'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
3.1. 'Gastarbeits'-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase 27<br />
Aufweichung des Rotationspr<strong>in</strong>zips<br />
Die Behörden setzten das Rotationspr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase nicht konsequent um. Sie<br />
warben Verwandte an, vermittelten Ehepaare geme<strong>in</strong>sam, duldeten Betriebswechsel, verlängerten<br />
Aufenthaltsgenehmigungen und erlaubten den Familiennachzug. All dies för<strong>der</strong>te die<br />
e<strong>in</strong>setzende Nie<strong>der</strong>lassung.<br />
Immer mehr MigrantInnen wurden namentlich angefor<strong>der</strong>t; ihr Anteil stieg <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Siebtel<br />
(1964) auf über e<strong>in</strong> Drittel (1971) <strong>der</strong> Vermittlungen <strong>der</strong> Bundesanstalt 72 . Die Betriebe ließen<br />
sich gerne <strong>von</strong> ihren bewährten ausländischen MitarbeiterInnen Verwandte empfehlen, die sie<br />
dann beim Arbeitsamt anfor<strong>der</strong>ten. Obwohl sie dann das Risiko <strong>von</strong> Fehlvermittlungen selbst<br />
trugen, schätzten sie die leichtere betriebliche E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung, wenn Bekanntschaftskontakte<br />
vorhanden waren. E<strong>in</strong>e Kettenmigration entstand; mit <strong>der</strong> Zeit wan<strong>der</strong>ten ganze Dörfer fast geschlossen<br />
<strong>in</strong> deutsche Großstädte aus. Dies erleichterte die Nie<strong>der</strong>lassung und die ethnische<br />
Koloniebildung erheblich.<br />
Die Anwerbekommissionen trafen offensichtlich ke<strong>in</strong>e Vorkehrungen, um beson<strong>der</strong>s Rückkehrwillige<br />
auszusuchen 73 ; die Rückkehrabsicht wurde allen BewerberInnen unterstellt. Im Gegenteil<br />
empfahl die Bundesanstalt für Arbeit den Unternehmen, <strong>der</strong>en Frauenbedarf sie nicht<br />
decken konnte, Ehepaare geme<strong>in</strong>sam anzufor<strong>der</strong>n 74 . Zwar wurden höchstens rund 3000 Ehepaare<br />
pro Jahr geme<strong>in</strong>sam vermittelt, doch zeigt dies, daß die <strong>in</strong> solchen Fällen wohl doch größere<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, länger <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zu bleiben, gegenüber <strong>der</strong> aktuellen Nachfrage<br />
<strong>der</strong> Betriebe ke<strong>in</strong>e Rolle spielte. Die Bundesanstalt erklärte sogar:<br />
„Nach den bisherigen Erfahrungen hat sich die Vermittlung <strong>von</strong> Ehepaaren bewährt, da sie <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Fluktuation<br />
<strong>der</strong> ausländischen Arbeitnehmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> <strong>Deutschland</strong> entgegenwirkt.“ 75<br />
Diese Argumentation läuft dem Rotationspr<strong>in</strong>zip zuwi<strong>der</strong>; waren die ‘Gastarbeiter’ gerade<br />
wegen ihrer Mobilität gefragt, so litten die Betriebe an<strong>der</strong>erseits unter ihrer hohen Fluktuation.<br />
E<strong>in</strong>e solche ‘selbständige Mobilität’ verursachte durch die häufigen Arbeitsplatzwechsel zusätzliche<br />
E<strong>in</strong>arbeitungs- und Organisationskosten 76 .<br />
Nun ist diese Fluktuation erstaunlich angesichts <strong>der</strong> unterschriebenen Verträge und an e<strong>in</strong>en<br />
Betrieb gebundenen Legitimationskarten. Offensichtlich konnten viele MigrantInnen ohne<br />
Schwierigkeiten schon vor Ablauf des ersten Jahres auf günstigere Arbeitsplätze wechseln; die<br />
Nachfrage war groß genug 77 . Zwar wiesen die Behörden gelegentlich tatsächliche o<strong>der</strong> angebliche<br />
Vertragsbrecher aus 78 ; sie versuchten aber nicht <strong>in</strong> großem Umfang, die Arbeitskräfte<br />
staatlich zu lenken. An<strong>der</strong>s als im Kaiserreich wurden auch ke<strong>in</strong>e Wirtschaftssektoren abgeschottet<br />
79 . Die Ausschlußkartei <strong>in</strong> München wurde 1973 aufgelöst. Das Verfahren war nicht nur<br />
rechtsstaatlich bedenklich, son<strong>der</strong>n ohne EDV auch zu umständlich gewesen 80 .<br />
Ähnlich leicht konnten ansche<strong>in</strong>end viele zunächst als TouristInnen e<strong>in</strong>gereiste MigrantInnen<br />
e<strong>in</strong>e Arbeit aufnehmen. Das war zwar verboten, wurde aber häufig geduldet o<strong>der</strong> im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
legalisiert. An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> Frankreich erfolgte dies nur im E<strong>in</strong>zelfall und möglichst ohne Aufsehen<br />
81 .<br />
Um ihre schon e<strong>in</strong>gearbeiteten Kräfte zu halten, beantragten die meisten Arbeitgeber nach<br />
e<strong>in</strong>em Jahr die Verlängerung <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis, was fast immer genehmigt wurde. Die Behörden<br />
sahen ke<strong>in</strong>e entgegenstehenden ‘Belange’ <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> im S<strong>in</strong>ne des Auslän<strong>der</strong>gesetzes;<br />
schrittweise verlängerte sich so <strong>der</strong> Aufenthalt.<br />
Die Bestimmung <strong>der</strong> deutsch-türkischen Anwerbevere<strong>in</strong>barung, die den Aufenthalt auf maximal<br />
zwei Jahre beschränkte, erwies sich für die Arbeitgeber als „praxisfremd“ und wurde 1964<br />
gestrichen 82 .<br />
Nach fünf Jahren ununterbrochener legaler Arbeit erwarben die MigrantInnen den Anspruch<br />
auf e<strong>in</strong>e drei-, später fünfjährige Arbeitserlaubnis – unabhängig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Lage des Arbeitsmark-