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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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78 4.2. Aufschieben <strong>der</strong> Rückkehr<br />

Abb. 18: Das ‘Feld <strong>in</strong>nerer Wi<strong>der</strong>sprüche’ 131<br />

Die Trennung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Familie entfremdete die MigrantInnen gerade <strong>von</strong> denen, für die sie<br />

emigriert waren. „Von zwölf Monaten verbr<strong>in</strong>ge ich e<strong>in</strong>en Monat Urlaub <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei. Unter diesen<br />

Umständen leidet natürlich me<strong>in</strong>e Frau dort, ich hier, wir beide.“ 132 Dauerte die Trennung<br />

an, entstanden Konflikte:<br />

„1972 hat mir me<strong>in</strong>e Frau ganz großen Krach gemacht (...): ‘Du sollst mich mitnehmen!’ (...) Me<strong>in</strong>e Frau hat mir nicht<br />

geglaubt. Hat gedacht, vielleicht hast Du an<strong>der</strong>e Frau da, Du möchtest uns nicht dah<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen.“ 133<br />

Manche Ehe g<strong>in</strong>g kaputt; viele langjährige Lediggänger wollten daher trotz Familie nicht mehr<br />

zurückgehen 134 .<br />

Wohnungs- und Rechtsprobleme erschwerten die Zusammenführung <strong>der</strong> Familie; kam sie<br />

nach, konnte weniger gespart werden, rückte e<strong>in</strong>e Remigration immer weiter <strong>in</strong> die Ferne.<br />

Wenn aber beide Eltern erwerbstätig waren, konnten die K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht versorgt werden. War die<br />

Existenz im Heimatland noch nicht gesichert, wenn die E<strong>in</strong>schulung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> anstand, verschärfte<br />

sich das Problem.<br />

Ließen die MigrantInnen ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Heimatort, vermißten sie sie und verloren sie ihre elterliche<br />

Autorität und Nähe. Teilweise verweigerten auch die Großeltern die weitere Betreuung.<br />

Wollten die Eltern <strong>in</strong> Zukunft mit ihnen zusammen wie<strong>der</strong> im Heimatland leben, durften sie sie<br />

nicht auf die deutsche Schule schicken, wo sie ihrer Sprache und Herkunft entfremdet würden.<br />

Viele MigrantInnen engagierten sich <strong>in</strong> den mitglie<strong>der</strong>starken Elternvere<strong>in</strong>en aller Nationalitäten;<br />

über e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> griechischen SchülerInnen g<strong>in</strong>g 1988 auf griechische Nationalschulen 135 .<br />

Zudem konnten viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> den deutschen Schulen nicht die hohen – teilweise aufgrund eigenen<br />

Scheiterns überhöhten – Erwartungen ihrer Eltern erfüllen 136 . Das verursachte den Eltern<br />

Schuldgefühle.<br />

Um den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e gute, kont<strong>in</strong>uierliche Schulausbildung zu ermöglichen, durften sie nicht<br />

ständig h<strong>in</strong>- und hergebracht werden. Den Eltern war das bewußt: „Wenn ich zurück b<strong>in</strong>, wie<br />

machen? Soll wie<strong>der</strong> erste Klasse anfangen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei? Wenn so ist, me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehen<br />

schnell kaputt.“ 137 Beson<strong>der</strong>s die italienischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> hatten nach mehrfachen Schulwechseln<br />

erhebliche Probleme 138 .<br />

Gerade e<strong>in</strong> schulisches Scheitern würde das Dilemma <strong>der</strong> Eltern fortsetzen; so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beispiel,<br />

<strong>in</strong> dem die Erfüllung des Traums <strong>der</strong> ersten Generation (<strong>der</strong> Bau des eigenen Hauses)<br />

mit <strong>der</strong> abgebrochenen Schulausbildung des Sohnes bezahlt wurde - was dazu führte, daß das<br />

erträumte Haus wahrsche<strong>in</strong>lich niemals bezogen werden wird, weil die Eltern nun arbeiten, um<br />

dem Sohn e<strong>in</strong>e Werkstatt e<strong>in</strong>zurichten 139 .<br />

Waren die K<strong>in</strong><strong>der</strong> schon hier groß geworden, sperrten sie sich gegen e<strong>in</strong>e Rückkehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

für sie fremdes Land. Sie entwickelten eigene Lebensentwürfe, die das elterliche Projekt zerstören<br />

konnten.<br />

„Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> wollen auch nicht mit mir <strong>in</strong> die Türkei, weil sie sich dort nicht anpassen können. Außerdem, was könnten<br />

sie dort schon tun o<strong>der</strong> arbeiten? Hier haben sie ja wenigstens Arbeit und gehen zur Schule. Dazu kommt noch, daß ich<br />

nicht will, daß unsere Familie wie<strong>der</strong> geteilt wird. Aber ich habe hier große Angst. Ich befürchte, daß me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

hier etwas passieren könnte. Ach, ich weiß ja auch nicht, wir s<strong>in</strong>d hier Auslän<strong>der</strong>, aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei s<strong>in</strong>d wir Auslän<strong>der</strong>.“<br />

140<br />

Diese Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>von</strong> Familie und Migration ließen sich nicht unter e<strong>in</strong>en Hut br<strong>in</strong>gen. Ea<br />

gab ke<strong>in</strong>en Ausweg aus dem Feld <strong>in</strong>nerer Wi<strong>der</strong>sprüche. Die Trennung des wirtschaftlichen<br />

und des sozialen Lebensbereichs, die anfangs Freiheit und Beherrschung <strong>der</strong> Zeit bedeutete,

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