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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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4.4. Lebensgeschichte e<strong>in</strong>er spanischen Deutschen 93<br />

4.4. Lebensgeschichte e<strong>in</strong>er spanischen Deutschen<br />

Ich habe <strong>in</strong> dieser Arbeit, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Kapitel 4, versucht, Migrationserfahrung und Rückkehrorientierung<br />

<strong>in</strong> ihrer biographischen Bedeutung zu analysieren und me<strong>in</strong>e Überlegungen<br />

immer wie<strong>der</strong> mit Ausschnitten aus lebensgeschichtlichen Interviews belegt und illustriert. Diese<br />

Lebensgeschichten, die teilweise bereits <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en AutorInnen analysiert worden waren, habe<br />

ich, me<strong>in</strong>em Argumentationsgang entsprechend, noch weiter ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>genommen. Nun<br />

möchte ich am Schluß me<strong>in</strong>er Analyse noch e<strong>in</strong>e Lebensgeschichte im Zusammenhang vorstellen.<br />

Frau A. 1 ist aus Andalusien und kam 1964 als 17jährige nach <strong>Deutschland</strong>. Bei <strong>der</strong> Abreise<br />

hatte sie zu ihrem Vater gesagt: „’In e<strong>in</strong>em halben Jahr komme ich zurück.’“ Seither lebt sie <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>: „’N halbes Jahr wurde 28, fast 29 Jahre!“<br />

Sie g<strong>in</strong>g nach <strong>Deutschland</strong>, da die Familie <strong>in</strong> wirtschaftlicher Not war:<br />

„Me<strong>in</strong>e Eltern hatten e<strong>in</strong> Haus, und da war e<strong>in</strong> Unwetter <strong>in</strong> Spanien, und das ganze Dach ist runtergekommen. Me<strong>in</strong>e<br />

Eltern hatten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit Probleme mit <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung, weil me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e schwere Krankheit hatte, und da haben<br />

sie das ganze Geld re<strong>in</strong>gesteckt. Die hätten wer weiß wie viele Jahre sparen müssen, daß sie das Dach reparieren.<br />

Darum wollte ich nach <strong>Deutschland</strong> kommen, weil ich gehört hab, da kann man viel Geld verdienen. Da hab ich gedacht:<br />

‘Geh ich!’“<br />

Das Spar- und damit Migrationsziel war zunächst ziemlich konkret. An<strong>der</strong>erseits gab es <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Familie e<strong>in</strong>e Auswan<strong>der</strong>ungstradition:<br />

„Ich hatte auch <strong>von</strong> Familienseite sehr viele, die emigrieren. Me<strong>in</strong>e Schwester und icke, und Bru<strong>der</strong> und Schwester <strong>von</strong><br />

me<strong>in</strong>em Vater, die s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Rio... Me<strong>in</strong> Vater war an<strong>der</strong>s. Ich hab gesagt, ich versuch me<strong>in</strong> Glück woan<strong>der</strong>s. Und me<strong>in</strong>e<br />

Schwester das gleiche, die h<strong>in</strong>g nicht so, die bleibt für immer <strong>in</strong> Australien. Und me<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> Rio ist seit 85 Jahren<br />

da.“<br />

Obwohl – o<strong>der</strong> gerade weil – ihr Vater bei ihrer Abfahrt „bitter gewe<strong>in</strong>t“ hat und sie aufhalten<br />

wollte, fühlte sie e<strong>in</strong>en familiären Auftrag, <strong>der</strong> schwer auf ihr lastete:<br />

„Die erste Zeit war sehr schwer; wieviele Tränen hab ich manchmal vergossen, weil ich wollte mir auch was kaufen genau<br />

wie die an<strong>der</strong>en, und das Geld hat vorne und h<strong>in</strong>ten nicht gereicht. Denn ich mußte auch me<strong>in</strong>en Eltern was wegschicken.“<br />

Die Eltern verglichen sie mit an<strong>der</strong>en Emigranten:<br />

„Viele haben hier <strong>in</strong> Kellerwohnungen gewohnt, die s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Urlaub gefahren, haben e<strong>in</strong> Auto gemietet, und s<strong>in</strong>d nach<br />

Spanien gekommen: ‘Wir s<strong>in</strong>d die Millionäre.’ Und me<strong>in</strong>e Mutter hat gesagt: ‘Wieso schaffen die das, und me<strong>in</strong>e Tochter<br />

nicht?’“ „Me<strong>in</strong>e Eltern haben mir F<strong>in</strong>ger gezeigt, so, ich b<strong>in</strong> das schwarze Schaf, ich verdiene und will ihnen nicht helfen,<br />

und das war für mich natürlich sehr deprimierend. Ich lag nachher auch e<strong>in</strong> paar Wochen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nervenkl<strong>in</strong>ik... Das<br />

hab ich alles mit gefressen, die ganzen Probleme, die ich hier hatte am Anfang, alle<strong>in</strong>e weg <strong>von</strong> zu Hause, und das hat<br />

nicht geklappt.“<br />

Als viele ihrer Kolleg<strong>in</strong>nen kündigen und nach Hause fahren wollten, hatte sie das Gefühl,<br />

sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat noch nicht sehen lassen zu können: „Ne, ich bleib hier, ich geh nicht mit leeren<br />

Händen.“ Sie mußte die strengen Regeln im Wohnheim – Frau A. ist e<strong>in</strong>e gewisse Ausnahme,<br />

da sie anfangs noch nicht volljährig war – strikt befolgen: „Das wäre für mich e<strong>in</strong>e<br />

Schande gewesen, daß sie mich nach Hause schicken, weil ich mich nicht benommen habe.“<br />

Frau A. wechselte anfangs öfter die Arbeit und sparte eisern: „Manchmal b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong>s Bett gegangen<br />

ohne Essen.“<br />

Dann heiratete sie e<strong>in</strong>en Spanier. „Me<strong>in</strong>en Mann habe ich hier kennengelernt <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>..., <strong>der</strong><br />

ist schon 33 Jahre hier.“ Sie richteten sich die Wohnung e<strong>in</strong>, bekamen e<strong>in</strong>en Sohn. Erst nach<br />

sieben Jahren leistete Frau A. sich den ersten Heimaturlaub. Daß sie ihren <strong>in</strong>zwischen gestorbenen<br />

Vater nicht mehr gesehen hatte, belastete sie schwer.<br />

In diesem Urlaub überlegte sie, zurückzukehren, denn sie fühlte sich zwischen ihren beiden<br />

Familien h<strong>in</strong>- und hergerissen:<br />

„Es war ganz schwer für me<strong>in</strong>e Mutter, da stand sie alle<strong>in</strong>e mit me<strong>in</strong>em beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Bru<strong>der</strong>. Aber ich konnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit<br />

nicht alles hier verlassen. In <strong>der</strong> Zwischenzeit hatte ich schon den Jungen. Ich konnte nicht e<strong>in</strong>fach alles h<strong>in</strong>schmeißen<br />

und weggehen, weil ich hatte auch ke<strong>in</strong>e Arbeit für me<strong>in</strong>en Mann <strong>in</strong> Spanien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit. Was wäre das gewesen? E<strong>in</strong>er

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