'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
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3.1. 'Gastarbeits'-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase 19<br />
3. E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsland? –<br />
Deutsche Ziele, Wahrnehmungen und Reaktionen<br />
3.1. ‘Gastarbeits’-Politik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anwerbephase – Entstehung und Umsetzung<br />
des Rotationspr<strong>in</strong>zips<br />
Die große E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung begann unspektakulär: Im Frühjahr 1955 warb <strong>der</strong> Bauernverband<br />
Baden-Württemberg 200 italienische Landarbeiter an 1 . We<strong>der</strong> das Auslän<strong>der</strong>- und Arbeitserlaubnisrecht<br />
noch das Anwerbeabkommen mit Italien vom 22.12.1955 wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
son<strong>der</strong>lich beachtet. Ohne große politische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung war das System <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’<br />
entstanden.<br />
Bevor ich auf die Gründe dafür e<strong>in</strong>gehe, charakterisiere ich kurz se<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zipien.<br />
Fünf Elemente des Systems <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’<br />
Das System <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ wurde geprägt durch die staatliche Anwerbung, den Inlän<strong>der</strong>primat,<br />
die Tarifgleichheit, das Rotationspr<strong>in</strong>zip und die permanente Kontrolle <strong>der</strong> MigrantInnen.<br />
Die Regierungsvere<strong>in</strong>barungen legten die Rekrutierung <strong>der</strong> Arbeitskräfte zentral <strong>in</strong> die Hände<br />
<strong>der</strong> Bundesanstalt für Arbeit 2 . Diese organisierte die Auswahl und Vermittlung <strong>der</strong> BewerberInnen,<br />
die Formalitäten und die Reise. Private Anwerbeaktionen blieben jedoch möglich, um Beschränkungen<br />
<strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> zu umgehen 3 .<br />
E<strong>in</strong>e Arbeitserlaubnis wurde „nach <strong>der</strong> Lage des Arbeitsmarktes“ 4 erteilt, also im Pr<strong>in</strong>zip nur<br />
dann, wenn ke<strong>in</strong>e deutschen Arbeitskräfte für diese Stelle vorhanden waren. Dieser Inlän<strong>der</strong>primat<br />
diente <strong>der</strong> Bekämpfung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit und berücksichtigte das gewerkschaftliche<br />
Interesse an e<strong>in</strong>er bevorzugten E<strong>in</strong>stellung ihrer Klientel 5 .<br />
Wenn Auslän<strong>der</strong>Innen beschäftigt wurden, dann sollte das zu den gleichen arbeits- und tarifrechtlichen<br />
Bed<strong>in</strong>gungen geschehen wie bei Deutschen 6 . Der entsprechende Mustervertrag,<br />
den die BewerberInnen vor ihrer Ausreise <strong>in</strong> den Anwerbebüros unterzeichneten, war als Anlage<br />
Teil <strong>der</strong> Regierungsvere<strong>in</strong>barungen. Auch darauf hatten die Gewerkschaften gedrängt, um<br />
‘Lohndrückerei’ zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />
Viertes Element <strong>der</strong> ‘Gastarbeit’ war das Rotationspr<strong>in</strong>zip: Die ‘here<strong>in</strong>genommenen’ Arbeitskräfte<br />
sollten ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>Innen werden. Die Behörden konnten Dauer und Umfang <strong>der</strong><br />
Auslän<strong>der</strong>beschäftigung flexibel und bedarfsgerecht steuern. Die <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> abhängigen Arbeits-<br />
und Aufenthaltserlaubnisse galten zunächst nur für e<strong>in</strong> Jahr; die Arbeitserlaubnis war auf<br />
e<strong>in</strong>en Betrieb und sogar auf e<strong>in</strong>e Tätigkeit beschränkt 7 . Auslän<strong>der</strong>behörde und Arbeitsamt hatten<br />
e<strong>in</strong>en weiten Ermessensspielraum bei ihrer Erteilung o<strong>der</strong> Verlängerung. Konkret erhielten<br />
die BewerberInnen <strong>in</strong> den Anwerbebüros ‘Legitimationskarten’, die Visum und Arbeitserlaubnis<br />
komb<strong>in</strong>ierten, für e<strong>in</strong> Jahr galten und die MigrantInnen an den vere<strong>in</strong>barten Betrieb banden.<br />
Damit verbunden war schließlich e<strong>in</strong>e permanente Kontrolle <strong>der</strong> MigrantInnen durch Arbeitsamt<br />
und Auslän<strong>der</strong>behörde. Vertragsbrüchige wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zentralen Kartei registriert und<br />
<strong>von</strong> zukünftigen Vermittlungen ausgeschlossen; ihnen drohte dann die Ausweisung 8 . Jegliche<br />
politische Tätigkeit wurde scharf überwacht, um e<strong>in</strong>e ‘kommunistische Infiltration’ zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />
9 .<br />
Dieses Instrumentarium wurde <strong>in</strong> den fünfziger Jahren weitgehend aus Vorkriegsregelungen<br />
rekonstruiert. Se<strong>in</strong>e Entstehungsgeschichte reicht jedoch bis <strong>in</strong>s Kaiserreich zurück.