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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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94 4.4. Lebensgeschichte e<strong>in</strong>er spanischen Deutschen<br />

alle<strong>in</strong>e o.k., aber nicht drei Personen. So blieb mir nichts an<strong>der</strong>es übrig; das hat mir die Sache ganz schön kaputt gemacht.“<br />

Sie war <strong>in</strong> den siebziger Jahren oft bei Veranstaltungen des Spanischen Elternvere<strong>in</strong>s, allerd<strong>in</strong>gs<br />

wohl weniger aus konkreten Schulproblemen, son<strong>der</strong>n um zu feiern und Landsleute zu<br />

treffen: „Das war für uns so wie e<strong>in</strong> Stück Heimat.“ Unter den spanischen Kolleg<strong>in</strong>nen herrschte<br />

ke<strong>in</strong> enges Verhältnis. Sie bedauert, daß die spanische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> so kle<strong>in</strong> ist und weiter<br />

schrumpft. Der Elternvere<strong>in</strong> litt unter <strong>der</strong> steigenden Miete und <strong>der</strong> Remigration vieler Mitglie<strong>der</strong>:<br />

„Die Spanier wurden immer weniger, und das konnten wir nicht mehr halten... Dies ist bei uns nicht wie bei den Türken;<br />

wir s<strong>in</strong>d bloß ‘n paar, und da s<strong>in</strong>d auch viele junge Männer mit deutschen Frauen verheiratet o<strong>der</strong> umgekehrt, da ist klar,<br />

dann gehen die nicht h<strong>in</strong>. Und viele s<strong>in</strong>d zurückgegangen nach Haus und Jahr für Jahr gehen immer mehr weg. Wir<br />

wollen auch zurück, weil me<strong>in</strong> Mann sich (vor allem aus gesundheitlichen Gründen, C.P.) überhaupt nicht wohlfühlt.“<br />

Sie wollen nicht <strong>in</strong> ihr andalusisches Heimatdorf, son<strong>der</strong>n nach Barcelona ziehen.<br />

„Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> wollen hierbleiben, weil <strong>der</strong> Große hat ‘ne deutsche Freund<strong>in</strong> und <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>e das Gleiche. Und ich kann das<br />

auch verstehen: Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d Spanier, aber <strong>in</strong> Wirklichkeit s<strong>in</strong>d sie Deutsche, die s<strong>in</strong>d hier großgeworden, die s<strong>in</strong>d<br />

hier <strong>in</strong> die Schule gegangen. Was kennen die denn <strong>von</strong> Spanien, nur <strong>von</strong> Urlaub! Da s<strong>in</strong>d sie fremd, und hier auch, weil<br />

sie Auslän<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d, aber hier s<strong>in</strong>d sie mehr zuhause wie da drüben, und wollen hier bleiben. Warum sollte ich die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

wegnehmen? Die s<strong>in</strong>d Erwachsene; die müssen Ihres alle<strong>in</strong>e suchen. Ich komm sie besuchen, ist heute mit Flugzeug<br />

nicht schwer; <strong>von</strong> hier nach Spanien s<strong>in</strong>d es 2000 Kilometer, das s<strong>in</strong>d zweie<strong>in</strong>halb Stunden.“<br />

Daher dürfte die im Sommer 1993 def<strong>in</strong>itiv anstehende Rückkehr e<strong>in</strong>en Pendelcharakter gew<strong>in</strong>nen.<br />

Auch hängt Frau A. noch an <strong>Deutschland</strong>; Spanien ist nicht mehr so, wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />

schien.<br />

„Für mich kann ich sagen, <strong>Deutschland</strong> ist me<strong>in</strong>e zweite Heimat, mehr als Spanien, weil ich hier länger lebe als drüben.<br />

