'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
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8 1. E<strong>in</strong>leitung<br />
zwischen anhalten<strong>der</strong> Rückkehrorientierung und endgültiger Bleibegewißheit bewegt. In den<br />
folgenden Dimensionen dieses Prozesses läßt sich jeweils e<strong>in</strong>e Früh- und e<strong>in</strong>e<br />
Verfestigungsphase erkennen:<br />
Wachsende Aufenthaltszeiten und s<strong>in</strong>kende Rückkehrquoten s<strong>in</strong>d die direktesten Indizien,<br />
bei denen sich aber nur mit e<strong>in</strong>er gewissen Willkür def<strong>in</strong>itorische Schnittl<strong>in</strong>ien ziehen lassen.<br />
Demographisch betrachtet, beg<strong>in</strong>nen die Alters- und Geschlechterrelationen, die ursprünglich<br />
zugunsten jüngerer Männer verschoben waren, sich durch den Familiennachzug auszugleichen.<br />
Diese Verschiebungen wirken über die Nie<strong>der</strong>lassung h<strong>in</strong>aus auf die Alterspyramide e<strong>in</strong>;<br />
die E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>population wird aber nicht mehr direkt durch Migration verän<strong>der</strong>t 7 .<br />
Viele MigrantInnen holen zunächst nur Partner o<strong>der</strong> Partner<strong>in</strong>, eventuell mit dem jüngsten<br />
K<strong>in</strong>d, erst später dann die bei den Großeltern gelassenen, älteren K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu sich nach. So glie<strong>der</strong>n<br />
sie sich nach dem Produktionsbereich etappenweise auch <strong>in</strong> den Reproduktionsbereich<br />
des Aufnahmelandes e<strong>in</strong>.<br />
Dementsprechend verfestigt sich die Wohnsituation schrittweise vom Bett im Firmenwohnheim<br />
über das Abrißhaus im Sanierungsviertel zur Dauerwohnung im E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>er-Kiez.<br />
Damit entsteht e<strong>in</strong>e eigene Infrastruktur <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>erm<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten. M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitenbildung<br />
ist e<strong>in</strong> wichtiger Indikator für Nie<strong>der</strong>lassung, da es zwar e<strong>in</strong>e – assimilative – Nie<strong>der</strong>lassung ohne<br />
M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten geben kann, aber ke<strong>in</strong>e ausgebildeten M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten ohne Nie<strong>der</strong>lassung 8 .<br />
Auch sie erfolgt <strong>in</strong> zwei Schritten: Erst bilden sich <strong>in</strong>formelle Treffs und Vere<strong>in</strong>e, die – etwa <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> politischen Arbeit – auf das Herkunftsland ausgerichtet s<strong>in</strong>d; dann orientieren sie sich auf<br />
das Aufnahmeland um.<br />
Auch im Erwerbsbereich zeigen immer länger werdende Betriebszugehörigkeiten und die Eröffnung<br />
langfristig geplanter Unternehmen e<strong>in</strong>e Nie<strong>der</strong>lassung an.<br />
Weitere Indikatoren können das Spar- und Investitionsverhalten se<strong>in</strong> sowie die Schul- und<br />
Berufswahl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Je stärker sie auf das Aufnahmeland ausgerichtet s<strong>in</strong>d, desto deutlicher<br />
die Nie<strong>der</strong>lassung.<br />
Für das Aufnahmeland bedeutet die Nie<strong>der</strong>lassung, daß die Zugewan<strong>der</strong>ten als Arbeitskräfte,<br />
aber auch als KonsumentInnen und RentenzahlerInnen nicht mehr ersetzbar s<strong>in</strong>d 9 . Auch die<br />
schlichte Anwesenheit <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen ist e<strong>in</strong> Faktum, auf das z.B. die Schulen<br />
<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Form reagieren müssen.<br />
Bei allen genannten, ‘objektiven’ Kriterien <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassung spielt die <strong>in</strong>dividuelle Bleibe-<br />
o<strong>der</strong> Rückkehrabsicht natürlich e<strong>in</strong>e große Rolle. Dennoch läßt sich diese ‘subjektive’ Dimension<br />
<strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung getrennt betrachten.<br />
Nie<strong>der</strong>lassung und Bleibeorientierung müssen nicht Hand <strong>in</strong> Hand gehen. MigrantInnen, die<br />
sich schon nie<strong>der</strong>gelassen haben, können zurückkehren wollen; an<strong>der</strong>en MigrantInnen, die<br />
zum Bleiben entschlossen s<strong>in</strong>d, kann e<strong>in</strong>e gewünschte Nie<strong>der</strong>lassung mißl<strong>in</strong>gen.<br />
Beide Dimensionen können zeitlich ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fallen. In <strong>der</strong> traditionellen Vorstellung e<strong>in</strong>er<br />
‘klassischen’ E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung steht <strong>der</strong> Entschluß am Anfang des ganzen Prozesses; die Dauere<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung<br />
ist <strong>von</strong> vornehere<strong>in</strong> geplant. Demgegenüber hat Heckmann 10 herausgearbeitet,<br />
daß auch die subjektive Dimension <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong> allmählicher Prozeß mit zwei Schritten<br />
ist.<br />
Die anfängliche Sicherheit <strong>der</strong> Rückkehr schw<strong>in</strong>det zusehends, erst später tritt an ihre Stelle<br />
e<strong>in</strong>e Bleibegewißheit und e<strong>in</strong> Selbstverständnis als Dauer-E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>Innen. Es erfolgt „zunächst<br />
e<strong>in</strong>e Auflösung <strong>der</strong> ersten Zeitperspektive, ohne daß e<strong>in</strong>e neue an ihre Stelle treten würde“.<br />
Dann kommt es<br />
„über e<strong>in</strong>e Periode des H<strong>in</strong>auszögerns <strong>von</strong> Rückkehrplänen und den Verlust e<strong>in</strong>er lebensplanenden<br />
Zeitperspektive schließlich zu e<strong>in</strong>em Punkt, an welchem das Verbleiben <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />
zur neuen Orientierung wird. Der entsprechende Entschluß ist Endpunkt, nicht Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Motivationsprozesses.“<br />
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