'Gastarbeit' in der Bundesrepublik Deutschland - von Cord ...
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1. E<strong>in</strong>leitung 11<br />
stand 25 . Dennoch kamen die Menschen auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Motiven,<br />
Erwartungen und Bedürfnissen. Häufig zeigt sich, daß Kategorien wie ‘Arbeitsmigrant’,<br />
‘Flüchtl<strong>in</strong>g’, ‘Student’ o<strong>der</strong> ‘Illegaler’ unscharf s<strong>in</strong>d, ja, daß sie als juristische und damit Herrschaftskategorien<br />
wenig zur wissenschaftlichen Analyse taugen. Gleichwohl sche<strong>in</strong>t die Arbeits-<br />
Anwerbung, wenn nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Erfahrung, so doch im kollektiven Bewußtse<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
jeweiligen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit, wie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Sicht so zu dom<strong>in</strong>ieren, daß sie e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />
Betrachtung <strong>der</strong> BürgerInnen <strong>der</strong> ehemaligen Anwerbelän<strong>der</strong> erlaubt.<br />
Viele Studien beschränken sich auf e<strong>in</strong>e, meistens die türkische, Nationalität. Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
wurde und wird das verme<strong>in</strong>tliche ‘Auslän<strong>der</strong>problem’ oft als ‘Türkenproblem’ gesehen.<br />
Ich möchte diese – oft fe<strong>in</strong>dbildartige – Reduzierung vermeiden und die E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ung im<br />
ganzen betrachten. Trotz zahlreicher Unterschiede zwischen e<strong>in</strong>zelnen Migrantengruppen ist<br />
es gerechtfertigt, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em zusammenhängenden E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsprozeß zu sprechen. Denn<br />
abgesehen <strong>von</strong> kulturellen Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>der</strong> Mittelmeerlän<strong>der</strong> (auch <strong>der</strong> Türkei) gleichen<br />
sich vor allem die sozioökonomischen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Migration wie das Wohlstandsgefälle<br />
zu den Heimatlän<strong>der</strong>n, die zentrale Bedeutung des Aspektes Arbeit und die soziale Unterprivilegierung.<br />
Wichtig ersche<strong>in</strong>t mir zudem die geme<strong>in</strong>same Herkunft aus traditionalen bäuerlichen Gesellschaften,<br />
die parallele Lebensentwürfe hervorbr<strong>in</strong>gt. Mit dem Schritt „vom Bauern zum Industriearbeiter“<br />
26 treten die MigrantInnen zugleich <strong>in</strong> die Mo<strong>der</strong>ne e<strong>in</strong>. Obwohl die verschiedenen<br />
Nationalitäten – wenigstens <strong>in</strong> Großstädten – recht abgeschottet <strong>von</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> leben, unterscheiden<br />
sich ihre Alltagserfahrungen nicht so grundsätzlich. An<strong>der</strong>erseits wären gewiß mehr<br />
Differenzierungen erfor<strong>der</strong>lich, als <strong>der</strong> Überblickscharakter dieser Arbeit erlaubt; doch müßten<br />
sich diese nicht nur nach <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit richten.<br />
Obwohl die verschiedenen Entwicklungen <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> für die Rückkehrorientierung<br />
noch die größte Bedeutung haben, me<strong>in</strong>e ich, auch diese übergreifend analysieren zu können.<br />
Der Überprüfung dieses Ansatzes sollen die, wo nötig, angegebenen nationalitätenspezifischen<br />
Differenzierungen dienen.<br />
Die Probleme <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> werden nur am Rande gestreift, denn betrachtet werden<br />
nicht die RückkehrerInnen, son<strong>der</strong>n die Hiergebliebenen. Es geht mir nicht um die tatsächliche<br />
Rückkehr, die den E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsprozeß abbricht, son<strong>der</strong>n um die Idee <strong>von</strong> ihr, die den E<strong>in</strong>wan<strong>der</strong>ungsprozeß<br />
begleitet und mitformt. Die Untersuchung <strong>von</strong> Umfang, Charakter und Problemen<br />
<strong>der</strong> real erfolgten Rückkehr dient dabei vor allem e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Hoffnungen<br />
und Bedenken <strong>der</strong>er, die sich mit diesem Gedanken tragen, ohne ihn umgesetzt zu haben.<br />
Ich konzentriere mich auf die sogenannte ‘Erste Generation’, da ich historisch auf den Gesamtverlauf<br />
seit den sechziger Jahren zurückblicke. Zudem stehen die älteren MigrantInnen<br />
neuerd<strong>in</strong>gs wie<strong>der</strong> stärker im Mittelpunkt des Forschungs<strong>in</strong>teresses 27 . Die Probleme <strong>der</strong> Nachkommen<br />
<strong>in</strong>teressieren hier hauptsächlich als Motivfaktor für die Entscheidung <strong>der</strong> Eltern.<br />
Die <strong>von</strong> mir untersuchte Gruppe umfaßt rund 1.2 Millionen Menschen 28 .<br />
Literatur und Quellen<br />
Die verschiedenen Perspektiven me<strong>in</strong>es Themas werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> reichhaltigen, aber verstreuten<br />
Literatur 29 meist getrennt und <strong>von</strong> verschiedenen Diszipl<strong>in</strong>en bearbeitet. Hier muß daher<br />
versucht werden, soziologische, ethnologische, ökonomische, geographische, politikwissenschaftliche<br />
und psychologische Ergebnisse <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är zusammenzuführen, zumal sich die<br />
Geschichtswissenschaft selbst noch nicht allzu oft <strong>in</strong> so aktuelles Terra<strong>in</strong> vorgewagt hat 30 . Diese<br />
Ergebnisse s<strong>in</strong>d zu h<strong>in</strong>terfragen, ohne daß ihre theoretischen und methodischen Ansätze <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> an sich gebotenen Ausführlichkeit diskutiert werden können. Längsschnittstudien fehlen;<br />
daher will ich die oft als aktuelle Momentaufnahme o<strong>der</strong> Querschnittsanalyse entstandenen Arbeiten<br />
<strong>in</strong> die historische Betrachtung des Prozesses <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Eigene empirische Arbeit war <strong>in</strong> diesem Rahmen angesichts <strong>der</strong> Literaturfülle nicht s<strong>in</strong>nvoll;<br />
allerd<strong>in</strong>gs wurden mehrere neue Statistiken errechnet, Zeitungsartikel aus dem SFB-Archiv berücksichtigt<br />
sowie auf Interviews mit MigrantInnen und Experten <strong>der</strong> Bundesanstalt für Arbeit<br />
zurückgegriffen, die im Rahmen e<strong>in</strong>es Ausstellungsprojekts <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Geschichtswerkstatt