geschäftsführer einsetzen, 19 er aber nicht alles<br />
Notwendige unternimmt, um ein Tätigwerden des inhabilen<br />
Geschäftsführers zu verhindern. Es fehlt nicht nur am<br />
Verschulden. 20 Dem erfolglosen Minderheitsgesellschafter,<br />
der alles unternommen hat, um die Geschäftsführung<br />
durch den inhabilen Dritten zu verhindern, werden aber die<br />
schadensstiftenden Maßnahmen nicht zugerechnet. Er haftet<br />
nicht.<br />
2. <strong>Die</strong> Überlassung der Geschäftsführung verlangt keinen<br />
formalen Bestellungsakt. 21 Daher ist auch nicht erforder-<br />
17 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR<br />
292/90, BGHZ 115, 78 (80) = <strong>GmbH</strong>R 1991, 358; OLG Düsseldorf<br />
v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 114; KG Berlin v.<br />
19.10.2011 – 25 W 35/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 91; Altmeppen in Roth/<br />
Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben in Michalski,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Pfisterer in<br />
Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 17; Goette, DStR<br />
1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).<br />
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 367<br />
Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />
18 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />
Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 20; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />
7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 30; Römermann in Römermann/<br />
Wachter, <strong>GmbH</strong>-Beratung nach dem MoMiG, Sonderheft der<br />
<strong>GmbH</strong>R 2008, S. 62 (69).<br />
19 Ähnlich Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 53.<br />
20 So Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 21.<br />
21 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§6Rz.19;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />
Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 28; Kleindiek in Lutter/Hommelhof,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 48; Oetker in Henssler/<br />
Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 61; Goette in<br />
lich, dass die inhabile Person als Geschäftsführer eingetragen<br />
ist oder als Geschäftsführer bezeichnet wird. Entscheidend<br />
ist vielmehr, dass der inhabilen Person tatsächlich<br />
Leitungsaufgaben übertragen, überlassen sind oder deren<br />
Wahrnehmung geduldet wird. 22<br />
– Möglich ist daher, dass die Gesellschafter eine inhabile<br />
Person mit der Leitung beauftragen und dass diese Person<br />
über die Maßnahmen entscheidet, sie umsetzt und<br />
im Außenverhältnis auftritt (1. Fallgruppe).<br />
– Es genügt auch, dass die Gesellschafter die inhabile Person<br />
als Strohmann-Geschäftsführer bestellen und zur<br />
Ausführung von Maßnahmen benutzen und sie ihrerseits<br />
aber die Unternehmensleitung aus dem Hintergrund<br />
steuern (2. Fallgruppe).<br />
– Möglich ist, dass die amtsunfähige Person, z.B. der<br />
Mehrheitsgesellschafter, mit Billigung der Mitgesellschafter<br />
über die Maßnahmen der Geschäftsführung entscheidet,<br />
diese aber durch einen amtsfähigen Geschäftsführer<br />
umgesetzt werden (3. Fallgruppe). 23<br />
– Und es haften die Gesellschafter, die einen Geschäftsführer,<br />
der inhabil geworden ist, und der deshalb sein<br />
Amt verloren hat, nicht an der weiteren Ausübung der<br />
Geschäftstätigkeit hindern (4. Fallgruppe).<br />
<strong>Die</strong> Person, der die Geschäfte überlassen werden, muss<br />
demnach nicht im Außenverhältnis auftreten. Ihr muss keine<br />
rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt sein. Organschaftliche<br />
Vertretungsmacht hat der inhabile Dritte ohnehin<br />
nicht; denn eine Bestellung wäre unwirksam. Ist die inhabile<br />
Person weisungsabhängiger leitender Angestellter, so<br />
sind ihr aber keine Geschäfte übertragen; denn verlangt ist<br />
eine gewisse Selbständigkeit in der Entscheidungsbefugnis.<br />
Tritt die Amtsunfähigkeit erst nach der Übertragung der<br />
Geschäfte ein, so verliert ein bestellter Geschäftsführer automatisch<br />
seine Organstellung. Unabhängig davon müssen<br />
die Gesellschafter nach Eintritt der Amtsunfähigkeit einschreiten,<br />
um eine weitere tatsächliche Geschäftsführung<br />
zu verhindern. 24<br />
3. Kein Überlassen der Geschäftsführung liegt vor, wenn<br />
die Gesellschafter keinen Geschäftsführer bestellen und<br />
sie auch sonst niemandem die Führung der Geschäfte übertragen,<br />
also die Dinge hängen lassen. Entsprechend liegt<br />
kein Überlassen der Geschäftsführung vor, wenn die Gesellschafter<br />
einen Geschäftsführer abberufen, ohne einen<br />
neuen Geschäftsführer zu bestellen, und sie auch sonst die<br />
Geschäftsführung keinem Dritten überlassen. Das Fehlen<br />
von Bestellungspflichten mit der Folge einer führungslosen<br />
Gesellschaft mag zwar der gesetzlichen Intention widersprechen.<br />
Das begründet aber keinen Haftungstatbestand.<br />
Kein Überlassen liegt ferner vor, wenn ein krimineller<br />
Gesellschafter selbst die Geschäfte der Gesellschaft<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 51; Tebben in Michalski,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 100; Pfisterer in Saenger/Inhester,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 30.<br />
22 Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6<br />
Rz. 28.<br />
23 Ebenso Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 19; Altmeppen<br />
in Roth/Altmeppen, 7. Aufl 2012, § 6 Rz. 28; Pfisterer<br />
in Saenger/Inhester, <strong>GmbH</strong>G, 2011, § 6 Rz. 30; a.A. Tebben in<br />
Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 101.<br />
24 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />
Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 18.
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />
368 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />
führt oder steuert, die Geschäftsführung ihm aber nicht von<br />
den Gesellschaftern in ihrer Gesamtheit überlassen ist. 25<br />
Zweifelhaft ist nur der Fall, in dem ein inhabiler Alleingesellschafter<br />
die Geschäfte führt und er zu diesem Zweck<br />
einen amtsfähigen Geschäftsführer für die Vertretung im<br />
Außenverhältnis bestellt hat. Der Gesetzeszweck spricht<br />
für seine Haftung.<br />
VI. Überlassung an inhabile Personen<br />
1. Inhabile Personen<br />
a) Überlassen sein muss die Geschäftsführung Personen,<br />
die aus gesetzlichen Gründen, die in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G<br />
aufgelistet sind, nicht Geschäftsführer sein können. Fehlen<br />
dem Geschäftsführer die statutarischen oder die aufsichtsrechtlichen<br />
Eignungsvoraussetzungen, z.B. nach § 33<br />
KWG oder § 7a VAG, greift § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G nicht. 26<br />
Nach dem Wortlaut ist dies zwar zweifelhaft; denn eine<br />
solche Begrenzung fehlt im Text. Sie ergibt sich aber durch<br />
einschränkende Auslegung nach dem Sinn und Zweck der<br />
Vorschrift. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G soll nur greifen, um die organisationsrechtlichen<br />
Ausschlussgründe durchzusetzen.<br />
Sinn und Zweck der Haftung nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G besteht<br />
nicht darin, die satzungsmäßigen Bestellungsvoraussetzungen<br />
zu verwirklichen.<br />
b) Streitig ist, ob die gesetzlichen Ausschlussgründe in § 6<br />
Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G abschließend sind und § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G<br />
auf die in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G genannten Gründe abstellt.<br />
Allenfalls der systematische Zusammenhang spricht für<br />
eine abschließende Regelung in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G und<br />
entsprechend in Abs. 5. Weder der Wortlaut von § 6 Abs. 5<br />
<strong>GmbH</strong>G, noch deren Sinn und Zweck, lassen sich aber dafür<br />
anführen. Im Blick hierauf ist auch ein Ausländer, der<br />
keine Aufenthaltsgenehmigung hat, inhabil, vorausgesetzt<br />
man folgt der Ansicht, dass Ausländer, denen eine Aufenthaltsgenehmigung<br />
fehlt, nicht zum Geschäftsführer bestellt<br />
werden können. 27 Wird ihnen gleichwohl die Geschäftstätigkeit<br />
überlassen, so haften die Gesellschafter.<br />
c) Keine Überlassung an eine inhabile Person liegt vor,<br />
wenn der faktische Geschäftsführer aus sonstigen Gründen<br />
ungeeignet ist. Dazu gehören statutarische Gründe, Gründe<br />
aus dem öffentlichen <strong>Die</strong>nstrecht, ein Wettbewerbsverbot<br />
aus einem <strong>Die</strong>nstvertrag mit einem Dritten, usw.<br />
2. Auswahlverschulden<br />
§ 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet für die Gesellschafter eine<br />
Verschuldenshaftung. Sie findet ihren Grund in einer<br />
schuldhaft fehlerhaften Auswahl der Geschäftsführer<br />
(Auswahlverschulden). <strong>Die</strong> Gesellschafter haften gesamtschuldnerisch.<br />
28<br />
Der Gesellschafter haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.<br />
Das bedeutet, dass der Gesellschafter seine<br />
Pflichten bei der Überlassung der Führung der Geschäfte<br />
vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Grob fahrläs-<br />
25 So zutr. Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 633.<br />
26 A.A. wohl Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011,<br />
§ 6 <strong>GmbH</strong>G Rz. 60.<br />
27 Zum Stand der Diskussion Altmeppen in Roth/Altmeppen,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 39 einerseits und Uwe H.<br />
Schneider in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 6 Rz. 19 andererseits.<br />
28 BR-Drucks. 354/07, S. 8: Gesprochen wird dort von „gesamthänderischer<br />
Haftung“. Gemeint ist aber wohl „gesamtschuldnerische<br />
Haftung“.<br />
sig handelt, wer in besonders schwerem Maße gegen die<br />
objektiv erforderliche Sorgfalt verstößt. 29<br />
Damit unterscheidet sich die Haftung nach § 6 Abs. 5<br />
<strong>GmbH</strong>G, die grobe Fahrlässigkeit genügen lässt, von der<br />
Haftung aus Existenzvernichtung, die mindestens bedingten<br />
Vorsatz verlangt.<br />
Das lässt sich an Fallgruppen konkretisieren. Der Gesellschafter<br />
handelt nicht grob fahrlässig, wenn er nicht bei jeder<br />
Bestellung oder Wiederbestellung nachprüft, ob die<br />
Voraussetzungen für einen Ausschlussgrund vorliegen. Er<br />
handelt nur dann grob fahrlässig, wenn Anhaltspunkte bestehen,<br />
die die Vermutung aufkommen lassen, es gäbe ein<br />
Ermittlungsverfahren oder es liege eine Vorstraftat vor. In<br />
diesem Fall muss der Gesellschafter nachprüfen, ob die betreffende<br />
Person inhabil ist. 30<br />
VII. Zu ersetzender Schaden<br />
1. Verletzung der Leitungspflichten<br />
<strong>Die</strong> pflichtvergessenen Gesellschafter haften der Gesellschaft<br />
als Gesamtschuldner auf Ersatz des entstandenen<br />
Schadens. Dabei ist aber nicht jeder durch den faktischen<br />
Geschäftsführer verursachte Schaden zu ersetzen, sondern<br />
nur der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass diese<br />
Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten<br />
verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person<br />
hierbei nicht gehandelt haben. 31<br />
Mit der Formulierung „Obliegenheit“ knüpft § 6 Abs. 5<br />
<strong>GmbH</strong>G an die Formulierung in § 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G an.<br />
§ 43 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G meint dabei die Pflichten, die dem<br />
Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft auferlegt<br />
sind. Nun obliegen zwar auch dem faktischen Geschäftsführer<br />
gegenüber der Gesellschaft Pflichten, deren schuldhafte<br />
Verletzung zur Haftung führt. Teilweise wird allerdings<br />
eine Haftung des faktischen Geschäftsführers nur angenommen,<br />
wenn die Person auch im Außenverhältnis<br />
auftritt. Das ist im Rahmen von § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G jedoch<br />
nicht erforderlich. 32 Zu fragen ist vielmehr, ob ein wirksam<br />
bestellter Geschäftsführer seine Pflichten verletzt hätte,<br />
wenn er an Stelle der inhabilen Person die Aufgaben wahrgenommen<br />
hätte. Zu denken ist an das Eingehen hoher Verbindlichkeiten,<br />
die Aufnahme unverhältnismäßig hoher<br />
Kredite, das Eingehen unverantwortbarer Risiken, die sich<br />
später verwirklichen.<br />
2. Kein Ersatz bei Weisungen der Gesellschafter<br />
Mit dem Verweis auf die Pflichtverletzung des Geschäftsführers<br />
verknüpft § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G die Haftung der Gesellschafter<br />
zugleich auch mit den allgemeinen Regeln zur<br />
Haftungsfreistellung des Geschäftsführers. 33 Dazu gehören<br />
insbesondere die Haftungsfreistellung bei rechtmäßi-<br />
29 Grundmann in Münch.Komm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 276<br />
Rz. 94.<br />
30 Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 22.<br />
31 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6<br />
Rz. 61; anders aber in Rz. 54: Haftung nur, wenn auch „entsprechende<br />
Verantwortlichkeit eines (amtsunfähigen) faktischen Geschäftsführers“<br />
besteht; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter,<br />
<strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 25; Altmeppen in<br />
Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, Rz. 33.<br />
32 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />
§6Rz.54.<br />
33 Allgemein dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider,<strong>GmbH</strong>R<br />
2005, 1229 ff.
36 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />
§6Rz.56;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006,<br />
§ 43 Rz. 115.<br />
37 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, BGHZ 149,<br />
10 (16) = <strong>GmbH</strong>R 2001, 1036; v. 25.2.2002 – II ZR 196/00,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2002, 549 m. Komm. Bender.<br />
38 Ebenso zum letzteren Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G,<br />
7. Aufl 2012, § 6 Rz. 33.<br />
Prof.Dr.Dr.h.c.UweH.Schneider/Dr.SvenH.Schneider,LL.M.<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 369<br />
Persönliche Haftung der <strong>GmbH</strong>-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung<br />
gen Weisungen oder einem offenen oder stillschweigenden<br />
Einverständnis der Gesellschafter. Sie führen auch zur<br />
Freistellung des faktischen Geschäftsführers. An den Voraussetzungen<br />
einer Haftung fehlt es, wenn die Gesellschafter<br />
selbst in die Verantwortung gehen. Erteilen die<br />
Gesellschafter dem inhabilen faktischen Geschäftsführer<br />
eine Weisung, so mag zwar zweifelhaft sein, ob eine Folgepflicht<br />
besteht; denn ein solcher Geschäftsführer ist nicht<br />
wirksam bestellt. Führt er aber die Weisung aus, so entfällt<br />
seine Haftung, weil er keine Pflicht verletzt hat. 34 Entsprechend<br />
entfällt die Haftung der Gesellschafter nach § 6<br />
Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G. <strong>Die</strong>s gilt jedoch nicht für Weisungen, die<br />
gläubigerschützende Vorschriften verletzen. Und die Gesellschafter<br />
können nachträglich auch auf Ansprüche der<br />
Gesellschaft wegen schuldhafter Verletzung der Leitungspflichten<br />
verzichten. Das führt dann auch zum Wegfall der<br />
Haftung der Gesellschafter. Das gilt aber nur, wenn dem<br />
nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.<br />
34 Goette in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 55; Kleindiek in<br />
Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 56; a.A.<br />
Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-Band<br />
MoMiG, 2010, § 6 Rz. 25.<br />
35<br />
Dabei genügt für den Weisungsbeschluss eine einfache<br />
Mehrheit der Gesellschafter.<br />
35 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl.<br />
2009, § 6 Rz. 56; Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010,<br />
Rz. 23.<br />
36 Eine Haftungsfreistellung<br />
erfolgt zudem nur, wenn die Weisung rechtmäßig ist. <strong>Die</strong>s<br />
ist nicht der Fall, wenn die angewiesene Maßnahme gegen<br />
Vorschriften zur Kapitalerhaltung oder gegen das Verbot<br />
des existenzvernichtenden Eingriffs37 oder sonstiges zwingendes<br />
Recht verstößt. Und eine Haftungsfreistellung ergibt<br />
sich nicht bei fehlerhafter Ausführung.<br />
3. Verletzung der Loyalitätspflichten<br />
Zu ersetzen sind auch Schäden im weiteren Sinne, d.h.<br />
selbst wenn sie bilanziell nicht abgebildet werden, die auf<br />
einer Verletzung von Loyalitätspflichten beruhen, sofern<br />
sie nur im Zusammenhang mit der Überlassung der Geschäftstätigkeit<br />
stehen. Der Gesellschafter haftet daher<br />
auch für Schäden verursacht durch die Nichtbeachtung des<br />
Wettbewerbsverbots, durch Ansichziehen von Geschäftschancen<br />
und – grob formuliert – durch den Griff des faktischen<br />
Geschäftsführers in die Kasse der Gesellschaft. Er<br />
haftet nur ausnahmsweise nicht für Schäden, die auf der<br />
Verletzung von allgemeinen Sorgfaltspflichten beruhen,<br />
wie etwa die Beschädigung eines PKW bei einem Unfall,<br />
den der faktische Geschäftsführer schuldhaft verursacht<br />
hat. 38<br />
Zum Ersatz des Schadens Dritter sind die Gesellschafter<br />
nur verpflichtet, wenn der Dritte seinerseits gegen die Gesellschaft<br />
Anspruch auf Schadensersatz hat. Bejaht man<br />
ein eigenes Verfolgungsrecht Dritter gegen die Gesellschafter<br />
in entsprechender Anwendung von § 93 Abs. 5<br />
AktG, 39<br />
VIII. Darlegungs- und Beweislast<br />
Wie § 43 <strong>GmbH</strong>G steht § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G für einen besonderen<br />
Fall der Organhaftung. Daraus lässt sich ableiten,<br />
dass die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast, die<br />
für § 43 <strong>GmbH</strong>G gelten, hier entsprechend anzuwenden<br />
sind. Das bedeutet, dass die Gesellschafter die Darlegungsund<br />
Beweislast dafür tragen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten<br />
nachgekommen sind oder sie kein Verschulden trifft<br />
oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten,<br />
also bei pflichtgemäßer Bestellung der Geschäftsführer,<br />
eingetreten wäre.<br />
so kann der Dritte Zahlung an sich verlangen.<br />
40 Dem steht nicht entgegen,<br />
dass zwar der Geschäftsführer über alle Informationen<br />
verfügt, um einen Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens<br />
bei der Unternehmensleitung abzuwehren. Für den Gesellschafter<br />
trifft dies in dieser Weise nicht zu. Er kann sich die<br />
Informationen aber besorgen.<br />
IX. Verjährung<br />
Nicht gesetzlich geregelt ist, zu welchem Zeitpunkt der<br />
Anspruch aus § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G verjährt. Eine Analogie<br />
zu § 43 Abs. 4 <strong>GmbH</strong>G spricht für eine Verjährung des<br />
entsprechenden Anspruchs in fünf Jahren. 41 <strong>Die</strong> Verjährungsfrist<br />
beginnt nicht mit dem Zeitpunkt, zu dem die Geschäftführung<br />
überlassen wurde, sondern zu dem Zeitpunkt,<br />
zudem die Überlassung endet.<br />
X. Erlass<br />
Wegen der gläubigerschützenden Wirkung von § 6 Abs. 5<br />
<strong>GmbH</strong>G können die Gesellschafter nicht von Anfang an<br />
durch die Satzung auf die Haftung der Gesellschafter verzichten.<br />
Sie können aber nachträglich auf den Anspruch<br />
verzichten, soweit dem nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.<br />
XI. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
1. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften weder gegenüber der Gesellschaft<br />
noch gegenüber Dritten, wenn sie keinen oder wenn<br />
sie einen unzuverlässigen und / oder fachlich nicht geeigneten<br />
Geschäftsführer bestellen.<br />
2. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften aber gegenüber der Gesellschaft<br />
nach § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G persönlich, wenn sie einer<br />
Person, die nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung<br />
der Geschäfte überlassen.<br />
3. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G begründet einen Fall der Innenhaftung.<br />
Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinteressen<br />
stärkende Haftung der Gesellschafter“ aufgrund<br />
eines Auswahlverschuldens.<br />
4. In Betracht kommt neben einer Haftung der Gesellschafter<br />
eine Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsrats<br />
und mittelbar beteiligter Gesellschafter, zumal des herrschenden<br />
Unternehmens bei Abhängigkeit und im Konzern.<br />
5. Inhabil sind Personen, die aus gesetzlichen Gründen, die<br />
in § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G aufgelistet sind, nicht Geschäftsfüh-<br />
39 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009,<br />
§6,Rz.59;Schäfer in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 6 Rz. 24.<br />
40 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 6<br />
Rz. 60; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />
Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 28; allgemein Kurzwelly in Krieger/Uwe<br />
H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, S.<br />
337, 340.<br />
41 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§6Rz.24;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, Erg.-<br />
Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 29; Wicke,<strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.2011,<br />
§6Rz.23.
er sein können. § 6 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G enthält aber keine abschließende<br />
Liste der gesetzlichen Ausschlussgründe. So<br />
sind inhabil auch Ausländer, die nicht zur Einreise in die<br />
Bundesrepublik Deutschland befugt sind (str.).<br />
6. § 6 Abs. 5 <strong>GmbH</strong>G knüpft den Anspruch auf Schadensersatz<br />
nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäftsführers.<br />
Entscheidend ist vielmehr, dass dem inhabilen Geschäftsführer<br />
die Führung der Geschäfte überlassen ist.<br />
7. Zu ersetzen ist der Schaden der Gesellschaft, der dadurch<br />
entstanden ist, dass der faktische Geschäftsführer<br />
die ihm gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten<br />
Markus Geißler *<br />
verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person nicht gehandelt<br />
haben.<br />
8. Bei den verletzten Pflichten kann es sich um Leitungspflichten<br />
oder um Loyalitätspflichten handeln.<br />
9. <strong>Die</strong> Gesellschafter haften nicht, wenn sie dem faktischen<br />
Geschäftsführer Weisungen erteilt haben, es sei denn<br />
die Weisungen waren rechtswidrig oder der Schaden ist bei<br />
der Ausführung der Weisungen entstanden.<br />
10. Der Anspruch der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern<br />
verjährt in fünf Jahren.<br />
Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils<br />
und der Insolvenz eines Gesellschafters<br />
<strong>Die</strong> Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil eines<br />
Mitgesellschafters kann für die <strong>GmbH</strong> zu einer ernsthaften<br />
Belastung werden. <strong>Die</strong> hierfür maßgeblichen Gründe sind<br />
daher zunächst zu erläutern, ehe die rechtlichen Stationen<br />
einer zwangsweisen Einziehung des Geschäftsanteils skizziert<br />
werden (III. und IV.). Sodann zeigt der Beitrag die typischen<br />
Rechtsfehler (insbesondere unter dem Aspekt der<br />
Gläubigerbenachteiligung) auf, welche die Nichtigkeit<br />
einer Abfindungsklausel im Gefolge haben. Den Abschluss<br />
bildet der Formulierungsvorschlag einer Einziehungsund<br />
Abfindungsklausel (V.), die dann in ihren wesentlichen<br />
Bausteinen näher erläutert wird (VI.).<br />
I. Einleitung<br />
Der Vollstreckungszugriff auf einen <strong>GmbH</strong>-Anteil, sei es<br />
im Wege der Pfändung oder anlässlich eines Insolvenzverfahrens,<br />
hat in aller Regel auch dessen Verwertung zur Folge.<br />
<strong>Die</strong> verbleibenden Gesellschafter müssen dann gewärtigen,<br />
dass ein außenstehender Dritter in ihr Unternehmen<br />
eindringt. Nicht immer wird ihnen dies willkommen sein.<br />
Denn die Motive, die den neuen Gesellschafter zum Anteilserwerb<br />
veranlassten, müssen keineswegs mit dem unternehmerischen<br />
Konzept der ursprünglichen Gründer korrespondieren.<br />
Und auch rein persönliche Ressentiments<br />
sind hierbei nicht auszuschließen. Insoweit besteht für die<br />
Mitglieder einer <strong>GmbH</strong> sicherlich begründeter Anlass,<br />
sich über die Folgen des unerwarteten Ausscheidens eines<br />
Mitgesellschafters rechtzeitig Gedanken zu machen und<br />
ggf. satzungsmäßige Vorsoge zu treffen.<br />
<strong>Die</strong>s sollte aber nicht dazu führen, nun jeden Gesellschaftsvertrag<br />
routinemäßig mit reproduzierten Formularklauseln<br />
zu befrachten in der irrigen Meinung, so gegen alle<br />
Fährnisse gewappnet zu sein. Vielmehr ist zunächst zu<br />
prüfen, ob und inwieweit ein neu eintretender Gesellschafter<br />
überhaupt zu einer unerwünschten Belastung für das<br />
Unternehmen werden kann. Dabei von Bedeutung ist sicherlich<br />
die Höhe der zur Verwertung anstehenden Beteiligung,<br />
sodann aber auch das strukturelle Gefüge der <strong>GmbH</strong>.<br />
Kaum Handlungsbedarf wird insoweit etwa bestehen bei<br />
einem (in zweiter / dritter Generation) von mehreren Fa-<br />
* Markus Geißler ist Stadtrechtsdirektor a.D. in Freiburg i. Br.<br />
Markus Geißler<br />
370 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
milienstämmen gehaltenen Unternehmen mit jeweils geringen<br />
Beteiligungen. Üblicherweise finden sich hier die<br />
(weit verstreut wohnenden) Gesellschafter vielleicht einmal<br />
jährlich zur Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46<br />
Nr. 1 <strong>GmbH</strong>G) zusammen, überlassen ansonsten jedoch<br />
die Leitung des Unternehmens weitgehend dem mit entsprechenden<br />
Befugnissen ausgestatteten Geschäftsführer,<br />
der die ansonsten erforderlichen Beschlüsse dann im Wege<br />
der schriftlichen Abstimmung (§ 48 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G) her-<br />
beiführt. 1<br />
Bei dieser – überwiegend kapitalistischen – Prä-<br />
gung eines Verbands dürfte dem Hinzutreten eines neuen<br />
Gesellschafters, dessen Stimmkraft darüber hinaus marginal<br />
ist, relevante Bedeutung kaum beikommen. Anders<br />
verhält sich dies bei einer personalistisch strukturierten<br />
<strong>GmbH</strong>, in welcher die (wenigen) Anteilseigner die Unternehmensführung<br />
überwiegend selbst organisieren. Hier<br />
kann das bisher konsensuale Zusammenwirken, welches<br />
letztlich auch unternehmerisches Reüssement gewährleistete,<br />
durch das Eindringen eines Externen durchaus beträchtlich<br />
gestört werden.<br />
II. Der Vermögensverfall als Ausschlussgrund<br />
Dass eine zur Pfändung seines Geschäftsanteils führende<br />
Vermögensbedrängnis eines Gesellschafters dessen Ausschließung<br />
aus dem Verband rechtfertigt, ist inzwischen<br />
allgemein anerkannt. <strong>Die</strong> Gründe hierfür sind – wie teilweise<br />
schon angedeutet – überzeugend nachzuvollziehen:<br />
Zunächst gilt generell, dass die Trennung von einem Anteilseigner<br />
möglich sein muss, wenn dessen Verbleib für<br />
die übrigen Gesellschafter und die <strong>GmbH</strong> eine unzumutbare<br />
Belastung bedeutete. 2 Von einer solchen kann regelmäßig<br />
ausgegangen werden bei einer Anteilspfändung; denn<br />
die ungeordneten Vermögensverhältnisse eines Gesellschafters<br />
befördern im Geschäftsverkehr ebenso Zweifel<br />
an der Solidität und Reputation des Unternehmens insge-<br />
1 Hierzu OLG Stuttgart v. 8.7.1998 – 20 U 112/97, <strong>GmbH</strong>R 1998,<br />
1034 (1035); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2010, 457 (458).<br />
2 OLG Hamm v. 8.7.1992 – 8 U 268/91, <strong>GmbH</strong>R 1993, 660 (662);<br />
Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 53; T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,<br />
2011, § 34 <strong>GmbH</strong>G Rz. 25; Wanner-Laufer, NJW 2010, 1499<br />
(1500).
Markus Geißler<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 371<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
samt. 3 Es kommt hinzu, dass ein Gesellschafterwechsel<br />
nicht selten zu einer Überfremdung der Gesellschaft führt<br />
und dadurch eine Verschiebung in den (bisher ausgewogenen)<br />
Mehrheitsverhältnissen eintritt.<br />
3ÄhnlichNiemeier, <strong>GmbH</strong>R 1983, 161 (163); Michalski, ZIP<br />
1991, 147 (149).<br />
4 <strong>Die</strong>s aber kann auf<br />
längere Sicht der bisher bewährten Geschäftspolitik abträglich<br />
sein und damit letztlich auch unternehmerische Erfolge<br />
gefährden.<br />
Unter diesen Prämissen legt es sich nahe, den Ausschluss<br />
des betreffenden Gesellschafters durch die Einziehung seines<br />
Geschäftsanteils bzw. seiner Geschäftsanteile herbeizuführen.<br />
In manchen Gesellschaftsverträgen finden sich<br />
demgegenüber Bestimmungen, die (auch) für den Fall der<br />
Anteilspfändung ein Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesellschaft<br />
bzw. eines Gesellschafters begründen. <strong>Die</strong> damit beabsichtigte<br />
Verhinderung eines unerwünschten Anteilsübergangs<br />
ist mit einer solchen Regelung jedoch nicht zu<br />
erreichen. Denn nach § 471 BGB ist ein Vorkaufsrecht ausgeschlossen,<br />
wenn der Verkauf des Geschäftsanteils im<br />
Wege der Zwangsvollstreckung oder durch den Insolvenzverwalter<br />
erfolgt.<br />
4 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 387 m. Komm.<br />
Münnich, Rz.15–indieserAusgabe;Schacht in Beck’sches<br />
Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 12 Rz. 271; Niemeier,<br />
<strong>GmbH</strong>R 1983, 161 (163).<br />
5 Unbedenklich ist hingegen, für den Fall<br />
der Pfändung / Insolvenz eine Pflicht des Gesellschafters<br />
zur Abtretung des betreffenden Geschäftsanteils an die<br />
<strong>GmbH</strong> oder andere Rechtsträger zu begründen. Letzterer<br />
ist dann gleichsam dinglich mit der Abtretungspflicht belastet,<br />
und das Pfändungspfandrecht des Vollstreckungsgläubigers<br />
geht mit dem ordnungsgemäßen Vollzug der<br />
Abtretung und der Entgeltzahlung unter.<br />
5 Winter/Seibt in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 15 Rz. 203.<br />
6 Zuweilen wird<br />
die Abtretung auch so gestaltet, dass die Gesellschafterversammlung<br />
alternativ zur Einziehung die Übertragung des<br />
Anteils auf einen verbleibenden Gesellschafter beschließen<br />
kann.<br />
6 Reichert/Weller in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 15 Rz. 547;<br />
Ulmer, ZHR 149 (1985), 28 (37); teilweise a.A. Stöber, Forderungspfändung,<br />
15. Aufl. 2010, Rz. 1619a.<br />
7<br />
Der Vorteil derartiger Rechtskonstruktionen besteht sicherlich<br />
darin, dass sie eine Vernichtung des betreffenden<br />
Geschäftsanteils vermeiden. Insbesondere die letztgenannte<br />
Gestaltungsvariante wirft aber auch Fragen in ihrer<br />
Abwicklung auf. So ist etwa nicht eindeutig geklärt, ob der<br />
Gesellschafterbeschluss, der die Offerte zur Anteilsabtretung<br />
verkörpern soll, mit einfacher Stimmenmehrheit und<br />
unter Beteiligung des als Zessionar begünstigten Gesellschafters<br />
gefasst werden kann. Denkbar wäre hier ebenso<br />
ein auf § 47 Abs. 4 S. 2 <strong>GmbH</strong>G gestütztes Stimmverbot<br />
des Erwerbers.<br />
7 BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, <strong>GmbH</strong>R 1984, 74; Michalski,<br />
ZIP 1991, 147 (148); Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (962).<br />
8 <strong>Die</strong>se rechtlichen Imponderabilien und<br />
ebenso die zweifellos höheren Fehlerrisiken, die der<br />
Durchführung einer Abtretung mit ihren jeweils beurkundungsbedürftigen<br />
Erklärungen anhaften,<br />
8 Ablehnend insoweit Michalski, ZIP 1991, 147 (148).<br />
9 sind indessen<br />
vermieden, wenn der Ausschluss des in Vermögensverfall<br />
geratenen Gesellschafters über die in § 34 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G<br />
vorgesehene Einziehung seines Geschäftsanteils geregelt<br />
wird. <strong>Die</strong>ser Gestaltungsmodus wird auch in der Praxis<br />
präferiert.<br />
9 Dazu Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (962).<br />
10<br />
ren: Mit seinem Vollstreckungszugriff erlangt er ja zunächst<br />
ein Pfändungspfandrecht an dem betreffenden Geschäftsanteil,<br />
welches sich dann an dem vorgesehenen Abfindungsanspruch<br />
fortsetzt.<br />
<strong>Die</strong> den Vollstreckungsgläubiger damit treffenden<br />
Rechtswirkungen lassen sich dann bündig skizzie- 10 Vgl. insoweit BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, <strong>GmbH</strong>R 1984,<br />
74.<br />
11<br />
Zu beachten ist sodann, dass die Zwangseinziehung und<br />
deren Voraussetzungen vor dem Beitritt des betroffenen<br />
Gesellschafters in der Satzung niedergelegt sein müssen.<br />
Mangelt es an einer solchen Regelung, kann diese aber<br />
über eine Satzungsänderung ebenso nachgeschoben werden<br />
wie eine Verschärfung der bisherigen Einziehungsmodalitäten.<br />
Hierfür ist dann aber nach gefestigter Meinung<br />
jeweils die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich(§53Abs.3<strong>GmbH</strong>G).<br />
11 Schacht in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 12<br />
Rz. 271; Roth, ZGR 2000, 187 (214).<br />
12 In Ansehung dessen sind<br />
jene gut beraten, sich diesem Problem beizeiten zu widmen.<br />
Denn ist ein Gesellschafter erst einmal in eine finanzielle<br />
Schieflage geraten, wird er sich kaum mehr zur Mitwirkung<br />
an einer seinen Abfindungsanspruch mindernden<br />
Satzungsregelung bereit finden.<br />
III. Wesentliche Eckpunkte einer statuarischen<br />
Einziehungsklausel<br />
<strong>Die</strong> Formulierung einer Einziehungsklausel erfordert – gerade<br />
auch im Hinblick auf die damit verknüpfte Abfindungsregelung<br />
– besondere Sorgfalt. Im hiesigen Kontext<br />
präziser erörterungsbedürftig ist die Interessenlage der<br />
Pfändungs- und Insolvenzgläubiger des betreffenden Gesellschafters.<br />
Missachtet nämlich eine Abfindungsregelung<br />
deren Schutz, führt dies in entsprechender Anwendung<br />
des § 241 Nr. 3 AktG zunächst einmal zur Nichtigkeit<br />
dieser Bestimmung<br />
12 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (258);<br />
Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;<br />
Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 23; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011,<br />
§34Rz.10.<br />
13 mit der Konsequenz, dass der gepfändete<br />
Geschäftsanteil dann zu seinem vollen Wert (Verkehrswert)<br />
abzufinden ist.<br />
13 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV.2.c) aa);<br />
Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1178).<br />
14 Damit wäre auch die Chance<br />
vertan, die Fälligkeit des Abfindungsbetrags in mehreren<br />
Ratenzustrecken;verhindertwäre einzig, dass der Anteil<br />
nicht in fremde Hände gelangt. Mit diesem Makel behaftet<br />
sind vor allem jene – zuweilen auch heute noch verwendeten<br />
– Satzungsregelungen, welche im Falle der Pfändung<br />
/ Gesellschafterinsolvenz die Einziehung ohne jedwedes<br />
oder nur gegen ein sehr geringes Entgelt anordnen.<br />
14 Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34<br />
Rz. 110; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G,<br />
19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 32; Sigle, ZGR 1999, 659 (667).<br />
15 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die sich auf<br />
§ 241 Nr. 3 AktG gründende Nichtigkeit einer solchen Regelung<br />
nicht mehr geltend machen lässt, wenn nach ihrer<br />
Eintragung in das Handelsregister drei Jahre verstrichen<br />
sind (§ 242 Abs. 2 S. 1 AktG analog). Und dass dieses Diktum<br />
sowohl für initiale Satzungsbestandteile als auch für<br />
solche gilt, die zu späterer Zeit in den Gesellschaftsvertrag<br />
eingefügt wurden, hat der BGH mittlerweile ausdrücklich<br />
klargestellt.<br />
15 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, <strong>GmbH</strong>R 1975, 227 (228).<br />
16 Denn nur auf diese Weise lässt sich – wie-<br />
16 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; v.<br />
19.9.2005 – II ZR 342/03, <strong>GmbH</strong>R 2005, 1561 (1563) m.
Markus Geißler<br />
372 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
wohl der Wortlaut des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG infizierte<br />
Klauseln der Ursprungssatzung eigentlich nicht erfasst –<br />
ubiquitäre Rechtssicherheit herstellen.<br />
Im Schrifttum ist diese Auffassung jedoch auf verbreitete<br />
Kritik gestoßen. Es wird dort argumentiert, dass die in<br />
§ 242 Abs. 2 AktG normierten Rechtswirkungen generell<br />
nicht gegen außenstehende Gläubiger gewendet werden<br />
könnten, weil diese – im Gegensatz zu den Anteilsinhabern<br />
– keinerlei Rechtsmacht hätten, sie beschwerende Regelungen<br />
zum Gegenstand einer Anfechtungs- oder Feststellungsklage<br />
zu machen.<br />
Komm. Hinderer [1] u. Sinewe [2]; auch Geßler, ZGR 1980, 427<br />
(453).<br />
17 Andernfalls wäre der Gesellschafterversammlung<br />
– fast schon sophistisch – anzuraten,<br />
möglichst umgehend eine gläubigerfeindliche Entschädigungsregelung<br />
mit dem taktischen Kalkül zu erlassen,<br />
dass diese nach drei Jahren den „rettenden Hafen der<br />
Heilung“ erreiche.<br />
17 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§ 34 Rz. 32; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G,<br />
2011, § 34 Rz. 56; Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />
Rz. 239; Bacher/Spieth, <strong>GmbH</strong>R 2003, 973 (978).<br />
18 Freilich versagt dieser Ratschlag,<br />
wenn der Anteilsinhaber bereits vor diesem Zeitpunkt von<br />
einem Falliment ereilt wird.<br />
Unabhängig davon gerät die gegen die höchstrichterliche<br />
Judikatur gerichtete Kritik mit einem anderen – in der gegebenen<br />
Thematik relevanten – Rechtsprinzip in Widerstreit.<br />
So ist nachfolgend noch zu präzisieren, dass einer<br />
(isoliert unzulässigen) Abfindungsbeschränkung, die sich<br />
nur gegen die Gläubiger richtet, dadurch zur Rechtsgültigkeit<br />
aufgeholfen werden kann, dass sie gleichermaßen<br />
auch das (zwangsweise) Ausscheiden des Gesellschafters<br />
einbezieht. Zu begründen ist dies damit, dass dann vergleichbare<br />
Abfindungsvorgänge einheitlich behandelt<br />
werden.<br />
18 So Lange, NZG 2001, 635 (640).<br />
19 <strong>Die</strong>sen – rechtssystematisch stimmigen –<br />
Gleichlauf würde die Gegenmeinung des Schrifttums<br />
preisgeben. Stattdessen verbliebe der diskordante Befund,<br />
dass dieselbe Abfindungsklausel wohl Gültigkeit gegenüber<br />
dem primär betroffenen Gesellschafter hätte, in der<br />
Rechtsbeziehung zu seinen Gläubigern hingegen (wegen<br />
der Unanwendbarkeit des § 242 Abs. 2 AktG) der Nichtigkeit<br />
anheimfiele.<br />
19 Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 91; Wälzholz,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321).<br />
20 Auch aus diesem Grunde sollte sich die<br />
Kautelarpraxis an der Rechtsprechung des BGH orientieren.<br />
Es kommt hinzu, dass – entgegen der abweichenden<br />
Meinung – die Vollstreckungsgläubiger keineswegs jedes<br />
rechtlichen Schutzes verlustig gehen. Denn üblicherweise<br />
muss auch einem Gesellschafter daran gelegen sein, dass<br />
seine Verbindlichkeiten gegenüber Dritten durch eine angemessene<br />
Verwertung seines Geschäftsanteils möglichst<br />
weitgehend getilgt werden.<br />
20 Näher hierzu Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1179).<br />
21 Auch dies wird ihn ggf. veranlassen,<br />
sich gegen gläubigerbenachteiligende Abfindungen<br />
zur Wehr zu setzen.<br />
21 Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1179).<br />
22<br />
trag und Anteilswert hineinwachsen. Vorzugsweise ist dies<br />
bei – auch deswegen nicht zu empfehlenden – Buchwertklauseln<br />
der Fall, wenn das Unternehmen in einer ertragsstarken<br />
Entwicklung prosperiert. Insbesondere durch den<br />
Aufbau stiller Reserven und ein Anwachsen des Firmenund<br />
Geschäftswerts kann sich dann der tatsächliche Wert<br />
(Verkehrswert) des Geschäftsanteils beträchtlich steigern.<br />
Diffizile Wertungsprobleme bereiten sodann jene Bestimmungen,<br />
die – als ursprünglich angemessene – erst im<br />
Laufe der Zeit infolge einer Änderung der tatsächlichen<br />
Umstände in ein Missverhältnis zwischen Abfindungsbe-<br />
22 Vgl. etwa den Sachverhalt bei BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2000, 822; es hatte dort der Rechtsnachfolger des Gesellschafters<br />
Nichtigkeitsklage erhoben, (auch) um eine höhere<br />
Befriedigung der pfändenden Sparkasse zu erreichen.<br />
23 Dass eine solche Klausel dann nicht – mit der Heilungswirkung<br />
des § 242 Abs. 2 AktG – der Nichtigkeit<br />
verfällt, ist zwischenzeitlich geklärt. Denn sie kann ja nicht<br />
– je nach Verlauf der sich ändernden Unternehmensgeschicke<br />
– stetig zwischen Wirksamkeit und Unwirksamkeit<br />
hin- und herspediert werden.<br />
23 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 87; Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 240.<br />
24 Nach der Rechtsprechung<br />
des BGH ist deshalb bei einem nicht mehr hinnehmbaren<br />
Auseinanderfallen von vereinbartem und tatsächlichem<br />
Wert des Geschäftsanteils eine Lösung im Wege der ergänzenden<br />
Vertragsauslegung zu suchen. Hierbei sollen die<br />
Grundsätze des betreffenden Gesellschaftsvertrags möglichst<br />
zu Ende gedacht werden, wobei alle Umstände des<br />
Einzelfalles (z.B. Abfindungs- und Anteilswert, Dauer der<br />
Mitgliedschaft) zu gewichten seien.<br />
24 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, <strong>GmbH</strong>R 1993, 806; Rasner,<br />
ZHR 158 (1994), 292 (300); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173<br />
(1179).<br />
25 <strong>Die</strong> letztlich zu leistende<br />
Abfindung, die für alle Beteiligten einen zumutbaren<br />
Interessenausgleich abbilden müsse, würde sich dann zwischen<br />
dem vertraglich festgelegten und dem wirklichen<br />
Wert des Anteils zu bewegen haben.<br />
25 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 871 (874); OLG<br />
München v. 1.9.2004 – 7 U 6152/99, NZG 2004, 1055 (für KG);<br />
T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34<br />
<strong>GmbH</strong>G Rz. 21; Goette, DStR 2001, 533 (542).<br />
26<br />
<strong>Die</strong> hiergegen im Schrifttum erhobenen Bedenken bezweifeln<br />
indessen, ob eine im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung<br />
zu schließende Lücke überhaupt vorliege.<br />
26 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265 (266);<br />
Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 34<br />
Rz. 56; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34<br />
Rz. 111.<br />
27<br />
Stattdessen wird vorgeschlagen, durch eine an der Generalklausel<br />
des § 242 BGB orientierten Ausübungskontrolle<br />
die jeweils gerechte Abfindung zu ermitteln<br />
27 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 89; Dauner-Lieb, <strong>GmbH</strong>R 1994, 836 (839); Volmer,DB<br />
1998, 2507 (2510).<br />
28 oder aber die<br />
infizierte Vertragsbestimmung nach den Regeln des Wegfalls<br />
der Geschäftsgrundlage anzupassen (§ 313 BGB).<br />
28 Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 91;<br />
Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§ 34 Rz. 28; Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006,<br />
§34Rz.35; Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />
Rz. 90; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50<br />
IV.2.c) ee).<br />
29<br />
<strong>Die</strong> Einzelheiten dieser Lösungsansätze müssen hier nicht<br />
weiterverfolgt werden.<br />
29 Vgl. Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 242;<br />
Büttner, FS Nirk, 1992, S. 119 (124).<br />
30 Es kann bei der Feststellung bewenden,<br />
dass – zunächst gültige – Abfindungsvereinbarungen,<br />
die allzu detailliert an änderungsanfälligen Bezugspunkten<br />
festgemacht sind, im Laufe der Zeit oftmals<br />
korrekturbedürftig werden. Dann aber steht die <strong>GmbH</strong>, so<br />
sie die betreffende Regelung nicht (kontinuierlich) aktualisiert<br />
hat, vor dem Problem, dass sie im Falle der Einzie-<br />
30 Hierzu näher Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34<br />
Rz. 242; Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1180).
hung unversehens eine (deutlich) höhere als die ursprünglich<br />
kalkulierte Abfindung leisten muss.<br />
IV. Aspekte des Gläubigerschutzes<br />
Es ist schon erwähnt, dass eine Reduzierung der Abfindung,<br />
welche allein zu Lasten der Pfändungs-/Insolvenzgläubiger<br />
ginge, wegen § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist; denn<br />
diese würden dann ausschließlich wegen ihrer Stellung als<br />
Gläubiger benachteiligt. 31 Es ist zwar denkbar, eine – isolierte<br />
– Einziehungsregelung nur für den Fall der Anteilspfändung<br />
und der Gesellschafterinsolvenz zu beschließen.<br />
Und ebenso dürfte eine daran gekoppelte Abfindungsklausel,<br />
die den Geschäftsanteil zu seinem vollen Buchwert<br />
entschädigt, jedenfalls anfänglich noch zulässig sein. 32 Mit<br />
einer solchen Regelung wäre aber – außer dem verhinderten<br />
Eintritt eines neuen Gesellschafters – nicht viel gewonnen.<br />
Denn der Geschäftsanteil müsste gleichwohl zum<br />
(oder nahe am) vollen Verkehrswert abgegolten werden.<br />
Ferner hätte sich die <strong>GmbH</strong> der Möglichkeit begeben, den<br />
Auszahlungszeitraum durch die Festlegung erst nach und<br />
nach fälliger Ratenbeträge zu erstrecken; für ihren Bestandsschutz<br />
ist es aber von elementarem Interesse, einen<br />
allzu einschneidenden Abfluss von Liquidität zu vermeiden.<br />
Jedoch lassen sich derartige Entgeltbeschränkungen<br />
durchaus so gestalten, dass sie Geltungswirkung auch gegenüber<br />
den Gläubigern erlangen. Erforderlich ist nur, die<br />
Regelung gleichermaßen auf entsprechende Abfindungstatbestände<br />
innerhalb der Gesellschaftersphäre (etwa das<br />
zwangsweise Ausscheiden eines Anteilseigners) zu erstrecken.<br />
Eine solchermaßen erweiterte Satzungsbestimmung<br />
ist dann nämlich nicht mehr darauf zentriert, das Pfandrecht<br />
des Vollstreckungsgläubigers auszuhöhlen, sondern<br />
statuiert für vergleichbare Abfindungsvorgänge dieselben<br />
Rechtsfolgen. 33 Belastet ist insoweit nämlich auch der<br />
(ausscheidende) Gesellschafter; und dessen Gläubiger haben<br />
damit, weil sie ja nur wie andere Rechtsträger und<br />
nicht in ihrem spezifischen Status tangiert sind, den Geschäftsanteil<br />
mit den Beschränkungen und Minderungen<br />
hinzunehmen, die bereits in der Hand des Gesellschafters<br />
auf ihm lasten. 34<br />
<strong>Die</strong>s kann nun aber nicht bedeuten, dass die Vollstreckungsgläubiger<br />
jedwede Abfindungsverkürzung gegen<br />
sich gelten lassen müssten, nur weil sie auch gegenüber<br />
den Gesellschaftern vorgesehen ist. Insoweit wirksam ist<br />
eine beschränkende Klausel nämlich nur dann, wenn ihr<br />
rechtlicher Bestand auch gegenüber dem ausscheidenden<br />
Gesellschafter gewährleistet ist. 35<br />
Klauseln zu bejahen, die dem Anteilseigner eine insgesamt<br />
noch angemessene Entschädigung belassen. Ihnen gleich<br />
stehen nach Auffassung des BGH solche Regelungen, denen<br />
– wiewohl initial nichtig – nach Ablauf der Dreijahresfrist<br />
durch die Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktG<br />
endgültige Rechtsbeständigkeit zuteil wurde; hierbei spielt<br />
keine Rolle, ob die betreffende Bestimmung bereits bei<br />
Gründung oder erst durch spätere Satzungsänderung Bestandteil<br />
des Gesellschaftsvertrags wurde.<br />
<strong>Die</strong>s ist fraglos für jene<br />
36 Außerhalb des<br />
(zeitlichen) Geltungsbereichs des § 242 Abs. 2 AktG verfällt<br />
eine Entschädigungsregelung gegenüber den Anteilsinhabern<br />
– und damit auch gegenüber den Gläubigern –<br />
dann dem Verdikt der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1<br />
BGB), wenn die gesetzlich vorgesehene (volle) Abfindung<br />
unangemessen verkürzt wird. Hiervon ist auszugehen,<br />
wenn zwischen dem Abfindungsbetrag und dem tatsächlichen<br />
Anteilswert ein grobes Missverhältnis besteht, wobei<br />
in diese Bewertung auch die Auszahlungsmodalitäten<br />
einzubeziehen sind. 37 Der diversifizierende Meinungsstand<br />
hierzu ist kaum mehr zu referieren. Ursächlich hierfür<br />
ist teilweise, dass bisher weitgehend vermieden wurde,<br />
insoweit schematische prozentuale Grenzen zu fixieren,<br />
weil auch die jeweilige Interessenlage des weichenden Gesellschafters<br />
zu würdigen sei. 38 Auf jedwede Orientierung<br />
an konkretisierenden Rechengrößen wird die Kautelarpraxis<br />
jedoch – trotz der vielgestaltig denkbaren Sachverhalte<br />
– kaum verzichten können. Und als insoweit hilfreich<br />
hat sich die Formel von Ulmer/Schäfer bewährt, welche<br />
von einer sittenwidrigen (und damit nichtigen) Satzungsregelung<br />
dann ausgeht, wenn die darin vorgesehene Amortisation<br />
um 50 % hinter dem tatsächlichen Verkehrswert des<br />
Geschäftsanteils zurückbleibt. 39 Bei exzeptionellen Sachverhaltsgestaltungen<br />
mag dann eine (maßvolle) Anhebung<br />
oder (seltener) eine Absenkung dieses Richtwerts in Erwägung<br />
zu ziehen sein. 40<br />
Schließlich ist – wie schon ausgeführt – zu beachten, dass<br />
aber solche Klauseln, die erst im Laufe der Zeit in ein grobes<br />
Missverhältnis hineinwachsen, auch gegenüber den<br />
Vollstreckungsgläubigern nicht der Unwirksamkeit anheimfallen.<br />
Vielmehr ist in solchen Fällen nach der Rechtsprechung<br />
des BGH eine Lösung im Wege der ergänzenden<br />
Vertragsauslegung zu suchen. In aller Regel wird dies<br />
dann zu einem Entschädigungsbetrag führen, der zwischen<br />
dem statuarisch festgelegten und dem wirklichen Wert des<br />
Anteils liegt. 41<br />
31 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; Verse in<br />
Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 15 <strong>GmbH</strong>G<br />
Rz. 129; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50<br />
IV.2.c) aa); Wälzholz, <strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321).<br />
32 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 85; Piltz, BB 1994, 1021 (1025); Ulmer, NJW 1979, 81 (85).<br />
33 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, <strong>GmbH</strong>R 1975, 227; Greitemann<br />
in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 53;<br />
Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 91; Wälzholz,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 1319 (1321); teilweise a.A. Engel, NJW<br />
1986, 345 (347).<br />
34 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§ 34 Rz. 30; Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006,<br />
§34Rz.30;Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in<br />
der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4<br />
Rz. 282; a.A. (Gläubigerabfindung stets zum vollen Wert) Roth,<br />
ZGR 2000, 187 (215).<br />
Markus Geißler<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 373<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
35 OLG Frankfurt a. M. v. 9.9.1977 – 20 W 702/76, <strong>GmbH</strong>R 1978,<br />
172; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl.<br />
2010, § 34 Rz. 30.<br />
36 Vgl. die Nachw. bei Fn. 16.<br />
37 BGH v. 16.10.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (259); Lutter<br />
in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 84;<br />
Maul in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13<br />
Rz. 119; Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1177).<br />
38 Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 227; Gregoritza<br />
in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732; Hülsmann,NJW<br />
2002, 1673 (1674).<br />
39 Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153); auch Maul in Beck’sches<br />
Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119; Mecklenbrauck,<br />
BB 2000, 2001 (2005); Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173<br />
(1178); Sigle, ZGR 1999, 659 (672).<br />
40 Ähnlich Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (155); Geißler,<strong>GmbH</strong>R<br />
2006, 1173 (1181).<br />
41 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265 (266);<br />
Altmeppen in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 7. Aufl. 2012, § 34
V. Grundskizze einer Zwangseinziehungs- und<br />
Abfindungsklausel<br />
Vermöge ihrer Verbandsautonomie ist die <strong>GmbH</strong> grundsätzlich<br />
(innerhalb der bereits aufgezeigten Grenzen) berechtigt,<br />
den Abfindungsanspruch eines Gesellschafters<br />
bei Einziehung, Ausschließung oder Austritt durch eine<br />
statuarische Regelung zu konkretisieren und insbesondere<br />
einzuschränken. 42 Eine insoweit gebräuchliche Regelung<br />
ist etwa, die Entschädigung auf der Basis des Buchwerts<br />
oder des Substanzwerts zu begrenzen. 43 Häufiger zur Ermittlung<br />
des Anteilswerts verwendet wird jedoch die<br />
– auch in der Judikatur befürwortete – Ertragswertmetho-<br />
de. 44<br />
Da diese bei der Berechnung der Abfindungshöhe auf<br />
das auch ohne statuarische Festlegung maßgebliche Ertragswertverfahren<br />
abstellt, sind strukturelle Abweichungen<br />
von der gesetzlichen Anteilsbewertung weitgehend<br />
ausgeschlossen. 45<br />
Letztlich ist es jedoch eine Entschei-<br />
dung der Gesellschafterversammlung, wie sie bei der Gestaltung<br />
der Entschädigungsleistung die (widerstreitenden)<br />
Interessen der Anteilseigner, des Unternehmens und<br />
der Vollstreckungsgläubiger zu gewichten gedenkt. Hierbei<br />
sollte jedoch im Blick bleiben, dass ein allzu detailliertes<br />
Regelwerk im Verlauf der weiteren Unternehmensentwicklung<br />
oftmals kein genügendes Abfindungsentgelt<br />
mehr generiert. Deswegen bedürfen komplexere Bestimmungen,<br />
soweit sie darüber hinaus noch deutlich von der<br />
gesetzlich vorgesehenen Entschädigung zum vollen Verkehrswert<br />
(vgl. § 738 BGB) abweichen, der stetigen<br />
Rechtskontrolle; und erfahrungsgemäß gerät dies – jedenfalls<br />
nach einiger Zeit – in der Betriebsamkeit des Tagesgeschäfts<br />
nicht selten in Vergessenheit. Und später erforderliche<br />
Anpassungen können sich (teilweise) durchaus auch<br />
als eine Verschärfung der ursprünglichen Abfindungsmodalitäten<br />
darstellen, womit der entsprechende Gesellschafterbeschluss<br />
– was nicht immer einfach zu bewerkstelligen<br />
ist – einstimmig zu ergehen hätte (§ 53 Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G). 46<br />
Auch deshalb wird nachfolgend einer – am gesetzlichen<br />
Leitbild ausgerichteten – Regelung der Vorzug gegeben,<br />
die die Belange Einzelner zwar nicht akzentuiert, in ihrem<br />
Gesamtgefüge aber doch ausgewogen berücksichtigt. Damit<br />
ist weitestgehend sichergestellt, dass im Ernstfall über<br />
die Angemessenheit der Abfindung keine langwierigen<br />
und für alle Beteiligten unersprießlichen Rechtsstreite geführt<br />
werden müssen. Eine solche Klausel, die zudem dann<br />
auch einen hohen Grad an Rechtsbeständigkeit aufweist,<br />
wäre in ihren Grundstrukturen etwa so zu formulieren:<br />
Rz. 56; Gregoritza in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann,<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 733.<br />
42 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, <strong>GmbH</strong>R 2002, 265; Lutter in<br />
Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 81.<br />
43 Zu den Nachteilen dieser und ähnlicher Klauseln Strohn in<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 255 ff.; Hueck/Fastrich<br />
in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 35 ff;<br />
Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 69 ff.<br />
44 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103); OLG<br />
Kölnv.19.12.1997–4U31/97,<strong>GmbH</strong>R1998,641;Westermann<br />
in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 25; T. Fleischer<br />
in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34<br />
<strong>GmbH</strong>G Rz. 17; Engel, NJW 1986, 345 (349).<br />
45 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§34Rz.37.<br />
46 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, <strong>GmbH</strong>R 1992, 257 (258);<br />
Westermann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;<br />
Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (959).<br />
Markus Geißler<br />
374 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
§ 10 Einziehung von Geschäftsanteilen<br />
<strong>Die</strong> Einziehung von Geschäftsanteilen kann unter den folgenden<br />
Voraussetzungen beschlossen werden:<br />
1. In der Person eines Gesellschafters liegt ein wichtiger Grund<br />
vor, der dessen Ausschließung aus dem Unternehmen rechtfertigt;<br />
2. ...;<br />
3. ...;<br />
4. es wird die Zwangsvollstreckung in seinen Geschäftsanteil betrieben<br />
und die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen werden nicht<br />
binnen zweier Monate seit ihrem Beginn wieder aufgehoben;<br />
5. es wird über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet,<br />
über einen Antrag auf Eröffnung ist nicht binnen zweier Monate<br />
entschieden oder die Eröffnung wird mangels Masse abgelehnt.<br />
§ 11 Abfindung<br />
1. Der ausscheidende Gesellschafter erhält eine Abfindung, die<br />
sich nach dem im Wege der Ertragswertmethode zu berechnenden<br />
Verkehrswert bestimmt; von dem so ermittelten Wert des Geschäftsanteils<br />
ist ein Abschlag von 30 % vorzunehmen.<br />
2. <strong>Die</strong> Abfindung ist in drei gleichen Raten zu leisten. <strong>Die</strong> erste<br />
Rate wird sechs Monate nach dem Ausscheidungsstichtag ausgezahlt;<br />
die beiden weiteren Raten sind im dritten / fünften Jahr<br />
nach dem Ausscheidungsstichtag fällig, und zwar an dem Tag, der<br />
dem Datum der Fälligkeit der ersten Rate entspricht.<br />
3. <strong>Die</strong> Raten sind ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit der ersten Rate<br />
jährlich mit zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz<br />
zu verzinsen. <strong>Die</strong> Zinsen sind jeweils mit der Rate zu entrichten.<br />
47<br />
VI. Erläuterungen<br />
Das in § 10 Nr. 1, 4 u. 5 vorgeschlagene Junktim (wichtiger<br />
Ausschlussgrund – Anteilspfändung, Insolvenz) ist der<br />
– allgemein aber anerkannte – Mindeststandard, um die<br />
Abfindungsklausel nicht dem zur Unwirksamkeit führenden<br />
Verdikt einer gezielten Gläubigerbenachteiligung auszusetzen.<br />
48 <strong>Die</strong> Blankette der Nr. 2 u. 3 belassen Raum für<br />
weitere Einziehungsgründe, die für die Gesellschaft(er)<br />
wesentlich sein könnten. <strong>Die</strong> in § 10 Nr. 4 genannte Zweimonatsfrist<br />
bereinigt die Streitfrage, ob der Einziehungsgrund<br />
entfällt, wenn die Zwangsvollstreckung einstweilen<br />
(etwa nach §§ 771 Abs. 3, 769, 766 ZPO) eingestellt worden<br />
ist. 49<br />
<strong>Die</strong> Berechnung der Abfindung soll nach dem Ertragswertverfahren<br />
vorgenommen werden (§ 11 Nr. 1). Damit ist,<br />
und zwar auch in der ferneren Zukunft, gewährleistet, dass<br />
die Entschädigung unabhängig von der weiteren Unternehmensentwicklung<br />
stets in der Nähe des tatsächlichen Anteilswerts<br />
verbleibt. 50 <strong>Die</strong>s gibt allen Beteiligten Planungssicherheit.<br />
Denkbar ist insoweit auch, die Bestimmung des<br />
Verkehrswerts des Geschäftsanteils in Gemäßheit des<br />
§ 317 BGB einem Schiedsgutachter zu überlassen. Hierbei<br />
können dann auch nähere Kriterien festgelegt werden, wel-<br />
47 Vgl. hierzu auch die (teilweise detaillierteren) Formularbeispiele<br />
bei Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der Gestaltungs-<br />
und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 288 ff.;<br />
Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht, 2010, C.I.3.;<br />
Michalski, ZIP 1991, 147 (148).<br />
48 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 822; Strohn in<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 235; Maul in<br />
Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;<br />
Behrendt in Arens/Tepper, Das gesellschaftsrechtliche Mandat,<br />
2007, § 24 Rz. 223.<br />
49 Hierzu Michalski, ZIP 1991, 147 (149).<br />
50 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010,<br />
§34Rz.37.
