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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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3.2. Auslän<strong>der</strong>politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungsphase 39<br />

brachte ‘E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland’ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang mit Assimilation 56 . Gleichwohl verband<br />

man E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung auch mit ‘amerikanischen Verhältnissen’ – M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten, ‘Ghettos’, Unruhen.<br />

‘Wir s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland’ – das wurde erst seit den siebziger Jahren, dann aber immer<br />

öfter und heftiger betont. Die Begründungen klangen immer defensiver. Man wies For<strong>der</strong>ungen<br />

zurück, die niemand aufgestellt hatte; ke<strong>in</strong>er hatte <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bundesregierung verlangt,<br />

das deutsche Volk gezielt zu vermehren o<strong>der</strong> die MigrantInnen zu germanisieren.<br />

E<strong>in</strong>ige Initiativen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen hatten lediglich diagnostiziert, daß<br />

sich <strong>Deutschland</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungssituation bef<strong>in</strong>de. Am frühesten tat dies me<strong>in</strong>es Wissens<br />

e<strong>in</strong>e Stuttgarter Studie 1972: „Obwohl die BRD ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland se<strong>in</strong> soll, ist sie<br />

faktisch zum E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland geworden.“ 57 Am prom<strong>in</strong>entesten war <strong>der</strong> ‘Kühn-Bericht’ des<br />

neugeschaffenen Auslän<strong>der</strong>beauftragten, <strong>der</strong> 1979 die „Anerkennung <strong>der</strong> faktischen E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung“<br />

for<strong>der</strong>te 58 . Im Herbst 1980 stellte e<strong>in</strong> Kirchensymposion fest: „Wir leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er multikulturellen Gesellschaft.“ 59<br />

Diese Analysen sahen e<strong>in</strong>e Anerkennung <strong>der</strong> faktisch e<strong>in</strong>getretenen Entwicklung als Voraussetzung<br />

für e<strong>in</strong>e realistische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitenpolitik. E<strong>in</strong> Jahrzehnt nach <strong>der</strong> Entdeckung des ‘Auslän<strong>der</strong>problems’<br />

war mit dem Kühn-Memorandum nun die „amtliche Entdeckung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungssituation“<br />

gefolgt 60 . Der verbale Abwehrkampf nicht nur <strong>der</strong> Konservativen beruhte also<br />

nicht auf e<strong>in</strong>er mangelnden Wahrnehmung <strong>der</strong> Realität, eher auf e<strong>in</strong>er „defensiven Erkenntnisverweigerung“<br />

61 .<br />

Das Festhalten an ursprünglichen Erwartungen wurde immer mehr zum Dogma e<strong>in</strong>er Vogel-<br />

Strauß-Politik. In e<strong>in</strong>em Gutachten zum Deutschen Juristentag 1980 hieß es: „Schon aus verfassungsrechtlichen<br />

Gründen ist die Politik ‘ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland’ heute weitgehend nicht<br />

mehr möglich.“ 62 Auch die bayerische Regierung stellte fest, daß „unstreitbar de facto e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung<br />

stattgefunden“ habe, aber die <strong>Bundesrepublik</strong> könne ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland<br />

se<strong>in</strong> 63 . Der schon zitierte Arbeitgebervertreter Weber resümierte 1982 noch e<strong>in</strong>mal die politische<br />

Zielsetzung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>beschäftigung, <strong>in</strong>dem er sich auf e<strong>in</strong>e Arbeitgeberveranstaltung<br />

<strong>von</strong> 1966 bezog:<br />

„Die hoch<strong>in</strong>dustrialisierte und dichtbevölkerte <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> ist ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland. Sie hat daher<br />

<strong>in</strong>teressierten Auslän<strong>der</strong>n auch nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Möglichkeit <strong>der</strong> Arbeitsaufnahme<br />

<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> erleichtert. Bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>reise arbeitswilliger Auslän<strong>der</strong> wurde daher auch auf wesentliche<br />

Vorbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er klassischen E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungspolitik, nämlich die Integrationsfähigkeit und -<br />

bereitschaft <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung zu prüfen, verzichtet. Die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

versteht sich daher als e<strong>in</strong> Aufenthaltsland für Auslän<strong>der</strong>, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nach e<strong>in</strong>em mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

langen Aufenthalt aus eigenem Entschluß <strong>in</strong> ihre Heimat zurückkehren. Diese Grundhaltung dient langfristig<br />

den wirtschaftlichen und sozialen Interessen <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> und denen <strong>der</strong> Heimatlän<strong>der</strong>.“<br />

64<br />

Ke<strong>in</strong>e Rolle spielten die MigrantInnen selbst:<br />

„Ob wir faktisch e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland werden, können wir uns nicht durch E<strong>in</strong>zelentscheidungen <strong>von</strong> Auslän<strong>der</strong>n aufzw<strong>in</strong>gen<br />

lassen, die nur für begrenzte Zeit als Arbeitnehmer zu uns kamen. Wir haben (...) e<strong>in</strong> nationales Interesse daran,<br />

daß hier e<strong>in</strong>er drohenden Entwicklung E<strong>in</strong>halt geboten wird.“ 65<br />

Noch deutlicher national argumentierte die Unionsfraktion im Bundestag:<br />

„Die Rolle <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> als nationaler E<strong>in</strong>heitsstaat und Teil e<strong>in</strong>er gespaltenen Nation erlaubt nicht die E<strong>in</strong>leitung<br />

e<strong>in</strong>er unumkehrbaren Entwicklung zum Vielvölkerstaat.“ 66<br />

Auch das Staatsbürgerschaftsrecht g<strong>in</strong>g nur nach den national-staatlichen Interessen und<br />

sah die E<strong>in</strong>bürgerung als krönenden Abschluß e<strong>in</strong>es Assimilationsprozesses 67 . Demgegenüber<br />

hat die Migrationsforschung immer wie<strong>der</strong> festgestellt, daß rechtliche Sicherheit und politische<br />

Partizipationschancen zentrale Integrationsvoraussetzungen s<strong>in</strong>d. Dafür müßten die politischen<br />

Rechte <strong>der</strong> MigrantInnen verbessert werden.<br />

Angesichts <strong>der</strong> hohen Schranken zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>bürgerung for<strong>der</strong>ten verschiedene Gruppen,<br />

unter an<strong>der</strong>em die Grünen, e<strong>in</strong> neues ‘Nie<strong>der</strong>lassungsrecht’; dies entspreche <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>Innen, die sich nie<strong>der</strong>gelassen hätten, ohne aber Deutsche werden zu wollen 68 .

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