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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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4.3. Funktionen <strong>der</strong> Rückkehrorientierung 89<br />

„Wenn wir <strong>in</strong> die Türkei gehen, dann werden wir wie<strong>der</strong> mit unserem Allah... mit unserem Buch anfangen ... Wir werden<br />

wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ordnung re<strong>in</strong>kommen.“ 49 In diesem S<strong>in</strong>n ist die Rückkehr „nicht nur e<strong>in</strong>e räumliche Kategorie (...), son<strong>der</strong>n<br />

auch e<strong>in</strong>e Metapher“ und „me<strong>in</strong>t auch den Versuch, Kont<strong>in</strong>uität herzustellen, zu den Ursprüngen zurückzukehren“<br />

50 .<br />

Die Suche nach den Ursprüngen ist nicht nur Wurzel <strong>der</strong> Rückkehr-Metapher, son<strong>der</strong>n auch<br />

je<strong>der</strong> Religion. Daher hat die Rückkehrorientierung ähnliche Funktionen wie das bewußte Bekenntnis<br />

zum Islam. Muslimische Fundamentalisten äußern nach Mihçiyazgan weniger Rückkehrabsichten<br />

51 ; sie s<strong>in</strong>d schon ‘zu Allah’ zurückgekehrt. Zur Restabilisierung <strong>der</strong> eigenen S<strong>in</strong>nwelt<br />

und <strong>der</strong> Gruppenzugehörigkeit ist die Religion damit e<strong>in</strong>e Alternative zur Rückkehrorientierung.<br />

Für e<strong>in</strong>en damit vermuteten Zusammenhang zwischen Islamisierung und – auch subjektiver<br />

– Bleibetendenz sprechen E<strong>in</strong>richtungen wie e<strong>in</strong>e deutschsprachige islamische Grundschule<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>deutig auf e<strong>in</strong> Bleiben <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> ausgerichtet s<strong>in</strong>d 52 .<br />

Rückkehrorientierung als Familienprojekt<br />

Mihçiyazgan 53 vermutet neben Rückkehrorientierung und Religion speziell für Frauen noch<br />

e<strong>in</strong>e dritte wichtige Strategie, ihre Identität zu sichern: die Mutterschaft. Türkische Frauen fühlten<br />

sich a) vor allen an<strong>der</strong>en Rollen und b) zeitlebens als Mutter; dieses Selbstverständnis bedeute<br />

dann zwangsläufig, daß sich die Rückkehrabsicht nach <strong>der</strong> Zukunft <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

aufgewachsenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> richtet: „Hierbleiben o<strong>der</strong> gehen, alles abhängig <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n.“ 54 Das<br />

verweist erneut auf die Familie als zentralen Referenzrahmen <strong>der</strong> Migrationsentscheidungen.<br />

Nach Korte ist die Rückkehrorientierung e<strong>in</strong> Familienprojekt, das den Familienzusammenhalt<br />

stärkt. Sie stellte fest, daß <strong>in</strong> allen Familien darüber diskutiert wird und dadurch e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Zukunft entwickelt wird. Nicht übersehen darf man dabei aber die massiven Konflikte <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Migrantenfamilien, die <strong>in</strong> ihrer existentiellen Tragweite kaum lösbar s<strong>in</strong>d. „Durch eigene<br />

Lebensentwürfe“ distanzieren sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

„vom Lebensentwurf <strong>der</strong> Eltern und stellen den Erfolg des Migrationsprojektes <strong>in</strong> Frage. Je länger die Migration andauert,<br />

desto höher das Risiko. Daher gilt es, die Zeit während <strong>der</strong> Migration so zu <strong>in</strong>vestieren, daß ihre Beendigung beschleunigt<br />

wird. Jede Entscheidung, so etwa die schulische Karriere und die Berufsausbildung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, muß zielkonform<br />

se<strong>in</strong>, und die Zeitkosten müssen abgewogen werden.“ 55<br />

Wenn die Eltern ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Lösung mehr sehen, werden manche K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch gegen ihren<br />

Willen mit Landsleuten verheiratet o<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Heimatland zurückgebracht.<br />

Auf die sogenannte ‘Zweite Generation’ kann hier nicht näher e<strong>in</strong>gegangen werden; auch ihre<br />

Zukunftsabsichten s<strong>in</strong>d mehrdeutig: 56 % <strong>der</strong> 15- bis 24jährigen wollten 1985 noch länger <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> bleiben, nur 11.2 % planten e<strong>in</strong>e Rückkehr 56 . An<strong>der</strong>erseits stellten sich türkische<br />

und jugoslawische Jugendliche nur zu 26.5 % bzw. 31.4 % e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> vor, über<br />

die Hälfte dagegen im Herkunftsland 57 . Ähnlich dachten junge ItalienerInnen, GriechInnen und<br />

PortugiesInnen 58 . Für Boos-Nünn<strong>in</strong>g ist auch die Zukunftsplanung <strong>der</strong> Jugendlichen „e<strong>in</strong> Leben<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwebe“ 59 . Wenn die Eltern, vor allem die Mütter, sich nun zunehmend nach ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

richten, muß ihre Zukunftsplanung genauso offen bleiben wie die ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

An<strong>der</strong>erseits können Eltern hoffen, mit e<strong>in</strong>er Rückkehr <strong>der</strong> Familie die Abnabelung ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

wenn nicht zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, so doch abzumil<strong>der</strong>n: Das Rückkehrziel enthält auch die traditionelle<br />

Verpflichtung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>, ihre Eltern zu achten und zu versorgen, die beim Daueraufenthalt<br />

<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> verloren zu gehen droht. E<strong>in</strong> 17jähriger Jugoslawe: „Me<strong>in</strong>e Mutter ist e<strong>in</strong><br />

bißchen altmodisch, sie will, daß wir mit zurückkehren, weil sie denkt, daß wir sie dann unterstützen“<br />

60 . Wichtiger als die materielle Versorgung ist dabei wohl <strong>der</strong> Wunsch nach e<strong>in</strong>em ruhigen<br />

und geachteten Lebensabend. So hilft die Möglichkeit e<strong>in</strong>er Remigration auch als ge-

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