che für die Bewertung des Unternehmens angewandt werden<br />
sollen. 51 Gebräuchlich ist ebenso die Regelung, die<br />
Bewertung von einem Wirtschaftsprüfer als neutralem<br />
Gutachter nach den jeweils aktuellen Richtlinien des Instituts<br />
für Wirtschaftsprüfer durchführen zu lassen. 52 Ansonsten<br />
ist es naheliegend (und wohl auch kostengünstiger),<br />
wenn der für die <strong>GmbH</strong> tätige Steuerberater, der ja<br />
mit den bilanziellen Details vertraut ist, die Wertermittlung<br />
vornimmt.<br />
Von dem so ermittelten Wert wird ein Abschlag von 30 %<br />
in Ansatz gebracht. <strong>Die</strong>se Minderung sollte im Ernstfall<br />
auch einer kritischen richterlichen Prüfung standhalten<br />
können. Eine approximative Orientierung vermag insoweit<br />
jene Entscheidung des BGH zu vermitteln, die von<br />
einer sittenwidrig verkürzten Abfindung dann ausgeht,<br />
wenn diese nur noch zwischen 20 % und 50 % des realen<br />
Anteilswertes beträgt. 53 DamitinEinklangzubringenist<br />
auch die schon erwähnte Formel von Ulmer/Schäfer, die<br />
durchaus beachtliche Gefolgschaft gefunden hat. 54 Danach<br />
ist eine Satzungsregelung nichtig, wenn die darin vorgesehene<br />
Amortisation um 50 % (und mehr) hinter dem Verkehrswert<br />
des Anteils zurückbleibt. Demgegenüber sollte<br />
sich dann – so Besonderheiten nicht anstehen – der vorstehend<br />
befürwortete Abschlag von 30 % rechtfertigen lassen.<br />
55 Insbesondere gilt dies dann, wenn – wie hier – die<br />
Zwangseinziehung primär an einen die Ausschließung des<br />
Gesellschafters rechtfertigenden Grund geknüpft ist. Denn<br />
dann hat dieser sein Ausscheiden in aller Regel durch eigenes<br />
Fehlverhalten verursacht, was bereits per se eine höhere<br />
Reduzierung seiner Abfindung zulässt. 56<br />
Dem Interesse der Gesellschaft, durch die Entschädigungszahlung<br />
in ihrer Liquidität möglichst wenig beeinträchtigt<br />
zu werden, ist durch die Auszahlungsstreckung<br />
(drei Raten) Rechnung getragen (§ 11 Nr. 2). <strong>Die</strong> Dauer<br />
des insoweit noch hinnehmbaren Auszahlungszeitraums<br />
wird naturgemäß unterschiedlich beurteilt. Dass hierbei<br />
eine Ratenzahlungsdauer von 15 Jahren die Interessen des<br />
weichenden Gesellschafters (und seiner Gläubiger) in untragbarer<br />
Weise schmälert, ist eigentlich offensichtlich und<br />
sollte weiterer Begründung nicht bedürfen. 57 Ebenso wurde<br />
eine Zahlung in drei Raten nach fünf, acht und zehn Jahren<br />
für sittenwidrig erachtet. 58 Es findet sich aber auch<br />
– allerdings eher bezogen auf die Personengesellschaft –<br />
die Ansicht, dass Auszahlungsfristen zwischen acht und<br />
zehn Jahren nicht generell zu beanstanden seien. 59 <strong>Die</strong>s ist<br />
in Bezug auf eine <strong>GmbH</strong> jedoch unter zwei Aspekten zu<br />
hinterfragen. Einmal ist ein in dieser Rechtsform geführtes<br />
51 Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht, 2010, C.I.3.,<br />
bei § 17 Abs. 1; auch Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck<br />
<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 23.<br />
52 So etwa Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der<br />
Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 289.<br />
53 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, <strong>GmbH</strong>R 1994, 871; Gregoritza<br />
in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />
2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732.<br />
54 Vgl. die Nachw. bei Fn. 39.<br />
55 Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 34<br />
Rz. 90; Kort, DStR 1995, 1961 (1967); in diese Richtung auch<br />
Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht. 2010, C.I.3.,<br />
bei § 17 Abs. 1 (Abschlag von 20 %).<br />
56 Ähnlich Geißler, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1173 (1181).<br />
57 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, <strong>GmbH</strong>R 1989, 508 (510); Greitemann<br />
in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 48.<br />
58 OLG Dresden v. 18.5.2000 – 21 U 3559/99, <strong>GmbH</strong>R 2000, 718<br />
(719), Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 88.<br />
59 Ulmer, NJW 1979, 81 (85); Ziegler, DB 2000, 2107 f.<br />
Markus Geißler<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 375<br />
Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines <strong>GmbH</strong>-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters<br />
Unternehmen bekanntlich durch eine sehr hohe Insolvenzanfälligkeit<br />
gekennzeichnet, was nicht unbedingt das Vertrauen<br />
in seine – dauerhaft stabile – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />
bestärkt. Darüber hinaus sperrt § 34 Abs. 3<br />
<strong>GmbH</strong>G eine Entschädigungsleistung, wenn sie aus durch<br />
§ 30 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G gebundenen Mitteln bedient werden<br />
müsste. 60<br />
<strong>Die</strong>ses primär gegen den Gesellschafter gerich-<br />
tete Auszahlungsverbot erstreckt seine Rechtswirkung<br />
auch auf seine Vollstreckungsgläubiger.<br />
All dies verdeutlicht, dass sowohl jene als auch der Gesellschafter<br />
selbst durch zu sehr gestreckte Auszahlungszeiträume<br />
beträchtlichen Risiken ausgesetzt sind. den Abfindungsanspruch<br />
bei Fälligkeit überhaupt noch (vollständig)<br />
durchsetzen zu können. Auch in Ansehung dessen ist – jedenfalls<br />
für die <strong>GmbH</strong> – jener Ansicht der Vorzug zu geben,<br />
der für eine definitive Abwicklung des Abfindungsvorgangs<br />
innerhalb von höchstens fünf Jahren votiert. 61<br />
Mit dem rechtlichen Vollzug der Einziehung ist grundsätzlich<br />
auch die Abfindung fällig. Bei gestreckten Auszahlungsmodalitäten<br />
sind dem Berechtigten demzufolge Zinsen<br />
zu entrichten, die eine Rendite abwerfen, wie sie anderweit<br />
für vergleichbare Anlageformen erzielt werden könn-<br />
te. 62<br />
<strong>Die</strong>s berücksichtigt § 11 Nr. 3. Eine dem § 246 BGB<br />
entsprechende Regelung dürfte hierbei zu starr sein. Deswegen<br />
wurde auf die eher dynamische Gestaltung des<br />
§ 288 BGB zurückgegriffen, womit eine weitgehende<br />
Konnexität mit den Zinsmargen des Kapitalmarkts gewährleistet<br />
ist. 63<br />
VII. Zusammenfassung<br />
Der vorstehende Entwurf ist nun nicht von dem Impetus<br />
beherrscht, zu Gunsten der <strong>GmbH</strong> eine in ihrer Rigidität<br />
gerade noch zulässige Abfindungsbeschränkung zu schaffen;<br />
denn eine solche wäre mit einem stetigen Überwachungsbedarf<br />
und auch den Risiken ihrer künftigen Gültigkeit<br />
belastet. Stattdessen wurde eine eher moderierende<br />
(und auch in ihrem Umfang überschaubare) Regelung präferiert,<br />
welche mit einer soliden Rechtsbeständigkeit ausgestattet<br />
ist und die Beteiligten damit vor unerwarteten Beschwerungen<br />
bewahrt.<br />
Ob es einer statuarischen Abfindungsbeschränkung überhaupt<br />
bedarf, sollten die Gesellschafter aber beizeiten prüfen;<br />
denn ein Anteilseigner, dem bereits wirtschaftliche<br />
Bedrängnisse drohen, wird sich kaum mehr zur Mitwirkung<br />
an einer ihn beschwerenden Regelung bereit finden.<br />
Eine solche, die bei Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />
eben auch die Einziehung des Geschäftsanteils des insol-<br />
60 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 531 (532), m.<br />
Komm. T. Tillmann; ausführlicher hierzu, insbesondere zur Haftung<br />
der Mitgesellschafter gegenüber dem Ausscheidenden, jetzt<br />
BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, <strong>GmbH</strong>R 2012, 387 m. Komm.<br />
Münnich, Rz. 14 – in dieser Ausgabe; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl 2010, § 34 Rz. 39; Wanner-Lau-<br />
fer, NJW 2010, 1499 (1500); Wolff, <strong>GmbH</strong>R 1999, 958 (959).<br />
61 Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 229; Ulmer in<br />
Ulmer/Habersack/Winter, <strong>GmbH</strong>G, 2006, § 34 Rz. 92; Greitemann<br />
in Saenger/Inhester, Hk-<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 34 Rz. 48; Maul<br />
in Beck’sches Handbuch der <strong>GmbH</strong>, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;<br />
Heckschen in Heckschen/Heidinger, <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong> in der Gestaltungs-<br />
und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 286.<br />
62 Thiessen in Bork/Schäfer, <strong>GmbH</strong>G, 2010, § 34 Rz. 88; Engel,<br />
NJW 1986, 345 (349).<br />
63 Vgl. auch Haasen in Beck’sches Formularbuch <strong>GmbH</strong>-Recht,<br />
2010, C.I.3., bei § 17 Abs. 3.
venten Gesellschafters vorsieht, ist aber unausweichlich;<br />
denn eine Abfindungsverkürzung, die sich allein auf die<br />
Anteilspfändung und die Gesellschafterinsolvenz beschränkt,<br />
wäre wegen Gläubigerbenachteiligung nichtig.<br />
An der – nicht zu Unrecht kritisierten – Rechtsprechung<br />
des BGH, wonach auch eine von Anfang an sittenwidrige<br />
Klausel an der Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktG<br />
teilnimmt, wird die Kautelarpraxis einstweilen sicherlich<br />
nicht vorbeikommen. Im – theoretisch denkbaren – Extremfall<br />
wird hier ein um gerechte Billigkeit bestrebter<br />
Rechtsanwender zugegebenermaßen aber harten Prüfun-<br />
Dr. Götz Tobias Wiese *<br />
gen ausgesetzt. Denn nach Ablauf der Dreijahresfrist<br />
könnte damit auch eine allein gegen die Gläubiger gerichtete<br />
Einziehung Gültigkeit erlangen, wiewohl sie darüber<br />
hinaus sogar jegliche Abfindung verweigert. Dass Klauseln,<br />
die die Ermittlung der Abfindung allzu spezifischen<br />
Berechnungsmethoden überantworten, im Laufe der Zeit<br />
auch in die Rechtswidrigkeit hineinwachsen können und<br />
deshalb angepasst werden müssen, spielt innerhalb des<br />
hier gegebenen Formulierungsvorschlags wohl keine Rolle.<br />
Denn die Anteilsbewertung nach der Ertragswertmethode<br />
dürfte dauerhaft rechtskonforme Ergebnisse gewährleisten.<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
– Anmerkungen zur Änderung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und<br />
zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 –<br />
<strong>Die</strong> in EU-Richtlinien und in Doppelbesteuerungsabkommen<br />
vorgesehene Entlastung ausländischer Gesellschafter<br />
von deutscher Quellensteuer hat stets zu missbräuchlichen<br />
Gestaltungen geführt (sog. Directive Shopping oder Treaty<br />
Shopping). Missbrauchsvermeidung ist geboten. Doch tun<br />
sich Gesetzgebung und Verwaltung mit der Ausgestaltung<br />
der entsprechenden Missbrauchsvermeidungsvorschrift<br />
– § 50d Abs. 3 EStG – im Rahmen der Grenzen des<br />
Unionsrechts und der DBA schwer. Der aufgrund jüngerer<br />
EuGH-Rechtsprechung erneut geänderte § 50d Abs. 3 S. 1<br />
EStG ist auch in seiner neuen Form misslungen und sollte<br />
geändert werden. Das dazu veröffentlichte BMF-Schreiben<br />
v. 24.1.2012 (<strong>GmbH</strong>R 2012, 415 – in dieser Ausgabe)<br />
ist in entscheidenden Teilen unionsrechtswidrig.<br />
I. Vormerkung<br />
§ 50d Abs. 3 EStG versagt in bestimmten Konstellationen,<br />
die als missbräuchlich angesehen werden, die Entlastung<br />
von Kapitalertragsteuer, die sich im Normalfall aus Doppelbesteuerungsabkommen1<br />
oder aufgrund der Mutter-<br />
Tochter-Richtlinie2 sowie der Zins- und Lizenzrichtlinie3 bei Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebüh-<br />
* Dr. Götz Tobias Wiese ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt<br />
für Steuerrecht sowie Partner von Latham & Watkins<br />
LLP in Hamburg. Der Autor ist ferner Mitglied des Herausgeberbeirats<br />
der <strong>GmbH</strong>-<strong>Rundschau</strong> und Lehrbeauftragter der Buce-<br />
rius Law School in Hamburg.<br />
1 In DBA mögen sich indes eigenständige abschließende Regelungen<br />
finden, vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008,<br />
619 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 714 (LS), zu Art. 23 DBA-Schweiz 1971<br />
i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 21.12.1992.<br />
2 Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der<br />
Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten<br />
v. 23.7.1990, 90/435/EWG, ABl. L 225, S. 6, i.d.F. v.<br />
20.11.2006, 2006/98/EG, ABl. L 363, S. 129, nachstehend<br />
„Mutter-Tochter-Richtlinie“. <strong>Die</strong> Mutter-Tochter-Richtlinie<br />
wurde mit § 43b EStG umgesetzt.<br />
3 Richtlinie des Rates über eine gemeinsame Steuerregelung für<br />
Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen<br />
Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten v. 3.6.2003,<br />
2003/49/EG, ABl. 2003, L 157, S 49-54, nachstehend „Zinsund<br />
Lizenzrichtlinie“. <strong>Die</strong> Zins- und Lizenzrichtlinie wurde<br />
mit § 50g EStG umgesetzt.<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
376 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
ren ergeben würde. <strong>Die</strong> Vorschrift ist mit Wirkung ab 2012<br />
erneut geändert worden. 4 <strong>Die</strong>ser Beitrag gibt eine Übersicht<br />
über die Änderungen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und<br />
das dazu am 24.1.2012 veröffentlichte BMF-Schreiben. 5<br />
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der sog. Aufteilungsregel,<br />
die das BMF in der Neufassung der Vorschrift<br />
erkennt. <strong>Die</strong>se Regel ist rechtswidrig. Problematisch ist<br />
auch die Übergangsregelung zum Inkrafttreten des § 50d<br />
Abs. 3 S. 1 EStG n.F.<br />
II. Hintergrund und historische Entwicklung<br />
Ursprünglich war die hier in Rede stehende Vorschrift als<br />
§ 50d Abs. 1a EStG gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme<br />
von Steuerfreistellungen oder -ermäßigungen1994indasEStGaufgenommenworden.<br />
6 Im Jahr<br />
2007 wurde die Vorschrift erheblich verschärft. 7 Hintergrund<br />
der Verschärfung war der jahrelange Streit zwischen<br />
BFH und BMF über die Frage, unter welchen Umständen<br />
die Voraussetzungen der Vorschrift (nunmehr § 50d Abs. 3<br />
EStG) erfüllt waren. In der Hilversum II-Entscheidung v.<br />
31.5.20058 hatte der BFH entschieden, dass auch eine niederländische<br />
Zwischenholdinggesellschaft, deren Anteilseignern<br />
die Entlastung von Kapitalertragsteuer nicht selbst<br />
zugestanden hätte, deren Unternehmensgegenstand sich<br />
4 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung<br />
steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz<br />
– BeitrRLUmsG), BGBl. I 2011, 2592. <strong>Die</strong> Änderung<br />
des Wortlauts des § 50d Abs. 3 S. 1 befindet sich in Art. 2<br />
Nr. 31 BeitrRLUmsG.<br />
5 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/<br />
1032913, BStBl. I 2012, 171 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 415 – in dieser<br />
Ausgabe, nachstehend „BMF-Schreiben 2012“.<br />
6 Zur historischen Entwicklung Klein/Hagena in Herrmann/Heu-<br />
er/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG Rz. 2 (243. Lfg. 2010).<br />
7 Seither § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 v. 13.12.2006, BGBl.<br />
I 2006, 2878 = BStBl. I 2007, 28; hierzu bereits Wiese/Süß,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 972 ff.; weitere Literaturhinweise bei Gosch in<br />
Kirchhof, EStG, 10. Aufl. 2011, § 50d vor Rz. 1; Loschelder in<br />
Ludwig Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 50d Rz. 45, und Klein/<br />
Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG<br />
vor Rz. 50.<br />
8 BFH v. 31.5.2005 – I R 74, 88/04, <strong>GmbH</strong>R 2005, 1373 m.<br />
Komm. Breuninger/Schade.
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 377<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
auf das Halten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften<br />
beschränkte und die über keine Personal- oder Sachmittel<br />
(„Substanz“) verfügte, von der Kapitalertragsteuer<br />
entlastet werden konnte, wenn aufgrund der Funktion der<br />
Gesellschaft im Konzern nicht anzunehmen war, dass die<br />
Platzierung der Beteiligung einer deutschen Gesellschaft<br />
gerade bei dieser Zwischenholding nur aus steuerlichen<br />
(d.h. nicht aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen)<br />
Gründen erfolgt war (konzernbezogene Betrachtungsweise).<br />
Das BMF hatte auf die Hilversum II-Entscheidung mit<br />
einem Nichtanwendungserlass reagiert. 9 <strong>Die</strong> konzernbezogene<br />
Betrachtung bedeutete nach Auffassung des BMF<br />
die unzulässige „Übertragung“ von Merkmalen anderer<br />
Konzernunternehmen auf die nur vermögensverwaltende<br />
Gesellschaft. Außerdem erforderten Wortlaut und Gesetzesbegründung<br />
des § 50d Abs. 3 EStG a.F. „in jedem Fall<br />
eine substantielle Geschäftsausstattung der ausländischen<br />
Gesellschaft“. Das BMF ging davon aus, dass nach Sinn<br />
und Zweck der Vorschrift bereits das Fehlen entweder beachtlicher<br />
Gründe für die Zwischenschaltung der Gesellschaft<br />
oder eigener Wirtschaftstätigkeit ausreichend seien,<br />
der ausländischen Gesellschaft die Entlastungsberechtigung<br />
zu versagen. Seit der Neufassung des § 50d Abs. 3<br />
EStG durch das JStG 2007 hatte eine ausländische Gesellschaft<br />
keinen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuer,<br />
soweit Personen an ihr beteiligt waren, denen die<br />
Entlastung nicht zugestanden hätte, wenn sie die Einkünfte<br />
unmittelbar erzielt hätten und<br />
(1) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />
wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten<br />
oder<br />
(2) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer<br />
gesamten Bruttobeträge des betreffenden Wirtschaftsjahres<br />
aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielte<br />
oder<br />
(3) die ausländischen Gesellschaften nicht mit einem für<br />
ihren Geschäftszweck angemessenen Geschäftsbetrieb<br />
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnahm.<br />
Anders als noch bis Ende 2006 hat seither bereits das Fehlen<br />
jeder einzelnen der genannten Voraussetzungen zur<br />
Versagung der Entlastung geführt.<br />
Besonders kritisch wurde vor allem das – neue – zweite<br />
Kriterium betrachtet, die sog. „10 %-Grenze“: Danach war<br />
die Erstattung oder Freistellung von Kapitalertragsteuer<br />
– ohne Entlastungsmöglichkeit – stets zu versagen, wenn<br />
die ausländische Gesellschaft das Kriterium „10 % der<br />
Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“ nicht erfüllen<br />
konnte. Ziel des Gesetzgebers war es zu vermeiden,<br />
dass Gesellschaften ohne ins Gewicht fallende aktive Wirtschaftstätigkeit<br />
die Entlastung nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStG<br />
in Anspruch nehmen.<br />
9 BMF v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 331.<br />
10<br />
Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 wurde am 3.4.2007<br />
ein BMF-Schreiben veröffentlicht.<br />
10 BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, S. 60.<br />
11<br />
über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende<br />
Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />
voraus<br />
Nach diesem Schreiben<br />
setzte eine eigene Wirtschaftstätigkeit zunächst eine<br />
11 BMF v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/<br />
0115524, BStBl. I 2007, 446 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 613, geändert<br />
durch BMF v. 21.6.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 – DOK<br />
2010/0374057, BStBl. I 2010, 596 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 840, nachstehend<br />
„BMF-Schreiben 2007“.<br />
12 („wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“), womit<br />
auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache<br />
Cadbury-Schweppes Bezug genommen wurde.<br />
12 Rz. 6.1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />
13<br />
Hielt die antragstellende ausländische Gesellschaft in ihrem<br />
Betriebsvermögen Anteile an inländischen Gesellschaften,<br />
lag eine eigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor,<br />
wenn Beteiligungen von einigem Gewicht erworben worden<br />
waren, um gegenüber den Gesellschaften, an denen die<br />
Beteiligungen bestanden, geschäftsleitende Funktionen<br />
wahrzunehmen (aktive Beteiligungsverwaltung).<br />
13 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, insb. die Rz. 66 u.<br />
52 – 54.<br />
14 Es<br />
reichte nicht aus, dass eine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische<br />
Betätigung geschäftsleitende Funktionen<br />
nur gegenüber einer in einem EU-Mitgliedsstaat ansässigen<br />
Tochtergesellschaft ausübte oder lediglich Anteile an<br />
einer oder mehreren Tochtergesellschaften hielt und sich<br />
dabei auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkte<br />
(passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligung<br />
von einigem Gewicht erworben worden war, hing<br />
nicht von der Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab;<br />
vielmehr kam es darauf an, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft<br />
tatsächlich Einfluss genommen<br />
wurde. Sodann wurde der Umfang der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />
nach Maßgabe der 10 %-Klausel i.S.d.<br />
§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ermittelt.<br />
14 Rz. 6.2 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), unter Hinweis<br />
auf BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339.<br />
15 Der nicht vermögensverwaltende<br />
(aktive) Bereich der Gesellschaft durfte<br />
im Verhältnis zum vermögensverwaltenden (passiven) Bereich<br />
nicht unwesentlich sein. Er war unwesentlich, wenn<br />
die anteiligen Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres<br />
aus dem aktiven Bereich nicht mehr als 10 % der gesamten<br />
„Bruttoerträge“ i.S.d. § 9 AStG betrugen. Mit dem<br />
Verweis auf § 9 AStG war zunächst nicht viel geholfen, da<br />
der Vorschrift letztlich die Voraussetzungen der §§ 7, 8<br />
AStG vorausliegen.<br />
15 Rz. 7 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />
16 Das BMF stellte aber klar, dass Dividenden<br />
und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzgebühren)<br />
aus aktiver Beteiligungsverwaltung in Bezug auf sog.<br />
„geleitete Gesellschaften“ zu den Bruttoerträgen des Bereichs<br />
der eigenen Wirtschaftstätigkeit zählten.<br />
16 Vgl. Geurts in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, § 9<br />
Rz. 12.<br />
17 Geleitete<br />
Gesellschaften waren danach solche, auf die Führungsentscheidungen<br />
von langfristiger Natur, Grundsätzlichkeit<br />
und Bedeutung für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft<br />
ausgeübt wurden. Sie unterschieden sich von lediglich<br />
kurzfristigen und ausführungsbezogenen Entscheidungen.<br />
<strong>Die</strong> Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen<br />
wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewährung<br />
reichte für die Qualifizierung als aktive Beteiligungsverwaltung<br />
nicht aus.<br />
17 Rz. 6.2 f. des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />
18<br />
Auf der Rechtsfolgenseite sah § 50d Abs. 3 S. 1 EStG a.F.<br />
eine Alles-oder-Nichts-Regel vor, wonach für Einkünfte,<br />
für die Entlastungsberechtigung bestand, vollen Umfangs<br />
von der jeweiligen Entlastung Gebrauch gemacht werden<br />
konnte.<br />
18 Rz. 6.3 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />
19<br />
19 Rz. 13 S. 1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11). <strong>Die</strong>s wird
§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ist von der Europäischen<br />
Kommission am 18.3.2010 beanstandet worden. 20 <strong>Die</strong> Europäische<br />
Kommission forderte Deutschland förmlich auf,<br />
die Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung bei Quellensteuerentlastungen<br />
zu ändern. Dabei kritisierte die Kommission<br />
nicht das mit der Missbrauchsbekämpfung verfolgte<br />
Ziel, sondern speziell die Anforderungen an ausländische<br />
Unternehmen zur Erbringung des Nachweises eigener<br />
Wirtschaftstätigkeit. <strong>Die</strong>se Anforderungen wurden für<br />
unverhältnismäßig gehalten im Hinblick darauf, dass keine<br />
Möglichkeit zum Nachweis der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />
bestand, wenn die 10 %-Grenze nicht erfüllt wurde.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss eine<br />
Missbrauchsvermutung widerlegbar sein. 21<br />
III. Überblick: Neufassung des § 50d Abs. 3 S. 1<br />
EStG i.d.F. BeitrRLUmsG<br />
Das Bundesfinanzministerium und mit ihm der Finanzausschuss<br />
des Bundestages haben die Kritik aufgenommen<br />
und im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung<br />
der Beitreibungsrichtlinie (BeitrRLUmsG) die Änderung<br />
des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG betrieben. <strong>Die</strong>se wurde<br />
am 7.12.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet22 und trat<br />
am 1.1.2012 in Kraft. 23<br />
Nunmehr lautet § 50d Abs. 3 S. 1 EStG wie folgt: 24<br />
„Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige<br />
oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit<br />
Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung<br />
nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten,<br />
und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr<br />
erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit<br />
stammen, sowie<br />
1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen<br />
Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe<br />
fehlen oder<br />
2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck<br />
angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am<br />
allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“<br />
Weggefallen ist die 10 %-Grenze des bisherigen § 50d<br />
Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG, also die nachstehende Formulierung,<br />
wonach<br />
die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten<br />
Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener<br />
Wirtschaftstätigkeit erzielt.<br />
Es könnte sich der Eindruck ergeben, als wäre mit der<br />
Streichung der 10 %-Grenze und den weiteren Änderungen<br />
des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG die<br />
Vorschrift lediglich vereinfacht und klarer gefasst und<br />
unionsrechtskonform ausgestaltet worden. <strong>Die</strong>s ist jedoch<br />
hier nur verkürzt dargestellt, aber im weiteren Verlauf der<br />
Abhandlung aufgegriffen, da das BMF zum neuen Recht eine<br />
andere Auffassung vertritt, die der kritischen Auseinanderset-<br />
zung bedarf.<br />
20 Az. 2007/4435, vgl. Pressemitteilung IP/10/298. <strong>Die</strong> Kommission<br />
verband die Aufforderung zur Änderung des § 50d Abs. 3<br />
S. 1 Nr. 2 EStG mit einer Stellungnahme gemäß Art. 258 AEUV.<br />
21 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70; v. 21.1.2010 –<br />
Rs.C-311/08–Société de Gestion Industrielle S.A., IStR 2010,<br />
144.<br />
22 S. oben. Fn. 4.<br />
23 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG.<br />
24 Kursiv gedruckt sind die neuen oder gegenüber der bisherigen<br />
Gesetzesfassung verschobenen Worte.<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
378 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
nicht der Fall. Zum einen erkennt das BMF in der Neufassung<br />
eine unklare und unionsrechtswidrige „Aufteilungsregel“<br />
für die Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />
(dazu sogleich IV.). Zum anderen bestehen Unklarheiten<br />
im Bereich der Voraussetzungen für die Steuerentlastung<br />
(dazu V.). Schließlich gibt es Fragen im Zusammenhang<br />
mit der Erteilung von Freistellungsbescheinigungen und<br />
ganz allgemein zur zeitlichen Anwendbarkeit des neuen<br />
Rechts (dazu VI. und VII.). <strong>Die</strong> Verwaltungsauffassung zu<br />
diesen Themen ist im neuen BMF-Schreiben 2012 darge-<br />
stellt. 25<br />
Das BMF-Schreiben 2012 ist eine Fortschreibung<br />
des BMF-Schreibens 2007, die allerdings in entscheidenden<br />
Teilen missglückt ist.<br />
IV. Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />
1. Aufteilungsregelung<br />
Ob der Gesetzeswortlaut eine vom bisherigen Recht abweichende<br />
Aufteilungsregel enthält, ist zweifelhaft. <strong>Die</strong><br />
Aufteilungsregel wird allerdings in der Gesetzesbegründung<br />
erwähnt. Im Bericht des Finanzausschusses heißt<br />
es: 26<br />
„<strong>Die</strong> bisherige Umqualifikationsklausel wird durch eine neue<br />
Aufteilungsklausel ersetzt. Danach werden nur insoweit keine<br />
Abkommensvorteile mehr gewährt, als die Bruttoerträge nicht aus<br />
eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und die übrigen Ausschlussgründe<br />
vorliegen. Wenn also z.B. die Verwertung von in<br />
Deutschland mit hohen, steuerlich abzugsfähigen Kosten entwickelten<br />
gewerblichen Schutzrechten von der deutschen Mutter auf<br />
eine (meist niedrig besteuerte) ausländische Tochter in einem<br />
DBA-Staat übertragen wird, wird die auf den Verwertungserlösen<br />
lastende deutsche Abzugssteuer nach den Vorschriften des betroffenen<br />
Doppelbesteuerungsabkommens bei Vorliegen einer der<br />
beiden anderen eine echte wirtschaftliche Tätigkeit ausschließende<br />
Gründe teilweise oder überhaupt nicht erstattet oder freigestellt<br />
werden. Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die ausländische<br />
Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher<br />
Tätigkeit erzielt.“<br />
Der Begriff der Aufteilungsklausel ist also in der Gesetzesbegründung<br />
angelegt, aber dort nicht weiter ausgeführt.<br />
Das genannte Beispiel hilft insbesondere im Hinblick auf<br />
Dividendenstrukturen nicht weiter, da hier keine Ausschüttung<br />
an eine ausländische Muttergesellschaft beschrieben<br />
wird, bei der sich die Frage stellen würde, inwieweit<br />
die Muttergesellschaft entlastungsberechtigt ist. Vielmehr<br />
beschreibt der Fall eine Vollrechtsübertragung an<br />
einem gewerblichen Schutzrecht auf eine ausländische<br />
Tochtergesellschaft, die künftig Lizenzgebühren von ihrer<br />
deutschen Muttergesellschaft erhält. In diesem Fall stellt<br />
sich die Frage nach der persönlichen Entlastungsberechtigung<br />
nicht, da die deutsche Muttergesellschaft unter dem<br />
DBA bzw. der Zins- und Lizenzrichtlinie nicht persönlich<br />
entlastungsberechtigt ist. Umgekehrt zeigt das Beispiel<br />
aber auch, dass es allein auf die sachliche Entlastungsberechtigung<br />
ankommt, wenn die ausländische Gesellschaft<br />
– hier: die im DBA-Staat ansässige Tochtergesellschaft –<br />
formell den Tatbestand des DBA (bzw. in EU-Fällen der<br />
Zins- und Lizenzrichtlinie und des § 50g EStG) erfüllt.<br />
Aber interessant ist das Beispiel in der Gesetzesbegründung<br />
vor allem deswegen, weil es unmissverständlich sagt:<br />
„Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die ausländische<br />
Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher<br />
Tätigkeit erzielt.“ Konsequenz daraus ist, dass ent-<br />
25 BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />
26 BT-Drucks. 17/7524 v. 26.10.2011, S. 17.
weder – bei Vorliegen der sachlichen Entlastungsberechtigung<br />
– die DBA-Entlastung für die Lizenzgebühren vollen<br />
Umfangs gewährt wird, oder anderenfalls die Entlastung<br />
vollen Umfangs versagt wird. Letztlich bedeutet die Aufteilungsklausel<br />
in der Lesart der Gesetzesbegründung,<br />
dass für jeden einzelnen Bruttoertrag individuell geprüft<br />
werden muss, ob die Entlastungsberechtigung vorliegt<br />
(dann volle Entlastung) oder eben nicht.<br />
Im BMF-Schreiben 2012 heißt es hingegen:<br />
„Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer unterliegende<br />
abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sich die Quellensteuer<br />
vorbehaltlich einer zusätzlichen persönlichen Entlastungsberechtigung<br />
im Verhältnis der unschädlichen Bruttoerträge<br />
zu den im Wirtschaftsjahr insgesamt erzielten Bruttoerträgen der<br />
ausländischen Gesellschaft („Aufteilungsklausel“). 27 (...)<br />
<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat insoweit einen Anspruch auf<br />
Steuerentlastung, als<br />
a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />
Personen (siehe Rz. 4 [des BMF-Schreibens]) beteiligt sind<br />
oder<br />
b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Einkünfte<br />
eine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt (unschädliche<br />
Erträge i.S.d. Rz. 1) oder<br />
c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG genannten<br />
Sonderfälle (siehe Rz. 9) 28 handelt. 29“<br />
In Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 setzt das BMF zum<br />
großen Wurf an und nennt ein Beispiel für die Anwendung<br />
des neuen Rechts bei Dividenden- und Lizenzeinnahmen<br />
einer ausländischen Muttergesellschaft von deutschen<br />
Tochtergesellschaften. <strong>Die</strong>ses Beispiel hat es in sich. Es<br />
war zunächst unverständlich und wurde nach wenigen Tagen<br />
in der Online-Fassung auf der Website des BMF geän-<br />
dert. 30<br />
Inhaltlich setzt es sich mit der – nachstehend noch<br />
zu erläuternden – Begrifflichkeit zur persönlichen und<br />
sachlichen Entlastungsberechtigung der ausländischen<br />
Gesellschaft auseinander. Es sagt – verkürzt – Folgendes:<br />
Auf Ebene der – formell abkommens- bzw. richtlinienberechtigten<br />
– ausländischen Gesellschaft ist zu prüfen, in<br />
welchem Umfang deren Bruttoerträge31 entweder (i) solche<br />
aus eigener Wirtschaftstätigkeit sind oder (ii) beachtliche<br />
Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />
bestehen und diese einen angemessenen Geschäftsbetrieb<br />
unterhält, der aktiv am Markt teilnimmt<br />
(sachliche Entlastungsberechtigung). Zunächst ist die<br />
Quote der solchermaßen „guten“ Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen<br />
zu ermitteln. Soweit diese Quote nicht<br />
100 % beträgt, ist durch die ausländische Gesellschaft hindurchzuschauen<br />
und derselbe Test bei den unmittelbaren<br />
und mittelbaren Gesellschaftern zu machen, indem die<br />
sachliche Entlastungsberechtigung der Gesellschafter (de<br />
facto bis zur letzten natürlichen Person, börsennotierten<br />
Gesellschaft oder Investmentgesellschaft) geprüft und mit<br />
der Möglichkeit der Gesellschafter, Abkommens- oder<br />
Richtlinienschutz in Anspruch zu nehmen (persönliche<br />
27 Rz. 2 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />
28 Gesellschaften mit börsengehandelten Aktien und Investmentgesellschaften.<br />
Auf diese wird im Folgenden nicht weiter eingegangen.<br />
29 Rz. 12 Abs. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5). Im Vergleich<br />
mit dem BMF-Schreiben 2007, aaO (Fn. 11), dort Rz. 13,<br />
fällt zunächst auf, dass im Einleitungshalbsatz das Wort „insoweit“<br />
eingefügt wurde.<br />
30 Dazu der Hinweis in IStR 2012, 234.<br />
31 Zum Begriffswirrwarr „Bruttoerträge“, „Erträge“ und „Einkünfte“<br />
s. Lüdicke, IStR 2012, 81 (82 f.).<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 379<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
Entlastungsberechtigung), „multipliziert“ wird. <strong>Die</strong>se Entlastungsberechtigungen<br />
„durch die Kette“ sind am Ende zu<br />
addieren, so dass sich für die ausländische Gesellschaft<br />
eine Gesamtquote für Ihre Entlastungsberechtigung ergibt.<br />
<strong>Die</strong>s lässt sich anhand des – hier stark vereinfacht und abgewandelt<br />
dargestellten – Sachverhalt, den das BMF in<br />
Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 zugrunde legt, wie folgt<br />
illustrieren:<br />
Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft<br />
A sind zu 30 % eine richtlinienberechtigte<br />
EU-Kapitalgesellschaft (B), zu 20 % eine Kapitalgesellschaft<br />
im DBA-Staat (C), die nach Art. 10<br />
OECD-MA eine Kapitalertragsteuerentlastung von<br />
15%inAnspruchnehmenkönnte,undzu50%eine<br />
deutsche <strong>GmbH</strong> (D) beteiligt. A wird als Gesellschaft<br />
anerkannt, ist aber nicht sachlich entlastungsberechtigt.<br />
B, C und D sind alle sachlich entlastungsberechtigt.<br />
A erzielt von einer deutschen Tochtergesellschaft eine<br />
Dividende i.H.v. 100.000 c.<br />
Lösung: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung gemäß<br />
§§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 9,5 %-Punkten zu gewähren<br />
und berechnet sich wie folgt:<br />
– Für A: 0 %, da keine sachliche Entlastungsberechtigung<br />
besteht;<br />
– für B: 30 % (Beteiligungsquote) x 100 % (volle Entlastung<br />
aufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von<br />
25 % (ohne SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;<br />
– für C: 20 % (Beteiligungsquote) x 40 % (Entlastung<br />
von 10 %-Punkten gegenüber dem nationalen Kapitalertragsteuersatz)<br />
von 25 %, d.h. 2 %-Punkte;<br />
– für D: 50 % (Beteiligungsquote) x 0 % (keine Entlastung,<br />
da deutsche Gesellschaft) von 25 %, d.h.<br />
0 %-Punkte.<br />
Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 15.500 c einzubehalten.<br />
Nicht neu an diesem Konzept ist das Prüfen der persönlichen<br />
Entlastungsberechtigung durch die Kette; diese Prüfung<br />
war schon nach altem Recht vorgesehen. 32 Das Konzept<br />
wird jedoch durch die Neuerung ergänzt – dies ist der<br />
Kern der sog. Aufteilungsregel –, dass für die persönlich<br />
entlastungsberechtigten Gesellschafter jeweils zu prüfen<br />
ist, welche Quote „guter“ Bruttoerträge, für die sachliche<br />
Entlastungsberechtigung besteht, auf deren Ebene zu ermitteln<br />
ist. Entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Gesetzesbegründung<br />
können nach Auffassung des BMF, wie<br />
sie in dem Beispiel der Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012<br />
zum Ausdruck kommt, Erträge, die eindeutig und vollständig<br />
z.B. aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit der ausländischen<br />
Gesellschaft erzielt werden, nicht zu 100 % als<br />
sachlich entlastungsberechtigt behandelt und – bei Vorlie-<br />
32 Rz. 13 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11): „Sind an der<br />
ausländischen Gesellschaft auch nicht entlastungsberechtigte<br />
Personen beteiligt [...] und erbringt sie den genannten Nachweis<br />
[der anerkannten Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen<br />
Gesellschaft, d.Verf.] nicht, ist zur Feststellung der Höhe<br />
des Steuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter gesondert<br />
zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wäre, wenn er<br />
die Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />
Der Steuerentlastungsanspruch der Gesellschaft ergibt<br />
sich aus der Summe der fiktiven Entlastungsansprüche der Gesellschafter,<br />
die unmittelbar an der antragstellenden Gesellschaft<br />
beteiligt sind.“
gen der persönlichen Entlastungsberechtigung – zu 100 %<br />
von der Abzugsteuer befreit werden, wenn die Gesellschaft<br />
und die hinter ihr stehenden Gesellschafter auch schädliche,<br />
d.h. nicht sachlich entlastungsberechtigte Erträge erzielen.<br />
Mit anderen Worten: Selbst wenn die ausländische<br />
Gesellschaft persönlich entlastungsberechtigt ist und die<br />
bezogene Dividende oder Lizenzgebühr eindeutig und vollständig<br />
dem sachlich „guten“ Bereich zuzurechnen ist, versagt<br />
die Finanzverwaltung die vollständige Entlastung,<br />
wenn die ausländische Gesellschaft bzw. ihre Gesellschafter<br />
darüber hinaus auch schädliche Erträge erzielen.<br />
Sachverhalt: wie zuvor. A erzielt allerdings Dividenden<br />
von mehreren deutschen Tochtergesellschaften.<br />
Nach Maßgabe des BMF-Schreibens erzielt A Dividenden<br />
i.H.v. 30.000 c, für die sachliche Entlastungsgründe<br />
vorliegen, und schädliche Dividenden i.H.v.<br />
70.000 c.<br />
Lösung: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung gemäß<br />
§§ 43b, 50d EStG ist für sämtliche Dividenden nach<br />
einem einheitlichen Entlastungssatz i.H.v. 14,15 %-<br />
Punkten zu gewähren, der sich wie folgt berechnet:<br />
– für die „guten“ Dividenden: 30 % (anteilige „gute“<br />
Erträge) x 100 % (volle „eigene“ Entlastung der A<br />
aufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von 25 % (ohne<br />
SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;<br />
– für die „schädlichen“ Dividenden: 70 % (anteilige<br />
„schädliche“ Erträge) x 9,5 % (abgeleitete Entlastung<br />
von B, C und D, wie im vorherigen Beispiel errechnet),<br />
d.h. 6,65 %-Punkte;<br />
Der Kapitalertragsteuersatz beträgt für sämtliche Dividenden<br />
10,85 %. Insgesamt ist von den Tochtergesellschaften<br />
Kapitalertragsteuer i.H.v. 10.850 c einzubehalten.<br />
2. Kritik<br />
<strong>Die</strong> Aufteilungsregel in der Lesart des BMF ist unionsrechts-<br />
und abkommenswidrig. <strong>Die</strong> Neuregelung muss<br />
sich ebenso an den unionsrechtlichen Grundfreiheiten<br />
(Niederlassungs-, Kapitalverkehrs- und <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit)<br />
33 und den genannten Richtlinien messen lassen<br />
wie an den Vorgaben der Doppelbesteuerungsabkommen.<br />
34 Es ist dies nicht der Platz, die unions- und abkommensrechtliche<br />
Schrankendogmatik im einzelnen auszubreiten,<br />
35 aber so viel sei hier gesagt: <strong>Die</strong> Kapitalverkehrsfreiheit<br />
i.S.d. Art. 63 Abs. 1 AEUV ist verletzt, wenn ihr<br />
Anwendungsbereich ohne Rechtfertigung beschränkt<br />
wird. 36 Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH37 ist bei einer beschränkenden (Missbrauchsvermeidungs-)-<br />
33 Art. 49, 63 Abs. 1 u. 56 AEUV.<br />
34 Vgl. Rz. 7 ff. OECD-MK zu OECD-MA.<br />
35 Schönfeld, IStR 2012, 215 ff.; s. auch Gosch in Kirchhof, EStG,<br />
10. Aufl. 2011, § 50d Rz. 26 f.<br />
36 <strong>Die</strong> Kapitalverkehrsfreiheit (s. hierzu und zum Folgenden v. Wilmowsky<br />
in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten,<br />
§ 12, Rz. 2 ff.) erfasst jegliche Begründung, Übertragung<br />
und Verlagerung von vermögenswerten Rechten. Folglich ist er<br />
berührt, wenn der Ertrag von Kapital einer Steuer unterworfen<br />
wird. Da Dividenden inländischer Tochtergesellschaften ausländischer<br />
Muttergesellschaften mit Kapitalertragsteuer belegt werden,<br />
weist § 50d Abs. 3 EStG auch den erforderlichen grenzüberschreitenden<br />
Bezug auf.<br />
37 Vgl. neben dem Grundsatzurteil des EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-<br />
196/04 – Cadbury-Schweppes, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm.<br />
Kleinert zuletzt EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
380 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
Maßnahme u.a. zu prüfen, ob diese nicht über das hinausgeht,<br />
was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erforderlich<br />
ist. 38 <strong>Die</strong> Doppelbesteuerungsabkommen lassen<br />
nur diesseits der Grenze zum Treaty Override eine beschränkende<br />
(Missbrauchsbekämpfungs-)Maßnahme zu,<br />
wenn diese darauf abzielt, die Vorteile eines DBA nicht zu<br />
gewähren, wenn ein Hauptzweck bestimmter Gestaltungen<br />
darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlangen<br />
und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen<br />
Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften<br />
widersprechen würde. 39 Der OECD-Musterkommentar<br />
schlägt z.B. folgende Formulierung für eine zulässige<br />
Beschränkung vor:<br />
„Eine in einem Vertragsstaat ansässige Person kann, selbst wenn<br />
sie keine berechtigte Person ist, die Vergünstigungen des Abkommens<br />
in Bezug auf Einkünfte aus dem anderen Staat beanspruchen,<br />
wenn sie im erstgenannten Staat eine aktive Geschäftstätigkeit<br />
ausübt (...), die Einkünfte aus dem anderen Staat im Zusammenhang<br />
mit oder anlässlich dieser Geschäftstätigkeit anfallen<br />
und die Person die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme<br />
dieser Vergünstigungen erfüllt.“ 40<br />
In diesem Sinne hatte sich der EuGH für die Grundfreiheiten<br />
bekanntlich bereits in der Rechtssache Cadbury-<br />
Schweppes klar positioniert:<br />
„Eine Beschränkung [...] (lässt sich) nur mit Gründen der Bekämpfung<br />
missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das<br />
spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen<br />
zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen<br />
Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten,<br />
der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten<br />
im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird. 41 (...)<br />
Der ansässigen Gesellschaft, die hierzu am ehesten in der Lage ist,<br />
ist die Gelegenheit zu geben, Beweise für die tatsächliche Ansiedlung<br />
der beherrschten ausländischen Gesellschaft und deren tatsächliche<br />
Betätigung vorzulegen.“ 42<br />
Während die Verhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseite<br />
in diesem Sinne eingehend zu prüfen ist, gibt es keine Beschränkung<br />
auf der Rechtsfolgenseite: Wenn die Beschränkung<br />
der Inanspruchnahme unions- oder abkommensrechtlicher<br />
Vorteile unzulässig ist, heißt dies im Umkehrschluss,<br />
dass diese auch zu gewähren sind, und zwar<br />
uneingeschränkt. 43<br />
Im Anwendungsbereich des Unionsrechts besteht beim<br />
Vollzug des nationalen Rechts die Verpflichtung zur<br />
Grid Indus BV, DStR 2011, 2334 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 232 (LS); dazu<br />
Prinz, <strong>GmbH</strong>R 2012, 195 ff.<br />
38 Vgl. u.a. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National Grid Indus<br />
BV, DStR 2011, 2334 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 232 (LS), Rz. 50, unter<br />
Hinweis auf EuGH v. 30.6.2011 – Rs. C-262/09 – Meilicke u.a.,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2011, 875 m. Komm. Rehm/Nagler, Rz. 42 und die dort<br />
angeführte Rechtsprechung (Prüfung der Verhältnismäßigkeit).<br />
39 Rz. 9.5 OECD-MK zu OECD-MA.<br />
40 S. das Beispiel in Rz. 20 OECD-MK zu OECD-MA, dort Nr. (3) a).<br />
41 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 55.<br />
42 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70.<br />
43 <strong>Die</strong>s gilt selbst dann, wenn die quotale Inanspruchnahme der<br />
Entlastung im konkreten Fall in der Summe zu demselben Ergebnis<br />
führen sollte wie die Alles-oder-Nichts-Regelung. Bei<br />
bestimmten Annahmen würde die Aufteilungsregel, bei der z.B.<br />
3/10tel der Entlastung auf alle, d.h. auch auf schädliche Erträge<br />
gewährt wird, zu dem gleichen Ergebnis führen wie die Allesoder-Nichts-Regel,<br />
bei der in 3/10tel der Fälle die volle Entlastung<br />
gewährt, sie indes in 7/10tel der Fälle versagt wird. <strong>Die</strong>ses<br />
Ergebnis wäre indes rein zufällig und von den Besonderheiten<br />
des Einzelfalles abhängig.
unionsrechtskonformen Interpretation. 44 Im Hinblick auf<br />
den – hier erneut vereinfacht und abgewandelt dargestellten<br />
– Sachverhalt, den das BMF in Rz. 12 des BMF-<br />
Schreibens 2012 zugrunde legt, bedeutet dies Folgendes:<br />
Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft<br />
A sind ausschließlich Personen beteiligt,<br />
die außerhalb der EU und nicht in einem DBA-<br />
Staat ansässig sind. A entfaltet eigene wirtschaftliche<br />
Tätigkeit, hat einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb,<br />
mit dem sie am Markt aktiv teilnimmt;<br />
sie ist insoweit sachlich entlastungsberechtigt. <strong>Die</strong>sem<br />
Bereich ihres Geschäfts, mit dem auch die 100 %-Beteiligung<br />
an einer deutschen <strong>GmbH</strong> in engem Funktionszusammenhang<br />
steht, sind 30 % der Bruttoerträge<br />
der A zuzurechnen. Daneben erzielt A 70 % ihrer Bruttoerträge<br />
aus schädlicher Tätigkeit.<br />
A erzielt von der deutschen Tochtergesellschaft eine<br />
Dividende i.H.v. 100.000 c.<br />
Lösung im Sinne des BMF: <strong>Die</strong> Kapitalertragsteuerentlastung<br />
gemäß §§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 30 %<br />
zu gewähren, also 30 % von 25 % (ohne SolZ), d.h.<br />
7,5 %-Punkten. Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 17.500 c<br />
einzubehalten.<br />
Lösung im hier vertretenen Sinne: <strong>Die</strong> Entlastung<br />
von Kapitalertragsteuer ist vollen Umfangs zu gewähren.<br />
45 Kapitalertragsteuer ist nicht einzubehalten.<br />
M.E. lässt sich die hier vertretene Lösung mit dem Wortlaut<br />
des Gesetzes in Einklang bringen. Der Wortlaut („soweit“,<br />
„in Bezug auf“) bedeutet, dass die Prüfung des<br />
§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG für jeden Bruttoertrag, der grundsätzlich<br />
kapitalertragsteuerpflichtig und potentiell richtlinien-<br />
bzw. abkommensberechtigt ist, gesondert vorgenommenwerdenmuss.§50Abs.3EStGn.F.istindiesemSinne<br />
unionsrechts- und abkommenskonform auszulegen.<br />
Eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage ergibt<br />
sich insoweit nicht. Das BMF-Schreiben 2012 ist in<br />
seiner Lesart der Aufteilungsregel rechtswidrig; es muss<br />
überarbeitet werden, Rz. 12 ist aufzuheben.<br />
V. Entlastungsberechtigung<br />
<strong>Die</strong> tatbestandliche Anknüpfung der Entlastungsberechtigung<br />
ist danach zentral für die Anwendung der Vorschrift<br />
44 Zorn, IStR 2012, 86 ff. unter Hinweis auf Jarass/Beljin, JZ 2003,<br />
768 ff.; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches<br />
Recht, 3. Aufl. 2006, S. 91. <strong>Die</strong>s muss erst recht für Verwaltungsanweisungen<br />
gelten. Denn trotz fehlender Rechtssetzungskompetenz<br />
der Union für die Gestaltung direkter Steuern entfaltet<br />
das Unionsrecht – vermittelt über die Grundfreiheiten – Wirkung<br />
auf die nationalen Steuerrechtsordnungen. <strong>Die</strong> mit den<br />
Grundfreiheiten verbundenen Diskriminierungsverbote entfalten<br />
unmittelbare Wirkung. Folglich können sich Individuen gegenüber<br />
nationalen Behörden und Gerichten unmittelbar auf sie<br />
berufen. Verstößt eine Rechtsnorm gegen Grundfreiheiten, so ist<br />
sie stattdessen insoweit ipso iure unanwendbar (vgl. Oppermann,<br />
Europarecht, § 17, Rz. 9, m.w.N.). Begründet wird dies<br />
im Wesentlichen mit dem in Art. 4 Abs. 3 UA 3 EUV niedergelegten<br />
Gebot unionstreuen Verhaltens der Mitgliedsstaaten (effet<br />
utile, vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 1: Grundfreiheiten,<br />
Rz. 84). Entsprechende Urteile des EuGH wirken grundsätzlich<br />
ex tunc (Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 287<br />
m.w.N.).<br />
45 N.B. Sie wäre indes vollen Umfangs zu versagen, wenn in Bezug<br />
auf den konkreten Bruttoertrag der Missbrauchseinwand greifen<br />
würde.<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 381<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
des § 50d Abs. 3 EStG. 46 <strong>Die</strong>s gilt auch vor dem Hintergrund,<br />
dass der ausländischen Gesellschaft die Feststellungslast<br />
für das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale<br />
obliegen soll. 47<br />
Das BMF-Schreiben 2012 gibt zunächst einen allgemeinen<br />
Überblick über das Konzept der Einschränkung der<br />
Entlastungsberechtigung, die nach §§ 43b, 50g EStG oder<br />
einem DBA bestehen würde. Der Entlastungsanspruch ist<br />
danach tatbestandlich beschränkt,<br />
– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen<br />
die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die<br />
Einkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlastungsberechtigung),<br />
und<br />
– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3<br />
S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nicht<br />
vorliegen (schädliche Erträge).“ 48<br />
Sodann unternimmt das BMF den Versuch, die Begriffe<br />
der persönlichen und sachlichen Entlastungsberechtigung<br />
zu definieren. 49<br />
1. Begriff der „persönlichen“ Entlastungsberechtigung<br />
In Rz. 4 des BMF-Schreibens 2012 wird das schon bisher<br />
geltende Merkmal der formellen Entlastungsberechtigung,<br />
das nach der Berechtigung „nach dem Buchstaben<br />
des Gesetzes“ fragte, wenn entsprechende Substanz der<br />
ausländischen Gesellschaft vorlag, zu einer sog. persönlichen<br />
Entlastungsberechtigung ausgebaut. Schon bislang<br />
hatte<br />
„eine ausländische Gesellschaft keinen Entlastungsanspruch nach<br />
§§ 43b oder 50g EStG oder nach einem DBA, wenn [keine sachlichen<br />
Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />
vorlagen50] und soweit Personen an ihr beteiligt sind,<br />
denen eine Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie<br />
die Einkünfte unmittelbar erzielten (Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung<br />
des Gesellschafters). <strong>Die</strong> Entlastungsberechtigung<br />
ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut („soweit“) für<br />
jeden Gesellschafter gesondert zu prüfen.“ 51<br />
Im Ergebnis bedeutete dies schlicht, dass dann, wenn auf<br />
Ebene der unmittelbar beteiligten, formell entlastungsberechtigten<br />
Gesellschaft keine sachlichen Gründe für deren<br />
Zwischenschaltung bestanden, durch diese hindurchzuschauen<br />
war mit dem Ziel der Prüfung, ob hinter ihr ggf.<br />
formell entlastungsberechtigte Personen52 standen, die<br />
auch die sachlichen Voraussetzungen erfüllten.<br />
46 Insgesamt ist der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG missglückt,<br />
da es versäumt wurde, den Tatbestand klar zu konzipieren<br />
(dies zeigt sehr schön die Gegenüberstellung bei Engers/<br />
Dyckmans, Ubg 2011, 929 [930]) und sprachlich entsprechend<br />
neuzufassen.<br />
47 Vgl. § 50 Abs. 3 S. 4 EStG; Rz. 13 des BMF-Schreibens 2012,<br />
aaO (Fn. 5).<br />
48 Rz. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5); Hervorhebungen<br />
im Original.<br />
49 <strong>Die</strong>ser im Grundsatz begrüßenswerte Ansatz erscheint allerdings<br />
insoweit missglückt, als sich das BMF im weiteren Verlauf<br />
des Schreibens nicht durchgehend an die selbst vorgegebene<br />
Diktion hält; darauf wird noch zurückzukommen sein.<br />
50 Kursorische Zusammenfassung des Original-Wortlauts, der<br />
Verf.<br />
51 Rz. 4 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).<br />
52 Also nicht Personen, die sich bereits dem Wortlaut nach nicht auf<br />
den Tatbestand eines Entlastung gewährenden Gesetzes stützen<br />
konnten. Zu diesen zählten schon bislang inländische Gesellschafter<br />
(vgl. Rz. 4 Abs. 1 a.E. BMF-Schreiben 2007, aaO
Letztlich hat sich durch die Neufassung des Gesetzes hieran<br />
nichts geändert. „Persönliche“ Entlastungsberechtigung<br />
i.S.d. BMF-Schreibens 2012 meint augenscheinlich<br />
nichts anderes als Entlastungsberechtigung „nach dem<br />
Buchstaben des Gesetzes“ (hier wird weiter von „formeller“<br />
Entlastungsberechtigung gesprochen), wie sie ohne<br />
weiteres dem BMF-Schreiben 2007 als Konzept der Entlastungsberechtigung<br />
zugrunde lag.<br />
Völlig unbedenklich ist die Neuschöpfung des Begriffs der<br />
„persönlichen“ Entlastungsberechtigung indes nicht.<br />
Schon die Definition der persönlichen Entlastungsberechtigung<br />
in Rz. 1 des BMF Schreibens 2012 verwirrt, da hier<br />
gerade der zum Ausschluss von der Entlastung führende<br />
Fall der fehlenden persönliche Entlastungsberechtigung<br />
vorliegt. Sind nämlich Personen an der Gesellschaft beteiligt,<br />
denen die Steuerentlastung nicht zustünde, wenn sie<br />
die Einkünfte unmittelbar erzielten, liegt die persönliche<br />
Entlastungsberechtigung gerade nicht vor. Offensichtlich<br />
zielt die Bestimmung darauf ab, die Entlastung davon abhängig<br />
zu machen, dass die formell entlastungsberechtigte<br />
ausländische Gesellschaft, die einen sachlichen Entlastungsgrund<br />
nicht selbst vorweisen kann, jedenfalls insoweit<br />
entlastungsberechtigt sein soll, als hinter der Gesellschaft<br />
Personen stehen, denen eine Steuerentlastung sowohl<br />
formell als auch sachlich zustünde, wenn sie die Einkünfte<br />
unmittelbar erzielten. Daher ist es ein Fehler, wenn<br />
die – neue – Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 davon<br />
spricht, dass eine ausländische Gesellschaft „insoweit<br />
einen Anspruch auf Steuerentlastung [hat], als an ihr unmittelbar<br />
oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />
Personen beteiligt sind (...)“. <strong>Die</strong> nur formelle Entlastungsberechtigung<br />
des direkt beteiligten mittelbaren Gesellschafters,<br />
bei dem also nicht zugleich sachliche Entlastungsberechtigung<br />
vorliegen, ist gerade nicht ausreichend,<br />
der ausländischen Gesellschaft einen Anspruch auf Steuerentlastung<br />
zu geben, wenn diese selber nur formell, nicht<br />
aber sachlich entlastungsberechtigt ist. Auf Ebene eines<br />
mittelbaren Gesellschafters müssen beide Tatbestandsmerkmale<br />
zugleich erfüllt sein. 53<br />
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das BMF in der Sache<br />
(wohl) nichts Neues sagen möchte. Persönliche Entlastungsberechtigung<br />
ist nichts anderes als „formelle“ Entlastungsberechtigung<br />
„nach dem Buchstaben des Gesetzes“.<br />
<strong>Die</strong> neue Terminologie sollte im BMF-Schreiben stringent<br />
verwendet werden.<br />
2. Begriff der „sachlichen“ Entlastungsberechtigung<br />
a) Übersicht<br />
Der Gesetzeswortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. zur<br />
sachlichen Entlastungsberechtigung ist missglückt; die<br />
Vorschrift formuliert negativ („Eine ausländische Gesellschaft<br />
hat keinen Anspruch auf Entlastung, wenn (...)“). Insoweit<br />
ist es zunächst zu begrüßen, dass das BMF erkennbar<br />
darum bemüht ist, im BMF-Schreiben 2012 die Anspruchsvoraussetzungen<br />
der sachlichen Entlastungsberechtigung<br />
positiv zu formulieren. <strong>Die</strong> Nummerierung gesetzlichen<br />
des Tatbestands ist indes verwirrend, und das<br />
BMF-Schreiben sorgt hier nicht für die wünschenswerte<br />
Klarheit.<br />
[Fn. 11]). Ebenso nunmehr Rz. 4.1 BMF-Schreiben 2012, aaO<br />
(Fn. 5).<br />
53 Zudem darf die Kette nicht durch einen persönlich nicht entlastungsberechtigten<br />
Gesellschafter unterbrochen sein.<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
382 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. beschreibt, positiv formuliert,<br />
zwei alternative sachliche Entlastungstatbestände: 54 Entweder<br />
(1) werden die fraglichen Bruttoerträge aus eigener wirtschaftlicher<br />
Tätigkeit erzielt, oder<br />
(2) in Bezug auf die Erträge, die nicht aus eigener wirtschaftlicher<br />
Tätigkeit stammen, bestehen<br />
– wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die<br />
Einschaltung der ausländischen Gesellschaft und<br />
– die ausländische Gesellschaft nimmt am allgemeinen<br />
Verkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen<br />
eingerichteten Geschäftsbetrieb teil.<br />
Wenn einer der beiden Tatbestände gegeben ist, liegt die<br />
sachliche Entlastungsberechtigung vor. Es wäre wünschenswert,<br />
dass das BMF die Konzeption des Tatbestands<br />
in einer Neufassung des BMF-Schreibens 2012 in dieser<br />
Form abbildet.<br />
b) Eigene Wirtschaftstätigkeit<br />
Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht nach Rz. 5<br />
des BMF-Schreibens 2012, soweit die Bruttoerträge aus<br />
eigener Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft<br />
stammen. Im Anschluss an die Cadbury-Schweppes<br />
Entscheidung des EuGH55 setzt „eigene Wirtschaftstätigkeit“<br />
eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende<br />
Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen<br />
Verkehr voraus („wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“).<br />
<strong>Die</strong> Zwischenschaltung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat<br />
ansässigen Gesellschaft ist nur dann gerechtfertigt,<br />
wenn die Gesellschaft am dortigen Marktgeschehen<br />
im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv,<br />
ständig und nachhaltig teilnimmt. Eine Beteiligung am allgemeinen<br />
wirtschaftlichen Verkehr liegt auch vor, wenn<br />
<strong>Die</strong>nstleistungen gegenüber einer oder mehreren Konzerngesellschaften<br />
erbracht werden. Voraussetzung ist, dass die<br />
Leistungen gegen gesondertes Entgelt erbracht werden<br />
und wie gegenüber fremden Dritten abgerechnet werden.<br />
Zu den aktiven Einkünften zählen auch die Bruttoerträge<br />
einer Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />
derselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktionalen<br />
Zusammenhang stehen sowie Zinserträge einer Gesellschaft,<br />
die diese aus der verzinslichen Anlage eigener entlastungsberechtigter<br />
Gewinne erzielt. Bruttoerträge sind<br />
solche i.S.d. § 9 AStG.<br />
Dividenden und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzgebühren)<br />
von sog. geleiteten Gesellschaften zählen zu den<br />
Bruttoerträgen des Bereichs der eigenen Wirtschaftstätigkeit.<br />
Damit greift das BMF das bereits im BMF-Schreiben<br />
2007 enthaltene Privileg für aktive Beteiligungsverwaltung<br />
auf. 56 Es wird insofern auf oben I. verwiesen.<br />
54 So auch Klein, Tagungsbeitrag Hamburger Forum für Unternehmensteuerrecht,<br />
16.2.2012, abrufbar unter www.forum-unterneh<br />
mensteuerrecht.de; Lüdicke, IStR 2012, 81 (82).<br />
55 S. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 68.<br />
56 Rz. 5.2 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5), Rz. 6.2 f. des<br />
BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), jeweils unter Hinweis auf<br />
BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339 (341); s.<br />
bereits oben unter II.
