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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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3.1. 'Gastarbeits'-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase 29<br />

Die Politik <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ – ‘Laissez-Faire’ o<strong>der</strong> Konzept?<br />

Die <strong>Bundesrepublik</strong> hatte das Rotationspr<strong>in</strong>zip als zentrales Element <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ im wesentlichen<br />

aus <strong>der</strong> Vorkriegszeit übernommen. Da alle Interessengruppen da<strong>von</strong> zu profitieren<br />

schienen, wurde es nie richtig diskutiert. Die ‘Gefahr’ e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung war ke<strong>in</strong> Thema.<br />

Während <strong>der</strong> Massenanwerbung <strong>der</strong> sechziger und frühen siebziger Jahre bot das Rotationspr<strong>in</strong>zip<br />

e<strong>in</strong>e geeignete rechtliche Struktur, um die Nie<strong>der</strong>lassung <strong>der</strong> MigrantInnen und damit<br />

e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsprozeß zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

Doch wendete die <strong>Bundesrepublik</strong> diese Struktur niemals konsequent an, da dies gegen die<br />

Unternehmens<strong>in</strong>teressen verstoßen hätten. Auch das hochgehaltene Familienideal sowie außenpolitische<br />

und historische Rücksichten verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten e<strong>in</strong>e radikale Durchsetzung des Rotationspr<strong>in</strong>zips.<br />

So konnten sich immer mehr MigrantInnen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> nie<strong>der</strong>lassen.<br />

Diese Ansätze schienen aber unproblematisch, da die anhaltend hohe freiwillige Rückwan<strong>der</strong>ung<br />

das Rotationspr<strong>in</strong>zip zu bestätigen schien. Adm<strong>in</strong>istrativer Zwang schien unnötig.<br />

So schrieb die baden-württembergische Landesregierung im Frühjahr 1973, daß<br />

„nach den gegenwärtig vorliegenden Erfahrungen die freiwillige Rotation verhältnismäßig günstige Auswirkungen zeigt<br />

und auch künftig voraussichtlich entsprechende Ergebnisse zu erwarten s<strong>in</strong>d“ 97 .<br />

Ferner mußten übergeordnete Vorgaben wie die europäische Integration und das deutsche<br />

Ansehen im Ausland o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> Familie und <strong>der</strong> gesellschaftlichen Stabilität gewahrt<br />

werden.<br />

Trotz <strong>der</strong> strengen Kontroll- und Regulierungsmechanismen betrieb man im Grunde e<strong>in</strong>e<br />

kurzsichtige Politik des „Laissez-faire“ 98 . H. Richter vom DGB kritisierte 1975,<br />

„daß zu dieser unguten Entwicklung jene beitrugen, die immer wie<strong>der</strong> behaupteten: Das ganze Problem löst sich <strong>von</strong><br />

selbst. Es muß hier mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß bis vor zwei, drei, vier Jahren we<strong>der</strong> die Regierungen<br />

des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> noch die Parlamente und Parteien sich mit dem Problem <strong>der</strong> ausländischen Arbeitnehmer<br />

ernsthaft vorausschauend beschäftigt haben.“ 99<br />

Gegen den Vorwurf, die Auslän<strong>der</strong>politik sei konzeptionslos gewesen, wendete 1973 das Arbeitsm<strong>in</strong>isterium<br />

e<strong>in</strong>: „Die Zulassung <strong>von</strong> Auslän<strong>der</strong>n zur Beschäftigung alle<strong>in</strong> nach den Bedürfnissen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft ist auch e<strong>in</strong>e Konzeption.“ 100 Auslän<strong>der</strong>politik war Arbeitsmarktpolitik. M<strong>in</strong>isterialrat<br />

Ernst bestätigt hier die marxistische Interpretation <strong>der</strong> Funktion des Staates, nämlich<br />

die den Unternehmer<strong>in</strong>teressen entsprechenden Bed<strong>in</strong>gungen zu schaffen und zu sichern.<br />

Diesen Interessen entsprach die Konzeption des Rotationspr<strong>in</strong>zips, diesen Interessen entsprach<br />

auch se<strong>in</strong>e Nicht-Anwendung. Angesichts des andauernden Booms war den Unternehmen<br />

mehr an e<strong>in</strong>er Nie<strong>der</strong>lassung <strong>der</strong> MigrantInnen gelegen als an ihrer Rotation. Manche<br />

wollten gar ke<strong>in</strong>e vorübergehenden ‘Gastarbeiter’ mehr: „E<strong>in</strong> häßliches Wort, das ich durch<br />

‘ausländische Mitarbeiter’ ersetzen möchte. Denn wir wollen schließlich, daß sie hier bleiben.“<br />

101<br />

1 Meier-Braun 1979, 18f. Nach Dohse 1985, 149, scheiterte e<strong>in</strong> ähnliches Vorhaben 1952.<br />

2 Vgl. Art. 2 I <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>barung mit Italien, abgedr. <strong>in</strong> Schill 1965, 209.<br />

3 Dohse 1985, 197. Vgl. Kap. 4.1.<br />

4 Neunte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 20.11.<br />

1959, abgedr. <strong>in</strong> Schill 1965, 141. Ähnlich ab 1969 § 19 I 2 Arbeitsför<strong>der</strong>ungsgesetz.<br />

5 Vor allem deutsche, männliche Facharbeiter. Vgl. Dohse 1985, 200ff., 222.<br />

6 Genauer: wie bei vergleichbaren Arbeitskräften; das schließt e<strong>in</strong>e Unterschichtung nicht aus. Zur „Kluft zwischen<br />

Theorie und Praxis“: Bischoff/Teubner 1991, 85f.<br />

7 § 4 Nr. 1 <strong>der</strong> Neunten Verordnung ..., später § 1 I Nr. 1, § 3 I Arbeitserlaubnisverordnung (1971).<br />

8 Interview Ma<strong>der</strong>/<strong>von</strong> Harassowski. Der Arbeitsvertrag ist eigentlich e<strong>in</strong>e privatrechtliche, ke<strong>in</strong>e öffentlich-rechtliche<br />

Angelegenheit: Dohse 1985, 262ff.<br />

9 Dohse 1985, 278ff.<br />

10 Archiv Berl<strong>in</strong>er Geschichtswerkstatt.<br />

11 Herbert 1986, 15ff., 18. Bade 1992, 311-324. Roller 1993.

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