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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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4.1. Migration auf Zeit 55<br />

Familiäre Motive<br />

‘Zukunftssicherung für die Familie’ gaben beson<strong>der</strong>s die TürkInnen oft als Auswan<strong>der</strong>ungsmotiv<br />

an 39 ; sie dürfte aber auch an<strong>der</strong>e Nationalitäten bewegt haben. Unabhängig<br />

<strong>von</strong> religiös-kulturellen Unterschieden trugen <strong>in</strong> allen Län<strong>der</strong>n die E<strong>in</strong>zelnen die Verantwortung<br />

für den (Groß-)Familienverband, <strong>in</strong>nerhalb dessen festen Beziehungsgeflechts sie die ihnen bestimmte<br />

Position ausfüllen mußten 40 . Daher war die Migrationsentscheidung oft e<strong>in</strong> Familienentschluß,<br />

wenn wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>von</strong> Schiffauer analysierten Biographie Süleymans <strong>der</strong> Sohn ausgeschickt<br />

wurde, um mit se<strong>in</strong>em Zusatzverdienst die väterliche Landwirtschaft zu unterstützen:<br />

„Es war hauptsächlich me<strong>in</strong> Vater,<strong>der</strong> wollte, daß ich emigriere... Er wollte es so: Ich sollte gehen und ihm dann das<br />

Geld <strong>in</strong>s Dorf schicken, damit er dort se<strong>in</strong>e Sachen machen kann.“ 41<br />

Im Familienkontext können aber auch an<strong>der</strong>e Gründe die Migration auslösen. In <strong>der</strong> ökonomischen<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung lösten sich die jüngeren Kernfamilien allmählich und migrierten <strong>in</strong> die<br />

Städte, blieben aber <strong>der</strong> elterlichen Hofgeme<strong>in</strong>schaft wirtschaftlich verbunden. Bei 43 % <strong>der</strong> türkischen<br />

Männer (19 % <strong>der</strong> Frauen) fiel <strong>der</strong> Entschluß alle<strong>in</strong>, bei 42 % (51 %) zusammen mit<br />

dem Ehepartner und nur bei 14 % (29 %) zusammen mit den Eltern 42 . Zunehmend wichtiger<br />

wurde es, den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e gute Bildung zu ermöglichen und sie zu för<strong>der</strong>n: „Me<strong>in</strong>e Söhne sollen<br />

nicht sagen, ihr Vater habe ihnen nichts gekauft.“ 43<br />

Manche Söhne und Töchter wan<strong>der</strong>ten gegen den ausdrücklichen Willen <strong>der</strong> Eltern aus,<br />

flüchteten vor <strong>der</strong> elterlichen Autorität, e<strong>in</strong>er geplanten Hochzeit o<strong>der</strong> familiären Konflikten. In<br />

standardisierten Umfragen wurden diese Aspekte seltener genannt; häufiger tauchen sie <strong>in</strong> Lebensgeschichten<br />

wie <strong>der</strong> folgenden auf 44 .<br />

Als <strong>der</strong> gerade zitierte Süleyman <strong>in</strong> Istanbul e<strong>in</strong>e Frau kennenlernte, wurde diese deshalb<br />

<strong>von</strong> ihrer Familie nach Österreich geschickt: „Sie sagten: ‘Sobald sie nach Europa zieht, wird<br />

sie ihn verlassen.’“ Das Paar blieb aber <strong>in</strong> Kontakt; er entschloß sich trotz se<strong>in</strong>er ursprünglichen<br />

Abneigung, auch zu emigrieren, da sie zuhause e<strong>in</strong>em auf Dauer wohl zermürbenden Druck<br />

seitens <strong>der</strong> Verwandten ausgesetzt gewesen wären. Se<strong>in</strong> Vater war ebenfalls gegen diese Heirat<br />

und damit nun auch gegen die Migration.<br />

„Ich habe gesagt: ‘Vater, die ganze Zeit sagst du, daß ich nach Österreich gehen soll – und jetzt bist du wie<strong>der</strong> dagegen!’...<br />

Ich habe dann zwei Jahre nicht mit ihm gesprochen.“<br />

Die familären Spannungen, das hier offenbar dom<strong>in</strong>ierende Migrationsmotiv, legten sich mit<br />

<strong>der</strong> Geburt <strong>von</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n; nun traten aber ökonomische Ziele h<strong>in</strong>zu: „Ich würde gerne e<strong>in</strong>en mo<strong>der</strong>nen<br />

Bierausschank eröffnen.“<br />

E<strong>in</strong>e ähnliche Konstellation zitiert Akp<strong>in</strong>ar:<br />

„Streit. Zuerst b<strong>in</strong> ich gekommen, dann me<strong>in</strong> Mann und unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Türkei hatten wir ständig Streitereien über<br />

Kle<strong>in</strong>igkeiten, die <strong>von</strong> me<strong>in</strong>en Schwiegereltern ausg<strong>in</strong>gen. Außerdem hat me<strong>in</strong> Mann viel getrunken. Jetzt haben wir ke<strong>in</strong>e<br />

Zeit für solche D<strong>in</strong>ge, wir müssen arbeiten. Was soll ich weiter sagen ...“ 45<br />

Schiffauer betont den Aspekt <strong>der</strong> Migration als Rebellion, als bewußte Lösung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Tradition<br />

46 . Plötzlich mußten die E<strong>in</strong>zelnen nicht mehr nur ihre vorgegebene Rolle <strong>in</strong> Dorf und Familie<br />

ausfüllen, son<strong>der</strong>n konnten <strong>von</strong> <strong>der</strong> selbständigen Gestaltung <strong>der</strong> eigenen Zukunft träumen.<br />

Zukunft („istikbal“) bedeutete e<strong>in</strong> geachtetes, möglichst selbständiges Auskommen ohne Handarbeit<br />

und Befehlsempfangen.<br />

Manche MigrantInnen waren auch neugierig: „Ich wollte bloß ‘ne an<strong>der</strong>e Welt sehen, ‘ne an<strong>der</strong>e<br />

Sprache lernen. Ich wollte nicht lange bleiben.“ 47 4 % <strong>der</strong> Männer waren aus Abenteuerlust,<br />

7 % für ihre berufliche Fortbildung migriert 48 .<br />

Wenn so unterschiedliche Motive zusammenfließen, wird e<strong>in</strong>e exakte Zukunftsplanung erschwert.

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