c) Beachtliche Gründe und Teilnahme am<br />
allgemeinen Verkehr<br />
Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht auch dann,<br />
wenn die mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />
ausgestattete ausländische Gesellschaft am allgemeinen<br />
Verkehr teilnimmt und für deren Einschaltung<br />
wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen<br />
(dazu Rz. 6 ff. des BMF-Schreibens 2012). Dabei ist ausschließlich<br />
auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft<br />
und nicht auf den Konzernverbund abzustellen.<br />
<strong>Die</strong> anzuerkennenden wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen<br />
Gründe lässt das BMF bewusst vage. Im Sinne eines<br />
Regelbeispiels wird lediglich gesagt, dass die geplante und<br />
durch entsprechende Aktivitäten nachgewiesene Aufnahme<br />
einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Rz. 5 des<br />
BMF-Schreibens 2012 einen wirtschaftlichen Grund darstelle.<br />
Rechtliche Gründe können als sonst beachtliche<br />
Gründe in Betracht kommen. Negativ wird – viel zu weit<br />
gehend – formuliert, dass Umstände, die sich aus den Verhältnissen<br />
des Konzernverbunds ergeben (wie z.B. Gründe<br />
der Koordination, Organisation, Aufbau der Kundenbeziehung,<br />
Kosten, örtliche Präferenzen, gesamtunternehmerische<br />
Konzeption), keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen<br />
Gründe in diesem Sinne darstellen. Aus unionsrechtlicher<br />
Sicht geht es letztlich nur um die Frage, ob für<br />
die Errichtung der Gesellschaft Gründe bestehen, nicht jedoch<br />
um die Frage, ob es Gründe gibt, die Gesellschaft an<br />
einem bestimmten Ort (innerhalb der Europäischen Union)<br />
zu errichten. Es kann daher auch im Anwendungsbereich<br />
des neuen Rechts davon ausgegangen werden, dass örtliche<br />
Präferenzen als hinreichende Gründe anzuerkennen<br />
sind, wenn sie sich z.B. aus Folgendem ergeben:<br />
– Funktionstüchtigkeit von Marktplätzen (z.B. bestimmter<br />
Börsen),<br />
– Gesellschafter- und Finanzierungsstruktur,<br />
– Anforderungen von Banken (z.B. Sicherheitenstruktur,<br />
Trennung von Vermögenssphären, strukturelle Subordinierung)<br />
und anderen Geschäftspartnern (z.B. bei der<br />
Errichtung von Joint Ventures),<br />
– vorzugswürdige rechtliche Rahmenbedingungen (z.B.<br />
Gesellschafts-, Insolvenz- oder Arbeitsrecht) oder<br />
– Mitarbeiterbeteiligung, etc.<br />
<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat<br />
über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten<br />
Geschäftsbetrieb verfügen, 57 d.h. ein „greifbares<br />
Vorhandensein“ muss nachweisbar sein. 58 Hier geht es also<br />
um Substanz im engeren Sinne. Indizien dafür liegen nach<br />
Auffassung des BMF vor, wenn<br />
– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit<br />
ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal<br />
beschäftigt,<br />
– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation verfügt,<br />
um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich<br />
und selbstständig zu erfüllen, und<br />
57 Qualifiziertes Personal, Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel,<br />
BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II<br />
2002, 819 (822) = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m. Komm. Roser.<br />
58 Unter Hinweis auf EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m. Komm. Kleinert.<br />
Dr. Götz Tobias Wiese<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 383<br />
Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer<br />
– die Geschäfte zwischen nahestehenden Personen<br />
i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich standhalten.<br />
<strong>Die</strong> Substanzanforderungen können dabei nicht darüber<br />
hinausgehen, was im Hinblick auf den anzuerkennenden<br />
wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund von der<br />
Gesellschaft verlangt werden kann. 59 Letztlich kann auch<br />
hier nicht mehr verlangt werden als bei einer in Deutschland<br />
ansässigen Person, die aus demselben Grund errichtet<br />
worden wäre und ihren Zweck mit einer ausreichenden<br />
Ausstattung verfolgen könnte.<br />
VI. Freistellungsantrag<br />
Fraglich ist, welche Auswirkungen die Neufassung des<br />
§ 50d Abs. 3 EStG n.F. auf bestehende, d.h. nach altem<br />
Recht erteilte, und auf neue Freistellungsbescheinigungen<br />
hat.<br />
Das BMF-Schreiben 201260 sagt zunächst, dass Freistellungsbescheinigungen<br />
– wie bereits nach altem Recht –<br />
grundsätzlich unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen sind.<br />
Neben den Pflichten zur Berichtigung von Erklärungen<br />
(vgl. § 153 AO) besteht auch die Verpflichtung der ausländischen<br />
Gesellschaft, den Wegfall der Voraussetzungen für<br />
die Freistellung im allgemeinen und den Wegfall der Entlastungsberechtigung<br />
i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG im besonderen<br />
dem Bundeszentralamt für Steuern unverzüglich<br />
mitzuteilen. Letzteres gilt – im Rahmen der vom BMF vertretenen<br />
Aufteilungsregel – nicht (de-minimis-Regelung),<br />
wenn sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheinigung<br />
zugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />
Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträgen<br />
um weniger als 30 %-Punkte verringert oder sich ein<br />
Gesellschafteranteil (bei unmittelbarer oder mittelbarer<br />
Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkte ändert. In den<br />
Fällen, in denen nach der de-minimis-Regelung keine Mitteilungspflicht<br />
besteht, kann eine Neuberechnung des prozentualen<br />
Anteils der entlastungsberechtigten Erträge unterbleiben.<br />
Für die Ermittlung der maßgeblichen Bruttoerträge<br />
aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit ist der Jahresabschluss<br />
des betreffenden Wirtschaftsjahres maßgeblich. Im<br />
Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist dies das<br />
Jahr der Antragstellung. Sollte der Jahresabschluss noch<br />
nicht vorliegen (dies dürfte stets der Fall sein, wenn das<br />
Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht), ist auf die<br />
Verhältnisse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzustellen.<br />
<strong>Die</strong> Verwaltungspraxis des Bundeszentralamts bleibt hier<br />
abzuwarten. Man kann aber davon ausgehen, dass eine<br />
Freistellungsbescheinigung weiterhin für mehrere Jahre<br />
erteilt werden soll61 und die de-minimis-Regelungen darauf<br />
abzielen, dies gerade zu ermöglichen. Bedenken, dass<br />
die Aufteilungsregel des BMF gleichwohl bei volatilen Ertragsentwicklungen<br />
die Freistellungsbescheinigungen<br />
kaum handhabbar macht, sind zwar begründet. Sie fallen<br />
indes weg, wenn das Gesetz in unionsrechtlich zutreffender<br />
Weise angewandt wird. <strong>Die</strong> de-minimis-Regelung ist in<br />
Bezug auf die sachliche Entlastungsberechtigung ebenso<br />
59 Dazu der Tagungsbericht von Lay/Sommer zum 2. Hamburger<br />
Forum für Unternehmensteuerrecht am 16.2.2012, FR 2012,<br />
300 ff., wo diese Frage intensiv diskutiert wurde.<br />
60 Rz. 14 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).<br />
61 „(...) mindestens ein Jahr und darf drei Jahre nicht überschreiten“<br />
(§50dAbs.2S.4Halbs.2EStG).
<strong>GmbH</strong>-International<br />
384 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
rechtswidrig wie die ihr zu Grunde liegende Aufteilungsregel<br />
selbst, und sie ist daher zu streichen. 62<br />
VII. Anwendungsvorschrift<br />
Schließlich ist noch auf die Übergangsregelung zur erstmaligen<br />
Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG n.F. einzugehen.<br />
Das neue Recht ist erstmals ab dem 1.1.2012 anwendbar.<br />
63<br />
Das BMF bietet den Steuerpflichtigen an, § 50d Abs. 3<br />
EStG auch auf alle Steuerbescheide und Freistellungsbescheinigungen<br />
anzuwenden, die noch nicht bestandskräftig<br />
sind und die Neuregelungen zu einer günstigeren Entlastungsberechtigung<br />
führen. Hier ist Vorsicht geboten: Da<br />
§50dAbs.3EStGi.d.F.JStG2007offensichtlichunionsrechtswidrig<br />
war, ging die alte Vorschrift ins Leere. Entlastung<br />
nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStG war unterhalb der<br />
Schwelle des § 42 AO, für den es dann auch keine Sperrwirkung<br />
gegeben haben dürfte, grundsätzlich ohne weiteres<br />
zu gewähren. 64<br />
VIII. Zusammenfassung<br />
Der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. ist misslungen.<br />
Weite Teile des BMF-Schreibens 2012, namentlich<br />
die sog. „Aufteilungsregel“, lassen sich mit unionsrechtlichen<br />
Vorgaben nicht in Deckung bringen. Allerdings besteht<br />
die Möglichkeit, § 50d Abs. 3 EStG n.F. in Übereinstimmung<br />
mit den Vorgaben des Unionsrechts und auch<br />
der Doppelbesteuerungsabkommen auszulegen. Das<br />
BMF-Schreiben 2012 muss vor diesem Hintergrund geändert<br />
werden.<br />
62 In Bezug auf die Änderung von Gesellschafteranteilen (bei unmittelbarer<br />
oder mittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-<br />
Punkte stellt die de minimis Regel indes eine Vereinfachung dar.<br />
63 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG (Fn. 4).<br />
64 Zum Verhältnis der – insoweit nicht grundlegend anders gearteten<br />
– Vorläufervorschrift des § 50d Abs. 1a EStG i.d.F. StMBG<br />
zu § 42 AO BFH v. 31.3.2005 – I R 77, 88/04, BStBl. II 2006,<br />
118 m. Anm. Jacob/Klein, IStR 2005, 711. Nunmehr allerdings<br />
§ 42 Abs. 1 S. 2 AO. Das BMF vertritt in Rz. 11 des BMF-<br />
Schreibens 2012, aaO (Fn. 5) die Auffassung, dass § 42 AO anwendbar<br />
bleibt, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des<br />
§ 50d Abs. 3 EStG n.F. nicht eingreifen. Zur Normenkonkurrenz<br />
allg. Koenig in Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rz. 6.<br />
<strong>GmbH</strong>-International<br />
Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel *<br />
<strong>Die</strong>OrganederGesellschaftmit<br />
beschränkter Haftung im chinesischen Recht<br />
– Eine rechtsvergleichende Analyse –<br />
Der Beitrag widmet sich der inneren Struktur der chinesischen<br />
Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Zuge<br />
dessen werden die einzelnen Gesellschaftsorgane und<br />
ihre jeweiligen Kompetenzen vorgestellt und rechtsver-<br />
*Dr.Florian Kessler, LL.M. ist General Manager der Deutschen<br />
Auslandshandelskammer in Peking sowie Gastprofessor an der<br />
Chinesischen Universität für Politik und Recht; Max Thümmel<br />
ist Rechtsreferendar am LG Köln und Doktorand bei Frau Prof.<br />
Dr. Barbara Dauner-Lieb (Universität zu Köln).<br />
gleichend mit Blick auf die Rechtslage im deutschen<br />
Gesellschaftsrecht analysiert. <strong>Die</strong> Verfasser kommen zu<br />
dem Ergebnis, dass beide Gesellschaftsrechtsordnungen<br />
im Wesentlichen gleiche Strukturen enthalten, in einigen<br />
Punkten jedoch signifikant voneinander abweichen.<br />
Hierzu gehören insbesondere die Zweiteilung der<br />
Geschäftsführung in Geschäftsführer und Vorstand, die<br />
Begrenzung der Gesellschafterzahl und die stets obligatorische<br />
Einrichtung eines Aufsichtsorgans im chinesischen<br />
Recht. Der Betrag beleuchtet diese Unterschiede<br />
und analysiert die Beweggründe hierfür.<br />
I. Einleitung<br />
Der <strong>GmbH</strong> (youxian gongsi) kommt im chinesischen Wirtschaftsleben,<br />
ähnlich wie in Deutschland eine herausragende<br />
Bedeutung zu. 1 <strong>Die</strong>s gilt sowohl für inländische als<br />
auch für ausländische Unternehmen. Ausländischen Investitionen<br />
stehen zur wirtschaftlichen Betätigung – neben<br />
der neu eingeführten FIPE (Foreign Invested Partnership<br />
Enterprise) und in engeren Grenzen den Repräsentanzbüros<br />
– insbesondere die drei Gesellschaftsformen der Contractual<br />
Joint Ventures, Equity Joint Ventures und Wholly<br />
Foreign Owned Enterprises zur Verfügung, wobei die letzten<br />
beiden zwingend als <strong>GmbH</strong> organisiert sein müssen. 2<br />
Contractual Joint Ventures können zwar auch als Unternehmen<br />
ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Rahmen<br />
eines Projekts gegründet werden; 3 in der Praxis üblich ist<br />
allerdings ebenfalls die Rechtsform der chinesischen<br />
<strong>GmbH</strong>. 4 Soweit in den spezialgesetzlichen Regelwerken<br />
keine Sondervorschriften bestehen, unterliegen Gesellschaften<br />
mit ausländischer Beteiligung wie einheimische<br />
Gesellschaften auch dem allgemeinen chinesischen<br />
<strong>GmbH</strong>-Recht, welches im Gesellschaftsgesetz der VR China<br />
(im Folgenden „GesG“) kodifiziert ist. 5 Das GesG ist<br />
zwar erst 1994 in Kraft getreten, die <strong>GmbH</strong> jedoch bereits<br />
seit Anfang des 20. Jahrhunderts in China bekannt.<br />
II. <strong>Die</strong> Gesellschaftsorgane im Einzelnen<br />
1. Gesellschafterversammlung<br />
a) Rechtslage in China<br />
Hinsichtlich der Stellung der Gesellschafterversammlung<br />
im Gefüge der <strong>GmbH</strong> spricht das chinesische Recht in § 37<br />
Abs. 1 S. 2 GesG eine klare Sprache. Danach ist dieses<br />
Gremium „das Machtorgan der Gesellschaft.“ Eine Ausnahme<br />
hierzu besteht bei Equity und Contractual Joint<br />
Ventures mit Beteiligung ausländischer Investoren. Für<br />
diese Rechtsformen ist gesetzlich ausdrücklich festgelegt,<br />
dass der Vorstand das oberste Gesellschaftsorgan mit den<br />
umfassendsten Entscheidungsbefugnissen ist. 6 In § 38<br />
Abs. 1 GesG sind – vergleichbar der Regelung des § 46 im<br />
1 Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht in China, 2011, S. 1.<br />
2 Dickinson/Vietz, <strong>GmbH</strong>R 2006, 245 (248 f.).<br />
3 Vgl. Art. 2 Law of the People’s Republic of China on Chinese-<br />
Foreign Contractual Joint Ventures.<br />
4 Zu ausländisch investierten <strong>GmbH</strong>s in China näher Peters,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 361 ff.<br />
5 Gesellschaftsgesetz der VR China v. 29.12.1993, i.d.F. v.<br />
1.1.2006; zur deutschen Übersetzung s. ZChinR 2006, 290 ff.<br />
6 Vgl. Art. 12 Law of the People’s Republic of China on Chinese-<br />
Foreign Contractual Joint Ventures v. 13.4.1988 i.d.F. v.<br />
31.10.2000, Art. 30 der Regulations for the Implementation of<br />
the Law of the People’s Republic of China on Joint Ventures<br />
Using Chinese and Foreign Investment v. 20.9.1983 i.d.F. v.<br />
22.7.2001 sowie Art. 6 Law of the People’s Republic of China on
<strong>GmbH</strong>-International<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 385<br />
deutschen <strong>GmbH</strong>-Gesetz – die „Amtsbefugnisse“ der Gesellschafterversammlung<br />
einzeln aufgezählt, ohne abschließenden<br />
Charakter zu haben. <strong>Die</strong> Gesellschafterversammlung<br />
beschließt danach über die geschäftliche Ausrichtung<br />
der Gesellschaft und wählt diejenigen Vorstandsund<br />
Aufsichtsratsmitglieder, die nicht gemäß § 52 Abs. 2<br />
GesG von den Arbeitnehmern als deren Vertreter bestellt<br />
wurden. <strong>Die</strong> Satzung kann weitere Zuständigkeiten der<br />
Gesellschafterversammlung festschreiben. Tagesgeschäfte<br />
gehören indes nicht zu ihren Amtsbefugnissen. 7 Der Gesellschafterkreis<br />
ist von Gesetzes wegen auf 50 Gesellschafter<br />
beschränkt (s. § 24 GesG). Ausnahmen hiervon<br />
sind im Gesetz nicht zugelassen.<br />
b) Rechtsvergleich<br />
Bei einem Vergleich der Stellung dieses Gesellschaftsorgans<br />
mit dem deutschen <strong>GmbH</strong>-Recht fallen zunächst die<br />
Gemeinsamkeiten auf: Beide erheben die Gesellschafterversammlung<br />
zum zentralen Willensbildungsorgan der<br />
<strong>GmbH</strong>. Sie bestimmt die grundlegende wirtschaftliche<br />
Ausrichtung und die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft.<br />
Zudem überwacht die Gesellschafterversammlung<br />
die Geschäftsleitung und ist auch berechtigt, ihr entsprechende<br />
Weisungen zu erteilen. Sowohl der chinesische als<br />
auch der deutsche Gesetzgeber schreiben der Versammlung<br />
eine Vielzahl von Befugnissen ausdrücklich im Wege<br />
der Enumeration zu; allerdings kann die Gesellschafterversammlung<br />
weitere Kompetenzen durch Satzungsbeschluss<br />
an sich ziehen. 8 Auch ist in beiden Rechtsordnungen die<br />
Gesellschafterversammlung von der Außenvertretung der<br />
Gesellschaft ausgeschlossen und auf die interne Willensbildung<br />
beschränkt. Insgesamt kann man somit festhalten,<br />
dass bei der Gesellschafterversammlung sehr große Gemeinsamkeiten<br />
zwischen der chinesischen und deutschen<br />
<strong>GmbH</strong> bestehen. Ein evidenter Unterschied zwischen den<br />
beiden Rechtsordnungen sind die Beschränkungen hinsichtlich<br />
der möglichen Anzahl von Gesellschaftern im<br />
chinesischen Recht. <strong>Die</strong> Grenze von 50 Gesellschaftern in<br />
China bewirkt dabei einerseits eine klare Trennung und<br />
Funktionsaufteilung zwischen der AG und der <strong>GmbH</strong>. Andererseits<br />
kann eine solch starre Grenze Unternehmen in<br />
ihrem wirtschaftlichen Handeln behindern und bei einem<br />
entsprechenden Wachstum zum Rechtsformwechsel in die<br />
AG oder zu umständlichen Umgehungskonstruktionen<br />
zwingen. 9<br />
2. Geschäftsführung<br />
a) Rechtslage in China<br />
aa) Vorstand<br />
Gesetzlich zwingend vorgesehenes Geschäftsführungsorgan<br />
der chinesischen <strong>GmbH</strong> ist nach § 45 Abs. 1 GesG nur<br />
der Vorstand. <strong>Die</strong>ser leitet die Geschäfte der Gesellschaft.<br />
Chinese-Foreign Equity Joint Ventures v. 1.7.1979 i.d.F. v.<br />
15.3.2001.<br />
7 Towfigh/Yang in Shao/Drewes, 2001, S. 99.<br />
8 Vgl. zur Rechtslage im deutschen Recht näher Zöllner in Baumbach/Hueck,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 89.<br />
9 Sinn der Begrenzung der Gesellschafteranzahl ist es zu verhindern,<br />
dass Gesellschaften zur betrügerischen Ansammlung von<br />
Kapital missbraucht werden. In der Vergangenheit wurden Gesellschaftsgründungen<br />
zum Teil gezielt dazu genutzt, um von<br />
Privatleuten Geld in Form der Gesellschaftereinlage zu sammeln,<br />
ihnen einen wertlosen <strong>GmbH</strong>-Anteil zu verkaufen und anschließend<br />
die Insolvenz der Gesellschaft anzumelden.<br />
Dem Vorstandsvorsitzenden steht dabei nicht zwingend<br />
die gesetzliche Vertretung der Gesellschaft qua Organstellung<br />
zu. Gemäß § 13 GesG kann in der Satzung auch eine<br />
andere dort aufgeführte Person, z.B. der geschäftsführende<br />
Vorsteher oder ein Geschäftsführer, anstelle des Vorstandsvorsitzenden<br />
als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft<br />
vorgesehen werden.<br />
Der Vorstand muss grundsätzlich zwischen drei und 13<br />
Mitglieder umfassen. Allerdings kann gemäß § 51 Abs. 1<br />
GesG eine <strong>GmbH</strong> mit verhältnismäßig wenig Gesellschaftern<br />
oder verhältnismäßig kleinem Umfang statt eines Vorstands<br />
auch einen sog. geschäftsführenden Vorsteher bestellen.<br />
Anerkannte Kriterien, wann der Geschäftsumfang<br />
bzw. die Anzahl der Gesellschafter einer <strong>GmbH</strong> „relativ<br />
klein“ ist, existieren bislang allerdings nicht. Auch das<br />
GesG enthält keine Vorgaben hierzu, so dass insoweit<br />
Rechtsunsicherheit besteht. 10 Der geschäftsführende Vorsteher<br />
kann gemäß § 51 Abs. 1 GesG gleichzeitig Geschäftsführer<br />
der Gesellschaft sein. <strong>Die</strong> Amtsbefugnisse<br />
des geschäftsführenden Vorstehers werden dann von der<br />
Gesellschaftssatzung bestimmt. <strong>Die</strong> Amtsbefugnisse des<br />
Vorstands sind nach § 47 GesG die Bestimmung der<br />
Grundsätze für die Leitung der Gesellschaft, die Einberufung<br />
der Gesellschafterversammlung, die Ausführung der<br />
Beschlüsse der Gesellschaftsversammlung, die Bestellung<br />
und Abberufung der Geschäftsführer, sowie die Festsetzung<br />
des Jahreshaushalts und der -abschlussrechung und<br />
die Festsetzung der Gewinnverteilung bzw. der Deckung<br />
des Bilanzverlusts.<br />
bb) Geschäftsführer<br />
§ 50 S. 1 GesG bestimmt, dass eine <strong>GmbH</strong> neben dem Vorstand<br />
fakultativ einen oder mehrere Geschäftsführer besitzen<br />
kann. Trotz dieses vermeintlichen Wahlrechts fordern<br />
die Behörden in China in der Praxis bislang stets die Einrichtung<br />
eines solchen Organs. Für die chinesische AG ist<br />
der Geschäftsführer von Gesetzes wegen gemäß § 114<br />
GesG ohnehin zwingend vorgeschrieben. Dort kann nach<br />
§ 115 GesG der Vorstand allerdings beschließen, dass ein<br />
Vorstandsmitglied – in der Praxis oftmals der Vorstandsvorsitzende<br />
– zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft<br />
wird. 11 <strong>Die</strong> Geschäftsführer führen nach dem gesetzlichen<br />
Leitbild die Beschlüsse des Vorstands aus und setzen den<br />
Jahresgeschäftsplan und den Investitionsplan der Gesellschaft<br />
um (vgl. § 50 Nr. 1 GesG). In der Praxis ist der Geschäftsführer<br />
jedoch nicht auf diese Tätigkeiten beschränkt.<br />
Ein Grund hierfür ist, dass eine Beschlussfassung<br />
durch den Geschäftsführer in der Regel leichter möglich ist<br />
als durch das mindestens dreiköpfige Vorstandsgremium.<br />
b) Rechtsvergleich<br />
Bei einem Vergleich der beiden Gesellschaftsrechtssysteme<br />
im Hinblick auf die Geschäftsführung werden einige si-<br />
10 Zum Teil werden – in Anlehnung an die Unterscheidung im australischen<br />
Recht zwischen kleiner und großer proprietary company<br />
– folgende vier Kriterien zur Beschreibung einer „verhältnismäßig<br />
kleinen“ <strong>GmbH</strong> vorgeschlagen: 1) weniger als drei Gesellschafter,<br />
2) ein betrieblicher Bruttoertrag von weniger als<br />
10 Mio. RMB, 3) ein Bruttovermögen von weniger als 5 Mio.<br />
RMB und 4) weniger als 50 Beschäftigte. Eine „verhältnismäßig<br />
kleine“ <strong>GmbH</strong> soll dann vorliegen, wenn mindestens zwei dieser<br />
Kriterien zutreffen (vgl. Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht in China,<br />
2011, S. 116). Ob diese Einteilung sich in der chinesischen Praxis<br />
durchsetzen wird, bleibt allerdings abzuwarten.<br />
11 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (2).
<strong>GmbH</strong>-International<br />
386 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
gnifikante Unterschiede offenbar. <strong>Die</strong> größte Besonderheit<br />
im chinesischen <strong>GmbH</strong>-Recht besteht in der Zweiteilung<br />
der Geschäftsführung zwischen zwei Organen, dem Vorstand<br />
und dem Geschäftsführer, die in der behördlichen<br />
Praxis verankert ist. Aus Sicht ausländischer Juristen ist<br />
das chinesische Modell mit dieser Doppelstruktur auf den<br />
ersten Blick befremdlich. <strong>Die</strong> Koexistenz von Vorstand<br />
und Geschäftsführer im Organgefüge der chinesischen<br />
<strong>GmbH</strong> lässt sich jedoch rechtshistorisch erklären. So hat<br />
sich der chinesische Gesetzgeber bei der Einführung von<br />
AG und <strong>GmbH</strong> einerseits für die Einrichtung eines Vorstands<br />
als Leitungsorgan entschieden. Was die Funktionen<br />
und Amtsbefugnisse von Vorstand und Geschäftsführer<br />
betrifft, besteht insofern aufgrund der Verweisungstechnik<br />
ein Gleichklang zwischen AG und <strong>GmbH</strong>: § 114 Abs. 2<br />
GesG verweist hinsichtlich der Amtsbefugnisse des Geschäftsführers<br />
einer AG, § 109 Abs. 4 GesG hinsichtlich<br />
derjenigen des Vorstands auf die Regelungen zur <strong>GmbH</strong>.<br />
AG und <strong>GmbH</strong> unterliegen insoweit dem gleichen Rechtsverständnis<br />
im Hinblick auf die gesetzlich festgelegten gesellschaftsrechtlichen<br />
Strukturen.<br />
Zugleich wollte man den Geschäftsführer als historisch gewachsenes<br />
Gesellschaftsorgan aber nicht abschaffen. <strong>Die</strong><br />
Position des Geschäftsführers ist ein Überbleibsel aus der<br />
Zeit der Planwirtschaft Chinas. 12Staatliche<br />
und kollektive<br />
Unternehmen wurden früher entweder von Fabrikleitern<br />
oder Geschäftsführern geleitet, Gesellschaftsorgane nach<br />
heutigem Verständnis gab es nicht. Da das Verwaltungspersonal<br />
bei der Umgestaltung der Unternehmensformen<br />
weitgehend unverändert blieb, blieb auch die Position des<br />
Geschäftsführers neben dem Vorstand erhalten. Seitdem ist<br />
der Geschäftsführer fest im chinesischen Gesellschaftsrecht<br />
verwurzelt und wird als klassisches Organ von AG<br />
und <strong>GmbH</strong> angesehen.<br />
Durch die Reform des GesG 2006 wird jedoch auch ein<br />
erster Trend zur Abkehr von der Zweiteilung der Geschäftsleitung<br />
in China erkennbar. Während der Geschäftsführer<br />
nach dem alten § 50 GesG 1994 noch ein notwendiges<br />
Organ der <strong>GmbH</strong> war, welches umfangreiche<br />
Befugnisse innehatte, ist dessen Einrichtung in der <strong>GmbH</strong><br />
nunmehr zumindest nach der gesetzlichen Regelung erstmals<br />
rein fakultativ. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die<br />
chinesische Praxis die neue Gesetzeslage annehmen wird.<br />
Insgesamt betrachtet besitzt das chinesische doppelstrukturierte<br />
Gesellschaftsmodell eine Reihe von Vor- und<br />
Nachteilen. Ein Vorteil liegt dabei zweifelsohne darin, dass<br />
sich das jeweilige Organ speziell auf sein Aufgabengebiet<br />
konzentrieren kann: Der Vorstand übernimmt das „Planerische“,<br />
der Geschäftsführer das „Operative“. Dadurch wird<br />
eine Teilung von strategischen Entscheidungen und Tagesgeschäft<br />
möglich, die sich bestenfalls positiv auf die langfristige<br />
und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft auswirken<br />
kann. 13<br />
Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr von Reibungsverlusten<br />
bei der Umsetzung von Vorgaben des Vorstands<br />
durch den Geschäftsführer. Zudem wird aufgrund<br />
der flexiblen Regelung des § 13 GesG für außenstehende<br />
Dritte nicht zwangsläufig deutlich, wer der gesetzliche<br />
Vertreter der Gesellschaft ist, was zu Rechtsunsicherheiten<br />
in Bezug auf die Wirksamkeit der abgeschlossenen Rechts-<br />
12 Vgl. zu diesem Komplex insgesamt Ge Jiang, Das <strong>GmbH</strong>-Recht<br />
in China, 2011, S. 119 f.<br />
13 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (3).<br />
geschäfte führen kann. Allerdings wurde dies von dem chinesischen<br />
Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Hinter<br />
der Reform des GesG 2006 stand neben der generellen Modernisierung<br />
des Gesellschaftsrechts primär die Bestrebung,<br />
Machtmissbräuche durch Leitungsorgane einzu-<br />
dämmen. 14<br />
<strong>Die</strong> verschiedenen Organe sollen sich gegen-<br />
seitig kontrollieren und Missbräuche einzelner Personen<br />
durch zu große Kompetenzbereiche vermeiden.<br />
Im deutschen Recht sind <strong>GmbH</strong> und AG demgegenüber<br />
seit jeher stärker voneinander getrennt entwickelte Gesellschaftstypen<br />
mit unterschiedlichen Leitungsstrukturen.<br />
<strong>Die</strong> Geschäftsleitung und gesetzliche Vertretung einer<br />
<strong>GmbH</strong> sind dort gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G singulär<br />
und unentziehbar dem Geschäftsführer übertragen. Das<br />
Organ des Vorstands gibt es hingegen nur in der AG. Dort<br />
besteht jedoch ebenfalls keine gesetzliche Zweiteilung der<br />
Geschäftsleitung, da ein gesonderter Geschäftsführer nicht<br />
existiert. Möglich ist zwar die Bestellung von Prokuristen<br />
oder Handlungsbevollmächtigten neben dem <strong>GmbH</strong>-Geschäftsführer;<br />
allerdings dürfen deren Befugnisse nicht so<br />
weit gehen, dass sie den Geschäftsführer in seinem Verantwortungsbereich<br />
ersetzen.<br />
3. Aufsichtsrat<br />
a) Rechtslage in China<br />
In China ist ein Aufsichtsorgan unabhängig von der Größe<br />
der Gesellschafter und der Anzahl der Arbeitnehmer der<br />
<strong>GmbH</strong> stets verpflichtend. Bei mittleren und großen<br />
<strong>GmbH</strong>s ist ein Aufsichtsrat mit mindestens drei Mitgliedern<br />
obligatorisch. <strong>Die</strong> Arbeitnehmer bestellen gemäß<br />
§ 52 Abs. 2 GesG mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder;<br />
die übrigen werden durch die Gesellschafter<br />
benannt. Eine <strong>GmbH</strong> mit verhältnismäßig wenig Gesellschaftern<br />
oder verhältnismäßig kleinem Umfang kann statt<br />
eines Aufsichtsrats auch lediglich ein oder zwei Aufsichts-<br />
führer bestellen. 15<br />
Als Amtsbefugnisse und -pflichten<br />
nennt das Gesetz in §§ 54 f. GesG u.a. die Überprüfung der<br />
finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft sowie die<br />
Überwachung des Vorstands und der Geschäftsführer, inklusive<br />
dem Vorschlagsrecht, Mitglieder der Geschäftsführung<br />
abzuberufen. Zudem dürfen Mitglieder des Aufsichtsrats<br />
an Vorstandssitzungen teilnehmen sowie Beschlussvorschläge<br />
machen und sind zuständig für die Geltendmachung<br />
von Klagen gegen den Vorstand. Aufgrund<br />
der Untersuchungsbefugnis des Aufsichtsrats besteht darüber<br />
hinaus eine Kooperationspflicht der anderen <strong>GmbH</strong>-<br />
Organe. <strong>Die</strong>se müssen den Aufsichtsratsmitgliedern und<br />
leitenden Managern die geforderten Unterlagen zur Verfügung<br />
stellen und dürfen die Ausübung ihrer Amtsbefugnisse<br />
nicht behindern.<br />
b) Rechtsvergleich<br />
Der Aufsichtsrat fungiert sowohl im chinesischen als auch<br />
im deutschen Recht als Kontrollorgan der Geschäftsführung<br />
inklusive der finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft.<br />
Er setzt sich zudem in beiden Ländern aus Vertretern<br />
der Arbeitnehmer und Mitgliedern zusammen, die<br />
14 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (6).<br />
15 Zur Ermittlung, ob anstatt eines Aufsichtsrats auch lediglich ein<br />
Aufsichtsführer eingerichtet werden kann, können die bereits<br />
oben genannten Kriterien bzgl. der Bestellung eines geschäftsführenden<br />
Vorstehers übertragen werden (vgl. Ge Jiang, Das<br />
<strong>GmbH</strong>-Recht in China, 2011, S. 123).
von der Gesellschafterversammlung gewählt wurden, und<br />
vertritt die Gesellschaft gegenüber der Geschäftsführung.<br />
Auch die Mindestanzahl von drei Mitgliedern und die Mindestbeteiligungsquote<br />
der Arbeitnehmer in Höhe von<br />
einem Drittel der Mitglieder sind in beiden Ländern identisch.<br />
<strong>Die</strong> Differenzierung zwischen kleinen und mittleren bzw.<br />
großen Gesellschaften, die in China ebenfalls bei den Regelungen<br />
zur Bestellung des Vorstands zu Tage getreten ist,<br />
ist dem deutschen Recht hingegen gänzlich fremd. Dort<br />
herrscht vielmehr eine „Alles-oder-nichts“-Lösung. Erst<br />
ab einer Arbeitnehmeranzahl von über 500 Personen ist<br />
dieses Gesellschaftsorgan nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbetG<br />
obligatorisch, während in China stets zumindest ein<br />
einzelner Aufsichtsführer erforderlich ist. Als weiterer Unterschied<br />
steht die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern<br />
an Vorstandssitzungen im chinesischen Recht im Gegensatz<br />
zu der Gesellschaftsrechtspraxis in Deutschland.<br />
Allerdings unterliegt in Deutschland der Vorstand einer dezidierten<br />
Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat<br />
(§ 90 AktG), wodurch dem Informationsinteresse des<br />
Kontrollgremiums ebenfalls Rechnung getragen wird. 16<br />
<strong>Die</strong> Unterschiede bei den Aufsichtsstrukturen lassen sich<br />
zum einen über die kulturellen Hintergründe erklären. In<br />
China ist das Vertrauen im Geschäftsverkehr weniger stark<br />
ausgeprägt als in Deutschland. Daher ist es nachvollziehbar,<br />
dass man Gläubigern und Gesellschaftern in jedem<br />
Fall einen Aufsichtsführer zur Verfügung stellen will. Dem<br />
liegt das Bestreben des Gesetzgebers zugrunde, Missbräuche<br />
der Rechtsform der <strong>GmbH</strong> einzudämmen. Vor diesem<br />
Hintergrund sind auch die erhöhte Organanzahl und die<br />
zwingende Einrichtung eines Aufsichtsrats bzw. Aufsichtsführers<br />
zu verstehen. Da diese Verpflichtung unabhängig<br />
von der Arbeitnehmeranzahl besteht, kann seine<br />
Aufgabe nicht alleine darin bestehen, den Arbeitnehmern<br />
eine allgemeine Mitsprachemöglichkeit zu bieten. Vielmehr<br />
wird dadurch die stete Kontrolle der Geschäftsführung<br />
und der Gesellschafterversammlung verstärkt.<br />
Zum anderen besitzt die Arbeitnehmerbeteiligung in China<br />
einen anderen Stellenwert als in Deutschland, da in den<br />
Zeiten der Planwirtschaft alle Unternehmen Volks- oder<br />
Kollektiveigentum und damit unabhängig von der Unternehmensgröße<br />
prinzipiell im Besitz der Bürger waren. Darüber<br />
hinaus ist zu berücksichtigen, dass den Gewerkschaften<br />
im heutigen China eine andere Funktion zukommt<br />
als in Deutschland. In Deutschland sind sie eher als Gegenpol<br />
zum Arbeitgeber gedacht, mit dem die Arbeitsbedingungen<br />
ausgehandelt werden. Nach chinesischem Verständnis<br />
sind sie im Gegensatz dazu primär Kooperationspartner<br />
der Unternehmensleitung. Durch sie werden auf<br />
der einen Seite die Arbeitnehmer in die Unternehmenspolitik<br />
mit eingebunden. Auf der anderen Seite fungieren sie<br />
als Organisator von wichtigen Leistungen für die Arbeitnehmer<br />
wie Wohnungsfürsorge, Freizeitaktivitäten etc. 17<br />
IV. Fazit und Ausblick<br />
<strong>Die</strong> gesellschaftsrechtlichen Strukturen der chinesischen<br />
und der deutschen <strong>GmbH</strong> sind trotz der zahlreichen Unterschiede<br />
im Endeffekt im Wesentlichen vergleichbar. Unterschiede<br />
liegen insbesondere in der Zweiteilung der Geschäftsführung,<br />
der starren Begrenzung der Gesellschaf-<br />
16 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).<br />
17 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 387<br />
Gesellschaftsrecht<br />
terzahl sowie der obligatorische Einrichtung eines Kontrollorgans<br />
im chinesischen Recht. Allerdings differenziert<br />
das chinesische Recht zwischen verhältnismäßig kleinen<br />
Gesellschaften und größeren Unternehmen, sodass Abstufungen<br />
bei der personellen Stärke der Besetzung der Organe<br />
wie etwa beim Aufsichtsrat und Vorstand möglich sind.<br />
Nach den vielversprechenden Reformen durch das GesG<br />
2006 sind weitere Reformen auf dem Gebiet des chinesischen<br />
Gesellschaftsrechts durchaus wahrscheinlich. <strong>Die</strong><br />
Aufgabe der zwingenden Einrichtung eines Aufsichtsrats<br />
bzw. Ernennung eines Aufsichtsführers für Kleinstgesellschaften<br />
sowie der Beschränkung der Gesellschafterzahl<br />
für <strong>GmbH</strong>s und AGs sind hierbei denkbare nächste Schritte.<br />
Auch in sonstigen Bereichen des chinesischen Gesellschaftsrechts<br />
sind graduelle Entwicklungen in nächster<br />
Zeit denkbar. Dadurch könnte der Investitionsstandort<br />
China weiter gestärkt werden.<br />
Rechtsprechung<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nicht<br />
nichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung für<br />
Abfindung<br />
<strong>GmbH</strong>G § 34<br />
1. Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch<br />
für nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mitteilung<br />
des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter und<br />
nicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam.<br />
2. <strong>Die</strong> Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst<br />
haben, haften dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig,<br />
wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen<br />
Vermögen der Gesellschaft geleistet werden<br />
kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.<br />
BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11<br />
� Aus dem Tatbestand:<br />
[1] Der Kläger (Kl.) war neben R Gesellschafter der beklagten<br />
<strong>GmbH</strong> (Bekl.). <strong>Die</strong> Gesellschafterversammlung<br />
der Bekl. beschloss am 19.4.2001, den Geschäftsanteil des<br />
Kl. ohne seine Zustimmung einzuziehen. <strong>Die</strong> Einziehung<br />
ist nach § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags ohne Zustimmung<br />
zum Zweck der Ausschließung des Gesellschafters<br />
zulässig, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt.<br />
<strong>Die</strong> nach § 7 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags innerhalb<br />
von zwei Jahren an den ausscheidenden Gesellschafter<br />
zu zahlende Abfindung erhielt der Kl. bisher nicht.<br />
[2] In der Gesellschafterversammlung der Bekl. v.<br />
22.2.2007, zu der auch der Kl. eingeladen wurde, beantragte<br />
dieser, u.a. zu beschließen, den einzigen weiteren Gesellschafter<br />
R auf Zahlung von 251.871,07 DM in Anspruch<br />
zu nehmen und den Kl. zur gerichtlichen Geltendmachung<br />
der Ansprüche zu ermächtigen. Der Vertreter des<br />
Kl. stimmte für die beiden Anträge, der Vertreter von R<br />
stimmte dagegen.<br />
[3] Der Kl. hat beantragt, die ablehnenden Beschlüsse für<br />
nichtig zu erklären und festzustellen, dass die beantragten
Beschlüsse gefasst wurden. Das LG hat entsprechend dem<br />
Klageantrag erkannt [LG Leipzig v. 14.12.2010 – 7 HKO<br />
918/07]. Das OLG hat, soweit die ablehnenden Beschlüsse<br />
für nichtig erklärt wurden, das Urteil des LG abgeändert<br />
und die Klage abgewiesen, weil die Beschlüsse nicht von<br />
einem Versammlungsleiter festgestellt worden sind. Im<br />
Übrigen – hinsichtlich der Feststellungsanträge – hat es die<br />
Berufung der Bekl. zurückgewiesen [OLG Dresden v.<br />
3.5.2011 – 2 U 1956/10]....<br />
� Aus den Entscheidungsgründen:<br />
[4] <strong>Die</strong> Revision hat Erfolg und führt zur vollständigen<br />
Abweisung der Klage.<br />
I. ... II.<br />
[6] Der Kl. hatte entgegen der Rechtsauffassung des OLG<br />
in der Gesellschafterversammlung v. 22.2.2007 kein<br />
Stimmrecht mehr. Er war nicht mehr Gesellschafter der<br />
Bekl. Mit der Einziehung seines Geschäftsanteils hat er<br />
auch das aus dem Geschäftsanteil folgende Stimmrecht<br />
(§ 47 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G) verloren. <strong>Die</strong> Einziehung wurde mit<br />
der Bekanntgabe des Beschlusses an den Kl. wirksam.<br />
1. Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Einziehungsbeschlusses<br />
[7] Ein Einziehungsbeschluss ist entsprechend § 241<br />
Nr. 3 AktG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung<br />
feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die<br />
Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen<br />
der Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH v. 5.4.2011 –<br />
II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 761 m.<br />
Komm. Münnich, Rz. 13; v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP<br />
2009, 314 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 313, Rz. 7; v. 19.6.2000 – II ZR<br />
73/99, BGHZ 144, 365 [369 f.] = <strong>GmbH</strong>R 2000, 822).<br />
Dass bei Beschlussfassung am 19.4.2001 feststand, dass<br />
die Abfindung, die nach § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags<br />
innerhalb von zwei Jahren bar zu bezahlen war, nicht<br />
aus dem freien Vermögen der Gesellschaft geleistet werden<br />
konnte (§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G), hat das<br />
OLG nicht festgestellt und hat keine der Parteien behauptet.<br />
2. Wirksamkeit einer nicht nichtigen Einziehung<br />
[8] Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch<br />
für nichtig erklärt wird (§ 241 Nr. 5 AktG), wird die Einziehung<br />
mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen<br />
Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung der<br />
Abfindung wirksam.<br />
[9] a) In Rspr. und Literatur ist umstritten, ob die Einziehung<br />
vor Zahlung des Abfindungsentgelts wirksam wird.<br />
[10] Teilweise wird angenommen, die Einziehung stehe<br />
unter der aufschiebenden Bedingung einer Abfindungszahlung<br />
aus freiem Vermögen (OLG Frankfurt v.<br />
26.11.1996 – 5 U 111/95, NJW-RR 1997, 612 f. = <strong>GmbH</strong>R<br />
1997,171;OLGZweibrückenv.17.5.1996–6U8/95,<br />
<strong>GmbH</strong>R 1997, 939 [942]; OLG Hamm v. 11.1.1999 – 8 U<br />
42/98, NZG 1999, 597 [598]; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19<br />
U 108/96, NZG 1999, 1222 = <strong>GmbH</strong>R 1999, 712 [LS]; KG<br />
Berlinv.2.8.1999–2W509/99,<strong>GmbH</strong>R1999,1202<br />
[1203 f.]; OLG Schleswig v. 27.1.2000 – 5 U 154/98, NZG<br />
2000, 703 [704 f.] = <strong>GmbH</strong>R 2000, 935; OLG Dresden v.<br />
21.8.2001–2U673/01,<strong>GmbH</strong>R2001,1047[1048];OLG<br />
Düsseldorf v. 23.11.2006 – I-6 U 283/05, ZIP 2007, 1064 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 538 m. Komm. Fietz/Fingerhuth; Wester-<br />
Rechtsprechung<br />
388 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
mann in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl., § 34 Rz. 60; H. Winter/Seibt<br />
in Scholz, <strong>GmbH</strong>G, 10. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17;<br />
Sosnitza in Michalski, <strong>GmbH</strong>G, 2. Aufl., § 34 Rz. 79;<br />
Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl.,<br />
§34Rz.43;Wicke,<strong>GmbH</strong>G,2.Aufl.,§34Rz.10;Raiser/<br />
Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl., § 30<br />
Rz. 63; Gehrlein, ZIP 1996, 1157 [1159]; Bacher/v. Blumenthal,<br />
NZG 2008, 406 [407 f.]; ebenso für die Ausschlussklage<br />
BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,<br />
157 [173] = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u.<br />
Scholz [2]; für „Rechtsbedingung“ RGZ 142, 286 [290 f.]).<br />
[11] Wegen der Probleme, die diese „Bedingungslösung“<br />
für die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter mit sich<br />
bringt, wenn ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil<br />
wegen der Unzumutbarkeit seines weiteren Verbleibens in<br />
der Gesellschaft eingezogen ist, während der Schwebezeit<br />
weiterhin Mitgliedschaftsrechte ausüben kann, vertreten<br />
andere, die Einziehung sei sofort wirksam (KG Berlin v.<br />
6.2.2006 – 23 U 206/04, NZG 2006, 437; OLG Hamm v.<br />
7.10.1992–8U75/92,<strong>GmbH</strong>R1993,743[746f.];Grunewald,<br />
Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983,<br />
S. 242; Niemeier, ZGR 1990, 314 [353]; Ulmer, FS Rittner,<br />
1991, S. 735 [748 ff.]; Ulmer, FS Priester, 2007,<br />
S. 775 [793 ff.]; Lutter in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G,<br />
17. Aufl., § 34 Rz. 48; Lutz, DStR 1999, 1858 [1861 f.];<br />
Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]; Pentz, FSUlmer,<br />
2003, S. 451 [467 ff.]; Fietz/Fingerhut, DB 2007, 1179<br />
[1181 ff.]).<br />
[12] Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen<br />
Gesellschafters werden bei sofortiger Wirksamkeit<br />
der Einziehung verschiedene Lösungsvorschläge<br />
gemacht. Teilweise wird angenommen, die Einziehung<br />
stehe unter der auflösenden Bedingung, dass die Abfindung<br />
zum Fälligkeitszeitpunkt nicht ohne Verstoß gegen<br />
§ 30 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G gezahlt werden kann (Ulmer,FS<br />
Rittner 1991, S. 735; Lutter in Lutter/Hommelhoff,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 34 Rz. 48). Andere wollen dem ausgeschiedenen<br />
Gesellschafter das Recht geben, mit der Auflösungsklage<br />
nach § 61 <strong>GmbH</strong>G die Liquidation der Gesellschaft<br />
herbeizuführen, teilweise verbunden mit einem<br />
Wiedereintrittsrecht (Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft<br />
und Verein, 1983, S. 243; Niemeier, ZGR 1990,<br />
314 [353]; Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]). Schließlich<br />
wird vertreten, dass die Mitgesellschafter verpflichtet<br />
sind, dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Abfindung<br />
pro rata ihrer Beteiligung zu zahlen, soweit die Gesellschaft<br />
die Abfindung nicht leisten darf (Altmeppen in Roth/<br />
Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 6. Aufl., § 34 Rz. 21 ff.; Strohn in<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, § 34 Rz. 76; Goette, FSLutter,<br />
2000, S. 399 [410]; Heckschen, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1254<br />
[1256]; Kolb, NZG 2007, 815 [817]; Heidinger/Blath,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2007, 1184 [1187]).<br />
[13] b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht<br />
an. Grundsätzlich werden Beschlüsse wirksam und<br />
vollziehbar, sobald sie gefasst worden sind. Gesetzlich<br />
steht der Einziehungsbeschluss nicht unter der Bedingung,<br />
dass das Einziehungsentgelt gezahlt wird. § 34 Abs. 3<br />
<strong>GmbH</strong>G soll im Interesse der Gläubiger sicherstellen, dass<br />
die Gesellschafter die Kapitalerhaltungspflicht nach § 30<br />
Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G nicht durch die Aufgabe der Mitgliedschaft<br />
umgehen, soll aber nicht den Abfindungsanspruch<br />
der Gesellschafter schützen.<br />
[14] Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen<br />
wird, muss allerdings davor geschützt werden, dass die
verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der<br />
Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert des Anteils des<br />
ausgeschiedenen Gesellschafters aneignen und ihn aufgrund<br />
der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht<br />
mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Dazu<br />
genügt es aber, die verbleibenden Gesellschafter selbst<br />
in die Haftung zu nehmen, wenn sie nicht auf andere Weise<br />
für die Auszahlung der Abfindung sorgen. Der Schutz des<br />
Abfindungsanspruchs gebietet es nicht, schon die Wirksamkeit<br />
der Einziehung von der Zahlung der Abfindung<br />
abhängig zu machen und die damit verbundenen Nachteile<br />
in Kauf zu nehmen.<br />
[15] aa) <strong>Die</strong> Schwebelage, die nach der Bedingungslösung<br />
entsteht, hat erhebliche Nachteile. Dem ausgeschiedenen<br />
Gesellschafter bleiben während der Schwebezeit<br />
seine mitgliedschaftlichen Rechte jedenfalls grundsätzlich<br />
erhalten, obwohl es zumindest dann, wenn ein wichtiger<br />
Grund in seiner Person zur Einziehung geführt hat, der Gesellschaft<br />
und den verbleibenden Gesellschaftern gerade<br />
unzumutbar ist, dass er weiter in der Gesellschaft bleibt.<br />
Auch wenn mit der Einziehung unerwünschte Dritte von<br />
der Gesellschaft ferngehalten werden sollen, wie dies etwa<br />
bei der Pfändung des Geschäftsanteils als Einziehungsgrund<br />
der Fall ist, wird der Zweck der Einziehung bei einer<br />
Schwebelage nach der Bedingungslösung teilweise verfehlt.<br />
Selbst wenn die mitgliedschaftlichen Rechte wie das<br />
Stimmrecht eingeschränkt werden, können die Unklarheiten<br />
der Ausübungsbeschränkungen eine stete Quelle neuen<br />
Streits bilden. Insgesamt bietet das dem Gesellschafter<br />
einen Anreiz, seinen Lästigkeitswert zu steigern und das<br />
Abfindungsverfahren weiter in die Länge zu ziehen.<br />
[16] <strong>Die</strong>se Nachteile für die Gesellschaft entstehen bei der<br />
Bedingungslösung auch in den Fällen, in denen sich ein<br />
Schutz des Abfindungsanspruchs im Nachhinein als nicht<br />
erforderlich erweist. Wenn die Abfindung wie im gesetzlichen<br />
Regelfall (vgl. Strohn in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G,<br />
§ 34 Rz. 218) mit der Einziehung fällig ist (§ 271 Abs. 1<br />
BGB), steht auch objektiv fest, ob sie aus dem freien Vermögen<br />
geleistet werden kann. Ein Schutz des Abfindungsanspruchs<br />
ist nur erforderlich, wenn das Einziehungsentgelt<br />
erst später fällig wird oder die Auszahlung verzögert<br />
wird. Er erweist sich nachträglich als überflüssig, wenn die<br />
Gesellschaft die Abfindung in dem für die Kapitalerhaltung<br />
maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung ohne Beeinträchtigung<br />
des gebundenen Vermögens leisten kann. <strong>Die</strong><br />
Bedingungslösung belastet die Gesellschaft aber auch in<br />
solchen Fällen mit der weiteren Mitgliedschaft des Störenfrieds<br />
und stellt damit das Interesse des ausgeschiedenen<br />
Gesellschafters in den Vordergrund, obwohl er einer Einziehung<br />
aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zugestimmt<br />
hat (§ 34 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G). Wegen seiner antizipierten<br />
Zustimmung zur Einziehung in der Satzung ist er<br />