Ja, ich me<strong>in</strong>e, trotzdem will ich me<strong>in</strong>e Heimat aber. <strong>Deutschland</strong> lieb ich auch, weil ich jetzt die meiste Zeit hier war, obwohl<br />

mir <strong>in</strong> letzter Zeit die Atmosphäre nicht mehr gefällt. In Spanien geht es <strong>in</strong>zwischen genauso wie hier, Kaufhäuser...<br />

das Verhältnis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie ist auch nicht mehr wie früher. Ich merke es, wenn wir <strong>in</strong> Urlaub gehen: Am ersten,<br />

zweiten Tag freuen sie sich, daß wir wie<strong>der</strong> da s<strong>in</strong>d, aber nachher kümmert sich überhaupt ke<strong>in</strong>er mehr.“<br />

Sie hat ungewöhnlicherweise schon vor zwanzig Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen<br />

– aus pragmatischen Gründen: „Beim Senat war es früher so, die Auslän<strong>der</strong> haben<br />

immer nur Verträge für e<strong>in</strong> halbes Jahr gekriegt.“ Ansche<strong>in</strong>end wollte ihr Arbeitgeber, e<strong>in</strong> Krankenhaus,<br />

sie für länger; tatsächlich arbeitet sie seit 25 Jahren dort. Sie bekam den Paß ohne<br />

Schwierigkeiten. Mann und K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben weiterh<strong>in</strong> die spanische Staatsangehörigkeit. „Me<strong>in</strong><br />

Sohn sagt: ‘Mama, ich war immer Spanier, warum denn? Ich hab ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong>, warum sollte ich...?’ Wir brauchen ke<strong>in</strong>e Arbeitserlaubnis mehr, weil wir voll <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

EG s<strong>in</strong>d. Ich geh wählen, Lust hab ich sowieso nicht, aber ich geh h<strong>in</strong>, alle vier Jahre.“ Für die<br />

Familie hat die E<strong>in</strong>bürgerung offensichtlich we<strong>der</strong> mit Assimilation noch mit Bleibeorientierung<br />

etwas zu tun.<br />

Sie bemerkt die Erleichterungen durch die europäische Integration, kritisiert aber zugleich die<br />

Hierarchisierung <strong>in</strong> gute und schlechte MigrantInnen:<br />

„In <strong>der</strong> Frühstückspause... da wurde manchmal ‘n Wort über Auslän<strong>der</strong> gesagt, und da merken die, daß ich gleich aggressiv<br />

werde, und sagen zu mir: ‘Wir me<strong>in</strong>en nicht dich, du bist hier auch ke<strong>in</strong> Auslän<strong>der</strong> mehr, du bist Europäer.’ Aber<br />

ich sage: ‘Wieso?’ Trotzdem ärgert mich das... Sie machen jetzt praktisch so’n Unterschied zwischen Leuten, die aus’m<br />

EG–Land kommen und den an<strong>der</strong>en. Ich hab gesagt: ‘Paß mal auf, als ich damals nach <strong>Deutschland</strong> gekommen b<strong>in</strong>,<br />

war ich noch nicht Europäer, und war genau wie heute, hab mich nicht geän<strong>der</strong>t.’... Auch die Türken wurden hiergebracht.“<br />

Seit e<strong>in</strong>igen Jahren spürt sie wachsende Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit, „früher war das nicht so.“<br />

Frau A. sagt aber: „Ich hab mir nie unterdrücken lassen.“ Sie er<strong>in</strong>nert daran:<br />

„Die Deutschen dürfen auch nicht vergessen, daß wir s<strong>in</strong>d nicht <strong>von</strong> alle<strong>in</strong>e hergekommen, wir wurden geholt <strong>von</strong> Spanien<br />

und <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n... Ich f<strong>in</strong>de das nicht schön, daß sie die Leute heute nach 29 o<strong>der</strong> 30 Jahren Arbeit<br />

rausnehmen.“<br />

Und heute,<br />

„... da b<strong>in</strong> ich <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, da s<strong>in</strong>d wir ke<strong>in</strong>e Auslän<strong>der</strong> mehr nach soundsovielen Jahren! Denn wir haben Berl<strong>in</strong> nicht<br />

gebaut, aber wir haben auch mitgeholfen.“

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