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'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...

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3.1. 'Gastarbeits'-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase 25<br />

noch sehr ger<strong>in</strong>g, drittens kamen gerade am Anfang viele SaisonarbeiterInnen. Über längerfristige<br />

Perspektiven machte sich niemand Gedanken.<br />

Massenanwerbung im Rotationspr<strong>in</strong>zip<br />

Schon <strong>in</strong> den fünfziger Jahren hatte so die „prophylaktische Auslän<strong>der</strong>politik“ 55 das Rotationspr<strong>in</strong>zip<br />

als zentrales Element <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ begründet. Zu betonen ist dabei allerd<strong>in</strong>gs,<br />

daß die <strong>Bundesrepublik</strong> aus dem Kaiserreich nicht das ‘härtere’ Rotationspr<strong>in</strong>zip (Saisonarbeit<br />

mit ‘Karenzzeit’) übernommen hatte, son<strong>der</strong>n das ‘weichere’ mit Ganzjahresbeschäftigung. Außerdem<br />

wurde das Wort ‘Rotationspr<strong>in</strong>zip’ erst <strong>in</strong> den siebziger Jahren benutzt. Es ist hier ke<strong>in</strong><br />

zeitgenössischer, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> analytischer Begriff.<br />

In den sechziger Jahren wurden dann wachsende Auslän<strong>der</strong>zahlen zur Normalität. 1964<br />

wurde <strong>der</strong> millionste Gastarbeiter begrüßt, 1965 wurden die bislang gültigen Verordnungen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Auslän<strong>der</strong>gesetz zusammengeführt. Da an<strong>der</strong>s als vor dem Krieg nun <strong>der</strong> Art. 19 IV GG<br />

auch Auslän<strong>der</strong>Innen den Rechtsweg eröffnete, wurde das Behördenermessen noch erweitert<br />

und die richterliche Kontrolle e<strong>in</strong>geschränkt. Mit Dohse<br />

„konzipiert das Auslän<strong>der</strong>gesetz das Verhältnis <strong>von</strong> Staat und Auslän<strong>der</strong>n auch nicht als Rechtsverhältnis, welches<br />

Verwaltungshandeln rechtlichen und rechtsstaatlichen Schranken unterwirft, son<strong>der</strong>n als Opportunitätsverhältnis, welches<br />

e<strong>in</strong>e relativ ungebundene Verwaltungspraxis ermöglicht, die sich nicht an Rechtspositionen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

an den jeweiligen und wechselnden politischen Zwecksetzungen orientiert“ 56 .<br />

Auslän<strong>der</strong>politik war Arbeitsmarktpolitik; die Bürokratie war bloßes „Vollzugsorgan <strong>der</strong> Betriebe“<br />

57 . Der Arbeitsmarkt brauchte immer schneller immer mehr ausländische Arbeitskräfte; <strong>der</strong><br />

Boom schien unendlich. Der Grundtenor <strong>der</strong> jährlich ersche<strong>in</strong>enden Erfahrungsberichte <strong>der</strong><br />

Bundesanstalt für Arbeit über Anwerbung und Vermittlung betont die Aufgabe <strong>der</strong> Bundesanstalt,<br />

„sich nur <strong>von</strong> Fakten“, d.h. den Unternehmens<strong>in</strong>teressen leiten zu lassen. Wenngleich<br />

„Ballungsersche<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>e sorgfältige Beachtung“ verdienten, gebe es ke<strong>in</strong>en Anlaß zur Beunruhigung<br />

58 . Ihr Präsident Sabel sagte 1965:<br />

„Sollte e<strong>in</strong>mal die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgehen, so könnte die Auslän<strong>der</strong>beschäftigung je<strong>der</strong>zeit, wenn<br />

nötig, durch Drosselung und völlige E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>anwerbung o<strong>der</strong> dadurch verr<strong>in</strong>gert werden, daß man die<br />

bestehenden Arbeitsverhältnisse nicht mehr verlängere.“ 59<br />

Die Rückwan<strong>der</strong>ung war erheblich, das Rotationspr<strong>in</strong>zip schien zu funktionieren. Das legt<br />

auch die nebenstehende Skizze (Abb. 4) aus dem Erfahrungsbericht nahe.<br />

Bestärkt wurde diese Überzeugung vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> kurzen Rezession 1966–67, als noch<br />

mehr MigrantInnen zurückkehrten und gleichzeitig weniger neue angeworben wurden. Auch<br />

ohne gezielte Ausweisungen hatten die ‘Gastarbeiter’ den kurzfristigen Beschäftigungse<strong>in</strong>bruch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat ‘abgepuffert’ 60 . Zwar diskutierte auch <strong>der</strong> Bundestag erstmals ausführlicher die gesamtwirtschaftlichen<br />

Kosten <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’, ohne aber vom e<strong>in</strong>geschlagenen Weg abzugehen<br />

61 . Die Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit flackerte stärker auf, bestimmte aber nicht die Politik 62 . Diese<br />

Krise schien nicht nur – durch ihre schnelle Überw<strong>in</strong>dung – den ungehemmten Zukunftsoptimismus<br />

des ‘Wirtschaftswun<strong>der</strong>s’ allgeme<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n im beson<strong>der</strong>en auch das System <strong>der</strong><br />

‘Gastarbeit’ zu bestätigen.<br />

So wurden die ersten Nie<strong>der</strong>lassungstendenzen nicht wahrgenommen, die Arbeitsverwaltung<br />

tat alles, um die enorme Nachfrage <strong>der</strong> Betriebe zu befriedigen. 1968 wurde schließlich die Regierungsvere<strong>in</strong>barung<br />

mit Jugoslawien geschlossen; Hals über Kopf wurden die entsprechenden<br />

Anwerbebüros e<strong>in</strong>gerichtet 63 . In den Jahren um 1970 erreichte die Zuwan<strong>der</strong>ung ih-

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