weniger schutzwürdig als ein Gesellschafter, der ohne eine<br />
solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen<br />
wird. Insoweit unterscheidet sich die Einziehung des<br />
Geschäftsanteils mittels Beschluss von der Ausschließung<br />
des Gesellschafters durch eine Klage, die ohne seine Zustimmung<br />
möglich ist und bei der nach der bisherigen<br />
Rspr. des BGH die Wirkung des Ausschließungsurteils von<br />
der Zahlung des Abfindungsentgelts abhängt (BGH v.<br />
1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 [174] = <strong>GmbH</strong>R<br />
1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]).<br />
[17] Davor, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft<br />
verschlechtert und so der Abfindungsanspruch gefährdet<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 389<br />
Gesellschaftsrecht<br />
wird, bietet auch die Bedingungslösung keinen Schutz.<br />
Der dem Gesellschafter nach der Bedingungslösung verbleibende<br />
Geschäftsanteil ist bei einer Verschlechterung<br />
der Vermögenslage ebenfalls entwertet. Auch soweit der<br />
ausscheidende Gesellschafter nach der Bedingungslösung<br />
das weitere Schicksal der Gesellschaft mitbestimmen<br />
kann, ist angesichts des häufig fortbestehenden Streites<br />
fraglich, ob er – wie das OLG meint – seine berechtigten<br />
Interessen „effektiv“ verfolgen und eine Verschlechterung<br />
der Vermögenslage durch Entscheidungen der anderen Gesellschafter<br />
verhindern kann.<br />
[18] bb) <strong>Die</strong> weiteren vorgeschlagenen Wege zum Schutz<br />
des Abfindungsanspruchs – auflösende Bedingung oder<br />
Anspruch auf Auflösung – vermeiden zwar, dass der ausgeschiedene<br />
Gesellschafter stören kann, weisen aber ebenfalls<br />
Nachteile auf.<br />
[19] (1) Eine auflösende Bedingung der Nichtzahlung der<br />
Abfindung unterliegt ähnlichen Bedenken wie die aufschiebende<br />
Bedingung. Zwar kann der ausgeschiedene<br />
Gesellschafter wegen der Wirksamkeit der Einziehung<br />
nicht weiter als Störenfried auf die Gesellschaft einwirken.<br />
Es entsteht aber ebenfalls eine Schwebelage, deren Ende<br />
zudem nicht sicher zu bestimmen ist. Bei Bedingungseintritt<br />
muss der Gewinnverteilungsschlüssel, ggf. nach einer<br />
Inanspruchnahme der Gesellschafter auch der Haftungsschlüssel<br />
korrigiert werden. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung,<br />
die ohne den ausgeschiedenen Gesellschafter<br />
gefasst wurden, müssen unter Umständen wiederholt<br />
oder neu gefasst werden. Nach einer Veränderung oder<br />
einer Abtretung der Geschäftsanteile ist eine automatische<br />
Herstellung des früheren Rechtszustands auch vor dem<br />
Hintergrund der Regelungen in § 5 Abs. 3 S. 2 u. § 16<br />
Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G kaum mehr möglich.<br />
[20] (2) Ein Recht, bei einer Unterdeckung im Zeitpunkt<br />
der Auszahlung der Abfindung die Auflösung der Gesellschaft<br />
zu betreiben, steht dem Gesellschafter, der – wenn<br />
man nicht der Bedingungslösung folgt – ausgeschieden ist,<br />
nicht zu. Außerdem könnte jahrelang in der Schwebe bleiben,<br />
ob die Gesellschaft aufgelöst ist oder nicht. <strong>Die</strong>ser<br />
Schwebezustand besteht auch dann, wenn man dem ausgeschiedenen<br />
Gesellschafter aus diesem Grund ein Wiedereintrittsrecht<br />
gibt.<br />
[21] cc) <strong>Die</strong> Interessen der Beteiligten werden am besten<br />
dadurch ausgeglichen, dass die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss<br />
gefasst haben, dem ausgeschiedenen<br />
Gesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht anderweitig<br />
dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen<br />
Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie<br />
die Gesellschaft nicht auflösen. Den verbliebenen Gesellschaftern<br />
wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils<br />
zu. Sie müssten, wenn sie sich redlich verhalten<br />
und eine Unterdeckung nicht auf andere Art und<br />
Weise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Reserven<br />
oder eine Herabsetzung des Stammkapitals (vgl.<br />
dazu BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157<br />
[169] = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz<br />
[2]), grundsätzlich die Gesellschaft auflösen, um so die<br />
Gesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsanspruch<br />
des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wie<br />
möglich zu erfüllen. Mit der Auflösung stellen sie den ausgeschiedenen<br />
Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs<br />
so, als sei er noch Gesellschafter. Sie verhalten<br />
sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fortsetzung<br />
der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Ge-
schäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesellschafters<br />
einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der<br />
berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft<br />
verweigern.<br />
[22] Wenn die Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen,<br />
anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen<br />
Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, ist<br />
es nicht unbillig, sie zum Ausgleich für den Abfindungsanspruch<br />
persönlich haften zu lassen, wenn die Gesellschaft<br />
ihn wegen der Kapitalbindung nicht erfüllen darf. Eine bei<br />
Fassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persönliche<br />
Haftung ist damit nicht verbunden. <strong>Die</strong> Gesellschafter<br />
können ihre persönliche Inanspruchnahme durch Ausgleich<br />
der Unterdeckung oder durch die Auflösung der Gesellschaft<br />
vermeiden. Der Abfindungsanspruch wird dadurch<br />
zwar nicht in voller Höhe gegen Veränderungen geschützt.<br />
Auch in der Liquidation ist der Abfindungsanspruch<br />
erst nach den Ansprüchen der übrigen Gesellschaftsgläubiger<br />
zu befriedigen (§ 73 <strong>GmbH</strong>G). Davor<br />
schützt den ausgeschiedenen Gesellschafter aber auch der<br />
weitere Verbleib in der Gesellschaft bei Annahme einer bedingten<br />
Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses nicht.<br />
[23] <strong>Die</strong> Nachteile der weiteren Mitgliedschaft eines<br />
„Störenfrieds“ werden weitgehend vermieden. Eine Ungewissheit<br />
über die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte<br />
wegen eines Streits über den Einziehungsgrund oder die<br />
Höhe der Abfindung, der dazu führt, dass zunächst unklar<br />
sein kann, ob die Abfindung aus dem angegebenen Vermögen<br />
geleistet werden kann, kann nicht vermieden werden.<br />
[24] dd) Der Fortbestand der Mitgliedschaft des Gesellschafters,<br />
dessen Geschäftsanteil eingezogen wurde, ist<br />
auch nicht aus anderen Gründen erforderlich. Für die<br />
Wahrnehmung der Rechte gegen den Einziehungsbeschluss<br />
selbst ist von der weiteren Rechtsinhaberschaft<br />
auszugehen, um der verfassungsrechtlich gebotenen<br />
Rechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen (BGH v.<br />
22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32, Rz. 8; v.<br />
19.9.1977 – II ZR 11/76, NJW 1977, 2316 = <strong>GmbH</strong>R 1978,<br />
131).<br />
[25] c) Der Kl. ist nicht als stimmberechtigter Gesellschafter<br />
zu behandeln, weil er zu der Gesellschaftsversammlung<br />
v. 22.2.2007 eingeladen wurde. <strong>Die</strong> Bekl. ist damit<br />
nur den Unsicherheiten gerecht geworden, die aufgrund<br />
der ungeklärten Rechtslage zum Fortbestand von<br />
Mitgliedsrechten bestanden.<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
I. Zur Entscheidung<br />
Das vorstehend abgedruckte Urt. des BGH v. 24.1.2012 –<br />
II ZR 109/11 beendet einen Streit, der unter den Obergerichten<br />
und in der Literatur in den vergangenen Jahren äußerst<br />
kontrovers entschieden und diskutiert worden ist.<br />
Auf die klärenden Worte des BGH hat die Praxis lange<br />
warten müssen: Schon im Jahr 1995 (BGH v. 20.2.1995 –<br />
II ZR 46/94, <strong>GmbH</strong>R 1995, 377) beschränkte sich der<br />
BGH auf eine Darstellung des Meinungsstands, ohne<br />
selbst Stellung zu beziehen. Anfang des Jahres 2008 (BGH<br />
v. 28.1.2008 – II ZR 290/06, <strong>GmbH</strong>R 2008, 765) ließ der<br />
Gesellschaftsrechts-Senat die von ihm so bezeichnete<br />
„Grundsatzfrage“, ob die aus dem Sen.Urt. v. 1.4.1953<br />
(BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 = <strong>GmbH</strong>R<br />
1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]) abgeleitete<br />
sog. Bedingungslehre auf die Konstellation einer „reinen“<br />
Rechtsprechung<br />
390 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Zwangseinziehung gemäß § 34 <strong>GmbH</strong>G übertragbar ist,<br />
erneut offen. Seinerzeit verneinte der BGH die Entscheidungserheblichkeit<br />
dieser Frage unter Verweis auf die Bindungswirkung<br />
eines rechtskräftigen landgerichtlichen Urteils.<br />
Das LG Wuppertal hatte mit einer nicht veröffentlichten<br />
Entscheidung festgestellt, dass die dortigen Beklagten<br />
„noch bis zur Zahlung des Einziehungsentgelts“ Gesellschafterinnen<br />
der damaligen Klägerin waren. Heute wissen<br />
wir: Das LG Wuppertal hat falsch entschieden. Denn<br />
mit dem hier kommentierten Urteil stellt der BGH nunmehr<br />
klar, dass die Einziehung in den Fällen, in denen der<br />
Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt<br />
wird, mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen<br />
Gesellschafter und nicht erst mit Leistung der<br />
Abfindung wirksam wird (1. Leitsatz). Um den Gesellschafter,<br />
der damit unmittelbar und sofort seine Mitgliedschaftsrechte<br />
verliert, ohne hierfür schon finanziell entschädigt<br />
worden zu sein, zu schützen, nimmt der BGH die<br />
Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben,<br />
zugunsten des Ausgeschiedenen in die persönliche<br />
Haftung, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung<br />
aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet<br />
werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen<br />
(2. Leitsatz).<br />
II. Stellungnahme<br />
Das Urteil überzeugt. Es ist sorgfältig begründet und wägt<br />
die Interessen aller Beteiligten sorgsam ab. Nicht zuletzt<br />
hebt es zutreffend hervor, das ratio legis des § 34 Abs. 3<br />
<strong>GmbH</strong>G nicht etwa der Schutz des Abfindungsanspruchs<br />
der Gesellschafter ist. Der Verweis auf § 30 Abs. 1<br />
<strong>GmbH</strong>G soll vielmehr sicherstellen, dass die Gesellschafter<br />
nicht zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger die Kapitalerhaltungspflicht<br />
durch Aufgabe ihrer Mitgliedschaft<br />
umgehen. Der BGH rückt damit die Perspektiven wieder<br />
zurecht, die in anderslautenden Entscheidungen mitunter<br />
einseitig zu Gunsten des betroffenen Gesellschafters verschoben<br />
worden waren. Zwar mag es sein, dass der Gesellschafter,<br />
dessen Geschäftsanteil eingezogen werden soll,<br />
nicht immer der „Störenfried“ ist, den der BGH offensichtlich<br />
ausgemacht hatte. Häufig ist der Betroffene auch Opfer<br />
ihn diskreditierender Mitgesellschafter. Das ändert aber<br />
nichts daran, dass er mit der gesellschaftsvertraglichen Regelung,<br />
die seinen Ausschluss im Beschlusswege erlaubt,<br />
ein persönliches Risiko eingegangen ist, das nicht über den<br />
Umweg der Kapitalerhaltung ausgeräumt werden kann.<br />
III. Relevanz für die Praxis<br />
So begrüßenswert das Urteil schon wegen seiner Eindeutigkeit<br />
auch ist, sollte gleichwohl nicht verkannt werden,<br />
dass es nur eng begrenzte Fallkonstellationen erfasst. Auch<br />
die Fallgestaltung, die dem BGH zur Entscheidung vorlag,<br />
zeichnete sich dadurch aus, dass dort die Einziehung des<br />
Geschäftsanteils bereits bestandskräftig war. In den wohl<br />
überwiegenden Fällen drohen aber weiterhin die von den<br />
Beteiligten und ihren Beratern zu Recht so gefürchteten<br />
Schwebephasen.<br />
Zunächst gilt das dort, wo die Satzung die Zwangseinziehung<br />
von Geschäftsanteilen nicht gestattet, nach höchstrichterlicher<br />
Rechtsprechung also Ausschlussklage zu erheben<br />
ist. Hier verbleibt es bei der „Bedingungslösung“<br />
dergestalt, dass die Einziehung unter der aufschiebenden<br />
Bedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermögen<br />
steht (BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,<br />
157 = <strong>GmbH</strong>R 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz
[2]), so dass der betroffene Gesellschafter auch erst mit Bedingungseintritt<br />
seine Mitgliedschaftsrechte verliert. Bis<br />
dahin kann er – um eine Wortwahl des BGH aufzugreifen<br />
– seinen „Lästigkeitswert“ stetig steigern.<br />
Aber auch dort, wo im Falle der Einziehung durch Beschluss<br />
Einziehungsgrund und Höhe der Abfindung im<br />
Streit sind, wird es bei quälend langen Hängepartien bleiben.<br />
Vorübergehende Rechtssicherheit wird dabei noch am<br />
ehesten in den Fällen gewährleistet sein, in denen der Einziehungsbeschluss<br />
von einem hierzu berechtigten Versammlungsleiter<br />
festgestellt worden ist. Denn dann liegt<br />
jedenfalls im Rechtssinne ein Beschluss vor, den die herrschende<br />
Meinung mit zumindest vorläufiger Wirksamkeit<br />
ausstattet (BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, <strong>GmbH</strong>R<br />
1988, 304; OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, <strong>GmbH</strong>R<br />
2002, 913 [914]; Bayer in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G,<br />
17. Aufl. 2009, Anh zu § 47 Rz. 38; Zöllner in Baumbach/<br />
Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2009, Anh § 47 Rz. 118, § 48<br />
Rz. 17). Der betroffene Gesellschafter muss – will er sich<br />
gegen die Einziehung seines Geschäftsanteils wehren –<br />
Anfechtungsklage in Analogie zu §§ 241 ff. AktG erheben.<br />
Fehlt demgegenüber ein festgestellter Beschlussinhalt, ist<br />
im Wege der allgemeinen Feststellungsklage – gerichtet<br />
gegendieGesellschaft–zuklären,obundmitwelchemInhalt<br />
ein Beschluss gefasst worden ist (BGH v. 4.5.2009 – II<br />
ZR 169/07, <strong>GmbH</strong>R 2009, 1327 m. Komm. Münnich;<br />
Zöllner in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2009,<br />
Anh § 47 Rz. 124). Der nicht festgestellte Gesellschafterbeschluss<br />
erlangt keine vorläufige Wirksamkeit und<br />
braucht auch nicht vom opponierenden Gesellschafter vorläufig<br />
hingenommen zu werden (Bayer in Lutter/Hommelhoff,<strong>GmbH</strong>G,17.Aufl.2009,Anhzu§47Rz.39).<br />
Parallel hierzu werden die Beteiligten deshalb bemüht<br />
sein, ihre jeweiligen Positionen im einstweiligen Rechtsschutz<br />
zu stärken. <strong>Die</strong> Erfahrung lehrt, dass dies zu einer<br />
Vielzahl gerichtlicher Streitigkeiten führt, die jedenfalls<br />
erstinstanzlich regelmäßig mit der Eskalation der Auseinandersetzung<br />
einhergeht. Häufig gelingt es dann erst den<br />
Obergerichten, die Parteien zu befrieden.<br />
Dr. Lutz Münnich, Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht, Hamm<br />
Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung des<br />
Aufsichtsrats einer <strong>GmbH</strong> nach dem Mitbestimmungsgesetz<br />
MitbestG § 7 Abs. 1<br />
<strong>Die</strong> Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung,<br />
bei der ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu<br />
bilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben<br />
zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern<br />
aus weiteren Mitgliedern mit beratender Funktion besteht.<br />
BGH, Beschl. v. 30.1.2012 – II ZB 20/11<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
[1] <strong>Die</strong> Beteiligte ist eine Konzernobergesellschaft in<br />
Form einer <strong>GmbH</strong>, deren alleinige Gesellschafterin die<br />
Stadt E ist. Sie beherrscht eine Vielzahl von Tochtergesell-<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 391<br />
Gesellschaftsrecht<br />
schaften, die insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen.<br />
Gemäß § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 MitbestG<br />
ist bei der Beteiligten ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften<br />
des Mitbestimmungsgesetzes gebildet.<br />
[2] § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der Beteiligten in<br />
seiner bisher geltenden Fassung trifft dazu folgende Regelung:<br />
Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig Mitgliedern.<br />
Davon werden zehn Mitglieder von den Arbeitnehmern<br />
nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt.<br />
<strong>Die</strong> weiteren Mitglieder werden vom Rat der Stadt E entsandt,<br />
wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener<br />
Beamter oder Angestellter der Stadt E ist.<br />
[3] Am 20.9.2010 beschloss die Gesellschafterversammlung<br />
der Beteiligten, neben einer Vielzahl weiterer Vorschriften<br />
§ 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags wie folgt zu<br />
ändern:<br />
Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig stimmberechtigten<br />
Mitgliedern sowie aus bis zu vier Mitgliedern mit beratender<br />
Funktion. Von den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern<br />
werden zehn stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitnehmern<br />
nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976<br />
gewählt. <strong>Die</strong> übrigen zehn stimmberechtigten Mitglieder werden<br />
vom Rat der Stadt E entsandt, wovon eines der Oberbürgermeister<br />
oder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter der<br />
Stadt E ist. Ratsfraktionen, welche dem Aufsichtsrat nicht bereits<br />
nach Satz 3 angehören, benennen jeweils ein beratendes Mitglied,<br />
das vom Rat der Stadt E entsandt wird.<br />
[4] <strong>Die</strong> Geschäftsführer der Beteiligten meldeten die Änderungen<br />
des Gesellschaftsvertrags mit notariell beglaubigter<br />
Erklärung v. 20.9.2010 zur Eintragung in das Handelsregister<br />
an.<br />
[5] Mit Zwischenverfügung v. 27.9.2010 hat das RegG die<br />
beschlossenen Erweiterungen in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />
als unzulässig beanstandet, weil die ständige Teilnahme<br />
von beratenden Mitgliedern an Sitzungen des Aufsichtsrats<br />
gegen § 109 AktG verstoße; die beanstandeten<br />
Regelungen seien daher durch Gesellschafterbeschluss zu<br />
streichen [AmtsG Essen v. 27.9.2010 – 89 HRB 4308].Das<br />
OLG hat die Beschwerde der Beteiligten mit der Maßgabe<br />
zurückgewiesen, dass der Beteiligten eine Frist zur Behebung<br />
des bezeichneten Hindernisses von einem Monat ab<br />
Eintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung gesetzt<br />
wird [OLG Hamm v. 29.9.2011 – I-15 W 606/10]....<br />
II.<br />
[7] <strong>Die</strong> zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.<br />
1. ... 2.<br />
[10] <strong>Die</strong> Rechtsbeschwerde ... bleibt ... ohne Erfolg.<br />
[11] a) <strong>Die</strong> Erweiterung des Aufsichtsrats auf bis zu vierundzwanzig<br />
Mitglieder gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 des Gesellschaftsvertrags<br />
i.d.F. des Beschlusses v. 20.9.2010 verstößt<br />
gegen § 7 Abs. 1 MitbestG. Nach dieser Vorschrift setzt<br />
sich der Aufsichtsrat aus höchstens zwanzig Mitgliedern<br />
zusammen.<br />
[12] Bei der beteiligten Gesellschaft, die gemäß § 1<br />
Abs. 1, § 5 Abs. 1 MitbestG dem Mitbestimmungsgesetz<br />
unterliegt, ist gemäß § 6 Abs. 1 MitbestG zwingend ein<br />
Aufsichtsrat zu bilden. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 bis 3 MitbestG<br />
kann die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf<br />
höchstens zwanzig Aufsichtsratsmitglieder festlegen, je<br />
zehn der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Abweichun-
gen von dieser abschließenden Regelung sind nicht zulässig<br />
(vgl. Gach in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 7 MitbestG<br />
Rz. 6; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B<br />
§7MitbestGRz.2;Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,<br />
§7 MitbestGRz.1; Wißmann in Münch.Hdb.ArbR,<br />
3. Aufl., § 280 Rz. 1; Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler,<br />
Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 17;<br />
Wißmann in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />
Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2; Seibt<br />
in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 7<br />
MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und<br />
Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2;<br />
Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht,<br />
Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1; Fuchs/<br />
Köstler, Handbuch zur Aufsichtsratswahl, 4. Aufl.,<br />
Rz. 61). § 7 Abs. 1 MitbestG ist lex specialis zu §§ 95, 96<br />
AktG (§ 95 S. 5 AktG; vgl. ferner Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler,<br />
Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 MitbestG<br />
Rz. 14; Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/<br />
Düwell, Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1).<br />
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann daher<br />
aus der in § 95 S. 1 AktG festgelegten Höchstzahl von einundzwanzig<br />
Aufsichtsratsmitgliedern nicht hergeleitet<br />
werden, dass die Höchstgrenze von zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern<br />
nach § 7 Abs. 1 MitbestG überschritten werden<br />
dürfe. Nach der beschlossenen Satzungsänderung soll<br />
der Aufsichtsrat der Beteiligten aber aus zwanzig stimmberechtigten<br />
sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern<br />
mit beratender Funktion bestehen. Da auch die<br />
nicht stimmberechtigten weiteren Aufsichtsratsmitglieder<br />
Aufsichtsratsmitglieder i.S.v. § 7 Abs. 1 MitbestG sind,<br />
wird die zulässige Höchstzahl überschritten.<br />
[13] b) Durch die Regelung in § 109 Abs. 1 S. 2 AktG,<br />
nach der Dritte zu den Sitzungen des Aufsichtsrats hinzugezogen<br />
werden können, wird, anders als die Rechtsbeschwerde<br />
meint, bei der Beteiligten als einer dem Mitbestimmungsgesetz<br />
unterliegenden <strong>GmbH</strong> nicht die Möglichkeit<br />
eröffnet, neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern<br />
weitere Aufsichtsratsmitglieder mit<br />
nur beratender Funktion vorzusehen. Nach § 109 Abs. 1<br />
S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen und<br />
Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände<br />
zulässig. <strong>Die</strong> geänderte Regelung in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />
der Beteiligten sieht dagegen die ständige<br />
Teilnahme von bis zu vier beratenden, nicht stimmberechtigten<br />
Mitgliedern an den Sitzungen des Aufsichtsrats vor.<br />
<strong>Die</strong> ständige Teilnahme einer die Höchstzahl von zwanzig<br />
Aufsichtsratsmitgliedern übersteigenden Anzahl von Mitgliedern<br />
mit beratender Funktion an den Sitzungen des<br />
Aufsichtsrats ist mit § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109<br />
Abs. 1 AktG nicht vereinbar.<br />
[14] <strong>Die</strong> Regelung der inneren Ordnung des Aufsichtsrats<br />
der Beteiligten bestimmt sich, da §§ 27 bis 29, §§ 31 u. 32<br />
MitbestG nichts anderes vorsehen, u.a. nach § 25 Abs. 1<br />
S. 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. § 109 Abs. 1 AktG. <strong>Die</strong> sich aus<br />
der Verweisung in § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG ergebenden<br />
Regelungen sind zwingend (Oetker in ErfK,<br />
12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6; Gach in<br />
Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3; Mertens<br />
in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B § 25 MitbestG<br />
Rz. 1; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht,<br />
4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz<br />
und Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 25<br />
MitbestG Rz. 1 f.; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />
Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25<br />
Rechtsprechung<br />
392 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
MitbestG Rz. 3 f.). Andere Regelungen in der Satzung der<br />
Beteiligten sind nur zulässig, soweit sie weder den Vorschriften<br />
des Mitbestimmungsgesetzes noch den in § 25<br />
Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG genannten gesellschaftsrechtlichen<br />
Vorschriften widersprechen, § 25 Abs. 2 MitbestG.<br />
[15] Aus § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109 Abs. 1<br />
S. 1 AktG folgt, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />
der beteiligten Gesellschaft keine Personen teilnehmen<br />
sollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands<br />
sind. Bei § 109 Abs. 1 AktG handelt es sich trotz des<br />
Wortlauts um zwingendes Recht. <strong>Die</strong> Satzung kann daher<br />
über die in § 109 Abs. 1 S. 2, § 109 Abs. 3 AktG genannten<br />
Fälle hinaus den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />
zugelassenen Personen nicht erweitern (Raiser/<br />
Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz,<br />
5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 33; Ulmer/Habersack in<br />
Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht,<br />
2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />
Mitbestimmungsrecht,<br />
4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; vgl. ferner Hopt/Roth in<br />
Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 7; Hüffer,<br />
AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 1, 4, m.w.N.).<br />
[16] § 109 Abs. 1 AktG soll den Aufsichtsrat klar von gesetzlich<br />
nicht vorgesehenen Organen sowie anderen Personen<br />
abgrenzen sowie seine Arbeitsfähigkeit sichern und<br />
der Erhaltung der Vertraulichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats<br />
die-nen. <strong>Die</strong> Vorschrift soll verhindern, dass<br />
nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende<br />
Personen ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen<br />
und so vergleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne<br />
hierfür die entsprechende Verantwortung zu tragen (Habersack<br />
in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 2;<br />
Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 6; Spindler in<br />
Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 1; Drygala in<br />
K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 2). <strong>Die</strong> regelmäßige<br />
Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen<br />
an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist deshalb<br />
unzulässig, da diese Personen nach der gesetzlichen Regelung,<br />
die Aufsichtsratsmitglieder ohne Stimmrecht nicht<br />
kennt, nur von Fall zu Fall zu einzelnen Gegenständen hinzugezogen<br />
werden dürfen (vgl. Habersack in<br />
Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 16 ff.; Hoffmann-Becking<br />
in Münch.Hdb.AG IV, 3. Aufl., § 31<br />
Rz. 47a; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 14 ff.;<br />
Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 19,<br />
27; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 4 f.; Drygala in<br />
Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 7 f.; Hopt/Roth<br />
in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 41 ff.;<br />
Henssler in Henssler/Strohn, § 109 AktG Rz. 5 f.; Koberski<br />
in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht,<br />
4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20 f.).<br />
[17] c) Nach der von der Beteiligten beschlossenen Änderung<br />
in § 8 Abs. 1 S. 4 des Gesellschaftsvertrags soll nur<br />
der Alleingesellschafterin das Recht zustehen, neben den<br />
zehn stimmberechtigten bis zu vier beratende Mitglieder in<br />
den Aufsichtsrat zu entsenden. <strong>Die</strong> angemeldete Satzungsänderung<br />
ist daher auch mit dem Grundsatz der paritätischen<br />
Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch Mitglieder<br />
der Anteilseigner und Arbeitnehmer nicht vereinbar,<br />
den § 7 Abs. 1 MitbestG sicherstellen soll (Regierungsentwurf<br />
des Mitbestimmungsgesetzes, BT-Drucks. 7/2172,<br />
S. 22; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 7 MitbestG<br />
Rz. 2, 4). In den vom Mitbestimmungsgesetz erfassten Unternehmen<br />
sollen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts-
at an den dort zu treffenden unternehmerischen Planungen<br />
und Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt und<br />
gleichgewichtig teilhaben; deshalb ist der Aufsichtsrat mit<br />
der gleichen Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer zu<br />
besetzen (Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes,<br />
BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f., 22). <strong>Die</strong> gesellschaftsrechtliche<br />
Gestaltungsfreiheit durch Satzung muss zurücktreten,<br />
soweit durch sie der Paritätsgedanke sowie das im<br />
Mitbestimmungsgesetz geregelte Zusammenspiel der beiden<br />
Mitgliedergruppen im Aufsichtsrat verändert wird<br />
(Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,<br />
Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 8,<br />
m.w.N.; Oetker in ErfK, 12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3;<br />
Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz,<br />
5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 9; Ulmer/Habersack<br />
in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht,<br />
2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6). Entgegen der Ansicht<br />
der Rechtsbeschwerde wird die von der Beteiligten<br />
vorgenommene Regelung diesen Prinzipien einer gleichberechtigten<br />
und gleichgewichtigen Mitbestimmung nicht<br />
gerecht, weil die Entsendung von bis zu vier zusätzlichen<br />
Mitgliedern zu einem Übergewicht der Arbeitgeberseite<br />
führt, auch wenn diese Mitglieder nur eine beratende<br />
Funktion ausüben.<br />
[18] d) <strong>Die</strong> von der Beteiligten in § 8 des Gesellschaftsvertrags<br />
vorgesehene Einführung von bis zu vier nur beratenden<br />
Aufsichtsratsmitgliedern neben den zwanzig<br />
stimmberechtigten Mitgliedern des Aufsichtsrats verstößt<br />
ferner gegen den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats<br />
die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.<br />
<strong>Die</strong>ser in der mitbestimmungsfreien AG allgemein anerkannte<br />
Grundsatz (vgl. Hopt/Roth in Großkomm. AktG,<br />
4. Aufl., § 107 AktG Rz. 7; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl.,<br />
§ 107 Rz. 5) ist auch in das Mit-bestimmungsgesetz eingegangen<br />
(vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83,<br />
106 [112 f.]; v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, NJW 1989, 979<br />
[981 f.] = <strong>GmbH</strong>R 1989, 126 [LS]).<br />
[19] e) Auf die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn eine<br />
<strong>GmbH</strong> nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt und<br />
bei ihr ein Aufsichtsrat deshalb nur fakultativ zu bilden ist,<br />
kommt es nicht an. <strong>Die</strong> von der Rechtsbeschwerde zum fakultativen<br />
Aufsichtsrat angeführten Gesichtspunkte können<br />
wegen der zwingenden Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes<br />
auf den bei der Beteiligten nach den<br />
§§ 6 ff. MitbestG zu bildenden Aufsichtsrat nicht übertragen<br />
werden.<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
Der II. Senat des BGH hat mit seiner vorstehend abgedruckten<br />
Grundsatzentscheidung v. 30.1.2012 – II ZB 20/<br />
11 klargestellt, dass die in § 7 Abs. 1 MitbestG vorgesehene<br />
Höchstmitgliederzahl von 20 Aufsichtsratsmitgliedern<br />
zwingend ist. <strong>Die</strong>se Maximalmitgliederzahl kann nicht<br />
durch eine Satzungsänderung erweitert werden. Entschieden<br />
ist dies anhand einer Konzernobergesellschaft im<br />
kommunalen Bereich, welche in der Rechtsform der<br />
<strong>GmbH</strong> die Holdingfunktion über diverse Tochtergesellschaften<br />
ausübt (zur Mitbestimmung bei einer ausländischenKonzernmutterOLGStuttgartv.30.3.1995–8W<br />
355/93, <strong>GmbH</strong>R 1995, 530 [LS]). <strong>Die</strong> insoweit geänderte<br />
Satzung sah vor, dass die Stadt Essen als Alleingesellschafterin<br />
das alleinige Recht besitzen sollte, bis zu vier<br />
beratende, allerdings nicht stimmberechtigte Mitglieder in<br />
den mitbestimmten Aufsichtsrat zusätzlich zu entsenden,<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 393<br />
Gesellschaftsrecht<br />
also zahlenmäßig über die zehn von der Arbeitgeberseite<br />
regulär zu stellenden Aufsichtsratsmitglieder hinaus. Unklar<br />
bleibt bei der Entscheidung – es spielt aber auch für<br />
die rechtliche Lösung keine Rolle –, weshalb die Erweiterung<br />
des Aufsichtsrats um vier Personen von der gesetzlich<br />
angeordneten Zahl auf dann 24 Mitglieder angestrebt und<br />
satzungsmäßig beschlossen worden war. In Übereinstimmung<br />
mit der absolut herrschenden Literaturmeinung ist<br />
durch den BGH nun entschieden, dass je zehn Vertreter der<br />
AnteilseignerundderArbeitnehmerdieHöchstzahlfür<br />
eine nach § 7 Abs. 1 MitbestG mitbestimmte <strong>GmbH</strong> darstellt,<br />
die nicht durch die Statuten der <strong>GmbH</strong> erweitert werden<br />
kann (vgl. zum „umgekehrten“ Fall des Schicksals des<br />
Aufsichtsrats bei einem Herausfallen aus der Mitbestimmung<br />
durch dauerhafte Reduzierung der Belegschaft OLG<br />
Frankfurt a. M. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />
313 [LS]).<br />
<strong>Die</strong> gesetzliche Höchstgrenze des § 7 MitbestG mit 20<br />
Aufsichtsratsmitgliedern ist aus mehreren Gründen obligatorisch,<br />
und Erhöhungen sind daher rechtswidrig, wie der<br />
BGH instruktiv in seiner Entscheidung ausführt.<br />
1. Als erstes Rechtsargument für die Erhöhungsmöglichkeit<br />
wurde § 109 Abs. 3 AktG angeführt. Dort heißt es: <strong>Die</strong><br />
Satzung kann zulassen, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats<br />
und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat<br />
nicht angehören, anstelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern<br />
teilnehmen können, wenn diese sie<br />
hierzu in Textform ermächtigt haben. <strong>Die</strong>ses Argument<br />
ließ das Gericht nicht gelten. Denn mittels Satzungsänderung<br />
soll der Aufsichtsrat der Beteiligten aus zwanzig<br />
stimmberechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern<br />
mit beratender Funktion bestehen.<br />
Mit anderen Worten: Es ging durch die Satzungsänderung<br />
stets um 24 Aufsichtsratsmitglieder, mögen auch vier davon<br />
– mangels eigener Stimmberechtigung – allenfalls<br />
Mitglieder „zweiter Klasse“ sein. Auch nach § 109 Abs. 1<br />
S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen und<br />
Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände<br />
zulässig, nicht dagegen die ständige Teilnahme von<br />
bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern. So wurde<br />
auch in der herrschenden Literatur die satzungsmäßig vorgesehene<br />
Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an Aufsichtsratssitzungen<br />
einer AG für rechtswidrig erachtet,<br />
während hingegen wohl nur UweH.Schneider, ZIP 2002,<br />
873 ff. aus § 109 AktG ableitet, dass es kein derartiges generelles<br />
Verbot gebe und dies auch über die Satzung statuiert<br />
werden könne. Ob der BGH sich hierzu auch festgelegt,<br />
wenn ausgeführt ist, dass die Satzung daher über die<br />
in § 109 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3 AktG genannten Fälle hinaus<br />
den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats zugelassenen<br />
Personen nicht erweitern kann, bleibt offen.<br />
2. Als zweiten Grund für die Unwirksamkeit der satzungsmäßig<br />
erweiterten Höchstzahl im Aufsichtsrat führt der<br />
BGH Vertraulichkeitsbedenken an. Jüngst befasste sich<br />
auch Spindler, ZIP 2011, 689 ff. mit diesem Spannungsfeld<br />
aus der Verpflichtung zur Verschwiegenheit einerseits<br />
und deren Weisungsgebundenheit andererseits, wenn kommunale<br />
Mandatsträger – vorliegend ging es um eine städtische<br />
Konzernstruktur – zum Aufsichtsratsmitglied bestellt<br />
werden. Auch für Aufsichtsratsmitglieder, die von der öffentlichen<br />
Hand gestellt seien, gelte zwar die Verschwiegenheitspflicht.<br />
Zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes<br />
käme es aber dann, wenn das Aufsichtsratsmitglied als<br />
Vertreter von Gebietskörperschaften gleichzeitig einer Be-
ichtspflicht gegenüber seiner Körperschaft unterliege (so<br />
Spindler, aaO). Ähnlich führt der BGH aus, dass der Aufsichtsrat<br />
und seine Mitglieder von gesetzlich nicht vorgesehenen<br />
Organen abzugrenzen sein sollen – dies zum Zwecke<br />
der Erhaltung der Vertraulichkeit der Aufsichtsratssitzungen.<br />
<strong>Die</strong> Vorschrift soll verhindern, dass nicht dem<br />
Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende Personen<br />
ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen und so vergleichbare<br />
Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne hierfür<br />
die entsprechende Verantwortung zu tragen, weshalb die<br />
regelmäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen<br />
an den Sitzungen des Aufsichtsrats deshalb<br />
unzulässig ist.<br />
3. Ad drei argumentiert der BGH überzeugend mit einer<br />
Verletzung der (paritätischen) Mitbestimmung im Aufsichtsrat.<br />
Angesichts von bis zu vier permanenten, wenn<br />
auch nicht stimmberechtigten zusätzlichen Aufsichtsratsmitgliedern<br />
seitens der Arbeitgeberseite ist ein Übergewicht<br />
der Arbeitgeberseite offenkundig. Das Mitbestimmungsgesetz<br />
sieht – wie die BGH-Rechtsprechung postuliert<br />
– kein Prinzip von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbänken<br />
vor. Der Widerstreit der Interessen zwischen Anteilseigner-<br />
und Arbeitnehmervertretern kann – so die dahingehende<br />
BGH-Rechtsprechung – nur durch eine vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit der auf das Unternehmensinteresse<br />
verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder gelöst<br />
werden (BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, <strong>GmbH</strong>R, 1989,<br />
126 [LS]), ohne Stärkung der einen „Bank“.<br />
4. Zuletzt verstößt die satzungsmäßige Ermöglichung der<br />
Erweiterung des Aufsichtsrats um vier Personen gegen den<br />
Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats die gleichen<br />
Rechte und Pflichten haben sollen, was bei vier permanenten<br />
Mitgliedern allenfalls „zweiter Klasse“ – da<br />
stimmrechtslos – nicht gegeben ist. Hingegen geht der<br />
BGH stets von einem homogen zusammengesetzten Aufsichtsrat<br />
aus, wie er z.B. auch im Kontext der actio pro socio<br />
betont (BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, ZIP 1982,<br />
440).<br />
Insgesamt ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen, wobei<br />
es wünschenswert gewesen wäre, wenn eine entsprechende<br />
Klärung im Wege eines obiter dictum auch für den fakultativen<br />
Aufsichtsrat herbeigeführt worden wäre, was<br />
aber gerade offen blieb.<br />
Dr. Martin Pröpper, Rechtsanwalt und Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht, Köln<br />
(Rechtsanwälte Ulrich Weber & Partner GbR)<br />
Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz der<br />
<strong>GmbH</strong> gegen ihren Geschäftsführer wegen<br />
vermeintlicher Obliegenheitsverletzungen<br />
<strong>GmbH</strong>G § 43 Abs. 2; BGB § 249; ZPO § 287, § 533<br />
Für den Schadensbegriff im Sinne auch von § 43 Abs. 2<br />
<strong>GmbH</strong>G gelten grundsätzlich keine Besonderheiten, sondern<br />
die § 249 ff. BGB, so dass nach allgemeinen Grundsätzen<br />
ein Schaden dann vorliegt, wenn eine Minderung des Gesellschaftsvermögens<br />
eingetreten ist, ohne dass diese durch<br />
einen damit im Zusammenhang stehenden Vermögenszuwachs<br />
mindestens ausgeglichen ist.<br />
OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.10.2011 – 5 U 27/10<br />
(rechtskräftig; juris)<br />
Rechtsprechung<br />
394 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vom<br />
Selbstkontrahierungsverbot<br />
<strong>GmbH</strong>G § 2 Abs. 1a, § 53, § 54, § 66, § 68; BGB § 181<br />
1. <strong>Die</strong> Befreiung des Liquidators einer im vereinfachten<br />
Verfahren nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G unter Verwendung des<br />
in der Anlage b) zu § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G bestimmten Musterprotokolls<br />
gegründeten <strong>GmbH</strong> von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht entsprechend<br />
abgeändert wurde, macht einen Gesellschafterbeschluss<br />
erforderlich, mit dem unter Beachtung der Anforderungen<br />
der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G die Satzung entsprechend abgeändert<br />
wird.<br />
2. Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entweder<br />
eine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB erteilt werden, oder es muss<br />
eine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit von diesen<br />
Beschränkungen in der Satzung geschaffen werden, die<br />
dann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einen<br />
nachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein kann.<br />
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.10.2011 – 20 W 95/11<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerdeführerin ist im vereinfachten Verfahren<br />
nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G mit einem Stammkapital i.H.v.<br />
10 c durch die Gesellschafter A1 und A2 durch Musterprotokoll<br />
errichtet worden (...). Zum ersten – und derzeit auch<br />
noch alleine im Handelsregister eingetragenen – Geschäftsführer<br />
der Beschwerdeführerin wurde der Gesellschafter<br />
A2 bestellt.<br />
<strong>Die</strong>ser hat mit Anmeldung v. ... 2010 unter gleichzeitiger<br />
Übersendung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses<br />
v. ... 2010 die Auflösung der Gesellschaft angemeldet<br />
(...). Weiterhin hat er angemeldet:<br />
„Ich bin zum Liquidator bestellt und von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB befreit. Ich vertrete die Gesellschaft alleine, solange<br />
kein weiterer Liquidator bestellt ist. Allgemein vertritt ein Liquidator<br />
allein, wenn nur ein Liquidator bestellt ist. Sind mehrere Liquidatoren<br />
bestellt, wird die Gesellschaft durch alle Liquidatoren<br />
gemeinsam vertreten.“<br />
Der übersandte Gesellschafterbeschluss v. ... 2010 ist nicht<br />
notariell beurkundet und zur Vertretungsbefugnis des Liquidators<br />
ist angeführt:<br />
„Er vertritt die Gesellschaft allein, solange er einziger Liquidator<br />
ist. Von den Beschränkungen des § 181 BGB ist Befreiung erteilt.“<br />
<strong>Die</strong> Rechtspflegerin des AmtsG (nachfolgend: RegG) hat<br />
den die Anmeldung übersendenden und verfahrensbevollmächtigten<br />
Notar mit Schreiben v. 19.11.2010 darauf hingewiesen,<br />
der Anmeldung könne noch nicht entsprochen<br />
werden, da bei der im vereinfachten Verfahren gegründeten<br />
Gesellschaft eine Befreiung des Liquidators von den<br />
Beschränkungen des § 181 BGB nicht möglich sei; hierzu<br />
sei eine Satzungsänderung erforderlich (...).<br />
Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar eingewandt,<br />
dass aus der Satzung nicht ersichtlich sei, dass die<br />
Befreiung des Liquidators von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB nicht möglich sei. Da die Geschäftsführer der<br />
Gesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB be-
freit seien, stehe auch einer Befreiung eines Liquidators<br />
der Gesellschaft nach dem Inhalt der Satzung nichts entgegen.<br />
Auch § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G stehe dem nicht entgegen<br />
(...).<br />
<strong>Die</strong> Rechtspflegerin hat mit Schreiben v. 16.12.2010 mitgeteilt,<br />
dass die Befreiung von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB bei einer nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G gegründeten<br />
Gesellschaft nur für den ersten im Musterprotokoll bestellten<br />
Geschäftsführer gelte. Nach inzwischen h.M. handele<br />
es sich bei der Befreiung von § 181 BGB im Musterprotokoll<br />
nur um einen unechten Satzungsbestandteil, so<br />
dass für alle später bestellten Vertretungsorgane diese Befreiung<br />
aus dem Musterprotokoll nicht gelte (Heidinger/<br />
Blath, ZNotP 2010, 376 ff.). <strong>Die</strong> Befreiung gelte auch<br />
nicht für den geborenen Liquidator fort, wenn die Satzung<br />
der Gesellschaft dies nicht ausdrücklich bestimme (Haas<br />
in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl., § 68 Rz. 4). Eine<br />
solche Bestimmung sei im Musterprotokoll aber generell<br />
nicht möglich (...).<br />
Der verfahrensbevollmächtigte Notar hat – unter Bezugnahme<br />
auf ein Hinweisschreiben des im Ersteintragungsverfahren<br />
der Beschwerdeführerin zuständigen Richters<br />
am AmtsG v. 28.7.2009, in dem dieser dargelegt hatte,<br />
„Mithin gestattet die Satzung (Musterprotokoll) die Bestellung jeweils<br />
nur eines Geschäftsführers, der (sei es der bei Gründung<br />
oder der nachfolgend bei Geschäftsführerwechsel bestellte Geschäftsführer)<br />
jeweils von den Beschränkungen des § 181 BGB<br />
befreit ist, und erfordert die Bestellung mehrerer Geschäftsführer<br />
eine Satzungsänderung“,<br />
an seiner Ansicht festgehalten und um einen rechtsmittelfähigen<br />
Bescheid gebeten (...).<br />
<strong>Die</strong> Rechtspflegerin hat daraufhin mit Zwischenverfügung<br />
v. 3.1.2011 die von ihr im Schreiben v. 16.12.2010 dargelegten<br />
Eintragungshindernisse wiederholt und die Eintragung<br />
der Befreiung des Liquidators von der Vornahme<br />
einer Satzungsänderung abhängig gemacht (...).<br />
Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar im<br />
Namen der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz v.<br />
27.1.2011 ... Beschwerde eingelegt (...). Wenn der im vereinfachten<br />
Verfahren berufene Geschäftsführer alleinvertretungsberechtigt<br />
sei und von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB kraft Gesetzes befreit sei, so gelte dies auch für<br />
den geborenen Liquidator, sofern die Satzung nichts anderes<br />
bestimme. Es gebe keinen Grund, eine Satzungsänderung<br />
vorzunehmen, um eine Gesellschaft aufzulösen.<br />
Hilfsweise beantragt er, die Eintragung der Auflösung vorzunehmen<br />
und die Eintragung der Befreiung des Liquidators<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB abzulehnen.<br />
Weiterhin beantragt er, über die Beschwerde zu entscheiden.<br />
In einem Vermerk v. 11.2.2011 hat die Rechtspflegerin unter<br />
Bezugnahme auf die Verfügung v. 3.1.2011 der Beschwerde<br />
nicht abgeholfen, da sie keine neuen Tatsachen<br />
vortrage, die eine andere rechtliche Beurteilung erforderlich<br />
machen würden (...) und die Beschwerde dem Senat<br />
zur Entscheidung vorgelegt.<br />
II.<br />
1. Zulässigkeit der Beschwerde<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde ist gemäß §§ 382 Abs. 4, 58 Abs. 1<br />
FamFG ... zulässig. ...<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 395<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Der Senat hat aus verfahrensökonomischen Gründen davon<br />
abgesehen, die Vorlageverfügung des RegG v.<br />
11.2.2011 (...) aufzuheben, und das Verfahren zur Durchführung<br />
eines den gesetzlichen Voraussetzungen des § 68<br />
Abs. 1 FamFG entsprechenden Abhilfeverfahrens – bei<br />
dem die Entscheidung über die Abhilfe durch einen begründeten<br />
und den Beteiligten bekannt zu gebenden Beschluss<br />
(§ 41 FamFG), der sich mit dem Beschwerdevorbringen<br />
eingehend auseinandersetzt, zu erfolgen hat – an<br />
das RegG zurückzugeben. So hat das RegG lediglich durch<br />
einen Nichtabhilfevermerk entschieden und sich offensichtlich<br />
mit dem Beschwerdevorbringen zumindest insoweit<br />
nicht weiter auseinandergesetzt, als in diesem ausdrücklich<br />
ein Hilfsantrag gestellt wurde, auf den das RegG<br />
in seinem Nichtabhilfevermerk nicht eingegangen ist.<br />
Hinsichtlich dieses Hilfsantrags der Beschwerdeführerin,<br />
