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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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56 4.1. Migration auf Zeit<br />

Kollektiver Aufbruch<br />

„Unser Dorf ist zurückgeblieben. Alle, die jetzt heranwachsen, das heißt diejenigen, die Köpfchen haben, fliehen <strong>in</strong> die<br />

(...) großen Städte: ‘Laßt uns als e<strong>in</strong>zelne e<strong>in</strong>e Zukunft gew<strong>in</strong>nen!’“ 49<br />

Das verstärkte sich, als bekannt wurde, daß <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> Arbeitskräfte gesucht werden.<br />

Der Zukunftstraum wurde „zum ersten Mal für e<strong>in</strong>e breite Gruppe realisierbar“ 50 ; ke<strong>in</strong>er wollte<br />

mehr zurückbleiben. So entstand e<strong>in</strong> kollektiver Sog, gespeist durch e<strong>in</strong> traditionell idealisiertes<br />

<strong>Deutschland</strong>bild.<br />

In <strong>der</strong> Türkei entstand auf dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>es tradierten, noch heute wirksamen Mythos’<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> ‘Waffenbrü<strong>der</strong>schaft’ mit den Deutschen im ersten Weltkrieg e<strong>in</strong>e schillernde Vorstellung<br />

<strong>von</strong> e<strong>in</strong>er fremden Ferne voller Luxus, Erotik und Unglauben. Auch an<strong>der</strong>swo wurde<br />

<strong>Deutschland</strong> sehr idealisiert, selbst <strong>in</strong> den Län<strong>der</strong>n, die im Zweiten Weltkrieg unter <strong>der</strong> deutschen<br />

Besetzung gelitten hatten.<br />

Dieses Bild wurde verstärkt durch die oft angeberischen, schönfärberischen Erzählungen an<strong>der</strong>er<br />

Migranten während ihres Heimaturlaubes. Selbst wenn sie negative Erlebnisse erzählten,<br />

verblaßten diese gegenüber dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> Mitbr<strong>in</strong>gsel.<br />

„Als wir noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei waren, haben wir Bekannte gesehen, die nach kurzer Zeit mit e<strong>in</strong>em Auto <strong>in</strong> die Türkei kamen,<br />

um ihren Urlaub zu verbr<strong>in</strong>gen. Das war Empfehlung genug.“ 51<br />

Allen Umfragen zufolge, hatten die MigrantInnen sehr unzureichende Informationen über<br />

<strong>Deutschland</strong> 52 .<br />

Statt e<strong>in</strong>es Vorbereitungs- o<strong>der</strong> Sprachkurses gab es bei <strong>der</strong> Anwerbung nur knappe Informationen<br />

wie diese aus dem offiziellen türkischen „Handbuch für Arbeiter, die <strong>in</strong>s Ausland<br />

gehen“:<br />

„Je<strong>der</strong>zeit müssen Sie sich Ihres Heimatlandes rühmen und stolz se<strong>in</strong> und Ihre Gefühle <strong>der</strong> e<strong>in</strong>heimischen Bevölkerung<br />

vermitteln. (...) Wenn Sie bei heißem Wetter auf <strong>der</strong> Straße gehen, sollen Sie ihre Jacke nicht über die Schulter werfen.<br />

Wenn die Hitze Sie stört, müssen Sie, wenn Sie die Jacke ausziehen, sie unbed<strong>in</strong>gt falten und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand tragen. Das<br />

gegenteilige Verhalten sieht versnobt aus und Sie verlieren dadurch die Sympathie <strong>der</strong> e<strong>in</strong>heimischen Bevölkerung.“ 53<br />

Solche son<strong>der</strong>baren Sitten konnte sich niemand richtig vorstellen, schon gar nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> aufgeregten<br />

Anwerbesituation, die <strong>der</strong> türkische Arbeitsm<strong>in</strong>ister romantisch umschrieb: „Braut und<br />

Bräutigam hören <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hochzeitsnacht nichts.“ 54<br />

Wer nicht weiß, was ihn erwartet, kann kaum im voraus wissen, wie lange er bleiben wird.<br />

Leben für die Rückkehr<br />

Das Leben <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> war zunächst völlig geprägt <strong>von</strong> <strong>der</strong> Rückkehrorientierung. Arbeiten<br />

und Sparen standen im Zentrum des Alltags. Schichtarbeit, Überstunden und Akkordstreß<br />

verbrauchten e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> Energie; die Sparquote lag sehr hoch, da fast asketisch auf jeden<br />

Konsum verzichtet wurde. Das Junggesellenleben <strong>in</strong> den Wohnheimen war triste:<br />

„Wir arbeiten acht Stunden am Tag. Raus aus <strong>der</strong> Arbeit, Essen kochen, Wäsche waschen. Dann zu Hause E<strong>in</strong>samkeit,<br />

ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>, ke<strong>in</strong>e Frau, ke<strong>in</strong>e Eltern, an de<strong>in</strong>er Seite ke<strong>in</strong>e Bekannte, Verwandte o<strong>der</strong> Freunde... Aber wir sagen uns:<br />

‘Ertragen wir das Dase<strong>in</strong> hier, machen wir <strong>in</strong> kürzester Zeit drei o<strong>der</strong> fünf KURUS.“ 55<br />

Aber man war jung und stark, konnte sich bewähren, und die ersten Erfolge stellten sich e<strong>in</strong>:<br />

Das erste Auto, schließlich e<strong>in</strong> Haus, e<strong>in</strong> Grundstück...

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