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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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54 4.1. Migration auf Zeit<br />

se<strong>in</strong>svorsorge. Der Lebenstraum, sich „e<strong>in</strong>e Zukunft zu begründen“ 31 , <strong>der</strong> nur wenigen nach<br />

jahrzehntelanger Mühe vergönnt gewesen war, war jetzt offenbar e<strong>in</strong> b<strong>in</strong>nen kurzem erreichbares<br />

Ziel.<br />

„Hier kann ich mit dem Verdienst <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Monat e<strong>in</strong> Auto kaufen... In <strong>der</strong> Türkei mußt du 20 Jahre dafür arbeiten...<br />

Hier kannst du dir mit dem Verdienst aus zwei Jahren Arbeit e<strong>in</strong> Haus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei kaufen... Wenn du <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei arbeitest,<br />

mußt du ... dafür dreißig Jahre lang arbeiten und das reicht nicht e<strong>in</strong>mal... Also es liegen Welten dazwischen“ 32<br />

„Wenn die Zeitspanne, die e<strong>in</strong>en <strong>von</strong> <strong>der</strong> Realisierung e<strong>in</strong>es wichtigen Zieles wie dem Erwerb e<strong>in</strong>es Hauses trennt, <strong>von</strong><br />

30 auf zwei Jahre schrumpft, dann wird die Zeit beherrschbar und berechenbar. (...) Das Ziel liegt e<strong>in</strong>em gleichsam ‘vor<br />

Augen’.“ 33<br />

In e<strong>in</strong>em großen ‘Kraftakt’ kann man se<strong>in</strong> Leben selbst <strong>in</strong> die Hand nehmen. Der Hausbau<br />

war also weniger e<strong>in</strong> konkretes Sparziel, nach <strong>der</strong>en Erreichung man sofort zurückkehrt, son<strong>der</strong>n<br />

symbolisierte den sozialen Aufstieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Klasse. Wenn das Haus stand, merkten<br />

viele, daß dazu das Symbol alle<strong>in</strong> noch nicht reichte. Das eigentilche Migrationsziel war damit<br />

eher vage: So gab es später nicht den klaren Punkt, an dem man sagen konnte: ‘Jetzt habe ich<br />

geschfft, was ich wollte.’<br />

Stärker als an<strong>der</strong>e Nationalitäten waren die Italiener wegen Arbeitslosigkeit migriert. Aber<br />

auch sie hatten das umfassen<strong>der</strong>e Ziel,<br />

„<strong>der</strong> Situation im Heimatland etwas entgegen zu setzen; Migration als <strong>in</strong>dividuelle Lösung aus <strong>der</strong> ‘miseria’, als eigenständige<br />

Zukunftsplanung und -gestaltung, ohne alle<strong>in</strong> auf Gunst und Beziehungen angewiesen zu se<strong>in</strong>“ 34 .<br />

Daß die Lösung <strong>in</strong>dividuell se<strong>in</strong> sollte und nicht kollektiv (z.B. politische Opposition zur Än<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> sozialen Verhältnisse), machte die Emigration für die Eliten und Regierungen so <strong>in</strong>teressant.<br />

Unzufriedenheitsventil<br />

Zwar bestanden zunächst seitens e<strong>in</strong>iger Herkunftslän<strong>der</strong> rechtliche Restriktionen gegen die<br />

Auswan<strong>der</strong>ung. Spanien, die Türkei, Jugoslawien und Portugal erlaubten erst zwischen 1959<br />

und 1965 schrittweise die Ausreise. Trotz unterschiedlichster politischer Systeme läßt sich diese<br />

Öffnung <strong>in</strong>terpretieren als gleichzeitige Abkehr <strong>von</strong> den Versuchen e<strong>in</strong>er autozentrierten Entwicklung<br />

35 ; teilweise dienten die Anwerbevere<strong>in</strong>barungen freilich nur dazu, e<strong>in</strong>en großen illegalen<br />

Strom zu kanalisieren. Nun versprach die Migration e<strong>in</strong> ökonomisches, soziales und politisches<br />

Entlastungsventil; die Regierungen hofften auf den Export <strong>von</strong> ‘überschüssiger’ Arbeit<br />

(und damit Unzufriedenheit) und den Import <strong>von</strong> fehlendem Kapital (Lohnüberweisungen). Die<br />

ArbeitsmigrantInnen sollten als komparativer Vorteil <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Arbeitsteilung <strong>in</strong>strumentalisiert<br />

werden 36 . Italien hatte seit 1952 auf e<strong>in</strong> Abkommen mit <strong>Deutschland</strong> gedrängt, Spanien<br />

schuf e<strong>in</strong> staatliches Emigrationsbüro 37 .<br />

Die Frage e<strong>in</strong>er Befristung spielte dabei ke<strong>in</strong>e Rolle; berufliche Qualifikation als Migrationsziel<br />

wurde erst im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>von</strong> den Regierungen <strong>in</strong> die Debatte gebracht. Die Türkei wollte<br />

e<strong>in</strong>e Befristung, um möglichst viele Unzufriedene an das Ventil zu lassen. Nur Belgrad bezweckte<br />

gezielt e<strong>in</strong>e vorübergehende Entlastung während <strong>der</strong> reformbed<strong>in</strong>gten Umstrukturierungskrise<br />

und bemühte sich bald, aber erfolglos um e<strong>in</strong>e geplante Re<strong>in</strong>tegration <strong>der</strong> EmigrantInnen<br />

38 . Die an<strong>der</strong>en Staaten för<strong>der</strong>ten die Rückkehrorientierung ihrer EmigrantInnen, nicht<br />

aber <strong>der</strong>en tatsächliche Rückkehr.<br />

Auch die politische Unterdrückung – fast überall herrschten Militärdiktaturen – brachten viele<br />

Menschen dazu, sich im Ausland anwerben zu lassen: Die Grenzen zwischen Arbeitsmigration<br />

und politischem Asyl s<strong>in</strong>d nicht immer e<strong>in</strong>deutig.

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