der als zulässiger Antrag auf Teilvollzug der Anmeldung v.<br />
... 2010 dahingehend auszulegen ist, dass die Beschwerdeführerin<br />
damit vorab zumindest die Eintragung der Auflösung<br />
der Beschwerdeführerin begehrte und die Eintragung<br />
der Befreiung des angemeldeten Liquidators von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB gesondert hiervon gewahrt<br />
wissen wollte, hat das RegG bislang keine Entscheidung<br />
getroffen. Eine solche Entscheidung kann auch dem Nichtabhilfevermerk<br />
des RegG v. 11.2.2011 (...) nicht entnommen<br />
werden, der sich mit diesem Hilfsantrag nicht befasst,<br />
vielmehr lediglich die Nichtabhilfe mit einer Bezugnahme<br />
auf die bisher bereits vom RegG als Grundlage seiner Zwischenverfügung<br />
angeführten Argumente begründet. Das<br />
RegG hat sich demnach mit diesem Antrag auf Teilvollzug<br />
bislang offensichtlich nicht befasst, obwohl die Bedingung<br />
für dessen Wirksamwerden aufgrund der seitens des RegG<br />
auch im Abhilfeverfahren nicht geänderten Auffassung zur<br />
Nichteintragungsfähigkeit der Befreiung des Liquidators<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB eingetreten ist.<br />
Da somit über diesen Antrag der Beschwerdeführerin im<br />
erstinstanzlichen Verfahren noch nicht entschieden worden<br />
ist, und es auch an einer entsprechenden Beschwerde<br />
fehlt, durch die die Zuständigkeit des OLG zur Sachentscheidung<br />
begründet werden könnte, ist das Verfahren insoweit<br />
an das RegG zur eigenen Entscheidung zurückzugeben.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde ist dem OLG somit lediglich insoweit angefallen,<br />
als sie sich gegen die vom RegG in der angegriffenen<br />
Zwischenverfügung geäußerte Rechtsauffassung<br />
richtet, wonach die angemeldete Befreiung des Liquidators<br />
A2, O1, geboren am ..., von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB von der Vornahme einer Satzungsänderung abhängig<br />
sei.<br />
2. Keine Begründetheit der Beschwerde<br />
<strong>Die</strong>se Beschwerde ist unbegründet.<br />
<strong>Die</strong>s gilt unabhängig davon, ob der Beschluss der Gesellschafter<br />
der Beschwerdeführerin v. ... 2010 lediglich deren<br />
rechtliche Annahme wiederholt, der Liquidator sei ohne<br />
weiteres aufgrund der ihm im Musterprotokoll als Geschäftsführer<br />
erteilten Befreiung von den Beschränkungen<br />
des§181BGBebenfallsbefreit,oderobessichumeine<br />
ausdrückliche neue Beschlussfassung der Gesellschafter<br />
über die Befreiung für den Liquidator handelt.<br />
<strong>Die</strong> Befreiung des Liquidators einer im vereinfachten Verfahren<br />
nach § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G unter Verwendung des in<br />
der Anlage b) zu § 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G bestimmten Muster-
protokolls gegründeten <strong>GmbH</strong> von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht entsprechend<br />
abgeändert wurde, macht einen Gesellschafterbeschluss<br />
erforderlich, mit dem unter Beachtung der Anforderungen<br />
der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G die Satzung entsprechend<br />
abgeändert wird.<br />
Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entweder<br />
eine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von den<br />
Beschränkungen des § 181 BGB erteilt werden, oder es<br />
muss eine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit von<br />
diesen Beschränkungen in der Satzung geschaffen werden,<br />
die dann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einen<br />
nachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein<br />
kann.<br />
Zunächst ist davon auszugehen, dass der bisherige Geschäftsführer<br />
A2 bereits kraft Gesetzes gemäß § 66 Abs. 1<br />
<strong>GmbH</strong>G zum Liquidator der Gesellschaft geworden ist.<br />
Der daneben gefasste entsprechende Gesellschafterbeschluss<br />
hat diese gesetzliche Berufung nicht beseitigt; dies<br />
kann ein Gesellschafterbeschluss nur dann, wenn durch<br />
ihn die Liquidation einer anderen Person als dem bisher<br />
amtierenden Geschäftsführer übertragen wird (vgl. Bay-<br />
ObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392,<br />
zitiert nach juris).<br />
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt die<br />
dem Geschäftsführer A2 im Rahmen ihrer Gründung durch<br />
Musterprotokoll erteilte Befreiung von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB jedoch auch für ihn als geborenem Liquidator<br />
nicht ohne weiteres fort.<br />
Insoweit hat der BGH für eine nicht mit Musterprotokoll<br />
gegründete <strong>GmbH</strong> durch Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 255/<br />
07, <strong>GmbH</strong>R 2009, 212, zitiert nach juris mit überzeugenden<br />
Gründen entschieden, dass eine für die Geschäftsführer<br />
in der Satzung erteilte Einzelvertretungsberechtigung<br />
und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB<br />
mit der Auflösung der <strong>GmbH</strong> endet und sich nicht für sie<br />
alsLiquidatorenfortsetzt,auchwennessichumdiegeborenen<br />
Liquidatoren der Gesellschaft handelt (zum Streitstand<br />
vgl. die Darstellung in dem in Bezug genommenen<br />
Urt. des BGH sowie die Nachw. bei K. Schmidt in Scholz,<br />
<strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68 Rz. 5, 5a). Dem zugrunde liegt das<br />
berechtigte Argument, wonach der in § 66 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G<br />
statuierte Grundsatz der Amtskontinuität lediglich besagt,<br />
dass die Geschäftsführer mangels abweichender Regelung<br />
ihr Amt für die Gesellschaft – wenn auch mit verändertem<br />
Zweck – weiterführen, mit dieser Fortführung des Amtes<br />
aber nicht gleichzeitig auch eine Kompetenzkontinuität in<br />
dem Sinne einhergeht, dass auch ihre bisherige Vertretungsmacht<br />
unverändert fortbestehen würde. Das Gesetz<br />
trifft in § 68 <strong>GmbH</strong>G für das Liquidationsverfahren eine<br />
eigenständige Vertretungsregelung, die bereits erkennen<br />
lässt, dass eine zuvor geschaffene, nicht ausdrücklich auf<br />
das Liquidationsverfahren ausgerichtete Vertretungsregelung<br />
von vorneherein nur für das Stadium der werbenden<br />
Gesellschaft gilt und mit der Auflösung eine Zäsur erfährt,<br />
die gegen ihre automatische Fortgeltung und für ihre Beendigung<br />
mit der Auflösung spricht. Es besteht auch keine<br />
Vermutung, dass es regelmäßig dem Willen der Gesellschafter<br />
entspricht, dass eine für mehrere Geschäftsführer<br />
bestehende Alleinvertretungsregelung oder eine Befreiung<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB ohne weiteres<br />
auch für ihre Funktion als geborene Liquidatoren gilt. Insoweit<br />
weist der BGH in dem in Bezug genommenen Urteil<br />
zu Recht darauf hin, dass eine derartige Vermutung<br />
Rechtsprechung<br />
396 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
– neben dem Argument der gesetzlichen Differenzierungen<br />
hinsichtlich der Vertretungsverhältnisse in der werbenden<br />
und der liquidierenden Gesellschaft – schon deswegen<br />
nicht gerechtfertigt ist, weil sich durch die Auflösung der<br />
Gesellschaft der Gesellschaftszweck ändert und nach Beendigung<br />
der Geschäftstätigkeit für die Gesellschafter<br />
nicht mehr – wie bei der werbenden Gesellschaft – die jederzeitige<br />
Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Vordergrund<br />
steht, sondern der Schutz der Gesellschaft, ihrer<br />
Gläubiger und/oder der der Mitgesellschafter höher zu bewerten<br />
sein kann. Hinzu kommt, dass der Liquidator darauf<br />
hinzuarbeiten hat, dass die Gesellschaft durch die Liquidation<br />
ihres Vermögens ihr rechtliches Ende findet (vgl.<br />
BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985,<br />
392, zitiert nach juris). Insoweit ist in § 70 <strong>GmbH</strong>G insbesondere<br />
gesetzlich normiert, dass die Liquidatoren die laufenden<br />
Geschäfte der aufgelösten Gesellschaft zu beendigen,<br />
deren Verpflichtungen zu erfüllen, deren Forderungen<br />
einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld<br />
umzusetzen haben. All dies zeigt, dass mit dem Auflösungsbeschluss<br />
der Gesellschafter eine derartige Zäsur in<br />
der Ausrichtung der Gesellschaft eintritt, die wiederum<br />
neue Regelungen auch zur organschaftlichen Stellung ihrer<br />
gesetzlichen Vertreter erforderlich macht.<br />
<strong>Die</strong>selben Argumente sprechen auch für die Diskontinuität<br />
der dem Geschäftsführer im Rahmen der Gründung einer<br />
<strong>GmbH</strong> (hier gleichzeitig auch Unternehmergesellschaft)<br />
mittels Musterprotokoll im vereinfachten Verfahren nach<br />
§ 2 Abs. 1a <strong>GmbH</strong>G erteilten Befreiung von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB.<br />
Egal, ob es sich bei der dem ersten Geschäftsführer erteilten<br />
Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in<br />
Ziff. 4 S. 2 des Musterprotokolls um eine nur diesem ersten<br />
Geschäftsführer erteilte konkrete Befreiung handelt (so<br />
bereits Beschl. des erkennenden Senats v. 15.4.2010 – 20<br />
W 66/10 m.w.N., bislang nicht veröffentlicht; Mayer in<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2010, § 2 Rz. 247 Jaeger in BeckOK<br />
<strong>GmbH</strong>G, Stand 1.5.2011, § 2 Rz. 76; OLG Bremen<br />
v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, <strong>GmbH</strong>R 2009, 1210; OLG Stuttgart<br />
v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, <strong>GmbH</strong>R 2009, 827; OLG<br />
Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, <strong>GmbH</strong>R 2011, 87 m.<br />
Komm. Dignas, jeweils zitiert nach juris) oder man demgegenüber<br />
annimmt, das Musterprotokoll enthalte eine abstrakte<br />
Befreiung des jeweiligen Nachfolgegeschäftsführers<br />
einer derart gegründeten <strong>GmbH</strong> (LG Ulm v. 24.2.2009<br />
–10T3/09KfH;Roth in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G,<br />
6. Aufl., § 2 Rz. 56) oder sogar für jeden weiteren zusätzlich<br />
bestellten Geschäftsführer (so Sandhaus, NJW-Spezial,<br />
2009, 607 f.), kann nicht angenommen werden, dass<br />
diese ausdrücklich für den Zeitraum der werbenden Gesellschaft<br />
formulierte Befreiung des Geschäftsführers<br />
(bzw. der Geschäftsführer) auch im Stadium der Liquidation<br />
ohne weiteres fort gelten.<br />
Selbst wenn der Gesetzgeber mit der von ihm im Musterprotokoll<br />
normierten Befreiung des Geschäftsführers von<br />
den Beschränkungen des § 181 BGB – die ausweislich der<br />
Motive (BT-Drucks. 16/6140, S. 28) Teil der vom Gesetzgeber<br />
beabsichtigten „einfach zu handhabenden Vertretungsregelung“<br />
ist, die den Regelungswünschen nachkomme,<br />
die Gründer einfach konzipierter Gesellschaftsverträge<br />
typischerweise hätten – zu erkennen gegeben haben<br />
sollte, dass er diese Befreiung für die Geschäftsführer<br />
der typischerweise mit Musterprotokoll gegründeten Unternehmergesellschaft<br />
im Gegensatz zu der auf bisher aus-
schließlich zulässigem Weg gegründeten <strong>GmbH</strong> als Regelfall<br />
ansehe (vgl. Dignas, Komm. zu OLG Hamm v.<br />
4.11.2010 – 15 W 436/10, <strong>GmbH</strong>R 2011, 88 f.), kann daraus<br />
nicht geschlossen werden, dass er dies dann auch für<br />
den Zeitraum der Liquidation als solchen gesetzlichen Regelfall<br />
bestimmen wollte. Der Gesetzgeber hat mit der<br />
Schaffung der zunächst beabsichtigten beurkundungsfreien<br />
Mustersatzung bzw. des dann letztlich Gesetz gewordenen<br />
beurkundungspflichtigen Musterprotokolls durch das<br />
Gesetz zur Modernisierung des <strong>GmbH</strong>-Rechts und zur Bekämpfung<br />
von Missbräuchen (MoMiG) ausdrücklich das<br />
Ziel verfolgt, die Gründung einer <strong>GmbH</strong> in unkomplizierten<br />
Standartfällen zu erleichtern und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu stärken (BT-Drucks. 16/6140, S. 27 u.<br />
16/9737, S. 54). Dass mit dieser Novellierung auch eine<br />
Vereinfachung des Liquidationsverfahrens oder überhaupt<br />
eine Regelung dieses Verfahrens für eine mit Musterprotokoll<br />
gegründete <strong>GmbH</strong>/UG verbunden sein sollte, ist aus<br />
den Gesetzesmotiven nicht zu entnehmen. Im Gegenteil<br />
hat der Gesetzgeber ausweislich des Gesetzentwurfs v.<br />
25.7.2007 (BT-Drucks. 16/6140, S. 1) als Ziel der Gesetzesnovellierung<br />
gerade auch die Bekämpfung von Missbrauchsfällen<br />
„am Ende des Lebens einer <strong>GmbH</strong>“ angeführt<br />
und u.a. Bestimmungen zur Haftung der Geschäftsführer<br />
in der Insolvenz der Gesellschaft und der Anmeldepflicht<br />
der Auflösung verschärft. <strong>Die</strong>sem Ziel würde eine<br />
einfachere Handhabung der bekanntermaßen einen Missbrauch<br />
erleichternden Befreiung von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB gerade nicht entsprechen.<br />
Da demnach die dem Geschäftsführer A2 im Musterprotokoll<br />
erteilte Befreiung von den Beschränkungen des § 181<br />
BGB für ihn als Liquidator nicht ohne weiteres fort gilt,<br />
setzt ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Eintragung<br />
dieser Befreiung in das Handelsregister voraus, dass der<br />
von den Gesellschaftern der Beschwerdeführerin<br />
am ...2010 in einfacher Form gefasste Beschluss über dessen<br />
Befreiung auch als Liquidator – eine derartige Beschlussfassung<br />
unterstellt – den an eine solche Beschlussfassung<br />
zu stellenden Anforderungen genügt.<br />
<strong>Die</strong>s ist jedoch nicht der Fall.<br />
Das Musterprotokoll enthält, wie bereits dargelegt, keine<br />
Regelungen hinsichtlich der Liquidation der Gesellschaft,<br />
mithin weder eine konkrete Befreiung des Liquidators,<br />
noch eine abstrakte Befreiung der Liquidatoren der Gesellschaft<br />
oder etwa eine satzungsmäßige Befreiungsmöglichkeit<br />
für den Liquidator, die Grundlage für einen entsprechenden<br />
einfachen Gesellschafterbeschluss sein könnte.<br />
Der Senat folgt insoweit zur Frage der Befreiung eines Liquidators<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB der<br />
Ansicht, dass eine solche einer satzungsmäßigen Grundlage<br />
bedarf, mithin ein ohne diese Grundlage gefasster einfacher<br />
Gesellschafterbeschluss – selbst wenn er einstimmig<br />
gefasst ist – nicht ausreichend ist (OLG Zweibrücken v.<br />
19.6.1998–3W90/98,<strong>GmbH</strong>R1999,237=BayObLGv.<br />
19.10.1995 – 3Z BR 218/95, <strong>GmbH</strong>R 1996, 56, jeweils zitiert<br />
nach juris; BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85,<br />
<strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert nach juris; K. Schmidt in<br />
Scholz, <strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68 Rz. 5a; Kleindiek in Lutter/<br />
Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 68 Rz. 5; Wälzholz,<br />
<strong>GmbH</strong>R, 2002, 305 ff; a.A. Müller in<br />
Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G, 2011, § 68 Rz. 7, 8; Haas in<br />
Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl., § 68 Rz. 4, 6 wonach<br />
auch ein einfacher Gesellschafterbeschluss ohne entsprechende<br />
Satzungsgrundlage ausreichend sei). Dem Li-<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 397<br />
Gesellschaftsrecht<br />
quidator als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der<br />
abzuwickelnden Gesellschaft ist es – wie dem Geschäftsführer<br />
der werbenden Gesellschaft – nach der gesetzlichen<br />
Grundkonzeption grundsätzlich verboten, im Namen der<br />
Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter<br />
eines Dritten Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Zumindest<br />
die generelle Befreiung von diesem Verbot gehört zu den<br />
Leitprinzipien der gesellschaftlichen Ordnung der Gesellschaft<br />
und muss deshalb in deren Gesellschaftsvertrag eine<br />
Ermächtigung haben (vgl. BayObLG v. 14.5.1985 – BReg.<br />
3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert nach juris; so auch für<br />
die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in<br />
der werbenden Gesellschaft u.a. OLG Nürnberg v.<br />
5.3.2010–12W376/10;KGBerlinv.21.3.2006–1W<br />
252/05, <strong>GmbH</strong>R 2006, 653; Beschl. des erkennenden Senats<br />
des OLG Frankfurt a. M. v. 8.12.1982 – 20 W 132/83;<br />
OLGKölnv.2.10.1992–2Wx33/92,<strong>GmbH</strong>R1993,37;<br />
OLG Celle v. 16.9.2000 – 9 W 82/00, <strong>GmbH</strong>R 2000, 1098;<br />
jeweils zitiert nach juris; zu Gegenansicht in der Literatur<br />
vgl. die Nachw. in ... OLG Nürnberg v. 5.3.2010 – 12 W<br />
376/10).<br />
Insoweit folgt auch aus der gesetzlichen Regelung des § 68<br />
Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G, wonach die Liquidatoren ihre Willenserklärungen<br />
in der „bei ihrer Bestellung bestimmten<br />
Form“ kundzugeben haben, nichts anderes. <strong>Die</strong>se Regelung<br />
erlaubt den Gesellschaftern im Liquidationsverfahren<br />
lediglich ein Abweichen von dem in § 68 Abs. 1 S. 2<br />
<strong>GmbH</strong>G normierten Grundsatz der Gesamtvertretung<br />
durch die Liquidatoren durch einfachen Gesellschafterbeschluss<br />
im Unterschied zur werbenden Gesellschaft, bei<br />
der ein solches Abweichen lediglich aufgrund einer entsprechenden<br />
gesellschaftsvertraglichen Regelung zulässig<br />
ist (vgl. § 35 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G), nicht jedoch auch die Befreiung<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB durch<br />
einfachen Gesellschafterbeschluss (vgl. BayObLG v.<br />
14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, <strong>GmbH</strong>R 1985, 392, zitiert<br />
nach juris; K. Schmidt in Scholz, <strong>GmbH</strong>, 10. Aufl., § 68<br />
Rz. 5a, m.w.N.; a.A. Müller in Münch.Komm.<strong>GmbH</strong>G,<br />
2011, § 68 Rz. 8). Wenn das Gesetz insoweit die Durchbrechung<br />
des Grundsatzes der Gesamtvertretung für das Liquidationsverfahren<br />
durch einfachen Gesellschafterbeschluss<br />
zulässt, folgt daraus nicht, dass dies entsprechend<br />
auch für die Befreiung von § 181 BGB gilt. Im Hinblick<br />
auf die dargelegte allgemeine Bedeutung dieser Befreiung<br />
– und deren engen satzungsmäßigen Voraussetzungen<br />
schon bei der werbenden Gesellschaft – kommt eine derartige<br />
erweiternde Auslegung von § 68 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G<br />
im Stadium der Liquidation der Gesellschaft nicht in Frage.<br />
<strong>Die</strong>s stellt auch sicher, dass sich Außenstehende durch<br />
eine entsprechende Einsichtnahme in den im Handelsregister<br />
einsehbaren Gesellschaftsvertrag der Liquidationsgesellschaft<br />
jederzeit Klarheit über diesen bedeutenden<br />
Umstand verschaffen können, was bei einer einfachen Beschlussfassung<br />
ohne Berücksichtigung der Anforderungen<br />
der §§ 53, 54 <strong>GmbH</strong>G und konstitutiver Wirkung der entsprechenden<br />
Handelsregistereintragung (§ 54 Abs. 3<br />
<strong>GmbH</strong>G) nicht der Fall wäre.<br />
Auch der Umstand, dass vorliegend eine Gründung mittels<br />
Musterprotokoll erfolgte, begründet keine Notwendigkeit<br />
einer anderen rechtlichen Einordnung.<br />
Wie bereits oben dargelegt, hat der Gesetzgeber mit der<br />
Einführung des Musterprotokolls ausschließlich eine neue<br />
Regelung zur Gründung der <strong>GmbH</strong>/UG geschaffen und<br />
gerade keine neue Regelung hinsichtlich deren Abwick-
lung im Rahmen der Liquidation. Somit kann er auch die<br />
Befreiung des Liquidators von den Beschränkungen des<br />
§ 181 BGB im Rahmen der Liquidation nicht als gesetzlichen<br />
Regelfall bestimmt haben. Es ist schon nicht anzunehmen,<br />
dass der Gesetzgeber bei Schaffung des Musterprotokolls<br />
die Frage, ob die Befreiung des Liquidators von<br />
den Beschränkungen des § 181 BGB auch bei einer Gründung<br />
durch Musterprotokoll von einer entsprechenden Satzungsgrundlage<br />
abhängig ist oder eine solche durch einen<br />
einfachen Gesellschafterbeschluss möglich sein sollte,<br />
überhaupt in seine Erwägungen mit einbezogen hat. Gegen<br />
eine derartige Intention des Gesetzgebers einer Vereinfachung<br />
der Befreiung von den Beschränkungen des § 181<br />
BGB, die sich möglicherweise auch auf die Beurteilung<br />
des Liquidationsverfahren auswirken könnte, spricht im<br />
Übrigen auch der Umstand, dass der Gesetzgeber – wie<br />
oben bereits dargelegt – in der Gesetz gewordenen Fassung<br />
nicht – wie noch im Gesetzentwurf vom 25.7.2007 vorgesehen<br />
– die formfreie Mustersatzung beschlossen hat, sondern<br />
das notariell zu beurkundende Musterprotokoll (§ 2<br />
Abs. 1a, S. 5 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G) und damit<br />
auch die in diesem enthaltene Befreiung des Geschäftsführers<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB diesem<br />
Formerfordernis unterworfen hat.<br />
Auch die umstrittene Einordnung der rechtlichen Qualität<br />
der in Nr. 4 des Musterprotokolls enthaltenen Geschäftsführerbestellung<br />
und der Befreiung von den Beschränkungen<br />
des § 181 BGB entweder jeweils als echte Satzungsregelungen,<br />
als echte Satzungsregelung nur soweit es die<br />
Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB betrifft<br />
oder als unechte Satzungsregelungen, zumindest, soweit<br />
es die Geschäftsführerbstellung betrifft (vgl. hierzu<br />
u.a. OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, <strong>GmbH</strong>R<br />
2010, 872; LG Stralsund v. 27.1.2009 – 3 T 7/08, <strong>GmbH</strong>R<br />
2009, 829 [LS]; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2009, 1210; jeweils zitiert nach juris; Sandhaus,<br />
NJW-Spezial, 2009, 607 f.; Heckschen, DStR, 2009,<br />
166 f.; Ries, NZG 2009, 739 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl., § 2 Rz. 47) führt zu keiner anderen<br />
rechtlichen Beurteilung. Selbst wenn man die Befreiung<br />
von den Beschränkungen des § 181 BGB lediglich als<br />
einen unechten Satzungsbestandteil ansehen wollte (mit<br />
beachtlichen Argumenten gegen eine derartige Auslegung:<br />
Herrler, <strong>GmbH</strong>R 2010, 960 ff.), ändert dies nichts<br />
daran, dass mit dem Musterprotokoll lediglich Regelungen<br />
für die werbende Gesellschaft geschaffen worden<br />
sind, die auf die Liquidationsgesellschaft nicht zu übertragen<br />
sind. ...<br />
3. Zulassung der Rechtsbeschwerde<br />
Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2<br />
Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die hier entscheidungserhebliche<br />
Rechtsfrage über den konkreten Einzelfall hinaus<br />
in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen relevant werden<br />
kann und deshalb ein Interesse der Allgemeinheit an einer<br />
einheitlichen Handhabung des Rechts besteht.<br />
Rechtsprechung<br />
398 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vor<br />
Inkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschafterliste<br />
<strong>GmbH</strong>G § 5 Abs. 3 S. 2, § 34, § 40<br />
<strong>Die</strong>nt die neu eingereichte Gesellschafterliste der Korrektur<br />
einer Gesellschafterliste mit vor dem Inkrafttreten des Mo-<br />
MiG am 1.11.2008 liegenden Stichtag, muss die Summe der<br />
Nennbeträge aller Geschäftsanteile nicht mit dem Stammkapital<br />
übereinstimmen.<br />
OLG München, Beschl. v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
In den Dokumentenordner des elektronischen Handelsregisters<br />
sind bisher zwei Gesellschafterlisten der Beschwerdeführerin<br />
(Datum: 30.3.2005 und 18.12.2006) aufgenommen.<br />
Als Gesellschafter der <strong>GmbH</strong> sind jeweils die beiden<br />
Geschäftsführer mit einer Stammeinlage i.H.v. 27.500 DM<br />
bzw. 12.500 DM aufgeführt, außerdem heißt es: „Eigene<br />
Anteile ... DM 10.000“. <strong>Die</strong> Summe der Stammeinlagen ist<br />
mit 50.000 DM angegeben.<br />
Mit Schreiben v. 5.8.2011 reichten die beiden Geschäftsführer<br />
eine Gesellschafterliste ein, die die bereits angeführten<br />
Gesellschaftsanteile der Geschäftsführer mit<br />
40.000 DM ausweist. Als Stammkapital der Gesellschaft<br />
ist ein Betrag i.H.v. 50.000 DM angegeben. Unterhalb der<br />
Liste findet sich folgender Zusatz:<br />
„An der Gesellschaft war ehedem die (...) mit einem Geschäftsanteil<br />
im Nennbetrag von 10.000 DM beteiligt. <strong>Die</strong>ser vormalige<br />
Geschäftsanteil der (...) im Nennbetrag von 10.000 DM wurde<br />
durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der Gesellschaft<br />
vom 11.12.2001 ohne weitere Maßnahmen eingezogen. Aufgrund<br />
dieser erfolgten Einziehung besteht zwischen der Summe der<br />
Nennbeträge der vorhandenen Geschäftsanteile (= 40.000 DM)<br />
und dem Stammkapital der Gesellschaft (= 50.000 DM) eine Differenz“.<br />
<strong>Die</strong> Einreichung der Liste soll nach Erklärung der Beschwerdeführerin<br />
der Berichtigung der Gesellschafterliste<br />
v. 18.12.2006 dienen. Mit Beschl. v. 20.9.2011 lehnte das<br />
RegG die Einstellung der Gesellschafterliste in den Registerordner<br />
ab [AmtsG München v. 20.9.2011 – HRB 80529].<br />
Es liege ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 S. 2 <strong>GmbH</strong>G vor, da<br />
in der eingereichten Liste die Summe der Nennbeträge aller<br />
Geschäftsanteile nicht mit dem Stammkapital übereinstimme.<br />
...<br />
II.<br />
<strong>Die</strong> ... Beschwerde ist in der Sache begründet. Das RegG<br />
hat die Einstellung der Gesellschafterliste in das Handelsregister<br />
zu Unrecht abgelehnt.<br />
1. <strong>Die</strong> Geschäftsführer waren auch vor dem Hintergrund<br />
von § 40 <strong>GmbH</strong>G befugt, die Gesellschafterliste v.<br />
18.12.2006 unter Zugrundelegung des vor Inkrafttreten<br />
des MoMiG geltenden Rechts zu berichtigen.<br />
a) <strong>Die</strong> Geschäftsführer einer <strong>GmbH</strong> sind über den Wortlaut<br />
des § 40 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G hinaus befugt, für die Berichtigung<br />
technischer Defizite zu sorgen sowie eine inhaltliche<br />
Korrektur der Gesellschafterliste herbeizuführen, sofern<br />
diese – wie hier – mit Billigung der Gesellschafter erfolgt<br />
(vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G,
19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 38 u. 40). Eine solche inhaltliche<br />
Korrektur ist im vorliegenden Fall geboten, da die Vorschrift<br />
des § 16 Abs. 3 <strong>GmbH</strong>G hinsichtlich des gutgläubigen<br />
Erwerb von Gesellschaftsanteilen vom Nichtberechtigten<br />
auch auf Gesellschaften Anwendung finden kann,<br />
die vor Inkrafttreten des MoMiG gegründet wurden (vgl.<br />
§ 3 Abs. 3 EG<strong>GmbH</strong>G).<br />
b) <strong>Die</strong> nun eingereichte Gesellschafterliste muss der erst<br />
am 1.11.2008 in Kraft getretenen Vorschrift des § 5 Abs. 3<br />
S. 3 <strong>GmbH</strong>G nicht entsprechen. Das neu geschaffene Gebot<br />
der Übereinstimmung der Summe aller Geschäftsanteile<br />
mit dem Stammkapital gilt nicht für Sachverhalte vor Inkrafttreten<br />
des MoMiG am 1.11.2008. Vor diesem Zeitpunkt<br />
war über das Gründungsstadium hinaus keine Übereinstimmung<br />
von Stammkapital und Summe der Geschäftsanteile<br />
vom Gesetz gefordert (vgl. Hueck/Fastrich<br />
in Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 18. Aufl. 2006, § 5 Rz. 9).<br />
Mangels einer Übergangsregelung für Altfälle sind Veränderungen<br />
im Gesellschafterbestand vor dem 1.11.2008 an<br />
dem damals geltenden Recht zu messen. Für die Anwendung<br />
des § 5 Abs. 3 S. 2 n.F. auf Altfälle wäre eine Überleitungsvorschrift<br />
unverzichtbar gewesen (vgl. Ulmer,DB<br />
2010, 321 [323]).<br />
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin,<br />
dass durch die unterhalb der Gesellschafterliste vermerkte<br />
Erläuterung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass<br />
die Liste auf dem Einziehungsbeschluss v. 11.12.2001 beruht<br />
und daher die Gesellschafter und deren Geschäftsanteile<br />
im Zeitpunkt vor Inkrafttreten des MoMiG abbildet.<br />
Daraus und aus den übrigen Erklärungen der Beschwerdeführerin<br />
ergibt sich mit hinreichender Sicherheit, dass sich<br />
die nun eingereichte Liste auf den Stichtag 18.12.2006 bezieht,<br />
weil sie der Korrektur der zuletzt in den Registerordner<br />
aufgenommenen Liste der Gesellschafter dient.<br />
Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellste im<br />
Registerordner aufgenommene Liste bei Neueinreichung<br />
<strong>GmbH</strong>G § 5 Abs. 3 S. 2, § 40 Abs. 2 S. 2<br />
<strong>Die</strong> vom Notar einzureichende Gesellschafterliste hat unabhängig<br />
vom Datum der Aufnahme der jeweiligen Liste in<br />
den Registerordner an die aktuellste dort aufgenommene<br />
Liste der Gesellschafter anzuknüpfen.<br />
OLG München, Beschl. v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
Ausweislich der Dokumentenübersicht für die beteiligte<br />
<strong>GmbH</strong> im elektronischen Handelsregister sind folgende<br />
Gesellschafterlisten in den Registerordner eingestellt:<br />
„Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />
10.2.2011 (erstellt zum 27.2.2008),<br />
Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />
9.2.2011 (erstellt zum 30.12.2010),<br />
Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am<br />
3.1.2011 (erstellt zum 30.12.2010) ...“<br />
<strong>Die</strong> am 10.2.2011 in den Registerordner aufgenommene<br />
Liste der Gesellschafter (Stichtag 27.2.2008) enthält ab-<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 399<br />
Gesellschaftsrecht<br />
weichend von der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste<br />
(Stichtag 30.12.2010) keine laufende Nummer<br />
10, während in der am 9.2.2011 aufgenommenen Liste<br />
(Stichtag: 30.12.2010) unter dieser Nummer ein Geschäftsanteil<br />
i.H.v. 1.100 c einer natürlichen Person zugeordnet<br />
ist. In der Gesellschafterliste (Stichtag 27.2.2008)<br />
sind unter laufender Nummer 10.7 bis 10.10 vier Geschäftsanteile<br />
im Gesamtwert von 1.100 c aufgeführt, als<br />
deren Inhaber drei natürlichen Personen und eine <strong>GmbH</strong><br />
angegebensind.<strong>Die</strong>Nummern10.7bis10.10fehleninder<br />
am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste (Stichtag:<br />
30.12.2010). Ferner ist in der Liste (Stichtag<br />
27.2.2008) unter laufenden Nummern 10.6 und 12 jeweils<br />
eine natürliche Person als Inhaber von Geschäftsanteilen<br />
von 350 c bzw. 3.500 c angeführt. Unter diesen Nummern<br />
sind die entsprechenden Geschäftsanteile in der am<br />
9.2.2011 aufgenommenen Liste (Stichtag 30.12.2010)<br />
einer <strong>GmbH</strong> zugeordnet.<br />
<strong>Die</strong> von der beschwerdeführenden Notarin im September<br />
2011 eingereichte Gesellschafterliste (Stichtag:<br />
30.12.2010) knüpft an die am 10.2.2011 in den Registerordner<br />
aufgenommene Liste (Stichtag: 27.2.2008) an. Daher<br />
fehlt die laufende Nummer 10 der Geschäftsanteile, dagegen<br />
sind die Geschäftsanteile Nummern 10.7 bis 10.10<br />
angeführt, zu 10.6 und 12 ist die natürliche Person und<br />
nicht die in der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste<br />
zum 30.12.2010 bezeichnete <strong>GmbH</strong> angeführt. <strong>Die</strong><br />
Gesellschafterliste ist von einem einzelvertretungsberechtigten<br />
Geschäftsführer der <strong>GmbH</strong> unterschrieben. Dazu<br />
hat die Beschwerdeführerin unter dem 1.9.2011 folgende<br />
Bescheinigung ausgestellt:<br />
„Ich bescheinige in meiner Eigenschaft als Notarin, dass die geänderten<br />
Eintragungen in der vorstehenden Gesellschafterliste den<br />
Veränderungen entsprechen, an denen ich mitgewirkt habe, und<br />
die übrigen Eintragungen mit dem Inhalt der zuletzt im Handelsregister<br />
aufgenommenen Liste übereinstimmen“.<br />
Das AmtsG hat die eingereichte Liste mit der Begründung<br />
beanstandet, dass unter laufenden Nummern 10.6 und 12<br />
der von der Beschwerdeführerin eingereichten Gesellschafterliste<br />
nicht die in der Gesellschafterliste zum<br />
30.12.2010 angeführte <strong>GmbH</strong> als Inhaberin der Gesellschaftsanteile<br />
bezeichnet sei, sondern die in der Gesellschafterliste<br />
zum 27.2.2008 genannte natürliche Person.<br />
Demgegenüber stellte sich die Beteiligte unter Hinweis auf<br />
den Gesetzeswortlaut auf den Standpunkt, dass sie eine<br />
Gesellschafterliste im Anschluss an die zuletzt in den Registerordner<br />
aufgenommene Liste einzureichen habe. Das<br />
AmtsG hat unter Festhalten an seiner Rechtsauffassung<br />
mit Beschl. v. 30.11.2011 die Einstellung „der Gesellschafterliste<br />
mit Stichtag 30.12.2010 / Erstellungsdatum:<br />
1.9.2011“ abgelehnt [AmtsG München v. 30.11.2011 –<br />
HRB 161333]....<br />
II.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die<br />
von der Beschwerdeführerin eingereichte Gesellschafterliste<br />
nicht an die am 10.2.2011 in den Registerordner aufgenommene<br />
Liste der Gesellschafter anzuknüpfen hatte,<br />
sondern an die am 9.2.2011 aufgenommene Liste.<br />
1. Der Beschwerdeführerin ist darin beizutreten, dass nach<br />
dem Gesetzeswortlaut von § 40 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G die von<br />
dem Notar einzureichende Gesellschafterliste „mit dem Inhalt<br />
der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste<br />
übereinstimmen“ muss. <strong>Die</strong>s wird auch in der Literatur so
gesehen (vgl. etwa <strong>Die</strong>ter Mayer, ZIP 2009, 1037 [1048]<br />
oder Bayer in Lutter/Hommelhoff, <strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl.<br />
2009, § 40 Rz. 34). <strong>Die</strong>s gilt aber dann nicht, wenn die zuletzt<br />
in den Registerordner aufgenommene Liste zeitlich<br />
gesehen nicht die aktuellste ist. Denn der an im Rahmen<br />
von § 40 <strong>GmbH</strong>G relevanten Veränderungen mitwirkende<br />
Notars hat an die Liste mit dem aktuellen Stichtag anzuschließen,<br />
um den Gesetzeszweck der Transparenz des Gesellschaftsbestands<br />
zu erreichen. Dem steht der Wortlaut<br />
von § 40 Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G nicht entgegen.<br />
a) <strong>Die</strong> Amtspflicht des Notars zur Vorlage der ggf. zu korrigierenden<br />
Gesellschafterliste (so ausdrücklich BGH v.<br />
1.3.2011 – II ZB 6/10, NZG 2011, 516 [517] = <strong>GmbH</strong>R<br />
2011, 474 m. Komm. Heidinger, Rz. 10) ist in unmittelbarem<br />
Zusammenhang mit der durch § 40 <strong>GmbH</strong>G normierten<br />
Pflicht zur Einreichung einer Gesellschafterliste zu sehen.<br />
Insoweit ist durch das MoMiG die Bedeutung der Gesellschafterliste<br />
erheblich aufgewertet (vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff,<br />
<strong>GmbH</strong>G, 17. Aufl. 2009, § 40 Rz. 3) und<br />
der Grundsatz geschaffen worden, dass der im Registerordner<br />
verlautbare Gesellschafterbestand aus Gründen der<br />
Transparenz ständig zu aktualisieren ist (vgl. etwa Altmeppen<br />
in Roth/Altmeppen, <strong>GmbH</strong>G, 6. Aufl. 2009, § 40<br />
Rz. 1; Bayer, <strong>GmbH</strong>R 2012, 1 ff.). Schon daraus ergibt<br />
sich, dass sich die Verpflichtung des Notars zur Einreichung<br />
der Gesellschafterliste und zur Erteilung der Bescheinigung<br />
nach § 40 Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G auf die Einreichung<br />
einer aktuellen Gesellschafterliste bezieht. <strong>Die</strong>se<br />
hat an die zum Zeitpunkt der Erstellung der Bescheinigung<br />
in den Registerordner eingestellte aktuellste Gesellschafterliste<br />
anzuknüpfen. Denn das Gesetz verpflichtet in § 40<br />
Abs. 2 S. 1 <strong>GmbH</strong>G den Notar, „unverzüglich“ nach dem<br />
Wirksamwerden beurkundeter Veränderungen „die Liste“<br />
einzureichen, wie dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 <strong>GmbH</strong>G auch<br />
für den Geschäftsführer gilt. Es setzt damit voraus, dass die<br />
letzte der in den Registerordner aufgenommenen Listen<br />
auch die aktuellste ist. So ist auch die Formulierung in § 40<br />
Abs. 2 S. 2 <strong>GmbH</strong>G zu verstehen, nach der vom Notar zu<br />
bescheinigen ist, dass „die übrigen Eintragungen mit dem<br />
Inhalt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste<br />
übereinstimmen“.<br />
b) Insoweit treffen den von Amts wegen „zur erhöhten<br />
Richtigkeitsgewähr“ (vgl. Löbbe, <strong>GmbH</strong>R 2012, 7 [9]) am<br />
Listeninhalt mitwirkenden Notar auch vor dem Hintergrund<br />
der im Übrigen bestehenden Korrekturpflicht des<br />
Geschäftsführers (vgl. dazu Liebscher/Goette, DStR 2010,<br />
2039 [2041]) – formelle – Prüfungspflichten. <strong>Die</strong>s gilt jedenfalls<br />
dann, wenn für ihn auf der Hand liegende technische<br />
Defizite im Registerordner zu bereinigen sind. Im<br />
vorliegenden Fall besteht die Amtspflicht der Beschwerdeführerin<br />
darin, eine an die durch einen bloßen Blick in das<br />
elektronische Handelsregister zu identifizierende aktuellste<br />
Liste anknüpfende Gesellschafterliste einzureichen.<br />
<strong>Die</strong>s gilt auch für den hier gegebenen Fall, dass die „Anknüpfungsliste“<br />
nicht die letzte in das Handelsregister eingestellte<br />
Gesellschafterliste ist (ebenso Zöllner/Noack in<br />
Baumbach/Hueck, <strong>GmbH</strong>G, 19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 40<br />
zu den Pflichten des Geschäftsführers, wenn er kraft Amtes<br />
am Inhalt der Gesellschafterliste mitzuwirken hat). Insoweit<br />
wird keine materielle Prüfungspflicht des Notars<br />
hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der einzureichenden<br />
Liste geschaffen, sondern lediglich die Verpflichtung,<br />
zur „erhöhten Richtigkeitsgewähr“ (so die Formulierung<br />
im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/<br />
6140, S. 44) die einzureichende Liste an die nach dem Re-<br />
Rechtsprechung<br />
400 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Gesellschaftsrecht<br />
gisterordner aktuellste Gesellschafterliste anschließen zu<br />
lassen.<br />
2. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das AmtsG die<br />
Einstellung der von der Beteiligten eingereichten Gesellschafterliste<br />
zu Recht abgelehnt hat, weil diese nicht an die<br />
aktuellste Gesellschafterliste anschließt. Bei Neuerstellung<br />
der Gesellschafterliste wird die Beschwerdeführerin<br />
zu beachten haben, dass sich im Registerordner eine weitere<br />
Gesellschafterliste zum 30.12.2010 befindet, die allerdings<br />
bereits am 3.1.2011 in den Registerordner aufgenommen<br />
worden ist. Insoweit wird sie die am 9.2.2011 in<br />
den Registerordner eingestellte aktualisierte Gesellschafterliste<br />
zugrunde zu legen haben. Bei Neueinreichung der<br />
Liste wird ferner zu beachten sein, dass eine solche nach<br />
§ 40 Abs. 2 S. 1 <strong>GmbH</strong>G vom Notar, nicht aber vom Geschäftsführer,<br />
zu unterschreiben ist (vgl. OLG München v.<br />
27.5.2009 – 31 Wx 38/09, NJW-RR 2009, 972 [973] =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2009, 825).<br />
Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichts<br />
bei Anmeldung einer Geschäftsführerin zur<br />
Eintragung in das Handelsregister<br />
<strong>GmbH</strong>G § 39 Abs. 1 u. 2<br />
1. Eine besondere Prüfungspflicht trifft das Registergericht<br />
immer dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die vom<br />
Antragsteller eingereichte Urkunde die beantragte Eintragung<br />
rechtfertigt.<br />
2. Zur Vermutungswirkung einer vom Notar unterzeichnetenundgesiegeltenUrkunde.<br />
3. Zur missbräuchlichen Verwendung eines angeblich abhanden<br />
gekommenen Notarsiegels.<br />
KG Berlin, Beschl. v. 22.8.2011 – 25 W 17/11<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus den Gründen:<br />
A.<br />
<strong>Die</strong> Beteiligte zu 1) meldete am 21.10.2010 mit der Urkunde<br />
Nr. 306/2010 des Notars H ... die Beteiligte zu 2) als auf<br />
der unter Bezug auf die Gesellschafterliste v. 4.10.2010<br />
durchgeführten Gesellschafterversammlung v. 19.10.2010<br />
neu bestellte, stets alleinvertretungsberechtigte und von<br />
den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Geschäftsführerin<br />
zur Eintragung in das Handelsregister an. Laut der<br />
Gesellschafterliste v. 4.10.2010 des Notars B ... enthielt<br />
diese die Veränderungen, die sich aufgrund der UR-<br />
Nr. 444/2010 des Notars B v. 4.10.2010 ergaben. Mit<br />
Schriftsatz v. 5.11.2010 (...) teilte Notar B dem AmtsG<br />
Charlottenburg mit, der Notarvermerk auf der Gesellschafterliste<br />
der Beteiligten zu 1) v. 4.10.2010 sei unrichtig. Der<br />
Notarvermerk sei aufgrund von falschen Voraussetzungen<br />
zustande gekommen. Ferner beantragte er die Rücknahme<br />
der Anträge betreffend die Urkunden Nr. 395/10 u. 399/10<br />
(...). Er wandte sich am 22.10.2010 telefonisch an das<br />
RegG und teilte der zuständigen Rechtspflegerin mit, ihm<br />
sei das Siegel entwendet und von diesem rechtsmissbräuchlich<br />
bei Herstellung der genannten Urkunden Gebrauch<br />
gemacht worden (...). Mit Urkunde UR-Nr. 307/<br />
2010 des Notars H v. 20.10.2010 widerrief die Beteiligte<br />
zu 2) im Namen der Beteiligten zu 1) alle von dieser dem<br />
Notar B erteilten Vollmachten (...).
Das AmtsG Charlottenburg hat ... den Eintragungsantrag<br />
zurückgewiesen [AmtsG Charlottenburg v. 27.1.2011 – 82<br />
HRB 101466 B]. Es hat dies damit begründet, dass nach<br />
Mitteilung des Notars B der Gesellschafterliste v.<br />
4.10.2010 eine Falschbeurkundung zugrunde liege. ...<br />
B.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat keinen Erfolg.<br />
I. ... II. ...<br />
Das AmtsG Charlottenburg hat zu Recht den Antrag v.<br />
20.10.2010 auf Eintragung der Beteiligten zu 2) als neuer<br />
Geschäftsführerin zurückgewiesen.<br />
Gemäß § 39 <strong>GmbH</strong>G sind der bei jeder Änderung in den<br />
Personen der Geschäftsführer und bei der Beendigung der<br />
Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers vorzunehmenden<br />
Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister<br />
(§ 39 Abs. 1 <strong>GmbH</strong>G) die Urkunden über die Bestellung<br />
des Geschäftsführers oder über die Beendigung der Vertretungsbefugnis<br />
in Urschrift oder öffentlich beglaubigter<br />
Abschrift beizufügen (§ 39 Abs. 2 <strong>GmbH</strong>G). Anhand dieser<br />
Urkunden hat das RegG zu prüfen, ob sie die beantragte<br />
Eintragung rechtfertigen.<br />
<strong>Die</strong> von der Beteiligten zu 1) vorgelegten Urkunden rechtfertigen<br />
die beantragte Eintragung der Beteiligten zu 2) als<br />
Geschäftsführerin in das Handelsregister jedoch nicht.<br />
Dabei kommt es auf den entsprechenden Antrag des Notars<br />
B v. 4.10.2010 nicht an. <strong>Die</strong>ser ist nämlich gegenstandslos,<br />
nachdem die Beteiligte zu 1) mit Urkunde Nr. 307/2010<br />
des Notars H alle Vollmachten des Notars B widerrufen<br />
hatte.<br />
Entscheidend ist damit die Anmeldung des Notars H zu<br />
dessen UR-Nr. 306/2010 v. 20.10.2010 (...). Bei der Antragstellung<br />
nahm er Bezug auf die Gesellschafterversammlung<br />
der Beteiligten zu 1) v. 19.10.2010, die unter<br />
Bezug auf die vom Notar B eingereichte Gesellschafterliste<br />
v. 4.10.2010 stattgefunden hatte. <strong>Die</strong>ser lag aber nach<br />
Angaben des Notars B eine Falschbeurkundung zugrunde,<br />
nachdem die Urkunden Nr. 395/10, 399/10 u. 444/10 unter<br />
Missbrauch des ihm entwendeten Siegels zustande gekommen<br />
seien. Aufgrund dieser Mitteilung hatte das RegG<br />
nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die zur Eintragung<br />
angemeldete Erklärung – hier die Abberufung der<br />
bisherigen Geschäftsführerin M und die Bestellung der<br />
neuen Geschäftsführerin S – zu überprüfen. Eine solche<br />
Pflicht besteht für das RegG immer dann, wenn begründete<br />
Zweifel gegen die Richtigkeit der beurkundeten Erklärung<br />
bestehen (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.12.2000 – 3 Wx 432/<br />
00, <strong>GmbH</strong>R 2001, 243 [244], m.w.N.). Das ergibt sich<br />
schon aus der dem RegG allgemein obliegenden Aufgabe,<br />
darüber zu wachen, dass Erklärungen, die der Rechtslage<br />
nicht entsprechen, nicht in das Handelsregister aufgenommen<br />
und so mit amtlicher Hilfe verbreitet werden (OLG<br />
Düsseldorfv.15.12.2000–3Wx432/00,<strong>GmbH</strong>R2001,<br />
243 [244]; BayObLG v. 18.7.1991 – BReg. 3 Z 133/90,<br />
<strong>GmbH</strong>R 1992, 304 m.w.N).<br />
Begründete Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben<br />
und der sie bestätigenden Urkunden ergaben sich<br />
hier insbesondere daraus, dass der Notar B am 22.10.2010<br />
telefonisch und am 5.11.2010 schriftlich dem RegG mitgeteilt<br />
hatte, dass sowohl die von ihm erstellte Gesellschafterliste<br />
v. 4.10.2010 als auch seine Urkunden 395/10 u.<br />
444/10 unter missbräuchlicher Verwendung des ihm ab-<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 401<br />
Gesellschaftsrecht<br />
handen gekommenen Siegels zustande gekommen seien.<br />
Zwar wird dann, wenn eine Urkunde Unterschrift und Siegel<br />
eines Notars trägt, vermutet, dass sie wirklich von der<br />
Person stammt, die als Notar auf der Urkunde bezeichnet<br />
ist und dass diese Person mit öffentlichem Glauben versehen<br />
ist (Schippel/Bracker/Reithmann, Bundesnotarordnung,<br />
9. Aufl. 2011, Vor §§ 20 – 24 Rz. 7). <strong>Die</strong>se Vermutung<br />
war aber durch die Angaben des Notars B v.<br />
22.10.2010 und v. 5.11.2010 erschüttert worden.<br />
<strong>Die</strong>se Zweifel konnte die Beteiligte zu 2) nicht ausräumen.<br />
Eine Heilung liegt insbesondere nicht in der Bestellung der<br />
Beteiligten zu 2) zur Geschäftsführerin zur UR-Nr. 306/10<br />
des Notars H v. 19.10.2010 (...). <strong>Die</strong>se bezieht sich nämlich<br />
auf die Gesellschafterliste des Notars B v. 4.10.2010. Da<br />
diese aber vom aufnehmenden Notar selbst inkriminiert<br />
worden war, bestehen die genannten Zweifel an ihrer<br />
Wirksamkeit fort.<br />
<strong>Die</strong> Heilung liegt auch nicht in der Geschäftsführerbestellung<br />
der Beteiligten zu 2) v. 8.2.2011. <strong>Die</strong> DER-Ltd. hatte<br />
zwar am 8.2.2011 zur UR-Nr. 54/2011 des Notars H sämtliche<br />
Gesellschaftsanteile an der Beteiligten zu 1) auf die<br />
DRP-LIMITED übertragen. Ebenfalls am 8.2.2011 hatte<br />
die Beteiligte zu 1) als neue alleinige Gesellschafterin unter<br />
Verzicht auf die Wahrung aller Fristen eine Gesellschafterversammlung<br />
einberufen sowie abgehalten und auf dieser<br />
die Beteiligte zu 2) unter Abberufung der bisherigen<br />
Geschäftsführerin M zur neuen Geschäftsführerin bestellt<br />
(...).<br />
Damit sind aber die vom AmtsG Charlottenburg geltend<br />
gemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorgelegten<br />
Urkunden wiederum nicht beseitigt. Dabei kann es dahin<br />
stehen, ob mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile an<br />
der Beteiligten zu 1) v. 8.2.2011 die zweifelhafte Beurkundung<br />
Nr. 444/10 des Notars B geheilt ist und ob überhaupt<br />
eine rückwirkende Heilung nach Rückweisungsbeschluss<br />
während der Beschwerdefrist in Betracht kommt. In jedem<br />
Falle fehlt es nämlich an der zweifelsfrei rechtmäßigen<br />
Übertragung der Gesellschaftsanteile durch die F-LIMI-<br />
TED auf die DER-Ltd. <strong>Die</strong>se war am 3.9.2010 zur UR-<br />
Nr. 395/10 des Notars B beurkundet worden. Da aber auch<br />
diese Urkunde nach Angaben des Notars B unter missbräuchlicher<br />
Verwendung des ihm abhanden gekommenen<br />
Siegels zustande gekommen war, fehlt es an einem wirksamen<br />
Nachweis der Gesellschafterstellung der Veräußerin<br />
DER-Ltd. und folglich auch der Erwerberin DER-Ltd.,<br />
weshalb die Eintragung ins Handelsregister unzulässig war.<br />
Nach alledem hat das AmtsG Charlottenburg den Eintragungsantrag<br />
v. 20.10.2010 zu Recht zurückgewiesen.<br />
Über den Eintragungsantrag v. 8.2.2011 war mangels<br />
rechtsmittelfähiger Erstentscheidung des AmtsG Charlottenburg<br />
nicht zu entscheiden. ...<br />
Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweigniederlassung<br />
einer Limited bei Löschung der ausländischen<br />
Hauptniederlassung<br />
FamFG § 395 Abs. 1<br />
1. <strong>Die</strong> deutsche Zweigniederlassung einer im Registrar of<br />
Companies for England and Wales gelöschten und aufgelösten<br />
britischen Hauptniederlassung ist bis zur vollständigen<br />
Beendigung der Liquidation der deutschen Restgesellschaft<br />
beschwerdebefugt.
