'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
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96 5. Resumée<br />
5. Resumée<br />
Zusammenfassung<br />
Herbert kritisiert zurecht die „zukunftsbl<strong>in</strong>de, längerfristige Folgewirkungen negierende und<br />
e<strong>in</strong>seitig wachstumsorientierte“ Auslän<strong>der</strong>politik <strong>der</strong> gesamten deutschen Gesellschaft bis <strong>in</strong> die<br />
siebziger Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und vergleicht sie mit e<strong>in</strong>er ähnlichen Bl<strong>in</strong>dheit im Umweltbereich o<strong>der</strong> im<br />
Städtebau 1 .<br />
Die fünf Elemente <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ (zentrale Rekrutierung, Inlän<strong>der</strong>primat, Tarifgleichheit, Rotationspr<strong>in</strong>zip<br />
und permanente Kontrolle) wurden ohne große Diskussion aus <strong>der</strong> Vorkriegszeit<br />
<strong>in</strong> die <strong>Bundesrepublik</strong> übernommen. Aufgrund des herrschenden Arbeitskräftemangels profitierten<br />
alle Interessengruppen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung ausländischer Arbeitskräfte, die – das schien<br />
gewiß – ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung werden würde. Dafür sorgten das ausgefeilte rechtliche Instrumentarium<br />
und <strong>der</strong> Rückkehrwille <strong>der</strong> MigrantInnen selbst. Das Wirtschaftswun<strong>der</strong>land leistete<br />
sich e<strong>in</strong>e ‘Laissez Faire’-Politik. Die Rückkehr <strong>der</strong> MigrantInnen schien so selbstverständlich,<br />
daß das Rotations-Instrumentarium gar nicht angewendet wurde, und die MigrantInnen begannen,<br />
sich nie<strong>der</strong>zulassen.<br />
Von konservativer Seite wurde argumentiert, daß das Rotationspr<strong>in</strong>zip anfangs funktionierte,<br />
ehe es allmählich aufgeweicht wurde. E<strong>in</strong>e konsequente Anwendung hätte e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Mir sche<strong>in</strong>t jedoch das Rotationspr<strong>in</strong>zip – jedenfalls bei Migrationen dieser Größenordnung<br />
– <strong>von</strong> vornehere<strong>in</strong> unrealistisch gewesen zu se<strong>in</strong>, denn <strong>in</strong> komplexen Industriegesellschaften<br />
werden e<strong>in</strong>gearbeitete Stammkräfte gebraucht. Hauptsächlich diese Unternehmens<strong>in</strong>teressen<br />
verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten denn auch e<strong>in</strong>e Anwendung <strong>der</strong> rechtlichen Strukturen. Denkbar ist e<strong>in</strong>e<br />
Rotation nur <strong>in</strong> saisonalen Randbereichen <strong>der</strong> Wirtschaft, so im Fremdenverkehr o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft. Tatsächlich beruhte die ‘Gastarbeits’-Politik auf den Erfahrungen mit <strong>der</strong> agrarischen<br />
Saisonarbeit im Kaiserreich.<br />
„Those <strong>in</strong> favor of return migration are oriented towards the traditional model of the seasonal worker. In the past this was<br />
a normal arrangement enforced, if necessary, by legal measures. Mo<strong>der</strong>n guestworker policy was based on the idea of<br />
the seasonal worker but seldom used legal measures to br<strong>in</strong>g about return migration.“ 2<br />
E<strong>in</strong>e exakte Steuerung ist auch zunehmend schwieriger, denn Migrationsbewegungen gew<strong>in</strong>nen<br />
<strong>von</strong> selbst e<strong>in</strong>e immer stärkere Eigendynamik. Nicht mehr brauchbar ist die Vorstellung<br />
<strong>von</strong> zwei monolithischen Blöcken Herkunfts- und Aufnahmeland, die e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> gegenüber stehen,<br />
und den MigrantInnen, die <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em System <strong>in</strong>s an<strong>der</strong>e wechseln. Vielmehr entsteht mit<br />
<strong>der</strong> Migrationsbewegung e<strong>in</strong> eigenes System, e<strong>in</strong> Migrationsnetz, <strong>in</strong> dem vielfältige personelle,<br />
ökonomische, kulturelle Verb<strong>in</strong>dungen wachsen. Ist e<strong>in</strong>e Wan<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> Gang gekommen, läßt<br />
sie sich nicht mehr ohne weiteres über den Arbeitsmarkt steuern. Auch <strong>der</strong> Staat - wenigstens<br />
<strong>der</strong> demokratische Rechtsstaat – kann nur noch bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>greifen.<br />
Viele Regulierungsmaßnahmen scheiterten, weil die MigrantInnen Umgehungsmöglichkeiten<br />
fanden, weil es rechtsstaatliche H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse und Legitimationsprobleme gab. E<strong>in</strong> Rotationspr<strong>in</strong>zip<br />
hätte sich nur mit massiver staatlicher Gewalt durchsetzen lassen, wogegen es <strong>in</strong> <strong>der</strong> nationalen<br />
und <strong>in</strong>ternationalen Öffentlichkeit erhebliche Wi<strong>der</strong>stände gab – nicht zuletzt aufgrund <strong>der</strong><br />
deutschen Zwangsarbeits-Vergangenheit. In geschlosseneren Gesellschaften wie den Golfstaaten<br />
o<strong>der</strong> Libyen war das vielleicht möglich, nicht aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong>.<br />
Hätte man die E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung vermeiden wollen, hätte man ganz auf die Auslän<strong>der</strong>beschäftigung<br />
verzichten müssen. Ob das volkswirtschaftlich schädlich o<strong>der</strong> nützlich gewesen wäre, ist<br />
umstritten, sche<strong>in</strong>t aber angesichts <strong>der</strong> parallelen Entwicklung <strong>in</strong> allen europäischen Industriegesellschaften<br />
e<strong>in</strong>e müßige Fragestellung. Die wirtschaftliche Entwicklung <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />
sche<strong>in</strong>t undenkbar ohne Arbeitsmigration.