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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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6 1. E<strong>in</strong>leitung<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

Problemstellung und Aufbau<br />

Auslän<strong>der</strong>politik o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>erpolitik, Selbstverständnis als ‘Auslän<strong>der</strong>’ o<strong>der</strong> ‘E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>er’?<br />

In <strong>der</strong> langwierigen Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft und <strong>der</strong> noch immer außergewöhnlich<br />

niedrigen E<strong>in</strong>bürgerungsquote unter den seit Jahrzehnten hier lebenden ArbeitsimmigrantInnen<br />

1 dokumentiert sich die wi<strong>der</strong>sprüchliche „E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungssituation ohne E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland“<br />

2 mit e<strong>in</strong>er „E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung ohne E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsentscheidung“ 3 . Erklären läßt<br />

sich dieses doppelte Paradoxon nur durch e<strong>in</strong>en historischen Rückblick auf den E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsprozeß,<br />

<strong>der</strong> hierzulande lange Zeit nicht als solcher wahrgenommen wurde.<br />

Die Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> ausländischen Arbeitskräften <strong>in</strong> die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg war Teil e<strong>in</strong>er größeren Migrationsbewegung vor allem aus dem Mittelmeerraum<br />

<strong>in</strong> die Industriegebiete Mittel- und Westeuropas. Als deutsche (und schweizerische)<br />

Beson<strong>der</strong>heit gilt dabei das auf dem Rotationspr<strong>in</strong>zip beruhende System <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’.<br />

<strong>Deutschland</strong> hatte zunächst nur vorübergehend ausländische Arbeitskräfte ‘here<strong>in</strong>genommen’,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwartung, die ‘Gastarbeiter’ würden, wenn sie nicht mehr gebraucht würden,<br />

rasch wie<strong>der</strong> zurückkehren.<br />

Das System <strong>der</strong> Gastarbeit entsprach zunächst auch <strong>der</strong> Lebensplanung <strong>der</strong> MigrantInnen,<br />

die <strong>in</strong> möglichst kurzer Zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fremde Geld verdienen wollten, um sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat e<strong>in</strong>e<br />

eigene Existenz aufzubauen.<br />

Deutsche und Zugewan<strong>der</strong>te hielten aber noch fest an <strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>es befristeten Aufenthalts<br />

und e<strong>in</strong>er schließlichen Rückkehr, als aus den ‘Gastarbeitern’ längst ‘ausländische Mitbürger’<br />

geworden waren. Ihre dauerhafte Nie<strong>der</strong>lassung setzte bereits Mitte <strong>der</strong> sechziger Jahre<br />

e<strong>in</strong> und war Anfang <strong>der</strong> achtziger Jahre bei e<strong>in</strong>em Großteil <strong>der</strong> MigrantInnen abgeschlossen<br />

(siehe Kapitel 2). Dennoch leugnete o<strong>der</strong> verkannte die deutsche Politik den Prozeß <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung;<br />

dennoch hielten die meisten MigrantInnen an ihrer Rückkehrorientierung fest.<br />

Das nüchterne Rotationspr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> und <strong>der</strong> Traum <strong>der</strong> MigrantInnen<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Rückkehr s<strong>in</strong>d zwei Seiten <strong>der</strong>selben Medaille, die beide betrachtet werden sollen.<br />

In <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Aufnahmegesellschaft wandelt sich das Rotationspr<strong>in</strong>zip vom Leitbild<br />

des ‘Gastarbeiter’-Systems <strong>der</strong> Wirtschaftswun<strong>der</strong>-Gesellschaft zur realitätsfremden For<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> ‘Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland’-Dogmatiker. In <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten<br />

wird die Idee <strong>der</strong> Rückkehr vom konkreten Migrationsziel zur Illusion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dauerhaften<br />

Provisorium.<br />

Auf beiden Seiten entfernten sich subjektive Wahrnehmung und entsprechendes Handeln erheblich<br />

vom objektiv erreichten Prozeßstadium. Ich möchte den Ursachen dieser Verspätung<br />

auf die Spur kommen und damit zum e<strong>in</strong>en aus <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> deutschen Auslän<strong>der</strong>politik<br />

mögliche Lehren für e<strong>in</strong>e zukünftige E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungspolitik ziehen, zum an<strong>der</strong>en die<br />

Lebenssituation und das Selbstverständnis <strong>von</strong> MigrantInnen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> besser zu<br />

verstehen versuchen. In diesem S<strong>in</strong>n soll die Arbeit e<strong>in</strong>en Bauste<strong>in</strong>s zu e<strong>in</strong>er Mentalitätsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Migration liefern.<br />

In Kapitel 3 frage ich danach, wie es auf <strong>der</strong> deutschen Seite zu dieser Verspätung kam.<br />

Gab es Vorbil<strong>der</strong> für die Auslän<strong>der</strong>politik <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong>? Ist man konzeptionslos <strong>in</strong> die<br />

E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geschlittert? S<strong>in</strong>d Behörden und Unternehmen <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> tatsächlich<br />

nach e<strong>in</strong>em durchdachten Rotationspr<strong>in</strong>zip verfahren o<strong>der</strong> nahmen sie <strong>von</strong> vornehere<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> Kauf?<br />

Wäre es im langfristigen gesellschaftlichen Nutzen gewesen, entgegen <strong>der</strong> kurzfristigen Unternehmens<strong>in</strong>teressen<br />

auf die ‘Gastarbeit’ zu verzichten?<br />

Hätte das Rotationspr<strong>in</strong>zip funktioniert, wenn es konsequent angewendet worden wäre? O<strong>der</strong><br />

hat es funktioniert, so lange es den herrschenden Interessen entsprach?

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