2. Eine deutsche Zweigniederlassung ist gemäß § 395<br />
FamFG immer dann im Handelsregister zu löschen, wenn<br />
die Hauptniederlassung im ausländischen Heimatregister<br />
gelöscht worden ist.<br />
KG Berlin, Beschl. v. 24.10.2011 – 25 W 37/11<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus den Gründen:<br />
A.<br />
Das AmtsG Charlottenburg teilte der Beteiligten mit<br />
Schreiben vom 31.3.2011 mit, dass es deren Löschung beabsichtige,<br />
nachdem die Hauptniederlassung der Gesellschaft<br />
im Register des Companies House von England und<br />
Wales in Cardiff mit der Nr. 5891117 am 15.3.2011 als<br />
„dissolved“ und damit als gelöscht gekennzeichnet worden<br />
war, womit die Grundlage für die Eintragung einer Zweigniederlassung<br />
entfallen sei.<br />
<strong>Die</strong> Beteiligte legte mit Schreiben v. 19.4.2011 Widerspruch<br />
ein, und behauptete, dass die Hauptniederlassung<br />
nun wieder bestehe. Zum Nachweis legte sie ein Certificate<br />
des Companies House vom 18.4.2011 vor, aus dem hervorgeht,<br />
dass an diesem Tag die LS-LIMITED unter der<br />
Company Number 7607294 in das englische Register eingetragen<br />
worden ist.<br />
Den Widerspruch der Beteiligten wies das RegG ... mit der<br />
Begründung zurück, bei der jetzigen LS-LIMITED handele<br />
es sich um eine neue Hauptniederlassung, die – trotz Namensgleichheit<br />
– mit der neuen Gesellschaft nicht identisch<br />
sei [AmtsG Charlottenburg v. 20.4.2011 – 82 HRB<br />
104444 B]. Eine Zweigniederlassung einer gelöschten Gesellschaft<br />
könne es jedoch nicht geben. ...<br />
Mit Beschl. v. 10.5.2011 hat das AmtsG Charlottenburg<br />
der Beschwerde nicht abgeholfen.<br />
B.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde der Beteiligten hat keinen Erfolg.<br />
I.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde ist zulässig. ... <strong>Die</strong> Beteiligte ist nach § 59<br />
Abs. 1 FamFG auch beschwerdebefugt, da sie durch die<br />
beabsichtigte Löschung in ihren Rechten nachhaltig beeinträchtigt<br />
wird und zudem auch nach der nach englischem<br />
Recht durchgeführten Löschung und Auflösung bis zur<br />
vollständigen Beendigung der Liquidation der (deutschen)<br />
Restgesellschaft als aktiv und passiv parteifähig anzusehen<br />
ist (OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/07, NZG<br />
2008, 76 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 41 m. Komm. Werner).<br />
II.<br />
<strong>Die</strong> Beschwerde ist jedoch unbegründet.<br />
Gemäß § 395 Abs. 1 FamFG kann das RegG eine Eintragung<br />
von Amts wegen löschen, wenn die Eintragung nachträglich<br />
unzulässig geworden ist. Entscheidend ist, dass die<br />
Eintragung in dem Zeitpunkt unzulässig ist, in dem über<br />
die Löschung wegen der der Unzulässigkeit befunden wird<br />
(Keidel/Heinemann, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 395<br />
Rz. 13). Eine Zweigniederlassung ist immer dann zu löschen,<br />
wenn die Hauptniederlassung im ausländischen<br />
Heimatregister gelöscht worden ist (Krafka/Willer/Kühn,<br />
Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). Wird eine private<br />
limited company nach englischem Recht im Heimatregis-<br />
Rechtsprechung<br />
402 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
ter gelöscht („dissolved“), so verliert sie hierdurch ihre<br />
Rechtsfähigkeit (OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/<br />
07, NotBZ 2007, 372 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 1109; Krafka/Willer/Kühn,<br />
Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). <strong>Die</strong>s bedeutet,<br />
dass auch die Zweigniederlassung einer nicht mehr<br />
existenten Hauptniederlassung mangels eigener Rechtspersönlichkeit<br />
zu löschen ist (Krafka/Willer/Kühn, Registerrecht,<br />
8. Aufl. 2010, Rz. 337a).<br />
Zwar hat die Beteiligte vorgetragen, dass die LS-Limited<br />
am 18.4.2011 wieder in das Registrar of Companies for<br />
England and Wales eingetragen worden sei. Zwar ist eine<br />
Wiedereintragung nach dem englischen Companies Act<br />
2006 innerhalb von sechs Jahren nach der Löschung wieder<br />
möglich (Krömker/Otte, BB 2008, 964 [966]). Allerdings<br />
handelt es sich hier nach den Angaben der Beteiligten<br />
im Schreiben v. 7.5.2011 nicht um eine solche Wiedereintragung<br />
einer zuvor gelöschten, sondern um eine völlig<br />
neue Gesellschaft. Dafür spricht auch der Umstand, dass<br />
die am 18.4.2011 in das englische Register eingetragene<br />
Gesellschaft die Nr. x trägt, die gelöschte Hauptniederlassung<br />
der Beteiligten jedoch unter Nr. y verzeichnet war.<br />
Damit stellt sich die von der Beteiligten offenbar aufgeworfene<br />
und in der Literatur diskutierte Frage (vgl. Krömker/Otte,<br />
BB 2008, 964 [966]), ob eine wiedereingetragene<br />
britische Limited automatisch in die Position der Hauptniederlassung<br />
zur deutschen Zweigniederlassung einrücken<br />
kann, wodurch die Notwendigkeit der Löschung entfiele,<br />
hier nicht.<br />
Damit erfolgt die Amtslöschung gemäß § 395 Abs. 1 S. 1<br />
FamFG zu Recht. ...<br />
Rechtsprechung<br />
Steuerrecht<br />
Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“<br />
Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot<br />
EStG 1990 § 5 Abs. 1 u. Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 3; HGB<br />
§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1, § 255 Abs. 1 S. 1; BGB<br />
§ 414, § 613a<br />
Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer<br />
aufgrund steuerlicher Rückstellungsverbote (hier: für Jubiläumszuwendungen<br />
und für Beiträge an den Pensionssicherungsverein)<br />
in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden<br />
sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit<br />
im Zuge eines Betriebserwerbs übernommen hat, keinem<br />
Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse<br />
Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an den<br />
nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG<br />
1990 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren<br />
Teilwert zu bewerten (Bestätigung und Fortführung des<br />
Sen.Urt. v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl II<br />
2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382; entgegen BMF-Schr. v.<br />
24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861,<br />
BStBl. I 2011, 627).<br />
BFH, Urt. v. 14.12.2011 – I R 72/10
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
[1] <strong>Die</strong> Klägerin (Kl.in), eine <strong>GmbH</strong>, ist (seit 2008)<br />
Rechtsnachfolgerin einer <strong>GmbH</strong> & Co. KG, die wiederum<br />
Rechtsnachfolgerin der (seinerzeitigen) D-<strong>GmbH</strong> ist. <strong>Die</strong><br />
D-<strong>GmbH</strong> übernahm zum 1.7.1994, dem Streitjahr, den Betrieb<br />
einer Tochtergesellschaft, der DM-<strong>GmbH</strong> als Gesamtheit<br />
von Wirtschaftsgütern („asset deal“). Mit Ausnahme<br />
der Patente, Lizenzen und Handelsmarken sowie<br />
des Firmenwerts wurden die Vermögensgegenstände und<br />
Schulden in der (handelsrechtlichen) Eröffnungsbilanz der<br />
D-<strong>GmbH</strong> auf den 1.7.1994 mit den Buchwerten gemäß der<br />
Bilanz der DM-<strong>GmbH</strong> angesetzt. Der Firmenwert wurde<br />
nach Abzug der übernommenen Buchwerte und der bewerteten<br />
Vermögensgegenstände ermittelt und auf 15 Jahre<br />
abgeschrieben.<br />
[2] Im Rahmen dieses Vorgangs wurden u.a. auch Jubiläumsrückstellungen<br />
und Rückstellungen für Verpflichtungen<br />
gegenüber dem Pensionssicherungsverein (PSVaG)<br />
von der D-<strong>GmbH</strong> übernommen und bei der Bemessung des<br />
Kaufpreises berücksichtigt. Zwischen den Beteiligten ist<br />
umstritten, ob diese übernommenen Passiva unbeschadet<br />
steuerlicher Ausweisverbote in der Steuerbilanz zum<br />
31.12.1994 anzusetzen sind. <strong>Die</strong> Kl.in bejahte dies mit<br />
wechselnden Begründungen. Zuletzt begehrte sie, die Passiva<br />
bereits in der Eröffnungsbilanz zum 1.7.1994 unter<br />
Beachtung der steuerlichen Ausweisverbote anzusetzen<br />
und den daraus resultierenden Unterschiedsbetrag zur<br />
Handelsbilanz durch entsprechende Abstockung des erworbenen<br />
Firmenwerts auszugleichen. Das FA vertrat<br />
demgegenüber im Ergebnis die Auffassung, die übernommenen<br />
Passiva seien in der steuerlichen Eröffnungsbilanz<br />
mit ihren gemeinen Werten anzusetzen; sie seien jedoch in<br />
der (ersten) Schlussbilanz zum 31.12.1994 nach steuerlichen<br />
Grundsätzen auszuweisen.<br />
[3] Mit ihrer Klage gegen den hiernach geänderten Körperschaftsteuerbescheid<br />
1994 beantragte die Kl.in, die<br />
Summe der Einkünfte um 942.297 DM zu mindern<br />
(841.850 DM Jubiläumsrückstellung, 132.940 DM Rückstellung<br />
für Beiträge zum PSVaG, 32.493 DM Minderung<br />
der Absetzung für Abnutzung des Firmenwerts). Das FG<br />
gab der Klage unter Hinweis auf das Sen.Urt. BFH v.<br />
16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011,<br />
566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 statt (FG Düsseldorf v. 29.6.2010<br />
– 6 K 7287/00 K, EFG 2011, 34).<br />
[4] ... [6] Das BMF ist dem Revisionsverfahren beigetreten.<br />
Es hat sich in der Sache dem FA angeschlossen. Beide<br />
argumentieren mit dem BMF-Schr. v. 24.6.2011 – IV C 6 -<br />
S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627.<br />
II.<br />
[7] <strong>Die</strong> Revision ist vom FA in der gebotenen Weise<br />
(§ 120 Abs. 2, § 118 Abs. 2 FGO) begründet worden und<br />
damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet (§ 126 Abs. 2<br />
FGO).<br />
1. Anwendung der Grundsätze ordnungsmäßiger<br />
Buchführung<br />
[8] Gemäߧ8Abs.1KStG1991i.V.m.§5Abs.1S.1<br />
EStG 1990 hatte die D-<strong>GmbH</strong> in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen<br />
anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen<br />
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)<br />
auszuweisen ist. <strong>Die</strong> „handelsrechtlichen“ GoB ergeben<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 403<br />
Steuerrecht<br />
sich u.a. aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des<br />
Dritten Buchs „Vorschriften für alle Kaufleute“ der<br />
§§ 238 ff. HGB. Sie werden für Kapitalgesellschaften ergänzt<br />
durch die Bestimmungen der §§ 264 ff. HGB.<br />
2. Gebot der Berücksichtigung nur realisierter<br />
Gewinne<br />
[9] Zu den wesentlichen GoB zählt das Gebot, Gewinne<br />
nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag<br />
realisiert sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 HGB). Daraus<br />
folgt u.a., dass Anschaffungsvorgänge erfolgsneutral zu<br />
behandeln sind. Der Zugang von Wirtschaftsgütern zum<br />
Betriebsvermögen führt zu einer bloßen Umschichtung in<br />
der Bilanz in Höhe der Anschaffungskosten; ein unterschiedlicher<br />
Ansatz von Zu- und Abfluss ist ausgeschlossen.<br />
Eine Gewinnrealisierung kann nur aufgrund nachfolgender<br />
betrieblicher Umsatzakte erfolgen.<br />
[10] Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 S. 1<br />
HGB die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen<br />
Vermögensgegenstand zu erwerben und in einen betriebsbereiten<br />
Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand<br />
einzeln zugeordnet werden können. <strong>Die</strong>ser<br />
handelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten ist in<br />
Ermangelung einer abweichenden Definition im Einkommensteuergesetz<br />
auch der steuerbilanziellen Beurteilung<br />
(gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) zugrunde zu legen<br />
(BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,<br />
BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382; v. 26.4.2006 – I<br />
R 49, 50/04, BFHE 213, 374, BStBl. II 2006, 656 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 891, m.w.N.). <strong>Die</strong> bei der Übernahme von<br />
Verbindlichkeiten zutreffend erhöhten Anschaffungskosten<br />
bilden die Ausgangsgröße für die weitere bilanzielle<br />
Entwicklung eines zugegangenen Wirtschaftsguts.<br />
3. Erfolgsneutrale Behandlung von Anschaffungsvorgängen<br />
[11] Der Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung von<br />
Anschaffungsvorgängen findet auch auf übernommene<br />
Passivpositionen und hierbei unabhängig davon Anwendung,<br />
ob der Ausweis dieser Passivpositionen in der Steuerbilanz<br />
einem – von der Handelsbilanz abweichenden –<br />
Ausweisverbot ausgesetzt ist. Denn auch die Übernahme<br />
steuerrechtlich zu Recht nicht bilanzierter Verbindlichkeiten<br />
ist Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts<br />
(vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 61/06, BFHE 219, 529,<br />
BStBl. II 2008, 555 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 667, m.w.N.) und erhöht<br />
mithin dessen Anschaffungskosten. Das hat der Senat<br />
in ... BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,<br />
BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382, für sog. Drohverlustrückstellungen<br />
entschieden, welche ihrerseits nach<br />
§ 5 Abs. 4a EStG 1997 einem steuerbilanziellen Ansatzund<br />
Ausweisverbot unterfallen. Nichts anderes gilt für das<br />
entsprechende Verbot in § 5 Abs. 4 (i.V.m. § 52 Abs. 6)<br />
EStG 1990, wonach Rückstellungen für die Verpflichtung<br />
zu einer Zuwendung anlässlich eines <strong>Die</strong>nstjubiläums nur<br />
unter bestimmten, hier unstreitig nicht erfüllten Anforderungen<br />
gebildet werden dürfen. Und gleichermaßen verhält<br />
es sich hinsichtlich der „erworbenen“ Zahlungspflichten<br />
gegenüber dem PSVaG: Solche (künftigen) Pflichten<br />
unterfielen jedenfalls im Streitjahr (zur möglicherweise<br />
abweichenden Regelungsentwicklung des Insolvenzschutzes<br />
in der betrieblichen Altersversorgung seit 2006 s. z.B.<br />
Höfer/Veit/Verhuven, BetrAVG, BandII, 7. Aufl.,<br />
Rz. 2467.8) einem handelsbilanziellen Ansatzwahlrecht,<br />
was steuerbilanziell ein Ansatzverbot nach sich zieht; der
Senat hält an seiner diesbezüglichen Spruchpraxis (vgl.<br />
BFH v. 13.11.1991 – I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl. II<br />
1992, 336; v. 6.12.1995 – I R 14/95, BFHE 180, 258,<br />
BStBl. II 1996, 406) fest. Für beide Aufwandspositionen<br />
ordnet das Gesetz von den handelsbilanziellen Ansätzen<br />
abweichende, spezifisch steuerbilanzielle Ansatzverbote<br />
an. Durch derartige Verbote sollen – lediglich – am Stichtag<br />
bereits vorhandene Verpflichtungen entgegen den Vorgaben<br />
des (handels-)bilanzrechtlichen Imparitätsprinzips<br />
(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranlagungszeiträume<br />
verlagert werden. Für den Fall, dass die in<br />
Rede stehende Zuwendungsverpflichtung entgeltlich erworben<br />
wird, greifen die Verbote indes nicht. Denn dann<br />
ist die Verpflichtung realisiert. Sie ist deswegen vom Erwerber<br />
sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz<br />
passivisch auszuweisen (vgl. bereits BFH v. 16.12.2009 –<br />
I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R<br />
2010, 382, m.w.N.). Abzustellen ist dabei auf die jeweilige<br />
im Zuge des Betriebserwerbs übernommene Schuldposition.<br />
Für einen davon abweichenden, „technisch“ vereinfachten<br />
Ausweis, wie ihn die Kl.in befürwortet – zunächst<br />
Berücksichtigung der steuerrechtlichen Ansatzrestriktionen<br />
bereits in der handelsrechtlichen Eröffnungsbilanz, sodann<br />
jedoch „Neutralisierung“ der dadurch bedingten Ausweisdifferenz<br />
über eine Abstockung des Firmenwerts – geben<br />
die GoB nichts her.<br />
4. Keine Trennung von Anschaffungsvorgang und<br />
(nachfolgender) Bilanzierung<br />
[12] Dem dagegen gerichteten Einwand des BMF (in<br />
BMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/<br />
0501861, BStBl. I 2011, 627) und des FA, der Anschaffungsvorgang<br />
sei in der handels- wie steuerrechtlichen Eröffnungsbilanz<br />
abschließend abgebildet, fortan – und damit<br />
auch in der ersten Schlussbilanz – greife indes wiederum<br />
das steuerliche Ausweisverbot, ist (abermals) nicht<br />
beizupflichten.<br />
[13] a) Es ist dazu dasjenige zu wiederholen, das schon ...<br />
in BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl.<br />
II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 erwidert worden ist: Es<br />
geht fehl, den eigentlichen Anschaffungsvorgang von der<br />
(nachfolgenden) Bilanzierung auf den Bilanzstichtag und<br />
auf diese Weise den erfolgsneutralen Anschaffungsvorgang<br />
und den rückstellungsgesperrten Bilanzansatz voneinander<br />
zu trennen. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten<br />
werden durch tatsächliche Gegebenheiten bestimmt.<br />
In diesem Umfang und in jener Höhe, in denen sie<br />
tatsächlich entstanden sind, gehen sie erfolgsneutral in die<br />
(nachfolgende) Bilanzierung ein und darf ihr Bewertungsansatz<br />
dabei (nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) weder<br />
über- noch unterschritten werden. Das betrifft auch „miterworbene“<br />
Schulden, die als solche einem steuerlichen<br />
Ausweisverbot unterworfen sind. Andernfalls würde genau<br />
jener „Erwerbsgewinn“ ausgewiesen, der dem Anschaffungskostenbegriff<br />
und -verständnis fremd ist. Für<br />
die Annahme eines ausnahmsweise auszuweisenden „gesetzlichen<br />
Bewertungsgewinns“ (so aber Meurer, BB<br />
2011, 1714) gibt die Regelungslage nichts her, ebenso wenig<br />
wie für eine Unterscheidung zwischen einer „formalen“<br />
Gewinnrealisation beim Veräußerer und einem „materiellen“<br />
– kompensierenden – Gewinnausweis beim Erwerber<br />
(so aber Siegel, FR 2011, 781 [787]). Letzteres mag<br />
bei einer „übergeordneten“ wirtschaftlichen Sichtweise<br />
durchaus nachvollziehbar sein, löst sich jedoch von den<br />
Normzusammenhängen. Tatsächlich wendet der Erwerber<br />
Rechtsprechung<br />
404 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
infolge der Verbindlichkeitsübernahme eben entsprechend<br />
„weniger“ auf, wodurch sich seine Anschaffungskosten<br />
mindern. Zu diesem Ergebnis gelangt denn auch Siegel,<br />
wenn dieser einräumt, dass der Erwerber sich das „Gewinnkompensat“<br />
„freilich ... bezahlen lässt“ (Siegel, FR<br />
2011, 781 [786]). Nur die Schlussfolgerung ist eine andere:<br />
Genau dadurch wird der Gewinnausweis beim Erwerber<br />
vermieden. Dass dieser die Schuld gegenüber dem Gläubiger<br />
übernimmt und dass dadurch aus einer Gesamtsicht<br />
„alles beim alten bleibt“, widerspricht dem nicht.<br />
[14] <strong>Die</strong> allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze gehen den<br />
spezifisch steuerrechtlichen Ausweisbeschränkungen für<br />
die Situation der „angekauften“ Verpflichtung nach allem<br />
uneingeschränkt vor. Der Senat schließt sich damit der<br />
überwiegend vertretenen Rechtsauffassung an (z.B. FG<br />
Münsterv.15.6.2011–9K1292/07K,BB2011,2800,mit<br />
Zustimmung von Oser, BB 2011, 2802, – zur Pensionsrückstellung<br />
–; Schlotter, Ubg 2010, 635; Schlotter/Pinkernell,<br />
FR 2011, 689; U. Prinz, FR 2011, 1015 [1020 f.];<br />
U. Prinz/Adrian, BB 2011, 1646; U. Prinz/Adrian, StuB<br />
2011, 171; Emig/Walter, NWB 2010, 2124; Buciek, FR<br />
2010, 426; Schönherr/Krüger, DStR 2010, 1709; Schultz,<br />
DB 2011, 608; Geberth/Höhn, DB 2010, 1905; Hoffmann<br />
in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar,<br />
§§ 4, 5 Rz. 899; anders z.B. Meurer, BB 2011,<br />
1259 u. 1714; Pitzke/Klein, NWB2011,2276;Siegel, FR<br />
2011, 781; M. Prinz, FR 2010, 426 u, FR 2011, 445). <strong>Die</strong><br />
gegenläufige Verwaltungspraxis (in BMF v. 24.6.2011 –<br />
IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,<br />
627) ist abzulehnen.<br />
[15] b) Allerdings betraf das Sen.Urt. BFH v. 16.12.2009<br />
– I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2010, 382 (lediglich) die Situation des (internen)<br />
Schuldbeitritts. Für diesen Fall ist der Erwerber im Verhältnis<br />
zum Veräußerer verpflichtet, diesen von der gegenüber<br />
dem Gläubiger der Schuld weiterbestehenden Zahlungspflicht<br />
freizustellen. <strong>Die</strong> entsprechende Freistellungsverpflichtung<br />
ist aufgrund des vorangegangenen<br />
Realisationsaktes vom Erwerber sowohl in der Handelsals<br />
auch in der Steuerbilanz passivisch auszuweisen.<br />
[16] EsbliebinjenemUrt.desBFHv.16.12.2009–IR<br />
102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R<br />
2010, 382, jedoch unbeantwortet, ob sich ein abweichendes<br />
Ergebnis für die im Streitfall in Rede stehende Situation<br />
ergeben könnte, wenn der Verpflichtungserwerber<br />
durch eine wechselseitige Vereinbarung mit dem Veräußerer<br />
einerseits und dem Verpflichtungsgläubiger andererseits<br />
eine Vertragsübernahme (nach § 414 oder – hier –<br />
§ 613a BGB) vereinbart und der Erwerber an Stelle des<br />
Veräußerers die Verpflichtung übernimmt. Auch diese Frage<br />
ist indes – in Einklang mit dem schon zitierten Meinungsbild<br />
– zu verneinen. Zwar stellt sich die Verpflichtungslage<br />
für diese Situation aus Sicht sowohl des Erwerbers<br />
wie des Gläubigers vor wie nach der Veräußerung<br />
„faktisch“ als unverändert dar; hier wie dort verbleibt es<br />
bei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehrigen)<br />
Schuldners, welche „an sich“ dem steuerbilanziellen<br />
Ausweisverbot unterworfen ist. Doch ändert das abermals<br />
nichts daran, dass die Verpflichtung beim Veräußerer infolge<br />
des „Ankaufs“ zwischenzeitlich als solche realisiert<br />
wordenist.DerErwerber„übernimmt“zwarein(weiterhin)<br />
schwebendes Geschäft. Doch markiert die (befreiende)<br />
Schuldübernahme die ausschlaggebende Zäsur: <strong>Die</strong><br />
Verpflichtung wurde dadurch beim Veräußerer realisiert
und das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber ist<br />
fortan nicht mehr (Gegen-)Leistung im Rahmen des<br />
schwebenden Vertrags, vielmehr (nur noch) dinglicher Erfüllungsakt.<br />
Auf diesem Realisationsakt – und den dafür<br />
aufgewendeten Anschaffungskosten – baut sodann wiederum<br />
die nachfolgende handels- wie steuerrechtliche Bilanzierung<br />
auf. Erneut bestimmt die handels- wie steuerrechtliche<br />
„Erfolgsneutralität“ der Anschaffung den Bilanzierungsansatz<br />
und wird dieser Ansatz unbeschadet des<br />
fortbestehenden Charakters der auszuweisenden Verbindlichkeit<br />
ohne einen gegenläufigen Regelungsbefehl nicht<br />
von steuerlichen Ansatz- und Bewertungsbeschränkungen<br />
und -verboten verdrängt. An einem derartigen gegenläufigen<br />
Regelungsbefehl fehlt es indes. Für eine privilegierte<br />
„Normzweckverwirklichung der Rückstellungsansatzverbote<br />
beim Neuschuldner“ im Rahmen der anzusetzenden<br />
Anschaffungskosten – aus Fiskalgründen – und für ein<br />
„Wiederaufleben“ solcher Verbote (für beides aber<br />
M. Prinz, FR 2011, 445) belässt das Gesetz in Anbetracht<br />
dessen keinen Raum.<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
Um es vorweg zu nehmen: Das mit Spannung erwartete<br />
vorstehend abgedruckte Urt. des BFH v. 14.12.2011 – I R<br />
72/10 überzeugt nicht nur in seinem Ergebnis, sondern insbesondere<br />
auch in seiner Begründung. <strong>Die</strong>s manifestiert<br />
sich in der sachgerechten und konsequent durchgängigen<br />
Berücksichtigung des Anschaffungskosten- und Realisationsprinzips.<br />
Der BFH bestätigt und führt seine Rechtsprechung<br />
im Urt. des BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08,<br />
BStBl. II 2011, 566 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 382 – damals für den<br />
Fall der Schuldfreistellung – für den nun entschiedenen<br />
Fall der Schuldübernahme im Rahmen eines Asset Deal<br />
fort. Im Streitfall handelte es sich um Jubiläumszuwendungen,<br />
die gegenüber der handelsrechtlichen Bilanzierung<br />
gemäß § 5 Abs. 4 EStG nur unter restriktiven Voraussetzungen<br />
als Rückstellung zugelassen sind und um Beiträge<br />
an den Pensionssicherungsverein, für welche ein handelsrechtliches<br />
Passivierungswahlrecht gilt. Der BFH hat entschieden,<br />
dass betriebliche Verbindlichkeiten, die beim<br />
Veräußerer einem steuerlichen Passivierungsverbot unterliegen<br />
und vom Erwerber im Zuge eines Betriebserwerbs<br />
(Asset Deal) übernommen werden, gerade keinem steuerlichen<br />
Passivierungsverbot beim Erwerber unterliegen.<br />
Vielmehr hat der Erwerber diese Verpflichtungen als<br />
Rückstellungen im Zeitpunkt des Zugangs auszuweisen<br />
und sie auch – und dies ist materiell entscheidend – an den<br />
nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3<br />
EStG mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren<br />
Teilwert zu bewerten. Damit schließt sich der BFH der von<br />
der Mehrheit im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassung<br />
an und wendet sich zugleich expressis verbis gegen die von<br />
der Finanzverwaltung in einem vorgezogenen „Nicht-Anwendungs-Erlass“<br />
(BMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-<br />
03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627) vertretene<br />
Auffassung, wonach die einem steuerlichen Passivierungsverbot<br />
unterliegenden (ungewissen) Verbindlichkeiten in<br />
der ersten Schlussbilanz erfolgswirksam aufzulösen sind.<br />
Der BFH stellt in seiner Urteilsbegründung als zentralen<br />
Ausgangspunkt auf den (auch von der Finanzverwaltung<br />
unbestrittenen) Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung<br />
von Anschaffungsvorgängen ab. <strong>Die</strong>ser Grundsatz<br />
finde auch Anwendung auf übernommene Passivpositionen,<br />
denn auch die Übernahme von einem steuerlichen<br />
Passivierungsverbot unterliegenden Verpflichtungen sei<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 405<br />
Steuerrecht<br />
Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts und erhöhe<br />
somit dessen Anschaffungskosten. Dass die steuerlichen<br />
Passivierungsverbote im Falle von Anschaffungen<br />
nicht anwendbar sind, verdeutlicht der BFH, indem er auf<br />
deren gesetzlichen Regelungszweck näher eingeht. Der<br />
Sinn und Zweck derartiger Verbote erschöpfe sich darin,<br />
am Bilanzstichtag bereits vorhandene Verpflichtungen in<br />
Abkehr des (handels-)bilanziellen Imparitätsprinzips<br />
(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranlagungszeiträume<br />
zu verlagern. Wenn aber, wie im Streitfall,<br />
die Verpflichtung entgeltlich erworben werde, dann habe<br />
sie sich bereits realisiert. Deshalb könne es nicht zu einer<br />
„vorgezogenen“ Geltendmachung von Aufwendungen<br />
kommen und die steuerlichen Passivierungsverbote könnten<br />
nicht greifen.<br />
Mit überzeugenden Argumenten wendet sich der BFH gegen<br />
die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung,<br />
wonach der Anschaffungsvorgang ausschließlich in der<br />
handels- und steuerrechtlichen Eröffnungsbilanz abzubilden<br />
sei und infolge dessen in der ersten Schlussbilanz das<br />
steuerliche Ausweisverbot mit der erfolgswirksamen Auflösung<br />
der (ungewissen) Verbindlichkeit zur Anwendung<br />
komme. Zu Recht betont der erkennende Senat, dass sich<br />
eine Trennung zwischen dem eigentlichen Anschaffungsvorgang<br />
und der Bilanzierung zum ersten auf die Anschaffung<br />
folgenden Bilanzstichtag aus dem Gesetz nicht ableiten<br />
lasse. Umfang und Höhe der Anschaffungskosten<br />
müssten erfolgsneutral in die nachfolgende Bilanzierung<br />
eingehen; ihr Bewertungsansatz dürfe dabei weder übernoch<br />
unterschritten werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Werde<br />
dieser Grundsatz hingegen nicht beachtet, komme es zu<br />
dem von der Finanzverwaltung in Kauf genommenen „Erwerbsgewinn“,<br />
welcher dem Anschaffungskostenbegriff<br />
und -verständnis diametral zuwiderlaufe.<br />
Der BFH geht auch auf das Argument ein, wonach bei<br />
einem Asset Deal mit Schuldübernahme insofern „faktisch“<br />
keine Veränderung stattfinde, als es vor und nach der<br />
Veräußerung aus Sicht des Erwerbers wie des Gläubigers<br />
bei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehrigen)<br />
Schuldners bleibe, welche „an sich“ dem steuerlichen<br />
Ausweisverbot unterworfen bleiben müsse. Dem entgegnet<br />
der BFH, dass der Erwerber zwar weiterhin ein schwebendes<br />
Geschäft übernehme, jedoch bestehe in der befreienden<br />
Schuldübernahme eine ausschlaggebende „Zäsur“,<br />
nämlich die Realisation der Verpflichtung beim Veräußerer<br />
und das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber. <strong>Die</strong>ser<br />
Vorgang sei dafür verantwortlich, dass es sich nicht<br />
mehr – wie bei den „üblichen“ originären Verpflichtungen<br />
– um eine (Gegen-)Leistung im Rahmen eines schwebenden<br />
Vertrags handele, sondern der Erwerber nur noch<br />
in Form eines dinglichen Erfüllungsakts für die übernommene<br />
Schuld einzustehen habe.<br />
Schließlich ist die Aussage des BFH zum Rangverhältnis<br />
(scheinbar) in Widerspruch zueinander stehender Bilanzierungsnormen<br />
bemerkenswert, spiegelt sich darin doch das<br />
Grundverständnis der Rechtsprechung zu den Bilanzierungsregeln<br />
wider: „<strong>Die</strong> allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze<br />
gehen den spezifisch steuerrechtlichen Ausweisbeschränkungen<br />
für die Situation der ,angekauften’ Verpflichtung<br />
nach allem uneingeschränkt vor.“ Es kann dahin<br />
gestellt bleiben, ob es sich bei dieser Aussage um eine gewisse<br />
Relativierung des in der juristischen Methodenlehre<br />
bekannten Lehrsatzes zur Auflösung von Normenkonflikten„lexspecialisderogatlegigenerali“<br />
handelt. Entschei-
dend ist das klare Bekenntnis zu den Grundfesten der Bilanzierung.<br />
Der Rechtsprechung des BFH haben sich in der jüngeren<br />
Vergangenheit auch mehrere Finanzgerichte angeschlossen<br />
(so FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 7287/00 K, EFG<br />
2011, 34, Vorinstanz des hier besprochenen BFH-Urteils;<br />
ferner FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 1292/07 K,<br />
BB 2011, 2800, Rev. beim BFH anhängig unter dem Az. I<br />
R 69/11). Letzteres beschäftigt sich mit der bislang höchstrichterlich<br />
noch nicht geklärten Rechtsfrage der Folgebewertung<br />
von Pensionsverpflichtungen. Das FG Münster<br />
stellt klar, dass – ganz auf der Linie des BFH – angeschaffte<br />
Pensionsverpflichtungen im Falle einer Schuldübernahme<br />
mit ihrem Anschaffungswert auszuweisen sind. Allerdings<br />
vertritt es die Auffassung, dass nach der Übernahme<br />
erdiente Pensionsansprüche der Pensionsrückstellung erst<br />
zugeführt werden dürfen, „wenn der nach § 6a EStG ermittelte<br />
Rückstellungsbetrag den im Zeitpunkt des Betriebserwerbs<br />
maßgebenden Rückstellungsbetrag überschreitet.“<br />
Mit Spannung kann die Entscheidung in der gegen das Urteil<br />
des FG Münster eingelegten Revision erwartet werden.<br />
<strong>Die</strong>s gilt umso als in der Literatur zu dieser Rechtsfrage die<br />
Auffassung vertreten wird, dass das Zuführungsverbot gegen<br />
das objektive Nettoprinzip verstoße (vgl. Gosch,BFH/<br />
PR 2010, 123 [124]).<br />
Bedeutung und Reichweite des BFH-Urteils können nicht<br />
unterschätzt werden. Nicht nur der „reine“ Asset Deal, wie<br />
er der Entscheidung des BFH zugrunde lag ist betroffen,<br />
sondern auch in der Praxis nicht seltener vorkommende<br />
Umwandlungen und Einbringungen, welche zu einem höheren<br />
als dem Buchwert vorgenommen werden. Denn diese<br />
stellen auf Ebene des übertragenden sowie des übernehmenden<br />
Rechtsträgers Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge<br />
hinsichtlich des übertragenen Vermögens dar<br />
(UmwSt-Erlass 2011, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S<br />
1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011,<br />
1314 = <strong>GmbH</strong>R 2012, 112 [LS], Rz. 00.02, mit Verweisen<br />
auf die BFH-Rechtsprechung). So verwundert es auch<br />
nicht, dass im UmwSt-Erlass 2011 an mehreren Stellen, so<br />
z.B. in Rz. 04.16 auf das Schr. des BMF v. 24.6.2011 – IV<br />
C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,<br />
627, verwiesen wird.<br />
Abschließend bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber das<br />
besprochene BFH-Urteil nicht zum Anlass nimmt, die bislang<br />
vertretene aber mit dem geltenden Steuerrecht in Widerspruch<br />
stehende Auffassung des BMF gesetzlich zu kodifizieren<br />
(so aber wohl Pitzke/Klein, NWB 2011, 2276<br />
[2282]). Nicht nur, dass die Formulierung einer solchen<br />
Vorschrift sich im Detail als außerordentlich schwierig gestalten<br />
dürfte; sie wäre auch ein „Angriff“ auf die hehren<br />
und bewährten Grundpfeiler der Grundsätze ordnungsmäßiger<br />
Bilanzierung, zu den auch und insbesondere das Anschaffungskosten-<br />
und Realisationsprinzip gehört, welche<br />
bislang (nahezu) uneingeschränkt für die steuerbilanzielle<br />
Bilanzierung gelten.<br />
Dr. Alexander Höhn, Steuerberater / Georg Geberth,<br />
Rechtsanwalt, beide München<br />
(Director Tax bzw. Director Tax Policy, Siemens AG)<br />
Rechtsprechung<br />
406 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer<br />
Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt<br />
EStG 1997 § 5 Abs. 1, § 5 Abs. 2a, § 52 Abs. 12a; HGB<br />
§ 247 Abs. 1, § 249 Abs. 1<br />
Eine Verbindlichkeit, die nur aus künftigen Gewinnen oder<br />
einem etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt zu werden<br />
braucht, kann mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Belastung<br />
nicht ausgewiesen werden.<br />
BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
[1] <strong>Die</strong> Klägerin (Kl.in), eine <strong>GmbH</strong>, wurde mit Gesellschaftsvertrag<br />
v. 19.7.1995 gegründet. Das Stammkapital<br />
betrug 100.000 DM und wurde im Streitjahr 1999 durch<br />
ihre Alleingesellschafterin, die B-<strong>GmbH</strong> gehalten. <strong>Die</strong> finanzielle<br />
Ausstattung der Kl.in war unzureichend. <strong>Die</strong> B-<br />
<strong>GmbH</strong> schloss mit der Kl.in am 18.9.1995 einen Darlehens-<br />
und Rangrücktrittsvertrag, worin sie sich verpflichtete,<br />
der Kl.in zur Ingangsetzung ihres Geschäftsbetriebs<br />
ein entsprechend dem finanziellen Bedarf abrufbares verzinsliches<br />
Darlehen mit einem Kreditrahmen von bis zu<br />
15 Mio. DM zu gewähren. Sicherheiten wurden keine gestellt.<br />
Das Darlehen war von jeder der Parteien jederzeit<br />
kündbar.<br />
[2] § 3 der Vereinbarung lautet:<br />
„Im Falle des Eintritts einer Überschuldung der Schuldnerin tritt<br />
die sich aus dem jeweiligen Saldo des Darlehens-Verrechnungskontos<br />
ergebende Forderung der Gläubigerin automatisch in Höhe<br />
des Betrags der Überschuldung im Rang hinter die Forderungen<br />
aller übrigen Gläubiger zurück.“<br />
[3] § 4 lautet:<br />
„Solange die Schuldnerin überschuldet ist, ist der Gläubigerin untersagt,<br />
über ihre Darlehensforderung zu verfügen, insbesondere<br />
sie abzutreten oder zu verwenden. Das Abtretungsverbot gilt nicht<br />
für den Fall der Veräußerung der von der Gläubigerin gehaltenen<br />
Geschäftsanteile an der Schuldnerin. <strong>Die</strong> Gläubigerin kann die<br />
Befriedigung ihrer Gesamtforderung nur aus künftigen Jahresüberschüssen,<br />
soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen,<br />
oder ggf. aus einem Liquidationsüberschuss verlangen.“<br />
[4] Mit Vertrag v. 1.6.1996 räumte die B-<strong>GmbH</strong> der Kl.in<br />
ein weiteres Darlehen mit einem Kreditrahmen von<br />
4 Mio. DM ein. <strong>Die</strong> zitierten Vereinbarungen sind wortgleich<br />
im Vertrag enthalten.<br />
[5] Zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 war die Kl.in bilanziell<br />
überschuldet. <strong>Die</strong>s änderte sich auch in den folgenden<br />
Jahren nicht.<br />
[6] Nach einer Außenprüfung kam das FA unter Bezugnahme<br />
auf das Schr. des BMF v. 18.8.2004 – IV A 6 - S<br />
2133 - 2/04, BStBl. I 2004, 850 zu der Auffassung, dass die<br />
in der Bilanz zum 31.12.1999 enthaltene Verbindlichkeit<br />
gegenüber der B-<strong>GmbH</strong> i.H.v. 16.370.933,08 DM zum<br />
31.12.1999 gewinnwirksam aufzulösen sei. Aufgrund § 5<br />
Abs. 2a EStG 1997 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes<br />
1999 – StBereinG 1999 – (EStG 1997) sei eine Passivierung<br />
dieser Verbindlichkeit in der Steuerbilanz nicht möglich.<br />
[7] Der gegen die entsprechend geänderten Steuerbescheide<br />
1999 erhobenen Klage gab das FG ... statt (FG<br />
München v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554). ...
II.<br />
[10] <strong>Die</strong> Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126<br />
Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des erstinstanzlichen<br />
Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat zu<br />
Recht die streitgegenständlichen Verbindlichkeiten aufgelöst,<br />
weil die Kl.in hierdurch gegenwärtig noch nicht belastet<br />
ist.<br />
1. Passivierung von Verbindlichkeiten ...<br />
[11] Nach § 247 Abs. 1 HGB sind handelsrechtlich und<br />
damit nach § 5 Abs. 1 EStG 1997 auch steuerrechtlich Verbindlichkeiten<br />
zu passivieren. Gleiches gilt gemäß § 249<br />
Abs. 1 HGB für die Bilanzierung von Rückstellungen für<br />
ungewisseVerbindlichkeiten(st.Rspr.,vgl.z.B.BFHv.<br />
12.12.1991 – IV R 28/91, BFHE 167, 334 = BStBl. II 1992,<br />
600). Eine Verbindlichkeit ist zu bilanzieren, wenn der Unternehmer<br />
zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten<br />
Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die<br />
vom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirtschaftliche<br />
Belastung darstellt (BFH v. 22.11.1988 – VIII<br />
R 62/85, BFHE 155, 322 = BStBl. II 1989, 359; v.<br />
12.12.1990 – I R 153/86, BFHE 163, 146 = BStBl. II 1991,<br />
479; v. 11.4.1990 – I R 63/86, BFHE 160, 323; v. 20.1.1993<br />
– I R 115/91, BFHE 170, 234 = BStBl. II 1993, 373).<br />
2. ... nur bei wirtschaftlicher Belastung<br />
[12] An dieser wirtschaftlichen Belastung fehlt es im<br />
Streitfall. <strong>Die</strong> Darlehen müssen nur aus künftigen Überschüssen,<br />
soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen,<br />
oder aus einem Liquidationsüberschuss zurückbezahlt<br />
werden.<br />
[13] a) Soweit die Befriedigung der Verbindlichkeit auf<br />
künftige Überschüsse beschränkt ist, kann für das Fehlen<br />
einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung auf den<br />
§ 5 Abs. 2a EStG 1997 zugrunde liegenden Gedanken zurückgegriffen<br />
werden.<br />
[14] aa) Gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 sind für Verpflichtungen,<br />
die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen<br />
oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen<br />
erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne<br />
angefallen sind. Soweit entsprechende Verpflichtungen<br />
passiviert sind, müssen diese zum Schluss des ersten nach<br />
dem 31.12.1998 beginnenden Wirtschaftsjahrs aufgelöst<br />
werden (§ 52 Abs. 12a EStG 1997).<br />
[15] bb) Schon vor Einführung des § 5 Abs. 2a EStG 1997<br />
ging die Rspr. im Einklang mit dem Handelsrecht davon<br />
aus, dass bestimmte gewinnabhängige Verpflichtungen<br />
vor Erzielung des Gewinns, aus dem sie zu bedienen sind,<br />
noch keine wirtschaftliche Last darstellen und demgemäß<br />
nicht zu passivieren sind, weil sie nicht aus dem zum Stichtag<br />
vorhandenen Vermögen bedient werden müssen (BFH<br />
v. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II<br />
1997, 320, unter 2.c]; v. 18.6.1980 – I R 72/76, BFHE 131,<br />
303 = BStBl. II 1980, 741; v. 19.2.1981 – IV R 112/78,<br />
BFHE 133, 368 = BStBl. II 1981, 654).<br />
[16] cc) Anlass für die Einführung des § 5 Abs. 2a EStG<br />
1997 waren BFH-Urteile, nach denen der Grundsatz, dass<br />
gewinn- oder erlösabhängige Verbindlichkeiten nicht zu<br />
passivieren sind, nur greifen soll, wenn die Pflicht zur Erfüllung<br />
der Verbindlichkeit von der Gesamtgewinnsituation<br />
des Unternehmens abhängt, nicht dagegen, wenn die<br />
Abhängigkeit nur von einzelnen Geschäften besteht (BFH<br />
v. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 407<br />
Steuerrecht<br />
1997, 320; v. 3.7.1997 – IV R 49/96, BFHE 183, 513 =<br />
BStBl. II 1998, 244; v. 17.12.1998 – IV R 21/97, BFHE<br />
187, 552 = BStBl. II 2000, 116; v. 4.2.1999 – IV R 54/97,<br />
BFHE 187, 418 = BStBl. II 2000, 139). Ziel des § 5<br />
Abs. 2a EStG 1997 ist es, auch für diese Verbindlichkeiten<br />
ein Passivierungsverbot festzuschreiben (BT-Drucks. 14/<br />
2070, S. 17).<br />
[17] dd) Eine Verbindlichkeit unter Vereinbarung eines<br />
Rangrücktritts dergestalt, dass die Forderung des Gläubigers<br />
hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt<br />
und nur aus künftigen Jahresüberschüssen zu erfüllen<br />
ist, ist gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 nicht auszuweisen<br />
(gl.A. Buciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“<br />
a.E.; Neumann, <strong>GmbH</strong>-StB 2009, 192 [194];<br />
Lang, DStZ 2006, 789; BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133<br />
- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115; Weber-<br />
Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz. 315; Weber-<br />
Grellet, BB 2007, 30 [37]; Tiedchen in Herrmann/Heuer/<br />
Raupach, § 5 EStG Rz. 485 „Besserungsvereinbarung“).<br />
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, § 5<br />
Abs. 2a EStG 1997 sei für den Fall des Rangrücktritts generell<br />
nicht einschlägig, weil bei einem Rangrücktritt die<br />
Forderung rechtlich bereits entstanden sei (Hölzle,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2005, 852 [858]; Suchanek/Hagedorn, FR 2004,<br />
455; Watermeyer, <strong>GmbH</strong>-StB 2004, 369 [372]), ist dem<br />
nicht zu folgen. Zum einen lässt sich diese Einschränkung<br />
dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen; dieser umfasst<br />
vielmehr unterschiedslos alle Verpflichtungen, die<br />
nur zu erfüllen sind, soweit künftig Gewinne anfallen. Zum<br />
andern wäre ein Ausweis der Verbindlichkeit auch nicht<br />
gerechtfertigt. Denn der Schuldner ist, solange die Gewinne<br />
noch nicht erzielt sind, in seinem gegenwärtigen Vermögen<br />
zum Bilanzstichtag noch nicht belastet. Seine Situation<br />
gleicht wirtschaftlich der eines Schuldners, dem<br />
eine Verbindlichkeit gegen Besserungsschein erlassen<br />
wurde (vgl. hierzu BFH v. 29.1.2003 – I R 50/02, BFHE<br />
202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = <strong>GmbH</strong>R 2003, 1011 m.<br />
Komm. Hoffmann): Beide müssen die Verbindlichkeit nur<br />
aus künftigen Gewinnen erfüllen.<br />
[18] b) <strong>Die</strong> Darlehen sind im Streitfall auch nicht deshalb<br />
zu passivieren, weil sie nicht nur aus künftigen Gewinnen,<br />
sondern auch aus einem eventuellen Liquidationsüberschuss<br />
zu bedienen sind. Denn auch insoweit fehlt es an<br />
einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung.<br />
[19] aa) Erlässt ein Gläubiger eine Verbindlichkeit mit der<br />
Maßgabe, dass die Forderung wieder aufleben soll, wenn<br />
künftige Jahresüberschüsse oder ein Liquidationsüberschuss<br />
erzielt werden, ist die durch einen solchen Besserungsschein<br />
begründete Leistungspflicht beim Schuldner<br />
zunächst nicht als Verbindlichkeit zu passivieren. <strong>Die</strong> Verpflichtung<br />
stellt noch keine wirtschaftliche Last dar. <strong>Die</strong>s<br />
gilt nicht nur insoweit, als die Verbindlichkeit aus künftigen<br />
Gewinnen bedient werden muss, sondern auch hinsichtlich<br />
der Verpflichtung zur Zahlung aus einem Liquidationsüberschuss.<br />
Ein Liquidationsüberschuss ist das<br />
Vermögen, das im Fall der Liquidation nach Veräußerung<br />
der Wirtschaftsgüter und Begleichung aller (übrigen) Verbindlichkeiten<br />
verbleibt (vgl. §§ 70 ff. <strong>GmbH</strong>G). Zwar betreffen<br />
Zahlungspflichten aus einem Liquidationsüberschuss<br />
damit bereits auch das gegenwärtige Vermögen; sie<br />
belasten das gegenwärtige Vermögen aber noch nicht, da<br />
nach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung (vgl.<br />
hierzu Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung<br />
der Unternehmen, 6. Aufl., § 252 HGB Rz. 24) der
Liquidationsfall noch nicht berücksichtigt zu werden<br />
braucht und die Rücklagen bis zu diesem Zeitpunkt noch in<br />
vollem Umfang zur Verlustdeckung und zur Befriedigung<br />
der anderen Gläubiger zur Verfügung stehen (Adler/Düring/Schmaltz,<br />
aaO,§246HGBRz.150,152;BFHv.<br />
29.1.2003 – I R 50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003,<br />
768 = <strong>GmbH</strong>R 2003, 1011 m. Komm. Hoffmann, m.w.N.;<br />
Schulze-Osterloh, WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanzund<br />
Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V., S. 109 f.;<br />
Gahlen,BB2009,2079;Groh, BB 1993, 1882).<br />
[20] bb) Im Streitfall sind der Kl.in die von ihrer Alleingesellschafterin<br />
gewährten Darlehen zwar nicht erlassen<br />
worden; es wurde vielmehr nur ein Rangrücktritt vereinbart.<br />
Eine Rangrücktrittsvereinbarung, nach der eine Verbindlichkeit<br />
nur aus künftigen Gewinnen oder einem eventuellen<br />
Liquidationsüberschuss zu bedienen ist, belastet<br />
den Schuldner aber nicht stärker, als wäre die Verbindlichkeit<br />
gegen entsprechende Besserungsabrede erlassen worden<br />
(insoweit anders als Rangrücktrittsvereinbarungen,<br />
die auch aus sonstigem Vermögen zu bedienen sind, vgl.<br />
BFH v. 20.10.2004 – I R 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II<br />
2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R 2005, 303 m. Komm. Berg/Schmich;<br />
v. 16.5.2007 – I R 36/06, BFH/NV 2007, 2252; v.<br />
30.3.1993 – IV R 57/91, BFHE 170, 449 = BStBl. II 1993,<br />
502 = <strong>GmbH</strong>R 1993, 600; v. 10.11.2005 – IV R 13/04,<br />
BFHE 211, 294 = BStBl. II 2006, 618 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 158<br />
m. Komm. Hoffmann; v. 14.1.2010 – IV R 13/06, BFH/NV<br />
2010, 1483). Es ist daher gerechtfertigt, diese Verbindlichkeit<br />
wie einen Erlass mit Besserungsabrede zubehandeln<br />
und die Verbindlichkeit nicht auszuweisen (Schulze-Osterloh,<br />
WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht,<br />
9. Aufl., § 4 V., S. 108 u. Fn. 257; Knobbe-Keuk,<br />
StuW 1991, 306; Hofbauer/Kupsch, Bonner<br />
Handbuch Rechnungslegung, § 246 Rz. 61; Siegel, FR<br />
1981, 134 [137]; Priester, DB 1977, 2429; Glade, Praxishandbuch<br />
der Rechnungslegung und Prüfung, 2. Aufl.,<br />
§ 266 HGB Rz. 758; Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt,<br />
Kommentar zum KStG und EStG, § 8 Abs. 3 KStG nF,<br />
Rz. 1126; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5<br />
Rz. 315; Weber-Grellet, BB 2007, 30 [37]; Buciek in Blümich,<br />
§ 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ und 761a; BMF v.<br />
8.9.2006 – IV B 2 - S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2006, 1115; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung<br />
und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 246<br />
HGB Rz. 142: Ausweis vertretbar; a.A. z.B. Kozikowski/<br />
Schubert in Beck.Bil-Komm., 8. Aufl., § 247 Rz. 232; s.<br />
aber Rz. 238 a.E.; Uhländer, BB 2005, 70; Schildknecht,<br />
DStR, 2005, 181; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/<br />
GewStG/UmwStG, 2011, § 8 KStG Rz. 149e, m.w.N.; Watermeyer,<strong>GmbH</strong>R2006,240;Groh,<br />
DB 2006, 1286). Unter<br />
dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
besteht trotz abweichender zivilrechtlicher Gestaltung<br />
kein Unterschied zwischen einem Erlass mit Besserungsabrede<br />
und der Vereinbarung, dass eine Verbindlichkeit<br />
nur aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss bedient<br />
werden muss (ähnlich bereits BFH v. 29.1.2003 – I R<br />
50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = <strong>GmbH</strong>R<br />
2003, 1011 m. Komm. Hoffmann).<br />
[21] cc) Unter welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung,<br />
die nur im Liquidationsfall zu erfüllen ist, in der Steuerbilanz<br />
auszuweisen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.<br />
Denkbar ist, dass die Verbindlichkeit erst dann<br />
passiviert werden muss, wenn nach Beginn der Liquidation<br />
ohne Berücksichtigung dieser Verpflichtung verteilbares<br />
Eigenkapital ausgewiesen werden müsste (Adler/Dü-<br />
Rechtsprechung<br />
408 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
ring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen,<br />
6. Aufl., § 246 HGB Rz. 150, zum Erlass mit<br />
Besserungsabrede). Möglich ist auch, eine Verpflichtung<br />
zum Ausweis bereits dann anzunehmen, wenn zum Zeitpunkt<br />
des Bilanzstichtags eine Liquidation droht und im<br />
Fall der Liquidation mit einem Überschuss zu rechnen ist.<br />
<strong>Die</strong>se Frage kann offenbleiben, weil zum streitigen Bilanzstichtag<br />
nicht von der Liquidation der Kl.in auszugehen<br />
war, sondern davon, dass die Kl.in ihre unternehmerische<br />
Tätigkeit fortführt. <strong>Die</strong>s war gerade das Ziel, das ihre Gesellschafterin<br />
mit der Hingabe der kapitalersetzenden Darlehen<br />
verfolgte. Solange aber eine Liquidation nach den<br />
am Bilanzstichtag objektiv erkennbaren Umständen nicht<br />
unmittelbar droht und überdies für diesen Fall mit einem<br />
Liquidationsüberschuss zu rechnen ist, kommt eine Passivierung<br />
nicht in Betracht.<br />
3. Keine Beurteilung der Darlehen als Einlage<br />
[22] <strong>Die</strong> Darlehen sind nicht als Einlagen zu beurteilen.<br />
[23] Unterliegt die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen<br />
denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung von<br />
Eigenkapital, dann entsteht für den Schuldner Eigenkapital<br />
und die Verbindlichkeit ist auszubuchen (gl.A. Buciek in<br />
Blümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ a.E.,<br />
Rz. 1122). Ob die Darlehen dann als Eigenkapital auszuweisen<br />
wären, wenn sie nur aus einem künftigen Liquidationsüberschuss<br />
zurückzuzahlen wären, kann offenbleiben<br />
(vgl. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 1001, 190 m. Komm. Felleisen; Goette, DStR<br />
2001, 179; vgl. auch BGH v. 21.3.1988 – II ZR 238/87,<br />
BGHZ 104, 33 [40] = <strong>GmbH</strong>R 1988, 301; Berg/Schmich,<br />
<strong>GmbH</strong>R-Kommentar zum Sen.Urt. BFH v. 20.10.2004 – I<br />
R 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II 2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R<br />
2005, 303, juris = <strong>GmbH</strong>R 2005, 307 f.). Denn es ist jedenfalls<br />
deshalb nicht von Einlagen auszugehen, weil die Darlehen<br />
auch aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind und ihnen<br />
daher nicht die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital<br />
zukommt (a.A. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht,<br />
9. Aufl., § 4 V., S. 109).<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
Rangrücktritt: Fremdkapital oder Eigenkapital – das<br />
eine oder das andere?<br />
Bislang mag die Auffassung durchaus verbreitet gewesen<br />
sein, dass eine Gesellschafterforderung mit Rangrücktritt<br />
entweder Fremd- oder Eigenkapital darstellt (vgl. z.B.<br />
Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, <strong>Die</strong> Körperschaftsteuer,<br />
§ 8 Abs. 3 KStG nF Rz. 1126 [Stand Juni 2003]). Das vorstehend<br />
abgedruckte Urt. des BFH v. 30.11.2011 – I R 100/<br />
10 sollte nunmehr den letzten Zweifler davon überzeugt<br />
haben, dass es auch noch eine dritte Kategorie gibt, nämlich:<br />
steuerpflichtiger Ertrag.<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung des BFH<br />
Worum ging es im vorliegenden Fall? Ein Gesellschafter<br />
hatte in einer (nach der Überschrift des vom BFH veröffentlichten<br />
Urteils „qualifizierten“) Rangrücktrittsvereinbarung<br />
mit der Gesellschaft vereinbart, dass seine Forderung<br />
im Falle des Eintritts einer Überschuldung (was tatsächlich<br />
der Fall war) hinter die Forderungen aller übrigen<br />
Gläubiger zurücktrete und eine Befriedigung nur aus künftigen<br />
Jahresüberschüssen oder aus einem Liquidationsüberschuss<br />
verlangt werden könne. <strong>Die</strong> Vorinstanz (FG<br />
München v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554)
ging mit einer zivilrechtlich orientierten Begründung ohne<br />
weiteres davon aus, dass die Gesellschafterforderung handels-<br />
und steuerrechtlich weiterhin als Verbindlichkeit zu<br />
passivieren sei („Eine Auflösung des Passivpostens wegen<br />
eines Erlasses der Forderung ist somit nicht geboten“). Es<br />
konnte sich mit dieser Auffassung durchaus durch die<br />
überwiegende Meinung in der Literatur (vgl. Crezelius,<br />
NZI 2011, 581 [582], m.w.N.) und insoweit auch durch die<br />
Finanzverwaltung (vgl. BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133<br />
- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115, unter 4.<br />
– s. aber auch Rz. 6) gestützt sehen. Auch eine Auflösung<br />
der Forderung nach § 5 Abs. 2a EStG hat die Vorinstanz<br />
(entgegen der Ansicht des FA) abgelehnt, da angesichts der<br />
möglichen Befriedigung der Forderung auch aus einem Liquidationsüberschuss<br />
keine ausschließliche Abhängigkeit<br />
von zukünftigen Einnahmen oder Gewinnen bestünde.<br />
Wie schon des öfteren ließ sich der I. Senat des BFH von<br />
einer vorherrschenden Literaturansicht bei seiner Entscheidungsfindung<br />
nicht beirren und überrascht mit seinem<br />
Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10 doch in mancher Hinsicht.<br />
Auch das BMF wird sein Schr. v. 8.9.2006 – IV B 2<br />
- S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115<br />
überdenken müssen: BMF und BFH scheinen unter einem<br />
qualifizierten Rangrücktritt unterschiedliche Sachverhalte<br />
zu verstehen und auch generell die bilanziellen Wirkungen<br />
eines Rangrücktritts unterschiedlich zu beurteilen.<br />
Ohne auf zivilrechtliche Fragestellungen überhaupt einzugehen<br />
und – jedenfalls im Urteilstext – ohne Begrifflichkeiten<br />
zu verwenden wie „qualifizierter Rangrücktritt“,<br />
begnügt sich der BFH mit einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise<br />
und stellt fest, dass es im entschiedenen<br />
Fall an einer wirtschaftlichen Belastung fehle und deshalb<br />
bereits handelsrechtlich nach § 247 Abs. 1 HGB keine Verbindlichkeit<br />
passiviert werden dürfe. Er knüpft zwar vordergründig<br />
an frühere Rechtsprechung an, setzt nach unserer<br />
Auffassung aber neue Akzente. Soweit die Befriedigung<br />
der Verbindlichkeit auf künftige Jahresüberschüsse<br />
beschränkt sei, stelle sie deshalb noch keine wirtschaftliche<br />
Last dar, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhandenen<br />
Vermögen bedient werden müsse. <strong>Die</strong>ser Gedanke<br />
finde sich jetzt auch in § 5 Abs. 2a EStG, habe allerdings<br />
bereits vorher gegolten. Soweit Befriedigung aus einem<br />
Liquidationsüberschuss verlangt werden könne, fehle es<br />
ebenfalls an einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung.<br />
<strong>Die</strong> wirtschaftliche Belastung bei einer derartigen Situation<br />
gleiche derer, bei der eine Verbindlichkeit gegen<br />
entsprechende Besserungsabrede erlassen worden sei. Beide<br />
Fälle seien daher gleich zu behandeln. Nur dann, wenn<br />
die Forderung auch aus sonstigem Vermögen zu bedienen<br />
sei (wie im Fall der Entscheidung des BFH v. 20.10.2004 –<br />
I R 11/03, BStBl. II 2005, 581 = <strong>GmbH</strong>R 2005, 303 m.<br />
Komm. Berg/Schmich; ebenso IV. Senat des BFH v.<br />
10.11.2005 – IV R 13/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 158 m. Komm.<br />
Hoffmann), liege eine gegenwärtige Belastung vor und die<br />
Verbindlichkeit könne weiter passiviert werden (dies im<br />
Ergebnis im Einklang mit BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S<br />
2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = <strong>GmbH</strong>R 2006, 1115,<br />
dort aber zum einfachen Rangrücktritt und § 5 Abs. 2a<br />
EStG).<br />
Bewertung der Entscheidung<br />
Nicht unproblematisch erscheinen diese Ausführungen im<br />
Lichte der Spruchpraxis des IV. Senats zu ähnlichen Konstellationen<br />
(grundsätzlich BFH v. 30.3.1993 – IV R 57/91,<br />
Rechtsprechung / Berg / Schmich<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 409<br />
Steuerrecht<br />
BStBl. II, 1993, 502 = <strong>GmbH</strong>R 1993, 600) sowie im Hinblick<br />
auf das Urt. des I. Senats des BFH v. 20.8.2008 – I R<br />
19/07, <strong>GmbH</strong>R 2008, 1222 m. Komm. Schröder, indem<br />
das zivilrechtliche Fortbestehen der Schuld auch bei Eigenkapitalersatz<br />
betont wurde: „<strong>Die</strong> Beurteilung einer Gesellschafterhilfe<br />
als eigenkapitalersetzend führt nur dazu,<br />
dass sie im Interesse der Gesellschaftsgläubiger nicht zurückgefordert<br />
werden darf; für das Innenrecht der Gesellschaft<br />
verbleibt es demgegenüber bei der Behandlung als<br />
Fremdkapital.“ <strong>Die</strong> Frage muss erlaubt sein, worin im Falle<br />
von „Eigenkapitalersatz“ die wirtschaftliche Belastung<br />
des gegenwärtigen Vermögens zu sehen ist.<br />
Eine steuerliche Behandlung als Einlage (mit der sich daran<br />
anschließenden Prüfung der Werthaltigkeit einer solchen)<br />
schied im Streitfall nach Ansicht des BFH aus, denn<br />
dies setze voraus, dass die Rückzahlung des Darlehens unter<br />
denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung von<br />
Eigenkapital erfolge – hier sei aber demgegenüber eine<br />
Tilgung auch aus künftigen Gewinnen vereinbart gewesen.<br />
Ob aufgrund des Rangrücktritts ein Ausweis als Eigenkapital<br />
und damit steuerlich eine Einlage gegeben ist, wenn<br />
ein Gesellschafterdarlehen nur aus einem künftigen Liquidationsüberschuss<br />
zurückzuzahlen ist, ließ der BFH offen.<br />
Das Urt. des BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, <strong>GmbH</strong>R<br />
2001, 190 m. Komm. Felleisen dürfte in diese Richtung<br />
deuten (vgl. Berg/Schmich, <strong>GmbH</strong>R 2005, 307 f.; ähnlich<br />
Buciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 1122), auch wenn es zur<br />
Überschuldungsbilanz erging.<br />
Das Urteil zeigt erneut, dass eine steuerliche Einschätzung<br />
anhand bloßer Begrifflichkeiten mit Gefahren verbunden<br />
ist und eine detaillierte Prüfung nicht ersetzen kann. Nur<br />
wenn bei sog. qualifizierten Rangrücktrittserklärungen<br />
auch eine Tilgung aus sonstigem (freien) Vermögen vorgesehen<br />
ist, bleibt es bei der Passivierung. Ein einfacher<br />
Rangrücktritt, ohne zu Modalitäten der Befriedigung Stellung<br />
zu nehmen, sollte im Lichte der Rechtsprechung des<br />
IV. Senats (BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, <strong>GmbH</strong>R<br />
2006, 158 m. Komm. Hoffmann, unter II.1.cc]) ebenso unschädlich<br />
sein (ebenso Kahlert/Gehrke, DStR 2010, 227<br />
[239 ff.]) – wenn auch das Besprechungsurteil hier Unsicherheiten<br />
hervorruft. Aus Vorsichtsgründen könnte allerdings<br />
klarstellend ergänzt werden, dass eine Tilgung aus<br />
sonstigem (freien) Vermögen zulässig ist.<br />
Zu Eigenkapital wird das Darlehen aber nur dann, wenn<br />
die Rückzahlung denselben Voraussetzungen unterliegt,<br />
wie die Rückzahlung von Eigenkapital. Nach verbreiteter<br />
Ansicht reicht dafür aus, dass eine Rückzahlung nur aus<br />
einem künftigen Liquidationsüberschuss erfolgt. Der BFH<br />
ließ diese Frage offen. Im Bereich dazwischen kann ein<br />
Rangrücktritt zu vollständig steuerpflichtigem Gewinn<br />
führen. Das mag zu bösen Überraschungen führen, eröffnet<br />
aber auch Gestaltungsspielräume, denn wie ein Rangrücktritt<br />
ausgestaltet wird obliegt der Entscheidung des<br />
Gesellschafters – er genießt Finanzierungsfreiheit (BFH v.<br />
5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = <strong>GmbH</strong>R<br />
1992, 382).<br />
Dipl.-Finanzw. Dr. Hans-Georg Berg / Dr. Rolf<br />
Schmich, Rechtsanwälte und Fachanwälte für<br />
Steuerrecht, Frankfurt a. M.<br />
(SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwalts AG)
Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei<br />
unterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb<br />
KStG 2002 n.F. § 8c<br />
Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c S. 1 KStG 2002<br />
n.F. auslösende schädliche Beteiligungserwerb während des<br />
laufenden Wirtschaftsjahres, kann ein bis zu diesem Zeitpunkt<br />
in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dem<br />
bisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden (gegen<br />
BMF-Schr. v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –<br />
DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883<br />
u. 1064, Tz. 31 S. 2).<br />
BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11<br />
� Aus den Gründen:<br />
I.<br />
[1] Streitig ist, ob der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG<br />
2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v.<br />
14.8.2007 (BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630)<br />
– KStG 2002 n.F. – bei einem sog. unterjährigen schädlichen<br />
Beteiligungserwerb auch insoweit beschränkt ist,<br />
als im laufenden Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen<br />
Beteiligungserwerbs ein Gewinn erwirtschaftet wurde.<br />
[2] Alleingesellschafter der Klägerin (Kl.in), einer<br />
<strong>GmbH</strong>, war zum Beginn des Streitjahres (2008) S. Mit notariellem<br />
Vertrag v. 3.7.2008 verkaufte S nach vorheriger<br />
Teilung seines Geschäftsanteils einen Geschäftsanteil von<br />
50 % (Nominalwert 13.000 c) und trat ihn an den Erwerber<br />
H ab. Der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr sollte insoweit<br />
S zustehen, als er auf den Zeitraum bis zum Tag der<br />
Beurkundung entfiel. Mit Gesellschafterbeschluss vom<br />
gleichen Tag änderte die Kl.in ihre Firma; H wurde zum<br />
weiteren Geschäftsführer bestellt.<br />
[3] Der für die Kl.in festgestellte verbleibende Verlustvortrag<br />
zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2007 betrug<br />
60.046 c (Bescheid v. 14.10.2008). Für das Streitjahr ermittelte<br />
die Kl.in einen Jahresüberschuss i.H.v. rd.<br />
121.815 c (Jahresabschluss zum 31.12.2008). Unter Hinzurechnung<br />
nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Körperschaftsteuer,<br />
Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer) ergab<br />
sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 163.300 c.Ein<br />
Zwischenabschluss zum 31.5.2008 wies einen bis dahin<br />
angefallenen Jahresüberschuss von 50.737 c aus.<br />
[4] Das FA berücksichtigte unter Hinweis auf § 8c S. 1<br />
KStG 2002 n.F. und Tz. 31 des Schr. des BMF v. 4.7.2008<br />
– IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554,<br />
BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u. 1064 bei der<br />
Einkommensermittlung lediglich einen Verlustabzug<br />
i.H.v. 50 % von 60.046 c (30.023 c); den verbleibenden<br />
Verlustabzug stellte es auf den 31.12.2008 mit 0 c fest. <strong>Die</strong><br />
gegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer gerichtete<br />
KlagehatteErfolg(FGMünsterv.30.11.2010–9K1842/<br />
10 K, EFG 2011, 909). Nach den Urteilsgründen haben es<br />
die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich<br />
unstreitig gestellt, dass der bis zum 3.7.2008 (Übertragung<br />
des 50 %-igen Geschäftsanteils) erwirtschaftete Gesamtbetrag<br />
der Einkünfte mindestens 60.046 c betragen<br />
hat.<br />
[5] Das FA ... beantragt mit der Revision, das angefochtene<br />
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise,<br />
das Verfahren ruhen zu lassen bis zur Entscheidung des<br />
BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 6/11 (Vorlagebeschluss<br />
Rechtsprechung<br />
410 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
desFGHamburgv.4.4.2011–2K33/10,EFG2011,<br />
1460 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 711 m. Komm. Roser).<br />
[6] <strong>Die</strong> Kl.in beantragt ... hilfsweise, das Verfahren ruhen<br />
zu lassen (BVerfG 2 BvL 6/11).<br />
II.<br />
[7] <strong>Die</strong> Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen<br />
(§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne Rechtsfehler dahin<br />
erkannt, dass der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG<br />
2002 n.F. bei einem sog. unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb<br />
insoweit nicht beschränkt ist, als im laufenden<br />
Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />
ein Gewinn erwirtschaftet wurde.<br />
1. Abziehbarkeit des Verlustvortrags<br />
[8] Der zum 31.12.2007 festgestellte verbleibende Verlustvortrag<br />
i.H.v. 60.046 c war gemäß § 10d Abs. 2 S. 1<br />
EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 n.F. im Streitjahr<br />
in voller Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.<br />
<strong>Die</strong>ser Abzug war im Streitfall nicht durch § 8c S. 1<br />
KStG 2002 n.F. ausgeschlossen. Denn die Rechtsfolge der<br />
Verlustabzugsbeschränkung des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.<br />
betrifft den hier in Rede stehenden Verlustabzug des Streitjahres<br />
nicht.<br />
[9] a) Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder<br />
unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, der<br />
Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der<br />
Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder<br />
diesem nahestehende Personen übertragen oder liegt ein<br />
vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb),<br />
sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />
nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen<br />
Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar<br />
(§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F.). Unabhängig von S. 1<br />
sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte<br />
Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb<br />
von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als<br />
50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte,<br />
Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft<br />
an einen Erwerber oder diesem nahe stehende<br />
Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt<br />
vorliegt (§ 8c S. 2 KStG 2002 n.F.). Aufgrund des<br />
Erwerbs des 50 %igen Geschäftsanteils durch H mit notariellem<br />
Vertrag vom 3.7.2008 liegt ein schädlicher Beteiligungserwerb<br />
i.S.v. § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. vor. Denn es<br />
wurden mehr als 25 %, aber nicht mehr als 50 % des gezeichneten<br />
Kapitals der Kl.in an einen Erwerber übertragen.<br />
[10] b) Als Rechtsfolge sieht § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.<br />
vor, dass die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht<br />
ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte<br />
(sog. nicht genutzte Verluste) anteilig i.H. des Beteiligungserwerbs<br />
– damit im Streitfall i.H.v. 50 % – nicht<br />
mehr abziehbar sind. <strong>Die</strong>s beeinträchtigt den Abzug des<br />
für die Kl.in zum 31.12.2007 festgestellten verbleibenden<br />
Verlustvortrags von 60.046 c jedoch nicht.<br />
[11] aa) Ob ein im Jahr des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />
bis zum Übertragungszeitpunkt erwirtschafteter Gewinn<br />
(bzw. positiver Gesamtbetrag der Einkünfte) die der<br />
Verlustabzugsbeschränkung unterliegenden nicht ausgeglichenen<br />
oder abgezogenen negativen Einkünfte mindert,<br />
wird unterschiedlich beurteilt. <strong>Die</strong> Finanzverwaltung lehnt<br />
eine solche Rechtsfolge ab: Nach Tz. 31 des BMF-Schr. v.
