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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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84 4.3. Funktionen <strong>der</strong> Rückkehrorientierung<br />

4.3. Funktionen <strong>der</strong> Rückkehrorientierung – „Zum Schluß will je<strong>der</strong> zurückkehren“<br />

Rückkehrabsicht, Rückkehrillusion, Rückkehrorientierung<br />

Obwohl sie sich längst nie<strong>der</strong>gelassen hatten, hielten viele MigrantInnen an ihrer Rückkehrabsicht<br />

fest. Je länger <strong>der</strong> Aufenthalt dauerte, desto unwahrsche<strong>in</strong>licher wurde e<strong>in</strong>e Verwirklichung<br />

dieser Absicht.<br />

Schon 1979 sagte die Berl<strong>in</strong>er Socialdata-Studie voraus, daß fast vier Fünftel <strong>der</strong> MigrantInnen<br />

hierbleiben würden. Die Absichten <strong>der</strong> Befragten wurden dabei nach den Kriterien Aufenthaltsdauer<br />

und Vollständigkeit des Familiennachzugs umgewichtet; nur wer e<strong>in</strong> konkretes Datum<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>von</strong> fünf Jahren angeben konnte, würde tatsächlich zurückkehren 1 .<br />

E<strong>in</strong>e Überprüfung <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Verweilquoten 1979–88 bestätigt diese Vorhersage im wesentlichen<br />

2 . Für die große Mehrheit <strong>der</strong> MigrantInnen sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Rückkehr seit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em<br />

Jahrzehnt ausgeschlossen. Aus <strong>der</strong> Rückkehrabsicht ist e<strong>in</strong>e „Rückkehrillusion“ geworden<br />

3 . Zwar können sich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen än<strong>der</strong>n, auch ist im E<strong>in</strong>zelfall e<strong>in</strong>e Prognose<br />

kaum möglich. Für e<strong>in</strong>en – kle<strong>in</strong>eren – Teil wird die Rückkehr doch noch Realität, für e<strong>in</strong>en –<br />

größeren – Teil bleibt sie Illusion. „Die reale Rückkehr <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en speist die Illusion <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.“<br />

4<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Rückkehr- o<strong>der</strong> Heimkehrillusion wird den MigrantInnen aber nicht gerecht,<br />

denn er unterstellt ihnen, daß sie aus Naivität ihre wirklichen Möglichkeiten nicht wahrnehmen.<br />

In <strong>der</strong> Forschung wurde diese Illusion ähnlich wie die Segregation als H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für e<strong>in</strong>e Integration<br />

(oft als Assimilation verstanden) empfunden. Braun konstatierte 1970 bei italienischen<br />

ImmigrantInnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz, daß die „Rückkehrabsicht mehr e<strong>in</strong>e sorgsam gepflegte<br />

Wunschvorstellung“, e<strong>in</strong>e nostalgische Heimweh-Reaktion sei. Wenn e<strong>in</strong>e solche „Fehlanpassung“<br />

nach vier Jahren Aufenthalt noch festzustellen sei, könne man <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em „Scheitern <strong>der</strong><br />

Umstellung und Anpassung sprechen; e<strong>in</strong>e positive E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung sche<strong>in</strong>t kaum mehr möglich“<br />

5 .<br />

Tatsächlich konnte jedoch <strong>in</strong> Kapitel 4.2 gezeigt werden, daß sie die erheblichen H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse,<br />

die e<strong>in</strong>er Rückkehr im Wege stehen, durchaus realistisch sehen. Ich vermute daher, daß<br />

viele MigrantInnen nicht aus Naivität o<strong>der</strong> ‘Fehlanpassung’, son<strong>der</strong>n aus an<strong>der</strong>en Gründen daran<br />

festhalten, irgendwann zurückzukehren. Auch wenn die Rückkehrorientierung nicht realisiert<br />

wird, hat sie wichtige soziale, kulturelle und psychische Funktionen, die nun untersucht<br />

werden sollen. Denkbar ist, daß es immer stärker diese Gründe s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong>e Person zu dem<br />

Satz ‘Ich gehe zurück’ veranlassen, immer weniger h<strong>in</strong>gegen die konkrete Rückkehrplanung.<br />

Der Satz wird genauso oft gesagt, aber immer mehr aus an<strong>der</strong>en Motiven.<br />

Statt <strong>von</strong> konkreter Rückkehrabsicht o<strong>der</strong> naiver Rückkehrillusion möchte ich daher neutraler<br />

<strong>von</strong> Rückkehrorientierung reden. Die Rückkehrorientierung kann bestehen bleiben, obwohl<br />

auch für die E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong> Verbleib mehr o<strong>der</strong> weniger feststeht. Je mehr sie aus folgenden an<strong>der</strong>en<br />

Motiven gedacht und geäußert wird, desto stärker kann die Rückkehrorientierung neben<br />

<strong>der</strong> Bleibeorientierung stehen.<br />

Dabei kann es nicht darum gehen, das Verhältnis <strong>von</strong> Bleibe- und Rückkehrorientierung im<br />

Bewußtse<strong>in</strong> und Unterbewußtse<strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen MigrantInnen psychoanalytisch zu ergründen,<br />

o<strong>der</strong> gar die E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>erbevölkerung pauschal zu kategorisieren. Ich möchte nur die Bedeutung<br />

und Tragweite <strong>der</strong> Funktionen <strong>der</strong> Rückkehrorientierung, die sich nicht auf die tatsächliche<br />

Rückkehr beziehen, aufzeigen und fragen, wie handlungsleitend die Rückkehrorientierung für<br />

alltägliche Entscheidungen ist.

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