'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
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28 3.1. 'Gastarbeits'-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase<br />
tes. 1972 galt das schon für 400 000 ausländische Arbeitskräfte 83 . Dann konnte ihnen auch die<br />
unbefristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werden, doch stand dies im Ermessen <strong>der</strong> Behörden<br />
84 . Diese wollten e<strong>in</strong>e Nie<strong>der</strong>lassung verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n:<br />
„Die wirtschaftliche Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> hat es mit sich gebracht, daß <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e ausländische<br />
Arbeitnehmer sich <strong>in</strong> großer Zahl über längere Zeit h<strong>in</strong>weg im Bundesgebiet aufhalten, ohne daß ihre ständige<br />
Nie<strong>der</strong>lassung als erwünscht angesehen werden kann, wie sich bereits aus <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> gesamtwirtschaftlichen<br />
Lage ergibt. Bei <strong>der</strong> Erteilung <strong>von</strong> Aufenthaltsberechtigungen nach § 8 Auslän<strong>der</strong>gesetz ist daher<br />
Zurückhaltung geboten.“ 85<br />
Wenn e<strong>in</strong> Auslän<strong>der</strong> sich auf Dauer nie<strong>der</strong>lassen wollte, konnte er deswegen se<strong>in</strong>e Aufenthaltserlaubnis<br />
verlieren. Der Verwaltungsgerichtshof München argumentierte so: „Die <strong>Bundesrepublik</strong><br />
ist ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland. Die ständige Nie<strong>der</strong>lassung <strong>von</strong> Auslän<strong>der</strong>n bee<strong>in</strong>trächtigt<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel staatliche Belange.“ 86<br />
Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Freizügigkeit <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> EG (1968) weckte Bedenken, da sie die staatliche<br />
Verfügungsmacht über die anfangs noch größte Migrantengruppe, die ItalienerInnen, e<strong>in</strong>schränkte.<br />
Doch konnten die Bedenken am übergeordneten Ziel <strong>der</strong> europäischen Integration<br />
nicht rütteln, denn die freiwillige Rückwan<strong>der</strong>ung blieb gerade nach Italien <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit<br />
hoch, und die Freizügigkeit blieb im Detail noch erschwert. Zudem wurde jetzt verstärkt <strong>in</strong> Jugoslawien<br />
und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei angeworben 87 .<br />
Dem Rotationspr<strong>in</strong>zip wi<strong>der</strong>sprach auch <strong>der</strong> Familiennachzug. Obwohl etwa die Arbeitgeberverbände<br />
darauf h<strong>in</strong>wiesen 88 , wurde er dennoch politisch geduldet, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>zelnen Betrieben sogar<br />
geför<strong>der</strong>t. Schon die Regierungsvere<strong>in</strong>barungen sahen e<strong>in</strong>e „wohlwollende Prüfung“ <strong>der</strong><br />
Familienzusammenführung vor 89 . 1962 zitierte die Badische Volkszeitung den baden-württembergischen<br />
Arbeitsm<strong>in</strong>ister:<br />
„Unverantwortlich sei es, verheiratete Gastarbeiter <strong>in</strong> Massen <strong>in</strong> die <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> zu holen, ohne ihnen<br />
die Möglichkeit zu geben, ihre Familien mitkommen zu lassen (...). Wenn das Wohnungsproblem für die verheirateten<br />
Gastarbeiter nicht zu lösen sei, dann müsse man künftig darauf verzichten, sie anzuwerben. Die Gefahr <strong>der</strong> Familienzerrüttung<br />
sei zu groß.“ 90<br />
Nicht nur <strong>der</strong> auch für Auslän<strong>der</strong>Innen geltende Artikel 6 des Grundgesetzes und <strong>der</strong> hohe<br />
ideologische Stellenwert <strong>der</strong> Familie sprachen für e<strong>in</strong>e Erlaubnis, wenn nicht gar För<strong>der</strong>ung des<br />
Familiennachzugs; er sollte zudem die betriebliche Fluktuation verr<strong>in</strong>gern, die Arbeitsleistung<br />
erhöhen und allgeme<strong>in</strong> die gesellschaftliche Stabilität sichern 91 . In e<strong>in</strong>er Bildreportage über „Uneheliche<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit Auslän<strong>der</strong>n“ wandte sich die Constanze 1962 dagegen,<br />
„e<strong>in</strong> Heer <strong>von</strong> verheirateten Männern auf Jahre <strong>in</strong>s Land zu holen, ohne gleichzeitig die Angehörigen aufzunehmen. Wie<br />
sagte Paolo? ‘Ich b<strong>in</strong> doch auch nicht aus Holz!’“ 92<br />
Zudem drohten dem Aufnahmeland <strong>von</strong> getrennt lebenden Familienvätern nach Mülhaupt-<br />
Lopez<br />
„Fälle extremen Verhaltens (...), e<strong>in</strong> Unbehagen gegenüber dem herrschenden Gesellschaftssystem und e<strong>in</strong>e politische<br />
Anfälligkeit gegenüber kommunistischer Infiltration“ 93 .<br />
Über die Tolerierung des Familiennachzugs herrschte Konsens 94 . Er wurde aber auf die<br />
Kernfamilie begrenzt, um die „Übersiedlung <strong>von</strong> ausländischen Großfamilien und Sippenverbänden“<br />
zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Doch auch hier gab es Ausnahmen, wenn die Zulassung e<strong>in</strong>er spanischen<br />
Großmutter e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenplatz e<strong>in</strong>sparte 95 .<br />
E<strong>in</strong>ziges H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für den Familiennachzug war das Wohnungsproblem; dieses prägte damals<br />
die Medienberichterstattung über Auslän<strong>der</strong>Innen. Es weckte wohl deshalb Interesse, weil<br />
es „das <strong>von</strong> außen sichtbarste Zeichen <strong>der</strong> Unterprivilegierung und Benachteiligung“ war 96 . Die<br />
Bundesregierung för<strong>der</strong>te den Bau <strong>von</strong> Auslän<strong>der</strong>wohnungen. Die meisten MigrantInnen zogen<br />
aber <strong>in</strong> billige Abrißhäuser <strong>in</strong> den Altbauvierteln <strong>der</strong> Großstädte, wo sie den Sanierungsträgern<br />
wie<strong>der</strong>um als ‘rotierende’ Zwischennutzer willkommen waren. Dennoch war dies e<strong>in</strong> weiterer<br />
Schritt zur Nie<strong>der</strong>lassung.