4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/<br />
0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u. 1064<br />
unterliegt zwar ein bis zum unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb<br />
erzielter Verlust der Verlustabzugsbeschränkung<br />
(dort S. 1); ein bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />
erzielter Gewinn kann jedoch nicht mit noch<br />
nicht genutzten Verlusten verrechnet werden (dort S. 2).<br />
Dem wird in der Literatur teilweise zugestimmt (Dötsch in<br />
Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG,<br />
§8cKStGRz.81; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/<br />
GewStG/UmwStG, § 8c KStG Rz. 78d; Mössner/Seeger/<br />
Rätke, KStG, § 8c Rz. 368; van Lishaut, FR 2008, 789<br />
[799]). Das Hessische FG (FG Hessen v. 7.10.2010 –<br />
4 V 1489/10, DStR/E 2011, 289) und ein anderer Teil der<br />
Literatur sind allerdings gegenteiliger Auffassung und<br />
sprechen sich für eine Verrechnungsmöglichkeit aus (z.B.<br />
Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Suchanek in<br />
Herrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Rz. 32; Lang in<br />
Ernst & Young, KStG, § 8c Rz. 72.2; Brandis in Blümich,<br />
§8cKStGRz.56;Olbing in Streck, KStG, 7. Aufl., § 8c<br />
Rz. 65; Brendt in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 58;<br />
<strong>Die</strong>terlen inLademann,KStG,§8cRz.31;Zerwas/Fröhlich<br />
in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,<br />
2010, S. 212 ff.; Neyer, DStR 2010, 1600 [1602] u. DStR<br />
2011, 654, jeweils m.w.N.). Der Senat hält die letztgenannte<br />
Auffassung für zutreffend.<br />
[12] aaa) Der Wortlaut des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. ist<br />
insoweit entgegen der Ansicht der Revision nicht eindeutig;<br />
er trifft keine Aussage in der Weise, dass eine Berücksichtigung<br />
eines zeitanteiligen Gewinns auszuschließen<br />
ist.<br />
[13] Zwar kann aus dem Terminus (negative) „Einkünfte“<br />
auf einen Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Einkünfteund<br />
Gewinnermittlung (§ 7 Abs. 3 S. 2 KStG 2002 n.F.)<br />
geschlossen werden. <strong>Die</strong>s könnte gegen eine Ergebnisabgrenzung<br />
bei unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerben<br />
sprechen. Andererseits geht es bei den sog. nicht<br />
genutzten Verlusten als Gegenstand der Verlustabzugsbeschränkung<br />
nach dem Gesetzeswortlaut um bisher „nicht<br />
ausgeglichene(n) oder abgezogene(n) negative(n) Einkünfte“,<br />
womit die Terminologie des § 10d EStG 2002 aufgegriffen<br />
wird, die den periodenübergreifenden Verlustabzug<br />
und den periodeninternen Verlustausgleich anführt.<br />
Wenn die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht<br />
ausgeglichenen negativen Einkünfte zeitlich nach dem<br />
schädlichen Beteiligungserwerb nicht mehr abziehbar sein<br />
sollen, ist damit eine eindeutige zeitliche Zäsur (Zeitpunkt<br />
des schädlichen Beteiligungserwerbs) angeordnet. <strong>Die</strong>se<br />
Zäsur kann je nach dem konkreten Zeitpunkt des schädlichen<br />
Beteiligungserwerbs aber auch als Abkürzung der<br />
Ermittlungsperiode im laufenden Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr<br />
eintreten („unterjähriger Beteiligungserwerb“),<br />
was wiederum sowohl die Einbeziehung zeitpunktbezogen<br />
vorher erwirtschafteter negativer Einkünfte als auch positiver<br />
Einkünfte rechtfertigt. Gegenstand des Verlustabzugsverbots<br />
des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. ist dann entweder die<br />
Summe aus dem verbleibenden Verlustvortrag (Feststellung<br />
zum 31.12. des Vorjahres bei kalenderjahrgleichem<br />
Wirtschaftsjahr) und dem „laufenden Verlust“ (so auch<br />
BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK<br />
2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u.<br />
1064, Tz. 31, dort S. 1; s. auch Begründung des Gesetzentwurfs,<br />
BT-Drucks. 16/4841, S. 76) oder der Saldo aus dem<br />
verbleibenden Verlustvortrag und dem „laufenden Gewinn“.<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 411<br />
Steuerrecht<br />
[14] Jedenfalls hat der Gesetzgeber die zweite Variante<br />
nicht dadurch ausgeschlossen, dass er von negativen Einkünften<br />
spricht – denn dies umschreibt lediglich die<br />
Grundlage einer Verlustabzugsbeschränkung und bezieht<br />
sich auf den Gesamtumfang des bisher nicht genutzten<br />
Verlusts, der sich aus nicht ausgeglichenen negativen Einkünften<br />
und nicht abgezogenen negativen Einkünften zusammensetzt.<br />
[15] bbb) Auf dieser Grundlage kommt dem Regelungszweck<br />
entscheidende Bedeutung zu. Der Verlustabzugsbeschränkung<br />
liegt nach der Begründung des Gesetzentwurfs<br />
(BT-Drucks. 16/4841, S. 76) der Gedanke zugrunde, dass<br />
sich ungeachtet des Trennungsprinzips „die wirtschaftliche<br />
Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche<br />
Engagement eines anderen Anteilseigners“ ändert. <strong>Die</strong> in<br />
früherer Zeit erwirtschafteten Verluste sollen für das „neue<br />
wirtschaftliche Engagement“ unberücksichtigt bleiben.<br />
[16] Wenn damit das wirtschaftliche Ergebnis der Kapitalgesellschaft<br />
nach dem schädlichen Beteiligungserwerb<br />
von dem vor diesem Zeitpunkt erwirtschafteten (negativen)<br />
Ergebnis unbeeinträchtigt bleiben soll, spricht nichts<br />
dafür, bei dieser Separierung ein vor diesem Zeitpunkt erzieltes<br />
positives Zwischenergebnis auszusparen. Der bisher<br />
nicht ausgeglichene Verlust (Verlustvortrag) wird in<br />
der Höhe eines bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />
erzielten Gewinns gerade nicht für das „neue“, sondern<br />
noch für das „alte“ wirtschaftliche Engagement genutzt (s.<br />
auch BFH v. 5.6.2007 – I R 9/06, BFHE 218, 207 = BStBl.<br />
II 2008, 988 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 48 m. Komm. Breuninger/<br />
Frey/Schade – zum maßgeblichen Zeitpunkt für den Ausschluss<br />
des Verlustabzugs nach der Vorgängerregelung des<br />
§ 8 Abs. 4 KStG 2002; v. 22.1.2009 – IV R 90/05, BFHE<br />
224, 364 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 496 – zum gewerbesteuerrechtlichen<br />
Verlustvortrag). <strong>Die</strong>sem Grundgedanken entspricht<br />
auch die unstreitige Praxis, bis zum schädlichen Beteiligungserwerb<br />
erwirtschaftete negative Einkünfte unabhängig<br />
von einem Ablauf einer gesetzlichen Ermittlungsperiode<br />
(Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr) in die Verlustabzugsbeschränkung<br />
einzubeziehen (s. zu aaa).<br />
[17] <strong>Die</strong>sem Ergebnis kann nicht mit Erfolg entgegengehalten<br />
werden, dass es an einer Rechtsgrundlage für den<br />
Abzug des Verlustvortrags von bis zum schädlichen (unterjährigem)<br />
Beteiligungserwerb angefallenen positiven Einkünften<br />
fehle, da § 10d Abs. 2 EStG den Abzug nur zum<br />
Ende eines folgenden Veranlagungszeitraums zulasse (so<br />
z.B. Mössner/Seeger/Rätke, KStG, § 8c Rz. 368). Denn es<br />
geht insoweit nicht um die (veranlagungstechnischen) Voraussetzungen<br />
des Verlustabzugs im Jahr des schädlichen<br />
Beteiligungserwerbs, sondern um die Bemessung des<br />
„nicht genutzte(n) Verlust(s)“ i.S.d. § 8c S. 1 KStG 2002<br />
n.F. als Gegenstand der Verlustabzugsbeschränkung (z.B.<br />
Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Zerwas/Fröhlich<br />
in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,<br />
2010, S. 213).<br />
[18] bb) Hiernach war der für die Kl.in zum 31.12.2007<br />
festgestellte verbleibende Verlustvortrag i.H.v. 60.046 c<br />
im Streitjahr in voller Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte<br />
abzuziehen. Ein sog. nicht genutzter Verlust i.S.d.<br />
§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F. besteht nicht, da der Gesamtbetrag<br />
der Einkünfte des Streitjahres von 163.300 c i.H. eines<br />
Betrags von 60.046 c auf den Zeitraum bis zum schädlichen<br />
Beteiligungserwerb am 3.7.2008 entfiel. Insoweit<br />
ist der Senat an die entsprechende tatrichterliche Feststellung<br />
gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), die auf dem Zwi-
schenabschluss der Kl.in zum 31.5.2008, einer Hinzurechnung<br />
von nicht abziehbaren Betriebsausgaben und einer<br />
Hinzuschätzung bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs<br />
beruht; darüber hinaus ist diese Feststellung<br />
durch eine entsprechende tatsächliche Verständigung<br />
der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung beim FG<br />
abgesichert.<br />
2. Kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens<br />
[19] Da auf dieser Grundlage die Verlustabzugsbeschränkung<br />
des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. die Höhe der festzusetzenden<br />
Körperschaftsteuer des Streitjahres nicht berührt,<br />
liegt ein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74<br />
FGO) bis zum Abschluss des Normenkontrollverfahrens<br />
beim BVerfG (2 BvL 6/11) nicht vor.<br />
3. Keine Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens<br />
[20] Der bei der Einkommensermittlung der Kl.in zu berücksichtigende<br />
Verlustabzug ist auch nicht nach § 8<br />
Abs. 4 KStG 2002 i.V.m. § 34 Abs. 6 S. 4 KStG 2002 n.F.<br />
ausgeschlossen. Unabhängig von der Frage, ob mit der im<br />
Streitjahr erfolgten Anteilsübertragung mehr als die Hälfte<br />
der Anteile an der Kl.in innerhalb eines vor dem 1.1.2008<br />
beginnenden Zeitraums von fünf Jahren übertragen wurden,<br />
fehlt es an der vom Tatbestand des § 8 Abs. 4 S. 2<br />
KStG 2002 geforderten Zuführung überwiegend neuen<br />
Betriebsvermögens im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang<br />
mit der Anteilsübertragung. Das FG hat entsprechende<br />
Feststellungen nicht getroffen.<br />
Der <strong>GmbH</strong>R-Kommentar<br />
Der durch das UntStRefG 2008 v. 14.8.2007 (BGBl. I<br />
2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630) eingefügte § 8c KStG ist<br />
trotz seines noch „jungen Lebensalters“ eine der kontrovers<br />
diskutiertesten Vorschriften des deutschen Unternehmensteuerrechts<br />
(zu einem Literaturüberblick s. z.B. Suchanek<br />
in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c<br />
KStG vor Anm. 1). Neben ihn umgebenden verfassungsrechtlichen<br />
Zweifeln (s. hierzu nur J. Lang, <strong>GmbH</strong>R 2012,<br />
57 ff.; ferner den Vorlagebeschluss des FG Hamburg v.<br />
4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 = <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />
711 m. Komm. Roser; Az. des BVerfG: 2 BvL 6/11) stellen<br />
sich sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenebene<br />
eine Vielzahl von Einzelfragen, die – obwohl<br />
§ 8c KStG in seiner grundsätzlichen Wirkungsweise absolut<br />
simpel ist – einer gerichtlichen Klärung bedürfen.<br />
Mit vorstehend abgedruckter Entscheidung v. 30.11.2011 –<br />
I R 14/11 nimmt der BFH erstmalig zu einer materiellrechtlich<br />
offenen Frage auf der Rechtsfolgenebene des<br />
§ 8c KStG Stellung und beantwortet sie gegen die Auffassung<br />
der Finanzverwaltung im Sinne der Steuerpflichtigen.<br />
Einer Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss<br />
des Normenkontrollverfahrens beim BVerfG (Az.: 2 BvL<br />
6/11) bedurfte es somit nicht.<br />
I. <strong>Die</strong> Entscheidung<br />
Im Urteilssachverhalt wurde auf den 31.12.2007 zugunsten<br />
der Klägerin ein körperschaftsteuerlicher Verlustvortrag<br />
festgestellt. Im Juli 2008 übertrug der Altgesellschafter<br />
50 % der Anteile an der Klägerin auf einen Erwerber, so<br />
dass grundsätzlich zu diesem Tag der Tatbestand des § 8c<br />
Abs. 1 S. 1 KStG verwirklicht wurde. Das beklagte Finanzamt<br />
beabsichtigte daraufhin, die Hälfte des auf den<br />
Rechtsprechung<br />
412 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
31.12.2007 festgestellten Verlustvortrags untergehen zu<br />
lassen, ohne im Vorfeld eine Verrechnung des bis zum<br />
schädlichen Beteiligungserwerb entstandenen Gewinns<br />
mit dem Verlustvortrag per 31.12.2007 zuzulassen (so<br />
auch BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –<br />
DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008,<br />
883 u. 1064, Tz. 31 S. 2).<br />
<strong>Die</strong>ser Auslegung der Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1<br />
KStG ist der I. Senat mit der hier in Rede stehenden Entscheidung<br />
mit überzeugenden Gründen entgegengetreten,<br />
die sich letztendlich auf die Frage nach dem Zweck der<br />
Rechtsfolgen des § 8c KStG konzentrieren. <strong>Die</strong>s ist der<br />
Ausschluss der nicht genutzten Verluste, die vor dem<br />
schädlichen Beteiligungserwerb entstanden sind, für das<br />
wirtschaftliche Engagement des neuen Anteilseigners (so<br />
BT-Drucks. 16/4841, S. 76). Dementsprechend geht der<br />
BFH davon aus, dass mit der Realisierung eines schädlichen<br />
Beteiligungserwerbs eine zeitliche Zäsur stattfindet,<br />
die letztendlich (nur) den Saldo aus dem Verlustvortrag<br />
zum Ende des vorangegangenen Veranlagungszeitraums<br />
und dem bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschafteten<br />
Gewinn / Verlust mit einem Verlustabzugsverbot<br />
belegt.<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung ist richtig und zu begrüßen. Insbesondere<br />
hätte auch ein Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Einkünfteermittlung<br />
nach § 7 Abs. 3 S. 2 KStG hergestellt<br />
werden oder der Verlustabzug an den veranlagungstechnischen<br />
Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d<br />
Abs. 2 EStG scheitern können. Beidem wurde allerdings<br />
am Zweck der Rechtsfolgen des § 8c KStG orientiert eine<br />
klare Absage erteilt.<br />
II. Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf unterjährigen<br />
schädlichen Beteiligungserwerb bei Organschaft<br />
Vorstehendes lässt hoffen, dass der BFH eine entsprechende<br />
Entscheidung auch für den unterjährigen schädlichen<br />
Beteiligungserwerb in den Fällen der Organschaft treffen<br />
wird. Durch den Einbezug auch mittelbarer BeteiligungserwerbeindieTatbeständedes§8cAbs.1S.1u.2KStG<br />
sollen von seinen Rechtsfolgen im Fall des schädlichen<br />
Beteiligungserwerbs an einem Organträger auch die laufenden<br />
Verluste von Organgesellschaften erfasst sein (so<br />
BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK<br />
2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 883 u.<br />
1064, Tz. 33). <strong>Die</strong>s führt im Organschaftskonzern dazu,<br />
dass die unterjährigen Verluste der defizitären Organgesellschaften<br />
für eine Verrechnung mit positiven Ergebnissen<br />
des Organträgers oder anderer Organgesellschaften am<br />
Ende des Wirtschaftsjahres nicht zur Verfügung stehen, da<br />
die Einkommenszurechnung der Organgesellschaften an<br />
den Organträger nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG wirtschaftsjahrbezogen<br />
und damit nach dem Übertragungsstichtag erfolgt<br />
(zur wirtschaftsjahrbezogenen Einkommenszurechnung<br />
s. nur Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/<br />
KStG, § 14 KStG Anm. 87). Daraus resultieren in vielen<br />
Fällen völlig unsachgemäße und auch nicht zu kontrollierende<br />
Ergebnisse (zu einem Beispielsfall s. Suchanek in<br />
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG<br />
Anm. 32a).<br />
Auch auf diesen Fall lässt sich die an dem Zweck der<br />
Rechtsfolgen des § 8c KStG orientierte Auslegung des<br />
BFH in vorstehender Entscheidung übertragen, indem auf<br />
den Tag des schädlichen Beteiligungserwerbs i.S.d. § 8c
Abs. 1 S. 1 oder 2 KStG eine Ergebnisermittlung für den<br />
gesamten Organkreis zugelassen wird, so dass nur für das<br />
zu diesem Zeitpunkt vorhandene saldierte Organschaftsergebnis<br />
– ggf. nach Verrechnung mit einem vortragsfähigen<br />
Verlust – die Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1 oder 2<br />
KStG eintreten, da nur dieser der nicht genutzte Verlust ist,<br />
der nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks.<br />
16/4841, S. 76) für das wirtschaftliche Engagement des<br />
neuen Anteilseigners nicht mehr zur Verfügung stehen<br />
soll. Hier ist zuzugeben, dass es, um zu diesem Ergebnis zu<br />
gelangen, einer zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzlich vorgesehenen<br />
Einkommenszurechnung der Organgesellschaften<br />
an den Organträger bedarf. Andererseits ist aber<br />
auch schlicht festzustellen, dass die Regelungen des § 8c<br />
KStG nicht mit denen des § 14 KStG abgestimmt sind und<br />
somit von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes<br />
auszugehen ist, die durch eine am Zweck des § 8c<br />
KStG orientierte Auslegung zu schließen ist.<br />
III. Was bleibt von der Entscheidung?<br />
Zu obiger Entscheidung lässt sich festhalten, dass der BFH<br />
trotz aller verfassungsrechtlichen Zweifel, die § 8c KStG<br />
umgeben, bemüht ist, auf die materiellen Rechtsfragen<br />
Antworten zu geben. Hier bietet der weite, aber auch vielfach<br />
offene Wortlaut des § 8c Abs. 1 S. 1 u. 2 KStG eben<br />
doch Auslegungsmöglichkeiten, die zweckorientiert vernünftige<br />
Ergebnisse zum Inhalt haben, ohne dass das Verfassungsrecht<br />
bemüht werden muss, um § 8c KStG auf ein<br />
„erträgliches Maß“ zu reduzieren. Zu hoffen bleibt, dass<br />
der BFH dieser Linie auch in zukünftigen Entscheidungen<br />
treu bleibt.<br />
Dipl.-Finanzw. Markus Suchanek, Steuerberater,<br />
Düsseldorf<br />
(Warth & Klein Grant Thornton AG<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)<br />
Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaft<br />
kein wichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebung<br />
des Gewinnabführungsvertrags<br />
KStG 1999 § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 u. 2, § 17; GewStG § 2<br />
Abs. 2 S. 2; AktG § 291; AktG 1965 § 297<br />
1. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der Organgesellschaft,<br />
die möglicherweise aus Unstimmigkeiten zwischen der Organgesellschaft<br />
und einem wichtigen Vertragspartner entstehen<br />
könnten, stellen grundsätzlich keinen wichtigen<br />
Grund für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags<br />
(GAV) i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 KStG 1999<br />
dar. <strong>Die</strong> Bedrohung der Lebensfähigkeit des gesamten Konzerns<br />
könnte als Ausnahme von diesem Grundsatz gelten.<br />
2. Maßgeblich für eine steuerlich unschädliche Beendigungsmöglichkeit<br />
eines GAV ist das Vorliegen eines wichtigen<br />
Grundes, nicht die Form der Beendigung (hier: einvernehmliche<br />
Aufhebung des GAV).<br />
FG Brandenburg, Urt. v. 19.10.2011 – 12 K 12078/08<br />
(rechtskräftig)<br />
� Aus dem Tatbestand:<br />
<strong>Die</strong> Beteiligten streiten über die Anerkennung einer körperschaft-<br />
und gewerbesteuerlichen Organschaft zwischen<br />
der Klägerin (Kl.in) und ihrer alleinigen Anteilseignerin,<br />
der C-<strong>GmbH</strong>, die später als D-<strong>GmbH</strong> firmierte (D).<br />
Rechtsprechung<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 413<br />
Steuerrecht<br />
<strong>Die</strong> Kl.in errichtet und betreibt Eisenbahnen, Eisenbahnanlagen<br />
und Güterkraftverkehre. Seit dem 15.12.19... besteht<br />
ein Eisenbahnrahmenvertrag zwischen der Kl.in und<br />
der E-<strong>GmbH</strong> (E). Danach hatte die Kl.in eine nicht bundeseigene<br />
Eisenbahn zu bauen und das Umschlaggeschäft für<br />
E zu betreiben. Der Umschlagplatz befindet sich auf dem<br />
Grundstück der E. <strong>Die</strong> Kl.in konnte ihre Leistung auch<br />
Dritten anbieten; vorrangig war jedoch die Leistung an E.<br />
<strong>Die</strong> Kl.in erzielte 92 % ihrer Einnahmen aus diesem Vertrag.<br />
Der Vertrag bestand bis zum 31.12.2002 und verlängerte<br />
sich um weitere fünf Jahre, wenn er nicht mit einer<br />
Kündigungsfrist von mindestens zwölf Monaten zum jeweiligen<br />
Vertragszeitraum gekündigt wurde. Mit einer<br />
Kündigungsfrist von sechs Monaten konnte er aus wichtigem<br />
Grund gekündigt werden (§ 13 des Vertrags). Ein<br />
wichtiger Grund sollte insbesondere gegeben sein, wenn<br />
eine Partei trotz Abmahnung einer wesentlichen Verpflichtung<br />
aus dem Vertrag zuwiderhandelte, insbesondere,<br />
wenn die für E erbrachten Leistungen wesentlich von dem<br />
vereinbarten Leistungsumfang abwichen oder wenn die<br />
Eröffnung eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens über<br />
das Vermögen einer Partei beantragt oder die Liquidation<br />
einer Partei beschlossen wurde oder eine sonstige wesentliche<br />
Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen<br />
einer Partei eintrat. Nach § 9 Abs. 2 des als Anlage 2 zum<br />
Rahmenvertrag bestehenden <strong>Die</strong>nstleistungsvertrags kann<br />
der Vertrag mit einer Frist von zwölf Monaten zum Ende<br />
des nächsten Kalenderjahres gekündigt werden, wenn sich<br />
die Parteien nicht bis zum 30. November eines Jahres auf<br />
den Wirtschaftsplan für das nächste Jahr einigen. Bei Beendigung<br />
des Vertrags hatte die Kl.in die Eisenbahnanlage<br />
an E zu verkaufen (§ 14 des Vertrags).<br />
<strong>Die</strong> Kl.in schloss am 31.8.2000 mit Wirkung zum 1.1.2001<br />
einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit<br />
ihrer alleinigen Anteilseignerin, der C, ab.<br />
Zwischen der Kl.in und E fanden jährlich Abschlussgespräche<br />
statt, die bis zum Jahre 2002 stets einvernehmlich<br />
abliefen. Im Jahre 2002 beanstandete E erstmals einen Abrechnungsposten<br />
der Kl.in, nämlich die Rücklage für die<br />
Ersatzbeschaffung einer Lok i.H.v. 100.000 c.MitSchreiben<br />
v. 1.11.2002 machte E eine Reihe von Zahlungs- bzw.<br />
Erstattungsansprüchen – insgesamt 1.614.825,49 c –gegendieKl.ingeltend.<strong>Die</strong>Kl.inwehrtesichgegendiese<br />
Ansprüche, woraufhin E die monatlichen Zahlungen an die<br />
Kl.in einstellte, was wiederum zur Folge hatte, dass die<br />
Kl.in drohte, die Bedienung der Schienenanbindung einzustellen.<br />
<strong>Die</strong> Kl.in befürchtete danach, dass E den Rahmenvertrag<br />
aus wichtigem Grund kündigen könnte. Sie holte im März<br />
2003 ein Rechtsgutachten ein, in dem der drohende Schaden<br />
im Falle einer Kündigung berechnet wurde. In diesem<br />
Gutachten wird einleitend in der Sachverhaltsschilderung<br />
ausgeführt, dass eine Kündigung des Rahmenvertrags<br />
durch E zum Ende des Jahres 2003 wirksam werden würde,<br />
so dass eine Berechnung der finanziellen Auswirkungen<br />
einer Kündigung auf den Stichtag 31.12.2003 abstellen<br />
müsse. Da die Berechnungen einer – offenbar bei der<br />
Kl.in beschäftigten – Frau F auf Daten zum Stichtag<br />
31.12.2001 basierten, ging das Gutachten aus Vereinfachungsgründen<br />
ebenfalls von diesem Stichtag aus. Das<br />
Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Kl.in entweder<br />
von der E nichts erhalten, an sie aber auch nichts zu<br />
zahlen haben werde oder sich eine Zahlungspflicht der<br />
Kl.in gegenüber E i.H.v. 287 585,46 DM ergeben könnte.
Mit Wirkung zum 31.12.2002 hoben die Kl.in und die C<br />
den Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag einvernehmlich<br />
auf. Nach den Ausführungen der Kl.in hatte dies<br />
u.a. den Grund, dass die C sich vor der Notwendigkeit der<br />
Tilgung der hohen Forderung der E gegenüber ihr, der<br />
Kl.in, habe schützen wollen.<br />
In der Folgezeit wurde der Rahmenvertrag neu verhandelt;<br />
die Kl.in musste danach bei gleichem Leistungsumfang<br />
geringere Gegenleistungen der E akzeptieren.<br />
Das FA nahm bei der Kl.in im Jahre 2006 eine abgekürzte<br />
Außenprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 vor. <strong>Die</strong> Prüferin<br />
ging danach davon aus, dass der Gewinnabführungsvertrag<br />
wegen der einvernehmlichen Aufhebung von<br />
Anfang an als steuerrechtlich unbeachtlich anzusehen und<br />
die Kl.in nach den allgemeinen Vorschriften zur Körperschaftsteuer<br />
zu veranlagen sei. Das FA folgte der Auffassung<br />
der Prüferin und erließ die hier angefochtenen Bescheide.<br />
Der Einspruch der Kl.in dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung<br />
v. 10.4.2008). ...<br />
� Aus den Entscheidungsgründen:<br />
<strong>Die</strong> Klage ist ... nicht begründet. <strong>Die</strong> angefochtenen<br />
Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kl.in nicht in<br />
ihrenRechten(§100Abs.1S.1FGO).DasFAhatdie<br />
Berücksichtigung einer steuerlichen Organschaft gemäß<br />
§14ff.KStG–fürdieGewerbesteueri.V.m.§2Abs.2<br />
S. 2 GewStG – zu Recht rückwirkend für die Streitjahre<br />
versagt.<br />
a) Verpflichtet sich eine der in § 14 Abs. 1 KStG bezeichneten<br />
Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz<br />
im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag<br />
i.S.d. § 291 AktG, ihren ganzen Gewinn an<br />
ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen,<br />
so ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweit<br />
sich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, dem Träger des<br />
Unternehmens (Organträger) unter den in § 14 KStG benannten<br />
Voraussetzungen zuzurechnen. Eine dieser Voraussetzungen<br />
ist, dass der Vertrag bis zum Ende des Wirtschaftsjahres<br />
der Organgesellschaft, für das erstmals eine<br />
Einkommenszurechnung zum Organträger erfolgen soll,<br />
auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und für diese Zeit<br />
tatsächlich durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1<br />
KStG). <strong>Die</strong> §§ 14 bis 16 KStG gelten gemäß § 17 KStG<br />
entsprechend, wenn eine andere als die in § 14 Abs. 1 S. 1<br />
KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung<br />
und Sitz im Inland, also insbesondere auch eine inländische<br />
<strong>GmbH</strong>, sich wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn<br />
an ein anderes Unternehmen i.S.d. § 14 KStG abzuführen<br />
(vgl. zum Ganzen BFH v. 12.1.2011 – I R 3/10,<br />
BStBl. II 2011, 727 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 544 m. Komm. Walter,unterII.1.).<br />
<strong>Die</strong> vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags<br />
führt dazu, dass das Organschaftsverhältnis steuerlich<br />
als von Anfang an unwirksam anzusehen ist (R 60<br />
Abs. 6 S. 5 KStR; vgl. auch Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806).<br />
Eine vorzeitige Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />
durch Kündigung ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3<br />
S. 2 KStG allerdings unschädlich, wenn ein wichtiger<br />
Grund die Kündigung rechtfertigt.<br />
b) Hier fehlt es an einem auf fünf Jahre abgeschlossenen<br />
und während dieses Zeitraums durchgeführten Gewinnab-<br />
Rechtsprechung<br />
414 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Steuerrecht<br />
führungsvertrag. Zwar haben die Kl.in und die C einen fünf<br />
Jahre laufenden Gewinnabführungsvertrag geschlossen.<br />
<strong>Die</strong>ser Vertrag ist jedoch vorzeitig aufgehoben worden. In<br />
der einvernehmlichen Aufhebung zum Ende des Jahres<br />
2002 ist keine Kündigung aus wichtigem Grund i.S.d. § 14<br />
Abs.1S.1Nr.3S.2KStGzusehen.<br />
aa) Unschädlich ist es allerdings, dass der Gewinnabführungsvertrag<br />
durch Aufhebungsvertrag und nicht durch<br />
eine Kündigung beendet wurde. Zwar suggeriert der Wortlaut<br />
des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG, der in S. 2 nur die<br />
Kündigung und in S. 3 sowohl die Kündigung als auch die<br />
Aufhebung des Gewinnabführungsvertrags erwähnt, dass<br />
von S. 2 tatsächlich auch nur Fälle der Kündigung erfasst<br />
seien. <strong>Die</strong> h.M. geht jedoch zutreffend davon aus, dass der<br />
durch das Steueränderungsgesetz 1992 v. 25.2.1992<br />
(BGBl. I 1992, 297 ff.) neu formulierte § 14 Abs. 1 S. 1<br />
Nr. 3 KStG nicht der schon zuvor nicht zuletzt von der Finanzverwaltung<br />
(R 60 Abs. 6 S. 1 KStR; vgl. auch bereits<br />
BMF v. 30.12.1971 – F/IV B 5 - S 2755 - 42/71, BStBl. I<br />
1972, 2) vertretenen Auffassung, dass auch andere Beendigungsformen<br />
bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unschädlich<br />
seien, entgegentreten wollte. Nach dem Sinn und<br />
Zweckdes§14Abs.1S.1Nr.3KStG,dereinewillkürliche<br />
Verschiebung von Gewinnen zwischen Organträger<br />
und Organgesellschaft verhindern will (BFH v. 12.1.2011<br />
– I R 3/10, BStBl. II 2011, 727 = <strong>GmbH</strong>R 2011, 544 m.<br />
Komm. Walter, unter II.2.c] bb]; Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011,<br />
806 [807]; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/<br />
KStG, § 14 KStG Anm. 212), ist maßgeblich für eine<br />
steuerliche unschädliche Beendigungsmöglichkeit eines<br />
Gewinnabführungsvertrags das Vorliegen eines wichtigen<br />
Grundes, nicht die Form der Beendigung (Lange,<strong>GmbH</strong>R<br />
2011, 806 [807], m.w.N.; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach,<br />
EStG/KStG, § 14 KStG Anm. 212, m.w.N.; i.Erg.<br />
ebenso Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14<br />
KStG Rz. 133).<br />
bb) Es lag jedoch kein wichtiger Grund i.S.d. § 14 Abs. 1<br />
S.1Nr.3KStGvor.<br />
(1) Als wichtiger Grund wird – neben anderen, hier unstreitig<br />
nicht vorliegenden Fällen – u.a. der Fall genannt,<br />
dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die<br />
Vertragsparteien im Vergleich zu denen bei Abschluss des<br />
Gewinnabführungsvertrags ändern, so dass bei vernünftiger<br />
kaufmännischer Beurteilung die Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />
als sachgerecht anzusehen ist<br />
(Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [809], m.w.N.). Das setzt voraus,<br />
dass die Änderung der Verhältnisse nicht willkürlich<br />
herbeigeführt wird (Lange,<strong>GmbH</strong>R2011,806[810]).Ein<br />
wichtiger Grund in diesem Sinne wird angenommen, wenn<br />
der Organträger voraussichtlich nicht mehr in der Lage<br />
sein wird, seine Pflichten aus dem Gewinnabführungsvertrag<br />
zu erfüllen (Danelsing in Blümich, EStG/KStG/<br />
GewStG, § 14 KStG Rz. 133; Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806<br />
[810]). Des weiteren stellen die Veräußerung oder Einbringung<br />
der Organbeteiligung durch den Organträger, die Verschmelzung,<br />
Spaltung oder Liquidation des Organträgers<br />
oder der Organgesellschaft, der Börsengang der Organgesellschaft<br />
und unter bestimmten Umständen auch der erstmalige<br />
Beitritt eines außenstehenden Gesellschafters einen<br />
wichtigen Grund i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG dar<br />
(Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [810 ff.]; vgl. auch Sterner in<br />
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG<br />
Anm. 213). Auch die Vertragsverletzung einer Partei trotz<br />
Abmahnung wird als wichtiger Grund angesehen (Danel-
Verwaltungsanweisungen<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 415<br />
sing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG<br />
Rz. 133)<br />
(2) Mit den vorbezeichneten Szenarien, die als wichtiger<br />
Grund anerkannt sind, ist die hier vorliegende Sachlage<br />
nicht vergleichbar. Hier bestanden lediglich Unstimmigkeiten<br />
zwischen der Organgesellschaft und einem – wenn<br />
auch besonders wichtigen – Vertragspartner. <strong>Die</strong>se hätten<br />
zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Organgesellschaft<br />
führen können, die indes, wenn man den Sinn und Zweck<br />
der Regelungen über die Organschaft zugrunde legt, nicht<br />
zur außerordentlichen Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />
berechtigen. Es soll, wie oben dargestellt,<br />
die willkürliche Verschiebung von Gewinnen und VerlustenzwischenOrganträgerundOrgangesellschaftverhindert<br />
werden. Dann aber muss die wirtschaftliche Lage der<br />
Organgesellschaft steuerlich unerheblich sein. Eine abweichende<br />
gesellschaftsrechtliche Sicht im Hinblick auf § 297<br />
AktG ist für die steuerliche Beurteilung, die eine gleichmäßige<br />
Besteuerung aller Steuerpflichtigen nach ihrer Leistungsfähigkeit<br />
zu gewährleisten hat, nicht von Belang<br />
(ebens i.Erg. Lange, <strong>GmbH</strong>R 2011, 806 [809], m.w.N.).<br />
Steuerlich wird eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass<br />
die Verschlechterung der Ertragslage der Organgesellschaft<br />
keinen wichtigen Grund darstellt, allenfalls dann anerkannt,<br />
wenn der Fortbestand des Gewinnabführungsvertrags<br />
die Lebensfähigkeit des ganzen Konzerns bedroht<br />
(Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG<br />
Rz. 133). Dafür hat die Kl.in hier nichts vorgetragen; der<br />
Inhalt der Akten gibt auch keinen Anhaltspunkt, dass dieser<br />
Fall hier gegeben sein könnte.<br />
Keinesfalls war eine außerordentliche Beendigung des Gewinnabführungsvertrags<br />
jedenfalls zum Ende des Jahres<br />
2002 gerechtfertigt. E hätte sich erst zum Ende des Jahres<br />
2003 von dem Rahmenvertrag lösen können. Ein wichtiger<br />
Grund i.S.d. § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrags lag nicht vor.<br />
Weder hatte eine der Vertragsparteien trotz Abmahnung<br />
einer wesentlichen Verpflichtung aus dem Vertrag zuwidergehandelt<br />
(hinsichtlich der Zahlungseinstellung durch<br />
E fehlte es zumindest an einer Abmahnung durch die<br />
Kl.in), noch war die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenz-<br />
oder Vergleichsverfahrens über das Vermögen einer<br />
Partei beantragt, die Liquidation einer Partei beschlossen<br />
oder eine sonstige wesentliche Verschlechterung in den<br />
Vermögensverhältnissen einer Partei eingetreten. <strong>Die</strong> drohende<br />
wirtschaftliche Verschlechterung der Kl.in, die<br />
möglicherweise durch die Beendigung des Rahmenvertrags<br />
eingetreten wäre, hat insoweit außer Betracht zu bleiben,<br />
weil eine Folge, die durch die Beendigung des Vertrags<br />
eintritt, nicht die Voraussetzung für gerade diese Beendigung<br />
darstellen kann. Dementsprechend geht auch das<br />
von der Kl.in in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von<br />
einer Beendigung des Rahmenvertrags durch E frühestens<br />
zum 31.12.2003 aus, nachdem die Vertragsparteien sich<br />
bis zum 30.11.2002 ersichtlich nicht auf einen Wirtschaftsplan<br />
für das Folgejahr geeinigt hatten. Warum der C insoweit<br />
ein Zuwarten bis zum Jahre 2003 nicht zuzumuten gewesen<br />
sein könnte, wie die Kl.in geltend macht, ist nicht ersichtlich.<br />
Insbesondere ist nicht erkennbar, warum später<br />
die Möglichkeit der außerordentlichen Beendigung des<br />
Gewinnabführungsvertrags nicht mehr gegeben gewesen<br />
sein sollte, wie die Kl.in vorträgt. Eine Beendigung des<br />
Gewinnabführungsvertrags durch einvernehmliche Aufhebung<br />
war im Laufe des Jahres 2003 zum Ende dieses<br />
Jahres ebenso möglich wie zum Ende des Jahres 2002. Insbesondere<br />
waren auch im Jahre 2003 keine außenstehen-<br />
den Gesellschafter an der C beteiligt, die eine einvernehmliche<br />
Aufhebung hätten erschweren können. ...<br />
Verwaltungsanweisungen<br />
Ausländische <strong>GmbH</strong>: Entlastungsberechtigung<br />
ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)<br />
BMF, Schr. v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK<br />
2011/1032913<br />
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit<br />
den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder<br />
gilt für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG1 i.d.F. des<br />
Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie<br />
zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2011,<br />
BGBl. I 2011, 2592 ff. Folgendes:<br />
1. Allgemeines<br />
<strong>Die</strong> Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG schränkt den Anspruch<br />
einer ausländischen Gesellschaft nach §§ 43b, 50g<br />
EStG oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der<br />
Doppelbesteuerung (DBA) auf Befreiung oder Ermäßigung<br />
von Kapitalertrag- oder Abzugssteuern nach § 50a<br />
EStG ein,<br />
– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, denen<br />
die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die<br />
Einkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlastungsberechtigung),<br />
und<br />
– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3<br />
S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nicht<br />
vorliegen (schädliche Erträge).<br />
<strong>Die</strong> Funktionsvoraussetzungen für unschädliche Erträge<br />
sind alternativ erfüllt,<br />
– soweit die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden<br />
Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge aus eigener<br />
Wirtschaftstätigkeit stammen oder<br />
– in Bezug auf die nicht eigenwirtschaftlichen Erträge für<br />
die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche<br />
oder sonst beachtliche Gründe vorhanden<br />
sind und die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren<br />
Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />
teilnimmt oder<br />
– § 50d Abs. 3 S. 5 EStG Anwendung findet.<br />
2. Anwendungsbereich<br />
Unter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG hat eine<br />
ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige<br />
oder teilweise Entlastung von der Kapitalertragsteuer oder<br />
der Abzugssteuer nach § 50a EStG. Ausgeschlossen werden<br />
hiernach Ansprüche auf völlige oder teilweise Erstattung<br />
einbehaltener Steuern (§ 50d Abs. 1 EStG) sowie auf<br />
völlige oder teilweise Freistellung vom Steuerabzug<br />
(§ 50d Abs. 2 EStG).<br />
1 <strong>Die</strong>ses Schreiben gilt für die unmittelbare Anwendung des § 50d<br />
Abs. 3 EStG. Soweit diese Vorschrift nur entsprechend anzuwenden<br />
ist, wie z.B. gemäß § 44a Abs. 9 S. 2 EStG, sind die<br />
Ausführungen dieses Schreibens nur nach dem Sinn und Zweck<br />
der Verweisungsvorschrift zu berücksichtigen.
Verwaltungsanweisungen<br />
416 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer unterliegende<br />
abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sich<br />
die Quellensteuer vorbehaltlich einer zusätzlichen persönlichen<br />
Entlastungsberechtigung im Verhältnis der unschädlichen<br />
Bruttoerträge zu den im Wirtschaftsjahr insgesamt<br />
erzielten Bruttoerträgen der ausländischen Gesellschaft<br />
(„Aufteilungsklausel“).<br />
Nicht in den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG<br />
fallen eventuelle Entlastungsansprüche, die sich aus der<br />
Zuweisung des Besteuerungsrechtes nach einem DBA für<br />
andere Einkünfte ergeben, z.B. Gewinne aus der Veräußerung<br />
von Beteiligungen.<br />
3. Ausländische Gesellschaft<br />
Der Begriff der Gesellschaft ist entsprechend dem jeweiligen<br />
Antrag i.S.d. einschlägigen DBA oder der §§ 43b<br />
Abs. 2 oder 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a) Doppelbuchst. aa)<br />
EStG auszulegen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) OECD-<br />
Musterabkommen bedeutet der Ausdruck „Gesellschaft“<br />
juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung<br />
wie juristische Personen behandelt werden. <strong>Die</strong> Einordnung<br />
einer Gesellschaft durch die Vertragsstaaten kann<br />
unterschiedlich ausfallen. Für deutsche Besteuerungszwecke<br />
erfolgt die Einordnung ausschließlich nach deutschem<br />
Steuerrecht (Typenvergleich). Unabhängig davon ist Entlastung<br />
von deutschen Abzugssteuern zu gewähren, wenn<br />
die Einkünfte nach dem Recht des anderen Staates dort als<br />
Einkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind.<br />
Daher ist eine ausländische Personengesellschaft, die nach<br />
ausländischem Recht als Kapitalgesellschaft behandelt<br />
wird, Gesellschaft i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG. 2<br />
Bei Anträgen nach §§ 43b oder 50g EStG ist darauf abzustellen,<br />
ob die Gesellschaft eine der in der Anlage 2 zu<br />
§ 43b EStG bzw. Anlage 3a zu § 50g EStG aufgeführten<br />
Rechtsformen aufweist und i.Ü. die jeweiligen weiteren<br />
Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.<br />
Ausländisch ist eine Gesellschaft, wenn sie weder Sitz<br />
noch Geschäftsleitung im Inland hat oder bei sog. Doppelansässigkeit<br />
nach dem maßgeblichen DBA im anderen<br />
Vertragsstaat als ansässig gilt.<br />
<strong>Die</strong> Ansässigkeit einer ausländischen Gesellschaft in<br />
einem anderen Vertragsstaat richtet sich nach Art. 4 Abs. 1<br />
u. 3 OECD-Musterabkommen bzw. der einschlägigen Vorschrift<br />
des maßgeblichen DBA.<br />
4. Persönliche Entlastungsberechtigung ausländischer<br />
Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)<br />
4.1 Gesellschafterbezogene Prüfung<br />
Eine ausländische Gesellschaft ist persönlich entlastungsberechtigt,<br />
soweit den an ihr beteiligten Personen ein Entlastungsanspruch<br />
nach §§ 43b, 50g EStG oder nach einem<br />
DBA zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten<br />
(Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung des<br />
Gesellschafters). <strong>Die</strong> Entlastungsberechtigung ist entsprechend<br />
dem Gesetzeswortlaut („soweit“) für jeden Gesellschafter<br />
gesondert zu prüfen. Gesellschafter mit Wohnsitz,<br />
Sitz oder Geschäftsleitung im Inland sind nicht entlastungsberechtigt.<br />
2 Auf die Einordnung einer ausländischen Gesellschaft nach dem<br />
innerstaatlichen deutschen Steuerrecht (Typenvergleich) kommt<br />
es insoweit nicht an. S. OECD-Musterkommentar, Tz. 5 zu<br />
Art. 1.<br />
4.2 Mittelbare persönliche Entlastungsberechtigung<br />
des Gesellschafters<br />
Handelt es sich bei dem Gesellschafter der ausländischen<br />
Gesellschaft um eine Gesellschaft, kommt es darauf an, ob<br />
diese nach einem DBA oder einer EU-Richtlinie persönlich<br />
entlastungsberechtigt ist (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />
Soweit die mittelbar beteiligte Gesellschaft sachlich<br />
nicht entlastungsberechtigt ist, ist zu prüfen, ob eine<br />
an ihr beteiligte Gesellschaft, sofern diese selbst persönlich<br />
entlastungsberechtigt ist, die sachlichen Funktionsvoraussetzungen<br />
des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG erfüllt. Im Hinblick<br />
auf Gesellschaften in einer Beteiligungskette muss<br />
stets für jede Gesellschaft in der Kette die persönliche Entlastungsberechtigung<br />
gegeben sein (vgl. BFH v. 20.3.2002<br />
– I R 38/00, BStBl. II 2002, 819 = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m.<br />
Komm. Roser). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Gesellschaften<br />
in der Kette im gleichen Umfang entlastungsberechtigt<br />
sind. Allerdings begrenzen die fiktiven Entlastungsansprüche<br />
der in der Beteiligungskette voranstehenden<br />
Gesellschafter die Höhe des Entlastungsanspruchs<br />
nachfolgender Gesellschafter (s. Tz. 12).<br />
4.3 Ausschluss der mittelbaren Entlastungsberechtigung<br />
Eine fehlende persönliche Entlastungsberechtigung<br />
schließt mögliche mittelbare Entlastungsberechtigungen<br />
nachfolgender Gesellschafter aus. Danach ist ein Gesellschafter<br />
dann nicht (mittelbar) persönlich entlastungsberechtigt,<br />
wenn er<br />
– in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist,<br />
– als außerhalb der EU ansässige Person nicht die Voraussetzungen<br />
der einschlägigen Richtlinien erfüllt,<br />
– die Rechtsform einer Gesellschaft hat, diese sachlich<br />
nicht entlastungsberechtigt (s. Tz. 1) ist und deren Gesellschafter<br />
ihrerseits in einem Nicht-DBA-Staat ansässig<br />
sind bzw. als außerhalb der EU ansässige Personen<br />
nicht die Voraussetzungen der einschlägigen EU-Richtlinien<br />
erfüllen oder<br />
– zwar in einem DBA-Staat und/oder innerhalb der EU<br />
ansässig ist, aber nicht die Vergünstigungen eines DBA<br />
bzw. der einschlägigen EU-Richtlinien geltend machen<br />
kann (hierunter fallen für Zwecke der unmittelbaren Anwendung<br />
des § 50d Abs. 3 EStG auch inländische Gesellschafter).<br />
Beispiel:<br />
An einer niederländischen B.V. ist u.a. auch eine Gesellschaft<br />
beteiligt, die ihren Sitz auf den Bermudas<br />
hat. An letzterer Gesellschaft sind u.a. natürliche Personen<br />
mit Wohnsitz in den USA beteiligt. <strong>Die</strong> fehlende<br />
persönliche Entlastungsberechtigung der Bermuda-<br />
Gesellschaft schließt einen möglichen Entlastungsanspruch<br />
eines Gesellschafters in den USA aus.<br />
5. Eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischen<br />
Gesellschaft (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)<br />
Soweit die im betreffenden Wirtschaftsjahr der ausländischen<br />
Gesellschaft erzielten Bruttoerträge aus eigener<br />
Wirtschaftstätigkeit stammen, besteht ein Anspruch auf<br />
Entlastung (s. Tz. 5.5). Dazu zählen auch die Bruttoerträge<br />
einer Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit<br />
derselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktionalenZusammenhangstehen(s.Tz.12)sowieZinserträge
Verwaltungsanweisungen<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 417<br />
einer Gesellschaft, die aus der verzinslichen Anlage entlastungsberechtigter<br />
Gewinne derselben Gesellschaft erzielt<br />
werden. Bruttoerträge sind die Bruttoerträge i.S.d. § 9<br />
AStG (s. Tz. 9.0.1 des BMF-Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 -<br />
S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004 Sonder-Nr. 1 – Anwendungsschreiben<br />
zum AStG). Dividenden und andere Erträge<br />
(z.B. Zinsen und Lizenzgebühren) von geleiteten Gesellschaften<br />
(s. Tz. 5.3) zählen zu den Bruttoerträgen des<br />
Bereiches der eigenen Wirtschaftstätigkeit.<br />
Im Erstattungsverfahren nach § 50d Abs. 1 EStG gilt das<br />
Jahr des Ertragszuflusses als betreffendes Wirtschaftsjahr.<br />
Im Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist es<br />
das Jahr der Antragstellung. <strong>Die</strong> Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />
Tätigkeit sind anhand des Jahresabschlusses<br />
des betreffenden Wirtschaftsjahres nachzuweisen.<br />
Sollte dieser noch nicht vorliegen, ist auf die Verhältnisse<br />
des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzustellen; sofern<br />
es für den Steuerpflichtigen günstiger ist, kann er<br />
rückwirkend die Erträge des Wirtschaftsjahres zugrunde<br />
legen, in dem sie angefallen sind. Bei Neugründung sind<br />
die Verhältnisse des ersten Wirtschaftsjahres nach der<br />
Gründung maßgebend.<br />
5.1 „Wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“<br />
Eine eigene Wirtschaftstätigkeit setzt eine über den Rahmen<br />
der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme<br />
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus<br />
(„wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“). <strong>Die</strong> Zwischenschaltung<br />
einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen<br />
Gesellschaft ist vor dem Hintergrund des Urteils des<br />
EuGH in der Rechtssache Cadbury-Schweppes (EuGH<br />
v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049 m.<br />
Komm. Kleinert) nur dann gerechtfertigt, wenn die Gesellschaft<br />
am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer<br />
gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig<br />
teilnimmt.<br />
Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr<br />
liegt auch vor, wenn <strong>Die</strong>nstleistungen gegenüber einer<br />
oder mehreren Konzerngesellschaften erbracht werden.<br />
Voraussetzung ist, dass die Leistungen gegen gesondertes<br />
Entgelt erbracht werden und wie gegenüber fremden Dritten<br />
abgerechnet werden.<br />
An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es nach § 50d<br />
Abs. 3 S. 3 EStG, soweit die ausländische Gesellschaft ihre<br />
Bruttoerträge aus der Verwaltung von eigenen und/oder<br />
fremden Wirtschaftsgütern erzielt, z.B. bei bloßem Erwerb<br />
von Beteiligungen (BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl.<br />
II 1986, 496) oder dem Halten von Stammkapital oder dem<br />
Halten und Verwalten von Vermögen (BFH v. 27.7.1976 –<br />
VIII R 55/72, BStBl. II 1977, 266; v. 29.7.1976 – VIII R<br />
142/73, BStBl. II 1976, 263).<br />
5.2 Aktive Beteiligungsverwaltung<br />
Hält die ausländische Gesellschaft in ihrem Betriebsvermögen<br />
Anteile an inländischen Gesellschaften, liegt eine<br />
eigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor, wenn Beteiligungen<br />
von einigem Gewicht erworben wurden, um gegenüber<br />
den Gesellschaften, an denen die Beteiligungen bestehen,<br />
geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen (aktive<br />
Beteiligungsverwaltung, s. BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/<br />
77, BStBl. II 1981, 339 [341]). Es reicht nicht aus, dass<br />
eine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische Betätigung<br />
geschäftsleitende Funktionen nur gegenüber einer<br />
Tochtergesellschaft ausübt oder lediglich Anteile an einer<br />
oder mehreren Tochtergesellschaften hält und sich dabei<br />
auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkt<br />
(passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligung<br />
von einigem Gewicht erworben wurde, hängt nicht von der<br />
Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab. Es kommt darauf<br />
an, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft tatsächlich<br />
Einfluss genommen wird.<br />
5.3 Geschäftsleitende Funktionen<br />
Geschäftsleitende Funktionen werden durch Führungsentscheidungen<br />
ausgeübt. Führungsentscheidungen zeichnen<br />
sich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit und<br />
Bedeutung aus, die sie für den Bestand der Beteiligungsgesellschaft<br />
(geleitete Gesellschaft) haben. Sie unterscheiden<br />
sich von Entscheidungen, die kurzfristig und ausführungsbezogen<br />
sind. <strong>Die</strong> Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen,<br />
wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewährung,<br />
reicht für die Qualifizierung als aktive Beteiligungsverwaltung<br />
nicht aus. Mündliche Führungsentscheidungen<br />
ohne hinreichende Dokumentation reichen zum<br />
Nachweis der geschäftsleitenden Funktion nicht aus.<br />
5.4 Auslagerung wesentlicher Geschäftstätigkeiten<br />
Eine eigene Wirtschaftstätigkeit liegt auch dann nicht vor,<br />
wenn die wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte,<br />
z.B. Anwaltskanzleien oder Managementgesellschaften,<br />
übertragen werden (§ 50d Abs. 3 S. 3 EStG).<br />
5.5 Gesellschafterbezogene Prüfung<br />
Soweit keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird, ist<br />
die sachliche Entlastungsberechtigung gesellschafterbezogen<br />
eingeschränkt.<br />
6. Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für<br />
die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft<br />
(§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG)<br />
Nimmt die ausländische Gesellschaft mit einem für ihren<br />
Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb<br />
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil, besteht<br />
ein Anspruch auf Entlastung, soweit die nicht aus<br />
einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit stammenden Erträge<br />
aus einem Geschäftsbereich stammen, für den die Einschaltung<br />
der ausländischen Gesellschaft aus wirtschaftlichen<br />
oder sonst beachtlichen Gründen gerechtfertigt ist.<br />
Ein wirtschaftlicher Grund liegt insbesondere dann vor,<br />
wenn mit der ausländischen Gesellschaft die Aufnahme<br />
einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Tz. 5 geplant<br />
ist und entsprechende Aktivitäten eindeutig nachgewiesen<br />
sind.<br />
An einem wirtschaftlichen Grund fehlt es insbesondere<br />
dann, wenn die ausländische Gesellschaft überwiegend der<br />
Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten dient, für<br />
eine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alterssicherung<br />
der Gesellschafter eingesetzt werden soll, vgl.<br />
BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265.<br />
Als sonst beachtliche Gründe können u.a. rechtliche, politische<br />
oder auch religiöse Gründe in Betracht kommen.<br />
Umstände, die sich aus den Verhältnissen des Konzernverbunds<br />
ergeben, wie z.B. Gründe der Koordination, Organisation,<br />
Aufbau der Kundenbeziehung, Kosten, örtliche<br />
Präferenzen, gesamtunternehmerische Konzeption, stellen<br />
keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe in<br />
diesem Sinne dar, vgl. auch Tz. 8.
Verwaltungsanweisungen<br />
418 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
Beispiel:<br />
An einer ausländischen Gesellschaft sind zu 100 %<br />
nicht entlastungsberechtigte Gesellschafter beteiligt.<br />
<strong>Die</strong> Gesellschaft erzielt zu 80 % Erträge, die nicht aus<br />
eigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen, wobei für<br />
60 % dieser Erträge die Einschaltung der Gesellschaft<br />
wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Ein für den Geschäftszweck<br />
angemessen ausgestatteter Geschäftsbetrieb<br />
liegt vor. <strong>Die</strong> dem Quellensteuerabzug unterliegenden<br />
deutschen Zahlungen sind zu 68 % [= 20 % (eigenwirtschaftliche<br />
Erträge) und 60 % * 80 % (§ 50d Abs. 3<br />
Nr. 1 u. 2 EStG)] entlastungsberechtigt.<br />
7. Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb (§ 50d<br />
Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG)<br />
<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat<br />
über einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten<br />
Geschäftsbetrieb verfügen (qualifiziertes Personal,<br />
Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel,<br />
BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819<br />
[822] = <strong>GmbH</strong>R 2002, 865 m. Komm. Roser), d.h. ein<br />
„greifbares Vorhandensein“ muss nachweisbar sein<br />
(EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, <strong>GmbH</strong>R 2006, 1049<br />
m. Komm. Kleinert). Indizien für ein solches „greifbares<br />
Vorhandensein“ liegen vor, wenn<br />
– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit<br />
ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal<br />
beschäftigt,<br />
– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation verfügt,<br />
um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich<br />
und selbstständig zu erfüllen,<br />
– die Geschäfte zwischen nahe stehenden Personen i.S.d.<br />
§ 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich (wie unter fremden<br />
Dritten) standhalten.<br />
8. Konzernverhältnisse (§ 50d Abs. 3 S. 2 EStG)<br />
Für die Prüfung der in Tz. 6 u. 7 genannten Ausschlussgründe<br />
ist ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländischen<br />
Gesellschaft und nicht auf den Konzernverbund abzustellen,<br />
deren Teil sie ist. Struktur und Strategiekonzepte<br />
des Konzerns führen deshalb nicht dazu, dass einer funktionslosen<br />
Konzerngesellschaft Steuerentlastungen gewährtwerdenkönnen.<strong>Die</strong>sgiltu.a.auchinFällenderOrganschaft<br />
oder fiskalen Einheit. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise<br />
ist nicht anzuwenden.<br />
9. Sonderfälle (§ 50d Abs. 3 S. 5 EStG)<br />
Vom Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG sind nur<br />
die folgenden ausländischen Gesellschaften ausgenommen:<br />
9.1 Gesellschaften mit börsengehandelten Aktien<br />
Gesellschaften, für deren Hauptgattung der Aktien ein wesentlicher<br />
und regelmäßiger Handel an einer anerkannten<br />
Börse stattfindet, fallen nicht in den Anwendungsbereich<br />
von § 50d Abs. 3 EStG. Der Begriff „anerkannte Börse“<br />
bedeutet organisierter Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 Wertpapierhandelsgesetz<br />
und vergleichbare Märkte mit Sitz außerhalb<br />
der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes.<br />
9.2 Investmentgesellschaften<br />
Ausgenommen sind nur ausländische Investmentvermögen<br />
des Kapitalgesellschaftstyps (d.h. mit einer Investmentaktiengesellschaft<br />
i.S.d. § 2 Abs. 5 Investmentgesetz<br />
vergleichbare Konstruktionen). <strong>Die</strong> Vorgabe zur Ermittlung<br />
der Erträge des Investmentvermögens nach den Regeln<br />
für Überschusseinkünfte (§ 3 Abs. 1 Investmentsteuergesetz)<br />
führt nicht zur Einstufung der Tätigkeit des<br />
Investmentvermögens als Vermögensverwaltung. Wegen<br />
der unterschiedlichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben im<br />
Ausland gilt dies auch dann, wenn die Verwaltung des Investmentvermögens<br />
auf eine besondere Verwaltungsgesellschaft<br />
ausgelagert wird.<br />
Handelt es sich bei der nach einem DBA oder einer EU-<br />
Richtlinie persönlich entlastungsberechtigten ausländischen<br />
Gesellschaft nicht um eine solche i.S.d. § 50d Abs. 3<br />
S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2), ist darauf abzustellen, ob eine an<br />
ihr unmittelbar oder mittelbar beteiligte Gesellschaft einen<br />
der Tatbestände des § 50d Abs. 3 S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2)<br />
erfüllt, sofern diese ebenfalls persönlich entlastungsberechtigt<br />
ist. Auch bei einer mittelbar beteiligten Gesellschaft<br />
muss die persönliche Entlastungsberechtigung gegeben<br />
sein.<br />
10. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu Missbrauchsregelungen<br />
in den DBA<br />
Der abkommensrechtlich mögliche Entlastungsanspruch<br />
steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt der tatbestandlichen<br />
Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG (BFH v.<br />
17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781). <strong>Die</strong>s gilt<br />
nicht in Fällen, in denen das einschlägige DBA eine abschließende<br />
Regelung enthält (BFH v. 19.12.2007 – I R 21/<br />
07, BStBl. II 2008, 619 = <strong>GmbH</strong>R 2008, 714 [LS]).<br />
11. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO<br />
§ 50d Abs. 3 EStG ist im Verhältnis zu § 42 AO die speziellere<br />
Vorschrift und vorrangig anzuwenden. Liegen die<br />
Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht<br />
vor, ist die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO<br />
zu prüfen, da dessen Anwendbarkeit nicht durch § 50d<br />
Abs. 3 EStG oder eine andere gesetzliche Vorschrift ausgeschlossen<br />
ist (§ 42 Abs. 2 AO).<br />
12. Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung<br />
<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat insoweit einen Anspruch<br />
auf Steuerentlastung, als<br />
a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigte<br />
Personen (s. Tz. 4) beteiligt sind oder<br />
b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Einkünfte<br />
eine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt<br />
(unschädliche Erträge i.S.d. Tz. 1) oder<br />
c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 S. 5 EStG genannten<br />
Sonderfälle (s. Tz. 9) handelt.<br />
Sind an der ausländischen Gesellschaft auch nicht entlastungsberechtigte<br />
Personen beteiligt (zur Prüfung der Entlastungsberechtigung,<br />
s. Tz. 4) und erbringt sie den genannten<br />
Nachweis nicht, ist zur Feststellung der Höhe des<br />
Steuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter gesondert<br />
zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wäre,<br />
wenn er die Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Entlastungsanspruch).<br />
Der Steuerentlastungsanspruch der Gesellschaft<br />
ergibt sich aus der Summe der fiktiven Entlas-
Verwaltungsanweisungen<br />
<strong>GmbH</strong>R 7/2012 419<br />
tungsansprüche der Gesellschafter, die unmittelbar oder<br />
mittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind.<br />
Beispiel:<br />
An einer nach DBA zu 100 % persönlich entlastungsberechtigten<br />
ausländischen Gesellschaft A sind zwei<br />
Gesellschaften B und C zu 40 % bzw. 60 % beteiligt. A<br />
erzielt zu 70 % schädliche Bruttoerträge. Wirtschaftliche<br />
oder sonst beachtliche Gründe liegen hinsichtlich<br />
dieser Erträge nicht vor. 30 % der Bruttoerträge stammen<br />
aus ihrem aktiven Geschäft als Produktions- und<br />
Vertriebsgesellschaft sowie der Lizenzzahlung einer<br />
deutschen Tochtergesellschaft, die für A den Vertrieb<br />
der Produkte auf dem deutschen Markt übernommen<br />
hat (funktional wirtschaftlicher Zusammenhang der Lizenzzahlung<br />
mit der Produktions- und Vertriebstätigkeit<br />
der A). <strong>Die</strong> Lizenzzahlung unterliegt einer deutschen<br />
Quellensteuer i.H.v. 15 %. Des Weiteren bezieht<br />
die A eine dem Kapitalertragsteuerabzug von 25 % unterliegende<br />
Dividende.<br />
An der nach DBA persönlich entlastungsberechtigten<br />
Gesellschaft B, die ausschließlich schädliche Bruttoerträge<br />
erzielt, sind die persönlich nicht entlastungsberechtigte<br />
natürliche Person D und die entlastungsberechtigte<br />
börsennotierte AG zu je 50 % beteiligt.<br />
An der Gesellschaft C, deren Erträge zu 20 % dem unschädlichen<br />
und zu 80 % dem schädlichen Bereich zugerechnet<br />
werden, sind die natürlichen Personen E und<br />
F zu je 50 % beteiligt, die nach DBA eine Ermäßigung<br />
der Quellensteuer auf 15 % beanspruchen könnten. <strong>Die</strong><br />
Gesellschaft C selbst könnte nach DBA eine Ermäßigung<br />
der Quellensteuer auf 5 % beanspruchen.<br />
Eine Entlastungsberechtigung hinsichtlich der abzugsteuerpflichtigen<br />
Einkünfte (Lizenz- und Dividendenzahlung)<br />
ergibt sich wie folgt:<br />
1. Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund eigenwirtschaftlicher<br />
Bruttoerträge der A<br />
<strong>Die</strong> abzugsteuerpflichtigen Einkünfte sind zu 30 % entlastungsberechtigt,<br />
da sich aus dem Verhältnis der im betreffenden<br />
Wirtschaftsjahr erzielten eigenwirtschaftlichen<br />
Bruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen eine auf die abzugsteuerpflichtigen<br />
Einkünfte anzuwendende Quote von<br />
30 (unschädliche Erträge) zu 70 (schädliche Erträge) ergibt.<br />
2. Persönliche Entlastungsberechtigung der Gesellschaft A<br />
70 % der abzugssteuerpflichtigen Einkünfte sind insoweit<br />
entlastungsberechtigt, als entlastungsberechtigte Gesellschafter<br />
(s. Tz. 4) vorhanden sind:<br />
– B ist zwar persönlich entlastungsberechtigt, erzielt aber<br />
ausschließlich schädliche Erträge. Daher ist der fiktive<br />
Entlastungsanspruch der an B beteiligten Gesellschafter<br />
maßgeblich. <strong>Die</strong> mittelbar zu 50 % beteiligte börsennotierte<br />
AG ist vollumfänglich entlastungsberechtigt (s.<br />
Tz. 4.2); D ist jedoch persönlich nicht entlastungsberechtigt.<br />
A kann insoweit eine Entlastung von 14 % (=<br />
40 % x 50 % x 70 %) gewährt werden. C ist zwar persönlich<br />
entlastungsberechtigt, aber erzielt zu 80 %<br />
schädliche Erträge. Insoweit ist der fiktive Entlastungsanspruch<br />
der an C beteiligten Gesellschafter E und F<br />
maßgeblich. Da sowohl E als auch F persönlich entlastungsberechtigt<br />
sind, beträgt der Entlastungsanspruch<br />
48 % (= 80 % x 60 %), der aber wegen der Reduktion<br />
der Quellensteuer auf 15 % um 15/25 (= 15 % von 25 %<br />
Abzugssteuer) eingeschränkt ist. Von dem Entlastungsanspruch<br />
i.H.v. 48 % werden deshalb nur 19,2 % gewährt<br />
(= 10/25 x 48 %). In Bezug auf den Anteil der<br />
schädlichen Erträge der A (70 %) ergibt sich somit ein<br />
Entlastungsanspruch von 13,44 % (= 19,2 % x 70 %).<br />
– Hinsichtlich der unschädlichen übrigen 20 % ist C persönlich<br />
entlastungsberechtigt und deshalb ein Rückgriff<br />
auf die an ihr beteiligten Gesellschafter nicht notwendig.<br />
Für A ergibt sich ein Entlastungsanspruch i.H.v.<br />
12 % (= 20 % x 60 %), der wegen der Reduktion der<br />
Quellensteuer auf 5 % um 1/5 (= 5 % von 25 % Abzugssteuer)<br />
eingeschränkt ist. Von dem Entlastungsanspruch<br />
i.H.v. 12 % werden deshalb nur 9,6 % gewährt (= 4/5 x<br />
12 %). In Bezug auf den Anteil der schädlichen Bruttoerträge<br />
der A (70 %) ergibt sich somit ein Entlastungsanspruch<br />
von 6,72 % (= 9,6 % x 70 %) der Quellensteuer<br />
für die Dividendenzahlung und von 5,6 % (= 8 %<br />
x 70 %) für die Lizenzzahlung.<br />
3. Insgesamt ergibt sich für die Quellensteuer auf die Dividenden-<br />
und Lizenzzahlung eine Entlastungsberechtigung<br />
i.H.v. 64,16 % (= 30 % + 14 % + 13,44 % + 6,72 %) sowie<br />
für die abzugssteuerpflichtige Lizenzzahlung eine Entlastungsberechtigung<br />
i.H.v. 49,6 % (= 30 % + 14 % + 5,6 %).<br />
13. Feststellungslast<br />
<strong>Die</strong> Feststellungslast hinsichtlich des Nichtvorliegens der<br />
Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 u.<br />
2 EStG liegt bei der ausländischen Gesellschaft. Aufgrund<br />
der bei Auslandssachverhalten gebotenen erhöhten Mitwirkungspflicht<br />
(§ 90 Abs. 2 AO) obliegt der ausländischen<br />
Gesellschaft die Feststellungslast für weitere Entlastungsmöglichkeiten<br />
(persönlich entlastungsberechtigte<br />
Gesellschafter oder Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit).<br />
14. Freistellungsbescheinigung<br />
Freistellungsbescheinigungen nach § 50d Abs. 2 EStG<br />
sind grundsätzlich unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu<br />
erteilen. <strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft ist in der Bescheinigung<br />
darauf hinzuweisen, dass sie den teilweisen oder<br />
vollständigen Wegfall der Voraussetzungen für die Freistellung<br />
dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unverzüglich<br />
mitzuteilen hat; § 50d Abs. 2 S. 4 letzter Halbs.<br />
EStG ist entsprechend anzuwenden, i.Ü. s. die de minimis<br />
Regelungen in Tz. 15. Ergänzend wird auf die sich aus der<br />
Abgabenordnung ergebenden allgemeinen Grundsätze zur<br />
Berichtigung von Erklärungen (vgl. § 153 AO) hingewiesen.
Verwaltungsanweisungen<br />
420 <strong>GmbH</strong>R 7/2012<br />
15. De minimis Regelungen<br />
<strong>Die</strong> ausländische Gesellschaft hat den teilweisen oder vollständigen<br />
Wegfall der Entlastungsberechtigung i.S.d.<br />
§ 50d Abs. 3 EStG für die Freistellung dem BZSt unverzüglich<br />
mitzuteilen. <strong>Die</strong>s gilt nicht, wenn<br />
– sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheinigung<br />
zugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus eigenwirtschaftlicher<br />
Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträgen<br />
um weniger als 30 %-Punkte verringert oder<br />
– sich ein Gesellschafteranteil (bei unmittelbarer oder<br />
mittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkte<br />
ändert.<br />
Sofern die gesetzlich/abkommensrechtlich vorgeschriebenen<br />
Mindestbeteiligungshöhen unterschritten werden, ist<br />
dies dem BZSt ebenfalls unverzüglich mitzuteilen.<br />
In den Fällen, in denen nach den de minimis Regelungen<br />
keine Mitteilungspflicht besteht, kann eine Neuberechnung<br />
des prozentualen Anteils der entlastungsberechtigten<br />
Erträge unterbleiben.<br />
16. Erstmalige Anwendung<br />
§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Gesetzes v. 7.12.2011 ist erstmals<br />
ab 1.1.2012 anzuwenden sowie für alle vorangegangenen<br />
Zeiträume, soweit Steuerbescheide oder Freistellungsbescheinigungen<br />
noch nicht bestandskräftig sind und<br />
diese Regelung zu einer günstigeren Entlastungsberechtigung<br />
führt.<br />
<strong>Die</strong>ses Schreiben ersetzt die BMF-Schr. v. 3.4.2007 – IV B<br />
1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007,<br />
446 = <strong>GmbH</strong>R 2007, 613 und v. 21.6.2010 – IV B 5 - S<br />
2411/07/10016: 005 – DOK 2010/0374057, BStBl. I 2010,<br />
596 = <strong>GmbH</strong>R 2010, 840.<br />
<strong>Die</strong>ses Schreiben wird im BStBl. I veröffentlicht [inzwischen<br />
erfolgt in BStBl. I 2012, 171]. <strong>Die</strong> jeweils aktuelle<br />
Fassung der Antragsvordrucke ist der Internetseite des<br />
BZSt zu entnehmen. ...<br />
Anm. der Redaktion: S. hierzu den Beitrag von Wiese,<br />
<strong>GmbH</strong>R 2012, 376 ff. – in dieser Ausgabe.<br />
Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finale<br />
Betriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R<br />
77/06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08<br />
BMF, Schr. v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK<br />
2011/0802578<br />
Mit Urt. v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 =<br />
<strong>GmbH</strong>R 2010, 219 hat der BFH – abweichend von seiner<br />
jahrzehntelangen Rechtsprechung – entschieden, dass die<br />
Verlegung des Betriebs in das Ausland nicht zur Annahme<br />
einer (fiktiven) Betriebsaufgabe führt. <strong>Die</strong> Aufgabe der<br />
Rechtsprechung zur „Theorie der finalen Betriebsaufgabe“<br />
steht im Zusammenhang mit dem Urt. v. 17.7.2008 – I R<br />
77/06, BStBl. II 2009, 464 = <strong>GmbH</strong>R 2009, 48 m. Komm.<br />
W. Meilicke, nach dem die Überführung (Entnahme) von<br />
Einzelwirtschaftsgütern aus dem inländischen Betrieb des<br />
Steuerpflichtigen in die ausländische Betriebsstätte im<br />
Zeitpunkt der Überführung (Entnahme) nicht zur Aufdeckung<br />
der stillen Reserven führt, wenn der Gewinn der<br />
ausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA nicht der<br />
inländischen Besteuerung unterliegt.<br />
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der<br />
Länder nehme ich hierzu wie folgt Stellung:<br />
1. Gesetzliche Anpassung im Jahressteuergesetz 2010<br />
Durch das Jahressteuergesetz 2010 (BGBl. I 2010,<br />
1768 ff.) wurde in § 52 Abs. 8b S. 2 ff. i.V.m. § 4 Abs. 1<br />
S.3EStG,in§52Abs.34S.5i.V.m.§16Abs.3aEStG<br />
undin§34Abs.8S.3ff.i.V.m.§12Abs.1KStGdiejahrzehntelange<br />
BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis<br />
zur finalen Entnahme und zur finalen Betriebsaufgabe für<br />
Sachverhalte vor Inkrafttreten des Gesetzes über steuerliche<br />
Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen<br />
Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher<br />
Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006,<br />
2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) gesetzlich festgeschrieben.<br />
Durch diese gesetzlichen Anpassungen sind die Grundsätze<br />
des Urt. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06 und des Urt.<br />
des BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08 auf die entschiedenen<br />
Einzelfälle beschränkt. In den Fällen des § 4 Abs. 1 S. 3<br />
EStG und des § 12 Abs. 1 KStG bleibt die bisherige Billigkeitsregelung<br />
in Tz. 2.6 des BMF-Schr. v. 24.12.1999 – IV<br />
B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 (sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze)<br />
für Wirtschaftsjahre, die<br />
vor dem 1.1.2006 enden, weiterhin anwendbar. Für Fälle<br />
des § 16 Abs. 3a EStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem<br />
1.1.2006 enden, findet § 36 Abs. 5 EStG bereits Anwendung<br />
(vgl. § 52 Abs. 50d S. 3 EStG).<br />
<strong>Die</strong> Rechtslage für Sachverhalte ab Inkrafttreten des Gesetzes<br />
über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung<br />
der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer<br />
steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006<br />
(BGBl. I 2006, 2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) wird durch<br />
die genannte BFH-Rechtsprechung nicht berührt.<br />
2. Anwendungsregelung<br />
<strong>Die</strong>ses Schreiben gilt in allen offenen Fällen und wird im<br />
BStBl. I veröffentlicht [inzwischen erfolgt in BStBl. I 2011,<br />
1278]. ...
selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen<br />
könne. Mit Urt. v. 18.1.2012 – XI R 27/08 setzt der BFH die Vorlageentscheidung<br />
in eine Endentscheidung um. Entscheidend<br />
ist, ob im Rahmen einer Gesamtwürdigung festgestellt<br />
werden kann, dass der Erwerber den Willen hat, das Unternehmen<br />
fortzuführen, wenn das übertragene Vermögen ohne<br />
das zurückbehaltene Wirtschaftsgut ausreicht, um die Geschäftstätigkeit<br />
fortzuführen. <strong>Die</strong> Entscheidung hat große<br />
praktische Auswirkungen für den Einstieg in Betriebsaufspaltungssachverhalte,<br />
wenn Grundstücke als wesentliche Betriebsgrundlage<br />
zurückbehalten werden sollen.<br />
Aktuelle Entwicklungen beim Vorsteuerabzug<br />
In zeitgleich veröffentlichten Entscheidungen hat sich der<br />
BFH mit den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei Holdinggesellschaften<br />
(BFH v. 9.2.2012 – V R 40/10) und mit dem<br />
Vorsteuerabzug aus Strafverteidigungskosten (BFH v.<br />
22.12.2011 – V R 29/10) befasst.<br />
I. Hälftiger Vorsteuerabzug für Holdinggesellschaften<br />
Der Anspruch auf Vorsteuerabzug bei Holdinggesellschaften<br />
war seit Jahren im Streit. Im Ausgangspunkt ist das Halten<br />
von Beteiligungen keine wirtschaftliche Tätigkeit und unterliegt<br />
deshalb nicht der Umsatzsteuer. Folglich stellte sich die<br />
Frage, in welchem Umfang die Vorsteuer aus den Gemeinkosten<br />
auf diese nicht wirtschaftliche Tätigkeit entfällt und<br />
deshalb (teilweise) nicht abzugsfähig ist. Holdinggesellschaften,<br />
die neben dem Halten von Beteiligungen auch entgeltliche<br />
<strong>Die</strong>nstleistungen erbringen, gingen gleichwohl davon<br />
aus, zum uneingeschränkten Vorsteuerabzug berechtigt zu<br />
sein. Durch Urt. v. 9.2.2012 – V R 40/10 hat der BFH hierzu entschieden,<br />
dass eine Holdinggesellschaft, deren Hauptzweck<br />
das Halten von Beteiligungen ist und die entgeltliche Leistungen<br />
nur als Nebenzweck erbringt, höchstens zum hälftigen<br />
Vorsteuerabzug aus den in Rechnung gestellten Gemeinkosten<br />
berechtigt sein kann. Der Streitfall betraf eine Holdinggesellschaft,<br />
die über einen umfangreichen Beteiligungsbesitz<br />
verfügte und daneben auch entgeltliche <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
erbrachte. Das Finanzamt hatte der Holding einen Vorsteuerabzug<br />
von 75 % aus den Gemeinkosten zugebilligt.<br />
<strong>Die</strong> Klage, mit der die Holding den vollen Vorsteuerabzug begehrte,<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
2. Vorlagebeschluss: Vorsteuerabzug aus Strafverteidigerkosten<br />
Mit Beschl. v. 22.12.2011 – V R 29/10 hat der BFH beim EuGH<br />
angefragt, ob ein Unternehmen, dessen Inhaber und Mitarbeiter<br />
sich zur Erlangung von Aufträgen möglicherweise wegen<br />
Bestechung oder Vorteilsgewährung strafbar gemacht<br />
haben, aus den zur Abwehr dieser Vorwürfe angefallenen<br />
Strafverteidigungskosten zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.<br />
Hierfür verlangt §15 Abs.1 UStG, dass Eingangsleistungen<br />
für das Unternehmen bezogen werden, was erfordert, dass<br />
die Eingangsleistungen im direkten und unmittelbaren Zusammenhang<br />
mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen stehen.<br />
Für den Vorsteuerabzug spricht, dass die möglicherweise<br />
strafbaren Handlungen dazu dienten, die steuerpflichtige<br />
Umsatztätigkeit des Unternehmens für die Zukunft zu fördern,<br />
um die Teilnahmemöglichkeit der <strong>GmbH</strong> an öffentlichen<br />
Ausschreibungen zu erhalten. Problematisch sei –so der<br />
BFH–, dass die Leistungen der Strafverteidiger unmittelbar<br />
nur den persönlichen Interessen der Beschuldigten dienten.<br />
Das Interesse des Unternehmens an der Straffreiheit seines<br />
Inhabers und seiner Mitarbeiter könne dann als nur mittelbarer<br />
Zusammenhang für den Vorsteuerabzug unbeachtlich<br />
sein. Geklärt werden soll auch, wer bei einer Beauftragung<br />
durch mehrere Auftraggeber (hier: Beschuldigter und <strong>GmbH</strong>)<br />
zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und ob der Vorsteuerabzug<br />
unter Umständen nur hälftig beansprucht werden könne.<br />
Arbeits- & Sozialrecht<br />
Claudia Kothe-Heggemann, Fachanwältin für Arbeitsrecht,<br />
UlrichWeber&PartnerGbR,Köln<br />
Schadenersatz wegen Gehaltseinbußen<br />
7/2012 R93<br />
Das BAG hatte sich in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 8<br />
AZR 98/11 mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Pflicht des<br />
Arbeitgebers besteht, seine Organisationsgewalt so auszuüben,<br />
dass die Höhe des erfolgsabhängigen variablen Entgelts<br />
einzelner Mitarbeiter sich nicht verändert.<br />
Im zu entscheidenden Fall vertreibt die Beklagte Versicherungsleistungen,<br />
wobei sie im Zielgruppenvertrieb mit dem<br />
Verein „B“ zusammenarbeitet. In diesem Bereich ist der Kläger<br />
angestellter Versicherungsvertreter. <strong>Die</strong> für den Verein „B“<br />
tätigen Werber werden ebenso als sog. „Beauftragte“ für die<br />
Beklagte aktiv und versuchen, mit den Mitgliedern des Verein<br />
„B“ ein Beratungsgespräch über Versicherungen zu vereinbaren,wasdannvonden„Beratern“derBeklagtendurchgeführt<br />
wird. <strong>Die</strong> Berater werden mit Provisionen entlohnt, wobei<br />
ein bestimmtes Fixum von der Beklagten garantiert wird. Zunächst<br />
war der Kläger als Berater tätig und leitete dann als<br />
Gruppenleiter mehrere Beauftragte sowie schließlich als Vertriebsleiter<br />
mehrere Berater an. Dabei überstieg das erfolgsabhängige<br />
variable Entgelt des Klägers das vertraglich garantierte<br />
Fixum immer um ein Vielfaches. Zwischen den Jahren<br />
2003 bis 2008 nahm im Bereich „B“ die Zahl der Beauftragten<br />
um etwa 60% ab. Der Kläger verlangte nun Schadenersatz<br />
wegen Gehaltseinbußen in den Jahren 2006 bis 2008<br />
von der Beklagten. Er machte geltend, die Beklagte habe<br />
schuldhaft die Zahl der Beauftragten reduziert, wodurch die<br />
Beratungstermine zurückgegangen seien. <strong>Die</strong> Beklagte sei<br />
verpflichtet gewesen, eine ausreichende Zahl von Beratern<br />
und Beratungsterminen zur Verfügung zu stellen.<br />
<strong>Die</strong> Klage vor dem BAG hatte, wie in den Vorinstanzen, keinen<br />
Erfolg. Tatsächlich sei die zwischen den Parteien getroffene<br />
Entgeltvereinbarung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt<br />
zu beanstanden. Es entspreche dem Wesen eines variablen<br />
Entgeltbestandteiles, in der Höhe von Einflüssen des<br />
Markts, der Vertriebsorganisation des Arbeitgebers oder solchen,<br />
die von der Person des Arbeitnehmers ausgingen, ab-
hängig zu sein. Aufgrund dessen bestehe grundsätzlich keine<br />
Pflicht des Arbeitgebers, soweit die vertraglich vereinbarte<br />
Aufgabe nicht verändert werde, seine Organisation so vorzuhalten,<br />
dass die erfolgsabhängig Vergüteten ein maximales<br />
variables Entgelt erzielten. Sofern dies gewünscht sei, bedürfe<br />
dies einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Im zu<br />
entscheidenden Fall war zusätzlich noch zu beachten, dass<br />
ein Gebiets- oder Kundenschutz arbeitsvertraglich ausgeschlossen<br />
worden war und sich die Beklagte selbst bei Übertragung<br />
der vorgesehenen Funktionen vorbehalten hatte, die<br />
Zahl der unterstellten Beauftragten oder Berater jederzeit verändern<br />
zu können.<br />
Frage nach der Schwerbehinderung im<br />
bestehenden Arbeitsverhältnis<br />
Das BAG hatte in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 6 AZR<br />
553/10 darüber zu urteilen, ob die Frage nach einer Schwerbehinderung<br />
im bestehenden Arbeitsverhältnis als rechtmäßig<br />
anzusehen ist.<br />
Im zu entscheidenden Fall bestand zwischen dem mit einem<br />
Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderten Kläger in<br />
der Zeit vom 1.11.2007 bis zum 31.10.2009 ein befristetes Arbeitsverhältnis.<br />
Der Beklagte wurde am 8.1.2009 zum vorläufigen<br />
Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin<br />
des Klägers bestellt. Im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens<br />
legte der Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zur<br />
Vervollständigung bzw. Überprüfung der bestehenden Daten<br />
vor. Insbesondere bat er um Mitteilung, ob eine Schwerbehinderung<br />
bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten<br />
bei dem Kläger gegeben sei. <strong>Die</strong> Frage zur Schwerbehinderung<br />
bzw. zur Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten<br />
verneinte der Kläger. Der Beklagte kündigte als Insolvenzverwalter<br />
am 26.5.2009 dem Kläger zum 30.6.2009 nach Eröffnung<br />
des Insolvenzverfahrens den Arbeitsvertrag. Im Rahmen<br />
seiner Kündigungsschutzklageschrift vom 9.6.2009 teilte<br />
der Kläger seine Schwerbehinderung mit und machte geltend,<br />
dass die Kündigung vom 26.5.2009 unwirksam sei, da<br />
das Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe. Entgegen der<br />
Entscheidung des ArbG wies das LAG die Klage ab und<br />
meinte, der Kläger könne sich auf den Kündigungsschutz für<br />
Schwerbehinderte nicht berufen, da er die Frage nach der<br />
Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe.<br />
Das BAG folgte dem LAG und führte aus, dass die Frage<br />
nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber<br />
beabsichtigten Kündigung im Zusammenhang mit der<br />
Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen<br />
des §1 Abs.3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung<br />
bei der Sozialauswahl verlange sowie durch<br />
den Sonderkündigungsschutz nach §85 SGBIX, wonach<br />
eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes<br />
bedürfe, stehe. <strong>Die</strong> Frage nach der Schwerbehinderung<br />
solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu<br />
zu verhalten. Durch die Frage werde der behinderte Arbeitnehmer<br />
nicht gegenüber solchen ohne Behinderung<br />
diskriminiert. Zudem stünden auch datenschutzrechtliche<br />
Belange der Zulässigkeit dieser Frage nicht entgegen. Daher<br />
7/2012 R94<br />
sei es dem Kläger wegen der wahrheitswidrigen Beantwortung<br />
der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner<br />
Schwerbehinderung unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen<br />
Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess<br />
auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.<br />
Mithin ist im bestehenden Arbeitsverhältnis, jedenfalls nach<br />
sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes<br />
für behinderte Menschen (§90 Abs.1 Nr.1<br />
SGBIX), die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung<br />
als zulässig anzusehen. <strong>Die</strong>s insbesondere zur Vorbereitung<br />
von beabsichtigten Kündigungen.<br />
Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des<br />
bei Mutterschutz weitergezahlten Arbeitsentgelts<br />
<strong>Die</strong> klagende Arbeitgeberin, eine AG, zahlte ihrer privat kranken-<br />
und pflegeversicherten Arbeitnehmerin während der<br />
Mutterschutzfrist vom 29.3. bis 5.7.2007 einen Zuschuss zum<br />
Mutterschaftsgeld i.H.v. 14.124,04a entsprechend dem bisherigen<br />
regelmäßigen Einkommen abzüglich des geleisteten<br />
Mutterschaftsgelds. <strong>Die</strong> für die Arbeitnehmerin zuständige<br />
Krankenkasse übertrug dem beklagten BKK-Landesverband<br />
(BKK-LV) durch Satzungsregelung u.a. die Durchführung<br />
des diesbezüglichen Aufwendungsausgleichs (U2-Verfahren).<br />
Der BKK-LV erstattete der AG lediglich insgesamt<br />
9.788,13 a: Für die Berechnung des Zuschusses sei nach §8<br />
Abs.3 seiner Satzung nur das jeweilige Bruttoarbeitsentgelt<br />
bis zur Höhe der in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden<br />
Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen. Das<br />
SGMünchenhatdenBKK-LVantragsgemäßverurteilt,weitere<br />
3.622,05a zu zahlen. <strong>Die</strong> Begrenzung der Erstattungshöhe<br />
in der Satzung sei nichtig. Sie sei von der Ermächtigungsgrundlage<br />
des §9 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG)<br />
nicht gedeckt. Eine erweiternde Auslegung der Ermächtigungsnorm<br />
komme angesichts des durch das BVerfG bestätigten<br />
Schutzauftrags zur Vermeidung möglicher faktischer<br />
Diskriminierungen von Frauen nicht in Betracht.<br />
<strong>Die</strong> vom SG zugelassenen Sprungrevision des BKK-LV ist<br />
nach dem Urt. des BSG v. 13.12.2011 – B 1 KR 7/11R erfolglos<br />
geblieben. <strong>Die</strong> Vorinstanz hat den BKK-LV zutreffend verurteilt,<br />
der AG den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in vollem<br />
Umfang zu erstatten. Gemäß §1 Abs.2 Nr.1 AAG i.V.m. §6<br />
Nr.1 Satzung ist der BKK-LV verpflichtet, den ausgleichsberechtigten<br />
Arbeitgebern für Aufwendungen aus Anlass der<br />
Mutterschaft 100v.H. des gezahlten Zuschusses zum Mutterschaftsgeld<br />
zu erstatten. <strong>Die</strong> in §8 Abs.3 Satzung vorgesehene<br />
Regelung zur Berechnung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld<br />
nach einem Bruttoarbeitsentgelt maximal bis zur<br />
Höhe der in der Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze<br />
ist mit höherrangigem Recht unvereinbar<br />
und (teil-)nichtig. §9 Abs.2 AGG erlaubt keine über den Regelungsgehalt<br />
des §1 Abs.2 Nr.1 AAG hinausgehende, den<br />
einzelnen Krankenkassen zur freien Ausgestaltung überlassene<br />
Beschränkung der Erstattung. <strong>Die</strong> Teilnichtigkeit führt<br />
nicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung, sondern zur Erstattung<br />
des Zuschusses in vollem Umfang i.S.d. §1 Abs.2 Nr.1
AAG.<strong>Die</strong>Begrenzungnach§8Abs.3Satzungbetriffteinen<br />
rechtlich abtrennbaren Teil der Erstattungsregelung, der unabhängig<br />
von der sonstigen Satzungsregelung Bestand haben<br />
kann. <strong>Die</strong> von Gesetzes wegen höheren Erstattungen<br />
sind auf die am Ausgleichsverfahren beteiligten Arbeitgeber<br />
umzulegen. Mögliche Äquivalenzstörungen im Verhältnis<br />
von Leistung und Umlageaufkommen können in Streitigkeiten<br />
über die Höhe der Mittelaufbringung geltend gemacht<br />
werden.<br />
Europa-Praxis<br />
Jochen Clausnitzer, Rechtsanwalt,<br />
Bundesverband Direktvertrieb Deutschland (BDD), Berlin<br />
Doppelte Nichtbesteuerung – Konsultation<br />
eingeleitet<br />
Am 29.2.2012 hat die EU-Kommission eine“öffentliche Konsultation“<br />
zur doppelten Nichtbesteuerung eingeleitet. Dabei<br />
geht es um die Nichtbesteuerung einiger Einnahmen von<br />
Steuerpflichtigen, die in mehreren EU-Staaten aktiv sind. <strong>Die</strong><br />
Steuersysteme der EU-Mitgliedstaaten funktionieren unterschiedlich.<br />
Dadurch entstehen in seltenen Ausnahmefällen<br />
Besteuerungslücken, die dann zu einer sog. doppelten<br />
Nichtbesteuerung führen. Mit ihrer Konsultation will die EU-<br />
Kommission sich einen Überblick über Fallgestaltungen zur<br />
doppelten Nichtbesteuerung und über ihre finanziellen Auswirkungen<br />
verschaffen. <strong>Die</strong> von Steuerkommissar Algirdas<br />
ˇSemeta gestartete Umfrage läuft bis zum 30.5.2012 und soll<br />
bis Ende 2012 zu konkreten Gesetzgebungsvorschlägen<br />
führen. Gerechtigkeit sei das oberste Gebot der Steuerpolitik,<br />
so Algirdas ˇSemeta. Eine doppelte Nichtbesteuerung untergrabe<br />
die faire Lastenteilung und gebe Unternehmen, die sie<br />
ausnutzten, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. <strong>Die</strong><br />
Öffentlichkeit soll im Rahmen der Konsultation konkrete Beispiele<br />
für Fälle doppelter Nichtbesteuerung bei grenzüberschreitenden<br />
Aktivitäten zu berichten. <strong>Die</strong> Konsultation betrifft<br />
direkte Steuern wie Körperschaftsteuern, ausländische Ertragsteuern,<br />
Kapitalertragsteuern, Quellensteuern, Erbschaftsteuern<br />
und Schenkungsteuern. Als Lösungsmöglichkeiten<br />
werden legislative Ansätze, verbesserte Informationsmaßnahmen<br />
oder Regeln für verantwortungsvolles Handeln im<br />
Steuerbereich (good governance) vorgeschlagen. Aus Unternehmenssicht<br />
ist besonders wichtig, dass nationale Steuerregime,<br />
die den Unternehmen Anreizesetzensollen–z.B.die<br />
steuerliche Forschungsförderung durch eine patent box oder<br />
die Gleichstellung der Eigenkapitalfinanzierung durch die<br />
sog. notional interest deduction– nicht als „Nichtbesteuerung“<br />
eingestuft wird. Denn dann würden den Unternehmen<br />
absichtlich gewährte Vorteile genommen werden und zu<br />
einem Wettbewerbsnachteil gegenüber lokalen Unternehmen<br />
führen.<br />
Georg Geberth, Siemens, München<br />
Europäische Stiftung: Kommission<br />
veröffentlicht Verordnungsvorschlag<br />
<strong>Die</strong> Europäische Kommission hat am 8.2.2012 einen Vorschlag<br />
für das Statut einer Europäischen Stiftung vorgelegt<br />
(KOM[2012]35). Damit soll es Stiftungen leichter gemacht<br />
werden, unionsweit gemeinnützige Tätigkeiten zu fördern.<br />
ZieldesVorschlagsistdieSchaffung einer einheitlichen europäischen<br />
Rechtsform –einer „Europäischen Stiftung“– die in<br />
allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleich wäre. Sie würde<br />
neben inländischen Stiftungen als freiwillige Alternative bestehen.<br />
Jede Europäische Stiftung soll ihre Gemeinnützigkeit<br />
und ihre grenzüberschreitende Tätigkeit nachweisen müssen<br />
und über ein Stiftungskapital von mindestens 25.000a<br />
verfügen. Gegründet werden könnte eine Europäische Stiftung<br />
dem Kommissionsvorschlag nach durch Umwandlung<br />
einer nationalen Stiftung in eine Europäische Stiftung oder<br />
durchdieVerschmelzungnationaler Stiftungen. Europäische<br />
Stiftungen unterliegen nach dem Verordnungsentwurf dem<br />
gleichen nationalen Steuerrecht wie rein inländische Stiftungen.<br />
Spender hätten damit Anspruch auf dieselben Steuervorteile<br />
wie bei einer Spende an eine Stiftung mit Sitz in ihrem<br />
eigenen Mitgliedstaat. Mit dem Statut sollen Europäische Stiftungen<br />
ein europäisches Gütesiegel erhalten, das ihnen Ansehen<br />
verleiht und Zeichen ihrer Glaubwürdigkeit ist. Europäische<br />
Stiftungen werden in allen Mitgliedstaaten Rechtspersönlichkeit<br />
haben und handlungsfähig sein. Auf der<br />
Grundlage des neuen Status, das sicherstellt, dass unionsweit<br />
für die Europäische Stiftung die gleichen Regeln gelten,<br />
haben sie die Möglichkeit, innerhalb der EU leichter und kostengünstiger<br />
ihrer Tätigkeit nachzukommen und Gelder zu<br />
transferieren. Der Verordnungsentwurf basiert auf den Ergebnissen<br />
einer im Jahr 2009 durchgeführten Konsultation.<br />
Jochen Clausnitzer<br />
Europäische Kommission lässt ACTA-<br />
Abkommen überprüfen<br />
7/2012 R95<br />
Am 26.1.2012 unterzeichneten 22 Vertreter von EU-Staaten<br />
und Vertreter der EU-Kommission in Tokio das Handelsabkommen<br />
zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie<br />
(sog. ACTA-Abkommen). Im Dezember 2011 hatte der EU-Ministerrat<br />
das Abkommen bereits inhaltlich akzeptiert und den<br />
Weg für die Unterzeichnung des ACTA-Abkommens frei gemacht.<br />
Das zwischenstaatliche Abkommen zwischen den<br />
Mitgliedstaaten der EU, den USA, Japan, Australien, Schweiz,<br />
Korea, Singapur, Mexiko, Kanada und weiteren Staaten soll<br />
die Durchsetzung von Urheber- und Markenrechten verbessern.<br />
<strong>Die</strong> Bundesregierung hat aufgrund anhaltender Prozesse<br />
die Unterzeichnung noch nicht vorgenommen. Damit das<br />
umstrittene Abkommen in Kraft treten kann, muss es von den<br />
beteiligten Staaten und vom Europäischen Parlament ratifiziert<br />
werden. Am 22.2.2012 überwies die Europäische Kommission<br />
das Abkommen zunächst zur Begutachtung an den<br />
Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. <strong>Die</strong> Europäische<br />
Kommission interessiert vor allem die Frage, ob das internationale<br />
Abkommen gegen die EU-Grundrechtscharta ver-
stößt. Geprüft werden soll u.a. ein Verstoß gegen das Recht<br />
auf freie Meinungsäußerung bzw. das Recht auf geistiges Eigentum.<br />
Jochen Clausnitzer<br />
Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei den<br />
europäischen Gerichten nimmt zu<br />
Immer mehr Rechtssachen werden auf europäischer Ebene<br />
entschieden. So war 2011 erneut ein Rekordjahr der Gerichte<br />
der Europäischen Union. Trotz gestiegener Produktivität<br />
konnte von den Gerichten der Anstieg eingegangener<br />
Rechtssachen nicht aufgefangen werden. Im Jahr 2011 gingen<br />
beim Europäischen Gerichtshof 688 neue Rechtssachen<br />
ein (gegenüber 631 Neueingänge im Jahr 2010). Auch<br />
die Anzahl der Entscheidungen nahm im Vergleich zum Vorjahr<br />
um mehr als 10% zu: Im Jahr 2011 hat der Europäische<br />
Gerichtshof 638 Rechtssachen abgeschlossen (2010 wurden<br />
574 Rechtssachen erledigt). Auch das Gericht der Europäischen<br />
Union stellt neue Rekorde auf. <strong>Die</strong> Summe der 722<br />
neu eingegangenen Rechtssachen stieg um fast 15% gegenüber<br />
dem Jahr 2010 (636 neue Rechtssachen. Mit einen<br />
einem Plus von 35% stieg die Zahl erledigter Rechtssachen<br />
beim Gericht der Europäischen Union auf 714 (gegenüber<br />
527 im Jahr 2010), zu denen 52 Verfahren des vorläufigen<br />
Rechtsschutzes hinzukamen. Als Grund für die gesteigerte<br />
ProduktivitätgibtdiePressestelle der europäischen Gerichte<br />
die vom Gericht umgesetzten tiefgreifenden Reformen an.<br />
Jochen Clausnitzer<br />
Wirtschafts-Praxis<br />
Marianne Gajo, Dipl.-Verw. Wiss., Spaichingen<br />
Rückläufige Entwicklung von Innovationen im<br />
Mittelstand<br />
<strong>Die</strong> Abteilung Volkswirtschaft der KfW-Bankengruppe hat in<br />
ihrer Publikation Akzente die Entwicklung der Marktneuheiten<br />
im Mittelstand nachgezeichnet. <strong>Die</strong> Ergebnisse der Untersuchung<br />
basieren auf Daten des KfW-Mittelstandspanels<br />
aus den Jahren 2000 bis 2010. <strong>Die</strong> Daten haben gezeigt,<br />
dass sich die Finanz- und Wirtschaftskrise negativ auf die Innovationstätigkeit<br />
ausgewirkt hat. <strong>Die</strong> Innovatorenquote, also<br />
der Anteil der Unternehmen, der in den zurückliegenden drei<br />
Jahren Innovationen eingeführt hat, ist vom Höchststand im<br />
Zeitraum 2004/06 von 43% bis 2007/09 auf 29% gesunken.<br />
Mit der konjunkturellen Erholung stieg dieser Anteil leicht auf<br />
32%.<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung der Innovatorenquote wird im Wesentlichen<br />
von den Produktinnovatoren bestimmt. Der Anteil der Produktinnovatoren<br />
ist im Zeitraum 2004/06 um 19% von 31 % auf<br />
37% gestiegen. Danach wurde die Einführung von Produkt-<br />
Entwicklung von Innovationskennziffern im Mittelstand<br />
7/2012 R96<br />
Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />
Nr.54, Dezember 2011.<br />
innovationen zurückgefahren. Bis zum Dreijahreszeitraum<br />
2007/09 fiel der Anteil der Produktinnovatoren um 35 % auf<br />
24% ab. 2008/10 legte der Produktinnovatorenanteil wieder<br />
leicht zu auf 26%. Beim Anteil der Prozessinnovatoren war zu<br />
Beginn des Beobachtungszeitraums lediglich ein geringfügiger<br />
Anstieg zu verzeichnen und auch zwischen 2004/06 und<br />
2007/09 fiel der Rückgang mit fünf Prozentpunkten (–25%)<br />
geringer aus als bei den Produktinnovatoren.<br />
Bei der Untersuchung wurde auch unterschieden zwischen<br />
imitierenden Produktinnovationen und Marktneuheiten, also<br />
originären Produktinnovationen. Dabei zeigte sich, dass nur<br />
von einem kleinen Teil der mittelständischen Unternehmen<br />
echte Innovationen hervorgebracht wurden. Lediglich jedes<br />
14. mittelständische Unternehmen führte im Durchschnitt<br />
über den gesamten Beobachtungszeitraum neue Produkte<br />
und <strong>Die</strong>nstleistungen ein, die noch von keinem Wettbewerber<br />
angeboten wurden, während imitierende ProduktinnovationenvonrundjedemviertenMittelständleraufdenMarkt<br />
gebracht wurden. Der Anteil der imitierenden Produktinnovatoren<br />
nahm von 2000/02 bis 2004/06 zunächst um 35% zu,<br />
um danach bis 2007/09 wieder um 42 % zu sinken. In der<br />
konjunkturellen Erholung zeigte sich mit einem Anstieg um<br />
vier Prozentpunkte bzw. 22% die starke Konjunkturabhängigkeit<br />
imitierender Produktinnovationen. Dagegen sind für die<br />
Entwicklung von Marktneuheiten in der Regel längerfristige<br />
Entwicklungsphasen notwendig. Entsprechend zeigte sich<br />
für den Anteil der Unternehmen, die Marktneuheiten einführten,<br />
keine ausgeprägte Konjunkturabhängigkeit. Stattdessen<br />
nahm die Quote der originären Produktinnovatoren über den<br />
gesamten Beobachtungszeitraum von 8 % auf 4% ab. Der<br />
Anteil mittelständischer Unternehmen, die Marktneuheiten<br />
hervorbrachten, hat sich somit innerhalb von 10 Jahren halbiert.<br />
<strong>Die</strong> Betrachtung nach Wirtschaftszweigen zeigte, dass sich<br />
das Hervorbringen von Marktneuheiten zunehmend auf Unternehmen<br />
des forschungsintensiven Verarbeitenden Gewerbes<br />
konzentriert hat. WährendindiesenWirtschaftszweigen<br />
der Anteil der Unternehmen mit Marktneuheiten von<br />
12% im Zeitraum 2006/08 auf 18 % im Zeitraum 2008/10 gesteigert<br />
werden konnte, sind im <strong>Die</strong>nstleistungssektor sowie<br />
in den weniger forschungsintensiven Wirtschaftszweigen<br />
des Verarbeitenden Gewerbes originäre Produktinnovatoren<br />
zunehmend seltener geworden.<br />
<strong>Die</strong> Untersuchung hat außerdem gezeigt, dass grundsätzlich<br />
eine höhere Innovationsbeteiligung bei größeren Unterneh-
Entwicklung beim Hervorbringen von Marktneuheiten<br />
Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />
Nr.54, Dezember 2011.<br />
men besteht, da kleine Unternehmen durch eigene Innovationsanstrengungen<br />
stärker belastet werden als größere Unternehmen.<br />
Im Jahr 2010 wendeten 24% der Innovatoren mit<br />
weniger als fünf Beschäftigten mindestens15%ihresJahresumsatzes<br />
für Innovationen auf, während dies bei den Mittelständlern<br />
mit 50 und mehr Beschäftigten lediglich für 4%<br />
galt. Dagegen betrug bei den Innovatoren mit 50 und mehr<br />
Beschäftigten der Anteil, der weniger als 5% des Jahresumsatzes<br />
für innovative Zwecke aufgewendet hat, 62%. Der entsprechende<br />
Wert für die kleinen Unternehmen lag bei nur<br />
21%.<br />
Anteil der Innovationsausgaben am Jahresumsatz nach<br />
Beschäftigtengröße 2010<br />
unter 5 % 5 bis 15 % 15 % und<br />
mehr<br />
Weniger als 5 Beschäftigte<br />
21 % 56 % 24 %<br />
5bisunter10Beschäftigte<br />
36 % 46 % 19 %<br />
10 bis unter 50 Beschäftigte<br />
45 % 42 % 12 %<br />
50 und mehr Beschäftigte<br />
62% 34% 4%<br />
AlleInnovatoren 26% 52% 21%<br />
Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />
Nr.54, Dezember 2011.<br />
Der Innovatorenanteil unter den Unternehmen mit weniger<br />
als fünf Beschäftigten hat gegenüber dem Höchststand<br />
2004/06 bis 2007/09 um 34% abgenommen, während dieser<br />
Wert für die Unternehmen mit10bisunter50Beschäftigten<br />
lediglich bei –16% und für die Unternehmen mit 50 und<br />
mehr Beschäftigten bei –9% lag. Im Zeitraum 2008/10 entwickelte<br />
sich die Innovatorenquote bei den Unternehmen verschiedener<br />
Größe uneinheitlich. So weiteten kleine Unternehmen<br />
mit weniger als fünf Beschäftigten sowie Unternehmen<br />
mit 10 bis unter 50 Beschäftigten ihre Innovationstätigkeit<br />
aus, während dieser Anteil bei den Mittelständlern mit 50<br />
und mehr Beschäftigten unverändert blieb und bei den Unternehmen<br />
mit fünf bis unter 10 Beschäftigten sogar weiter<br />
zurückging.<br />
<strong>Die</strong> Untersuchung „Weniger Marktneuheiten im Mittelstand“<br />
ist unter www.kfw.de in der Kategorie „Research“ bzw. unter<br />
Entwicklung der Innovatorenquote nach Unternehmensgröße<br />
(Anzahl Beschäftigte)<br />
Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, Akzente<br />
Nr.54, Dezember 2011.<br />
dem folgenden Link abrufbar: www.kfw.de/kfw/de/I/II/Downl<br />
oad_Center/Fachthemen/Research/PDF-Dokumente_Akze<br />
nte/Akzente_Nr__54%2c_Dez._2011.pdf<br />
Zeitschriftenspiegel<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Greulich, Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags<br />
im <strong>GmbH</strong>-Konzern. Zugleich Besprechung<br />
von BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10 [= <strong>GmbH</strong>R 2011, 922 m.<br />
Komm. Ulrich], StBW 3/2012, 140ff.<br />
Hirte, <strong>Die</strong> Entwicklung des Unternehmens- und Gesellschaftsrechts<br />
in Deutschland im Jahre 2011, NJW 9/2012,<br />
581ff.<br />
Lohr, Konvergenzgebot bei zwangsweiser Einziehung von<br />
Geschäftsanteilen, <strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 59ff.<br />
Omlor, Nichteintragungsfähigkeit des Testamentsvollstreckervermerks<br />
in die <strong>GmbH</strong>-Gesellschafterliste, DStR 6/2012,<br />
306ff.<br />
Theiselmann, Schuldscheindarlehen – ein alternatives Instrument<br />
zur Fremdfinanzierung, <strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 50ff.<br />
Werner, Bilanzierungsklauseln bei der <strong>GmbH</strong>& Co. KG, NWB<br />
6/2012, 495 ff.<br />
Steuerrecht<br />
7/2012 R97<br />
Behrens, Keine sog. Organschaft über die Grenze aufgrund<br />
des DBA-Diskriminierungsverbots, BB 8/2012, 485ff.<br />
Claß/Weggenmann, Ein neues Teilbetriebsverständnis im<br />
Umwandlungssteuerrecht - entscheidet zukünftig der<br />
EuGH?!, BB 9/2012, 552ff.<br />
Dörfler, Der neue UmwSt-Erlass vom 11.11.2011 – „Gut Ding<br />
will Weile haben“? – Teil II, StBW 4/2012, 176 ff.
Esskandari/Bick, Wegzugsbesteuerung bei Sitzverlegung in<br />
einen anderen Mitgliedstaat. EuGH hält sofortige Fälligkeit<br />
der Wegzugsbesteuerung einer Gesellschaft für unverhältnismäßig,<br />
StBW 4/2012, 179ff.<br />
Gragert, Rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze<br />
in §17 EStG, NWB 6/2012, 474ff.<br />
Glahe, Grenzüberschreitende Organschaft ohne Gewinnabführungsvertrag,<br />
IStR 4/2012, 128ff.<br />
Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende<br />
oder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 6/<br />
2012, 267ff.<br />
Korezkij, Update Unternehmensnachfolge: Neuerungen und<br />
Klarstellungen aus den ErbStR 2011 und den ErbStH 2011,<br />
DStR 7/2012, 340ff.<br />
Lenz/Seroin/Handwerker, <strong>Die</strong> französische Gruppenbesteuerung<br />
– ein Modell für Deutschland?, DB 7/2012, 365ff.<br />
Lüdtke, Zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 [<strong>GmbH</strong>R 2012,<br />
415 – in dieser Ausgabe]: Entlastungsberechtigung ausländischer<br />
Gesellschaften (§50d Abs.3 EStG), IStR 4/2012, 148ff.<br />
Martini, Das Verhältnis des persönlichen Körperschaftsteuertatbestandes<br />
zur Mitunternehmerschaft. <strong>Die</strong> steuerliche Zuordnung<br />
von Personenvereinigungen als Herausforderungen<br />
für die Kongruenz von Einkommen- und Körperschaftsteuer,<br />
DStR 8/2012, 388 ff.<br />
Musil, §50d Abs.3 EStG – eine unendliche Geschichte?, FR<br />
4/2012, 149 ff.<br />
Nitzschke, Veräußerung direkt gehaltener Beteiligungen an<br />
Kapitalgesellschaften durch beschränkt Körperschaftsteuerpflichtige.<br />
Führt §8b Abs.3 KStG zur partiellen Besteuerung<br />
eines Veräußerungsgewinns?, IStR 4/2012, 125ff.<br />
Rohler, Wegzugsbesteuerung und Funktionsverlagerung,<br />
<strong>GmbH</strong>-StB 2/2012, 54ff.<br />
Schneider, <strong>Die</strong> steuerliche Rückwirkung nach §2 UmwStG,<br />
NWB 6/2012, 484 ff.<br />
Schnitger, Anwendung des §8b Abs.1 KStG beim Kapitalertragsteuerabzug.<br />
Auswirkungen der Entscheidung des<br />
EuGH vom 20.10.2011 [= <strong>GmbH</strong>R 2011, 1211], DB 6/2012,<br />
305ff.<br />
Seifried, Neue BFH-Rechtsprechung zum Anteilsbegriff im<br />
Sinne der §§13a, 13b ErbStG, DStR 6/2012, 274ff.<br />
Sell, Schenkungsteuerliche Auswirkungen von Einlagen und<br />
Ausschüttungen in bzw. aus Kapitalgesellschaften. Rechtsprechung<br />
und gesetzliche Änderungen durch das<br />
BeitrRLUmsG vom 13.12.2011, DB 8/2012, 429ff.<br />
Thomalla, <strong>Die</strong> Beteiligung gemeinnütziger Körperschaften an<br />
gewerblich geprägten Personengesellschaften, BB 8/2012,<br />
490ff.<br />
Wehage, Kostentragung bei der erbschaftsteuerlichen Bewertung<br />
von Gesellschaftsanteilen, ErbStB 2/2012, 55ff.<br />
Buchbesprechung<br />
7/2012 R98<br />
Handbuch des internationalen <strong>GmbH</strong>-Rechts. Hrsg.<br />
von RA Dr. Rembert Süß und Notar Thomas Wachter. 2.Auflage.<br />
Zerb Verlag <strong>GmbH</strong>, Bonn 2011. 2.187S., gbd., inkl. CD-<br />
ROM, 188,– a.<br />
I. Inhalt des Buchs<br />
Insbesondere durch die Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit<br />
des europäischen Gesellschaftsrechts<br />
findet das internationale und ausländische Gesellschaftsrecht<br />
Einzug in die tägliche Rechtspraxis. Der zunehmende<br />
Einsatz von Auslandsgesellschaften wie etwa der englischen<br />
Ltd. wirft zahlreiche neue Fragen im Gesellschafts-, Insolvenzund<br />
Steuerrecht auf.<br />
<strong>Die</strong> Autoren sind renommierte Praktiker des <strong>GmbH</strong>-Rechts<br />
aus den verschiedensten Ländern und stellen das <strong>GmbH</strong>-<br />
Recht der folgenden 42 Länder dar: Argentinien, Australien,<br />
Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland,<br />
England, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien,<br />
Italien, Japan, Kanada, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen,<br />
Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien,<br />
Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Singapur,<br />
Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine,<br />
Ungarn, USA, Vereinigte Arabische Emirate, Weißrussland.<br />
<strong>Die</strong> beiliegende CD-ROM enthält weitere 32 Länderberichte<br />
in elektronischer Fassung mit Informationen und Materialien,<br />
wie z.B. Mustern und Formularen.<br />
<strong>Die</strong> Länderkapitel haben eine vergleichbare Struktur und behandeln<br />
im Wesentlichen folgende Aspekte: Gründung der<br />
Gesellschaft, Inhalt des Gesellschaftsvertrags, Kapital und<br />
Kapitalschutz, Handelsregister, Gesellschafter und Geschäftsanteile,<br />
Geschäftsführung und Vertretung, weitere Organe<br />
der Gesellschaft, Buchführung und Rechnungslegung,<br />
Mitbestimmung, Zweigniederlassungen, Insolvenz der Gesellschaft,<br />
Auflösung der Gesellschaft, Gesellschaft im internationalen<br />
Privatrecht, Steuerrecht.<br />
II. Bewertung<br />
Schon die erste Auflage des Buchs wurde als praxistaugliches<br />
Werkzeug internationaler Berater gelobt. <strong>Die</strong> zweite<br />
Auflage trägt nun der Tatsache Rechnung, dass in verschiedenen<br />
Rechtsordnungen Gesetzesänderungen im Bereich<br />
des Gesellschaftsrecht zu verzeichnen waren. Es werden natürlich<br />
auch die Änderungen im deutschen <strong>GmbH</strong>-Recht<br />
durch das „MoMiG „dargestellt.<br />
Hilfreich ist der vorangestellte „allgemeine Teil“ zum internationalen<br />
Gesellschaftsrecht. Innerhalb Europas ist die schon<br />
erwähnte Niederlassungsfreiheit relevant, die zur zwischenzeitlich<br />
großen Zahl von Limited Companies in Deutschland<br />
geführt hat, auch wenn aufgrund der „UG“ der Trend rückläufig<br />
zu sein scheint. Praxisrelevant sind auch die Ausführungen<br />
zur Sitzverlegung, zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen<br />
und Unternehmensverträgen und zum internationalen<br />
Steuerrecht.
Aus Sicht eines im Grenzgebiet tätigen Juristen sind die Ausführungen<br />
zu Belgien und den Niederlanden von Relevanz.<br />
Hilfreich ist, dass die französischsprachigen und niederländischsprachigen<br />
Begriffe genannt werden. <strong>Die</strong>s erleichtert<br />
den Umgang mit fremdsprachigen Dokumenten.<br />
Exemplarisch sei noch England herausgegriffen: Ein guter<br />
Überblick über die möglichen Organisationsformen im englischen<br />
Gesellschaftsrecht hilft und es werden die bedeutsamen<br />
Rechtsgrundlagen für die dann maßgeblich behandelte<br />
Ltd. dargestellt. Auch die Querverbindungen zum deutschen<br />
Recht, etwa bei Ltd.& Co. KG werden aufgezeigt.<br />
III. Fazit<br />
Das Handbuch des internationalen <strong>GmbH</strong>-Rechts ermöglicht<br />
eine schnelle und ausführliche Orientierung hinsichtlich<br />
der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung und<br />
Tätigkeit einer <strong>GmbH</strong> im Ausland. Es ist daher den bei international<br />
agierenden Unternehmen tätigen Syndikusanwälten<br />
sowie Rechts- und Unternehmensberatern sehr zu empfehlen.<br />
Dr. Roman Jordans, LL.M (NZ), Banksyndikus sowie<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und<br />
Kapitalmarktrecht, Aachen<br />
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter<br />
Haftung: <strong>GmbH</strong>G. Kommentar von Prof. Dr. Günter H.<br />
Roth und Prof. Dr. Holger Altmeppen. 7., neubearbeitete Auflage.<br />
Verlag C. H. Beck, München 2012. 1.386 S., Ln. 89,00 a.<br />
<strong>Die</strong> Zahl von ca. 1.000.000 <strong>GmbH</strong>s zeigt die wirtschaftliche<br />
Bedeutung dieser Rechtsform insbesondere für kleine und<br />
mittlere Unternehmen. <strong>Die</strong>ser Kommentar erläutert in knapper,<br />
präziser und verständlicher Sprache das <strong>GmbH</strong>-Gesetz<br />
sowieimAnhangzu§13<strong>GmbH</strong>Gdas<strong>GmbH</strong>-Konzernrecht.<br />
<strong>Die</strong> Kommentierung zeigt Probleme auf und bietet<br />
praktische Lösungsmöglichkeiten.<br />
<strong>Die</strong> Neuauflage berücksichtigt die Erfahrung und Auswirkungen<br />
der <strong>GmbH</strong>-Reform durch das MoMiG, aber auch<br />
die Änderungen der Folgezeit wie z.B. FGG-ReformG und<br />
ARUG. <strong>Die</strong> Fülle an Literatur wird ausgewertet unter Berücksichtigung<br />
des Grundprinzips des Kommentars, Probleme<br />
vorausschauend zu erkennen und zu lösen. Herausgearbeitet<br />
werden stets dogmatisch saubere und dennoch wirtschaftlich<br />
sinnvolle Lösungen. Damit bleibt der Roth/Altmeppen<br />
ein idealer Kommentar für jede Form der <strong>GmbH</strong><br />
von der Gründung bis zu ihrer Liquidation.<br />
<strong>Die</strong> beiden Verfasser sind Professoren mit dem Schwerpunkt<br />
des Handels- und Wirtschaftsrechts und als Autoren<br />
zahlreicher Veröffentlichungen zum Gesellschaftsrecht bekannt.<br />
Beide verfügen über umfangreiche praktische Erfahrungen<br />
auf diesem Rechtsgebiet, die sie als Rechtsanwalt<br />
bzw. Gutachter erworben haben.<br />
Tagungshinweise<br />
7/2012 R99<br />
Zertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensivfortbildung<br />
zur Konzernrechnungslegung<br />
<strong>Die</strong> Hochschule Bochum und die Lucanet Academy bieten<br />
ab Mai 2012 erneut die erfolgreiche Intensivfortbildung zum<br />
„Certified Expert of Consolidation“ an. Der Kurs unter Leitung<br />
von Prof. Dr. Carsten Theile findet in drei Modulen statt und<br />
vermittelt das praxisorientierte Wissen zur Aufstellung von<br />
Konzernabschlüssen nach HGB und IFRS.<br />
In drei aufeinander aufbauenden Präsenzmodulen von je 2,5<br />
Tagen sowie mithilfe ergänzender Lehrmaterialien zum<br />
Selbststudium werden die Absolventen in die Lage versetzt,<br />
auch schwierige Konsolidierungsprobleme eigenständig zu<br />
lösen. <strong>Die</strong> Hochschule Bochum verleiht den Titel „Certified<br />
Expert of Consolidation“ an die Absolventen, wenn sie die erforderlichen<br />
Prüfungsleistungen (drei Klausuren, drei Tests)<br />
erfolgreich bestanden haben.<br />
Termine in Bochum:<br />
– Modul 1 vom 10. bis 12.5.2012 zu den Grundlagen des<br />
Konzernabschlusses;<br />
– Modul 2 vom 14. bis 16.6.2012 mit Erweiterung und Vertiefung<br />
des Grundlagenwissens;<br />
– Modul 3 vom 13. bis 15.9.2012 zu Spezialfällen der Konsolidierung,<br />
Bilanzanalyse und -politik.<br />
<strong>Die</strong> Teilnahmegebühr beträgt pro Person und Modul 1.490a;<br />
drei Module kosten 3.990a (jeweils zzgl. MwSt.). <strong>Die</strong> Buchung<br />
einzelner Module ist möglich.<br />
Nähere Informationen im Internet unter<br />
„www.lucanet-academy.com“, per E-Mail unter<br />
„info@lucanet-academy.com” oder telefonisch unter<br />
„+49(0)30/469910150“.
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Erstens: Zweimal monatlich die Zeitschrift. So bleiben Sie immer auf dem Laufenden.<br />
Zweitens: <strong>Die</strong> <strong>GmbH</strong>R-CD. Eine riesige Datenbank mit regelmäßigen Updates zweimal im Jahr.<br />
Drittens: Machen Sie jetzt den Test und bestellen Sie Ihr Schnupperabonnement und Sie<br />
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Bestellfax (02 21) 9 37 38-943<br />
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Name PLZ / Ort<br />
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Straße Datum / Unterschrift<br />
www.otto-schmidt.de<br />
7/2012 R100<br />
Mein Recht: Das Probeabonnement ist ohne Risiko –<br />
ich kann es bis 14 Tage nach Erhalt des letzten <strong>Heft</strong>es<br />
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Datum Unterschrift / Widerrufsrecht 11/11<br />
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